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8lster
No. 109.
Konlag,
J»srrtio»spreiS:
Für die Petitzeile oder deren Raum 15
Jahrg.
26. November.
Als Beilage wird dem Blatt monatlich einmal
„Der Landwirth" gratis beigegeben.
1888.
Ausland.
Frankreich.
Paris, 25. Novbr. Fünfhundert Tele
graphen- nnd Postbeamte, darunter auch
viele weibliche, protestirten gestern in einem
Meeting, dem der wegen boulangistifcher Ge
sinnungen abgesetzte Postinspector Caillavat
präsidirte, gegen angeblich stattgehabte Avan
cements-Ungerechtigkeiten und spra
chen in einer boulangistisch gefärbten Tages
ordnung die Hoffnung auf eine Besserung
dieser Verhältnisse durch eine neue Informato
rische republikanische Regierung aus. Ein
Antrag, welcher dahin geht, daß wenn ein
Streik nothwendig werden sollte, er am
wirksainsten auf die Weihnachtszeit zu
verlegen sei, wurde enthusiastisch angenomnicn.
Paris, 24. Nov. Die Staatsstreich
gerüchte, welche seit Freitag in Frankreich
verbreitet sind, und welche wir schon in einer
Depesche erwähnten, finden nur verhältniß-
vchßig wenig Gläubige. In erster Linie gehen
die Enthüllungen von boulangistischen Blättern
und Cassagnac aus, die behaupten, daß alle
Vorbereitungen getroffen seien, um am 2.
December anläßlich der Baudin-Feier einen
Zusammenstoß zwischen Boulangistcn und
Republikanern herbeizuführen, worauf Floquet
sofort zur Verhaftung sämmtlicher bekannten
Boulangisten und der ihnen befreundeten Führer
der Rechten schreiten werde. Boulanger selbst
solle wegen Hochverraths vor ein vom Senat
gebildetes Ausnahmegericht gestellt und dann
kurzweg erschossen werden. Das Gefängniß
Claipvaux habe Befehl erhalten, sofort 50 Zellen
glückt'^" stellen. Nachdem der Staatsstreich
& Ict f, verlaufen, werde Floqnct als Retter
o . "Reichs und der Republik vor das Parla-
,. ent lveten und Indemnität erbitten, welche
dîe radikal-opportunistische Mehrheit auch zu
bewilligen bereit sei. Die Boulangisten er
klären, daß durch das rechtzeitige Bekannt
werden des Planes der Floquetffche Staats
streich unmöglich gemacht sei. Boulanger
selbst hat einem Redacteur der „France" gegen
über ähnliche Behauptungen aufgestellt. Dessen
ungeachtet glaubt man nicht an die roman
hafte Geschichte. Das „Journal des Debats"
Mt die Staatsstreich-Gerüchte für eine Auf-
Mschung von Aeußerungen einzelner Abge-
. Kneten, ^ welche den Wunsch ausgedrückt
^lten, die Regierung möge energische Maß-
^Pln gegen die Umtriebe der Boulangisten
^greifen. „National" und „Paris" widmen
îv Staatsstreich - Ente der boulangistischen
ìsud monarchischen Blätter Leitartikel, worin
l'E dieselbe lächerlich machen. Beide Blätter
48) Schicksakswege.
^ D ntan in zwei Abtheilungen von Lolho von pressenti».
Als Burgsdorf dem Rittmeister ein letztes
sşi die Hand gedrückt, kehrte er durch den
für die Damen rescrvirtcn Theil des Gartens
^uch der Anstalt zurück, um im Pavillon A
şlwals nach der schlummernden Frau von
. lcudten zu sehen, und ihrer Wärterin einige
^Ustruktionen zu ertheilen. Zu seinem größten
Ä ckw"^cn fand er im Eingang zu dem be-
^ en Pavillon Niemand Anderes im
^sprach mit der Oberwärterin, als den
v ^einirath selbst. Tief crröthend — Burgs-
„ y sah dies Phänomen zum ersten Mal
u seinem Gesicht — rief er fast grob:
^ ,"2ch habe hier persönlich das Weitere ver-
myfe, leisten Sie nur Frau Bieberstein
Ņschast bis ich zurückkomme."
her h"tte das zu bedeuten? denn wenn
j D Ģeheimrath seine eine Visite — die stets
hlttt â ü>ie möglich gehalten war — absolvirt
pşicgte ihn nichts in der Welt noch
ì? ^ahin zu bringen, sich um den innern
vst der Anstalt zu bekünnnern.
M"î"vgsdorf, hier geht etwas vor, — sei
iti ļ 1 Wacht," — sagte er sich und trat
.Empfangssalon, wo Frau Professor
Pein bei seinem Anblick freudestrahlend
behaupten, daß zwar Verschwörungen gegen
die Sicherheit des Staates bestünden, daß man
sie aber nur mit legalen Mitteln bekämpfen
werde. In der Kammer hält man die Ent
hüllungen für ein Angstproduct. Die Bou
langistcn fürchten ein gemeinsames Vorgehen
der Radikalen und der Gemäßigten, und sie
hoffen durch so fürchterliche Anklagen ihnen
die öffentliche Meinung zu entfremden. Selbst
in monarchistischen Kreisen ist man wenig ge
neigt, an die Ente zu glauben. Die repu
blikanischen Blätter vom Sonnabend erklären,
der angebliche Staatsstreich sei eine Erfindung,
welche lediglich dazu bestimmt sei, bezüglich
der cäsaristischcn Umtriebe irre zu führen.
Cassagnac bleibt bei der Behauptung, daß er
und Boulanger unumstößliche Beweise dafür
hätten.
Rußland.
Petersburg, 24. Nov. Das „'Journal oc
St. Petersburg" weist auf die Kundgebungen
herzlicher Sympathie hin, deren Gegenstand
der Großfürst Thronfolger während
seines Aufenthaltes in in Berlin seitens des
Kaisers, des gesammten Hofes und der Be
völkerung gewesen sei. Dann bemerkt das
Blatt: „Man ist glücklich bei uns, diese
Kundgebungen verzeichnen zu können, aber
keineswegs überrascht angesichts der persönli
chen Liebenswürdigkeit des Großfürsten, der
innigen Beziehungen und der Freundschaft
zwischen beiden kaiserlichen Familien. Das
Blatt konstatirt auch den friedlichen Charakter
der deutschen Thronrede.
Petersburg, 23. Nov. Nach Meldungen
aus Taganrog von, 22. November sind o.m
12. November im Meere, unweit Taganrog,
das Leuchtschiff, sowie 12 Segelschiffe einge
froren, und sanken im Laufe der nächsten
Tage 5 davon. 63 Seeleute, größtentheils
Ausländer, retteten sich auf das Leuchtschiff.
Am 18. November erreichten vom Leuchtschiffe
aus 1 Offizier, 5 Matrosen und 48 Mann
von den eingefrorenen Segelschiffen das Ufer.
15 Mann, deren Extremitäten abgefroren sind,
blieben auf dem Leuchtschiffe. Am 19. No
vember sanken noch zwei Segelschiffe. Am
22. November gelang cs einem Kricgsdampfer,
an das Leuchtschiff heranzukommen und das
selbe in freies Wasser herauszubringen.
Petersburg, 23. Novbr. Für das Jahr
1889 ist eine Vermehrung der Grenzwacht
um 10 Zollbrigaden beschlossen. Dies ver
dient eine gewisse Beachtung, weil die beritte
nen Grenzwächter im Kriegsfall sofort zu be
rittenen Sotnien formirt und der Avantgarde
beigcgeben werden. Sie bilden eine vorzüg
liche Vorstoßtruppe nnd sind außerdem stets
zu augenblicklichem Vormarsch fertig. Die
letzte sehr bedeutende Vermehrung her Grenz
zollwache fand 1885 statt. Damals wurden
ca. 20,000 Mann neu kreirt, die sich aller
dings auf die langgestreckte Westgrenze ver
theilen. Es verlautet, diesmal würden vor
wiegend die russischen Grenzzoll
posten an den österreichischen Grenzen
verstärkt werden.
Belgien.
Brüssel, 24. Nov. (H. C.) Um den
sozialistischen Volksversammlungen auf den
öffentlichen Plätzen Brüssel'S ein Ende zu
machen und ihr Verbot durchzusetzen, hatte der
Brüsseler Bürgermeister, Herr Buls, die
Bürgermeister der zehn Brüsseler Vorstädte
nach dem Rathhause geladen. Obwohl er
„int Interesse der öffentlichen Ordnung", von
mehreren Bürgermeistern unterstützt, für daS
Verbot entschieden eintkar, ieynrêirşn fort
schrittlicher, ein liberaler und ein klerikaler "
Bürgermeister jedes Hemmen dieser Versamm
lungen als im Widerspruche mit der Ver
fassung, welche das Versammlungsrecht ge
währleistet, ab und so ging die Versammlung
resultatlos auseinander. In Folge dessen ver
anstalten die Sozialisten übermorgen zwei
große Versammlungen auf öffentlichen Plätzen.
Noch mehr Erfolg haben die Sozialisten im
Hennegau. Die niedrigen Arbeitslöhne, die
schlechte Kartoffelernte, die Steigerung der
Brotpreise haben unter den Kohlenarbeitcrn
Nothzustände geschaffen; die sozialistischen
Agitationen haben dadurch Erfolg. In allen
Kohlenbassins Belgiens treten seit vorgestern
Arbeitsausstände auf, um höhere Löhne zu
erzwingen; dazu starker Arbeitsmangel in den
größeren Städten, so daß für Belgien ein
schlimmer Winter bevorsteht.
Brüffel, 23. Nov. Ein schrecklicher
Vorfall wird aus Jurbise bei Mons be
richtet. Zwei junge Mädchen von 16 und
18 Jahren wollten Abends bei der Bahn
station den Bahnübergang in dem Augenblick
überschreiten, als ein Gütcrzng, wie sie
meinten, sich langsam in der Richtung auf
Mons bewegte. Sie hielten sich eine Weile
hinter dem Zuge, der jedoch nur manövrirte
und plötzlich zurückging, so daß der lebte
Wagen die Mädchen traf und buchstäblich
zermalmte. Ein Weichenwärter, der sich in
der Nähe befand, eilte herbei, um die Beiden
aus den Rädern herauszuziehen. Da er nur
einen Augenblick die Weiche verlassen konnte,
so legte er die Körper der Unglücklichen eiligst
und ohne in der Dunkelheit näher zuzusehen,
auf die Böschung nnd rannte zurück, um
Gefahr zu verhüten, da eben ein Personen
zug einlaufen sollte. Wie groß war aber
später sein Entsetzen und seine Verzweiflung,
als er, an die Unglücksstelle zurückgekehrt, in
den verstümmelten Körpern seine eigenen
Töchter erkannte.
Oesterreich.
Brünn, 22. Nov. Ein czechisches pan-
slavistisches Blatt in Kremsier veröffent
licht einen Aufruf von in Rußland lebenden
Czechen, womit die czechischen Landsleute zum
Massenübertritt zur russischen Kirche
aufgefordert werden.
Budapest, 25. Nov. Alle Blätter veröffent
lichen die Angriffe des antisemitisch-conservativen
„Deutschen Tageblatts" gegen den Kron
prinzen Rudolf sammt den vom „Bcrl. T."
dazu gemachten Bemerkungen. Der „Pester
Lloyd" fügt hinzu: Den ernsten, anständigen
Vertretern der öffentlichen Meinung Deutsch
lällds möchten wir doch zu bedenken geben,
ob cs gerathen fà.konne, ein System ver
dächtigender Nörgeleien fortzusetzen, welches
nur zu sehr geeignet ist, eine Verstimmung,
ja Verbttterung in ein Verhältniß hineinzu
tragen, dessen ungetrübter Fortbestand für die
Sicherheit Deutschlands und Oesterreichs gleich
nothivendig erscheint.
England.
London, 23. Nov. Die Polizei hat den
Fraucnmörder noch nicht. Alle als ver
dächtig verhafteten Personen haben wieder ent
lassen werden müssen, nachdem sie verhört
worden waren.
Italien.
Rom, 24. Nov. In Como haben 10,000
Seidenweber die Arbeit eingestellt;
der Streik breitet sich über die Umgebung aus
und ist der größte, den es je in Italien ge
geben hat.
Rom, 24. Novbr. Ein neuer französisch
italienischer Zwischenfall ist in Sicht. Wie
der Crispi'schen „Riforma" von der Insel
Maddalena gemeldetwird, machte das französische
Kanonenboot „Etendard" in den dortigen Ge
wässern während des Tages und der Nacht
wiederholte Aufnahmen. Vom „Semaphor"
aus konnte man mit weittragenden Fern
rohren wahrnehmen, wie zahlreiche französische
Officiere von der Kommandobrücke des
„Etendard" aus die Vertheidigungsarbeiten
ans der Insel Maddalena beobachteten und
Notizen machten. Als die Militärbehörde
von Maddalena Vorkehrungen traf, das
Kanonenboot „Etendard" verfolgen zu lassen,
segelte dieses in der Richtung auf Korsika ab.
aufsprang und ihn bat, ihre aufrichtigsten
Glückwünsche zu seiner Verlobung anssprcchen
zu dürfen.
„Sie sind sehr freundlich, Frau Professor,
nnd ich danke Ihnen um so mehr, als in
Folge der etwas verspäteten Anzeige Ihre
Glückwünsche mit zu den ersten gehören, die
ich bisher erhielt. Leider liegt im Leben nur
zu oft Licht und Schatten nebeneinander.
Wenige Tage, nachdem ich mir mein Lebens
glück errungen, wurde die Frau meines
Freundes gemüthskrank, und dieses Ereigniß,
welches soeben seinen vorläufigen Abschluß
durch Aufnahme der Dame in diese Anstalt
fand, hat mich auch alle diese Tage fern von
meiner Braut gehalten. Da unser zweiter
Assistenzarzt verreist ist, so habe ich meine
Braut nur zweimal seit meiner Verlobung
besuchen können."
»Sie schreiben sich gewiß täglich und kosten
dann die Seligkeit des Wiedersehens immer
von Neuem gründlich ans."
Da Burgsdorf cs für angezeigt hielt, diese
Frage nicht zu beantworten, so fuhr Frau
Bieberstein lauernd fort:
„Bei dem fürstlichen Reichthum Ihrer zu
künftigen Fran Gemahlin kann Geheimrath
Tollkampf wohl sicher darauf rechnen, in
Ihnen demnächst einen gefährlichen Concur-
renten erstehen zu sehen? — Er fuhr wcnig-
stens vorhin, als ich ihm von Ihrer Verlo
bung mit her reichen Holländerin sprach, noch
viel plötzlicher auf dem Stuhle herum, als
Sie jetzt, Herr Doktor, wo ich Ihnen zeige,
daß ich Ihre Pläne durchschaut."
Burgsdorf, der seit seiner Verlobung den
nagenden Wurm des Mißtrauens nicht wieder
ganz zu entfernen vermocht hatte, war aller
dings wie unter einem Peitschenhiebe zu
sammengefahren, als ihm sein vis-à-vis von
fecnt Reichthum Afra's -—als wie von einer
allbekannten Sache sprach. Mit einer gewal
tigen Anstrengung beherrschte er sich und —
um mehr zu erfahren — hasardire er, in
dem er die Worte hinwarf: „Das fürstliche
Vermögen meiner Braut dürfte man wohl
eher im Monde kennen als hier in Berlin."
„Da sind Sie sehr im Irrthum, Herr
Doktor; denn ich kenne die Verhältnisse zu
fällig ziemlich genau; — habe ja auch bei
einem Diner . beim Grafen Loebenthal zum
ersten Mal die Neugierde des Fräulein van
der Tivist erregt, indem ich mittheilte, daß
Sie aus Princip niemals eine reiche Frau
hcirathcn würden. llebrigens lebt der Gehei
me Commerzienrath Hausmann doch in An
betung der realen Güter recht sehr in dieser
Welt, und er hat mich selbst versichert, daß
sich das Vermögen Ihrer Fräulein Braut
nach Millionen beziffert und in besten Papie
ren auf den Banken zu London, Paris und
Amsterdam deponirt ist. Wenn Sie übrigens
Ihr Fräulein Braut heute Abend zu Haus
manns begleiten, wo — wie Sie sicher
wissen — ein großes Fest zu Ehren des aus
Amerika zurückgekehrten Sohnes gegeben wird,
so können Sie sich ja sehr leicht durch eine
Anfrage beim Herrn Commerzienrath von
der Richtigkeit meiner Mittheilung überzeugen.
Außerdem weiß ich aber auch bestimmt, daß
Fräulem van der Twist an verschiedene Per
sonen, unter Andern auch an Fräulein Nobel,
größere Posten hypotekarisch ausgeliehen hat."
Ein rauhes, hartes Lachen aus Burgsdorfs
Munde unterbrach sie und mit den Worten:
„Desto besser für sie," erhob er sich, schützte
eine nothwendige Visite bei einem Kranken
vor und verließ, nagende Qual im Herzen,
durch ein Hinterpförtchen die Anstalt und
eilte, vor sich hin murmelnd, seiner Wohnung
zu, wo er wenige Minuten später zu den
Füßen seiner im alten Noccocosessel sitzenden
Mutter niederkniete und sein Haupt in ihrem
Schooß verbarg.
Zweites Kapitel.
„Ist es nicht unrecht von mir; ihm bei
scmem letzten Besuch nicht gebeichtet zu haben;