Full text: Newspaper volume (1888, Bd. 2)

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10. November. 
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„Der Landwirth" gratis beigegeben. 
Ausland. 
Außereuropäische Reiche. 
Calcutta, 7. Nov. Der Dampfer „Mon 
gols" sank gestern nach einem Zusammen 
stoß mit dem Bugsirboote „Clive" unweit 
Calcutta. Ungefähr 60 Personen er 
tranken. t 
Tripolis, 9. Nov. Bei Wadar, ostüch 
don Darfur, fand ein Zusammenstoß 
Zwischen den Mahdisten und der Bevölkerung 
statt. Erstere griffen, 70,000 Mann stark, 
unter Führung Gianuh's die Stadt an 
wurden jedoch mit einem Verlust von 3000 
Mann zurückgeschlagen. Bei einem erneuer 
ten Angriff nahmen sie aber siegreich die Stadt 
ein. Der Sultan flüchtete in das, Ghm- 
Gebirge. „ _ 
Jerusalem. Seit länger als einem Jahr 
tausend ist Jerusalem das Hauptziel der christ 
lichen Wallfahrer, und zahlreicher als je zu 
vor sind die dort anlangenden Pilgerschaaren, 
seitdem die Reisegelegcnheiten erheblich erleich- 
tert und verbilligt worden sind. Leider sind 
die heiligen Stätten bisher nicht im Stande 
gewesen, die Angehörigen der verschiedenen 
christlichen Bekenntnisse, welche dort zusammen 
treffen zu befreunden, vielmehr wird in und 
um Jerusalem mehr als je gestritten, und 
fast alljährlich um die Osterze,t, wenn die 
Pilaerzüge am größten sind, kommt es unter 
den Christen zu Raufereien, m welche als 
dann türkische Polizeisoldaten beruhi 
gend und Frieden stiftend eingreifen müssen. 
Besonders ausfallend ist es, daß sich von Jahr 
fc« J-chr die Zahl der russischen Pilger 
u»ch Jerusalem mehren. Schon sind die gro 
ßen Pilgerhäujer des Nusscnbau's in Jerusa 
lem nicht mehr ausreichend, und cs hat der 
russische Palästinaverein kürzlich ein neues 
großes Pilgerhaus in Verbindung nnt eurer 
neuen russischen Kirche erbaut, welche ber 
der jüngsten Anwesenheit der russischen Groß- 
fürsten in Jerusalem feierlich eingeweiht 
worden ist. Dieser russische Palästinaverein 
betreibt im Grunde genommen mehr die 
Förderung und Vermehrung der russischen 
Pilgerfahrten, welche beiläufig auch von der 
russischen Regierung begünstigt. werden _ und 
die letzteren gewinnen allmälig einen politischen 
Beigeschmack. (H- ®-) 
Rußland. 
Petersburg. 8. Nov. Nach St. Peters 
burger Berichten ist Alexander III. durch den 
Eisenbahnunfall doch mehr erschüttert worden, 
als man seiner Natur, nach annehmen mußte; 
fortwährend beschäftigen ihn die vielen Opfer 
und der Schmerz der Hinterbliebenen; es ist 
schwer, ihn auf andere Gedanken zu bringen. 
Sowie er sich an seinen Arbeitstisch setzt, fehlt 
ihm sein steter Begleiter: der große Hund, 
der sonst immer zu seinen Füßen lag und der 
beim Unfall umkam. Dieser Umstand ruft 
ihm immer wieder Alles in die Erinnerung 
zurück; man hat den Zaren schon einige Male 
in seinem Zinimer in Thränen gefunden. 
Für die Hinterbliebenen ist in sehr reichlicher 
Weise Fürsorge getroffen worden. Thatsache 
ist, daß der Zar darauf bestanden hat, schnell 
zu fahren, und den abrathenden Verkehrs- 
ministcr Possjet bei einer Gelegenheit sogar 
recht hart angelassen hat. Ein starkes silbernes 
Cigarren-Etui, welches der Zar in der rechten 
Hosentasche trug, ist fast ganz platt gedrückt; 
die Quetschung ist sehr schmerzhaft. 
England. 
Loudon, 8. Nov. Die „Times" wollen 
erfahren haben, daß die russische Regierung 
eine Note an die Pforte gerichtet habe, worin 
gesagt wird, Rußland würde sich von 
allen Verpflichtungen, bulgarisches 
Gebiet nicht zu besetzen, als ent 
bunden betrachten, wenn Oesterreich- 
Ungarn sich veranlaßt sehen sollte, dem König 
Milan militärische Unterstützung zu gewähren, 
falls es zu Unruhen in Serbien kommen 
sollte. Soweit sich die Situation in Serbien 
beurtheilen läßt, ist noch kein Grund zu der 
Annahme vorhanden, daß König Milan die 
ihm durch die russische Agitation und die 
Forderungen der Radikalen erwachsenen 
Schwierigkeiten nicht sollte beseitigen können. 
Eine österreichische Besetzung Serbiens ist aber 
für alle Fälle ausgeschlossen und die Hoffnung 
der Russen daher eitel, ein russisches Armee 
korps in Bulgarien einrücken lassen zu können. 
Es ist rnerkwürdig, daß man bei derartigen 
Kombinationen in St. Petersburg konsequent 
vergißt, mit der Bevölkerung Bulgariens zu 
rechnen, die jetzt weniger als jemals geneigt 
ist, die russischen „Befreier" in's Land zu 
rufen. 
London, 9. Nov. In den letzten beiden 
Tagen herrschte in der Nordsee großer 
Sturm. Ein holländischer Schooner schei 
terte bei Blissingen, 4 Mann der Besatzung 
e rtranken. 
Italien. 
Rom, 9. Novbr. Die Annäherung des 
Vatikans an Rußland scheint greifbarere Ge 
stalt zu gewinnen. Die Verhandlungen drohten 
erst am Widerstand des Vatikans zu scheitern, 
der die Einführung des Russischen als 
Kirchensprache in Polen rundweg ver 
weigerte. Nun hat aber Rußland diese 
Forderung ermäßigt; Rußland will jetzt näm 
lich die russische Kirchensprachc nur in ein 
zelnen, unter directem russischen Spracheinfluß 
stehenden Provinzen einführen, verzichtet 
hierauf jedoch dort, wo die Bevölkerung aus 
schließlich polnisch ist. Mit der weiteren 
Prüfung dieser Frage ist die sogenannte kirchen 
politische Kongregation beschäftigt, deren Ent 
scheidung alsdann einer Kardinalskonferenz 
vorgelegt werden wird. — Die Wiederher 
stellung eines Einvernehmens zwischen Ruß 
land und dem Vatikan würde voraussichtlich 
die Neuschaffung einer russischen Gesandtschaft 
beim Vatikan zur Folge haben. Allein dem 
Zustandekommen eines Einverständnisses stehen 
noch immer mancherlei Schwierigkeiten gegen 
über. 
Rom, 8. Nov. Man will hier wissen, daß 
Italien zur Theilnahme an der Blo 
ckade der ostafrikanischen Küste im 
Sinne des deutsch-englischen Abkommens ein 
geladen wird. 
Spanien. 
Sevilla, 8. Novbr. Die feindlichen 
Kundgebungen gegen Canovas del 
Castillo haben sich heute wiederholt. Eine 
starke Menschenmenge bewegte sich unter Pfeifen 
und dem Ruf: „Nieder mit Canovas, dem 
Berräther!" in den Straßen. Canovas wird 
morgen die Stadt verlassen. 
Oesterreich. 
Budapest, 8. Nov. In einen der im Be 
sitze der Salgotajaner Kohlenbergbau- 
Gesellschaft befindlichen Schächte ist gestern 
aus bisher unbekannter Ursache Wasser ein 
gedrungen. Von den Arbeitern werden zwanzig 
vermißt, 300 sind gerettet. Die Vermißten 
sind wahrscheinlich umgekommen. In den 
übrigen Schächten, die vor Gefahr geschützt 
sind, wird fortgearbeitet. Die amtliche Unter 
suchung ist bereits eingeleitet worden. 
Inland. 
Berlin, 9. Nov. Der Kaiser nahm 
am Donnerstag während seiner Anwesenheit 
in Berlin bei der Kaiserin Friedrich 
das Frühstück ein. Darauf besuchte der Kaiser 
das Atelier des Professors Begas, woselbst 
zu derselben Zeit auch die Kaiserin Friedrich 
anwesend war. Abends kehrte der Kaiser 
wieder nach Potsdam zurück. Am Freitag 
nahm der Kaiser die üblichen Vorträge ent 
gegen und empfing u. a. den Besuch des 
Herzogs von Sachscn-Koburg-Gotha. Um 
5 Uhr begab sich der Kaiser mit dem König 
1888. 
von Sachsen und dem Herzog von Koburg 
zur Jagd nach Königs-Wusterhausen. 
— Die Uebersiedelung des Kaisers nach 
Berlin erfolgt in den nächsten Tagen, wahr 
scheinlich am 16. November. Die Mobilien 
werden bereits nach dem Königlichen Schlosse 
Hierselbst überführt. 
— Wie verlautet, wird die vor Kurzeni 
wieder angeregte Frage der Einführung einer 
Reichs-Civilliste für den Kaiser fallen 
gelassen und im Reichstage zunächst kein be 
züglicher Antrag eingebracht. Bon Allerhöchster 
Stelle soll zu verstehen gegeben sein, daß keine 
Aenderung des jetzigen Zustandes gewünscht 
werde. 
Berliu, 9. Nov. Durch Kaiserlichen Er 
laß ist der Reichstag ans den 22. November 
einberufen. 
— Bezüglich des Alters- und Inva 
lid enversich crnngsg cs etzent Wurfs hat 
den offiziösen „Bert. Pol. Nachr." zufolge die 
betreffende Kommission des Bundcsraths vor 
allem die Beseitigung des in dem früheren 
Entwürfe vorgesehenen einheitlichen Satzes 
für die Invalidenrente beschlossen, und zwar 
soll die Rente in Abstufungen nach Maßgabe 
der in großen Ortschaftsgruppcn gezahlten 
Tagelöhnc so steigen, daß die Rente in ein 
bestimmtes Verhältniß zu der Höhe des orts 
üblichen Tagclohns gesetzt wird. Zu diesem 
Zweck soll eine anderweite Vcrtheilung der 
Beiträge nach Maßgabe der Höhe des Durch 
schnittslohns erfolgen. Der Reichskanzler soll 
mit diesen Abänderungen einverstanden sein. 
— Einen Drohartikel gegen die Berliner 
anläßlich des Wahlresultates bringt die 
„Bonner Zeitung". Der Artikel wird in 
einigen Berliner konservativen Blättern abgc. 
druckt. Der „alte Kaiser Wilhelm I. habe 
eine große Langmuth mit den Berlinern ge 
habt und deshalb mit immer gleicher Freund 
lichkeit und Duldsamkeit die Aeußerungen 
ihrer Scheinloyalität entgegengenommen." 
„Man fand die Erklärung in dem milden 
Gemüthe des kaiserlichen Greises und weiter 
in jenen pietätvollen Beziehungen, welche ihn 
nnt Berlin verbanden." — In dieser Weise 
citirt die „Bonner Zeitung" den Kaiser 
Wilhelm I. gegenüber Kaiser Wilhelm II., 
„bei dem es in seiner Schlichtheit und Auf 
richtigkeit ganz anders sei und der deshalb 
der ganzen Bürgerschaft sein mächtiges guo« 
ego cntgegcngerufen habe." Während dieses 
Blatt den unbewiesenen Borwurf gegen die 
freisinnige Presse erhebt, daß sie den Vater 
gegen den Sohn citire, citirt es selbst 
den Großv ater im Gegensatz zum 
Enkel. 
7) Schicksalswege. 
oman in zwei Abtheilungen ton ßotljo von pr-ffenlin. 
Elftes Kapitel. 
„Warum willst Du bei diesem Regen 
letter durchaus selbst die Depesche an meine 
Schwester aufgeben? Denke doch an Deinen 
iheumatismus; und magst Du das Tele- 
cnmm nicht durch das Telephon weitergeben, 
> sende Joseph. Wozu sind denn die Leute 
a? — Uebrigens eilt es wohl nicht so sehr 
lit ihrem Herkommen," — fügte Gräfin 
sertha Locbenthal mit einem unendlich 
»ehmüthigen Ausdruck hinzu. 
„Wie Du nur immer so sprichst, Hertha, 
oeißt Du nicht, daß jedes Deiner Worte 
vir namenlosen Schmerz bereitet?' 
„Laß das, Fritz! Ich, weiß genau ganz 
Unau, wie es mit mir steht. Ja, Mann, 
>uch Deine Hertha hat ihre Heimlichkeiten 
llhabt, wenn auch nur einmal im Leben: 
-ich wünschte zu wissen, woran ich wäre, was 
ch Dir und Anderen noch sein könne, und 
lnann etwa ich das Hauptbuch meines Lebens 
^zuschließen hätte. °Jch ging deshalb nnt 
unserer braven Hmphe ungekannt zu Professor 
Frerichs. Nach vorgenomniener gründlicher 
Untersuchung hätte er mir auf meine Bitten 
PN eigentlich nicht mehr ausweichend zu 
sagen brauchen, daß es für jeden Menschen 
gut sei, sich jederzeit für die letzte große Reise 
bereit zu halten; ich hatte genug in seinen 
Blicken gelesen!" — 
„Theures Weib, er wird Dich getäuscht 
haben, wie er und Andere sich oft in ihrer 
Diagnose irren. Nein, Hertha, verbanne mir 
zu Liebe diese traurigen Ideen, welche Deine 
Lebenskraft untergraben müssen und mich die 
Qual Deines Leidens in namenloser Angst 
doppelt empfinden lassen. — Wolle leben, 
und Du wirst leben! — Ahnst Du garnicht, 
daß Du mir unentbehrlich bist, daß Deine 
milde Zuverlässigkeit in allen Dingen mich 
allein wieder auf den rechten Weg zurückführte, 
Hertha? — Ja, Du mußt leben, darfst 
nicht sterben, — was sollte Dein _ großes 
Kind ohne Dich, seine gütige Leiterin, beginnen?" 
Bei den letzten Worten hatte der Graf 
sein Haupt mit den fließenden Thränen im 
Schooß der Gattin verborgen. 
„Armer Fritz, lange allein wirst Du auf 
der Bühne dieses Lebens nicht sein! Ich 
wünsche das auch nicht für Dich und will 
nur beten, — so lange dieser Mund es ver 
mag, daß Du die Rechte findest, welche Dir 
ein treues Weib, den Kindern, die Dir mit 
mir versagt blieben, eine gute Mutter sein 
möge. Versprich mir eines, Fritz! Bevor 
Du mir eine Nachfolgerin giebst, prüfe das 
Weib Deiner Wahl reiflich, ob sie den nöthigen 
Halt besitzt, den wir Frauen der sogenannten 
großen Welt in der einen oder andern Form 
besitzen müssen, wenn wir bei den sich in 
unsern Kreisen täglich mehr korrunipirenden 
Zuständen mit ruhigem Gewissen der letzten 
Stunde entgegen gehen sollen. — Versprichst 
Du mir diesen auf Dein Wohl gerichteten 
Wunsch zu erfüllen?" 
„Ich hoffe und bitte Gott, daß Deine 
engelhafte Güte, noch lange Jahre mir ein 
Vorbild sein soll, käme es aber anders, 
Hertha, so würde ich Deiner Wünsche immer 
gedenken." 
„So gehe denn, Du eigensinniger Mann, 
nnd bringe die Depesche selbst zur Post, ich 
will, wenn Du erlaubst, an Deinem Schreib 
tisch Afra init wenigen Zeilen bitten, morgen 
nicht zu kommen, weil mir die gestrige 
Parthie nicht wohlgethan. — Bleibe nicht zu 
lange, Fritz, — Du bist doch mein Stolz 
und nieine Freude! Adieu, mein Freund! —" 
Während Graf Locbenthal die Königin- 
Augustastraßc entlang der Post zuschritt, hatte 
sich seine Frau mit sichtbarer Mühe erhoben 
nnd in dem ebenso bequenien, wie pracht 
vollen Wappenseffel vor dem Schreibtisch ihres 
Mannes Platz genommen. Sie suchte nach 
passendem Papier für das Billet an Afra, 
aber sie fand nicht, was sie wünschte; denn 
alle Fächer waren verschlossen, und in der 
oben aufliegenden, kostbaren Mappe, die sie 
ihm einstmals geschenkt, befand sich nur großes 
Format. » 
„Ich kann ja warten," murmelte sic und 
unterwarf bald diesen bald jenen der ans dem 
Sekretär befindlichen kleinen Schmuckgegen 
stände einer liebevollen Aufmerksamkeit, als 
wolle sie von jedem einzelnen Abschied nehmen 
für immer. Da fiel ihr eine neue Cigarren 
tasche auf, welche auf dem Deckel das Loeben- 
thal'sche Wappen trug. Wie hübsch, — die 
mußte sie sich näher ansehen! — Die wohl 
gepflegten, heute fast transparenten Finger 
umschlossen in nervöser Hast das ihr fremde 
Objekt, — ein Druck und das Innere mit 
seinen echten Havannahs lag vor ihr. — 
Aber da war noch ein Knopf nnd man sah 
es, — hinter dieser Scheidewand mußte noch 
ein Behältniß sein. — Wie praktisch, — 
ein hübsches Geschenk für meinen Bruder! 
— Gräfin Hertha hatte den kleinen Kopf 
berührt, ein Deckel sprang auf und vor sich 
sah sie — gleich dem Haupt der Medusa, 
das sprechend getroffene Bild Derjenigen, 
welche ihr niemals Achtung abzuringen ver 
mocht, die Züge der Frau Bieberstein. (F. f.)
	        
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