Beilage zum Rendsburger Wochenblatt Nr. 144.
Sonnabend, den 27. October 1888.
Im Glockknthurm.
Von Hermann Heiberg.
(Nachdruck verboten).
«Darf ich, Vater?"
Der Mann schüttelte den Kopf.
. «daß sie heute mitgehen, Martin!" sagte
tln£ sanfte Stimme.
»Nun denn, komm'!"
. Er lächelte freundlich und nahm das kleine
àliche Mädchen mit dem glattgeschorenen
landen Köpfchen an die Hand.
Vom kühlen, von Linden beschatteten Küster-
-?usc ging's eine leichte, sonnige Anhöhe
Maus. .
Durch nett gehaltene Bosquets und durch
ättines Gebüsch wand sich der trockene, un-
wutbestandene Weg bis an die Kirche,
hinter dieser lagen die Gräber schweigsam im
Sonnenschein; Kreuze, Blumen, drüben auch
! m frisch aufgegrabenes Grab. Daneben er-
M sich ein verwittertes Epitaphium von
Schlingpflanzen mit staubumhüllten Blüthen
"nd Spinngeweben umgeben. Es bildete den
àsgang des spitz zulaufenden Todtenackers,
îr sonst rings von einer grünen Dornen
hecke eingefriedigt war.
, Hinter dem großen Grab lag eine große,
"nie Wiese, über der weiße Schmetterlinge
""d gelbe Citronenfalter ziellos sich hoben und
lenkten; Bienen und Fliegen summten, und
K Einsamkeit schlief hier einen heißen, trägen
schlaf immerdar, sobald die Sonne ihren
äroße» goldenen Fächer ausspannte.
Der heute sorgfältig gekleidete Mann im
7 )^"rzen Rock und weißer Halsbinde war
l'nnchtig, hatte ein bleiches, ernstes Gesicht
ruhi ^""nielirtes Haar. Pflichttreue und
stillen^Ņerzichten zugleich schauten aus den
des 9cn , und seine Hand umschloß die
($>.., mit jenem sanften Druck, der
J ""sdrückt und Ehrfurcht und Liebe weckt.
Rim schap ax den Schlüssel — achtund-
»wanzig Jahre war er schon in seine» Händen
""d erwachsene Söhne hatte er draußen —
das Schloß der Kirchenthür und trat mit
Kinde hinein.
.. Es war eine alte, schöne, stille Kirche mit
l'iberblitzenden Orgelpfeifen und einigen, in
Achteren Farben genialtcn Heiligenbildern in
Eiiw "''s der katholischen Zeit.
dem Pfeiler^'^ ^»»zel saß zur Rechten an
mit «ne»,' ü" b ^gcnüber befand sich eine
Kirchenì ^"'schten Wappen versehene
strick' v0 ° e ' "le mit ihren weißgrau ange-
-eilen, kreuzweise zusammengefügten schnialen
Zechen tote ein Gefängniß aussah. Das er
laben seltsam, altfränkisch und hochmüthig
abwehrend zugleich.
I» der That gehörte die Loge der Guts-
^uschast, die früher hier dem Gottesdienste
ìZ'wahnt hatte, deren Angehörige sich aber
Kirchlich den übrigen Besuchern in den
ķipMhkn niederließen, wenn des Predigers
q " llch öffneten.
Ei„^ Kirche war's schattig und kühl.
diirckin. se Scheu, vermischt mit Ehrfurcht,
"iin rbll, te l>as Innere des Kindes, als es
W f^ben dein Vater bis an den Eingang
Glockenthurn.es schritt.
l )a |j ^ ist eng und dunkel auf der Treppe,
»r e Dich an meinen, Rock fest. Komm
°"nchcn!" —
Kind bewegte lebhaft zustimmend den
tiiiif' .unterdrückte das aufsteigende Unbehagen
iS 1 "!) dem Küster nach.
wj» '"fual hatte der Thurm einen Ausschnitt
. °'ue Schießscharte. Da athmete die
tief auf, blieb stehen und guckte hin-
G>ük ^".unten lag der Kirchplatz mit den
fits, T' ' m Sonnenschein. Ein Storch ließ
stügelschwingcnd auf der grünen
Şrh "ì^er und klapperte. Die alte lustige
^?var also noch da! Nun faßte sie Muth.
ging's durch's Dunkel, bis es all-
^ "l Heller ivard.
durchs Nauni wurde breiter, daS Licht drang
kcilte,. ^ Luken, aber auch die Luft wehte
Zugluft umkühlte den unbedeckten
Vt„ 0£ ® Kindes, das mit großen verwun-
Nugên die gewaltigen Balken des
tfcJ ^trachtete, die kreuz und quer die
Ünd " 8 " b£ verbanden und stützten.
Gebälk """ ging's zivischcn staubduftendem
""d «rL' ll ' e "ltc, holperige Treppe hinauf,
tbhf m § '"""i>s ganz dunkel. Nur über
^treifeu^" b " Kletternden erschien ein Heller
G>^°' j >". Aennchen! Kannst Du noch ? Wart!
Eà H"nd.«
5 tvcI) el)^f E i a * tc şiî ihr Ziel erreicht! Wieder
naá) unten Q„a ri' nb m,n die große runde,
"usgeschweifte Glocke aus Erz.
Bevor der Küster das Seil ergriff, ging
er mit dem Kinde an einen Auslugpunkt.
Die Wolken standen wie große weiße verzau
berte Schwäne mit breiten Flügeln am blauen
Himniel. Auch ein majestätisches Thier mit
ungeheurem Kopf — einem Löwen gleich —
lagerten sie im Westen und streckten die großen
Tatzen aus.
Drunten auf der Erde pflügte ein Land-
mann die graue Erde. Bei dem schwerfäl
ligen Gang blitzten die Hufen wie Silber.
Krähen umflogen ihn, die sich auf die En
gerlinge herabließen. Grüne Felder, bunte
Wiesen, sanfte Anhöhen, dicht zusammenge
drängte Wälder; — in der Ferne, im blauen
Dicht verschwindend — der Horizont. Und
zu ihren Füßen, daS Dorf mit rothen Zie
geln und Strohdächern, Gärten und Gebüsch,
Scheunen und Vieh.
Nun bellte ein Hund. Laut drang's durch
die stille Lust empor zu dem Kinde. Und,
„Hurrah! Hurrah!" erschollen Kinderstimmen,
die aber rasch wieder verklangen.
Vom fernen Gutsschloß, das mit weißen
Wänden unter dem Gehölz hervorschaute be
wegte sich ein Trauerzug.
Der Man wich rasch zurück, ergriff das
Seil und setzte die Glocke in Bewegung.
Wie das furchtbar dröhnte! das Kind erschrak
heftig und drückte die Hündchen auf die Brust.
Das brauste so mächtig, als müsse der ganze
Bau aus seinen Fugen gehen.
Und wirklich zitterte der Fußboden, nur
die höhere Thurmspitze, zu der eine schmale
Leiter führte, stand still.
Das Kind begann leise und furchtsam zu
weinen, aber der Mann sah und hörte nicht.
Ohnehin schwerhörig, verschlangen die dumpfen
nachklingenden und sich wieder vermischen
den Töne jeden Laut.
Jetzt ward ei» Knabenkopf sichtbar. Schnell,
wie eine Katze, wand sich die Gestalt hinauf,
und alsbald stand ein kleiner gedrungener
Bursche niit flachsgelbem Haar und blitzenden
Augen — Aennchen zunickend — neben denr
Mann.
Es war des Nachbar Tagelöhners Sohn,
der den Küster häufig ablöste. Er hatte auch
heute die Glocke läuten solle», war aber nicht
zu finden gewesen. Man wolle ihn suchen
und gleich schicke», lautete der Bescheid, den
der Küster erhalte».
Jetzt eilte er keuchend herbei, da der Küster
wegen des konimenden Leichenzuges am Grabe
sein mußte.
Von der Gutsherrschaft war einer der An
gehörigen gestorben. Die Erde gähnte drun
ten, zurückzunehmen, was ihr gehörte.
Der Mann winkte Aennchen, sich ihm an
zuschließen. Er sprach laut, seine Stimme
verhallte, aber das Kind verstand. Als cs
sich ihm nähen: wollte, streifte es der Knabe
rasch mit der Linken und rief:
„Bleib! Ich zeige Dir was, was Du
noch nie gesehen hast. Nachher steigen wir
zusammen herunter. Brauchst nicht ängstlich
zu sei» !"
Das reizte des Kindes Neugierde. Es
schwankte zwar noch, aber schon hatte die
Furcht sich gemildert. Es machte den, Küster
Zeichen, daß es bleiben wolle.
„Sei aber vorsichtig, Christian!" rief noch
der Mann und erhob den Zeigefinger, wäh
rend er hinabstieg. Der Knabe nickte mit
zuverlässiger Miene.
Nachdem er gegangen, hieß Christian
Aennchen das Seil mitanfassen und ziehen.
Das machte ihr Vergnügen. Sie bückte sich
wichtig und neben ihm fühlte sie sich sicherer.
Noch gewaltiger dröhnte nun die Glocke
durch den engen Raum und warf ihre feier
lich mahnenden Klänge hinaus in das Land.
Einmal war's Aennchen, als sei in dem
erzenen Körper ein tückischer Geist, der auS
seinen Riesenlungen die dumpfen, grollenden
Töne hervorhole und Alles vernichten wolle.
„Jetzt Du allein!" rief der Knabe und
löste seine Hände von dem Strick. „Zieh!
Tüchtig! So recht; stärker noch — Bravo!"
Das kleine Ding preßte die Lippen zu
sammen ; abermals stieg die Furcht in seinem
Herzen empor, aber eö that, wie ihm befohlen.
. Von Neugierde getrieben, lief Christian an
die Oeffnung und suchte mit seinen Blicken
den Leichenzug. Jetzt bogen sie eben aus
der Pappel-Allee in das Dorf ein.
Da standen schon die Kinder, und auch
der Schulmeister, alle mit weißen Blumen
in den Händen. Lange schaute der Knabe
hinaus und hinter ihn, brauste die Glocke.
Aber er hörte sie schon nicht mehr. Gewohn
heit macht die Sinne stumpf.
Die Kleine jedoch erlahmte. Sie wandte
den Kopf und rief laut, immer lauter. —
Fortzugehen wagte sie nicht. Zuletzt weinte
sie bitterlich.
Jetzt kan: er und sie sah ihn flehend an.
Da ergriff er allein das Seil, schüttelte lustig
den Kopf und lachte sie aus.
„Guck hinaus! Schnell, Anna!"
Sie eilte über den schwankenden Fußboden
an die Oeffnung und verfolgte nun auch mit
neugierigen Blicken, was sich dem Auge bot.
Als sich aber der Zug in einem von Gebüsch
besetzten Weg verlor, ward ihr Interesse ab
gezogen. Sie kehrte zurück und faßte unauf
gefordert mit an.
„So! Nun kommt's! Paß auf!" rief der
Knabe nach einer Weile und seine Augen
blitzten. „Zieh tüchtig! — So! Geh' ein
wenig bei Seite."
Und dann trat er zu Aennchens Schrecken
auf ein schmales Brett, kletterte gewandt an
einem Strebebalken hinauf, schaute von dort
lachend auf sie herab, schnellte sich empor und
saß plötzlich mit einem raschen, tollkühnen
Sprung oben auf der Glocke.
Mit der Rechten hielt er sich fest und mit
der Linken schwenkte er die Hand. Aber das
Kind war todesbleich geworden und schrie auf.
Die Hände wurden kalt und naß, die Arme
verloren die Kraft, — ein Zittern flog über
ihren Körper und — nun ließ sie das Seil
gleiten und taumelte, mit aufgerissenen Augen
ihn anschauend, zurück.
„Ah, Du!" schrie der Knabe, als minder
Glocke Bewegung langsamer ward und er in
der veränderten Stellung nicht gleich den rechten
Punkt fand, auf den er herabgleiten konnte.
Zudem fiel ihm angstvoll aufs Herz, was
daraus entstehen könne, wenn die Glocke gerade
heute plötzlich schwieg. Wenn's der Herr vom
Gute erfuhr, daß bei solchem feierlichen Akt
sein Leichtsinn ihn fortgerissen! Furcht vor
Strafe legte sich auf seine Seele. Der Schweiß
brach ans auf der Stirn — er sah das drohende
Gesicht des Küsters — nun, — so mußte er
es wagen!
Er hob sich empor, streckte l\t Arme aus,
beugte sich vornüber und — ein gräßlicher
Schrei ertönte, — er drang aus des Knaben
Brust — dann noch ein Poltern, wie wenn
Jemand auf einer Treppe sich überschlägt, —
ein Wimmern. Jetzt war's so still in
dem eben noch so wild durchbrausten Raum,
daß das Flügelschlagen einer Fledermaus, die
durch die plötzliche Stille aufgeschreckt, zwischen
den Balken irrte, wie ein lautes nnheiliaes
Geräusch wirkte.
Aennchen aber lag auf den Knieen. Das
Gesicht glich einem Todtenlinnen, die Glieder
flogen, der Athen, stockte, und doch faltete sie
die Hände und suchte die kleinen Lippen zu
bewegen — zum Gebet.
Zuletzt raffte sie sich auf und schwankte an
die Luke und schrie mit ihrer kleinen feinen
Stimme hinaus in den stillschiiumernden Acther.
Aber die Welt schien wie ausgcstorben. Man
hörte sie nicht.
Schwalben flogen vorüber und haschten sich
in der Luft. Sonst nichts Lebendiges.
Das Kind wich zurück. Das Gebälk sah
so drohend aus, jeder todte Gegenstand erhielt
ein Gesicht und drunten am Eingang der
Treppe hockte die Finsterniß. — Und da lag
ja auch Christian! An dem wagte sie sich
gar nicht vorüber.
Schauer flogen durch den kleinen Körper,
die Thränen flössen in Strömen über die
blassen Wangen. Zuletzt setzte es sich mit
fliegenden Gliedern, den Blick geradaus ge
richtet, als seien Gespenster in Anmarsch, in
eine Ecke und wartete. Den Knaben mit
blutendem Kopf und blassen Wangen glaubte
sie aus der Treppcnöffnung aufsteigen zu sehen.
Er grinste, schwang sich zur Glocke hinauf
und verschwand dann plötzlich in der Tiefe.
Nebenan raschelte cs. — Es mochten Mäuse,
— Ratten sein. Die Glocke hing da, wie
ein grausiges Ungethüm, und die Einsamkeit
schlich auf das Kind ein mit Wahnsinn er
weckendem Grausen.
Endlich — nach langer, langer Zeit Pol
terten Schritte die Treppe empor. Aber
Aennchen stand nicht mehr ans — sie gab
kein Händchen. — Wie eine Wachsfigur lag
sie da, und so hob sie mit schlotternden Knieen
der Küster in seine Arme und trug sie hinab
in die lebende Welt, in der sie erst nach ge
raumer Zeit wieder erwachte.
Um den Kirchthurm flogen immer noch die
Schwalben und tiefer drunten schwebten weiße
Tauben vom Gutshof. Das Vieh graste
friedlich auf den Wiesen; aus dem Dorfe
ertönte ein Hahnenschrei, durch den der maje
stätische Gebieter seine Hühner lockte. Aus
der Ferne erklang leise Musik. Es waren
wandernde Musikanten — Prager. Sie spiel
ten einen ernsten Marsch. Er paßte zu dem
Herzeleid im Dorfe ....
In der beschatteten, dumpfen Tagelöhner
wohnung lag neben dem Bettchen im Hinter
zimmer ein Weib und sorgte sich; — und es
war noch wach, als die Nacht gewichen, der
Tag in die hellschimmernden Schuhe geschlüpft
war und dieser alles Lebende wieder munter
gemacht hatte.
Und abermals ein Tag — und abermals
— und dann vorbei. —
Armer, tollkühner Knabe — Du siehst die
Sonne, den lachenden Tag, die grünen Wiesen
nicht mehr! — und jetzt tönt die Glocke, die
Du so oft ans ihrem mystischen Schweigen
wecktest, Dein eigenes Grabgeläute.
26) Schicksal'srvege.
Roman in zwei Abtheilungen von Sotho «on pressentin.
Hellmuth Steudten mußte wohl zufrieden
fein mit dem Blick, den er eben im An
denken an die Schlacht von Mars la Tour
hinein in sein Inneres gethan. Denn munter
trat er vor, um auch die Inschrift auf der
Rückseite zu lesen. Da stockte sein Fuß,
seine Augen nahmen, auf einen Punkt ge
heftet, einen besonderen Glanz an und im
nächsten Moment schritt er, mit einem jubeln
den Ausdruck auf seinen Zügen, vor nach
dem nahen Gang, wo auf einer Bank unter
zwei alten Eichen Fräulein Alma Lindow
beschäftigt war, mit gewandter Hand in ihrem
Skizzenbuch die hübsche Aussicht über den
Krähcnteich und den Höxterthaldamm zu
entwerfen.
Bisher hat sie im Eifer der Arbeit den
Nahenden noch nicht entdeckt; nun aber sieht
sie auf, und vor ihr steht der, dem alle ihre
Pulse cntgegenschlagen und von dem sie sich
doch verrathen wähnt! Er steht vor ihr,
dieser dreiste Mensch, der jetzt Ellen Cote
einen Brief zusteckt, um eine Stunde später
ihr »ach Kräften den Hof zu machen, steht
vor ihr mit einem unausstehlich siegesgewissen
Gesicht, in dem die Augen zu sagen scheinen:
„verstelle Dich doch nicht!"
Was wird jetzt kommen, was habe ich zu
thun, wenn er es wagt, mich anzusprechen? —
Und er wagt es, er spricht! — Fräulein
Lindow braust es vor den Ohren, und nur
wie aus ferner, anderer Welt, in der sie so
gern mit ihren Gedanken geweilt, klingt es
niit einschmeichelnder Stimme zu ihr: „Mein
gnädiges Fräulein, wie preise ich den Zufall,
der mich Sie hier finden ließ, darf ich um
die Erlaubniß bitten, neben Ihnen Platz zu
nehmen, um an Ihnen auch dieses noch nicht
gekannte Talent zu bewundern?"
„Sie vergessen, Herr von Steudten, daß
es bei uns nicht Sitte ist, in dieser Weise
Conversation zu machen! — In Amerika
mag ja darin ein anderer Brauch herrschen;
bei uns ist man noch nicht so weit! fügte
sie, sich erhebend, in einem Ton hinzu, der
dcn Zwiespalt ihrer Gefühle und ihre innere
Gereiztheit durchblicken ließ. Mit diesen
Worten glaubte Fräulein Alma einen rechten
Triumph ausgespielt zu haben und schaute
stolz ihren Begleiter an.
Das verständnißvolle Lächeln, welches den,
erfahrenen Frauenkcnner bei ihren letzte»
Worten unwillkürlich um die Lippen spielte,
ließ sie jede Rücksicht vergessend ihm die
Worte in's Gesicht schleudern: „Siebrauchen
meine Worte durchaus nicht zu belächeln,
denn Miß Ellen ließ sich ja schon am ersten
Tage ein billet doux von Ihnen zustecken.
Es müssen dort also die Sitten wohl anders
sein, als bei uns!"
„Also das ist die Erklärung Ihres räthsel-
hastcn Benehmens gegen mich? O, Alma,
wie konnten Sie auf einen Schein hin mir
ein so schweres Unrecht thun? nachdem Ihnen
meine Augen bei jeder Gelegenheit gezeigt,
wie es in meinem Herzen, welches nur für
Sie schlägt, aussah?
Die so traurig, fast trostlos Angesprochene
blieb, bei diesen Worten über und über er-
röthend und mit Thränen kämpfend, stehen
und meinte nun doch viel kleinlauter: „Ja,
aber Herr von Poten erzählte mir doch —"
»Also habe ich diesen Biedermann richtig
beurtheilt. So hören Sie: Ja, ich gab
Miß Ellen auf ihre direkten Bitten hin einen
Brief und zwar den Brief meines Anwalts,
worin dieser über einen großen Verlust be-