128. Jahrgang.
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Nr. 69
Freitag, den 22. März
1935
Das Hin und Her in der Auslandspreffe.
VoegepliiMel zum Berliner Besuch
Der französische Botschafter und etwas spä
ter der italienische Botschafter haben dem deut
schen Außenminister Freiherrn von Neurath
die Protestnoten ihrer Regierungen überreicht.
Beide Proteste sind von dem Reichsautzenmi-
nister abgelehnt morden. Den französischen
Botschafter hat er darauf hingewiesen, daß die
gegebene Begründung der tatsächlichen Lage
nicht Rechnung trüge, während er dem italie
nischen Botschafter mitteilte, daß er die Be
gründung ablehnen müsse, da der Versailler
Vertrag durch die Nichteinhaltung des Ab
rüstungsversprechens der anderen unterzeich
neten Mächte von diesen nicht eingehalten
morden sei.
Beim Völkerbundssekretariat ist das Tele
gramm der französischen Regierung eingegan
gen, in dem die Einführung der allgemeinen
Wehrpflicht in Deutschland und die Schaffung
einer Militärluftfahrt „als eine bewußte Ver
leugnung" der vertraglichen Verpflichtungen
Deutschlands bezeichnet und Einberufung einer
außerordentlichen Tagung des Völkerbunds
rates beantragt wird. Ein Termin für die
Sondersitzung des Völkerbundes ist noch nicht
bekannt. Voraussichtlich wird man die briti
schen Besuche in Berlin, Moskau und War
schau abwarten, ehe man einen Termin fest
setzt.
Der Wortlaut des französischen Protestes,
den wir zusammen mit dem der italienischen
Regierung an anderer Stelle des Blattes
bringen, überrascht uns nicht. Die Rede des
Ministerpräsidenten F l a n d i n, über die wir
gestern berichtet haben, konnte nicht mehr über
troffen werden. Wir haben eine Rede, die der
art von Verdrehung und Unwahrheiten wim
melte, selbst aus französischem Mund lange
Zeit nicht gehört. Herr Flandin hat sich ziem
lich offen als Sprachrohr der französischen Rü
stungsindustrie gezeigt. Denn Behauptungen
wie die, daß Frankreich abgerüstet habe, daß
Deutschland nicht bedroht sei, sind so abwegig,
daß sie keiner Antwort würdig sind.
Die französische Presse unterstreicht mächtig
die Bedeutung der französischen Note. „Temps"
tritt für den Völkerbund und für den Ver
sailler Vertrag ein, dessen Zerreißung einen
feierlichen Protest und eine moralische Sank
tion auslösen müsse. Deutschland müsse durch
das Weltgewissen gegeißelt werden. „Libertêe"
beschwört die Mächte, zur Einigung gegen
Deutschland zu kommen, während „Paris
Soir" die Vorteile der Politik der vollendeten
Tatsachen herausstellt. Eine Ausnahmestellung
nimmt „La Presse" ein. Die Inanspruchnahme
des Völkerbundes sei die Geste eines Schwa
chen und außerdem eine Unvorsichtigkeit gegen
England, das die Anrufung Genfs nicht bil
lige. Auch Italien sei dem Völkerbund gegen
über nicht günstig eingestellt gewesen. Moskau
allerdings habe alles Interesse daran, die Kar
ten durcheinander zu bringen. Diesem Vor
haben leiste aus unbegreiflichen Gründen die
französische Regierung Vorschub.
Die italienischen Blätter sind weiterhin fach
lich und ruhig in ihren Kommentaren. Die
englischen Blätter stimmen Frankreich keines
wegs bedingungslos zu. „Evening Standard"
erklärt, durch die Rede Flandins sei die Lage
sehr verschlechtert worden. Der liberale „Star"
sagt, Frankreich und seine Verbündeten müssen
einsehen, das; England niemals der Ansicht
war, Deutschland müsse als ein Paria unter
den Nationen behandelt werden, den man un
ter allen Umständen niederhalten müsse. Man
könne Deutschland nicht mit Gewalt nieder
drücken.
Die Simon-Rede im englischen Unterhaus,
die wir unseren Lesern an anderer Stelle mit
teilen, ist von einem wesentlich anderen Geist
getragen als die des Franzosen Flandin. Die
„Times" stellt fest, daß Simon bei seiner Frie
densmission die Unterstützung aller Parteien
habe, und daß England mehr zustande bringen
könne, wenn es mehr seiner eigenen Initiative
gefolgt wäre und seinen eigene» Weg gewählt
hätte. Simons Ziel sei, eine deutliche Annähe
rung der deutschen Haltung gegenüber dem
gemeinsamen Ziel zu erreichen. Damit würde
Europa der beste Dienst erwiesen. Simon habe
eindeutig zu verstehen gegeben, wie er sich
reuen würde, wenn bei weiteren Zusammen
künften auch Deutschland vertreten sein würde.
In Londoner unterrichteten Kreisen wird
angedeutet, daß England die Konferenz zu
Dritt für den Sonnabend nur deshalb an
regte, um dem französisch-italienischen Vor
gehen die Schärfe zu nehmen. Die Haltung der
ranzösischen Regierung erweckt übrigens den
Lindruck in englischen Kreisen, als wolle man
'ich in die Außenpolitik Englands einmischen.
Man braucht deshalb auch von der Haltung
der französischen Presse aus Anlaß der Simon-
Rede nicht überrascht zu sein. „Echo de Paris"
ist jedenfalls sehr unzufrieden und fragt, ob
imon die beginnende französisch-italienische
Freundschaft auf die Probe stellen wolle. Star
ken Eindruck hat die Erklärung Simons ge
macht, daß England niemals daran gedacht
habe, ein Sonderabkommen mit irgend einem
Lande abzuschließen. Man fragt, ob dies be
deute, daß England sich weigere, mit Frank
reich Vereinbarungen abzuschließen, falls
Deutschland die Vorschläge vom 3. Februar ab
lehne. Die von Simon ausgesprochene Hoff
nung einer Vierer-Konferenz wird in der
französischen Presse abgelehnt.
Zur Simon-Reise wird noch bekannt, daß
Eden Freitag abend nach Paris abreisen
wird und sich Sonntag früh in Amsterdam mit
Simon trifft, wo er von dem englischen Son
derflugzeug au Bord genommen wird. Eden
wird nach Beendigung seines Besuches in
Berlin, Moskau und Warschau sich am 4. April
nach Prag begeben, und von dort nach Lon
don zurückfliegen. Eine Reise des Bevollmäch
tigten des Führers, von Rippentrop,
nach London, von der die Auslandspresse be
richtet, findet, wie wir erfahren, nicht statt
und war auch nicht beabsichtigt, von Ribben-
trop befindet sich seit 10 Tagen in Begleitung
des Führers.
Volles Verständnis für den deutschen Wehr
standpunkt findet man in anderen Auslands
zeitungen, so z. B. in der Presse Mittelameri
kas. Man schreibt dort, Deutschland habe 13
Jahre lang aus die Abrüstung der anderen
gewartet. Eine Newyorker Zeitung schreibt,
Deutschland tue nichts, was man von ihm
selbst nicht erwartet habe, und nichts, was die
anderen nicht auch täten. Jedermann habe ge
wußt, daß die Zeit kommen werde, in der
Deutschland die Gleichberechtigung unter den
Völkern verlangen und erhalten werde. Ein
großes schwedisches Provinzblatt schreibt, die
Begründung zum deutschen Wehrpflichtgesetz
sei eine ernste Anklage gegen die Sieger
mächte, deren Inhalt im großen und ganzen
durchweg richtig sei. Die Siegermächte sähen
nun eben die Folgen ihrer eigenen Handlungs
weise. Die Verantwortung falle in erster Li
nie auf Frankreich, dessen Streben nach der
politischen Vorherrschaft in Europa das größte
Hindernis für eine Begrenzung der Rüstun
gen gewesen sei. Man dürfe auch nicht verges
sen, daß ein starkes Deutschland ein starker
Friedensfaktor für den ganzen Kontinent sei
und den französischen Imperialismus zu einer
friedlichen Politik zwinge.
Und der Meinung sind wir auch.
III iûìtM îm àêWieil ItttļWtt.
Die französische Note an die Reichsregierung
hat folgenden Wortlaut:
Der Herr Reichskanzler empfing am 16.
März den französischen Botschafter und gab
ihm Kenntnis von dem Wortlaut eines an
demselben Tage verkündeten Gesetzes, durch
das die deutsche Regierung in Deutschland die
allgemeine Wehrpflicht eingeführt und den
Personalbestand des deutschen Heeres auf 36
Divisionen erhöht hat. Eine Woche vorher hat
ten die deutschen Behörden die Begründung
einer deutschen Militärlnftmacht amtlich be
kanntgegeben.
Die Entscheidungen stehen im direkten Wi
derspruch zu den vertraglichen Verpflichtungen,
die in den von Deutschland unterzeichneten
Verträgen niedergelegt sind.
Sie stehen ferner im Widerspruch zu der
Erklärung vom 11. Dezember 1932, durch die
die Reichsregierung aus freien Stücken aner
kannt hat, daß eine allgemeine Rüftnngsrege-
lung, die für Deutschland Gleichberechtigung
mit allen Nationen bringen würde, nicht ohne
die Schaffung eines Regimes der Sicherheit
aller durchgeführt werden soll.
Nachdem mehrere Vorschläge zur Verwirk
lichung dieses Grundsatzes gemacht worden
waren, hatte die französische Regierung im
Einvernehmen mit der britischen Regierung
geglaubt, der Reichsregierung ihr Vertrauen
beweisen zu können, indem sie freie mit der
Achtung vor dem Recht der Verträge durchaus
vereinbare Verhandlungen als Verfahren vor
schlug, um auf vertraglichem Wege ein neues
Nüstungsstatut für Deutschland innerhalb ei
ner allgemeinen Regelung des Problems der
Sicherheit und der Rüstungen zu schaffen. Die
Reichsregierung schien dieses Vertrauen zu
rechtfertigen, indem sie grundlätzlich ein sol
ches Verfahren annahm.
Die Veröffentlichung des deutschen Gesetzes
vom 16. März, die in brüsker Weise kurz vor
dem festgesetzten Datum eines ersten Mei
nungsaustausches zwischen der Reichsregie
rung und einer der beiden an dem Londoner
Kommunique vom 3. Februar beteiligten Re
gierungen erfolgte, stellt eine neue Bekundung
der Absichten und Methoden dar, die die
Reichsregierung den ihr gemachten Verstän
digungsangeboten entgegenzusetzen gewillt ist.
Die Regierung der Republik sieht sich in
folgedessen zu einer zweifachen Feststellung ge
nötigt: Einmal mißachtet die Reichsregierung
allgemein und bewußt den dem Völkerbund
wesentlichen Grundsatz, daß keine Macht sich
von der Verpflichtung aus einem Vertrage
befreien oder dessen Bestimmungen abändern
kann, es sei denn mit Zustimmung der ver
tragschließenden Parteien und aufgrund einer
gütlichen Verständigung. Ferner hat die
Reichsregierung, namentlich nachdem sie selbst
den Wunsch geäußert hatte, zwischen den be
teiligten Staaten die Vorfragen für Verhand
lungen zu klären, zu denen sie eingeladen war,
bewußt diejenigen Maßnahmen ergriffen, die
am geeignetsten waren, diese Verhandlungen
zur Aussichtslosigkeit zu verurteilen, indem sie
ihnen im voraus einseitig durch eine vollendete
Tatsache einen ihrer wesentlichsten Gegenstän
de entzog.
Die Regierung der Republik hält sich für
verpflichtet, schärfsten Protest gegen diese Maß
nahmen zu erheben, hinsichtlich deren sie un
verzüglich alle Vorbehalte macht. In dem Be
wußtsein der Bemühungen um eine Verstän
digung, denen sie sich unablässig in aller
Loyalität und mit der ständigen Rücksichtnahme
auf die deutsche Ehre gewidmet hat, um das
Reich vollständig in die Organisation der euro
päischen Sicherheit einzugliedern, überläßt sie
der deutschen Regierung die Last der Verant
wortung für den in der Welt so geschaffenen
Zustand der Unruhe und der hieraus resul
tierenden Folgen, nämlich der aus diesem
Sachverhalt möglicherweise für die Regierun
gen der verschiedenen beteiligten Länder ent
springenden Pflichten. Entschlossen, ihrerseits
alle Mittel der internationalen Zusammen
arbeit zu versuchen, die geeignet erscheinen,
diese Unruhe zu beseitigen und den Frieden
Europas zu erhalten, legt sie Wert darauf, zu
gleich mit der Achtung vor der bindenden Kraft
der Verträge ihre Entschlossenheit zu bekräfti
gen, sich unter keinen Umständen in irgend
welche» Verhandlungen damit abzufinden, daß
einseitig in Verletzung internationaler Ver
pflichtungen ergriffene Maßnahmen als zu
Recht bestehend anerkannt werden.
Italiens Protestnote.
Die dem Reichsminister von dem italieni
schen Botschafter heute übergebene Note hat
folgenden Wortlaut:
Der Reichskanzler hat am 16. März dem
italienischen Botschafter einen am gleichen
Tage veröffentlichten Gesetzestext mitgeteilt,
auf Grund dessen die deutsche Regierung in
Deutschland den obligatorischen Heeresdienst
wieder eingeführt und die Ist-Stärke des deut
schen Heeres auf 36 Divisionen gebracht hat.
Eine Woche vorher hatten die deutschen Be
hörden amtlich die Schaffung einer deutschen
Militärluftfahrt mitgeteilt.
Die italienische Regierung hat von den in
der Angelegenheit von seiten der britischen
und französischen Regierung an die deutsche
Regierung gerichteten Noten Kenntnis ge
nommen.
Die italienische Regierung kann nicht umhin,
festzustellen, daß sowohl in den zu Rom am
7. Januar 1935 zwischen der italienischen und
der französischen Regierung abgeschlossenen
Vereinbarungen als auch in der am 3. Febr.
veröffentlichten abschließenden Mitteilung über
die in London zwischen der britischen und der
französischen Regierung gepflogenen Unter
redungen der wesentliche Grundsatz erneut an
erkannt worden war, daß das im 5. Teil des
Vertrages von Versailles festgesetzte Militär-
statut nicht durch einen einseitigen Akt abge
ändert werden dürfte.
Die italienische Regierung, die ihrerseits
immer die Meinung vertreten hat, daß es vor
teilhaft wäre, wenn der 3. Teil des Vertrages
von Versailles im Wege von Verhandlungen
zwischen interessierten Regierungen auf Grund
der vollständigen Gleichberechtigung revidiert
würde, hatte dem Grundsatz zugestimmt, daß
die Frage der deutschen Rüstungen dem Gegen
stand von Verhandlungen in einer allgemeinen
Beratung entsprechend derjenigen hätte bilden
müssen, wie sie in der Erklärung vom 11. De
zember 1932, an der Deutschland teilgenom
men hat, geplant worden war.
Dieses Verfahren war im Grunde von der
deutschen Regierung selbst in ihrer Mitteilung
vom 14. Februar angenommen morden.
Die italienische Regierung fühlt sich daher
verpflichtet, die weitestgehenden Vorbehalte
hinsichtlich der Entscheidung der Reichsregie
rung und ihrer wahrscheinlichen Auswirkun
gen einzulegen.
Die italienische Regierung hat immer ver
sucht, das Reich voll und ganz für ein System
der Zusammenarbeit zwischen den interessier
ten Hauptmächten zu gewinnen, das dem Reich
vollkommen die Rechte und die Verantwor
tung eines souveränen Staates zuerkannt ha
ben würde. Gerade von diesen Voraussetzun
gen her erhält die Entscheidung des Reiches
eine besondere Tragweite, zumal mit Rücksicht
auf den Zustand der Unsicherheit, den sie in
allen Ländern hervorruft.
Die italienische Regierung hat auch neuer
dings noch viele Beweise ihres Willens zur
internationalen Zusammenarbeit geliefert und
beabsichtigt weiterhin einer solchen Einstellung
treu zu bleiben, die dem Bedürfnis der Völker
und den Erfordernissen des europäischen Zu
sammenlebens entspricht; trotzdem fühlt sie sich
zu der Erklärung verpflichtet, daß sie in et
waigen künftigen Beratungen derartige Sach
lagen nicht einfach wird als gegeben hinneh
men können, die aus einseitigen Entscheidun
gen hervorgehen, durch die Verpflichtungen
internationalen Charakters aufgehoben wer
den.