Î28. Jahrgang.
128. Jahrgang.
Schleswig-Holfbeinifche
Renksburger Tageblatt
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m. 33
Fmlag. hm 15. FebriM
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Spinnräder surren im Kaiserschlotz.
Bon der „Grünen Woche" zur Autoscha«.
Das mag ein hartes Arbeiten gewesen sein,
bas die Berliner Ausstellungshallen in zwei
kurzen Wochen in eine völlig andere Land
schaft verwandeln mußte. Die Arbeiter und
Handwerker, die aus dem Roggenfeld der
„Grünen Woche" gewissermaßen über Nacht
eine Autorennbahn machen mußten, waren
nicht zu beneiden. Aber sie haben es geschafft.
Auf die Minute pünktlich konnte der Führer
die größte Autoschau der Welt eröffnen, alles
ist bereit, die Scharen der Besucher aufzuneh
men.
Welch weiter Weg von den ersten unbeholfe
nen Versuchen eines motorgetriebenen Wa
gens, der seine Herkunft von der alten Kutsche
keineswegs verleugnen kann, bis zum gigan
tischen Üeberlandomnibus in Stromlinien
form! Und darüber sind noch keine fünfzig
Jahre vergangen, ein knappes Menschen
alter nur — und dennoch: eine Umwälzung
des Verkehrs und all den Industriezweigen,
die eng mit ihm verknüpft sind, wie sie groß
artiger kaum gedacht werden kann.
Ob man nun als Laie, als staunender
Schlachtenbummler, oder als Fachmann mit
tausend Vorbehalten durch die Hallen wan
dert — die Fülle der Bilder ist so verwirrend,
so vielgestaltig, daß beide, Fachmann und Laie,
überwältigt sind. Aber man muß auch einmal
hinter die lackglänzenden Karosserien, über
haupt hinter den ganzen bestechenden Aufbau
einer solchen Ausstellung schauen. Wieweit
wird z. B. die soziale Struktur der deutschen
Großstädte vom Auto bestimmt? Eine Frage,
die gar nicht so ohne weiteres richtig zu beant
worten ist. Denn vom Auto leben ja nicht
allein die Leute, die es zu Berufszwecken be
nutzen, nicht nur die Arbeiter, die in den
Automobilfabriken direkt beschäftigt sind. Eine
unabsehbare Kette von Nebenindustrien, der
ausgefallensten Berufe hängt daran, gleichviel
ob es sich um Betriebe handelt, die Holz,
Farbe, Leder oder Messingschrauben ver
arbeiten. Auto gibt Brot! Und diesen Ge
sichtspunkt stellte die Reichsregierung in den
Mittelpunkt ihres Programms, als sie vor
nun fast zwei Jahren den Anstoß zur ver
stärkten Motorisierung Deutschlands gab.
Unter solchen Gesichtspunkten betrachtet,
gewinnt diese neueste Ausstellung Berlins
und Deuschlands ein ganz anderes Gesicht.
Zwar steht formal die Maschine in ihrem Mit
telpunkt? hinter der Maschine aber steht der
Mensch, ohne den der Motor totes Metall
bliebe.
*
Früher wohnte, so lernte es im ganzen
Deutschen Reich der Schuljunge, die kaiserliche
Familie in den weitläufigen Räumen des
Berliner Schlosses. Heute ist daraus ein
ganzes Wohnviertel geworden, und immer
wieder entdeckt man bei kleinen Streifzügen
durch die Höfe und Durchfahrten neue Tür
schilder, die von neuen Bewohnern zu plau
dern wissen.
Da gibt es zunächst natürlich jene Flügel, die
als Museum jedermann zugänglich sind. Dane
ben aber sind, vom Keller bis hinauf unters
Dach, soviel verschiedenartige Institutionen
hier untergebracht, daß die graue alte Mauer
sich wundern müßte, wenn sie das nicht schon
längst verlernt hätte. Da gibt es Gemäldeaus
stellungen und studentische Hilfsorganisationen,
ein Heim für studierende Mädchen, Büros, in
denen der Austausch deutscher Studenten mit
dem Ausland geregelt wird, und nun haben
wir wieder etwas ganz eigenartiges entdeckt:
ein gemeinnütziger Verein „Heimarbeit im
Schloß". Mit Hilfe der zuständigen Ministerien
wird hier augenblicklich der Versuch unternom
men, beschäftigungslosen Frauen und Mädchen
Anweisungen in der alten deutschen Kunst der
Wollspinnerei zu geben. Ein doppelter Zweck
wird dabei verfolgt: Arbeit wird geschaffen,
und die Unabhängigkeit von ausländischen
Hilfsquellen erweitert.
Berliner Brief von Peter Pelikan.
muß ein eigenartiges Bild sein, in den
verwinkelten Fluren, die sich um die engen
Höfe des alten Teiles schließen, dem Surren
Oer Spinnräder zu lauschen. Ist es nicht, als
gehörte dies Geräusch hierher? Paßt es nicht
viel besser zwischen diesen meterdicken grauen
Mauern als die moderne Einrichtung, die den
neuzeitlichen Teil des Katserschlosses so un
wohnlich, so mit Gold und Stuck überladen
macht, daß man schon vom flüchtigen Durch
gang müde und unfähig zu weiterer Aufnahme
wird?
Vom alten Turnvater Iahn haben wir alle
chvn gehört? von jenem etwas derben Mann,
ier, mit weit offenem Hemdkragen und im
Winde flatternden Locken, seine Zöglinge bei
Wind und Wetter in die Berliner Hasenheiöe
hinausführte, um sie in die Grundlagen der
Leibesübungen einzuführen. Aber erst jetzt
Ijat es sich herausgestellt, daß ein Nachkomme
dieses uröeutschen Mannes, sein Großneffe
Hermann Jahn, mitten unter uns wohnt.
Sein 80. Lebensjahr vollendet er in diesen
Tagen.
Und auch er ist, merkwürdiges Spiel des
Schicksals, ein Turner. Vor 10 Jahren noch
war er dabei, als die große Bibliothek der
deutschen Turnerschaft von Leipzig nach Ber
lin überführt wurde, zwischen deren Büche
reien er nun seine Tage verbringt. Einen gro
ßen Teil seiner deutschen Heimat hat dieser
rüstige Mann zu Fuß durchwandert, manches
schöne Städtchen, manches idyllische Dorf hat
er dabei neu entdeckt. Bei keinem Turnfest hat
er gefehlt, überall war er mit jugendfrischer
Begeisterung dabei, die ganz sicherlich ein Erb
teil seines großen Ahnen ist. Die Glückwün
sche, die Deutschland ihm zu seinem Ehrentag
ausspricht, gelten nicht nur dem Träger eines
berühmten Namens, sie gelten vielmehr auch
einem, der sich bewußt in den Dienst der deut
schen Turnerei gestellt hat.
Am 1. Mm:
Saarseier in allen deutschen Schulen.
DNB. Berlin, 14. Febr. Am 1. März des
Jahres kehrt das Saarland, das durch das
Diktat von Versailles dem deutschen Vater
lande entrissen war, in die Reichsgemeinschast
zurück. Es ist dies ein Tag der Freude und des
nationalen Stolzes, dessen Gedächtnis unsere
Jugend der Nachwelt erhalten soll.
Reichserziehungsminister Rust hat daher
durch Erlaß angeordnet, daß in allen Schulen
seines Geschäftsbereiches am 1. März, um
9 Uhr vormittags, der Rückkehr der Saar in
einer kurzen würdigen Feier gedacht wird,
daß im übrigen an diesem Tage der Unter
richt ausfüllt.
Ein Zeuge im Memelländer-Prozetz verhaf
tet. In Memel wurde auf Beschluß eines Kow-
noer Untersuchungsrichters der Gerichtsange
stellte Herbert Krahmer verhafte. Er wird des
Zeugenmeineides im Memelländer-Prozeß be
schuldigt. Krahmer ist einer der vielen Be
lastungszeugen, die ihre Aussagen vor dem
Untersuchungsrichter bei der jetzigen Gerichts
verhandlung widerriefen.
Deutschlands Antwort in London und Paris.
Deutschland zu Verhandlungen bereit.
Berlin, 14. Febr. Der Reichsminister des
Auswärtigen, Freiherr von Neurath, hat Don
nerstagnachmittag den englischen Botschafter
Sir Eric Phipps und unmittelbar darauf den
französischen Botschafter Francois Poncet emp
fangen und ihnen die deutsche Stellungnahme
zu den Londoner Vorschlägen mitgeteilt.
*
Unter der Ueberschrift „Die neue Verhand
lungsphase" äußert sich die „Deutsche Diplo
matisch-Politische Korrespondenz" zu der heute
erfolgten Unterrichtung des englischen und des
französischen Botschafterss über die deutsche
Stellungnahme zum Londoner Programm.
Einem aufmerksamen Beobachter der Aeuße
rungen der Reichsregierung in den letzten Mo
naten, heißt es darin u. a., dürfte es keine
Ueberraschungen bieten, daß Deutschland nach
wie vor positiv zu den Bemühungen stehe,
einem Wettrüsten vorzubeugen und jede
Kriegsgefahr zu bannen. Der Friedenswille
Deutschlands und seine Bereitwilligkeit zu
Verhandlungen dürften eine neue Bestätigung
erfahren haben. Das Londoner Communique
enthalte bekanntlich Vorschläge, über die frei
verhandelt werden solle, die also nicht anzu
nehmen oder abzulehnen wären. Ueber eine
Reihe von Materien seien bereits Verhand
lungen im Gange, vor allem über die Frage
der Sicherheitsorganisation im Osten und Süd-
osten Europas. Die zuständigen deutschen Stel
len hätten den ernstlichen Wunsch, daß der
diplomatische Gedankenaustausch über diesen
außerordentlich schwierigen Fragenkomplex in
absehbarer Zeit zu einem befriedigenden Er
gebnis führe.
Der Gedanke eines
Luftverteidigungsabkommens
auf Gegenseitigkeit, so wird u. a. weiter aus
geführt, begegne in Deutschland begreiflicher
weise dem größten Interesse. Dieser Plan
bringe auf der einen Seite gewiß erhöhte
Opfer und erhöhtes Risiko, sei auf der anderen
Seite sicherlich aber auch in der Lage, die von
allen gewünschte erhöhte Sicherheit zu bringen.
Der Ausgangspunkt seien die letzten englisch
französischen Besprechungen in London gewe
sen. Sie lägen in einer Linie mit den monate
langen Bemühungen der englischen Regierung,
den Faden, der im April v. Js. abgerissen war,
wieder aufzunehmen und irgendwie einen Weg
zu finden, zu einem Gedankenaustausch über
die Europa bewegenden aktuellen Probleme zu
gelangen. Man werde daher annehmen dürfen,
daß England diese gücklich eingeleitete Aktion,
die bereits zu einer ersten Annäherung geführt
habe, fortführen werde. Von deutscher Seite
werde gewiß nichts versäumt werden, um solche
Gespräche, die erfahrungsgemäß rascher zu po
sitiven und praktischen Ergebnissen zu führen
pflegten als Verhandlungen im größeren Rah
men, im Sinne der weiteren europäischen Ent
spannung einem guten Ende näherzubringen.
Zum Schluß wird hervorgehoben, daß es im
Interesse aller liege, den durch die rasche deut
sche Antwort in Fluß gebrachten Problemen
in voller Loyalität und mit gutem Willen jede
Förderung zuteil werden zu lassen. „Die Völ
ker erwarten, daß vor allem die Probleme,
deren Lösungen nach gesundem Menschenver
stand erreichbar und praktisch lösbar erscheinen,
von den Regierungen unverzüglich einer Re
gelung zugeführt werden. Denn die Lösung der
einen vitalen Aufgabe wird, rein psychologisch,
manche Hindernisse beseitigen und die Aus
räumung schwieriger Probleme zu erleichtern
vermögen."
London, 14. Febr. Lord Allan of Hurtwood,
der vor kurzem mehrere Besprechungen mit
führenden Persönlichkeiten in Berlin hatte, er
klärte u. a., daß die englisch-französischen Vor
schläge möglicherweise einen Wendepunkt in
der Nachkriegsgeschichte seien. Wenn diese Vor
schläge zu Ergebnissen führen sollen, so müßten
sie in Form eines Abkommens mit Deutschland
verwirklicht werden, das auf der Grundlage
vollkommener Gleichberechtigung abgeschlossen
wird. Dieses neue Abkommen könne u. a. be
deuten, daß der Völkerbund von den hemmen
men Streitpunkten der deutschen Gleichberech
tigung und der französischen Sicherheit befreit
werde und seine neuen Aufgaben in Angriff
nehmen könne, weil er zum ersten Male aus
gleichberechtigten, souveränen Staaten bestehen
würde.
England und die deutsche Antwort.
London, 15. Febr. (Eig. Funkmeldung.) Der
Berliner Reuter-Vertreter meldet, die vom
Freiherrn von Neurath am Donnerstag dem
britischen und dem französischen Botschafter
mitgeteilte deutsche Stellungnahme zu den Lon
doner Vorschlägen besage, wie verlaute, daß
Deutschland.bereit sei, diplomatische Verhand
lungen über die englisch-französischen Vor
schlüge zu beginnen/.die sich auf den Londoner
Luft-Locarno-Plan beziehen. Ueber die allge
meine Haltung der maßgebenden deutschen.
Stellen glaubt der Reuter-Vertreter berichten
zu können, die deutsche Haltung gegenüber den
Londoner Vorschlägen sei noch günstiger als in
manchen Kreisen angenommen worden sei. Als
Deutschlands Ziel werde die allgemeine Be
friedung Europas bezeichnet. Gegenüber den
Londoner Vorschlägen würden allerdings in
einigen Punkten Aufklärungen gewünscht, be
sonders hinsichtlich des Ost- und des Donau-
paktes. Diese beiden Fragen müßten als in der
Schwebe befindlich betrachtet werden. Der Vor
schlag für ein Luft-Locarno werde in Deutsch
land am allergünstigsten aufgenommen, da er
klar begrenzt und leicht verständlich sei. In
dieser Frage werde wohl am leichtesten ein
greifbares Ergebnis zu erreichen sein.
Die Pariser Morgenpresse zur deutschen
Antwort.
Frankreich mutz verhandeln!
DNB. Paris, 15. Febr. (Eig. Funkmeldung.)
In Besprechungen der deutschen Stellung
nahme zum Londoner Protokoll unterstreicht
die Pariser Morgenpresse, daß die deutsche
Antwort ziemlich allgemein gehalten sei.
„Petit Parisien" erklärt, die deutsche Antwort
sei höflich und nehme das Londoner Protokoll
als Unterlage für weitere freie, gleichberech
tigte Verhandlungen an. Berlin begrüße den
Plan eines Lnft-Locarnos mit ausgesprochener
Sympathie, spiele aber auf die anderen Punkte,
die in der französisch-englischen Anregung ent
halten seien, kaum an und vermeide nament
lich die Stellungnahme zum Ostpakt und zum
Donaupakt. Immerhin rege die Reichsregie
rung an, die Verhandlungen auf diplomati
schem Wege fortzusetzen, um den Rahmen der
Ansprüche genau festzulegen.
Der „Jntranst'geant" hält es immerhin für
einen Fortschritt, zu Verhandlungen über die
Organisation des Friedens zu kommen, wovon
die Aufrechterhaltung des Friedens selbst in
naher oder ferner Zukunft abhänge. Das Blatt
will über die gestrigen Erklärungen Lavals
vor der Kammer wissen, Laval habe auf das
Dilemma hingewiesen, daß die deutsche Auf
rüstung da sei. Frankreich habe nur zwei Wege:
Präventivkrieg oder Verhandlungen. Nach ein
heitlicher Auffassung der französischen öffent
lichen Meinung käme ein Präventivkrieg nicht
in Frage. So bleibe der Weg der Verhandlun
gen, und es sei die Aufgabe der französischen
Diplomatie, die Sicherheitsverträge sicherzu
stellen.
Der Berliner Berichterstatter des „Journal"
deutet — in Uebereinstimmung mit anderen
Blättern — die Tatsache, daß der Reichsaußen
minister den englischen und den französischen
Botschafter gesondert empfangen hat, dahin,
daß Deutschland auf diese Weise absichtlich habe
unterstreichen wollen, daß es für kollektive
Schritte, selbst wenn es sich um freundschaftliche
Handle, keine große Vorliebe Habe.