Full text: Newspaper volume (1935, Bd. 1)

3uv Unterhaltung 
Nr. 17 
Beilage der Schleswig-Hosteinischen Landesieitung Rendsburger Tageblatt» 
Montag, den 21 Januar 1933 
Matthias Claudius auf dem Schlaffe zu Reinfeld. 
Z«m 120jShrigen Todestage des Dichters am 21. Januar. 
Die Herzogin von Reinfeld, Dorothea 
Christine, verlegte im Jahre 1762 von Plön, 
wo sie in der Nähe des regierenden Herzogs 
der Plöner Lande, Friedrich Carl, gewohnt 
hatte, ihren Wohnsitz wieder nach dem Schlosse 
zu Reinfeld. Ihr Sohn war im Jahre vorher 
gestorben, und die vom Kummer gebeugte 
hohe Frau, die den Aufstieg und das Ver 
löschen ihres Geschlechts erlebt hatte, wollte im 
Alter in der Nähe ihrer Jugendfreunde leben 
und kehrte daher nach ihrem Witwensitze zu 
rück. Bald nach ihrer Ankunft wurden der 
Pastor Matthias Claudius und seine Frau 
Maria, geb. Lorck, aus Flensburg, von dem 
Tafeldecker Christian Schwensen in das Schloß 
geladen, und die beiden Eheleute, die durch 
den Tod eines hoffnungsvollen Sohnes, der 
als Student in Jena plötzlich gestorben war, 
einen herben Verlust erlitten hatten, beeilten 
sich, dieser Einladung Folge zu leisten. Nach 
dem Tode seines Bruders war der junge 
Dichter und Studiosus der Gottesgelahrtheit, 
Matthias Claudius, in sein Elternhaus zu 
rückgekehrt, ohne in Jena seine Studien ganz 
beendet zu haben. Pastor Claudius, der schon 
als junger Prediger in Norburg auf Alsen der 
Freund und Berater der Herzoginwitwe 
gewesen war, tröstete seine mütterliche Gön 
nerin so gut er dies vermochte, mutzte aber 
dann die beiden Frauen allein lassen, weil 
ihn eine Amtshandlung ins Dorf rief. Auf 
diesen Augenblick hatte Maria gewartet. Ver 
legen und doch stolz holte sie aus ihrem 
Pompadour ein schmales Bändchen hervor, 
das sie der Herzoginmutter überreichte. 
„Von meinem Jungen", sagte sie, während 
die Röte der Erregung ihr ins Antlitz schlug, 
„von Matthias. Es stehen Gedichte darin, die, 
meine ich, einem Gottesgelehrten kaum gezie 
men, aber auch andere, die mir in dieser schwe 
ren Zeit ein großer Trost gewesen sind." 
„Ei, Tändeleien von Eurem Lieblingssohn 
Matthias! Er war immer ein stiller, selt 
samer Knabe, lief in den Wald und starrte den 
Mond an, ein schwärmerisches Kind, und ist 
nun unter die Dichter gegangen." 
Ein Lächeln stand auf dem Gesicht der hohen 
Frau, das noch Spuren früherer Schönheit 
zeigte: „Tändeleien", fuhr sie fort, „wie auch 
der junge Rittmeister von Gerstenberg aus 
Tonöern sie schrieb." 
„Tie beiden sind Freunde und waren in 
Jena Mitglieder der Teutschen Gesellschaft." 
„So, so", sagte sinnend die Herzogin. „Wir 
in Holstein sind deutsch, uud in Norburg am 
Hofe waren wir es auch. Ich will die Verse 
lesen, und dann schickt mir nach einigen Ta 
gen Euren Matthias aufs Schlotz." 
Sie legte das Büchlein auf den Tisch. Bald 
darauf erschien der ehrwürdige Pastor des 
Ortes, und das Gespräch der drei wandte sich 
alten Erinnerungen zu. 
Eiuige Tage später saß die alte Herzogin in 
einem hohen Zimmer des Schlosses, hatte das 
Büchlein des jungen Claudius in der Hand, 
und ihre Lippen bewegten sich leise, als sie die 
Verse des Dichters las. Es war ein schöner 
Sommertag im Juni, ein Fenster des Zim 
mers war geöffnet, und die warme Luft des 
Tages strömte in das Gemach. Die hohen 
Linden auf dem Schloßplatz standen im 
Schmuck ihres vollen Sommerlaubes, und 
zwischen den Stämmen hindurch sah man auf 
den Herrenteich und das Pastorat, das mit 
seinem roten Ziegeldach so freundlich unter 
alten Bäumen am Ufer des Sees lag. 
Trotz der Wärme des Tages hatte Dorothea 
Christine ein wollenes Tuch um ihre Schul 
tern gelegt, sie fröstelte im hellen Sonnen 
schein, und die Beschwerden des Alters mach 
ten sich bemerkbar. Zuweilen lächelte sie leise 
und schüttelte fast mißbilligend den Kopf, als 
sie die Verse des jungen Dichers las,' einmal 
aber lag das Büchlein lange in ihrem Schoß, 
und sie wischte sich mit ihrem Spitzentüchlein 
mehrere Male die Augen. 
„Gut, gut", murmelte sie leise, „und seinen 
Vater liebt er auch." 
Als ihr Blick durch das Fenster auf den 
See fiel, sah sie den jungen Studenten der 
Theologie Matthias Claudius auf das Schloß 
zueilen. Tie schmale Jünglingsgestalt hastete 
etwas nach vorne gebeugt auf dem Wege da 
hin,' seine Arme ruderten heftig durch die 
Luft, als wäre er ein Boot in Seenot, und als 
nun vom Teich ein Windstoß daherfuhr, flo 
gen seine dunklen Haare, die er lang bis auf 
die Schultern herabtrug, empor und umflat 
terten fern Haupt wie ein dunkles Segel. 
Drinnen in ihrem- Stuhl lächelte die alte 
Dame, aber dann wurde ihr Gesicht ernst. Sie 
rollte das Büchlein des jungen Dichters wie 
einen Kommmandostab zusammen und sagte 
halblaut vor sich hin: „Mutz einen Steuer 
mann haben, der Matthias, der ihn fest in der 
Hand hält, und von der Liebe weiß seine 
Seele nichts." 
Ihr Blick suchte das Antlitz ihres Gemahls, 
das aus einem vergoldeten Rahmen von der 
Wand sie anblickte: „Ter war auch ein Feuer 
kopf", sagte sie leise,- „und sein Herz brannte 
mit ihm durch, und meins brannte mit. 
Brennt noch heute!" Es klang fast ju 
belnd, und sie legte dabei ihre Hand mit dem 
Büchlein auf das heftig klopfende Herz. 
Gleich darauf stand der Studiosus in der 
Tür, verneigte sich tief, wie er es von Kind 
auf vor der hohen Frau gelernt hatte, daß 
ihm die langen Strähnen seines Haares ins 
Gesicht fielen. Als er sich wieder ausrichtete 
und seine Haare mit hastiger Bewegung aus 
der Stirn strich, blickte ihn die Herzogin durch 
ihr Glas prüfend und. wie er meinte, strenge 
an. Aber sie dachte: Sieht schmal und bleich 
aus, der Matthias, und die Kost mag in Jena 
nicht zu reichlich gewesen sein. Hat die lange 
Nase seiner Väter und die guten, treuen 
Augen behalten. 
„Setz dich, Matthias", sagte sie und zeigte 
mit dem Büchlein aus einen Stuhl. „Deine 
Verse sind nicht schlecht, aber die Tändeleien 
stehen dir nicht, bist ein Naturkind. Tu trägst 
deine Haare ja auch ungepudert, und kein 
Zopf hängt dir im Nacken. Zwei Gedichte aber 
habe ich mit Freude und Ergriffenheit gele 
sen. Das hast du nicht von andern abgesehen, 
und da spricht dein Herz. Wenn du den Tod 
deines Bruders beklagst und von deinem 
Vater sagst: er ist ein alter, lieber Mann. 
Das ist echt, das bist du, aber die frivolen 
Tändeleien liegen dir nicht, und die wahre 
Liebe kennst du nicht." 
Sie zeigte mit ihrem Kommandostab nach 
dem Bild ihres Gemahls an der Wand: „Der 
da oben kannte sie, war junger Offizier und 
Sohn des Herzogs von Schleswig-Holstein. 
Ich war Hofdame im Hause des Herzogs, 
jung, fröhlich, Tochter des Amtmannes von 
Norburg, ein kleines Fräulein von Aichel 
berg. Da sah er mich im Garten des Schlosses, 
und sein Herz brannte mir entgegen. Ich floh 
vor ihm in das Hans meines Vaters,' er aber 
folgte mir, und unsere Herzen fanden sich, war 
eine heimliche und köstliche Zeit, und doch vol 
ler Angst und Furcht. Als unsere Liebe be 
kannt wurde, hatte ich schwere Tage im Hause 
meines Vaters, und ihn traf der Zorn des 
alten Herzogs. Aber er hielt zu mir und 
blieb treu, bis ich mündig wurde und ein 
Pastor auf Alsen uns bei Nacht und Nebet 
zusammengab. Da begann erst der Kampf, 
denn der König in Kopenhagen blieb starr 
und das Herz des Herzogs verhärtete sich. Hat 
mein lieber Mann schwer darunter gelitten, 
bis er frühe ins Grab sank. Da kämpfte ich 
allein für meine drei Kinder. Aber die Liebe 
ist stark, geht durch Feuer und Wasser und 
bricht Eisen. Ich erreichte es, daß der König 
mich zur Herzogin von Neinfeld erhöhte und 
daß mein Sohn Herzog dieser Lande wurde. 
-■ Was machen wir aber mit dem Studenten 
der Theologie, der solche Gedichte in die Welk 
sandte? Pfarrer wird er kaum werden." 
„Pastor will ich nicht sein", rief Matthias 
Claudius. „Mit Gottes Hilfe, Frau Herzogin, 
ich werde Dichter wie mein Freund Gersten 
berg und der große Klopstock!" 
„Was sie können, kann der kleine Matthias 
von Reinfeld auch", fiel ihm die Herzogin ins 
Wort. „Dichterbrot ist schwer gebacken. Da 
müssen wir schon helfen. Mein Freund, der 
Graf von Holstein, wird einen Sekretarius 
an der schleswig-holsteinischen Kanzlei ge 
brauchen können. Schreibe d-in Geiuch und 
schicke es mir schnell aufs Schloß." Sie legte 
ihre Hand auf ihr Herz. „Ich habe wenig 
Zeit." 
Matthias Claudius war entlassen. — — Als 
er einige Wochen später mit dem Schiff nach 
Kopenhagen segelte, schlief seine Gönnerin 
schon ihren letzten Schlaf in der Schlotzkapelle 
zu Plön, der junge Dichter aber fuhr voller 
Dank dem großen Klopstock und seinem 
Freunde Gerstenberg entgegen. 
August Krieger. 
VL§WZ§ Wcķî. 
Hindenburg, Hitler, Göriug Paten 
in einer Familie. 
Dem Arbeiter Adam Wagner in Pirmasens 
wurde das 10. Kind geboren. Hermann Gö- 
ring übernahm die Ehrenpatenschaft und über 
sandte mit herzlichen Glückwünschen ein Geld 
geschenk. Bei dem 9. Kinde hatte der Führer 
und bei dem 8. der verstorbene Reichspräsident 
die Patenschaft übernommen. Der Fall, daß 
in einer Familie drei hohe Regierungsper 
sönlichkeiten Pate stehen, ist gewiß selten. 
Chemie bekämpft den Nebel. 
Neuartige Versuche zur Bekämpfung des 
Nebels, der sich gerade in dieser Jahreszeit 
unangenehm bemerkbar macht, führtmugen- 
blicklich H. G. Houghton jun. vom Massa- 
suchets Institute of Technology durch. Hough 
ton stellte neun Meter über dem Erdboden 
Spritzen auf, die gesättigte Chlorkalzium-Lö- 
sungen in den Nebel spritzten. Die Affinität 
des Chlorkalziums zu Wasser bewirkte eine 
rasche Verdichtung des Nebels, der sich als 
Regen niederschlug. Hierdurch entstand sofort 
klare Sicht bis auf 600 Meter Entfernung. 
Wegen ihrer außerordentlichen Bedeutung für 
die Sicherheit der See- und Flugschiffahrt sol 
len die bisher erfolgreichen Versuche in 
großem Maßstabe fortgesetzt werden, wobei 
vom Ausspritzen der Chlorkalzium-Lösung 
durch Flugzeuge besondere Wirkung erwartet 
wird. 
Rätselhafte Zahlen. 
Man multipliziere die Zahl 12345679 
mit jeder beliebigen 9sachen Grundziffer, dann 
ergibt sich eine Zahl, die nur auf der betreffen 
den Grundziffer zusammengesetzt ist. Beispiel: 
Die angenommene Grundziffer ist 3, also 9fach 
— 27 12345679 mal 27 — 333333333. 
Geheimnisvolle Epidemie in Japan. 
In der Vorstadt Kawasaki von Yokohama ist 
eine Epidemie ausgebrochen, deren Ursache 
man zwar in einer Infektion des Trinkwas 
sers sucht, aber noch nicht fand. Die mysteriöse 
Krankheit hat bereits den Tod von 80 Kindern 
verursacht. Die Krankenhäuser reichen nicht 
aus für die Aufnahme aller Erkrankten, und 
die Schulen sind wegen der großen Anstek- 
kungsgefahr geschlossen. 
In England werden in jedem Jahre durch 
schnittlich 40 000 Erfindungen beim Patentamt 
zur Begutachtung und eventuellen Patentie 
rung eingereicht. Es steht fest, daß die Zahl 
mit jedem Jahre zunimmt. 
ôļķ Lebrnsrsnran «mir berâhmtrn àŗm. 
Berichtet von Curt C o r r i n t h. 
Copyright by V-rlag Preffe-Tagrsdienst. 
Berlin W. 35. 
(Schluß.) 
Als Flucht und Rettung war es gedacht — 
zur Erfüllung eines ganzen Lebens ist es ge 
worden, dies etite bis heut unvergängliche 
Werk, das Margarete von Kolting inmitten der 
mexikanischen Wüsteneien tapfer und die 
eigene Sendung erfüllend begann und voll 
endete. Wohl kaum ein Deutscher ist, der dies 
erschütternde Werk einer sehnsüchtigen Liebe 
nicht kennt. Die damalige Welt stand wie fas 
ziniert davor — riß sich darum — krönte Mar 
garete mit dem unvergänglichen Lorbeer einer 
Dichlerin und Künderin der Seele. Wir nennen 
den Namen des Werkes nicht, um nicht allzu 
deutlich mit dem Finger zu weisen auf diese 
Frau, deren intimste Herzensgeheimnisse wir 
hier ergriffen ausbreiteten vor der Oeffent- 
lichkcit. Genug gesagt: 
Wie eine Bombe schlug das Werk alsbald 
fern dort drüben in Deutschland ein: Auflage 
folgte auf Auflage: das Buch war für Monate 
das Tagesgespräch der Heimat, wurde in im 
mer neue fremde Sprachen übersetzt — dieser 
Erfolg gehört zu den märchenhaftesten Buch- 
erfolge.i aller Zeiten. — Warum? —: weil 
hier eine edelste Frau wahrhaft und schlicht von 
dem Edelsten unter der Sonne erzählt — von 
dem Herzen und Lieben einer Frau gleich ihr! 
Schicksalswende. 
Ohne Absicht wurde das Buch in die Welt 
hinausgeschickt. Niemand war erstaunter als 
die Verfasserin, als es einen Verleger, als es 
hundert und aberhunderttausend Käufer in 
aücr'Herren Länder fand „., 
— und als es schließlich das Ohr des nach 
dem Kaiser höchsten deutschen Staatsmannes 
fand, der es erschüttert las, dann bei sich er 
innernd erwog —: 
„Kolting — Kolting? Mir ist doch so . . .! — 
Nun, dem Manne solch einer Frau muß ge 
holfen werden!" 
Liest sich die Beförderungslisten kommen und 
die Namen der auswärtigen Diplomaten. 
Merkte sich den Namen Kolting vor. Rief ihn 
und seine Gattin, die Dichterin, von Mexiko 
zurück, auf Urlaub nach Hause und nicht 
lange, da gratulierte er Margarete: 
„Ich habe Ihren Gatten gerade zum Gesand 
ten für Belgrad ernannt. Er hat es längst ver 
dient. Aber er darf sich dafür auch bei Ihrem 
herrlichen Buch bedanken — meine Gnädigste 
- alles für Sie —!" 
Ein Märchen hat sich erfüllt: durch Nacht zum 
Licht! Ein Buch ward Schicksalswende —: denn 
dieser erste europäische Gesandtenposten mußte 
endlich für den Freiherrn Edmund von Kolting 
den Anfang zu einer diplomatischen Karriere 
bedeuten. 
Schnitter Tod. 
Karriere es war zu spät für Edmund von 
Kolting. Allzu lange Hoffnungslosigkeit hatte 
ihn zermürbt. Er vermochte einer schweren 
Erkrankung keinerlei Widerstandskraft mehr 
entgegenzusetzen. Die Paßlitz zwar waren seit 
dem epochemachenden Werk Margaretens be 
siegt - aber der Tod nicht. 
Freilich blieb Edmund von Kolting nicht in 
Belgrad, stieg weiter auf — aber dann wurde 
er heimgeholt in das Land, von dem es keine 
Wiederkehr mehr gibt, weg von der Seite der 
Frau, die seines Lebens große Liebe war, und 
die er segnete, denn trotz aller Widernisse und 
aller vom Haß diktierten Umwege war dies 
Leben gottgesegnet — lebenswert gewesen: 
„Deinetwegen —" 
Es ist sein letztes Wort gewesen, als er das 
Haupt in Margaretens Arm bettete und sanft 
und ohne Krampf entschlummerte . . . 
Der Verlust der Söhne. 
Nun geht cs mit Riesenschritten dem Ende 
zu Nichts mehr bleibt von den Paßlitz und 
ihrer Rache zu erzählen. Margarete hatte sich 
im Werk gefunden und erlöst — und schrieb 
noch manches, wenn es auch, gedichtet vom 
sicheren Port aus, nimmer den Widerhall fand 
wie das eine, einzige Werk, das entstand in 
tiefster Nacht und Not ihres liebend-sehusüch- 
tigen Frauenherzens und gerade kraft ihres 
Herzens, das hinter ihm schlug, eine Welt be 
siegte. 
Ihr Glück waren ihre Kinder, vor allem ihre 
Söhne, die zu stolzen Männern emporzuwach 
sen im Begriff waren, bald des Kaisers Rock 
trugen, des Vaters ragende Gestalt erwarben 
und der Mutter stolze, unverzagte Seele an die 
Welt wagten. Es war nun an der Zeit, die 
Hände zu falten und so rück- und gegcnwarts- 
schauend aufwärts zu beten: 
„. . . ich danke dir — denn es ist dennoch gut 
gewesen und geworden . . ." 
Aber keine Stete des Glücks ist dem Men 
schen yienieden gegeben. Die Schlachtdromme 
ten gellten durch Deutschland, über Europa — 
und die beste Jugend stand aus und zog aus, 
der Heimat Grenzen zu schützen. Bei ihr wa 
ren auch Margarete und Edmund von Kol- 
tings Söhne. Sie brachten die beiden Kreuze 
bald heim in den Urlaub — und dann kehrten 
sie nimmer wieder . . . 
Dieser seltenen Frau ist auch das nicht er 
spart geblieben: beide Söhne kurz nacheinan 
der zu opfern — aus dem Altar des Vater 
landes. 
Und damit hat sich ihr Schicksal erfüllt . . « 
Weisheit des Alters und Heimgang. 
Noch blieb ihr die kurze Spanne einiger 
Jahre auf Erden. Margarete von Kolting hat 
noch den Umsturz gesehen, das Zusammen 
brechen alles Alten, dem, weil abgelebt, kei 
nerlei Wiederkehr mehr bcschieden sei» wird. 
Sie erlebte noch die Inflation und ihre Ueber 
windung. Und auch in dieser Zeit des Chaos 
und des roten Pöbels noch erfüllte sie eine 
Mission, die ihr Glück brachte und ihr Dasein 
als wichtig und schicksalsträchtig bestätigte: 
Ihr Heim ist der letzte „Salon" der Reichs- 
Hauptstadt und Deutschlands gewesen. Hier al 
lein noch war in den Jahren der Barbarei, 
der Bilderstürzerei, der Entgottung ein Tem 
pel der Kultur, der Geselligkeit von Mensch zu 
Mensch, der patriotischen Tradition, der edlen 
Geistigkeit, lenes Fühlens, das nichts mit den 
brutalen Schamlosigkeiten der „Neuen Sach 
lichkeit" zu tun hatte. Hierher pilgerten die 
jungen Menschen, sich Rat zu holen - hier war 
eine Stelle, wo man in seinen seelischen Nöten 
alle Beichtmöglichkeiten hatte und von wo man 
entsühnt und erhoben vondannen ging 
in ihrer weisen Stille war und blieb Marga 
rete von Kolting ein Hort des Geistes und der 
Sitte, der Vaterlandsliebe und des Edeltums 
und erfüllte so bis in ihre letzten Tage eine 
hohe Mission, von der manche Menschenkreife 
heute noch ergriffen flüstern . . . 
Erschüttert von schwerstem Verlust, standen 
viele, als diese deutsche Diplomaten- und Edel 
frau — im vollkommensten und weitgespannte 
sten Sinn des Wortes! — heimging in dem 
Wissen, dort oben nicht nur die Ihren wieder 
zufinden, sondern auch ihren letzten Frieden zu 
machen mit Stephan von Paßlitz, in jenem 
Lande, da man alles weiß und erkennt, alles 
versteht und verzeiht. ..
	        
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