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Heini biß sich auf die Lippen. Seine Gedan
ken arbeiteten fieberhaft.
In der Nacht lagen die meisten Leute im
Unterstand. Sie waren ein wenig nervös ge
worden.
Und dann kam drei Tage später jene Nacht,
in der wir das monotone Klopfen unter uns
hörten, ein Zeichen, daß der Feind seinen
Stollen unter der Erde bis unter unseren
Graben vorgetragen hatte. Was nun folgen
würde, das wußten wir.
Der Leutnant sieht auf seine Uhr.
Sie haben eben mit dem Ausbau unter uns
angefangen. Es kann noch drei bis vier Stun
den dauern, ehe sie unten die Zündschnur fer
tig haben, aber genau abmessen kann das nie
mand.
Der Leutnant meldet an den Stab, daß die
Gefahr im Graben auf das höchste gestiegen
sei. Und der Stab gibt den Befehl: Graben
räumen!
In aller Ordnung ziehen wir uns zurück.
Wo ist Heini? Hat jemand Heini gesehen?
„Ein Mann fehlt, Herr Leutnant!"
„Wer?"
„Der junge Student?"
„Ja, zum Donnerwetter, wo steckt denn der
Kerl? Ist er: etwa im Graben zurückgeblie
ben?"
„Er war schon heute morgen nicht mehr da."
„Vielleicht führt er Krieg auf eigene Faust.
Der Tollkopf mit seinen sonderbaren Ideen
kriegt das fertig. Und hatte er nicht gesagt, er
müßte etwas für seine Kameraden tun?"
Der Leutnant schickt zwei Freiwillige zurück
in den Graben, nach Heini zu suchen. Sie sehen
in jeden Winkel — Heini ist nicht zu finden.
So kehren sie denn ohne Erfolg zurück. Wir
müssen abwarten, was mit Heini geschehen ist.
Unser Beobachter beobachtet den geräumten
Graben. Er will sofort melden, wenn der
Graben durch Sprengung des Feindes zer
stört ist. Das mutz jede Minute geschehen. Auf
merksam, jeder Nerv gespannt, sitzt er auf sei
nem Posten.
Und dann kommt alles ganz anders.
Nicht unser geräumter Graben geht hoch,
sondern der Graben des Feindes. Mit dieser
Möglichkeit hat keiner von uns gerechnet. Da
muß doch jemand von den unseren in den
Sprengstollen gekommen sein?
Heini?
Herrgott, der Junge wußte ja nicht, daß der
Graben geräumt werden sollte. Und da hat er
sicher daran gedacht, seine Kameraden zu
retten.
Erst viel später kamen wir z« der Wahrheit,
als der Stab den Vorteil, der durch die ver
änderten Verhältnisse gegeben war, wahr
nahm und die deutschen Linien über den zer
störten feindlichen Graben vortrug.
Da fanden wir Heinis Erkennungsmarke.
Mehr war von ihm nicht übrig geblieben.
Aber wir konnten uns denken, wie alles ge
kommen war. Heini war in der Nacht mit
Grabewerkzeugen losgegangen und hatte den
feindlichen Stollen angegraben. Er war ein
schlanker Bursche, und so mußte es ihm ge
lungen sein, in den Stollen einzudringen. Er
hatte dann das Sprengmaterial, das schon mit
einer Zündschnur verbunden war, aufgenom
men und zurückgeschleppt, bis er es unter dem
feindlichen Graben hatte. Das war ein Unter
fangen, zu dem neben heldischem Mut auch
ungeheures Glück gehörte. Man hatte ihn in
dem Stollen nicht abgefangen. Wahrscheinlich
erwartete der Feind jeden Augenblick die Er-
plosion und lag bereits außerhalb des Stol
lens in Deckung, um die Wirkung abzuwarten.
Keiner hatte Heinis Wirken bemerkt, und die
Verwirrung beim Feinde, als der eigene Gra
ben hochging, muß ungeheuer gewesen sein.
Wir begruben die feindliche Grabenbesat
zung.. Und dann fragte einer nach der Adresse
der Angehörigen Heinis. Keiner wußte sie.
Aber just an diesem Morgen war ein Brief
an Heini angekommen.
Er kam von seiner Mutter und lautete:
„Mein lieber Junge! Ich schreibe Dir heute,
weil wir in den nächsten Tagen die Erinne
rung an jenen Tag begehen, an dem unser
Heiland das Kreuz auf sich nahm, um die Welt
zu erretten. Er gab sein heiliges Blut für das
Leben der Welt hin.
An diesem Tage sollst Du einige Minuten des
Gedenkens haben an diese große Tat und sollst
immer eingedenk sein Seines Opfers für Dich
und die Menschheit!"
Essen an. Die Kinder meldeten sich bei ihren
Taufpaten, um ihr Osterei einzufordern, weil
jedoch mit diesem Brauch mitunter Unfug ge
trieben wurde, schaffte man ihn verschiedent
lich ab und verbot ihn bei Strafe.
Stille Woche irr Spiel und Brauch.
Don H. W. Ludwig.
Zu den Zeiten unserer Vorfahren, der alten
Germanen, schlang sich ein Kranz heidnischer
wrtten um das Frühlingsfest, das der Göttin
Ostara geweiht war. Während einige Forscher
der Sprachwissenschaft den Namen dieser angel
sächsischen Göttin mit der Bezeichnung
„Ostern" in Verbindung bringen wollen, er
klären andere Gelehrte die Ableitung von dem
altdeutschen Wort „Ursten" als richtig, was so
viel heißt wie Auferstehung. In den noch heute
üblichen christlichen Gebräuchen der Osterzeit
läßt sich vielfach der heidnische Ursprung erken
nen, ja, es gibt sogar eine ganze Reihe volks
tümlicher Sitten, die unverfälschten heidnischen
Aberglauben verraten. Ein erheblicher Teil
der Ostcrbräuche, die früher allgemein üblich
waren, ist jedoch fast völlig verschwunden, von
ihnen legen nur noch alte Abbildungen und
Aufzeichnungen der Chronisten Zeugnis ab.
Palmsonntag: In den vergangenen Jahr-
lunderten wurden an dem letzten Fajtensvnn-
tag, dem Sonntag vor Ostern, in der Kirche
Palmenzweige geweiht, die bei der Prozession
zur Erinnerung an den feierlichen Einzug
Christi in Jerusalem Verwendung fanden. Bei
diesem Umzug, der unter dem Namen „Palm
eselprozession" bekannt war, führte man das
Tier, das den Heiland trug, mit herum, beglei
tet von Kindern, die Palmenzweige in der
Hand hielten. Der Palmesel wurde häufig durch
eine holzgeschnitzte Figur dargestellt, die auf
einem Brett mit Rädern gezogen wurde. In
manchen Orten erlaubte man auch den Kin
dern, auf dem Palmesel zu reiten, weil der
Aberglaube herrschte, daß sie durch diesen liiitt
vor Krankheit behütet würden. In Augsburg
schenkte man den Kleinen zur Erinnerung an
das Palmfest Eselsfiguren aus Holz. Ein be
sonders eigentümlicher Brauch hatte sich in
Aalen in Württenrberg eingebürgert: Dort
schickte man die Kinder zu den Gräbern der
Verwandten und beschenkte sie mit Leckerbissen,
indem man ihnen sagte, die Süßigkeiten seien
von den Verstorbenen für sie aus dem Grabe
herausgereicht worden.
Charwoche: Mit diesem Namen wird die
Woche vor dem Osterfest bezeichnet, er rührt
von dem altdeutschen Wort chara — Trauer,
Klage her. Die Sachsen-Weymarsche Kirchen
ordnung vom Jahre 1548 schrieb vor, daß zur
Osterzeit kein Gericht gehalten werden dürfte,
aber auch keine öffentliche Hochzeit erlaubt sei.
In einem anderen Werk aus jener Zeit lesen
wir: „Es werden in dieser Festzeit die Ge
fängnisse geöffnet und die Gefangenen, die
nicht grober Missetaten wegen gefangen sitzen,
freigelassen, damit sie an der Freude des Oster
festes teilnehmen mögen. An denjenigen aber,
oie wegen schwerer Verbrechen gefangen blei
ben, darf keine Exekution vorgenommen wer
den. Zugleich ist es auch verboten, in solcher
Zeit öffentliche Schauspiele abzuhalten, damit
das Fest nicht entheiligt werde."
Gründonnerstag: Er war von der Kirche
dem Gedächtnis der Einsetzung des heiligen
Abendmahles gewidmet. Im Mittelpunkt der
Feierlichkeiten stand die fromme Sitte der Fuß
waschung und Speisung von zwölf Armen. In
England herrschte seit alter Zeit der Brauch,
daß an diesem sogenannten „Korbdonnerstag"
immer soviele arme Männer und Frauen, wie
der König oder die Königin Jahre zählte, in
der königlichen Kapelle in Whitehall mit Fi
schen, Rinderbraten, Brot und Bier beschenkt
wurden. — In Antwerpen stellte man im
Hospiz des heiligen Julian am Gründonners
tag eine reichgeschmückte Tafel mit den fein
sten Eßwaren und den teuersten Getränken
auf, zu der am Zlbend zwölf Arme, die in Rom,
Loretto oder im heiligen Lande gewesen waren,
geladen wurden. Die Eingeladenen erschienen
hierzu in der gleichen Pilgertracht, die sie beim
Besuch der frommen Stätten getragen hatten.
— In Deutschland begann noch im 18. Jahr
hundert am Gründonnerstag der Verkauf der
Ostereier. In den Kirchen wurden die gefärb
ten Eier körbeweise geweiht. Danach türmte
man die Eier zu Hause in einer Schüssel zu
Pyramiden auf, ließ sie auf der mit Blumen ge
schmückten Tafel die ganze Woche über stehen
und bot jedem Besucher davon ein Ei zum
Charfreitag: Schon im 4. Jahrhundert war
der „gute Freitag" der größte Buh- und Fast
tag des ganzen Jahres, den man, ohne selbst
Brot und Wasser zu sich zu nehmen, in Andacht
und Gebet verbrachte. Im Mittelalter wurden
an diesem Tage an vielen Orten in den Kir
chen und aus den Friedhöfen die Leiden Christi
dargestellt. Bon den alten Passionsspielen hat
sich nur die Oberammergauer Passion, die 1634
auf Grund eines alten Gelübdes aus der Pest
zeit zum ersten Male aufgeführt wurde, bis in
unsere Tage erhalten. Der Urtext des Lber-
ammergauer Spieles war in Knittelversen ab
gefaßt und enthielt außer der Leidensgeschichte
auch noch Zwischenspiele von zum Teil sehr
drastisch-komischer Wirkung. In keinem der
mittelalterlichen Kirchenspiele, die von den
Ortsbewohnern aufgeführt wurden, durfte die
Figur des Teufels fehlen, der mit seinem Hof
staat darauf ausging, die Menschheit zu ver
derben. Heute ist es uns kaum mehr verständ
lich, wenn sich in den Osterspielen selbst die
Geistlichen die größte Mühe geben, die Zu
schauer zwischendurch durch alle möglichen Pos
sen zu erheitern. Das einst aber so allgemein
übliche „Ostergelächter" gehörte eben zum Ge
schmack der Zeit, und wir dürfen uns deshalb
nicht darüber wundern. Das Oberammergauer
Passionsspiel wurde nach einem Verbot im
Jahre 1780 nur unter der Bedingung wieder
erlaubt, daß alles Anstößige daraus ver
schwand.
Osterfest: Am ersten Osterfeiertag brachte
man früher bestimmte Speisen wie Kuchen,
Fleisch, Brot und Eier in die Kirche, um sie
weihen zu lassen. Die Körbe, in denen sich die
Speisen befanden, wurden mit schneeweißen
Tüchern bedeckt. Kaum war der Weiheakt durch
den Priester vollzogen worden, so eilte jeder
nach Hause, denn hier erwarteten die Daheim
gebliebenen bereits sehnlichst „das Geweihte",
da.s sie nach der langen Fastenzeit als erste
Speise zu sich nahmen. Die Eier wurden vor
der Weihe besonders vorbereitet, indem man
die Spitze der Eierschalen vorsichtig entfernte,
in dem Glauben, daß dadurch die Kraft des
Segens tiefer eindringen könne. Als besonde
res Ostergebück galt der Osterfladen, der aus
Mehl, Milch, Eiern und Butter hergestellt
wurde und reich mit Rosinen und Gewürzen
versehen war. Mit den Ostereiern schenkte der
Taufpate seinen Patenkindern vielfach auch
ein Gebäck in Hasengestalt zum Zeichen dafür,
daß dieses Tier die Eier gebracht Habe. Eine
recht merkwürdige Art, Kinder und Erwach
sene „eindringlich" an die Auferstehung des
Herrn zu erinnern, war die Sitte des „Schmeck
ostern". Zu diesem Zweck machten sich die Kna
ben kleine Peitschen aus abgeschälten Weiden
ruten, durchflochten sie mit bunten Läppchen,
und schlugen damit jeden, dem sie begegneten,
wofür sie mit Gaben bedacht wurden.
/ Ņoman von Hedda Lindner.
Copyright by Carl Duncker Verlag, Berlin W 62.
21) Nachdruck verboten.
Gladys wurde rot und ärgerte sich, daß sie
rot wurde. „Ach, Maud, rede nicht solchen Un
sinn!"
„Unsinn? Wenn eine Frau so plötzlich Wert
auf ihr Aussehen legt, rst sie verliebt, erzähl'
mir doch keine Geschichten: aber ich respektiere
dein Herzensgeheimnis und werde erst einmal
mit dir zu Monsieur Jean gehen."
„Möchtest du mir verraten, wer Monsieur
Jean ist?"
„Daß du noch nicht einmal diesen Namen
kennst, ist ein betrüblicher Bildungsmangel,
mein Herz. Monsieur Jean, der Meister aller
Frisöre, der Inhaber des besten Schönheits
salons der Welt, der macht noch aus jeder Vo
gelscheuche eine Venus. Und du bist nicht ein
mal eine Vogelscheuche", fügte sie gnädig hin
zu und lächelte.
„Herzlichen Dank für das Kompliment. Also,
aus zu Monsieur Jean."
Maud hatte nicht zu viel gesagt, das gab
Gladys ehrlich zu, als sie nach einigen Stun
den ihr Spiegelbild betrachtete.
Es waren allerdings sehr anstrengende
Stunden gewesen. Monsieur Jean hatte sie
eingehend gemustert, dann aber wohlwollend
und aufmunternd genickt: „Oh, Madame war
ein gutes Material, es würde etwas aus ihr
zu machen sein."
Und es wurde etwas gemacht. Das schwere
dunkelbraune, aber stumpf und strähnig wir
kende Haar, das in einem lieblosen Knoten am
Hinterkopf festgedreht war, wurde rücksichts
los abgeschnitten und mit Packungen und
Essenzen behandelt, bis es einen tiefen, wei
chen Glanz mit einem leuchtenden Kupfer
schimmer bekam. „Eine sehr aparte Farbe hat
Madame", meinte der Gebieter, über weibliche
Schönheit befriedigt, „aber wir werden all
mählich den Bronzeton noch mehr herausar
beiten." Dann wurde das neuverwandelte
Haar in ein Tuch gewickelk und nun das Ge
sicht vorgenommen. „Madame hat „ein schö
nes Oval", hieß es anerkennend „aber die
hohe Stirne und die dichten Augenbrauen las
sen das Gesicht zu streng erscheinen", und für
die Haut, die ihm nicht gepflegt genug war, be
kam Madame ein Gestchtsdampfbaö mit Mas
sage, ein Büchschen mit einer wundervoll duf
tenden Creme und den strengen Befehl, sich
jeden Abend das Gesicht damit einzureiben.
Dann wurden die Augenbrauen ausrasiert,
bis an Stelle der breiten, buschigen ganz
schmale zartgeschwungene Bogen wölbten, die
tatsächlich erst richtig erkennen ließen, welch
ausdrucksvoll große Augen von den dichten
Brauen verdeckt gewesen waren. Und zum
Schluß wurde das Haar in ganz lockeren, duf
tigen Wellen in die hohe Stirn gelegt, und
das gab dem schmalen Gesicht einen so verän
derten Ausdruck, daß selbst Maud immer wie
der erstaunt ihre Kusine ansah. Nun noch ein
Tupfer Rot auf die Lippen, nicht zu viel, „das
hat Madame nicht nötig", ein Hauch Farbe von
den Backenknochen aus zu den Schläfen matt
verlaufend, und Monsieur Jean erklärte mit
der Befriedigung des Künstlers, dem ein aus
gezeichnetes Werk gelungen ist: „Bitte sehr,
Madame."
Gladys starrt immer wieder überrascht und
ungläubig ihr Spiegelbild an. Ist sie das
wirklich, diese rassige, aparte Frau — sie schüt
telt zweifelnd den Kopf, aber ihr Gegenüber
im Spiegel macht die Bewegung mit — schließ
lich streckt sie sich mit einer halb kindlichen,
halb trotzigen Gebärde die Zunge heraus, das
selbe tut die Frau im Spiegel — tatsächlich, sie
muß es glauben, das ist sie, ganz wahrhaftig,
das ist sie!
Die nächsten Sitzungen werden festgelegt,
auch Conchita soll kommen, und in der richti
gen Haar- und Gesichtspflege unterwiesen
werden. Das tat man sonst natürlich nicht, mit
der Ausbildung des Personals gab man sich
nicht ab, aber einer solchen Kundin gegenüber
machte man doch einmal eine Ausnahme.
„Uff", sagte Maud, die sich inzwischen na
türlich auch einer gründlichen Behandlung
unterzogen hatte. „Ich bin jetzt ziemlich er
ledigt, das mutz ich sagen. Erst mitten in der
Nacht aufgestanden". — „Wir standen in La
Paz um sechs auf", warf Gladys ungerührt
ein. — „Dafür liegt ihr nachher den ganzen
Tag im Liegestuhl, bis die Sonne wegging,
während wir doch heute schon schwer gearbei
tet haben. Wir haben eine neue Frau aus dir
gemacht, ist das etwa nichts?"
„Gewiß, aber die neue Frau ist noch nicht
vollständig. Es fehlt ihr vor allem die entspre
chende Gewandung, du wolltest doch mit mir
zu deinem Schneider . .."
„Allmächtiger", stöhnte Maud entsetzt, „und
das alles schon am ersten Tage! Ich sage ja,
ihr Leute vom Lande seid nicht tot zu kriegen,
wenn ihr mal in die Stadt kommt."
Gladys blieb unerschüttert. „Ich habe nicht
einen Tag zu verlieren", sagte sie mit einem
Ernst, der sich seltsam von dem vorhergehen
den heiteren Ton unteschieö, „nicht einen
Tag", wiederholte sie nochmals und biß die
Zähne zusammen. Maud sah sie von der Seite
an. Merkwürdig, wenn sie dies Gesicht machte,
glich sie ganz überraschend ihrem Vater, und
dabei war eigentlich sonst gar keine Aehnlich-
keit zwischen ihnen.
„Na, schön, aber eine Erholungspause wirst
du schon bewilligen müssen: ich schlage vor,
wir frühstücken erst mal, und dann kann es in
Gottes Namen weitergehen."
In den großen Schneiderateliers war Maud
Grogan eine bekannte und ihrem Scheckbuch
entsprechend geschätzte Erscheinung: so wurde
auch hier Monsieur Leblanc sofort von dem
Erscheinen der wichtigen Kundin unterrichtet
und erschien persönlich, um mit der Grazie
und Gewandtheit des vollendeten Kavatiers
Madame nach ihren Wünschen zu fragen.
Maud erklärte ihm die Sachlage, darauf roll
ten zwei riesengroße bequeme Klubsessel
heran, ein Page brachte eine Platte mit Er
frischungen, und dann ging es los.
Vormittagskleider, Nachmittagskleider, Pel
ze, Abendmäntel, Hausanzüge, Abendtoiletten
— fast ununterbrochen zogen die Mannequins
mit ihrem starren Lächeln vorbei, drehten sich
vor den beiden Damen ein paarmal hin und
her und verschwanden dann auf einen kurzen
Wink der Directrice. Gladys wirbelte der
Kopf. „Laß uns bloß aufhören, mir wird schon
ganz schwindlig", bat sie erschöpft. „Nie im
Leben finde ich mich da zurecht."
„Das lernt sich, und rascher als du denkst",
sagte Maud gleichmütig, „aber du hast recht,
für den ersten Tag ist es wirklich genug. Das
heißt, ein paar Sachen mußt du doch noch
überziehen." Sie hatte mit sicherm Blick ihre
Wahl getroffen, denn sie hatte tatsächlich einen
guten Geschmack.
„Das Vormittagskleid aus grstnem Woll-
crepp mit dem gleichfarbigen Mantel, das
braune Tuchkostüm mit Biberbesatz, das
schwarze Velours Chiffon mit den Weißfüch
sen, das rote Tanzkleid und — warten Sie —
ja, den gelben Abenöpyjama in die Kabine",
befahl sie.
„Ich, ich möchte gern ein weißes Kleid", sag
te Gladys fast schüchtern mit unmotiviertem
Erröten.
„Aber selbstverständlich", stimmte Monsieur
Leblanc bereitwillig zu, „Mademoiselle, das
weiße Tüllmodell mit Hermelinjäckchen sofort
aus dem Atelier in den Probiersalon."
Zum zweiten Male an diesem Tage steht
Gladys in fassungslosem Staunen ihrem Spie
gelbild gegenüber. In weichem Fall rieselt der
flammendrote Chiffon an ihr hernieder, bei
jeder Bewegung sprühen kleine Goldfunken
aus der kostbaren Stickerei. Es ist unerhört,
dieses Kleid, und es ist, als ob man mit seiner
raffinierten Eleganz gleichzeitig etwas ganz
Zteues, Unbekanntes in sich aufgenommen
hätte, etwas, das plötzlich ins Blut geht wie
ein Fieber und Müdigkeit und Abspannung
und alles vergessen läßt. Zum ersten Male in
ihrem Leben lernt Gladys das Gefühl ken
nen, das für jede normale Frau mit zu den
Höhepunkten des Daseins gehört, die „Freude
an sich selbst". Und schon versteht sie nicht
mehr, daß sie bis jetzt so gleichgültig auf die
ses köstliche Gefühl verzichtet hat.
Monsieur und sein Stab stehen bewundernd
um sie herum. „Die Figur von Madame —
wunderbar — einen so ebenmäßigen Wuchs
findet man selten" — die Anerkennung klingt
sehr viel wärmer, als es das Geschäftsinter
esse erfordert — „es wird ein Vergnügen
sein, für Madame zu arbeiten. Bitte, was dür
fen wir noch notieren?"
(Fortsetzung folgt.)
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schäumend,
ganz wundervoll
im Geschmack.
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