Lanbeszeitung
Freitag, den 23. März 1934.
127. Jahrgang / Nr. 70 / Zweites Blatt.
Monate Gefängnis eingebracht hatte. Ihm
paßt der neue Strafvollzug nicht und er ver-
sicherte, sich in Zukunft auf besseren Bahnen
zu bewegen, man sollte ihm nur eine allerletzte
Chance geben. Und man gab sie ihm. Der bit
tere Kelch der Sicherungsverwahrung _ ging
noch einmal an ihm vorüber und er muß nun
beweisen, daß er es verdient hat.
Der 37 Jahre alte Fritz Kup hat eine typi
sche Berbrecherphysognomie. Sein Strafregister
weist nicht weniger als vierzehn Vorstrafen
auf. Er stahl einfach alles, was er erwischen
konnte und wenn es Türklinken waren, die er
abschraubte! Raffiniert ausgeklügelte Banden
diebstähle gehörten zu seinen Spezialitäten.
Augenblicklich verbüßt er 5 Jahre Zuchthaus
wegen 16 Diebstählen. Fürsorge, Rauhes
Haus, Gefängnis, Zuchthaus, nichts konnte ihn
auf bessere Bahnen bringen. Da kann es nie
mand verantworten, ihn wieder — wenn auch
erst im März 1937 — auf die Menschheit los
zulassen, und so wurde über ihn die zeitlich
unbegrenzte Sicherungsverwahrung verhängt.
Eine mißglückte Köpenickiade.
Da lebt in Kiel ein junger Mann, der gern
etwas Besonderes vorstellen möchte. Der um
gab sich mit dem Fludium, „z. b. V." zu sein,
d. h. eine besondere Kanone der politischen
Polizei. Damit beeindruckte er einen harm
losen, echten und geradlinigen jungen Mann,
der das Unglück hatte, ein Motorrad zu besit
zen. Diesem „befahl" er, ihn nach Rendsburg
zu fahren, weil er dort den Aufenthaltsort ei
ner „berüchtigten Kommunistin" ausfindig
machen müsse. Diese „Kommunistin" war Kla
vierspielerin in einer Wirtschaft u. Christians
Freundin. Also: Man fuhr nach Rendsburg,
fand die Komponistin bzw. Kommunistin nicht
und suchte sie in einem anderen Lokal, wo man
sie fand. Die Suche hatte aber schon etliche
Grogs gekostet. Das konnte Christians Freun
din nicht leiden und zeigte ihm daher die kalte
Schulter. Na schön — „z. b. V." ging es weiter
nach ein Uhr, dorthin, wo es die ganze Nacht
offen ist und Flaschenbier gibt. Christian ent
rüstete sich über die hohen Preise. Er gab kund,
daß er von der „politischen Polizei" sei und
den Laden dicht machen ließe, wenn... Na
ja, man war froh, ihn los zu sein und ließ
ihn, ohne zu bezahlen, laufen. So ähnlich ging
es noch in zwei anderen, gleichen Lokalen. Im
anderen allerdings — j. w. d. (jang weit drau
ßen, wie der Berliner sagt), wurde das anders.
Da rief man die Polizei an. Christian der
Starke jedoch nahm der „Madame" den Hörer
aus der Hand, schlug ihn ihr um den Kopf und
rief in den Fernsprecher hinein: „Hier politi
sche Polizei Kiel. Ihr Rendsburger schlaft
wohl? In fünf Minuten bin ich mit dem
Dienstwagen bei euch!" Das war nicht so ernst
gemeint, denn man war froh, daß man auf
diese Weise die Polizei vom Halse hatte. Doch
leider war die wach und kam an, wo Christian
und Helmut mit Kompression abdampften.
Aber man hatte sie. Nun standen beide vor
dem Richter. „Stehen Sie auf," sagte der Rich
ter zu Helmut, der in der Anklagebank ver
schwunden war. „Ich stehe doch," kam es bei
nahe schamhaft, aber wahrheitsgemäß, zurück.
Die Beweisaufnahme ergab ein geschlossenes
Bild. Das Wesentliche hatte Christian schon
eingestanden. Helmut dagegen fühlte sich voll
kommen unschuldig und er war es auch. Sein
Verteidiger machte nicht aus Weiß Schwarz,
sondern stellte sich auf den Boden der in diesem
Falle recht alkoholschivangeren Tatsachen, be
schönigte nichts, verbarg auch nichts. So kam
es, daß Helmut jder Kleine) — mit vollem
Recht — freigesprochen wurde, während Chri
stian (der Große) seine Amtsanmaßung und
Erpressung mit sechs Monaten Gefängnis bü
ßen muß. Allseitig wurde auf Rechtsmittel
verzichtet und so sind die Urteile rechtskräftig.
* Hohes Alter. Am 23. März vollendet die
Witwe Catharina Kühl, Meynstratze 23, ihr
91. Lebensjahr in voller Frische und Rüstig
keit. Sie ist eine alte, treue Leserin unserer
Landeszeitung.
* Bestandene Prüfung. An dem Preußischen
Versuchs- und Forschungsinstitut für Milch
wirtschaft in Kiel bestand am 21. März vor
der staatlichen Prüfungskommission die
frühere Schülerin des hiesigen Lyzeums, Frl.
Agnes Timm aus Büdelsdorf, die Prüfung
als milchwirtschaftlich-technische Assistentin mit
dem Prädikat „Sehr gut".
* Die Geschichte der Freikorps soll geschrie
ben werden. Vizeadmiral a. D. Loewenfeld,
der Führer des Freikorps Loewenfeld, richtet
einen Aufruf an seine alten Kameraden, in
welchem er erklärt, daß alle Freikorps sich zu
sammenschließen, um die Toten zu ehren und
als Beispiel für zukünftige Geschlechter Ta
ten und Geist der freiwilligen Aufopferung
zu verewigen. Alle Freikorpskameraden wer
den gebeten, diesen Aufruf zu verbreiten und
ihre Anschriften an Hauptmann v. Bose, Stutt
gart, Seestraße 43, part., zu geben. Für die
Geschichte der Freikorps sollen an die gleiche
Anschrift Notizen, kurz oder lang, über dama
lige Vorkommnisse gesandt werden, an die sich
die Kameraden erinnern, gleichgültig ob
Kämpfe, Einmärsche, Quartiere, schwierige
Lagen, Ausbildung von Freiwilligen u. a. m.
Nur auf diese Weise ist es möglich, oaß die
Geschichte der Freikorps geschrieben werden
kann. Für die Drucklegung des Buches wird
ein Fonds gesammelt. Beiträge sind auf das
Konto des Vizeadmirals von Loewenfeld bei
der Böningbank, Charlottenburg 2, einzu
zahlen.
Fast unbemerkt ging gestern abend ein grö
ßeres musikalisches Ereignis vor sich. Die
Matthäus-Passion von Heinrich Schütz, den
Man mit Recht den größten Meister des 17.
Jahrhunderts nennt, gelangte in der St. Ma
rienkirche unter der musikalischen Leitung von
î Organist Werner Sprung zur Auffüh
rung. Mag es sich um Mißverständnisse bei der
technischen Durchführung des Konzerts han
deln, mag die erst kürzlich erfolgte Neueintei
lung der musikalischen Arbeit in Rendsburg
mitsprechen, bedauerlich bleibt es, daß die Auf
führung dieses bedeutsamen Werkes vor so
wenig Hörern erfolgen mußte. Mancher Rends
burger Musikfreund wird erst heute verneh
men, welche Gelegenheit, das Werk eines großen
Meisters zu hören, er hat vorübergehen lassen,
weil die Aufklärung durch Vorankündigung
nicht genügend und nicht rechtzeitig erfolgt ist.
Nicht, weil wir nun so kritisch begonnen,
wollen wir in der Kritik fortfahren, sondern
nur, um bei einer zweiten Aufführung Män
gel beseitigen zu helfen. Denn eine zweite
Aufführung würde nicht nur im Interesse der
Musikliebhaber unserer Stadt, sondern auch
in dem des Chores wünschenswert sein, der
seine aufgewandte Mühe durch den geringen
Besuch schlecht belohnt sah. Tie Aufführung
litt etwas darunter, daß Harald Hansen-
Kiel den Evangelisten nicht frisch genug und
nicht dramatisch gestaltete, wozu er vom Kom
ponisten aus die Möglichkeit hatte. Diese in
der Passion bedeutendste Rolle des Evange
listen, der voller Mitempfinden mit den Lei
den Christi ist, soll Herzen packen, sie aus
schließen und mitschwingen lassen in dem Leid,
das Christus so hart betroffen. Weit besser wa
ren gegenüber dem Evangelisten die Damen
ttud Herren des Kantatenchores, die die klei
nerer Solopartien ausführten. Stimmlich und
I auch in der Art der Ausführung haben sie
( gute Leistungen vollbracht. Auch der zweite
' Gast Robert Kleinecke -Hamburg, der
den Jesus wiedergab, darf nur lobend er
wähnt werden. Seine volle Baritonstimme
klang ernst, trauernd und erweckte Mitgefühl
* Der Rendsbnrger Angelsport - Verein
„Petri-Heil" im RDS. hat am vergangenen
Sonntag 1800 Bachforellen in die von ihm
gepachtete Wehrau eingesetzt. Die Bachforellen
stammen aus der bekannten Forellenzucht-
anstalt Hartmann-Sarlhusen. Der Angelsport-
Verein „Petri-Heil" beweist damit, daß es ihm
wirklich ernst damit ist, den Fischbestand in
den hiesigen Gewässern zu heben und wird
im Verfolg seiner Bestrebungen noch im Laufe
dieses Monats weitere bedeutende Aussätze
von Karpfen, Schleien und Hechten in der
Wehrau vornehmen. Er richtet auch an dieser
Stelle die nochmalige Bitte an alle Natur
freunde und Jäger, ihn in seinen Bestrebun
gen der Hege und Pflege des Fischbestandes
zu unterstützen und Fischräuber unnachsichtig
zur Bestrafung anzuzeigen.
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Unter dem Vorsitz von Amtsgerichtsrat Dr.
Fielitz tagte gestern das Schöffengericht in,
Kiel, von 10—16 Uhr in der Strafanstalt und
anschließend im hiesigen Amtsgerichtsgebäude
bis 18 Uhr. Die Anklagten vertrat Staatsan
walt Dr. Dohrmann.
Fünf schwervorbestraftc Zuchthäusler Hatten
sich gestern vor dem Schöffengericht zu verant
worten, ob sie ihre Freiheit in kurzer Zeit
wiederbekommen sollen oder ob über sie die
Sicherungsverwahrung, d. h. die Internie
rung auf unbestimmte Zeit, ausgesprochen
werden muß, weil man es nicht verantworten
kann, sie wieder auf die deutschen Volksgenos
sen loszulassen.
Der im Jahre 1899 geborene Paul Vogel
wurde seit 1918 nicht weniger als acht Mal
wegen Eigentumsvergehen bestraft. Straf
aussetzung und Bewährungsfrist wegen seiner
ersten Strafen fruchteten nichts, auch nicht die
zwei Jahre Zuchthaus wegen Rückfalldieb
stahls im Jahre 1928. 1932 erhielt er wegen
desselben Verbrechens wiederum zwei Jahre
Zuchthaus, die er am 28. 4. verbüßt hat. Seine
Eltern sind brave Leute und auch seine andere
Verwandtschaft unbestraft. Vogel war im
Felde und hat sich das E. K. verdient. Seine
Beziehungen zur Außenwelt lassen die Mög
lichkeit erscheinen, daß er sich auf bessere Bah
nen begibt. Diese leise, aber doch wahrschein
liche Möglichkeit veranlaßten das Gericht, den
Antrag auf Sicherungsverwahrung abzuleh
nen und Vogel in allernächster Zeit die Frei
heit wiederzugeben. Er ist gewarnt und weiß,
was ihm blüht, wenn er das allerletzte in ihn
gesetzte Vertrauen bricht.
August Wiese, geb. mt Jahre 1894, ist seit
dem Jahre 1925 nicht weniger als sünfzehn-
mal wegeil Diebstahls vorbestraft. Bisweilen
sind viele Diebstähle in einer Strafe vereinigt.
In fast allen Verfahren hatte er hartnäckig ge-
hauskleidung passen, ist der Schneider und
Kellner Heinrich Ströh, der, jetzt 64 Jahre alt,
in seiner Jugend im Kaiserlichen Nachtklub
„Majestäten" bediente. Nicht weniger als über
dreißig Jahre saß er hinter Gefängnis- oder
Zuchthausmauern. Diebstahl über Diebstahl
hatte er ausgeführt, und auch wegen Kuppelei
und widernatürlicher Unzucht ist er vorbe
straft. „Frikadellenhein" nennen ihn seine
Mitgefangenen, ihn, den alten und unverbes
serlichen, aber auch ungebeugten Verbrecher.
Am 23. 4. wäre seine Zuchthausstrafe beendet
und er wollte nach Rickling, um dort seine „Er
findung", ein Fischfanggerät, auszuwerten.
„Er fischt im Trüben," sagte richtig der
Staatsanwalt, der die Verantwortung nicht
übernehmen wollte, den alten und noch so ak
tiven Sünder auf deutsche Volksgenossen los
zulassen. Das Gericht war derselben Meinung.
So wird denn der alte und unverbesserliche
Sünder mit den Gentlemanmanieren seine
Tage dort beschließen können, wo die Türen
keine Klinken haben.
Mit elf Jahren begann der jetzt 37jährige
Ernst Pepel seine Verbrecherlaufbahn mit
schwerem Diebstahl und sitzt augenblicklich
seine 13. Strafe mit vier Jahren Zuchthaus
ab. Auch beim Militär hat er sich des Kamera-
dendiebftahls schuldig gemacht, der ihm sechs
Sande
ne'
heuen Schuhe
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