Unser treuer Roman:
Gla-^S Steg um -ie golöcnc Schleife.
Roman von Heööa Lindner.
Copyright by Carl Duncker Verlag, Berlin W. 62
1) Nachdruck verboten.
„Achtung, Achtung, Nummer 9 und 16
stechen um den ersten Preis", brüllt der Laut
sprecher. Ein Murmeln antwortet aus der
Menge, verstummt aber sofort, als Nr. 9 in
der Bahn erscheint. Nr. 9 ist der belgische Ka
pitän Dumoulin, und wer etwas von Pferden
versteht — und das sind in der bis auf den
letzten Platz gefüllten Reithalle am Kaiser
damm weitaus die meisten —, der weiß schon
seit Beginn des „Internationalen Jagdsprin
gens", daß die Entscheidung um den Preis des
Reichspräsidenten nur zwischen dem belgischen
Champion, von dessen Siegeslauf der letzten
beiden Jahre die Welt spricht, und dem deut
schen Gutsbesitzer, Pferdezüchter und Sports
mann Stephan von Thüngern liegen kann.
Der Ire des Kapitäns mit der breiten Brust
und dem gedrungenen Körperbau seiner Rasse
wird von seinen stählernen Fesseln wie ein
Ball über das Hindernis geschleudert. Beifall,
der rasch erstirbt, denn schon fegt Thüngern
heran. Sein Pferd ist äußerlich von dem Kon
kurrenten grundverschieden. Eine schmale,
nicht sehr hohe Fuchsstute, augenscheinlich ner
vös durch die vielen Menschen, aber immer
wieder willig unter der Hand des Reiters an
die Hindernisse herangehend. „Goldlilie" von
„Wilbur aus der Sonnenblume" steht auf dem
Programm.
Auch P)oldlilie springt fehlerlos, wieder
wird die Stange erhöht, wieder saust der Ire
wie ein Gummiball hinüber, wieder schnellt
die Fuchsstute wie ein Pfeil hinterher. Die
Stange wird nochmals höher gelegt, durch das
Publikum geht bei dieser Erhöhung ein auf
geregtes Rauschen, zwei Meter in dieser Halle,
die nur begrenzten Anlauf gestattet — das
heißt das Schicksal versuchen. Einige empfind
same Gemüter sehen weg, alle aber hüllen
unwillkürlich den Atem an, es ist so still in
dem Riesenraum, daß man das Schnauben des
Iren bis in -ie obersten Ränge hört. Noch drei
Sätze — noch zwei — jetzt — das Pferd hebt
sich, springt, da — ein unterdrückter Aufschrei,
die Hinterhand hat die Stange gestreift, pol
ternd gibt sie nach. Trotzdem war es ein herr
licher Sprung, er wird mit donnerndem Bei
fall belohnt. Wieder bricht das Klatschen jäh
ab, Nr. 16 schickt sich an, den gleichen Sprung
zu wagen. „Thüngern ist wahnsinnig gewor
den", raunt ein Rcichswehroffizier seinem
Kameraden' 'z'u,' „ich kenne den Gäul, gutes
Blut, er hat ihn selbst- gezogen, aber was
Dumoulin mit seinem berühmten „Flying
Fox" nicht schafft, kann er erst recht nicht holen.
Die 1.90 waren schon Dusel, zwei Merer ist
der reine Selbstmord."
In lautloser Spannung folgt die Menge je
der Bewegung des Reiters in der Bahn. Man
sieht, wie er dem Pferde leicht den Hals klopft
und etwas sagt. Das Tier scheint ihn zu ver
stehen und anwortet mit leisem Schnauben,
dick liegen die Aderstränge auf dem seidigen,
nassen Fell. Dann galoppiert Goldlilie an,
ganz leicht und mühelos sieht es aus und eben
so leicht, fast nachlässig scheint ihr Reiter im
Sattel zu hängen. Sie biegen in die Gerade
ein, das Tempo verstärkt sich, man sieht mit
Gedankenschnelle ein langgestrecktes, goldig
schimmerndes Etwas durch die Luft sausen —
schon ist es vorbei. Mit der unfehlbaren Sicher
heit des geborenen Reiters hat Thüngern den
ungeheuren Sprung abgefangen, und ehe noch
das Publikum richtig begriffen hat, was los
ist, federt Goldlilie in gleichmäßigen, immer
langsamer werdenden Sähen die Bande ent
lang. Dann aber bricht es los, Händeklatschen,
Bravoschreien, Tusch der Musik — der Laut
sprecher kann nicht mehr durchöringen, dafür
erscheint es in Riesenlettern auf der Lein
wand: „Erster Preis Freiherr von Thüngern
auf Goldlilie!"
Noch einmal wiederholt sich der Jubel, als
die Preisträger die Ehrenrunde galoppieren,
Golölilie kann ihr Mißfallen über diesen
Lärm nicht verbergen und schnaubt entrüstet.
Lachend und beruhigend streicht der Reiter
über ihre Mähne, und als er sich vorbeugt,
bricht das Licht der großen Bogenlampen sich
flimmernd in der goldenen Siegesschleife auf
seiner Brust.
Gladys MacCatrick lehnte sich mit einem
tiefen Atemzug in ihren Stuhl zurück. Das
war wirklich unerhört gewesen, in ihrem gan
zen Leben hatte sie noch nicht solches Herz
klopfen gehabt wie bei diesem Sprung — und
dabei war sie das Reiten doch wahrhaftig ge
wöhnt. Sie war fast im Sattel groß geworden
daheim auf der Plantage, Großvater hatte oft
genug den Kopf geschüttelt, weil seine Enkelin
ihre Zeit lieber auf den ausgedehnten Vieh
weiden verbrachte statt in Haus und Garten,
lieber mit den Cowboys um die Wette galop
pierte als sittsam über Büchern und Handar
beiten zu sitzen, wie sich das doch eigentlich für
ein Mädel gehörte. „Dir fehlt eine weibliche
Hand", seufzte er dann wohl, und dann kam
gewöhnlich eine neue Erzieherin und versuchte
es erst mit aller Strenge — und das half gar
nichts bei dem eigenwilligen kleinen Ding —
und dann mit Nachgiebigkeit,' und dann war
wieder alles, beim alten, Ja, wenn sie ihre
Mutter behalten hätte! — Aber ihre Mutter
war bei einem Autounglück so schwer verletzt
worden, daß alle Kunst der Aerzte sie nicht
hatte retten können. Gladys war noch sehr-
klein gewesen, als sie die Mutter verlor, und
da ihr Vater mit seinen großen Werken soviel
zu tun hatte, hatten die Großeltern sich die
einzige Enkelin nach Guatamala auf ihre
Kaffeeplantage geholt. Und nach zwei Jahren
war ein Brief vom Vater gekommen, daß er
sich wieder verheiraten wolle mit der Tochter
seines Konkurrenten, sie würden ihre Unter
nehmungen zusammenlegen, und das würde
ein sehr gutes Geschäft sein.
So blieb Gladys bei den Großeltern, und
einmal im Jahre kam John MacCatrick nach
La Paz, um sein Kind zu besuchen, und einmal
im Jahr fuhr Gladys nach Pittsburg. Die
Stiefmutter war sehr nett zu ihr und alle an
deren Leute auch, aber sie war doch immer
froh, wenn sie wieder zu Hause war, sie war zu
sehr in Freiheit aufgewachsen, um sich in der
Stadt wohlzufühlen. Immer enger schlossen sich
Großvater und Enkelin aneinander, bis der
Großvater starb. Das hatte sie sehr hart getrof
fen, und La Paz ohne Großvater war ihr ver
leidet, da hatte sie die Plantage verpachtet und
reiste nun in der Welt herum, schon über ein
halbes Jahr. Jetzt war sie nach Deutschland ge
kommen, weil ihre Großeltern Deutsche gewe
sen waren, und als sie gelesen hatte: Reittur
nier, da...
Eine lebhafte Bewegung in der Prüsiöenten-
loge riß sie aus ihrem Grübeln. Die Sieger
wurden empfangen und nahmen dankend die
Ehrenpreise entgegen. Man sah, daß der
Reichspräsident noch besonders eingehend mit
Thüngern sprach, dann ritt die Unteroffizier-
quadrille in die Bahn, das Turnier ging wei
ter.
Gladys hatte au dem übrigen Programm
kein Interesse mehr und stand auf, um zu ge
hen, da öffnete sich die Tür der Nebenloge, und
mit einer unwillkürlichen Bewegung setzte sie
sich wieder hin. Und wieder tat ihr Herz einen
kleinen raschen Schlag, genau wie vorhin, als
sein Blick sie im Vorbeireiten gestreift hatte.
Bisher waren ihr Männer gänzlich gleichgül
tig und manchmal lästig gewesen, aber als die
ser Mann sie ansah — es war so ganz anders —
eS war wie ein jäher Schreck, der den Atem an
halten läßt — aber es war doch wieder kein
Schreck, es war... Ja, was es nun eigentlich
war, das wußte Gladys nicht, wenigstens jetzt
noch nicht, aber von dem großen, gutgewachse
nen Menschen, der leise mit dem sichtlichen
Wunsche, nicht unnötig bemerkt zu werden, die
Nebenloge betrat, ging ein Zauber aus, dem sie
vom ersten Augenblick an erlag.
So leise Thüngerns Bewegungen auch wa
ren, die Frau, die an der Brüstung der Loge
saß, hatte sein Eintreten doch bemerkt. Sie
wandte sich lebhaft um und streckte ihm lächelnd
die Hand entgegen. Gladys sah goldig schim
merndes Haar unter dem flotten Sporthütchen
feingezeichnete Augenbrauen über blauleuch
tenden Augen, einen unwahrscheinlich zarten,
rosigen Teint und einen schmalen Mund. Sic
war ehrlich genug, sich zu gestehen, daß diese
Frau bildschön war, und zu harmlos, um zu
sehen, wieviel eine geschickte Aufmachung zu
dieser Schönheit beitrug. Sie ließ keinen Blick
von der eleganten Frau, die jetzt leise mit
Thüngern sprach, der immer noch wie unab
sichtlich ihre Hand in der seinen hielt.
Eine Pause in der Quadrille ließ einige Ge
sprächsfetzen aus dem Hintergründe der Loge
zu ihr flattern. „Sieh mal an, jetzt hat sich dic
schöne Lilian doch tatsächlich alt Thüngern her
angemacht, der Filmstar, mit dem sie im vori
gen Winter so viel herumzog, scheint endgültig
abgetan zu sein."
„Oh, schon länger. Der Alte soll ungemütlick
geworden sein, er hat ja wenig Zeit, der Gnädi
gen auf die Finger zu sehen, aber wenn er ma>
stutzig wird — mit dem ist nicht gut Kirschen
essen. Uebrigens, die Sache mit Thüngern ist
nicht neu, sie sollen sogar Jugendbekannte
sein."
„Ach! So heißt cs jetzt, um die Geschichte zu
frisieren. Aber gut aussehen tut sie, das muß
man ihr lassen."
„Ist auch nicht alles Gold, was glänzt."
„Meinen Sie die Haare oder den Charak
ter?"
„Beides. Haha."
Schmetternd setzte die Musik zur nächsten
Tour ein, die Stimmen verklangen. Gladys sah
immer noch zur Nebenloge hinüber, sie sah
überhaupt in der ganzen überfüllten Reithalle
nichts lveitcr als diese beiden Menschen. Sic
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Preisausschreiben!
Wir beendeten am gestrigen Tage den Abdruck der Artikelreihe
Äîîachļ dös Iļļşaûs", Merkwürdige Fügungen
des Alltags und die Frage nach ihrem Sinn nach Wirk
lichen Begebenheiten dargestellt von Hans Wörner
Im Anschluß an diese Artikelreihe fordern wir die Leser unserer
Zeitung auf. ähnliche „Zufälle", denen sie in ihrem Leben ausgesetzt
waren, und ihre Auswirkung zu erzählen. Die Einsendungen, die sich
auf wirkliche Begebenheiten stützen müssen, dürfen die Länge
von 100 Druckzeilen (ca. 600 Worte) nicht überschreiten. Länge und
stilistische Form der Einsendungen sind für die Beurteilung durch das
Preisgericht nicht ausschlaggebend, sondern in erster Linie die klare
Herausarbeitung des „Zufalles" und seine Bedeutung für den Lebens
weg des von ihm Betroffenen.
Der Verlag der „Schleswig-Holsteinischen Landeszeitung" setzt für
die besten Einsendungen folgende Preise aus:
einen 1. Preis in Höhe von RM. 30.00
einen 2. Preis „ 20.00
je einen 3. und 4. Preis „ „ „ „ 15.00
je einen 5. und 6. Preis „ 10.00
Zur Teilnahme an dem Preisausschreiben berechkigk ist jeder.
Allein ausgeschlossen sind die Betriebsangehörigen der Firma Heinrich
Möller Söhne (Schleswig.Holsteinische Landeszeitung) Rendsburg.
Das Preisgericht setzt sich zusammen aus den Herren:
Lehrer Schramm, Kiel
Schriftsteller H. Eckmann, Hohenwestedt
Verlagsdirektor Behfchnitt, Rendsburg
Die Entscheidung des Preisgerichtes ist endgültig und unanfechtbar. Alle Einsendungen sind
bts zum 31. März 1934 an den Verlag der „Schleswig-Holsteinischen Landeszeitung",
Rendsburg, zu richten und auf dem Umschlag durch daö Wort „Preisausschreiben" zu
kennzeichnen. Ferner muß der Briefumschlag aus der Rückseite Vor- und Zunamen,
Stand, Wohnort und Wohnung des Einsenders trage», während die einliegende
Arbeit ohne jede Unterschrift und Adresfcnangabc bleiben muß, damit das Preis
gericht, dem lediglich die Arbeiten vorgelegt werden, »»beeinflußt urteilen kann.
Die Bekanntgabe der Preisträger erfolgt Mitte April 1934 ln der „Schleswlg-Holsteinl-
schsn Landeszeilung". anschließend beginnen wir mit dem Abdruck der preisgekrönten Arbeiten,
auf Wunsch ohne Namensnennung. Die »Landeszeitung" behält sich das Recht vor, auch
Arbeiten ganz oder auszugsweise zu veröffentlichen, denen ein Preis nicht zuerkannt werden
konnte. In diesem Falle wird den Einsendern das übliche Zeilenhonorar vergütet.
Wir bitten unsere Leser, sich an dem interessanten Preisausschreiben recht rege zu beteiligen
und vor Einsendungen auch dann nicht zurückzuschrecken, wenn die äußere Form nicht
beherrscht wird. Für das Urteil des Preisgerichtes ist, wie schon anfangs gesagt, in erster
^-inie die Eigenart des „Zufalls" und seine Auswirkung auf den Erzähler maßgebend.
Das Preisgericht muß sich vorbehalten, Einsendungen, die den vorstehenden Bedingungen des
Preisausschreibens nicht entsprechen, zurückzuweisen.
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1 Verlag und Schriftleilnng -er „Lan-esrerlung" |
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waren eht wunderhübsches Paar, diese zwei
der Mann mit den hellen blauen Augen in dem
scharfgeschnittenen Gesicht, die Frau mit der
madonnenhaften Zartheit, von der die Leute
hinter ihr so wenig respektvoll sprachen und
von der Gladys weiter nichts wußte, als daß
sie Lilian hieß, und daß der Mann nur Sinn
und Blick für ihre blonde Schönheit zu haben
schien.
Jetzt stand sie auf und ging langsam aus der
Loge, von Thüngern gefolgt. Plötzlich erhob sich
auch Gladys mit brüsker Entschlossenheit, stieß
beim eiligen Durchdrängen gegen verschiedene
Knie, dann war sie draußen. Sie hastete dem
Ausgang zu,' nichts war zu sehen, nur eine
lange Reihe Autos stand wartend da. Sie lief
unschlüssig ein paar Schritte die Straße ent
lang, die beiden konnten doch nicht vom Erd
boden verschlungen sein?! Da — auf der gegen
über liegenden Seite, in das Fenster einer gro
ßen Limousine hineinsprechend, war das nicht?
Gladys rannte über den Fahrdamm, unbeküm
mert darum, daß sie um ein Haar unter ein
Auto kam, jetzt ivar sie dicht am Wagen —, also
nun langsam. Sie markierte Spaziergängerin,
aber gerade, als sie heran mar, beugte Thün
gern sich abschiednehmend über eine Hand, sie
hörte noch die Worte: „Also morgen abend bei
Schaller, den Tisch wird mein Mann bestellen",
dann glitt der Wagen davon. Thüngern sah
einen Augenblick hinterher, darauf machte er
kurz kehrt und prallte dabei fast gegen ein
weibliches Wesen mit schiefsitzendem Hut über
zerzaustem Haar, die Figur durch einen form
los um sie herumhängenden Mantel verhüllt.
Nanu, dachte er, ivas starrt sie mich denn so an,
sollte ich sie vielleicht angestoßen haben? Er
lüftete für alle Fälle mit einem höflichen „Ver
zeihung" den Hut und schritt, die Hände tief in
die Taschen seines Ulsters gegraben, leise pfei
fend davon.
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„Bitte, Portier, können Sie mir sagen, wer
oder was „Schaller" ist?"
„Schaller ist ein sehr renommiertes Restau
rant, gnädiges Fräulein", gab der Mann höf
lich Auskunft, „man ißt dort ausgezeichnet und
findet sehr elegantes Publikum. Wünschen gnä
diges Fräulein, daß ich einen Tisch bestelle?"
Gladys zögerte. Was ging eigentlich in ihr
vor? Das war doch sinnlos, was sie da tun
wollte, sinnlos und unwürdig. Sie biß sich auf
die Lippen und machte ein — zwei hastige
Schritte. Aber dann hielt sie wieder an —, es
war einfach ein Zwang, und außerdem, warum
sollte sie nicht einmal dort zu Abend essen —,
wenn es doch solch ein berühmtes Restaurant
war. So sagte sie halb über die Schulter zu
dem Portier, der seine höflich abwartende Hal
tung noch nicht aufgegeben hatte: „Ja, bitte,
einen Tisch für zwei Personen — heute abend."
Und rasch, als wolle sie ihrem eigenen Entschluß
entfliehen, eilte sie zum Fahrstuhl und ließ sich
in ihre Zimmer bringen. Dort wartete — mit
der unzerstörbaren Geduld ihrer Rasse —- Con-
chita.
Conchita war eine Indianerin, die aber eine
fast europäische Erziehung genossen hatte. Sie
hatte ihre Eltern sehr früh verloren, und Gla
dys Großmutter hatte sich des aufgeweckten
kleinen Mädels angenommen und sie bei sich
im Herrenhaus aufwachsen lassen. Sie hatte es
nie zu bereuen, denn Conchita war sehr anstel
lig und leistete schon mit zwölf Jahren der
Tochter des Hauses Zofendienste. Als dann aus
Elisabeth Schroeder Mrs. MacCatrick wurde,
blieb Conchita in La Paz, und als Elisabeth
MacCatrick starb, übernahm sie die Pflege der
kleinen Gladys und betreute sie mit der gan
zen Mutterzärtlichkeit der Kinderlosen. Ihrer
fast fanatischen Anhänglichkeit schien jede Tren
nung unmöglich, darum folgte sie ihrer Herrin
getreulich durch die ganze Welt, obwohl ihr das
Reiseleben ebenso schrecklich war wie die gro
ßen Städte mit den unheimlich hohen Häusern-
Sie war halb Zofe, halb Gesellschafterin, und
Gladys überließ sich willig den Händen der
Treuen. Zu willig manchmal, denn auch die
Kleidung besorgte meist Conchita, da Gladys
sich aus all diesen Dingen nicht das geringste
machte und nie zum Anprobieren irgendwelcher
Sachen zu bewegen war. Und der doch etwas
barbarische Geschmack der Indianerin und die
absolute Gleichgültigkeit der Trägerin machten
es, daß die Tochter von John MacCatrick zwar
außerordentlich teuer und kostbar gekleidet
war, aber nebenbei wie eine Vogelscheuche in
den unmöglichsten Farben und Zusammenstel
lungen umherlief. Auch die Versuche von Gla
dys' eleganter Stiefmutter, erzieherisch und ge-
chmackbildend zu wirken, waren an dieser
Nlcichgültigkeit gescheitert,' Gladys trug zwar
n Pittsburg bereitwillig, was man ihr hin
legte ,aber irgendwelches Interesse für diese
Dinge hatte sie nicht.
„Hallo, Conchita", sagte Gladys, „du mußt
dich heute abend als Lady zurechtmachen, wit
gehen in ein feines Restaurant."
Conchita war schon häufig bei solchen Gele
genheiten auf der Reise als Gardedame auķ
treten. Ihr exotisches Aeußere fiel natürlich
auf, aber wenn man dann das spanisch-inöia-
Nische Kauderwelsch hörte, das die beiden mit
einander redeten, hieß es „ach so, Ausländers
und damit war, zumal in Deutschland, auch die
verrückteste Aufmachung gerechtfertigt.
(Fortsetzung folgt).