Full text: Newspaper volume (1934, Bd. 1)

Unser treuer Roman: 
Gla-^S Steg um -ie golöcnc Schleife. 
Roman von Heööa Lindner. 
Copyright by Carl Duncker Verlag, Berlin W. 62 
1) Nachdruck verboten. 
„Achtung, Achtung, Nummer 9 und 16 
stechen um den ersten Preis", brüllt der Laut 
sprecher. Ein Murmeln antwortet aus der 
Menge, verstummt aber sofort, als Nr. 9 in 
der Bahn erscheint. Nr. 9 ist der belgische Ka 
pitän Dumoulin, und wer etwas von Pferden 
versteht — und das sind in der bis auf den 
letzten Platz gefüllten Reithalle am Kaiser 
damm weitaus die meisten —, der weiß schon 
seit Beginn des „Internationalen Jagdsprin 
gens", daß die Entscheidung um den Preis des 
Reichspräsidenten nur zwischen dem belgischen 
Champion, von dessen Siegeslauf der letzten 
beiden Jahre die Welt spricht, und dem deut 
schen Gutsbesitzer, Pferdezüchter und Sports 
mann Stephan von Thüngern liegen kann. 
Der Ire des Kapitäns mit der breiten Brust 
und dem gedrungenen Körperbau seiner Rasse 
wird von seinen stählernen Fesseln wie ein 
Ball über das Hindernis geschleudert. Beifall, 
der rasch erstirbt, denn schon fegt Thüngern 
heran. Sein Pferd ist äußerlich von dem Kon 
kurrenten grundverschieden. Eine schmale, 
nicht sehr hohe Fuchsstute, augenscheinlich ner 
vös durch die vielen Menschen, aber immer 
wieder willig unter der Hand des Reiters an 
die Hindernisse herangehend. „Goldlilie" von 
„Wilbur aus der Sonnenblume" steht auf dem 
Programm. 
Auch P)oldlilie springt fehlerlos, wieder 
wird die Stange erhöht, wieder saust der Ire 
wie ein Gummiball hinüber, wieder schnellt 
die Fuchsstute wie ein Pfeil hinterher. Die 
Stange wird nochmals höher gelegt, durch das 
Publikum geht bei dieser Erhöhung ein auf 
geregtes Rauschen, zwei Meter in dieser Halle, 
die nur begrenzten Anlauf gestattet — das 
heißt das Schicksal versuchen. Einige empfind 
same Gemüter sehen weg, alle aber hüllen 
unwillkürlich den Atem an, es ist so still in 
dem Riesenraum, daß man das Schnauben des 
Iren bis in -ie obersten Ränge hört. Noch drei 
Sätze — noch zwei — jetzt — das Pferd hebt 
sich, springt, da — ein unterdrückter Aufschrei, 
die Hinterhand hat die Stange gestreift, pol 
ternd gibt sie nach. Trotzdem war es ein herr 
licher Sprung, er wird mit donnerndem Bei 
fall belohnt. Wieder bricht das Klatschen jäh 
ab, Nr. 16 schickt sich an, den gleichen Sprung 
zu wagen. „Thüngern ist wahnsinnig gewor 
den", raunt ein Rcichswehroffizier seinem 
Kameraden' 'z'u,' „ich kenne den Gäul, gutes 
Blut, er hat ihn selbst- gezogen, aber was 
Dumoulin mit seinem berühmten „Flying 
Fox" nicht schafft, kann er erst recht nicht holen. 
Die 1.90 waren schon Dusel, zwei Merer ist 
der reine Selbstmord." 
In lautloser Spannung folgt die Menge je 
der Bewegung des Reiters in der Bahn. Man 
sieht, wie er dem Pferde leicht den Hals klopft 
und etwas sagt. Das Tier scheint ihn zu ver 
stehen und anwortet mit leisem Schnauben, 
dick liegen die Aderstränge auf dem seidigen, 
nassen Fell. Dann galoppiert Goldlilie an, 
ganz leicht und mühelos sieht es aus und eben 
so leicht, fast nachlässig scheint ihr Reiter im 
Sattel zu hängen. Sie biegen in die Gerade 
ein, das Tempo verstärkt sich, man sieht mit 
Gedankenschnelle ein langgestrecktes, goldig 
schimmerndes Etwas durch die Luft sausen — 
schon ist es vorbei. Mit der unfehlbaren Sicher 
heit des geborenen Reiters hat Thüngern den 
ungeheuren Sprung abgefangen, und ehe noch 
das Publikum richtig begriffen hat, was los 
ist, federt Goldlilie in gleichmäßigen, immer 
langsamer werdenden Sähen die Bande ent 
lang. Dann aber bricht es los, Händeklatschen, 
Bravoschreien, Tusch der Musik — der Laut 
sprecher kann nicht mehr durchöringen, dafür 
erscheint es in Riesenlettern auf der Lein 
wand: „Erster Preis Freiherr von Thüngern 
auf Goldlilie!" 
Noch einmal wiederholt sich der Jubel, als 
die Preisträger die Ehrenrunde galoppieren, 
Golölilie kann ihr Mißfallen über diesen 
Lärm nicht verbergen und schnaubt entrüstet. 
Lachend und beruhigend streicht der Reiter 
über ihre Mähne, und als er sich vorbeugt, 
bricht das Licht der großen Bogenlampen sich 
flimmernd in der goldenen Siegesschleife auf 
seiner Brust. 
Gladys MacCatrick lehnte sich mit einem 
tiefen Atemzug in ihren Stuhl zurück. Das 
war wirklich unerhört gewesen, in ihrem gan 
zen Leben hatte sie noch nicht solches Herz 
klopfen gehabt wie bei diesem Sprung — und 
dabei war sie das Reiten doch wahrhaftig ge 
wöhnt. Sie war fast im Sattel groß geworden 
daheim auf der Plantage, Großvater hatte oft 
genug den Kopf geschüttelt, weil seine Enkelin 
ihre Zeit lieber auf den ausgedehnten Vieh 
weiden verbrachte statt in Haus und Garten, 
lieber mit den Cowboys um die Wette galop 
pierte als sittsam über Büchern und Handar 
beiten zu sitzen, wie sich das doch eigentlich für 
ein Mädel gehörte. „Dir fehlt eine weibliche 
Hand", seufzte er dann wohl, und dann kam 
gewöhnlich eine neue Erzieherin und versuchte 
es erst mit aller Strenge — und das half gar 
nichts bei dem eigenwilligen kleinen Ding — 
und dann mit Nachgiebigkeit,' und dann war 
wieder alles, beim alten, Ja, wenn sie ihre 
Mutter behalten hätte! — Aber ihre Mutter 
war bei einem Autounglück so schwer verletzt 
worden, daß alle Kunst der Aerzte sie nicht 
hatte retten können. Gladys war noch sehr- 
klein gewesen, als sie die Mutter verlor, und 
da ihr Vater mit seinen großen Werken soviel 
zu tun hatte, hatten die Großeltern sich die 
einzige Enkelin nach Guatamala auf ihre 
Kaffeeplantage geholt. Und nach zwei Jahren 
war ein Brief vom Vater gekommen, daß er 
sich wieder verheiraten wolle mit der Tochter 
seines Konkurrenten, sie würden ihre Unter 
nehmungen zusammenlegen, und das würde 
ein sehr gutes Geschäft sein. 
So blieb Gladys bei den Großeltern, und 
einmal im Jahre kam John MacCatrick nach 
La Paz, um sein Kind zu besuchen, und einmal 
im Jahr fuhr Gladys nach Pittsburg. Die 
Stiefmutter war sehr nett zu ihr und alle an 
deren Leute auch, aber sie war doch immer 
froh, wenn sie wieder zu Hause war, sie war zu 
sehr in Freiheit aufgewachsen, um sich in der 
Stadt wohlzufühlen. Immer enger schlossen sich 
Großvater und Enkelin aneinander, bis der 
Großvater starb. Das hatte sie sehr hart getrof 
fen, und La Paz ohne Großvater war ihr ver 
leidet, da hatte sie die Plantage verpachtet und 
reiste nun in der Welt herum, schon über ein 
halbes Jahr. Jetzt war sie nach Deutschland ge 
kommen, weil ihre Großeltern Deutsche gewe 
sen waren, und als sie gelesen hatte: Reittur 
nier, da... 
Eine lebhafte Bewegung in der Prüsiöenten- 
loge riß sie aus ihrem Grübeln. Die Sieger 
wurden empfangen und nahmen dankend die 
Ehrenpreise entgegen. Man sah, daß der 
Reichspräsident noch besonders eingehend mit 
Thüngern sprach, dann ritt die Unteroffizier- 
quadrille in die Bahn, das Turnier ging wei 
ter. 
Gladys hatte au dem übrigen Programm 
kein Interesse mehr und stand auf, um zu ge 
hen, da öffnete sich die Tür der Nebenloge, und 
mit einer unwillkürlichen Bewegung setzte sie 
sich wieder hin. Und wieder tat ihr Herz einen 
kleinen raschen Schlag, genau wie vorhin, als 
sein Blick sie im Vorbeireiten gestreift hatte. 
Bisher waren ihr Männer gänzlich gleichgül 
tig und manchmal lästig gewesen, aber als die 
ser Mann sie ansah — es war so ganz anders — 
eS war wie ein jäher Schreck, der den Atem an 
halten läßt — aber es war doch wieder kein 
Schreck, es war... Ja, was es nun eigentlich 
war, das wußte Gladys nicht, wenigstens jetzt 
noch nicht, aber von dem großen, gutgewachse 
nen Menschen, der leise mit dem sichtlichen 
Wunsche, nicht unnötig bemerkt zu werden, die 
Nebenloge betrat, ging ein Zauber aus, dem sie 
vom ersten Augenblick an erlag. 
So leise Thüngerns Bewegungen auch wa 
ren, die Frau, die an der Brüstung der Loge 
saß, hatte sein Eintreten doch bemerkt. Sie 
wandte sich lebhaft um und streckte ihm lächelnd 
die Hand entgegen. Gladys sah goldig schim 
merndes Haar unter dem flotten Sporthütchen 
feingezeichnete Augenbrauen über blauleuch 
tenden Augen, einen unwahrscheinlich zarten, 
rosigen Teint und einen schmalen Mund. Sic 
war ehrlich genug, sich zu gestehen, daß diese 
Frau bildschön war, und zu harmlos, um zu 
sehen, wieviel eine geschickte Aufmachung zu 
dieser Schönheit beitrug. Sie ließ keinen Blick 
von der eleganten Frau, die jetzt leise mit 
Thüngern sprach, der immer noch wie unab 
sichtlich ihre Hand in der seinen hielt. 
Eine Pause in der Quadrille ließ einige Ge 
sprächsfetzen aus dem Hintergründe der Loge 
zu ihr flattern. „Sieh mal an, jetzt hat sich dic 
schöne Lilian doch tatsächlich alt Thüngern her 
angemacht, der Filmstar, mit dem sie im vori 
gen Winter so viel herumzog, scheint endgültig 
abgetan zu sein." 
„Oh, schon länger. Der Alte soll ungemütlick 
geworden sein, er hat ja wenig Zeit, der Gnädi 
gen auf die Finger zu sehen, aber wenn er ma> 
stutzig wird — mit dem ist nicht gut Kirschen 
essen. Uebrigens, die Sache mit Thüngern ist 
nicht neu, sie sollen sogar Jugendbekannte 
sein." 
„Ach! So heißt cs jetzt, um die Geschichte zu 
frisieren. Aber gut aussehen tut sie, das muß 
man ihr lassen." 
„Ist auch nicht alles Gold, was glänzt." 
„Meinen Sie die Haare oder den Charak 
ter?" 
„Beides. Haha." 
Schmetternd setzte die Musik zur nächsten 
Tour ein, die Stimmen verklangen. Gladys sah 
immer noch zur Nebenloge hinüber, sie sah 
überhaupt in der ganzen überfüllten Reithalle 
nichts lveitcr als diese beiden Menschen. Sic 
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Preisausschreiben! 
Wir beendeten am gestrigen Tage den Abdruck der Artikelreihe 
Äîîachļ dös Iļļşaûs", Merkwürdige Fügungen 
des Alltags und die Frage nach ihrem Sinn nach Wirk 
lichen Begebenheiten dargestellt von Hans Wörner 
Im Anschluß an diese Artikelreihe fordern wir die Leser unserer 
Zeitung auf. ähnliche „Zufälle", denen sie in ihrem Leben ausgesetzt 
waren, und ihre Auswirkung zu erzählen. Die Einsendungen, die sich 
auf wirkliche Begebenheiten stützen müssen, dürfen die Länge 
von 100 Druckzeilen (ca. 600 Worte) nicht überschreiten. Länge und 
stilistische Form der Einsendungen sind für die Beurteilung durch das 
Preisgericht nicht ausschlaggebend, sondern in erster Linie die klare 
Herausarbeitung des „Zufalles" und seine Bedeutung für den Lebens 
weg des von ihm Betroffenen. 
Der Verlag der „Schleswig-Holsteinischen Landeszeitung" setzt für 
die besten Einsendungen folgende Preise aus: 
einen 1. Preis in Höhe von RM. 30.00 
einen 2. Preis „ 20.00 
je einen 3. und 4. Preis „ „ „ „ 15.00 
je einen 5. und 6. Preis „ 10.00 
Zur Teilnahme an dem Preisausschreiben berechkigk ist jeder. 
Allein ausgeschlossen sind die Betriebsangehörigen der Firma Heinrich 
Möller Söhne (Schleswig.Holsteinische Landeszeitung) Rendsburg. 
Das Preisgericht setzt sich zusammen aus den Herren: 
Lehrer Schramm, Kiel 
Schriftsteller H. Eckmann, Hohenwestedt 
Verlagsdirektor Behfchnitt, Rendsburg 
Die Entscheidung des Preisgerichtes ist endgültig und unanfechtbar. Alle Einsendungen sind 
bts zum 31. März 1934 an den Verlag der „Schleswig-Holsteinischen Landeszeitung", 
Rendsburg, zu richten und auf dem Umschlag durch daö Wort „Preisausschreiben" zu 
kennzeichnen. Ferner muß der Briefumschlag aus der Rückseite Vor- und Zunamen, 
Stand, Wohnort und Wohnung des Einsenders trage», während die einliegende 
Arbeit ohne jede Unterschrift und Adresfcnangabc bleiben muß, damit das Preis 
gericht, dem lediglich die Arbeiten vorgelegt werden, »»beeinflußt urteilen kann. 
Die Bekanntgabe der Preisträger erfolgt Mitte April 1934 ln der „Schleswlg-Holsteinl- 
schsn Landeszeilung". anschließend beginnen wir mit dem Abdruck der preisgekrönten Arbeiten, 
auf Wunsch ohne Namensnennung. Die »Landeszeitung" behält sich das Recht vor, auch 
Arbeiten ganz oder auszugsweise zu veröffentlichen, denen ein Preis nicht zuerkannt werden 
konnte. In diesem Falle wird den Einsendern das übliche Zeilenhonorar vergütet. 
Wir bitten unsere Leser, sich an dem interessanten Preisausschreiben recht rege zu beteiligen 
und vor Einsendungen auch dann nicht zurückzuschrecken, wenn die äußere Form nicht 
beherrscht wird. Für das Urteil des Preisgerichtes ist, wie schon anfangs gesagt, in erster 
^-inie die Eigenart des „Zufalls" und seine Auswirkung auf den Erzähler maßgebend. 
Das Preisgericht muß sich vorbehalten, Einsendungen, die den vorstehenden Bedingungen des 
Preisausschreibens nicht entsprechen, zurückzuweisen. 
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1 Verlag und Schriftleilnng -er „Lan-esrerlung" | 
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waren eht wunderhübsches Paar, diese zwei 
der Mann mit den hellen blauen Augen in dem 
scharfgeschnittenen Gesicht, die Frau mit der 
madonnenhaften Zartheit, von der die Leute 
hinter ihr so wenig respektvoll sprachen und 
von der Gladys weiter nichts wußte, als daß 
sie Lilian hieß, und daß der Mann nur Sinn 
und Blick für ihre blonde Schönheit zu haben 
schien. 
Jetzt stand sie auf und ging langsam aus der 
Loge, von Thüngern gefolgt. Plötzlich erhob sich 
auch Gladys mit brüsker Entschlossenheit, stieß 
beim eiligen Durchdrängen gegen verschiedene 
Knie, dann war sie draußen. Sie hastete dem 
Ausgang zu,' nichts war zu sehen, nur eine 
lange Reihe Autos stand wartend da. Sie lief 
unschlüssig ein paar Schritte die Straße ent 
lang, die beiden konnten doch nicht vom Erd 
boden verschlungen sein?! Da — auf der gegen 
über liegenden Seite, in das Fenster einer gro 
ßen Limousine hineinsprechend, war das nicht? 
Gladys rannte über den Fahrdamm, unbeküm 
mert darum, daß sie um ein Haar unter ein 
Auto kam, jetzt ivar sie dicht am Wagen —, also 
nun langsam. Sie markierte Spaziergängerin, 
aber gerade, als sie heran mar, beugte Thün 
gern sich abschiednehmend über eine Hand, sie 
hörte noch die Worte: „Also morgen abend bei 
Schaller, den Tisch wird mein Mann bestellen", 
dann glitt der Wagen davon. Thüngern sah 
einen Augenblick hinterher, darauf machte er 
kurz kehrt und prallte dabei fast gegen ein 
weibliches Wesen mit schiefsitzendem Hut über 
zerzaustem Haar, die Figur durch einen form 
los um sie herumhängenden Mantel verhüllt. 
Nanu, dachte er, ivas starrt sie mich denn so an, 
sollte ich sie vielleicht angestoßen haben? Er 
lüftete für alle Fälle mit einem höflichen „Ver 
zeihung" den Hut und schritt, die Hände tief in 
die Taschen seines Ulsters gegraben, leise pfei 
fend davon. 
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„Bitte, Portier, können Sie mir sagen, wer 
oder was „Schaller" ist?" 
„Schaller ist ein sehr renommiertes Restau 
rant, gnädiges Fräulein", gab der Mann höf 
lich Auskunft, „man ißt dort ausgezeichnet und 
findet sehr elegantes Publikum. Wünschen gnä 
diges Fräulein, daß ich einen Tisch bestelle?" 
Gladys zögerte. Was ging eigentlich in ihr 
vor? Das war doch sinnlos, was sie da tun 
wollte, sinnlos und unwürdig. Sie biß sich auf 
die Lippen und machte ein — zwei hastige 
Schritte. Aber dann hielt sie wieder an —, es 
war einfach ein Zwang, und außerdem, warum 
sollte sie nicht einmal dort zu Abend essen —, 
wenn es doch solch ein berühmtes Restaurant 
war. So sagte sie halb über die Schulter zu 
dem Portier, der seine höflich abwartende Hal 
tung noch nicht aufgegeben hatte: „Ja, bitte, 
einen Tisch für zwei Personen — heute abend." 
Und rasch, als wolle sie ihrem eigenen Entschluß 
entfliehen, eilte sie zum Fahrstuhl und ließ sich 
in ihre Zimmer bringen. Dort wartete — mit 
der unzerstörbaren Geduld ihrer Rasse —- Con- 
chita. 
Conchita war eine Indianerin, die aber eine 
fast europäische Erziehung genossen hatte. Sie 
hatte ihre Eltern sehr früh verloren, und Gla 
dys Großmutter hatte sich des aufgeweckten 
kleinen Mädels angenommen und sie bei sich 
im Herrenhaus aufwachsen lassen. Sie hatte es 
nie zu bereuen, denn Conchita war sehr anstel 
lig und leistete schon mit zwölf Jahren der 
Tochter des Hauses Zofendienste. Als dann aus 
Elisabeth Schroeder Mrs. MacCatrick wurde, 
blieb Conchita in La Paz, und als Elisabeth 
MacCatrick starb, übernahm sie die Pflege der 
kleinen Gladys und betreute sie mit der gan 
zen Mutterzärtlichkeit der Kinderlosen. Ihrer 
fast fanatischen Anhänglichkeit schien jede Tren 
nung unmöglich, darum folgte sie ihrer Herrin 
getreulich durch die ganze Welt, obwohl ihr das 
Reiseleben ebenso schrecklich war wie die gro 
ßen Städte mit den unheimlich hohen Häusern- 
Sie war halb Zofe, halb Gesellschafterin, und 
Gladys überließ sich willig den Händen der 
Treuen. Zu willig manchmal, denn auch die 
Kleidung besorgte meist Conchita, da Gladys 
sich aus all diesen Dingen nicht das geringste 
machte und nie zum Anprobieren irgendwelcher 
Sachen zu bewegen war. Und der doch etwas 
barbarische Geschmack der Indianerin und die 
absolute Gleichgültigkeit der Trägerin machten 
es, daß die Tochter von John MacCatrick zwar 
außerordentlich teuer und kostbar gekleidet 
war, aber nebenbei wie eine Vogelscheuche in 
den unmöglichsten Farben und Zusammenstel 
lungen umherlief. Auch die Versuche von Gla 
dys' eleganter Stiefmutter, erzieherisch und ge- 
chmackbildend zu wirken, waren an dieser 
Nlcichgültigkeit gescheitert,' Gladys trug zwar 
n Pittsburg bereitwillig, was man ihr hin 
legte ,aber irgendwelches Interesse für diese 
Dinge hatte sie nicht. 
„Hallo, Conchita", sagte Gladys, „du mußt 
dich heute abend als Lady zurechtmachen, wit 
gehen in ein feines Restaurant." 
Conchita war schon häufig bei solchen Gele 
genheiten auf der Reise als Gardedame auķ 
treten. Ihr exotisches Aeußere fiel natürlich 
auf, aber wenn man dann das spanisch-inöia- 
Nische Kauderwelsch hörte, das die beiden mit 
einander redeten, hieß es „ach so, Ausländers 
und damit war, zumal in Deutschland, auch die 
verrückteste Aufmachung gerechtfertigt. 
(Fortsetzung folgt).
	        
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