Full text: Newspaper volume (1934, Bd. 1)

Şn Walzer aus Wien. 
Roman von 
23) Nachdruck verboten. 
Da stand ein kleines Bild im Nahmen — 
eine Miniatur, wohl auf Porzellan gemalt. 
Ein junges, schönes Mädchengesicht, aus dem 
zwei blanke Augen selig herauslachten. 
„Meiner Seel, die Jetty!" 
Josefl wurde rot vor Ueberraschung. 
„Und die schaut nun auf all die Unordnung 
da. Na — immerhin, das Bild hat er also doch 
net in die Donau geschmissen. Jetty i glaub', 
der Hallodri hat am End' doch noch ein Fünk 
chen Lieb' im Herzen." 
Die Ai^gen auf dem Bild lachten und es 
schien, als bewege sich der rote Mund ein ganz 
klein bißchen, so, als wollte er sagen: „Ja, mei 
ner Seel, dies Bild hab' ich ihm auch in einer 
unserer schönsten Stunden geschenkt g'habt und 
akkurat für ihn allein malen lassen." 
Das Josefl nahm das Bild in die Hand, 
schaute es zärtlich an und stellte es dann mit 
einem Seufzer wieder auf seinen Platz. 
Er ging zur Tür und öffnete sie spaltenbreit', 
um hinauszuspähen. 
Vom „Goliath" war nichts mehr zu sehen. 
Wie aus sehr weiter Ferne hörte er, wenn 
er scharf hinhorchte, die gedämpfte Musik aus 
dem Konzertsaal. 
Josefl lächelte diabolisch. 
Sich vorzustellen, daß da irgendwo der Jo 
hann an -er Spitze seiner Kapelle spielte und 
keine Ahnung hatte, daß Bruder Josef in 
zwischen in der Garderobe wartete — das 
Josefl, das doch eigentlich in Wien sein sollte. 
Ja, kuriose Vorstellung! 
Aber da war halt nichts zu machen. Und es 
würde ja hoffentlich noch viel interessanter 
werden. Das Josefl wünschte es von Herzen. 
Plötzlich hielt er den Atem an. 
Die ferne Musik war verstummt. Statt des 
sen hörte er das gewohnte Geräusch lauten 
Beifalls. Gott, was die Leute sich anstrengten! 
Das klang ja ordentlich wie Gewehrsalven und 
wollte kein Ende nehmen. 
Endlich! 
Die klatschenden Hände schienen müde zu 
werden. 
„Es wird auch Zeit", murmelte Josefl, „so 
viele Verbeugungen kann ja der Johann gar 
nicht machen. Er hat das nie gern getan." 
Nun war alles still. 
Mucksstill. 
Josefl steckte noch immer die Nasenspitze zur 
-rür hinaus. Er war halt ein neugieriger 
Naseweis. 
Aber plötzlich zuckte er zusammen. War am 
Ende Pause? Er hörte lautere Stimmen drau 
ßen — Schritte, die näherkamen. Gleich muß 
ten sie den Gang einbiegen. 
Schnell zog er die Tür zu. 
Wie — wenn jetzt der Johann mit einem- 
mal käme? 
Er lauschte. 
Die Schritte kamen wahrhaftig näher. 
Josefl sauste durch das Zimmer. Mit einem 
>«atz, der nicht von schlechten Eltern war, 
sprang er über einen Sessel — stand einen 
Paul Hain. 
Augenblick still — und schlüpfte dann hastig 
hinter die Lehne des nächsten, der neben dem 
Schreibtisch stand, sich wie ein Igel zusammen- 
duckenö. 
Das Blut rauschte ihm in den Ohren. —, 
23. Kapitel. 
Eben noch zitterte der große Saal von dem 
brausenden Beifall der Menge, die sich zum 
größten Teil aus den Spitzen der Petersbur 
ger Gesellschaft zusammensetzte. 
Immer wieder mußte sich Strauß vernei 
gen, lächeln, grüßend und dankend den Damen 
zuwinken, die ihn verehrten wie einen Pro 
pheten der Fröhlichkeit. 
Wenn er allen Einladungen hätte folgen 
wollen, die er in der Zeit seines Petersbur 
ger Aufenthalts schon erhalten hatte und noch 
erhielt, er wäre bei Gott keine Stunde zum 
Musizieren gekommen. 
Mit kühlem Lächeln verließ er endlich die 
Bühne. Georgewitsch hatte sich immer über 
dieses kühle, wie eingefrorene Lächeln gewun 
dert, das so gar nicht aus dem Herzen zu kom 
men schien, wie seine Walzer. Ein sonderbarer 
Mensch, dieser Strauß, dachte er — aber spie 
len kann er! 
Nun war Pause. Eine halbe Stunde Pause. 
Die vornehmen Konzertbesucher liebten es, sich 
zwischendurch gehörig zu stärken. 
Strauß hatte wohl ein Dutzend Einladungen 
für die Pause in der Tasche, aber er dachte nicht 
daran, auch nur einer Folge zu leisten. Er war 
ein einsamer Mann geworden — und die ein 
zige Gefährtin seiner Einsamkeit war die Mu- 
sik. 
So begab er sich denn in seine Garderobe, wo 
er stets die Pausen bei seinen Konzerten zu 
verbringen pflegte. 
Mit gesenktem Kopf trat er ein und schritt 
zu dem Sessel hinüber. Sinnend ruhte sein 
Blick auf dem Bild, das auf dem Tisch stand. 
Ein schmerzvoller Zug grub sich um seinen 
Mund. 
„Jetty", flüsterte er, „warum mußte das 
sein —?" 
Da geschah etwas sehr Sonderbares. 
Eine laute Stimme sagte plötzlich: 
„Weil sie dich viel zu sehr liebte — du Lackl!" 
Strauß fuhr herum. 
Hinter dem ungefügen Sessel richtete sich Jo 
sefl auf und lachte vergnügt. 
„Herrgott — ja träum' i denn?" 
„Kaum, Bruderherz! I bin Fleisch und Blut! 
Servus, Johann!" 
Und im Nu hatte er den Johann umschlun 
gen und küßte ihn links und rechts, daß es dem 
den Atem verschlug. 
„Ja — ist denn die Welt verhext?" stieß er 
schließlich lachend und erschüttert hervor. „Du? 
Josefl? Wie kommst denn du daher?" 
„Mit einem Schlitten. Der steht noch vor dem 
Vühnenausgang. Vor einer Viertelstunde bin 
ich angekommen. Ja — da staunst? Und weißt, 
wer mich schickt? Du, es gibt nämlich nicht viel 
Zeit zu verlieren." 
Er wies auf das Bild auf dem Tisch, das Jo 
hann vergebens zu verstecken suchte. 
„Die Jetty schickt mich, daß öu's weißt!" 
„Die Jetty —?" stammelte Strauß verstört. 
„Und ein Brieflein hat sie mir für dich mit 
gegeben, damit du Querkopf endlich alles er 
fährst und net mehr an ihr zweifelst, hörst? Sie 
liebt dich — nur dich, Johann, und wann du 
net endlich heimkommst, nachher geht sie in die 
Donau, und ich dazu, verstehst? Und Mutterl 
laßt auch schön grüßen und dir sagen, daß sie 
schon gar lang keine Geige mehr g'hört hat und 
du sollst die Jetty —" 
„Hör auf!" brüllte Johann und riß ihm schon 
den Brief aus der Hand. „Also euch alle hat sie 
auch verhext, das Mäderl? Und was hast g'sagt, 
lieben tät sie nur mich? Und sie ging in die —" 
„So lies schon, Bruderherz", lachte Josefl 
schallend, „i seh mir inzwischen das Bild an. 
Du — ein Busserl hat sie mir mit auf den Weg 
gegeben — ah —" 
Johann fuhr herum. 
„Maul gehalten —!" schrie er bissig. 
„Meiner Seel — also höflich bist g'worden 
" tat Josef gekränkt und schmunzelte. 
Johann Strauß hatte schon den Brief aufge 
rissen. Mit glühenden Augen las er. Herrgott, 
war denn das möglich? Solche Wunder gescha 
hen noch? 
Es war sehr still in dem Raum und auch der 
quecksilbrige Josefl hielt sich mucksstumm. 
Ja — die Jetty hatte viel geschrieben. Eine 
große Generalbeichte war es, die sie da ablegte. 
Und ein schönes, großes und freies Bekenntnis 
ihrer Liebe. 
Auch die Intrige des Erzherzogs — den un 
terschlagenen Brief und die üble Rolle, die 
Schani Szolnai dabei gespielt hatte, erwähnte 
sie ausführlich, und nun wurde auch dem Le 
senden klar, warum man ihn selbst damals nach 
Schönbrunn geladen hatte. 
^ Aber es tat nicht mehr weh. Denn da — zum 
Schluß des Briefes — stand in Jettys zier 
licher, froher Mädchenschrift: „Schau, Johann 
— ich hab' geglaubt, ich könnte dich verlieren, 
wenn ich dir gleich sagte, ich sei die Treffz, oder 
du könntest mir nicht so frei und offen deine 
Liebe schenken, wie du sie der Jetty Challu- 
petzki schenktest. Und hab' ich denn gar so sehr 
gelogen? Bin ich nicht die Jetty — so oder so? 
Deine Jetty? Du, ich hab' gewiß das dumme 
Versteckspiel reichlich abgebüßt und genug ge 
litten um dich. Johann — komm' wieder heim 
mit all deinen frohen Liedern und deinem 
warmen, sonnigen Herzen. Ich warte auf dich. 
Ich warte auf den Klang deiner Geige, auf 
dein verträumtes Lächeln und auf deinen 
ersten Kuß nach dieser langen, bösen Zeit dei 
nes Fernfeins. Meine Lippen sind so voll 
Sehnsucht. — Deine Jetty." 
Strauß ließ den Brief sinken. 
Ein Jauchzen saß ihm in der Kehle, ein 
Schluchzen und eine so heiße Seligkeit, daß es 
ihm schier die Brust zersprengte. 
„Josefl — i fahr' nach Wien!" schrie er, 
daß es zwischen den Wänden schallte wie ein 
Kanonenschuß. 
Er sprang auf und riß den Josefl an sich. 
„Brüderlein — ich bin der glücklichste 
Mensch! Herrgott — jetzt gleich möcht' i fahren! 
Du — was mach' ich nur?" 
„Fährst halt", sagte der Josef und dachte: 
^etzt — da möcht' i wissen, was alles in dem 
Brieflein g'stanöen hat. Nun kann ich ihn doch 
Der Marsch in die Zukunft. 
nicht „in Ketten" nach Haus bringen. Schade. 
„Ja — fährst halt," wiederholte Strauß, mit 
langen Schritten durch den Raum eilend und 
die Arme wie Windmühlenflügel bewegend. 
„Führst halt — fährst halt! Fliegen möcht' i — 
aber so weit sind wir ja noch net —. Und wer 
— dirigiert hier? He?" 
Josefl war kein dummer Kerl. 
Er legte pfiffig den Finger an die Nase, 
machte ein Spitzbubengesicht und sagte: 
„Bruderherz — ich!" 
„He?" 
„Ich! Wer sonst? I bin auch ein Strauß. 
Und für die Moskowiter hier wird's alleweil 
langen. Es ist überhaupt an der Zeit, daß i 
auch endlich selbstünög werd'. Meinst du net 
auch?" 
„Kerl! Josefl! Jetzt — wann wir den rich 
tigen Wiener Leichtsinn haben —." 
„Du machst, daß du fortkommst, Bruderherz. 
Auf dem schnellsten Weg. Heidi — auf und 
davon! Der Schlitten wartet draußen. Zu essen 
findest auch noch was im Sack. Um mich brauchst 
keine Bang' net zu haben. Der Josefl stellt 
schon sein' Mann. Deine Leut' kennen mich ja. 
Und die Jetty wartet. Jede Sekunde ist kost 
bar." 
„Was bist für ein Haderlumperl, Josesl. 
Aber bei Gott — recht hast! Tausendmal 
recht!" 
„So behüt' di Gott, Johann! Kein Wort 
mehr. Lauf, was du laufen kannst, eh' die Pau 
sen um ist. Und grüß die Jetty und das Mut 
terl!" 
Johann Strauß riß den Mantel, den Hut 
vom Haken. Riß den Josefl noch einmal an 
sich mit brüderlicher Inbrunst. 
„Den Dienst vergeh' i dir nie!" 
„Schon gut — so lauf nur. Wien wartet auf 
dich! I komm' bald nach!!" 
, Johann Strauß rannte zur Tür. Ein se 
liges Lachen im Gesicht. 
Wie ein Rasender stürmte er hinaus. 
„Schaust, Josefl?" sagte der und machte es 
sich im Sessel bequem. „So wird man Kapell 
meister! Daß i lach' — potztausend — hahaha!"- 
lFvrtsetzung folgt.) 
Hàre ķà 
„Wie du dich verändert hast, Ottilie!" 
„Zu meinem Vorteil?" 
„Aber natürlich, du kannst dich überhaupt 
nur zu deinem Vorteil verändern." 
* 
„Mit diesem Fleckenstift können Sie alles 
entfernen, gnädige Frau." 
„Großartig. Dann entfernen Sie sich einmal 
damit." 
* 
„Herr Kandidat, was würden Sie mit einem 
Patienten machen, bei dem Sie diese Krankheit 
feststellten?" 
„Ich würde ihn zu Ihnen schicken, Herr Pro 
fessor." 
* 
„Also, Sie bewerben sich um den Nachtwäch 
terposten? Können Sie denn auch beweisen, 
daß Sie ehrlich sind?" 
„Aber gewiß, Herr Direktor. Ich war fünf 
undzwanzig Jahre Bademeister und habe wäh 
rend der ganzen Jahre kein Bad genommen." 
Originalroman von 
6) (Nachdruck verboten.) 
„In einer Stunde kommt Fräulein Traude 
zu Ihnen, bann werden Sie es wissen", sagte 
sie gelassen und schritt an ihm vorbei. 
„All right", beeilte er sich zu sagen, und emp 
fand im gleichen Augenblick Aerger über das 
Wort. Zum Teufel — in der größten Hast des 
Tages, bei sich überstürzenden geschäftlichen 
Ereignissen hatte man alles Wissen und Kön 
nen zur Hand — nichts konnte einen aus der 
Ruhe bringen! Sobald man aber vor diese 
Evelyn trat, konnte man auf Überraschungen 
gefaßt sein. 
Nie wußte man, was sie wissen wollte, und 
was man wußte, wollte sie nicht wissen — 
Goddam! Er tröstete sich vorderhand mit Bray. 
Komm du nur aus deinem dunklen Balkan 
herauf, dachte er, inniger Schadenfreude voll. 
Dann wartete er auf TraudeRüland. Eswar 
schon kein Wunder, daß Miß Evelyn total 
germanisiert war. Vor drei Jahren hatte 
Franz Draake Traube aus Deutschland mitge 
bracht. Vollwaise, Tochter eines im Kriege ge 
fallenen Majors. Nun, alles was recht ist — 
ein herrliches Menschenkind! Kaum zwei Jahre 
älter als Evelyn. In der Heimat war sie bei 
unwirschen Verwandten herumgestoßen wor 
den, bis Franz Draake sie durch einen seiner 
Rechtsbeistände entdeckt hatte. Nun war das 
eine dicke Freundschaft zwischen den Mädchen 
geworden. Na — Hunter hing sich ans Tele 
phon. In der Weiserrtzer Bauleitung würde 
wohl jemand wissen, wie das Dorf mit dem 
Friedhof hieß. — 
Traude kam und lachte. 
„Tag, Herr Hunter — nun?" sie gab ihm 
freundlich die Hand. 
„Tag, Fräulein Rüland — erfreut Sie 
zu sehen — warum wollen die Damen wissen, 
wie das Dorf heißt, ich muß Sie ja doch hin 
bringen . . ." 
„O nein, Verehrtester, wir brauchen Sie 
nicht, nur den Wagen. Der neue Chauffeur ist 
schon eingekleidet, dunkelgrün mit rotem Vor- 
Otto Hawraneck. 
stoß, gefällt Ihnen das? Göhl heißt er, war 
Ordonnanz bei meinem Vater und im Neben 
beruf mein Kindermädchen." 
„Wie es beliebt", versetzte Hunter mißmutig, 
nannte Ort und Wegstrecke. 
„Herr Hunter — dieser Bray! Wirklich, ihr 
seid alle nicht zu gebrauchen, wenn es sich um 
chinesisches Porzellan handelt. . ." sie tippte 
ihm an die Stirn, „hier seid ihr groß wie Ele 
fanten, kalt wie der Nordpol . . ." sie zeigte 
auf sein Herz, „aber hier habt ihr ein großes, 
schwarzes..." 
„Uhrwerk", grinste er. 
„Gut! Sehr gut, der Vergleich", lobte sie. 
„Er stammt von Miß Evelyn", bekannte er 
spöttisch. 
„Auch Bescheidenheit steht Ihnen gut!" Sie 
winkte lachend, wollte zur Tür hinaus — kehr 
te noch einmal um. 
„Herr Hunter, ist er so hübsch, wie auf den 
Bildern?" 
„Wer denn?" 
„Na — der Baron Wolf!" 
„Kenn' ich nicht!" knurrte Hunter mißge 
launt. , 
„Mein Gott!" empörte sich Traude, „was seid 
ihr Sekretärs für Ausgeburten von Lange 
weile! Ihr habt weder Humor, noch seid ihr 
der kleinsten Tragödie fähig! Regen Sie sich 
doch wenigstens mal richtig auf — Sie — Sie 
..." mit gedämpfter Stimme vollendete sie, 
„Pinsel. . ." Schwapp war die Türe zu. 
Traude schritt über Korridore, trällerte leise 
vor sich hin. Herrlich, wieder in Deutschland 
zu sein — wundervoll, Evelyn mit zu haben! 
Und Ohm Draake hatte ihr ein kleines Vermö 
gen hinterlassen. Jetzt konnte sie der ganzen 
gräßlichen Verwandtschaft, die ihr monatlich 
auf den Pfennig vorgerechnet hatte, was die 
Tochter des Majors Rüland sie kostete, endlich 
die Almosen zurückerstatten. 
Dann wirbelte sie in das Zimmer der 
Freundin. 
„Kleine Eve — wir fahren morgen nach 
Oberfranken und machen alles selbst." 
„Ja", sagte Evelyn, „wir fahren morgen — 
wir wollen retten und gutmachen, was möglich 
ist. Nein, welch eine Idee von Pa, diesen Bray 
nach Frankenhof zu schicken ..." 
„Ja, schlimm", sagte Traube, „man müßte 
meinen, dieser unselige Mensch hätte sich ab 
sichtlich dumm benommen. Zu dem Baron zu 
gehen und einfach zu fragen — nein, es ist nicht 
zu glauben . . ." 
Evelyn preßte die Hände an die Schläfen. 
„Was muß — Wolf — von mir — denken!" 
Traude suchte zu trösten. 
Eve, ich werde zu ihm gehen und ihm erzäh 
len von der Mentalität Draakescher Sekretäre 
und dem kalten Geschäftsgeist eines Henry 
Draake! Wenn der alte Baron wirklich der Re 
volution im Weiseritztal zum Opfer gefallen 
ist, so ist das doch Schicksal. Es wird mancher 
Baum gefällt, damit Schößlinge zu Luft und 
Licht kommen ..." setzte sie weise hinzu. 
Evelyn lächelte der Freundin dankbar zu. 
„Ich weiß nicht, ob es klug von mir wäre, 
dich zu Wolf zu schicken. Vielleicht hat er eine 
Vorliebe für solch lustige schwarzbraune Mä 
dels wie du eins bist..." dachte sie laut. 
„Nicht zu machen", entschied Traude katego 
risch. „Wolf Dienhoff ist wohl — nach den Bil 
dern zu urteilen — ein netter, gutaussehender 
Mensch, aber nicht mein Typ. Ich will einen 
bbanden Hünen, der mich auf den Armen 
tragen kann — so groß muß er sein!" dabei 
zeigte sie an der Wand eine unwahrscheinliche 
Größe. 
„Ich werde mit suchen helfen — so große 
Männer sind leicht herauszufinden . . .", ver 
sprach Evelyn lachend. 
Das Telephon scharrte. 
„Der Chauffeur Fritz Göhl bittet, sich vor 
stellen zu dürfen", meldete die Portierloge. — 
Göhl trat in der neuen kleidsamen Uniform 
ein und meldete sich in militärischer Haltung 
bei Evelyn zum Dienstantritt. Sie hatte 
freundliche Worte für ihn, seine wohlerzogene, 
bescheidene Art und sein offenes, männliches 
Gesicht gefielen ihr. 
„Herr Göhl", rief Traude, „Sie haben sich 
fast gar nicht verändert — aber ich, wie?" 
„Gnädiges Fräulein waren damals noch sehr 
klein", sagte Göhl mit flüchtigem Lächeln. 
„Ach — erzählen Sie davon, Herr Göhl", bat 
Evelyn lachend. 
Sie hat mir oft die Knöpfe von der Uniform 
abgedreht und damit gespielt. Auch mußte ich 
immer in ihrem Laden einkaufen ..." 
„Wie war das?" lachte Traude. 
„Ich mußte die große Markttasche aus der 
Küche holen, eine Schürze umbinden und sa 
gen: „Guten Tag, Fräulein Rüland, ich will 
einkaufen." „Was wollen Sie denn", fragte 
Fräulein Rüland. Dann mußte ich viel wollen 
und alles wurde in die Tasche gepackt. Meist 
war der ganze Laden leer. Wenn ich gehen 
wollte, sagte Fräulein Rüland streng: „Sie 
haben nicht bezahlt, geben Sie alles wieder 
her." Na — dann wurde alles wieder ausge 
packt." 
Die Mädchen lachten herzlich — Göhl lachte 
mit. 
Auf die Frage, wie es ihm sonst ergangen 
sei, erzählte Göhl, daß er jahrelang Privat- 
und Reisechauffeur des Grafen Steinegg gewe 
sen sei. Aus dieser Zeit kannte er ganz Deutsch 
land, Italien, den Balkan. Dann hatte er Lie 
ferwagen gefahren und Omnibusse — zuletzt 
war er arbeitslos geworden. 
„Warum sind Sie nicht bei dem Grafen ge 
blieben?" fragte Evelyn. 
„Graf Steinegg ist selbst schon längst Chauf 
feur, ich habe ihm damals eine Stellung ver 
schafft . . .", er sah Evelyns ungläubiges Ge 
sicht und fügte erklärend hinzu? „Erst die In 
flation, dann Krisen, Pleiten, Verluste. Es hat 
mir bitter leid getan, der Herr Graf waren 
immer zu mir wie ein guter Kamerad." 
8. 
Ein herrlicher Frühlingsmorgen glitzerte 
über dem Platz vor dem Leipziger Hauptbahn 
hof. Die Menschen, die ihrem Büro zustrebten, 
ahen sehnsüchtig auf das schwere Auto, das 
dort wartete. Wer jetzt hinaus könnte in blü 
hende Wiesen und rauschende Wälder. Der 
Himmel stand in tiefer Bläue — man vermein 
te Lerchen trillern zu hören und spürte den 
Duft schneeiger Kirschbaumblüten. . . 
(Fortzetzung folgt). 
S
	        
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