, 3« ten Dörfern und Siedlungen um die Rhode-
rich-Grube bereitete man sich auf das Osterfest vor.
Männer, die rußig aus dem Schacht kamen, freuten
sich auf sin paar Tage Ruhe. Mit den bescheidenen
Mitteln, die ihnen zur Verfügung standen, versuch
ten ihre Frauen, für die Feiertage etwas Besonde
res zu schaffen. Die kleinen Wohnungen wurden
gründlich geiäubert. Die Fenster standen morgens
lange auf, und man hörte von draußen das Klopfen,
Rücken und Stellen. In den Vorgärten waren Lei
nen gezogen und Betten hingen zum Lüften dar
über. Mädchen mit hochgekrempelten Blusenärmeln
putzten leise summend die Fenster.
Mit gefüllten Taschen gingen die Frauen heim
wärts. Die Kinder liefen durch die stillen Straßen
und schwangen Weidengerten, die sie draußen am
Bach geschnitten hatten. Der Himmel gab klare Tage.
Reinere Lust strömte aus den erwachenden Wöl
bern. Und doch merkt man — nicht nur an den Tür-
N!«n und Schornsteinen der Werkanlagen — daß
man sich in der Nähe eines Kohlenschachtes befand;
der feine Kohlenstaub, der von den Verladestellen in
d>e Luft wirbelte, setzte sich auf den nahen Bäumen
fest, siel, windbewegt, auf achtlose Spaziergänger,
fraß sich in die Schuhe.
Mit der bimmelnden Werksbahn, die auf einem
Privatglcis den Verkehr zwischen Werk und Eisen-
vahnstation bewältigt, kam am Donnerstag vor
Ostern Martha Kahle von einem Besuch bei ihren
Eltern heim. Die Eltern lebten hier in der Nähe auf
einem kleinen Bauerngütchen.
Gute Dinge hatte die junge Frau von dort mitge-
»rächt, Butter. Eier und Schinken. Die alten, lieben
Leutchen wußten recht gut, wie schwer das Wirt
schaften mildem bescheidenen Einkommen war und
halfen mit jolchen „Liebesgaben", wenn es nur ir
gend ging. Auf Rosen aber war hier niemand gebet
tet. Jeder war froh. wenn er solche „Quellen" hatte.
Wie oft hatte auch schon Frau Kahle, wenn ein
Grrest ausgebrochen war, den Weg zu ihren Eltern
gehen müssen. Immer war sie mit vollen Taschen -zu
rückgekommen.
Run war ihr auch für Ostern eine Bereicherung
'şis Küchenzettels gelungen. Paul, ihr Mann,
wurTde sich freuen. Sie saß zufrieden im Abteil. Mit
icharfem Pfeifen nahm der Werkszug auf seinem
Wege durch dünne Waldungen die letzte Kurve,
und i'm Glanz des späten Frühlingstages lag die
Ortichast vor den Augen der Frau. Dort drüben
leuchtete das Dach ihres Hauses. Gleich war sie da
heim.
An der Haltestelle traf sie mit Frau Kühn zufam-
Dien. der geschwätzigsten Frau des Ortes. Sie kam
eben aus dem Kaufhaus und musterte Frau Kahle
mit etwas neidischen Blicken.
.Sie kaufen billiger ein!" sagte sie zweibeutig.
Frau Kohle lächelte flüchtig und schritt leicht grü
ßend vorüber. Zu Hause angekommen, dachte sie gar
nicht daran, sich erst einmal von dem weiten Weg
Wer Land auszuruhen, sie war in einer steudigen
Geschäftigkeit, hantierte in der Küche, bürstete den
guten Anzug ihres Mannes, den er Ostern anziehen
würde und saß mit einer Näharbeit am Fenster, bis
der Abend dunkelte. In drei Stunden würde Paul
von den Schicht kommen. Müde, hungrig, froh.
Auf der stillen Straße waren plötzlich Stimmen
laut geworden. Unten im Haus wurden Türen zu
geschlagen. Auf der Treppe dröhnten schwere, schnelle
Schritte. Das ganze Mieterhaus, der ganze Häuser-
vlock schien auf einmal in Unruhe geraten zu sein.
Neugierig öffnete Frau Kahle das Fenster. Draußen
liefen die Menschen. Vor den Haustüren standen er
regte Gruppen. Frau Kahle nahm ein Tuch und
rannte hinunter.
„Wissen Sie noch nicht?" rief man îhr entgegen,
„ein Unglück ist geschehen."
Seit drei Jahren hatte es auf der Roderich-Grube
kein bemerkenswertes Unglück gegeben. Run war
eine furchtbare Katastrophe über sie hereingebrochen,
niemand hatte daran denken können, drei Tage vor
Oiiern! Telephon und Telearaph riefen die Un
glücksbotschaft in die Welt. Mit fieberhaftem Eifer
waren die sofort eingesetzten Rettungskolonnen be
müht. ihren gefährdeten Kameraden Hilfe zu brin
gen. Die ersten Geretteten konnten schon fortge
führt, fortgefahren werden. Tote hatte man bisher
nicht geborgen. Aber über das Schicksal der in der
untersten Sohle eingeschlossenen Belegschaft war
man noch völlig im Unklaren.
Unter den klagenden, weinenden Frauen, die vor
den Toren des Werkes standen, befand sich auch
Frau Kahle. Schwere Stunden vergingen in Dun
kelheit und Ungewißheit. Manchmal kam ein Trupp
Geretteter vorüber und aus der Schar der Frauen
stürzte schreiend die Mutter, die Ehefrau des Ge
retteten.
AeiLrmg tts letzte« StunKe.
Sster«r;àhlukig Dots Kurt Kn-oif Aenbert.
der kleinen, einfachen Kirche brannten Kerzen unter
dem Bilde der Schutzheiligen dieser Grube. Blasse
Frauen kamen und verweilten. Ernste, hagere Män
ner kamen, Kameraden, Kumpels der Eingeschlosse
nen. Die Kerzen brannten noch am nächsten Tag,
Roch am nächsten Tag wußten die Frauen nicht, ob
ihre Männer am Leben waren. Und das Osterfest
stand bevor. Dom Bäcker mußte der Kuchen abgeholt
werden. Als schämten sie sich, gingen glücklichere
Frauen, deren Männer gerettet worden waren, mit
den Kuchenblechen über die Straße. Die Kinder wag-
ten nicht, wie sonst aus den Plätzen zu spielen. Das
Werk drohte mit Riesenfingern herüber. Aber der
Himmel war blau und schien keinen Grund zu wis-
>en, traurig zu sein. Die Sonne strahlte.
*
Viele hundert Meter tief warteten die Männer
auf ihre Befreiung. Ein finsteres, schreckliches Ge
fängnis schloß sie vorn Leben ab. Manche lagen schon
wie leblos da. aber sie bewegten noch die Lippen,
I röchelten. Immer schwerer wurde das Atmen. Die
Lust war verbraucht. Der Magen schrie nach Nah
rung, Und die Lippen lechzten nach Wasser.
„Jetzt wird oben wohl Ostern sein!" seufzte je-
mand.
_ Paul Kohlende,chte an seine Frau. Er sah sie, wie
jie freudestrahlend die Taschen auskramte und But
ter, Eier und Schinken auf dem Tisch ausbreitete.
Er hatte krankhafte Vorstellungen davon.
„Hast du noch einen Schluck in der Flasche?" fragte
ihn sein Nebenmann.
Kahle schüttelte den Kopf.
„Es ist aus!" sagte der andere. „Aus!"
Aber Kahle, der an seine Frau dachte, ergriff
einen Hammer und schlug gegen ein Rohr. Dreimal.
Immer wieder. Wenn sein Arm erlahmte, gab er den
Hammer einem anderen. Don einem zum anderen
ging der Hammer. Bis er wieder in Kahles Hand
war. Unermüdlich schlug er. Mit letzter Kraft. Mit
dem letzten Willen zum Leben.
Die Geophone der Rettungskolonne registrierten
-diese Zeichen. Mit wilder Entschlossenheit trieben die
«chwitzigen, rußigen, verbissenen Männer den Ret
tungsstellen durch die Felsmassen...
Ostern! In den Dörfern und Siedlungen der Ro
derich-Grube gab es keinen fröhlichen Ostermorgen.
Wer hatte den Mut zur Fröhlichkeit? Wem schmeckte
das Frühstück? Wem blieb der Bissen nicht im
Munde stecken? Wer dachte nicht an die Eingeschlos
senen und wieviele von ihnen wohl noch am Leben
waren? Die Zeichen, die man durch die Geophone
gehört hatte, blieben die einzige Hoffnung. Mer
wenn es nicht gelang, den Eingeschlossenen frische
Luft zuzuleiten, würden die Klopfzeichen aufhören,
ehe man den Rettungsstellen zu ihnen vorgetrieben
hatte...
Nie war ein solcher Ostertag in dieser Gegend be-
gangen worden. Nie war auch die Kirche so voll ge
wesen wie an diesem Tage. Die Sonne schien durch
die Fenster und umwob die Scheitel der blassen, still
weinenden Frauen. Die Schutzheilige lächelte herab.
Der Geistliche suchte nach Worten. Er hob langsam
die Arme, und cs sah fast aus, als wüßte er sich
ratlos diesem Leid gegenüber. Er war sich klar über
-die außergewöhnliche Mission, diesen Frauen und
Männern die Osterbotschaft zu verkünden. Nie war
ihm eine Osterpredigt schwerer gefallen. Liber dann
war er wie von seinen eigenen Worten fortgerissen.
Es war, als hätte er eine Vision, Aus Trost wurde
Zuversicht, aus Zuversicht Glaube. Sie leben!
i)u dieser Stunde brach plötzlich Licht in das Ge
fängnis der Verschütteten. Der Rettungsstollen hatte
sie erreicht. Gierig sogen die Lungen den Sauerstoff
-der Rettungsappparatc. Stützende, helfende Hände
umfingen sie. Immer weiter ging es dem Licht; dem
Leben zu. Immer heller wurde es.
Und dann war die Kunde plötzlich in der Kirche.
Jemand riß d:e Tür auf und schrie: „Sie leben! Sie
sind gerettet!" Fast erschraken die Sitzenden. Die
Orgel setzte aus. Der Geistliche stand stumm. Schluch
zen brach in den Bänken auf. Eine große Bewegung
lief plötzlich durch die Reihen. Der Geistliche hob die
Hände zum Segen. Die Orgel setzte brausend ein.
Und dann strömte man hinaus.
Eben brachte man die Geretteten aus dem Schacht.
Sie waren zu Tode erschöpft und doch lallten sie,
als sie den klaren, blauen Himmel über sich sahen...
schon wieder verflogen, weggeblasen von Ser
Sonne und stolz ziehen drei Dampfer, zwei Deut
sche und ein Amerikaner, die Elbe hinab, seewärts
Cuxhaven. Eine Größe, eine Erhabenheit liegt in
diesen still dahingleitenden Ungetümen, die dev
Menschen erschauern macht, wie immer, wenn ihm
etwas Erhabenes in den Weg kommt. Glücklich,
die wir die Schönheit fühlen können.
Wieder naht jetzt eine dunkle.Wolke,rschichr
Die Sonnenstrahlen spielen eben noch mit den drei
Leuchttürmen von Wittenbergen, Tienstahl und
Billerbek, fahren einmal liebkosend über den fer
nen Hahnhofer Sand, der von Sträflingen urbar
gemacht wird, kriechen dann aber erschreckt zusam
men vor den weißen Flöckchen, die sacht zu fallen
beginnen. Ganz ruhig liegt mitten auf der Elbe
i ein Elver. Ein blondes Mädel steht ohne Hut auf
der Landungsbrücke. Die kurz geschnittenen Haarr
flattern im Wind. Sehnsüchtig schaut sie den fernen
Schiffen nach ... .
Schwer trennt sich der Mensch von all dem Wun
derbaren. Ein letzter Blick noch aus die Umgebung,
dann gehts zurück. Auswärts durch holprige Gas
sen. über leere Plätze und durch stille Parks, in
denen der Vorfrühling atmet. Dichter und dichter
fällt der Schnee. Blankenese träumt von grünen
Bäumen und bunten Blumen, von frohen
Menschen, die sommerlich lachend auf den Süllberg
klettern, und von den Schissen, deren dumpfe
Stimme es nachts aus dem Schlaf dröhnt.
„Das ist die „Deutschland"," brummt dann der
brave Bürger, „kommt aus Amerika zurück," dreht
sich herum und schläft weiter. Er weiß das wie je
des Kind in Hamburg und Blankenese. Manch
eine aber hat schon lange am Fenster gestanden
und hinausgeblickt in die stille Nacht, hat gewar
tet auf den Sivenenton. der des Geliebten Heim
kehr ankündigt von weiter Fahrt . . .
Als der Zug wieder einfährt in den Hamburger
Hauptbahn-hof, ist der Schnee verschwunden. Dröh
nend umfängt mich der hämmernde Rhythmus der
freien Stadt. Irgendwo in der Ferne liegt Blan-
teneje. Die großen Schiffe gleiten daran vorüber,
nehmen einen letzten Gruß mit von der Heimat,
hinaus aufs Meer.
, »Dald, bald ..hupen die Autos und klappern
die eisernen Hufe der Pferde . . .!
Auk Ha«s Grimms Farm.
Frühling in der Alpcnwclt.
Vorfrühling in Vlankrmft.
Von Franz Hell.
„Grüßen Sie mir Hamburg," bat das kleine
Fräulein im Zug, als ich mich von ihr verabschie
dete . . , „und Blankenese," fügte sie leise hinzu.
„Ich kenne es gut . .
Ich sagte ja und vergaß es wieder im Trubel
kr lauten Tage. Eines Morgens aber mahnten
mich am Hafen die Glocken von St. Katharinen an
das gegebene Wort. Schnee war gefallen in Ham
burg und die ganze Stadt, sonst brausend, don
nernd, hatte etwas Behutsames bekommen. Lin
des. l-ackeres Weiß deckte alle Gegenstände. Und
selbst die Sehnsucht ins Weite, die nun einmal im
Wesen dieser Stadt ist. vibriert in tröstlichen Moll
akkorden.
„Bist du da? Lebst du? Ist dir nichts geschehen?"
Glückliche Gesichter im Dunkel der Nacht. Stam-
ruelnde Lippen. Zitternde Hände. Ergriffenes Heim-
wärtsgehen.
Aber da vorn weiter Schweigen, Angst, Grauen,
Ungewißheit.
Und nach und nach lösten sich aus der Menge auch
die tödlich Schweigenden, die geistesabwesend Flü
sternden, die Gebeugten, die Getroffenen. Schreck
liches Heimwärtsgehen. Leer der Stuhl. Leer das
Bett. Das Feuer im Ofen erloschen. Die Uhr stehen
geblieben. Eine Mütze von „ihin" am Laaken. Ein
Bild an der Wand. Und das Licht brannte bis zum
Morgen. Und niemand schlief. Alle warteten, hoff
te», beteten.
Ein düsterer Karfreitag brach an.
Frau Kahle war nur eine von den 26 Frauen, die
«m nächsten Morgen noch nicht wußten, ob ihr Mann
lebte. Alle waren gerettet, bis auf diese .Letzten. In
„Vielleicht, vielleicht . . hupen die Autos, und
das Hufgeklapper der Pferde pocht ein hoffnungs
frohes „bald, bald geht es hinaus in die Welt".
Vorüber fliegt der Zug an Fabrikanlagen und
altmodischen Hinterhäusern. Würdige Kaufleute
sitzen im Abteil und korrekte Damen, aus deren
zierlich gemütlicher Mundart das starke Rückgrat
dieser wundervollen Stadt klingt. Aber in Altona
wird es schon wieder leer. Und nach kaum einer
Stunde .verläßt man als einziger Fahrgast in
Blankenese den Zug, schreitet langsam seinen Weg
vom Bahnhof aus eine Straße hinah, selbstver
ständlich die „Bahnhosstraße", und schaut sich um.
Kleine, gemütliche Häuser, kleine Lädchen. ja sogar
ein kleiner Kiosk ist vorhanden für Schokolade und
Zigaretten. Don der Elbe, dem großen Wasser —
nichts. t
„Ja ,man llmmer grod ut." gibt ein Alter Be
scheid und man geht immer grade aus. Durch merk
würdige Gassen, von gepflasterten Treppenstufen
unterbrochen, führt der Weg hinunter, vorbei au
stillen Parks mit soliden und protzigen Villen,
die alle noch im tiefen Winterschlaf liege!!.
Menschen sind kaum vorhanden. Hie und da eine
Fräulein alter Herr oder ein paar Mädchen, die
dem Fremden neugierig nachschauen.
Ganz plötzlich liegt vor einem die Elbe. Un
willkürlich hält der Mensch den Atem an, fühlt
sich hilflos angesichts des ungeheuren Stroms.
Aber vielleicht ist es auch nur wieder die Sehn
sucht, das Geheimnis der Fremde, dessen der Fluß
teilhaftig ist, und der Wunsch, auf seinem Rücken
mit dem erstbesten Schiff hinauszuziehen nach In
dien, nach Australien oder was weiß ich wohin.
Dann aber pendelt man langsam den steinernen
Kai entlang, an den die Wellen klatschen, und
atmet in vollen Zügen die Luft ein, die vom Meer
kommt, und das ganz leise Ahnen vom Frühling,
das dem beigemengt ist. Nach vorn zu dehnt sich die
große Ebene, breit, und in grau verschwimmend.
Drüben, am jenseitigen User, ragt irgendwo die
Silhouette eines riesigen Krans in den Hinimel,
ganz unmittelbar und doppelt intpofant in der
ungeheuren Fläche. Links, an die Kaimauer ge
lehnt.^ wieder ein paar Häuschen, ein Zaun zieht
sich längs, Hunde kläffen und eine beruhigende
Stimme, deren Eigentümer unsichtbar bleibt,
spricht in bedächtigem Tonfall. Im Rücken aber,
so daß es auf einen zu fallen scheint, Blankenese.
Alan denkt, die Häuser stehen eng aneinander ge
schmiegt. Stimmt gar nicht. Ueüerall sind Gärten
dabei, unterbrochen von den merkwürdigen Trep
penstraßen bis hin zum Sllllberg. ,
Nordöstlich kommt soeben eine Wolkenbank auf,
macht die Atmosphäre diesig und spannt Nebel über
den Strom, die den weiten Blick hindern. Doch
nun taucht etwas auf aus diesem Nebel, noch et
was und noch etwas. Gigantisch steigt es empor,
verschieben sich Perspektiven, heult dumpf einer
Sirene elementare Stimme. Da ist auch der Nebel
Eine Erinnerungsskizze an jene südafrikanische
Farm, aus welcher der niederdeutsche Dichter, der
heute an der Weser lebt, damals als Kaufmann
arbeitete, und wo auch Cornelius Friebott, der
Held des Romans „Volk ohne Raum", Einkehr
hielt.
Weit zurück wandert die Erinnerung. In die Zeit,
lange vor dem Kriege, wo Deutschland noch nicht
das gequälte „Volk ohne Raum", Hans Grimm noch
mcht unseres deutschen. Schicksals Deuter und Dich-
ttx mar«. J
Dichter ist er wohl inkmer gewesen, aber damals
noch nur ein heimlich-stiller, der durch Pflichtberuf
und Alltagswerk verdrängt war. oder auch gerade
dadurch erst zu Können und Verstehen heranreifen
sollte.
Als wir uns vor fast dreißig Jahren in Südafrika
kennen lernten, war Hans Grimm also noch Kauf-
mami. Dem erfolgreichen Beispiele so mancher Deut-
Ichen da draußen folgend, hatte er zusammen mit
anderen in East London, der östlichen Hafenstadt der
britischen Kapkolonie, eine ansehnliche Handelsfirma
begründet. Wacker mühte er sich, durch eifrige Arbeit
im Kontor und auf Reisen das junge Unternehmen
hochzubringen, damit er recht bald von Gelderwerb
und Geschäft frei werd«. Denn beides war für ihn.
den schwergefügten, besinnlichen Niedersachsen aus
alter Gelehrtenfamilie, je mehr freudlose Pflicht
erfüllung geworden, je weiter ihn der falsch ge.
wählte Berussweg von seiner innerlichen Berufung
entfernte.
Gleichsam als Gegengewicht gegen die unftohe,
oft harte Tagesarbeit in der heißen Hafenstavt hatte
sich Grimm draußen in der Einsamkeit des Landes,
am Küstenfluß Nahoon, ein bescheidenes Farm-
häuschen geschaffen, wo er mit seinen Büchern und
Pferden und Hunden hauste. Auf diese kleine Wohn.
farni, deren Bild in „Volk ohne Raum" wahrheits
getreu und liebevoll nachgezeichnet ist, lud mich da.
-mals Grimm ein. um sein Leben dort zu teilen. Da
auch ich als Kaufmann in der Stadt arbeitete, so
konnten wir die knappe Wegstunde dorthin am
Morgen gemeinsam nehmen, zu Fuß. zu Pferd oder
im leichten Wagen, und am Abend wieder zusammen
zurückkehren. Da gab es, zumal für mich als Neu
ling im fremden Lande, allerlei „Afrikanisches" zu
schauen. Gleich bei der Farm führt der Weg an
einem Kaffernkraal vorbei, und da sieht man die
Schwarzen in malerisch-schmutzigen, halbkugeligen
Lehmhütten hausen, mit Weibern und Kindern,
Hühnern und Hunden, die faulen Freistunden des
Tages, fast unbekleidet, genießend; erst wenn sie zur
Stadt gehen, müssen sie sich Kleidung umtun und
Tücher, darin die Mütter ihre Säuglinge auf Brust
-und Rücken tragen.
Entlang der großen Landstraße, die vom Binnen
land« hinab zur Küste führt, herrscht geschäftiges
Leben. Da ziehen die schweren Ochienwagen mit
! ihren Lasten von Wolle, Häuten und Fellen in oft
wochenlanger Fahrt zur Hafenstadt, von dort aller-
Hand Gebrauchsgüter zurückführend. In dem plan-
Gedeckten, freien Teile des Wagens Hausen die Fuhr
leute oder die Farmer selbst, vielfach mit ihrer Fa-
milie, und die starken Zugochsen, meist 8—9 Paare,
haben es schwer, das Gewicht des Wagens zu zie
hen. wenn die Straße einmal stärker ansteigt. Dann
muß die riesige Dambuspeitsche mit der langen Rie
men schnür nachhelfen, womit der Wagenführer vom
Sitze aus treffsicher jedes einzelne Tier erreicht;
alle Ochsen haben und kennen ihren Namen, und es
ist meist der „verdomde Engelsman", der als faul-
ster und bestgehaßter die meisten Prügel bezieht