Full text: Newspaper volume (1932, Bd. 1)

, 3« ten Dörfern und Siedlungen um die Rhode- 
rich-Grube bereitete man sich auf das Osterfest vor. 
Männer, die rußig aus dem Schacht kamen, freuten 
sich auf sin paar Tage Ruhe. Mit den bescheidenen 
Mitteln, die ihnen zur Verfügung standen, versuch 
ten ihre Frauen, für die Feiertage etwas Besonde 
res zu schaffen. Die kleinen Wohnungen wurden 
gründlich geiäubert. Die Fenster standen morgens 
lange auf, und man hörte von draußen das Klopfen, 
Rücken und Stellen. In den Vorgärten waren Lei 
nen gezogen und Betten hingen zum Lüften dar 
über. Mädchen mit hochgekrempelten Blusenärmeln 
putzten leise summend die Fenster. 
Mit gefüllten Taschen gingen die Frauen heim 
wärts. Die Kinder liefen durch die stillen Straßen 
und schwangen Weidengerten, die sie draußen am 
Bach geschnitten hatten. Der Himmel gab klare Tage. 
Reinere Lust strömte aus den erwachenden Wöl 
bern. Und doch merkt man — nicht nur an den Tür- 
N!«n und Schornsteinen der Werkanlagen — daß 
man sich in der Nähe eines Kohlenschachtes befand; 
der feine Kohlenstaub, der von den Verladestellen in 
d>e Luft wirbelte, setzte sich auf den nahen Bäumen 
fest, siel, windbewegt, auf achtlose Spaziergänger, 
fraß sich in die Schuhe. 
Mit der bimmelnden Werksbahn, die auf einem 
Privatglcis den Verkehr zwischen Werk und Eisen- 
vahnstation bewältigt, kam am Donnerstag vor 
Ostern Martha Kahle von einem Besuch bei ihren 
Eltern heim. Die Eltern lebten hier in der Nähe auf 
einem kleinen Bauerngütchen. 
Gute Dinge hatte die junge Frau von dort mitge- 
»rächt, Butter. Eier und Schinken. Die alten, lieben 
Leutchen wußten recht gut, wie schwer das Wirt 
schaften mildem bescheidenen Einkommen war und 
halfen mit jolchen „Liebesgaben", wenn es nur ir 
gend ging. Auf Rosen aber war hier niemand gebet 
tet. Jeder war froh. wenn er solche „Quellen" hatte. 
Wie oft hatte auch schon Frau Kahle, wenn ein 
Grrest ausgebrochen war, den Weg zu ihren Eltern 
gehen müssen. Immer war sie mit vollen Taschen -zu 
rückgekommen. 
Run war ihr auch für Ostern eine Bereicherung 
'şis Küchenzettels gelungen. Paul, ihr Mann, 
wurTde sich freuen. Sie saß zufrieden im Abteil. Mit 
icharfem Pfeifen nahm der Werkszug auf seinem 
Wege durch dünne Waldungen die letzte Kurve, 
und i'm Glanz des späten Frühlingstages lag die 
Ortichast vor den Augen der Frau. Dort drüben 
leuchtete das Dach ihres Hauses. Gleich war sie da 
heim. 
An der Haltestelle traf sie mit Frau Kühn zufam- 
Dien. der geschwätzigsten Frau des Ortes. Sie kam 
eben aus dem Kaufhaus und musterte Frau Kahle 
mit etwas neidischen Blicken. 
.Sie kaufen billiger ein!" sagte sie zweibeutig. 
Frau Kohle lächelte flüchtig und schritt leicht grü 
ßend vorüber. Zu Hause angekommen, dachte sie gar 
nicht daran, sich erst einmal von dem weiten Weg 
Wer Land auszuruhen, sie war in einer steudigen 
Geschäftigkeit, hantierte in der Küche, bürstete den 
guten Anzug ihres Mannes, den er Ostern anziehen 
würde und saß mit einer Näharbeit am Fenster, bis 
der Abend dunkelte. In drei Stunden würde Paul 
von den Schicht kommen. Müde, hungrig, froh. 
Auf der stillen Straße waren plötzlich Stimmen 
laut geworden. Unten im Haus wurden Türen zu 
geschlagen. Auf der Treppe dröhnten schwere, schnelle 
Schritte. Das ganze Mieterhaus, der ganze Häuser- 
vlock schien auf einmal in Unruhe geraten zu sein. 
Neugierig öffnete Frau Kahle das Fenster. Draußen 
liefen die Menschen. Vor den Haustüren standen er 
regte Gruppen. Frau Kahle nahm ein Tuch und 
rannte hinunter. 
„Wissen Sie noch nicht?" rief man îhr entgegen, 
„ein Unglück ist geschehen." 
Seit drei Jahren hatte es auf der Roderich-Grube 
kein bemerkenswertes Unglück gegeben. Run war 
eine furchtbare Katastrophe über sie hereingebrochen, 
niemand hatte daran denken können, drei Tage vor 
Oiiern! Telephon und Telearaph riefen die Un 
glücksbotschaft in die Welt. Mit fieberhaftem Eifer 
waren die sofort eingesetzten Rettungskolonnen be 
müht. ihren gefährdeten Kameraden Hilfe zu brin 
gen. Die ersten Geretteten konnten schon fortge 
führt, fortgefahren werden. Tote hatte man bisher 
nicht geborgen. Aber über das Schicksal der in der 
untersten Sohle eingeschlossenen Belegschaft war 
man noch völlig im Unklaren. 
Unter den klagenden, weinenden Frauen, die vor 
den Toren des Werkes standen, befand sich auch 
Frau Kahle. Schwere Stunden vergingen in Dun 
kelheit und Ungewißheit. Manchmal kam ein Trupp 
Geretteter vorüber und aus der Schar der Frauen 
stürzte schreiend die Mutter, die Ehefrau des Ge 
retteten. 
AeiLrmg tts letzte« StunKe. 
Sster«r;àhlukig Dots Kurt Kn-oif Aenbert. 
der kleinen, einfachen Kirche brannten Kerzen unter 
dem Bilde der Schutzheiligen dieser Grube. Blasse 
Frauen kamen und verweilten. Ernste, hagere Män 
ner kamen, Kameraden, Kumpels der Eingeschlosse 
nen. Die Kerzen brannten noch am nächsten Tag, 
Roch am nächsten Tag wußten die Frauen nicht, ob 
ihre Männer am Leben waren. Und das Osterfest 
stand bevor. Dom Bäcker mußte der Kuchen abgeholt 
werden. Als schämten sie sich, gingen glücklichere 
Frauen, deren Männer gerettet worden waren, mit 
den Kuchenblechen über die Straße. Die Kinder wag- 
ten nicht, wie sonst aus den Plätzen zu spielen. Das 
Werk drohte mit Riesenfingern herüber. Aber der 
Himmel war blau und schien keinen Grund zu wis- 
>en, traurig zu sein. Die Sonne strahlte. 
* 
Viele hundert Meter tief warteten die Männer 
auf ihre Befreiung. Ein finsteres, schreckliches Ge 
fängnis schloß sie vorn Leben ab. Manche lagen schon 
wie leblos da. aber sie bewegten noch die Lippen, 
I röchelten. Immer schwerer wurde das Atmen. Die 
Lust war verbraucht. Der Magen schrie nach Nah 
rung, Und die Lippen lechzten nach Wasser. 
„Jetzt wird oben wohl Ostern sein!" seufzte je- 
mand. 
_ Paul Kohlende,chte an seine Frau. Er sah sie, wie 
jie freudestrahlend die Taschen auskramte und But 
ter, Eier und Schinken auf dem Tisch ausbreitete. 
Er hatte krankhafte Vorstellungen davon. 
„Hast du noch einen Schluck in der Flasche?" fragte 
ihn sein Nebenmann. 
Kahle schüttelte den Kopf. 
„Es ist aus!" sagte der andere. „Aus!" 
Aber Kahle, der an seine Frau dachte, ergriff 
einen Hammer und schlug gegen ein Rohr. Dreimal. 
Immer wieder. Wenn sein Arm erlahmte, gab er den 
Hammer einem anderen. Don einem zum anderen 
ging der Hammer. Bis er wieder in Kahles Hand 
war. Unermüdlich schlug er. Mit letzter Kraft. Mit 
dem letzten Willen zum Leben. 
Die Geophone der Rettungskolonne registrierten 
-diese Zeichen. Mit wilder Entschlossenheit trieben die 
«chwitzigen, rußigen, verbissenen Männer den Ret 
tungsstellen durch die Felsmassen... 
Ostern! In den Dörfern und Siedlungen der Ro 
derich-Grube gab es keinen fröhlichen Ostermorgen. 
Wer hatte den Mut zur Fröhlichkeit? Wem schmeckte 
das Frühstück? Wem blieb der Bissen nicht im 
Munde stecken? Wer dachte nicht an die Eingeschlos 
senen und wieviele von ihnen wohl noch am Leben 
waren? Die Zeichen, die man durch die Geophone 
gehört hatte, blieben die einzige Hoffnung. Mer 
wenn es nicht gelang, den Eingeschlossenen frische 
Luft zuzuleiten, würden die Klopfzeichen aufhören, 
ehe man den Rettungsstellen zu ihnen vorgetrieben 
hatte... 
Nie war ein solcher Ostertag in dieser Gegend be- 
gangen worden. Nie war auch die Kirche so voll ge 
wesen wie an diesem Tage. Die Sonne schien durch 
die Fenster und umwob die Scheitel der blassen, still 
weinenden Frauen. Die Schutzheilige lächelte herab. 
Der Geistliche suchte nach Worten. Er hob langsam 
die Arme, und cs sah fast aus, als wüßte er sich 
ratlos diesem Leid gegenüber. Er war sich klar über 
-die außergewöhnliche Mission, diesen Frauen und 
Männern die Osterbotschaft zu verkünden. Nie war 
ihm eine Osterpredigt schwerer gefallen. Liber dann 
war er wie von seinen eigenen Worten fortgerissen. 
Es war, als hätte er eine Vision, Aus Trost wurde 
Zuversicht, aus Zuversicht Glaube. Sie leben! 
i)u dieser Stunde brach plötzlich Licht in das Ge 
fängnis der Verschütteten. Der Rettungsstollen hatte 
sie erreicht. Gierig sogen die Lungen den Sauerstoff 
-der Rettungsappparatc. Stützende, helfende Hände 
umfingen sie. Immer weiter ging es dem Licht; dem 
Leben zu. Immer heller wurde es. 
Und dann war die Kunde plötzlich in der Kirche. 
Jemand riß d:e Tür auf und schrie: „Sie leben! Sie 
sind gerettet!" Fast erschraken die Sitzenden. Die 
Orgel setzte aus. Der Geistliche stand stumm. Schluch 
zen brach in den Bänken auf. Eine große Bewegung 
lief plötzlich durch die Reihen. Der Geistliche hob die 
Hände zum Segen. Die Orgel setzte brausend ein. 
Und dann strömte man hinaus. 
Eben brachte man die Geretteten aus dem Schacht. 
Sie waren zu Tode erschöpft und doch lallten sie, 
als sie den klaren, blauen Himmel über sich sahen... 
schon wieder verflogen, weggeblasen von Ser 
Sonne und stolz ziehen drei Dampfer, zwei Deut 
sche und ein Amerikaner, die Elbe hinab, seewärts 
Cuxhaven. Eine Größe, eine Erhabenheit liegt in 
diesen still dahingleitenden Ungetümen, die dev 
Menschen erschauern macht, wie immer, wenn ihm 
etwas Erhabenes in den Weg kommt. Glücklich, 
die wir die Schönheit fühlen können. 
Wieder naht jetzt eine dunkle.Wolke,rschichr 
Die Sonnenstrahlen spielen eben noch mit den drei 
Leuchttürmen von Wittenbergen, Tienstahl und 
Billerbek, fahren einmal liebkosend über den fer 
nen Hahnhofer Sand, der von Sträflingen urbar 
gemacht wird, kriechen dann aber erschreckt zusam 
men vor den weißen Flöckchen, die sacht zu fallen 
beginnen. Ganz ruhig liegt mitten auf der Elbe 
i ein Elver. Ein blondes Mädel steht ohne Hut auf 
der Landungsbrücke. Die kurz geschnittenen Haarr 
flattern im Wind. Sehnsüchtig schaut sie den fernen 
Schiffen nach ... . 
Schwer trennt sich der Mensch von all dem Wun 
derbaren. Ein letzter Blick noch aus die Umgebung, 
dann gehts zurück. Auswärts durch holprige Gas 
sen. über leere Plätze und durch stille Parks, in 
denen der Vorfrühling atmet. Dichter und dichter 
fällt der Schnee. Blankenese träumt von grünen 
Bäumen und bunten Blumen, von frohen 
Menschen, die sommerlich lachend auf den Süllberg 
klettern, und von den Schissen, deren dumpfe 
Stimme es nachts aus dem Schlaf dröhnt. 
„Das ist die „Deutschland"," brummt dann der 
brave Bürger, „kommt aus Amerika zurück," dreht 
sich herum und schläft weiter. Er weiß das wie je 
des Kind in Hamburg und Blankenese. Manch 
eine aber hat schon lange am Fenster gestanden 
und hinausgeblickt in die stille Nacht, hat gewar 
tet auf den Sivenenton. der des Geliebten Heim 
kehr ankündigt von weiter Fahrt . . . 
Als der Zug wieder einfährt in den Hamburger 
Hauptbahn-hof, ist der Schnee verschwunden. Dröh 
nend umfängt mich der hämmernde Rhythmus der 
freien Stadt. Irgendwo in der Ferne liegt Blan- 
teneje. Die großen Schiffe gleiten daran vorüber, 
nehmen einen letzten Gruß mit von der Heimat, 
hinaus aufs Meer. 
, »Dald, bald ..hupen die Autos und klappern 
die eisernen Hufe der Pferde . . .! 
Auk Ha«s Grimms Farm. 
Frühling in der Alpcnwclt. 
Vorfrühling in Vlankrmft. 
Von Franz Hell. 
„Grüßen Sie mir Hamburg," bat das kleine 
Fräulein im Zug, als ich mich von ihr verabschie 
dete . . , „und Blankenese," fügte sie leise hinzu. 
„Ich kenne es gut . . 
Ich sagte ja und vergaß es wieder im Trubel 
kr lauten Tage. Eines Morgens aber mahnten 
mich am Hafen die Glocken von St. Katharinen an 
das gegebene Wort. Schnee war gefallen in Ham 
burg und die ganze Stadt, sonst brausend, don 
nernd, hatte etwas Behutsames bekommen. Lin 
des. l-ackeres Weiß deckte alle Gegenstände. Und 
selbst die Sehnsucht ins Weite, die nun einmal im 
Wesen dieser Stadt ist. vibriert in tröstlichen Moll 
akkorden. 
„Bist du da? Lebst du? Ist dir nichts geschehen?" 
Glückliche Gesichter im Dunkel der Nacht. Stam- 
ruelnde Lippen. Zitternde Hände. Ergriffenes Heim- 
wärtsgehen. 
Aber da vorn weiter Schweigen, Angst, Grauen, 
Ungewißheit. 
Und nach und nach lösten sich aus der Menge auch 
die tödlich Schweigenden, die geistesabwesend Flü 
sternden, die Gebeugten, die Getroffenen. Schreck 
liches Heimwärtsgehen. Leer der Stuhl. Leer das 
Bett. Das Feuer im Ofen erloschen. Die Uhr stehen 
geblieben. Eine Mütze von „ihin" am Laaken. Ein 
Bild an der Wand. Und das Licht brannte bis zum 
Morgen. Und niemand schlief. Alle warteten, hoff 
te», beteten. 
Ein düsterer Karfreitag brach an. 
Frau Kahle war nur eine von den 26 Frauen, die 
«m nächsten Morgen noch nicht wußten, ob ihr Mann 
lebte. Alle waren gerettet, bis auf diese .Letzten. In 
„Vielleicht, vielleicht . . hupen die Autos, und 
das Hufgeklapper der Pferde pocht ein hoffnungs 
frohes „bald, bald geht es hinaus in die Welt". 
Vorüber fliegt der Zug an Fabrikanlagen und 
altmodischen Hinterhäusern. Würdige Kaufleute 
sitzen im Abteil und korrekte Damen, aus deren 
zierlich gemütlicher Mundart das starke Rückgrat 
dieser wundervollen Stadt klingt. Aber in Altona 
wird es schon wieder leer. Und nach kaum einer 
Stunde .verläßt man als einziger Fahrgast in 
Blankenese den Zug, schreitet langsam seinen Weg 
vom Bahnhof aus eine Straße hinah, selbstver 
ständlich die „Bahnhosstraße", und schaut sich um. 
Kleine, gemütliche Häuser, kleine Lädchen. ja sogar 
ein kleiner Kiosk ist vorhanden für Schokolade und 
Zigaretten. Don der Elbe, dem großen Wasser — 
nichts. t 
„Ja ,man llmmer grod ut." gibt ein Alter Be 
scheid und man geht immer grade aus. Durch merk 
würdige Gassen, von gepflasterten Treppenstufen 
unterbrochen, führt der Weg hinunter, vorbei au 
stillen Parks mit soliden und protzigen Villen, 
die alle noch im tiefen Winterschlaf liege!!. 
Menschen sind kaum vorhanden. Hie und da eine 
Fräulein alter Herr oder ein paar Mädchen, die 
dem Fremden neugierig nachschauen. 
Ganz plötzlich liegt vor einem die Elbe. Un 
willkürlich hält der Mensch den Atem an, fühlt 
sich hilflos angesichts des ungeheuren Stroms. 
Aber vielleicht ist es auch nur wieder die Sehn 
sucht, das Geheimnis der Fremde, dessen der Fluß 
teilhaftig ist, und der Wunsch, auf seinem Rücken 
mit dem erstbesten Schiff hinauszuziehen nach In 
dien, nach Australien oder was weiß ich wohin. 
Dann aber pendelt man langsam den steinernen 
Kai entlang, an den die Wellen klatschen, und 
atmet in vollen Zügen die Luft ein, die vom Meer 
kommt, und das ganz leise Ahnen vom Frühling, 
das dem beigemengt ist. Nach vorn zu dehnt sich die 
große Ebene, breit, und in grau verschwimmend. 
Drüben, am jenseitigen User, ragt irgendwo die 
Silhouette eines riesigen Krans in den Hinimel, 
ganz unmittelbar und doppelt intpofant in der 
ungeheuren Fläche. Links, an die Kaimauer ge 
lehnt.^ wieder ein paar Häuschen, ein Zaun zieht 
sich längs, Hunde kläffen und eine beruhigende 
Stimme, deren Eigentümer unsichtbar bleibt, 
spricht in bedächtigem Tonfall. Im Rücken aber, 
so daß es auf einen zu fallen scheint, Blankenese. 
Alan denkt, die Häuser stehen eng aneinander ge 
schmiegt. Stimmt gar nicht. Ueüerall sind Gärten 
dabei, unterbrochen von den merkwürdigen Trep 
penstraßen bis hin zum Sllllberg. , 
Nordöstlich kommt soeben eine Wolkenbank auf, 
macht die Atmosphäre diesig und spannt Nebel über 
den Strom, die den weiten Blick hindern. Doch 
nun taucht etwas auf aus diesem Nebel, noch et 
was und noch etwas. Gigantisch steigt es empor, 
verschieben sich Perspektiven, heult dumpf einer 
Sirene elementare Stimme. Da ist auch der Nebel 
Eine Erinnerungsskizze an jene südafrikanische 
Farm, aus welcher der niederdeutsche Dichter, der 
heute an der Weser lebt, damals als Kaufmann 
arbeitete, und wo auch Cornelius Friebott, der 
Held des Romans „Volk ohne Raum", Einkehr 
hielt. 
Weit zurück wandert die Erinnerung. In die Zeit, 
lange vor dem Kriege, wo Deutschland noch nicht 
das gequälte „Volk ohne Raum", Hans Grimm noch 
mcht unseres deutschen. Schicksals Deuter und Dich- 
ttx mar«. J 
Dichter ist er wohl inkmer gewesen, aber damals 
noch nur ein heimlich-stiller, der durch Pflichtberuf 
und Alltagswerk verdrängt war. oder auch gerade 
dadurch erst zu Können und Verstehen heranreifen 
sollte. 
Als wir uns vor fast dreißig Jahren in Südafrika 
kennen lernten, war Hans Grimm also noch Kauf- 
mami. Dem erfolgreichen Beispiele so mancher Deut- 
Ichen da draußen folgend, hatte er zusammen mit 
anderen in East London, der östlichen Hafenstadt der 
britischen Kapkolonie, eine ansehnliche Handelsfirma 
begründet. Wacker mühte er sich, durch eifrige Arbeit 
im Kontor und auf Reisen das junge Unternehmen 
hochzubringen, damit er recht bald von Gelderwerb 
und Geschäft frei werd«. Denn beides war für ihn. 
den schwergefügten, besinnlichen Niedersachsen aus 
alter Gelehrtenfamilie, je mehr freudlose Pflicht 
erfüllung geworden, je weiter ihn der falsch ge. 
wählte Berussweg von seiner innerlichen Berufung 
entfernte. 
Gleichsam als Gegengewicht gegen die unftohe, 
oft harte Tagesarbeit in der heißen Hafenstavt hatte 
sich Grimm draußen in der Einsamkeit des Landes, 
am Küstenfluß Nahoon, ein bescheidenes Farm- 
häuschen geschaffen, wo er mit seinen Büchern und 
Pferden und Hunden hauste. Auf diese kleine Wohn. 
farni, deren Bild in „Volk ohne Raum" wahrheits 
getreu und liebevoll nachgezeichnet ist, lud mich da. 
-mals Grimm ein. um sein Leben dort zu teilen. Da 
auch ich als Kaufmann in der Stadt arbeitete, so 
konnten wir die knappe Wegstunde dorthin am 
Morgen gemeinsam nehmen, zu Fuß. zu Pferd oder 
im leichten Wagen, und am Abend wieder zusammen 
zurückkehren. Da gab es, zumal für mich als Neu 
ling im fremden Lande, allerlei „Afrikanisches" zu 
schauen. Gleich bei der Farm führt der Weg an 
einem Kaffernkraal vorbei, und da sieht man die 
Schwarzen in malerisch-schmutzigen, halbkugeligen 
Lehmhütten hausen, mit Weibern und Kindern, 
Hühnern und Hunden, die faulen Freistunden des 
Tages, fast unbekleidet, genießend; erst wenn sie zur 
Stadt gehen, müssen sie sich Kleidung umtun und 
Tücher, darin die Mütter ihre Säuglinge auf Brust 
-und Rücken tragen. 
Entlang der großen Landstraße, die vom Binnen 
land« hinab zur Küste führt, herrscht geschäftiges 
Leben. Da ziehen die schweren Ochienwagen mit 
! ihren Lasten von Wolle, Häuten und Fellen in oft 
wochenlanger Fahrt zur Hafenstadt, von dort aller- 
Hand Gebrauchsgüter zurückführend. In dem plan- 
Gedeckten, freien Teile des Wagens Hausen die Fuhr 
leute oder die Farmer selbst, vielfach mit ihrer Fa- 
milie, und die starken Zugochsen, meist 8—9 Paare, 
haben es schwer, das Gewicht des Wagens zu zie 
hen. wenn die Straße einmal stärker ansteigt. Dann 
muß die riesige Dambuspeitsche mit der langen Rie 
men schnür nachhelfen, womit der Wagenführer vom 
Sitze aus treffsicher jedes einzelne Tier erreicht; 
alle Ochsen haben und kennen ihren Namen, und es 
ist meist der „verdomde Engelsman", der als faul- 
ster und bestgehaßter die meisten Prügel bezieht
	        
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