125. Jahrgang.
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»«»!«,. 14. lütj.
Die politische Bedeutung des 13. März 1932.
eichspräsidentemvahl
Hindenburg fehlten rund 178868 Stimmen. — Ein zweiter Wahlgang erforderlich.
T. U. Berlin. 13. März (Ei'g. Funkmeldung). Eine um 0.30 Uhr bei der T. 1l. vorgenommene
Zählung der vorläufigen amtlichen Wahlergebnisse aus sämtlichen Wahlkreisen mit Ausnahme
c-nlger weniger Kreise ans dem Wahlkreis 33 (Mecklenburg) hatte folgendes Ergebn!
2558256 Stimmen
18659203
11326481
6024401
109029
35006
für Duesterberg
„ Hindenburg . . .
„ Hitler
„ Thälmann ....
„ Winter
Ungültige Stimmen
Im ganzen wurden abgegeben 37712376 Stimmen
Die absolute Mehrheit würde fich auf 18838685 Stimmen stellen. Hindenburg fehlen also
hiernach rund 179500 Stimmen an der absoluten Mehrheit, die erforderlich ist. um im ersten
Wahlgang gewählt zu werden. Es muß daher damit gerechnet werden, daß ein zweiter Wahl-
Pang erforderlich wird. y
Angesichts dieses Ergebnisses muß man jedoch die endgültigen amtlichen Zahlen noch abwarten.
. Der Kampf um den Reichspräsident-enposten hat
keinem der Kandidaten (Berichtigung durch die
noch ausstehende amtliche offizielle Feststellung
des Gesamtwahlergebnisses vorbehalten) die für
den ersten Wahlgairg verfassungsmäßig notwendige
absolute Mehrheit gebracht, wiewohl Hinden-
durg nur etwa 300 000 Stimmen an dieser abso
luten Mehrheit fehlen, also dieser dieses Ziel fast
erreicht hat.
i Der erste Wahlgang, bet mit großer Leidenschaft
lichkeit geführt worden ist, mag zuerst von der
g r u n d s ä tz l i ch e n Seite her betrachtet werdeir.
Hinter den .aufgestellten Kandidaten kämpften irr
Wirklichkeit ir e u e und a l t e wrrtschafts-, natio
nal- und sozialpolitische W e l t a n s ch a u u n g e n
um ihre E e l t e n d m a ch u n g bezw. um ihre
B e h a u p t u n g. Dazwischen standen die für dis
* “ hlen t s cheidun g ausschlaggebenden t a k -
li sch, politisch^oder gefühlsmäßig einge
stellten Volkskreise. Sie wählten in Hindenburg
die Brückenkopf st e klung, d. h. innen- und
außenpolitisch gesehen eine Verterdignngs-
steklung zwischen der, Vergangenheit und Zu
kunft. bezw. den Sieger von Tannenberg, je nach
der Einstellung und politischen Bildung. Sie stehen
zwischen den zukunftsschauend eingestellten Kräf
ten, welche eine Neuorientierung in sozialer, na-
tionalpolitischer und nationalwirtschastlicher Be-
Fiehung erstreben und dabei zunächst die ein
seitige Konzentration auf die Nation wol
len, uin aus ihr heraus später bte außenpolitische
Situation zu meistern, und den beharrenden Kräf
ten, die im Schrittempo vorgehen. Daneben mach
ten sich, namentlich bei den Wählern Hindenburgs,
die taktischen Erwägungen um die ErlMtung einer
verfassungsmäßigen Position zur Deckung partei
politischer Machtstellungen geltend. Das gilt vor
allen Dingen vom Zentrum und der Sozialdemo
kratie, während die taktischen Erwägungen von
Wählern Hitlers von dem schnellen Sturz des
Systems angesichts der immer unhaltbarer wer
denden wirtschaftlichen Lage beeinflußt
waren.
J>n ganzen gesehen ist aber nicht zu verkennen,
daß eine starke Auflockerung alter tra
dition c Iler P a 11 e i b indu n g c n sich ge-
geigt hat. Das gilt vor allen Dingen von der So
zialdemokratie, denen die Arbeiterschaft
nicht mehr jene unbedingte Gefolgschaft zu
leisten scheint, wie sie es von früher her gewohnt
war. In manchen überwiegenden Arbeitergebieten
(z. B. in den typischen Arbeitergebieten
des sächsischen Industriegebietes,
Chemnitz usw., und z. T. des *Nuhrgebietes) ist
dieser Einbruch deutlich sichtbar geworden und
zwar erheblich zu Gunsten der Nationalsozialisten
und weniger zu Gunsten der Kommunisten. Man
kann in dieser Hinsicht zunächst nur voir einer Auf
lockerung sprechen, aber eine'solche ist immer der
. u l a u g j it c i it c r N euor i e n t i e r u n g
lüde m I a n g s a m e n g o s ch i ch t l i ch e n E n l-
wicklungsprozetz im Kampfe der Ge
nerationen gewesen und diese Auflocke
rung ist sichtlich dahin gerichtet, die soziale
W i ll e n s b i I dung mit dem innerlichsten
Bekenntnis zur Nation a l s d e m A u s g « n g s -
Punkt der Selbstbehauptung zu ver
binden. Sie ist damit der Vorstoß zur organi-
zu einander und miteinander anstelle dem Lis-
zu einander und mit einander anstelle dem bis
herigen konstruktiven äußerlichen Zu
sammenhalt in den Verbindungen
organisationspolitischer Art, die im
Ernstfall versagen und versagt haben. Das
ist heute nach dem Weltkrieg und den Vol
ke r b « ndserfa hin ngen zu offensichtlich,
um auch von der Masse nicht mehr mißverstanden
zu werden.
Bon der höheren Warte geschichtlicher
Entwicklung aus gesehen, dürfte das
Wahlergebnis von Sonntag als eine Fortset
zung der evolutionären Entwick-
l n u g gegenüber den Möglichkeiten der Unter
brechung durch revolutionäre Tendenzen ge
wertet werden. Die in Hitler um eine Neuge
staltung kämpfenden Kräfte haben gegen alle
Parteischattierungen der Vergangenheit kämp
fen müssen und dementsprechend haben sie
einen überraschend starken Erfolg gehabt. Daß
dieser nicht durchgestoßen ist bis zu einer ver
fassungsmäßigen Machtposition im Amte des
Reichspräsidenten braucht dabei nicht als ein
Mißerfolg angesehen zu werden, da —
namentlich in Verbindung mit der unmittel
bar bevorstehenden Preußemvahl, die eine
weitere starke parlamentarische Krästcvcr-
schlübung bringen dürfte — den Jugend-
kräften der Nation Zeit gegeben wird, ihre
Gedanken und Energien gären und reifen zu
sehen und für eine mit jeder Machtergreifung
verbundene Verantwortung weiter zu ent
wickeln. Damit vollzieht sich die Ablösung des
Alten durch das Neue langsam. Das ist ge
schichtlich gesehen ein V o r t c i l.
Denn auch die Kräfte, die im Kampf um den
Neichspräsidentenposten erfolgreich gewesen
sind, werden sich darüber nicht im unklaren
sein, daß sie die Brücke zu den hinter Hitler
und Duesterberg stehende» Kräften schlagen
müssen, wenn sie die Liquidation des 19. Jahr
hunderts evolutionär, ohne chaotische Erschüt
terungen sich vollziehen lassen wollen. Tun sie
es nicht, haben sie ihre geschichtliche Zcitenckuf-.
gäbe mißverstanden. Das ist letzten Endes der
Sinn der Wahl, wenn man sie vom Stand
punkt des geschichtlichen Werdens und nicht in
der Leidenschaft parteipolitischer Bindungen
und Verengungen zu sehen sich bemüht.
Zu verkennen ist nicht, daß bei der jetzigen
Entscheidung die stärkere Auflockerung in den
evangelischen Provinz- und Ländergebietcn
stattgefunden hat, während die stärker katho
lisch gesiedelten Provinzen und Länder das
Moment der Beharrung darstellen. Die Gebie
te, in denen Hindenburg von sich aus die abso
lute Mehrheit im ersten Wahlgang erreicht
hat, sind neben einigen Großstädten vor allem
die katholischen Gebiete. Durch diese Entwick
lung wird vor allen Dingen auf das Zen
trum für die Folgezeit eine erhöhte Verant
wortung gelegt,' denn von seiner Stellung
nahme werden wesentlich die späteren poli
tisch-parlamentarischen Konstel
lationen und damit die staatspoliti
sche Entwicklung abhängen. Ein weiter
gehendes Urteil ist zurzeit nicht möglich. Das
Ergebnis des zweiten Wahlganges und vor
allen Dingen das Ergebnis der Preußenwah-
len wird erst die Entscheidungen bringen, die
ein Urteil über die realpolitischen
Möglichkeiten für die Entwickung von
Staat und Reich ergeben werden.
Der Abschluß der heutigen Betrachtungen
zum Waylansgang mag die Feststellung der
Tatsache sein, daß durch den jetzigen Wahl
ausgang die Wahrscheinlichkeit näher gerückt
ist, daß die letzte Entscheidung der Krise nicht
auf der politischen Arena fallen könnte,
sondern von der wirtschaftlichen und
finanziellen Seite her. Es unterliegt
wohl keinem Zweifel, daß die Dinge finanz- und
wirtschaftspolitisch so nicht lange mehr werter
gehen können und der Z u s a m m e n f a l l
des Devisenvermögens die Station in
der Sicherung ihrer Ernährung in absehbarer
Zeit vor eine Zwangslage stellen wird. Weil
diese zwangsläufige Entwicklung die Verant
wortung von der Politik auf die Wirtschafts
politik verschiebt, erfordert sie die Bereitschaft-
stellung der berufsftändischeu Führer. Wir
möchten in diesem Zusammenhang nur ange
deutet haben. Ş
* * *
Zahlenmäßiges zur Wahl.
Wie wird 6
im zweiten Wahlgans?
Hätten wir gestern statt des ersten den Fwei-
ten Wahlgang gehabt, so wäre Hindenburg
als Sieger hervorgegangen, weil im zweiten
Wahlgang die einfache Stimmenmehrheit ge
nügt. So aber haben ihm gestern an der abso
luten Mehrheit rund 179 600 Stimmen gefehlt,'
er hätte mehr als die Hälfte aller abgegebenen
gültigen Stimmen auf sich vereinigen müssen.
Nur bei Verzicht aller Gegenkandidaten
könnte die Wiederholung des Rcichspräsiden-
wahlkampfes und ein zweiter Mahlgang er
spart bleiben. Da daran aber nicht zu denken
ist, so wird in 4 Wochen, am 10. April,
noch einmal mit dem Stimmzettel gekämpft
werden. Es fragt sich, wie die Situation dann
sein wird. An eine Einigung der gesamten
Opposition (Hitler, Duesterberg, Thälmann),
die, den ersten Wahlgang zugrunde gelegt,
Hindenburg gegenüber ein Mehr von rund
260 000 Stimmen aufbringen könnte, ist nach
Lage der Dinge nicht zu denken. Hitler und
Duesterberg — die Möglichkeit einer Einigung
über Programm und Kandidatur vorausgesetzt
— hätten an die 6 Millionen Stimmen zu
wenig, um Hindenburgs gestrige Stimmcu-
zayl zu erreichen. Der Gedanke Hitler plus
Thälmann im zweiten Wahlgang erscheint ab
wegig ans verschiedenen Gründen,' eine der
artig^ Kombination würde auch nicht langen,
um Hindenburgs über 18 Millionen Stimmen
begegnen zu können, immer angenommen, daß
die Hinöenburglinie zusammenbleibt. In ge
wissem Sinne haben auch gestern wieder die
6 Millionen Wähler, die zuhause blieben, den
Wahlausgang entscheidend beeinflußt. "
Praktisch wird es sich in der Zwischenzeit
bis zur abermaligen Wahl relativ nw
die Orientierung im Duesterberg.
lager, das sich bekanntlich aus den Teutsch-
nationalen unter Hugenbcrg und dem Stahl
helm unter Seldte zusammensetzt, handeln.
Ganz rechts zu Hitler, oder in die Mitte zu
Hindenburg? das ist die in den politischen
Machtkampf eingespannte Frage, die der Lö
sung harrt, und über die bekanntlich schon im
Wahlkampf vorsichtige Aeußerungen gefallen
sind. Hitler scheint wie sich aus seinem
heutigen Aufruf ergibt, der Gedanke eines
Zusammengehens der jetzt noch auseinander
klaffenden H a r z b u r g e r Front im zwei
ten Wahlgang vorzuschweben. Hitler und
Duesterberg vereinigt, ergäben laut 13. März
an die 14 Millionen Stimmen, und Hitler
trachtet danach, wie ebenfalls ans seinem neue
sten Aufruf hervorgeht, ans der Hindenburg.
front 2,6 Millionen Stimmen herauszubrechen,
so daß eine Sammelkanöidatur der Rechts-
opposittou mit etwas mehr als 200 000 Sttm-
men Hindenburg vorangehen würde. Doch sind
das zunächst Vermutungen, alles ist in der
Schwebe, alles der weiteren Entwicklung vor
behalten. '
Sehr bemerkenswert bleibt, daß die Na
tionalsozialisten seit der letzten Neichs-
tagswahl im September 1930 um weitere rund
6 Millionen Stimmen zugenommen haben,
während die Parteien, die jetzt hinter Hin-
denburg standen, von 21,1 auf 18,7 Ntillio-
nen Stimmen, also nur 2,4 Millionen Stim
men zurückgegangen sind. Tie Bäume Thäl
manns sind nicht in den Himmel gewachsen,
er vermochte gegen die Reichstagswahl nur
um gut 400 000 Stimmen zuzunehmen, trotz
der Verelendung und Verbitterung großer
Massen. Tie Deutsch nationalen haben
wiederum gezeigt, daß sie nach schlimmen Rück
gängen eine gewisse Stabilität erreicht haben.
Die 2,6 Millionen Stimmen, die man ans-
grund des Reichstagswahlergebnisses der 5lan-
didatnr Duesterberg zusprechen zn können
glaubte, wurden gut erreicht, wobei allerdings
zu beachten ist, daß hinter Duesterberg gestern
auch die Organisation des Stahlhelms stand.
Im ganzen also bietet sich, entsprechend den
seit der Reichstagswahl in verschiedenen Län
dern stattgefundenen Wahlen, wieder das Bild
einer Zunahme der F l ü g e l p a r t e i e n
rechts und links, namentlich rechts, und einer
weiteren Abnahme der Mittelpartcien
und Sozialdemokratie. Tie National
sozialisten sind mit ihren 11,3 Millionen ge
stern erreichten Stimmen gewiß die stärkste
Partei im Reich geworden, nachdem sie am
14. September 1930, als die Sozialdemokraten
noch 8,0 Millionen Stimmen erlangt hatten,
die zweitstärkste Partei geworden waren. Diese
zwangsläufige radikale Entwicklung spricht
für die Enttäuschungen des Volkes über den
zunehmenden Niedergang seit Jahr und Tag.
Zuletzt sei, was die Wahlarithmetik betrifft,
noch kurz ein Blick auf S ch l e s iv i g - H o l -
stein geworfen. In unserer Provinz haben
im Vergleich zur letzten Reichstagswahl die
Nationalsozialisten gestern wieder einen rapi
den Aufstieg genommen. Ten damaligen
240 288 Stimmen stehen 417 861 Stimmen
gegenüber, das sind 177 673 Stimmen mehr
Die Nationalsozialisten sind heute in Schles
wig-Holstein die weitaus stärkste Bewegung.
Am 14. September 1980 hatte sich in Schles
wig-Holstein die Sozialdemokratische Partei
mit 265 000 Stimmen den NationalsozialFtei-
noch um rund 20 000 Stimmen überlegen ge
zeigt. Die Parteien der Hindenburg-
front haben gegen die Reichstagswahl um
rund 100 000 Stimmen, genau 99 663, abgcnom-