Full text: Newspaper volume (1932, Bd. 1)

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Selbstmord des Westerländer Stadt- 
Haumeisters Johann en. 
Westerland (Sylt), 20. Jan. Der Westerländer 
Stadtbaumeister Peter Johannsen hat am Diens 
tagabend Selbstmord durch Erschießen begangen. 
Diese Tragödie bildet den Abschluß einer schon 
länger sich hinziehenden Angelegenheit. Von einem 
Westerländer Handwerker war die Behauptung 
aufgestellt worden, dag bei dem Westerländer 
Stadtbauamt bei der Vergebung von Aufträgen 
unsauber verfahren würde. In dem darauf von 
dem Stadtbaumeister gegen diesen Handwerker an 
gestrengten Beleidigungsprozeß wurde der Ange 
klagte erstinstanzlich zu einer Geldstrafe von 50 M 
verurteilt. In der Verusungsverhandlung vor der 
Strafkammer des Landgerichts Flensburg wurde 
der Handwerker jedoch freigesprochen und der 
Wahrheitsbeweis für feine Behauptungen von 
dem Gericht als erwiesen angesehen. In Verfolg 
der Angelegenheit war dann ein Verfahren ein 
geleitet worden, wozu der Stadtbaumeister am 
Dienstagvormittag von einem Beamten der 
Staatsanwaltschaft vernommen wurde. Zur Fort 
setzung der Vernehmung am Nachmittag erschien 
Johannsen dann nicht mehr und wurde abends in 
dem während der Wintermonate leerstehenden 
Hause einer Schauspielerin, dessen Beaufsichtigung 
dem Verstorbenen übertragen worden war, von 
dem Einhüter dieses Hauses tot aufgefunden. 
* * 
as. Husum, 20. Jan. Die Rcichsgrüudungs- 
feier des Stahlhelm, B.d.F., in Henscns Gar 
ten, hatte seitens der Stahlhelmortsgruppen 
und der vaterländischen Verbände sowie der 
Einwohnerschaft sehr starke Beteiligung gefun- 
öett; mehr als 1000 Gäste folgten den ein 
drucksvollen Darbietungen. Der Höhepunkt der 
Feier war die großangelegte Rede des Kam. 
Dr. Eduard Stabiler, Berlin, des Führers des 
Stahlhelmhochschulringes, über das Thema: 
»Vom Bismarckschen Reich zum Dritten Reich." 
Vam MrèLsLrSâea. 
Auch Flensburg für Erhaltung der 
Kieler Pädagogischen Akademie. 
Flensburg, 20. Jan. Der Flensburger Magistrat 
hat beschlossen, sich im Interesse der Errnzarbeit 
der Bitte des Schleswig-Holstein er-Bunöes um 
Erhaltung der Kieler Pädagogischen Akademie 
anzuschließen. 
* * * 
UeberfaS auf ein dänisches Fischauto. 
Flensburg, 20. Jan. Fünf bis sechs unbe 
kannte Männer versuchten am Dienstagabend 
gegen 2214 Uhr in der Nähe des Kurhauses 
Wassersleben ein dänisches Fischauto anzu 
halten. Der Führer des Autos bemerkte diese 
Absicht jedoch rechtzeitig. Die Wegelagerer 
flohen darauf in den nahegelegenen Wald. Bei 
der Verfolgung will der Kraftwagensührer 
tätlich angegriffen und mit Steinen beworfen 
worden sein.. Auch soll der eine der Verfolg 
ten auf ihn geschossen haben. Inzwischen wa 
ren an der Ueberfallstelle noch zwei weitere 
Fischautos eingetroffen, deren Führer sich 
ebenfalls vergeblich an der Verfolgung be 
teiligten. 
Irrrirrhakb weniger Wochen Geld!" 
Wie ein Bauernfänger die ganze Provinz ausplünderte. 
ff 
Flensburg, 20. Jan. „Das ist ein richtiger 
Bauernfänger, ein Räuber, der den Leuten 
das Geld aus der Tasche zieht", bemerkte der 
Vorsitzende des Flensburger Schöffengerichts 
einleitend in der am Mittwoch stattgefundenen 
Verhandlung gegen den 46jährigen Reepschlä 
ger August Petersen aus Kappeln, und fügte 
hinzu: „Die ganze Provinz hat er ausgeraubt!" 
Wegen fortgesetzten Betruges angeklagt, 
wollte Petersen von seinem früher abgelegten 
teilweise» Geständnis diesmal nichts mehr 
wissen. Dies war vor allem mit der Grund, 
weshalb nach etwa 20 Minuten die Verhand 
lung vertagt werden mußte. 
Zunächst wurde die Tätigkeit Petersens als 
Provisionsvertreter einer süddeutschen Hypo 
theken- und Darlehnsgesellschaft kurz unter 
die Lupe genommen. Er hatte sich durch geschickt 
aufgesetzte Zeitungsanzeigen, die etwa darauf 
hinausliefen: „Innerhalb weniger Wochen 
Geld!" mit Kapitalsuchenden in Verbindung 
gesetzt, die er jeweils an bestimmten Tagen in 
Kieb, Schleswig oder Flensburg in einem Ho 
tel empfing. Bei solchen Gelegenheiten trat er 
auf, als hätte er über Millionen holländischen 
und schweizerischen Geldes zu verfügen, das 
er gegen 3 % Zinsen und 2 % Tilgung gleich 
auf 30 Jahre als Darlehn in Aussicht stellte. 
Die Gesellschaft rückte später von ihm ab, Pe 
tersen aber hatte schon die Vorschüsse der Her- 
eingefallenen in der Tasche. 
Der Angeklagte hat sich ferner bis vor kur 
zem als Anzeigen-Akquisiteur für die Zeit 
schrift „Der Geldmarkt" betätigt, die ihm 
ebenso wie die süddeutsche Gesellschaft auch nur 
Mittel zum Zweck mar, denn auch hier gab er 
selbst zuerst Zeitungsanzeigen ans, um seine 
Opfer zu finden. Ihnen schwindelte er vor, es 
sei für ihn eine Kleinigkeit, Geld in beliebiger 
Höhe zu besorgen, sprach von zahlreichen Dank 
schreiben, die ihm vorlägen und kam dann auf 
den Kernpunkt zu sprechen, nämlich auf seine 
eigenen Unkosten". Die Leute, die dringend 
Geld brauchten und von diesem angeblich so 
einflußreichen Manne Hilfe erhofften, gaben 
ihm die geforderten 40 RM. und — warteten. 
Petersen tat dann nichts anderes, als daß er 
für jeden Bewerber eine kleine Anzeige im 
„Geldmarkt" aufgab. Den Gerichtsakten liegt 
eine Nummer dieser Zeitschrift bei, in der 
allein nicht weniger als 110 von dem Ange 
klagten aufgegebene Anzeigen dieser Art ent 
halten sind. Offerten, die ihm durch den be 
treffenden Verlag übersandt wurden, gab der 
Schwindler lediglich an seine Kundschaft wei 
ter. Damit war der Fall für ihn erledigt. 
„Ich habe in gutem Glauben gehandelt", er 
klärte Petersen u. a. ans alle diese Vorhaltun 
gen. 
„Ta haben Sie recht", meinte sarkastisch der 
Vorsitzende, „Sie haben geglaubt, auf diese 
Weise gut leben zu können!" — Es waren zu 
dieser Verhandlung 10 Zeugen geladen, die 
aber nur einen verschwindenden Teil des wirk 
lich geschädigten Personenkreises darstellen. 
Weil Petersen durch allerlei Ausflüchte auszu 
weichen versuchte, hielt der Staatsanwalt es 
für notwendig, daß unbedingt weitere Zeugen, 
besonders diejenigen aus Kiel und dem übri 
gen Holstein, vernommen werden müßten, da 
mit diesem gemeinen Betrüger das Handwerk 
gelegt werden könne. 
Das Schöffengericht schloß sich dem an und 
ließ den Angeklagten wegen Fluchtverdachtes 
mit Rücksicht aus die zu erwartende hohe Stra 
fe sofort verhaften und ins Gerichtsgefüngni- 
abführen. 
kk. Schleswig, 20. Januar. Der Bürgerverein der 
Altstadt hielt am Dientagabend in „Ravens Hotel" 
eine recht gut besuchte Mitgliederversammlung ab. 
Ueber die Behandlung kommunaler Fragen hinaus 
gelte es in den Bürgervereinen volkswirtschaftliche 
Aufklärungen den Mitgliedern zu verschaffen. Prak 
tisch wurde dann diese letzte Forderung auch er 
füllt in dem gebotenen Vortrag seitens des Privat 
dozenten Dr. Reißer, eines Mitarbeiters am Insti 
tut für Weltwirtschafts- und Konjunkturforschung 
in Kiel, über das Thema „Deutschlands gegenwär 
tige Stellung in der Weltkrise". Der sich durch be 
sondere Gründlichkeit auszeichnende Vortrag gab 
Veranlassung zu einer folgenden recht anregend 
verlaufenen Aussprache. Zu dem Punkt der Tages 
ordnung „Verschiedenes" war, abgesehen von einem 
aus der Versammlung heraus gemachten Vorschlag, 
bei der Stadt eine Beschüttung des Stadtfeldes 
(Peermarktplatz), der nach den vielen Regenfällen 
an einigen Stellen wieder einmal seine grundlose 
Form angenommen hat, zu beantragen, nichts wer 
ter vorzubringen. 
fh. Ellingftedt, 20. Jan. Das Ortsnetz zer 
rissen wurde beim Holzfällen. Ein Baum 
stürzte nach der falschen Richtung, zerriß die 
Leitung und unterbrach den Strom. — In der 
Hauptversammlung der Sterbckasse wurden 
sämtliche ausscheidenden Vorstandsmitglieder 
wiedergewählt. Für den verzogenen Schrift 
führer wurde Lehrer Stoislow als Nachfolger 
gewühlt. 
Börm, 20. Jan. Stahlhelm-Werbeabend. Am 
19. d. Mts. veranstaltete der Stahlhelm B. d. F., 
Ortsgruppe Rheide-Kropp, in Börm einen öffent 
lichen Werbeabend, der einen unerwarteten Ver 
lauf nahm. Noch kurz von Beginn des Programms 
mußte Quartierwechfel vorgenommen werden, da 
die Gaststube zu eng wurde. Die Veranstaltung 
fand im Saal statt unter reger Beteiligung der 
Börmer Frauen und Jungmädchen. Durch die 
Lichtbildreihe „Front im Westen" wurden die 
Versammelten in die Leistungen und Entbehrun 
gen des Frontsoldaten eingeführt. Immer wieder 
hörte man leises Murmeln, fast jeder Kriegsteil 
nehmer fand einen bekannten Abschnitt aus dem 
erschütternden Ringen. So zog schon rechte Stim 
mung ein, ehe Kam. Schmidt-Rheide das Wort 
nahm zu seinem Vortrag: „Wege und Ziele des 
Stahlhelm". Da gabs keine Hetzerei, kein Beschul 
digen, kein Beschönigen, eine einzige Mahnung 
war es. zum Zusammenschluß im Sinne der Harz 
burger Beschlüsse. Nichts für uns, alles für das 
Vaterland! so schloß Kam. Schmidt und eroberte 
sich die Herzen der Zuhörer. Noch im Laufe des 
Abends konnte eine neue Ortsgruppe gegründet 
werden, der 27 Mitglieder angehören. Führer 
dieser Ortsgruppe ist vorläufig Landmann P. 
Block, Börm. Die Leitung des Abends lag in den 
Händen des Ortsgr.-Führers der Ortsgr. Rheids, 
Kropp, Dr. Ernst Meyer. 
Aus dem Ķrers' ķckerĢà« 
Karby, 20. Jan. Ein Einbruch wurde in der 
vergangenen Nacht bei dem Bäckermeister 
Carstens in Kopperby verübt. Die Diebe stah 
len aus dem Laden Kaffee, Schokolade, Zigar 
ren, verschiedene Wäschestücke sowie einen Teil 
der Tageseinnahme. 
Saar, 20. Jan. Wie wir hören, sind der 
Sonnabendausgabe der „Schleswig-Holsteini 
schen Landeszeitung" vom 16. Januar kommu 
nistische Flugblätter und illustrierte Zeit 
schriften unberechtigt beigelegt worden. Es ist 
selbstverständlich, daß der Beilage dieser Pro 
pagandaschriften Verlag und Schriftleitung 
der „Schleswig-Holsteinischen Landeszcitung" 
fernstehen. Auch der seit langen Jahren länge 
Austräger, Herr Maaß-Brekendorf, .steht der 
Beifügung der Flugblätter völlig fern. Der 
Verlag der Landeszeitung hat eine Untersu 
chung eingeleitet und wird gegen den Urhe 
ber der unberechtigten Beifügung der Werbc- 
blätter strafrechtlich vorgehen. 
Um öcrr ĢerichtSlMen. 
Verschärftes Urteil für Reichsbahn« 
defrcmdanLerr 
Flensburg, 20. Jan. Die bei der Güterab 
fertigung Flensburg im Mai des vorigen 
Jahres aufgedeckte Unterschlagung von 37 000 
Mark Reichsbahngeldern fand am Dienstag 
mit der abermaligen Verurteilung der beiden 
Täter ihre endgültige Sühne. Der Urheber 
der Unterschleife, Reichsbahnassistent Jürgen 
B., war vom Schöffengericht zu drei Jahren 
Gefängnis verurteilt worden, während sein 
ihm mehr oder weniger zum Opfer gefallener 
Berufskollege, Reichsbahnsekretär Christian 
P., zwei Jahre Gefängnis erhalten hatte. Bei 
dieser Strafe schien den Verurteilten ihr an 
geblich vorliegender Notstand nicht genügend 
berücksichtigt zu sein. Das Urteil brachte für 
die Angeklagten eine Verschärfung gegen 
früher. Zwar wurde bei P. die Strafe von 
zwei Jahren ans Jahre herabgesetzt, wäh 
rend es bei B. bei den ursprünglichen drei 
Jahren Gefängnis blieb. Dagegen drang der 
Antrag der Staatsanwaltschaft durch, der 
beiden auf die Dauer von fünf Jahren die 
Möglichkeit zur Bekleidung öffentlicher Aem 
ter abspricht. Die Untersuchung von acht 
Monaten wurde voll angerechnet. 
In allen Gesellschaftskreisen legt man Wert aus ge 
pflegte Zähne. Eine zielbewußte Mundpflege betreibt man durch 
regelmäßigen Gebrauch der bekannten und beliebten CHIoro- 
dont-Zahnpaste. Iluter-Vortriegspreise. Versuch überzeugt. 
Der reiche MmKe. 
Roman von Gert Rothberg. 
Copyright by Martin Feuchtwangcr, Halle (Saale). 
15) Nachdruck verboten. 
„Nun leben wir nur von deinen lieben, geschickten 
Händen, die sofort wieder Arbeit fanden, während 
ich immer wieder vergeblich..." 
Ellinor schlug die Hände vor das Gesicht und 
weinte. 
„Weine doch nicht, Nore. Wenn's nur reicht! Das 
ist schließlich die Hauptsache. Und mit der Zeit wird 
sich auch für dich etwas finden", sagte Hilda und zog 
eifrig Faden um Faden. 
Ein halbes Jahr war vergangen, seit sie die Hei 
mat verlassen hatten. 
Bei einer freundlichen, alten Frau, hoch oben, 
vier Treppen, hatten sie zwei Zimmer abgemietet. 
Ihr Essen durften sie drüben in der kleinen Küche 
mit kochen. . 
Die glänzenden Kirschbaummöbel umgaben sie. 
auf dem Fenster blühten jetzt noch, wo es schon stark 
dem Winter zuging, Blumen. Der Vogel sang aus 
voller Kehle, und der Kater dehnte sich auf einem 
Kissen beim Ofen. Die Sonne schien zwar noch warm 
aus das Fensterbrett, aber es zog doch schon emp 
findlich kühl durch die Ritzen, und das liebte er nicht. 
Die Meißner Figuren lächelten neckisch von ihrem 
Sockel, und der Kuckuck kani soeben aus seiner Tür 
und schlug viermal an, schnell, um gleich wieder im 
Uhrhaus zu verschwinden. 
Und nebenan hatte man alle anderen Möbel un 
tergebracht. Nichts hatte man verkaufen brauchen, 
und es sah auch dort nett und wohnlich aus, wo sie 
schliefen. 
Hilda verdiente gut. Für die erste Zeit hatten die 
kleinen Ersparnisse gereicht. Freilich, Ellinor wollte 
auch verdienen. Aber nirgends fand sich etwas. Wo 
Frauen etwas zu sagen hatten, dort nahm man sie 
wegen ihrer Schönheit nicht. Und wo Männer lü 
stern diese Schönheit musterten, bedauernd meinten, 
es sei leider keine Stelle frei, ober imm könnte selbst 
verständlich manches möglich machen, wenn ...! 
Sie ließen durchblicken, wie sie sich das „Wenn" 
dachten. - 
Sie traute sich nirgends mehr hin, weil es ja doch 
immer wieder dasselbe war 
Hilda stand jetzt auf. Es war Kaffeezeit. 
Und bald duftete der braune Trank in den nie 
deren Tassen. Braune Wecken lagen im Korb, und 
Butter und Honig standen in den Glasschalen. 
Hilda hatte auch die Zeitung mit hereingebracht. 
Und wie immer griff Ellinor sogleich nach dem Teil, 
der die Stellenangebote enthielt. 
Plötzlich legte sie die Zeitung aus der Hand, lehnte 
sich zurück. 
„Was hast du denn?" erkundigte sich Hilda, und 
sie las, daß Braunstein und Eo. wundervolle Hand 
arbeiten anboten. Sie hätten eine neue Mitarbeite 
rin erhalten, die ganz Hervorragendes leiste. 
Damit meinten Braunstein u. Co. sie. 
Wie gut, daß sie so geschickt war! Nun kamen sie 
nicht in Not. Nun nicht. 
„Hilda, ich habe eine Stellung für inich. Das heißt, 
ich werde mich melden. Diese Stelle entspräche voll 
ständig meinen Fähigkeiten. Vielleicht könnte ich so 
gar noch ein bißchen mehr, als was man in diesem 
Inserat verlangt. Bitte, lies doch einmal." 
Hilda nahm das Blatt, los halblaut: 
Vorleserin 
zu blindem Herrn gesucht. Es wird auf eine 
ältere, bescheidene Persönlichkeit reflektiert, 
die ernst, reif und gebildet ist. Der Herr ist 
Junggeselle und bewohnt sein Gut. Reflek- 
tantinnen auf eine Heirat wollen vermeiden, 
sich zu melden, doch wird Familienanschluß 
gewährt, da ein Freund des Herrn mit seiner 
Frau mit auf dem Gute wohnt. Offerten sind 
zu richten an Oldenberg, Rittergut Vayburg 
bei Br. 
Hilda sah die Schwester verdutzt an. 
Dann sagte sie: 
„Ich verstehe dich nicht, Nore! Hier wird doch eine 
ältere Person gesucht. Dich würde man bestimmt 
nicht nehmen. Versuche es erst gar nicht. Und wenn 
der Mann schon selber keine Frau hat, dann ist doch 
immer noch die Frau des Freundes da, die dich, 
feindselig und eifersüchtig, hinausekeln würde." 
„Ich werde eben alt und häßlich sein. Vielleicht 
bin ich in diesem Zustande glücklicher als jetzt." 
„Kind, du bist neunzehn Jahre alt, und du mußt 
Papiere vorlegen. Man wird auch Zeugnisse ver 
langen. Die hast du nicht. Wozu also noch ein Wort 
über diese aussichtslose Sache verlieren? Sei doch 
endlich vernünftig und hilf mir hier ein bißchen mit. 
Wir können uns doch jetzt schon manchmal einen 
Theater- oder Konzertbesuch leisten. Wir können also 
ganz zufrieden sein, Nore. Zudem, daß du dann von 
mir fort müßtest, bedenkst du wohl auch nicht?" 
„Hildamütterchen, du meinst es gut, ich aber werde 
auf jeden Fall versuchen, diese Stelle zu erhalten. 
Und du wirst mir deinen Geburtsschein leihen." 
„Ausgeschlossen, vollständig ausgeschlossen!" 
wehrte sich die andere. „Auf was für Gedanken 
kommst du bloß? Das geht doch nicht." 
„Doch, es geht. Später, wenn man mit mir zu 
frieden ist, dann kann ich die Wahrheit sagen. Es ist 
kein Verbrechen. Bestimmt nicht. Ich will doch auch 
den armen Blinden nicht einsangen. Wer weiß, 
was man dort für Erfahrungen gemacht hat! Nun 
ist man eben vorsichtig geworden. Ohne zu bedenken, 
daß es gerade unter den ältlichen Wesen genug ge 
ben kann, die sich sehr gern versorgen möchten. Die 
ser Hinterhalt scheidet aber bei mir vollständig aus. 
Ich will dem Blinden dienen mit aller Kraft, die mir 
zur Verfügung steht. Er ist doch wie geschaffen sür 
mich, dieser Posten. Ich werde still und völlig zurück 
gezogen in Vayburg leben. Vayburg, welch schöner 
Name! Ob der Herr dort nun Herr Vayburg oder 
Herr Oldenberg heißt? Aber das ist ja nebensächlich. 
Mein Entschluß steht jedenfalls fest: ich melde mich 
auf dieses Inserat." 
Hilda schwieg. 
Was hätte sie auch noch sagen sollen? Sie wußte 
ja am besten, wie sehr Ellinor darunter litt, weil 
sie selbst jetzt nichts verdiente. Und — sie hatte ja 
recht. Es war nichts Schlechtes, was sie wollte. Und 
der blinde Mann in Vayburg würde sich keine bes 
sere Gesellschafterin wünschen können. 
Davon war auch Hilda überzeugt, und aus die 
sem Grunde billigte sie zuletzt das ganze, abenteuer 
liche Vorhaben. 
Und noch aus einem anderen Grunde billigte sie 
es. 
Die Menschen, die Frauen, würden doch Ellinors 
köstliche Schönheit immer wieder hassen. Es würde 
nirgends ihres Bleibens sein. So aber, wenn sie 
plötzlich ältlich und vielleicht sogar ein bißchen häß 
lich war, da würde man sie endlich einmal in Ruhe 
lassen. Und Ellinor hatte recht. 
Sie konnte später alles erklären, wenn es ange 
bracht schien. Wenn nicht, dann konnte sie vielleicht 
doch eine Zeitlang in Vayburg leben, und sie würde 
endlich auch wieder froher denken lernen. Jetzt la 
stete ja'noch die ganze Schwere der letzten Zeit un 
vermindert auf ihr. 
Hilda kam zu der Ueberzeugung, daß es am besten 
sei, Ellinor ihren Weg gehen zu lassen. Freilich, sie 
blieb allein hier zurück. Wie sie das aushalten würde, 
wußte sie noch nicht. Und schon die Gedanken daran 
trieben ihr das Wasser in die Angen. Aber sie kam 
jetzt gar nicht in Betracht. Sie nicht. Es war die 
Hauptsache, wenn Ellinor zunächst erst einmal ihren 
inneren Frieden wieder erhielt. 
Hilda hatte es gewußt! Hatte gewußt, daß die 
Schwester eine Veränderung mit sich vornehmen 
wollte. Aber so hatte sie sich diese Veränderung doch 
nicht vorstellen können. 
„Ja, Nore! Aber — das ist ja entsetzlich! Du kannst 
doch unmöglich deine Jugend und Schönheit von jetzt 
an unter dieser Maske verstecken wollen? Das ist 
eine Sünde gegen den lieben Gott, der dir Jugend 
und Schönheit als köstliches Geschenk verliehen hak. 
Ueberlege es dir noch einmal. Nore! Vielleicht wür 
dest du es dann selbst kaum noch ertragen." 
„Der blinde Mann sieht mich ja nicht. Und er 
will ja eine solche Person. Ich habe bestimmt Chan 
cen. wenn mir nicht jemand zuvorkommt." 
Noch immer fassungslos, blickte Hilda Hardegg 
auf die Schwester. Das dunkle, lockige Haar war 
straff zurückgekämmt und am Hinterkopf zu einem 
häßlichen Knoten gedreht. Eine dunkle Hornbrille 
bedeckte die schönen, leuchtenden Augen, und dazü 
umschlenkerte eilt schlechtsitzendes, großkarierte? 
Kleid die junge, sonst so graziöse Figur. 
Die Brille war vom Vater und das Kleid von ihr. 
von Hilda. 
Mein Gott, die Kleine war ja eine große Schau 
spielerin. Wie sie jetzt so schlampig lief! Wie sich 
ein Mensch verändern konnte! 
Aber — es lief doch immer wieder auf einen Be 
trug hinaus. Hilda konnte sich dieser Tatsache nicht 
verschließen. Als sie noch eiunial davon anfing, 
sagte Ellinor fast heftig: 
„Ich kann dieses Drohnendasein nicht weiter 
führen! Ich kann nicht länger müßig zusehen, wie 
du hier Tag für Tag bis in die Nächte hinein ar 
beitest. Ich muß auch arbeiten, sonst werde ich noch 
wahnsinnig. Vielleicht gefällt es mir nicht, vielleicht 
ist es ganz anders, als wie ich es mir jetzt vor 
stelle. Aber laß es mich wenigstens versuchen!" 
Da sagte Hilda nichts mehr. 
tFortsetzung solgt.)
	        
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