Nr. 76
Zur Unterhaltung
Beilage der Schleswig-Holftslnkschen Landeszeitung (Rendsburgsr Tageblatt)
Montag, den 31. März
Peter Dörfler. / t>» Vmök vor Km Äugen.
Des Lenzenbauers Sohn war in der großen
Vogesenschlacht von einer Franzosenkugel getroffen
worden. Sie schlug am linken Augapfel ein, fuhr
durch das Nasenbein und war grausam genug, auch
den Stern des rechten Auges auszulöschen. Sepp
^verlor sofort das Bewußtsein und erwachte in ei
nem Spital, ohne zu wissen, was mit ihm geschehen
sei. Er fühlte stechende Schmerzen im Gesicht, tastete
um sich und spürte eine Binde, die seinen ganzen
Kopf umhüllte und nur den Mund und etwas von
der Nase freiließ. Eine Stimme redete ihn an:
„Seien Sie ruhig; vor Ihnen steht der Arzt, und
hier ist die Krankenschwester. Haben Sie einen
Wunsch?"
Sepp besonn sich eine Weile, dann fragte er:
-»„Was hab' ich denn? Was fehlt mir denn?"
Er konnte nicht sehen, wie die Schwester an
seinem Bett mit Angstblick auf den Arzt schaute und
wie dieser mit unendlichem Erbarmen auf seinen
Kranken niederblickte. Er hörte nur, wie der Arzt
sagte: „Sie haben, niein Lieber,... Sie haben einen
Kopfschuß."
„Ja, das merk' ich", sprach der Soldat; „er
muß schon rechte Sprüng' haben, weil ihr ihn so
eingeschachtelt habt."
Drauf zwang sich sein Mund inühsam zu einem
Lächeln. Der Sepp war wohl nie zimperlich ge
wesen, und es kam ihm offenbar axis ein paar
Schrammen und Knochenbrüche nicht gerade an.
Dann fügte er ein oft gehörtes Scherzwort hinzu:
„Wegen dem Kopflst sagte er. „wißt. das ist bei mir
nicht gefährlich, denn da hat es keinen edlen Teil
verletzt."
„Ihr seid ein tapferer Mann", bewunderte die
Schwester. „Ja, freilich", sagte Sepp ein wenig ge
ringschätzig, „wir sind nicht umsonst die bayerischen
Löwen."
Der Arzt hatte viel Arbeit, denn in dem wei
ten Saal, in dem Sepp lag, litten noch viele s-chwer-
verletzte Krieger, deren Wunden auf neue Verbände
warteten. Als der „bayerische Lörve" merkte, daß
ihn Schwester und Arzt verließen, da winkte er sie
zurück und sagte: „Könntet Ihr mir dies Bandzeug
da nicht richten, daß ich ein bissel sehen könnt'? Ich
möcht' doch auch wissen, wo ich bin."
Wieder traf den Arzt der Angstblick der Schwe
ster, der etwa sagen mochte: Wollen Sie ihm das
jetzt schon offenbaren? Aber der Arzt tröstete mit
ruhiger Stimme: „Sie müssen die Binde schon tra
gen, wie sie ist, wenigstens acht Tage! Dann viel
leicht. Nun, wir werden schon sehen. Sie müssen
sich in Geduld fasten und schon folgsam sein."
„Jawohl, Herr Doktor."
Und Sepp gab sich zufrieden. Der Arzt erneu
erte den Verband in der folgenden Zeit wiederholt.
Das Gesicht des Kranken war so wund und zerris
sen, daß dieser nicht unterscheiden konnte: saß der
größere Schmerz in der Stirn oder an den Backen
knochen; ihm war, als sei alles eine Wunde und ein
Geschwulst. Und doch ließ er sich nichts anmerken,
sondern leistete sich gelegentlich noch einen Scherz:
„Seh' ich denn noch nit bald raus? So ein Ge
schwollener, wie ich bin! Das hätt' ich mir doch nit
getraut." Oder: „Aber jetzt wird mir bald zu eng
in nieiner Arche; ich möcht' gern aussteigen und
ein'n Regenbogen sehen."
Sepp war bald der Liebling des ganzen Saales.
Von seinen Leidensgenossen waren wiele furchtbar
verstümmelt. Dem einen fehlten die Arme; bei an
deren tat ein Lungenflügel nicht mehr mit. Jeder
hatte zu seufzen und mit sich zu tun. Aber wenn
der Arzt an Sepps Lager hintrat, dann wandten
sich alle Augen mit einem seltsamen Blick dorthin.
Und sie bekamen alle Herzklopfen vor dem entsetz
lichen Augenblick, der über kurz oder lang kommen
mußte. Denn jedesmal kehrte die gleiche Bitte wie
der und jedesmal dringlicher und ungeduldiger:
„Nehmt mir doch die Binde von den Augen! Ich
möcht halt meine Kameraden sehen, mit denen ich
red', und die bayerische Sonn' und den bayerischen
Himmel weis; und blau, wie's im Lied heißt, das
wir immer gesungen haben."
Der Arzt streichelte dem Bittenden über das
allmählich länger werdende Kraushaar, tätschelte
ihn wie ein Kind und tröstete: „Sepp, hab' noch acht
Tage Geduld! Weißt, der Kopf ist eben ein edler
Teil, auch bei dir, Sepp. In so einem Kopf steckt
allerlei feines Werkzeug, das heikel zu kurieren ist.
Da gibt's nicht nur Heu und Stroh, wie dir dein
Feldwebel vorgemacht hat, sondern z. B. Augen,
und die sind sehr heikel. Und eine Gehirnhautent
zündung ist im Handumdrehen da, so geschwind wie
so eine Franzosenkugel. Also, mein Freund, acht
Tage Geduld!"
Wer endlich spürte Sepp gar keine Schmerzen
mehr. Er klopfte mit der Faust gegen die Stirn
und überprüfte mit fest zugreifenden Fingern durch
die Binde hindurch Nase, Augen und Wangen.
„Alles kerngesund!^ triumphierte er.
Da nahmen sie ihm die Binde von den Augen.
Keiner im weiten Saal wagte zu atmen; eine pein
liche Stille lag um Sepp, so daß er erstaunt umher
horchte. Die Binde war weg. Er aber saß noch im
mer harrend im Bett und wartete auf die Befrei
ung. Endlich flehte er wieder: „Aber Herr Doktor,
tun Sie mir die Binde halt doch weg, ich bitt' mit
aufgehobenen Händen!" Er legte die kraftvollen
Finger ineinander und war anzusehen wie ein be
tendes Kind. Durch den Saal ging ein Flüstern
und Knistern. Die Einarmigen und die Männer
ohne Fuß und Bein weinten um ihren ärmsten Ka
meraden.
Der Arzt, der in den letzten Tagen Elend ohne
Ende gesehen hatte, würgte und schluckte, und end
lich sprach er, indes seine feine Hand das junge
Kriegeran^Iitz streichelte und liebkoste, stoßweise:
„Sepp, weißt, die Binde, die ich wegtun kann, hab'
ich wohl weggetan. Aber die andere, die kann 'ch
dir nicht wegtun. Das kann der liebe Herrgott ein
mal. Sie haben dir die Augen . . . gelt, du bist
schon brav und schön tapfer ... die Augen ausge
schossen . . ., deine lieben Sternlein sind erblindet."
Sepp fuhr mit seinen beiden Händen unter
seine Brauen und griff umher, als wolle er von da
etwas wegziehen. Dann neigte er sich vor wie einer,
der in weiter Ferne, etwas erspähen will, krampfte
die Stirnfalten zusammen, riß die versengten Au
genlider auf und machte die unsagbarsten Anstren
gungen, um die Finsternis zu durchbrechen. Es war
anzusehen, wie wenn einer an eisernen Ketten zerrt
und sie nicht zu zerreißen vermag.
Endlich mußte er erkennen, daß es ihm nicht
gelingen werde, die Binde der Blindheit wegzuschaf
fen. Er sank machtlos in sein Kissen zurück und lag
wie in tiefer Ohnmacht regungslos auf seinem Bett.
Von allen Seiten klang es „Sepp, Sepp!" Der eine
rief es weinend, der andere wie ein Vater, der fei
nen Sohn aus der Verzweiflung aufrufen will. der
dritte wie ein Offizier, der „Vorwärts marsch!"
kommandiert. Allen fehlten Worte des Trostes, nur
in dem Ton, in dem sie riefen, lockten und schmeichel
ten, lag ihr Erbarmen, ihr Mahnen, Helfen und
Bitten. Nach einigen Augenblicken war es wieder
ganz still im Saal .
Auf einmal richtete sich Sepp auf und sagte
hochaufatmend und feierlich: „In Hpttes Rainen!
D' Sonn geht unter, d' Sonn' geht wieder auf
Seine Sonn' ist jetzt halt 's ewige Licht. Werd' ’i
wohl erwarten können."
Da kniete der Arzt am Bett 'des Soldaten
nieder, faßte feine Hände, küßte sie und sagte ebenso
feierlich: „Bayerischer Löwe!"
So hat Sepp den fürchterlichsten Feind, die
Verzweiflung, besiegt.
(Aus: „Weltkrieg im schwäbischen Himmelreich".
Verlag: Kösel und Pustet, München.) "
Ein Hc-iu-Mnseum in Stockholm.
Sven Hedins Schwester, Fräulein Alma
Hedin, hat in diesen Tagen einen Baugrund
am nördlichen Mälarstrand erworben. Wie
„Social-Demokraten" mitzuteilen weiß, ha
ben sie und ihr Bruder die Absicht, hier ein
Museum oder ein Sven-Heöin-Heinr zu errich
ten, wo Hedins große Sammlungen, Biblio
theken usw. untergebracht werden sollen;,
wenn beide gestorben sind. Außerdem soll
ihr Kinderheim, das noch unberührt steht, seit
dem die Eltern gestorben sind, und das der
Typus eines alten schwedischen Bürgerheims
sein soll, hierher übergeführt werden.
Verleihung des Staatlichen Beethoven-Pvekfes.
Der Staatliche Beethoven-Preis ist am To
destage Beethovens auf Vorschlag des dafür be
rufenen Kuratoriums von der Preußischen Aka
demie der Künste den Komponisten Freiherr«
E. N. von Reznicek in Berlin und Julius Weis-
mann in Freiburg i. Br. je zur Hälfte verliehe«
worden.
Wrrchempfchlrmge».
Dir Mätresse der Kardinals. Von Benito Mussolini.
Eden-Verlag, Berlin. Diese Geschichte von der späten Lei»
dcnschaft Cmanuel Madrnzzor, des Kaidinalerzbischofs von
Trient, zu der schönen Claudia, der Tochter seines Kanzlers,
wäre belanglos, könnte Kost fein für eine Jugend, die Gro
schenhefte verschlingt, wenn der Versaffer nicht Mussolini
wäre, der die Aussöhnung Italiens mit dem Vatikan her
beigeführt hat. Mit demselben Vatikan, dem in diesem Buch
durch die rücksichtslose Demnskier-ung der klerikalen Zustände
in der Zeit des verfallenden Papsttums schärfster Kampf an.
gesagt wird. Allerdings: diesen Roman schrieb Mussolini
vor zwanzig Jahren, als er bei der sozialistischen Arbeits
kammer in Trient tätig war und der Redaktionsdienst für
den sozialistischen „Popolo" und dessen Wochenbeilage z»
seinen Obliegenheiten gehörte. Ob diese Wiedergeburt des
Romans dem Verfasser heute genehm ist, mag dahingestellt
bleiben. Jedenfalls gibt das Buch beredtes Zeugnis von oef
Einstellung Mussolinis zur Kirche.
bn 'Sin
< fi*iKCtes.^en,Sta*iiBnt9Scn mw@i IfiantischiSihLCMt.
Einige Beispiele:
S#r«a«*p#- und Wirtcwarenhmus, ‘S&emdshurqi
vom 31. März bis 7. April 1930 einschließlich
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Hohe Straße Nummer 24
Betty Wehrle-Genhart
Kreuzwege der Liebe
Carl Dun&er-Verlag. Berlin W. 62
11) (Nachdruck verboten.)
Hier ist die Haltestelle, wo sie mit Rosalie je
weils eingestiegen ist. Doch keine Elektrische er
scheint. Verschiedene Personen kommen die Straße
herunter —- da eilt das Kind in der Angst, es
werde verfolgt, davon. Immer denselben Weg, den
die Elektrische fährt. P^n mündet er in eine große
Straße und die Kleine atmet auf- Hier in diesem
Menschengewühls wird sie so leicht niemand finden.
And richtig — hier ist der große Platz, wo man um
steigen und mit der roten Nummer weiterfahren
muß.
Sekundenlang steht Suzette auf dem Randstein
Es klopft in ihrer Brust ein ängstlich schlagen
des Dogelherz. Der Lärm um sie herum bedrängt
sie. Auto-signale gellen und tuten. Bon allen Sei
ten kommen wild bimmelnde Tramwagen. Lastautos
donnern vorüber und Velofahrer schießen in sou
veräner Unbekümmertheit kreuz und quer durch die
tosende Brandung des Großstadtverkehrs. Und da.
wo es am gefährlichsten ist, steht ein großer Schutz
mann und schreibt mit seiner weiß behandschuhten
Rechten allerlei geheimnisvolle Zeichen in die Luft.
Trotz ihrer Aufgeregtheit nimmt Suzette olle diese
Eindrücke mit ihrem immer wachen Iüteresse in sich
«ruf. Aber st« hat keine Zeit, lange stillzustehen. Sie
muß hinüber auf die andere Seite des großen Plat
zes, denn -da, wo sie steht, HW -die rote Nummer
nicht.
Sie verläßt den Fußsteig, -drei Schritte geht sie,
vier.... dann beginnt es ihr schwarz zu werden vor
den Augen, gellende Schreie ertönet:, ein schwar
zes Ungetüm kommt herangefau-cht... Suzette ist
wie gelähmt vor Schreck... sie taumelt...
Da steht, wie aus dem Boden gewachsen, die
mächtige Gestalt des Schutzmannes. Suzette fühlt
sich emporgerissen und als sie endlich wieder d-ie
-Krast besitzt, aufzuschauen, sieht sie, daß sie mitten
.auf dem Walterpkatz auf dem Arm des Schutzmannes
sitzt. Die Angst verschwindet und mm kommt ein
anderes, nicht minder unangenehmes Gefühl. So
wie M Baby auf dem Arm des Schutziuauues zu
sitzen und von allen Leuten betrachtet zu werden, ist
der Kleinen höchst genierlich. Sie fängt an zu zap
peln und strebt mit Armen und Beinen zu Bo-den.
„Halt, mein kleines Fräulein!" ruft der Poli
zist, als sie ihm entwischen will. „Zuerst will ich
wissen, wohin die Reise geht."
„Zu meinem Papa."
„Wo wohnst du?"
Suzette ist klug genug, die Adresse des Vaters
zu nenneil. Der Schutzmann klopft sie auf die
Schulter, ermahnt sie, ein andermal bester aufzu
passen und übergibt sie dann einer in der Nähe ste-'
henden Dame, welche verspricht, dos Kind auf die
Elektrische'zu bringen.
Stolz wie ein Schneekönig sitzt dam: Suzette
endlich in der Trambahn utld nimmt vom Schaffner
die Fahrkarte entgegen. Doch da folgt schon ein
neuer Schlag.
„Zwanzig Pfennig!" sagt der Schaffner und hält
Suzette die Hand hin.
Suzette sitzt wie sestgedoimert da. An Geld hat
sie nicht gedacht. Kläglich schaut sie zu dein Gestren
gen hinauf.
„Nun?" macht dieser hörbar ungeduldig.
Suzette wühlt verzweifelt in ihren Taschen,
trotzdem sie weiß, daß darin noch me ein Geldstück
war. Endlich findet sie aber doch etwas. Es ist
ein Stück angebrochener Schokolade und diese reicht
Suzette dem Schaffner hin.
„Geld habe ich keines ... aber..." stammelte
sie. Der Atanil will zuerst aifffahren, aber beim
Anblick des verlegenheitsroten Gesichtleins empfin
det er doch ein menschliches Rühren und steckt die
Schokolade unter dem Gelächter der übrigen Fahr
gäste schmunzelnd ein.
Die Situation ist zum zweiten Male gerettet.
Suzette fängt an, vergnügt 51t werden. Der Grund
ihres Ausrcißens liegt schon weit hinter ihr. In
diesem Augenblick enlpfindet sie nichts als Freude,
dem bisherigen Zwange entronllen zu sein und auf
eigene Faust handeln zu können.
Die Haltestelle ist erreicht und der Schaffner
hebt Suzette trotz ihres Protestes -zum Wagen her
aus. Das kleine Fräulein fühlt sich in seiner Würde
zwar etwas gekränkt, dankt aber doch artig und
hüpft davon.
Und da steht sie endlich vor Papas Haus. Doch
niemand öffnet ihr auf ihr Läuten. Sie zieht dar
auf -die Klingel vom oberen Stockwerk. Auch da
keine Antwort — die Haustür bleibt fest verschlos
sen. Suzette steht da, wie vor den Kopf geschlagen.
Daß Papa nicht hier sein könnte — daran hat sie
gar nicht gedacht. Sie würgt die aufsteigenden
Tränen tapfer hinunter und fängt an, über ihre
Lage nachzudenken. Heim kann sie nicht, das ist
klar. Der Weg ist zu weit, sie ist müde und dann
— hat sie auch Angst vor Mama. Und vor Mamas
Mann. Ob ihm die Hand wohl sehr weh tut, von
ihrem Biß? Geschieht ihm schon recht!...
Suzette geht halbwegs den schmalen, mit Stu
fen versehenen Weg hinunter, der durch den Gar
ten auf die Straße führt. Vielleicht hat Papa nur
einen kurzen Ausgang gemacht und kommt jeden
Augenblick zurück. Müde ist sie — ach, so müde.
Und dann hat sie auch Hunger. Sie hat ja heute
den ganzen Tag vor Aufregung fast nichts genossen.
Suzette setzt sich auf eine der Stufen, duckt sich
wie ein frierendes Vögelein und stützt das Kinn auf
die agufestützten Arme. Stockdunkle ist's, um sie
herum kein Sternlein blitzt, denn vom Himmel fallen
große Schneeflocken. Suzettes gelbes Pelzmäntel
chen wird mit Hermelin verbrämt und ein Schnee-
rosenkranz elgi sich um ihre Mütze. Ganz wohl'g
wird's der Kleinen zu Mut. Die Füßchen, welche
sie vor Kälte schmerzten, tun auch nicht mehr weh ...
Bisweilen hebt Suzette die schlaftrunkenen Li
der, aber imlner mehr nimmt die Müdigkeit über
hand. Sie fühlt ein seltsames Rauschen in ihren
Ohren und nun wird das Rauschen zur wunder
baren Melodie... Eine Stimme, silberhell, schwebt
eiufal über den rauschenden Klängen. Rur ein
Engel kann es sein, der so singt, denkt das tvaumbe-
fangene Kind. Dann aber — 0, welche Pracht! —
dann öffnet sich am Himmel plötzlich ein goldenes
Tor. Das strahlt und leuchtet... Und unter dem
Tor steht —- welche Freude! — da steht ihr Vater..
ihr lieber Vater. Er streckt ihr die Arme entgegen
und ruft. Aber Suzette versteht ihn nicht, sie ist
auch zu müde, um sich zu erheben. Da fährt mit
hartem Knall eine Tür ins Schloß ... Suzette fährt
zusammen... dam: wartet sie... sie fühlt die
Nähe eines Menschen. Es wird nun wohl ihr Va
ter fein, der sie holt...
Und — „Himmelbombenelement — was ist denn
das?" tönt eine rauhe Stimme über ihr. Suzette
fühlt, wie sie aufgehoben wird. Eine Hand fährt
ihr über Kopf und Schulter und — weg sind Herme-
linpelz und Schneerosenkranz. „Wer bist du?" fragt
dieselbe rauhe Stimme.
„Suzette Rettberg", flüstert die Kleiire. Si«
weiß jetzt — es ist nicht Papa, der gekommen ist.
Aber es ruht sich auch gut auf diesem starken Arm
und zutraulich schmiegt sie sich an die breite Brust.
Die schläfrigen Augen wollen sich noch nicht öffnen.
„Suzette Rettberg!" wiederholte die Stimme
nun völlig gebrochen. „O, du armes... armes...
Kind!"
Als Suzette endlich erwacht, liegt sie noch immer
in denselben starken Firmen, und zwar, wie das
Kind auf den ersten Mick erfaßt, in Papas Wohn
zimmer. Ein gutes, altes Gesicht mit groben Zü
gen, eine Hornbrille vor den Augen, einen dunklen
Filzhut auf dem kurzen, eisgraiien Haar beugt sich
über sie.
„Da sind ja endlich deine Augen! Schau mich
nlir recht an, kleine Suzette. Du bist eine Nichte
von mir."
Suzette richtet sich auf.
„So bist du mein — Onkel?"
Ein kurzes, trockenes Lachen ertönt. „Nun,
das gerade nicht. Aber — eine Tante!"
Und ehe sich Suzette von ihrer Ueberraschung
erholen kann, fährt -diese wie vom Himmel ge
schneite, von ihr so schmählich verkannte Tante fort:
„Du wolltest zu deinem Vater. Suzette?" Das
Kind nickt. „Höre. mein Kind. Ich muß dir etwas
mitteilen, was dir bitter weh tun wird. Aber du
hast ja deinen Papa lieb und begreifst, daß es ihm
hier nicht gefallen konnte, wo er so allein roar und
verlassen."
„Auch ich bin allein", wirft Suzette hastig ein.
Eine dunkle Ahnung steigt auf in ihr. Sie hat
plötzlich das Gefühl, als liege ein Stein auf ihrer
Brust. Sollte Papa am Ende gar verreist sein —
vielleicht auf längere Zeit? „Sage mir, Tante, wo
ist lileili Vater? Ich bin gekommen, um bei ihm zu
bleiben. Immer... immer..."
(Fortsetzung folgt.)