ur Unterhaltung
-Leilahs der Schleskoļg.HoljLemi'schsn Landeszeîtung (Rendsburger Tac\eblati)
Ernst Moritz ArsröL rsszK LchleswLg-Hsķşià
Von Otto Wendler.
An einem Januartage 1860, vor nunmehr 70
Jahren, starb Ernst Moritz Arndt in Bonn am
Rhein. Sein Todestag war ein nationaler Trauer
tag, wie die Feier seines 90. Geburtstages am
zweiten Weihnachtstage des Jahres vorher ein
alldeutscher Festtag gewesen war.
Was hatte denn diesen Mann den Deutschen
so lieb und wert gemacht?
Er hat sich einmal selbst ein treues deutsches
Gewissen genannt. Und wahrlich, er hat seine
Deutschen geliebt und um sie gesorgt! In „Liebe
und Grimm" hat er zu ihnen gesprochen, er hat
sie aufgerüttelt aus verderblicher Gleichgültigkeit,
hat ihnen die Augen geöffnet für deutsche Ehre,
für die Herrlichkeiten deutscher Vergangenheit, er
hat vor allem den mitreißenden Strom der Vater
lands- und Freiheitsliebe aus seinem Herzen in
ihre Herzen zu leiten gewußt. Deutsche Treue,
deutsche Ehre, Vaterlands- und Freiheitsliebe und
ehrlicher Haß gegen alle Feinde des Deutschtums
verkörpern sich in seiner Person.
In der Zeit völliger Ohnmacht und schimpf
lichster Demütigung Deutschlands durch die Fran
zosen trat Arndt auf. Brennende Scham über die
Schmach Deutschlands, Zorn über die Ehrvergessen
heit vieler Deutscher, über ihre Gleichgültigkeit
gegen die Schande der Demütigung und Haß ge
gen französische Willkür gaben ihm die feurigen
Worte ein in seiner Schrift „Geist der Zeit". '
In unendlich vielen weckten seine zündenden
Worte das Gewissen, Begeisterung für Freiheit,
deutsche Ehre; und fein Buch wurde das Evange
lium aller Patrioten. So bereiteten Arndts-
Worte den Erhebungskampf vor. Und als dieser
dann begann, sprach Arndt in seinem Katechismus
für den deutschen Kriegs- und Wehrmann es aus,
um welche höchsten und herrlichsten Güter es zu
ringen galt.
Nach Befreiung deutschen Landes vom fran
zösischen Joch galt es die Lösung der deutschen
Frage. Einigung aller deutschen Stämme.
Um diese Zeit der Einheitsbestrebungen
kämpfte S ch l e s w i g - H o l st ei n für sein Recht
und sein Deutschtum. Auch hier trat Arndt für
die gerechte deutsche Sache ein in seiner Schrift:
Die Frage um Schleswig-Holstein. Sein politi
scher Blick geht über die schleswig-holsteinische
Frage hinaus auf die allgemein deutsche Bedeu
tung dieses Kampfes. Dis Schleswig-Holsteiner,
sagt er, kämpfen, für ihr deutsches Leben und für
ihr vaterländisches Recht. Sie stehen, kämpfen
und bluten aber nicht allein für sich, sondern für
alle Deutschen, für das ganze Deutschland. Und
er beschwört die Deutschen, die Brüder in Schles
wig-Holstein nicht im Stich zu lassen und den
„Schimpf der Londoner Protokolle" nicht zu dul
den. Denn wenn die Dänen, sagt er, durch die
Zettelungen der Fremden und die Ehrvergessen
heit der Eigenen solches (die unlösliche Verbin
dung Schleswig-Holsteins mit Dänemark) erlangt
haben, werden sie so arbeiten, so alles Deutsche
zerplagen und zerfoltern, so alle deutschen Triebe
in Art, Sprache, Sitte, Leben und Liebe zu unter
drücken und auszutilgen suchen, daß Land und
Menschen uns zuletzt für immer verloren gehen.
Darum rief er sein „letztes Wort aus dem gan
zen Jammer der Gegenwart heraus" aus.: Schles
wig-Holstein ist gegenwärtig (1830) die größte
deutsche Frage, sie kann die blutroteste Frage wer
den.. Ware es aber möglich, daß Schleswig-Hol
stein aufgegeben würde, daß man durch die hin
terlistigsten Verträge sich erfrechte, es als einen
unlöslichen Sklaven an Dänemark anzuschmieden,
dann wäre die Zeit gekommen, wo jeder Deutsche,
der ein Herz im Leibe hat, rufen müßte: Auf, alle
Deutsche, zu euren Fahnen und Waffen!
So sprach Arndt aus seinem treuen, deutschen
Herzen. Aber, wie er an anderer Stelle sagt:
Deutschland ist nichts, wir Deutsche sind nichts —
wo war Deutschland, wo die Deutschen? Die
fremden „Großmächte konnten spekulieren auf den
Jahrhunderte alten deutschen Jammer dex Zwie
tracht und Zerstückelung und sich erfrechen, über
deutsche Lande das Los zu werfen."
Alles aus Sorge um Dänemark? Auch da
gab Arndt Antwort: O diese Sorge um Dänemark
geht ganz woanders hin. Es ist die Sorge der
eigennützigsten Eifersucht auf Doutschlairds Größe;
es^ist die Sorge, die Möglichkeit abzuschneiden,
daß in der Ostsee und Nordsee ein starkes, mäch
tiges Deutschland erwachsen könne, die zärtliche
Sorge jener Fremden (Rußland, England, Frank
reich), jedem einigen, starken Deutschland in sei
nen möglichen Anfängen vorzubeugen!
Der Weltkrieg hat Arndts warnende Voraus
sicht bestätigt, wenngleich Arndt meinte: so ein
trächtig kann und wird Europa doch nicht sein zu
Deutschlands Verderben, nur Russen und Franzo
sen. würden, wenn es zum wirklichen Schwerter-
ziehen. kommen sollte, als die Verheerer, Ausbeu
ter und Zerfresssr Deutschlands übrigbleiben. Er
sollte Deutschlands Erstarken und Einigung und
Schleswig-Holsteins Gewinnung für Deutschland
nicht mehr erleben. Aber der getreue Eckart, der
Mahner und Warner seiner Deutschen hat in sei
nen Schriften seinem Volke eine herrliche Erbschaft
hinterlassen. Sein „Geist der Zeit" besonders
sollte von jedem Deutschen wieder und wieder ge
lesen werden, es würden da manchem die Augen
geöffnet werden; denn was er mit feuriger Be
geisterung. aus sorgendem, liebendem Herzen in
sein Vermächtnis gelegt hat: Vaterlandsliebe, Be
geisterung für deutsche Ehre und Freiheit — wer
könnte es wahrer, schöner und eindringlicher sagen
als Ernst Moritz Arndt. Auch uns noch!
Lschsttöe Wctt.
Vereinfachtes Verfahre«.
Als vor einigen Jahren öie amerikanische
Berkehrsorganisation in Deutschland einge
führt würbe, machte sich der bekannte Ber
liner Coupletdichter Theobald Tiger in einem
sehr amüsanten Scherzgedicht über die etwas
weitgehenden Bemühungen der Polizei lustig:
„Und wir haben auch erleuchtete Schildkröten
— bitte sehr; und das einzige was uns noch
fehlt, ist der Verkehr," hieß es da. Von allen
deutschen Großstädten ist von jeher die ver
kehrsarmste München gewesen. So wirkt es
denn ein wenig überrascheird, daß gerade dort
am energischsten gegen Verkehrssünder jeder
Art eingeschritten wird. Nach einer neuen
Verfügung des Magistrats hat jeder, der eine
Straße entgegen den Verordnungen über
schreitet oder sonst irgendwie gegen die Ver
kehrsregeln verstößt, eine Strafe von einer
Mark zu zahlen, die der aufsichtsführende
Schutzmann sofort einkassiert. — Wie wir hö
ren, hat eine sehr vornehme Studentenverbin
dung in amüsanter Weise gegen diese Neu
regelung protestiert. Die Herren fanden sich
im vollen Wichs auf dem Odeonsplatz zusam
men und hüpften entgegen allen Verkehrs
regeln quer über die Straße zur Feldherrn
halle hin. Noch ehe sie den Bürgersteig be
traten, bildeten sie eine streng ausgerichtete
Front und riefen dreimal hintereinander im
Chor: „Schutzmann, zahlenf"
Der beleidigte Oberkellner
Voriges Jahr ging ein Film über die
Leinwand, in dem der Leiter eines sehr be
rühmten Luxuslokals persönlich erschien. Das
Publikum jubelte und klatschte Beifall; der
Gastwirt selber aber, der, ohne es zu wissen,
mit in den Film hineingeraten war, betrach
tete die Sache als eine vorzügliche Reklame
und freute sich darüber.
Montag, den 24. März
Der Oberkellner des Hotel Ritz denkt an
ders. Er ist ein sehr würdiger Herr und hat
ein Einkommen, nach dem sich mancher Bank
direktor die Finger lecken würde. Nicht ganz
zu unrecht betrachtet er sich als eine Art Säule
des internationalen Pariser Verkehrs. Die
ser Oberkellner hat es fertig bekommen, ei
nen der berühmtesten Dramatiker des zeitge-
itössischen Frankreichs auf Schadenersatz zu
verklagen. Bouröet hat soeben ein neues
Stück herausgebracht, betitelt „Das schwache
Geschlecht". Es spielt zum Teil in der Halle
des Hotel Ritz, das eines der größten und
vornehmsten Häuser der Welt ist, und der
Herr Oberkellner hat unfreiwillig eine Rolle
übernommen, die zwar ein wenig komisch
wirkt, dafür aber an Porträtähnlichkeit nichts
zu wünschen übrig läßt.
Als ein Berliner Dramatiker den wichtig
sten Kritiker der Reichshauptstadt aus die
Szene brachte, amüsierte sich niemand mehr
darüber als der Betroffene, Alfred Kerr, sel
ber. Er saß im Parkett und strahlte vor Ver
gnügen. Ihm fehlt offenbar jene Meinung
von der Würde seiner Person. Vorläufig hat
er mit dieser nur einen Erfolg gehabt: die
Pariser Gesellschaft prügelt sich um Karten zu
Bouröets nmrem Stück und der Weizen der
Billetthänüler blüht wie nie zuvor.
H. Chr. Andersen-Feier.
Am 2. April jährt sich zum IW. Male der
Geburtstag des dänischen Märchendichters Hans
Christian Andersen, der in aller Welt unter allen
Kindern aller Länder seine Freunde fand — und
dabei auch stets die „Großen" mit feinen Wer
ken zum Nachdenken zu zwingen weiß. Andersen
ist in Dänemark zum NrtionalheDen geworden.
Kein Wunder, daß ihn die dänische Jugend am
2. April besonders feiern will. Es gibt in Kopen
hagen zwei freie Schultage! In einem Festzuge
«ollen die bekanntesten Märchenfiguren verkörpert
werden.
Gericht und Schlägcrmeusur.
Vvr dem Berliner Schöffengericht werden
sich Ende der Woche unter Führung des Stu
denten Grothe 12 Studenten wegen Zwei
kampfes zu verantworten haben. Die Ange
klagten haben sämtlich an Schlägermensuren
teilgenommen. Bei den Beratungen über das
neue Strafgesetz spielte bekanntlich der Zwei
kampf eine ganz besondere Rolle, und infol
gedessen dürfte diesem kommenden Prozeß
ganz besorrdere Bedeutung ücizumessen sein.
MiBfarhen© Zahne
àĢru» wirk, abstoßend. Beide SdTönheitsfehler werden
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^npaşte. Dia Zahne erhalten darnach einen wundervollen Elfenbeinglanz, auch an den Seitenflächen
1 ^sonders bei gleichzeitiger Benutzung der dafür eigens konstruierten Chlorodont-Zahnbürste 'mit
Mundgeruchs werden gründlich damit beseitigt. — Chlorodont- Zahnpaste Mundwasse™ Zahn horsten’ f,* t-f^ . Speiseres{e in den Zahnzwischenräumen als Ursache des üblen
Chlorodont in blau-weiß-griiner Originalpackung „nd weise “den Ersatz Sr SU Ersten E.ntatspre.s I Mark de, hodister Qualität. - Man verlange „ur edit
Betty Wehrle-Genhart
Kreuzwege der Liebe
Carl Duncker-Verlao Berlin W. 62
(Nachdruck verboten.)
Nun ist sie vor der Türe. Noch eine Sekunde
und . . .
Die leichten Schritte gehen vorüber, ivevden
immer schwächer, verklingen . . .
Dann fällt eine Tür ins Schloß. Still.
Suzette wttft sich in die K'ffen zurück. Ls
schüttelt sie. Sie weint... weint Es dauert lange,
bis ihr die heißen Augen zufallen. Sie verbringt
die nächsten Stunden in mattem Halbfchlummer.
Immer noch bebt der kleine Körper von stoßweisem
Schluchzen.
Und dann — was sind dos für wunderbare
Melodien, für zarte, feine Klänge, die den Weg zu
ihrem wunden Herzen suchen? Suzette hebt das
goldene Köpfchen, reibt sich schlaftrunken di« Augen
und horcht. Nein, sie fjm nicht geträumt. Irgeno-
woher erklingt ein Lied. Es gibt Suzette einen Stoß
Mama! Es muß schon recht spät sein. daß Ma
ma wieder zurück ist.
Die Kleine eilt aus nackten Füßen zur Tür und
öffnet. Der Vorraum ist erfüllt von den bezaubern
den Klängen. Sie kommen aus der ersten Etage
heruntergeströmt, aus Mamas Boudoir, wo der
neue Steinway steht.
Nur sekundenlang zögert das Kind. Dann tritt
es hinaus in den teppichbelegten Vorraum, huscht
wie ein Wiesel die Treppe hinauf. Ein tiefes Auf
atmen vor Mamas Zimmer, dann schieben die zwei
blaffen Kinderhände behutsam die Schiebetüren aus
einander.
sind Suzette schaut . . .
lüntfi sitzt am Flügel in ihrem strahlenden
Sckberkleiü. vie singt mit verhaltener Stimme, nicht
laut, wie sonst. Cs kommt etwas von Dämmerung
vor in dem Liede und von einer schönsten Frau.
Und oft das Wort „Liebe" . . .
Liebe! Also Atom« kennt das Wort. Suzette
steht mit zwei Schritten im Zimmer. Liebe! Wa
lange schon hungert und dürstet das Kind nach
einem Wort der Liebe von den Lipven der Mutter.
O. wie sie singt. Verlangend streckt es die Aerm-
chen aus.
„Mama!"
Das Lied verstummt jäh. Der Mann,
der am Flügel lehnt und Mama — beide
wenden die Köpfe. Beide sind sehr rot im
Gesicht.
„Suzanne!"
Das Kind duckt das Köpfchen und
zieht furchtsam die Schultern in die Höhe.
Wie ein zartes Elfchen steht es da, im lan
gen, weißen Nachtkleid. Die goldenen
Locken fallen zu beiden Seiten des schmalen
Gesichtleins hinunter bis auf die Brust.
„Mama..." sammelt Suzette. -
„Was soll das, Suzanne?" fragt diese
streng.
„Du hast vergessen, mir gute Nacht zu
sagen... ich konnte keinen Schlaf finden.,
dann sangst du so schön, und ich..."
Suzette verstummt. Mama hat sich er
hoben und kommt auf sie zu. Das Kind
faßt allen Mut zusammen.
„.... und ich wollte dich bitten, mir ein
Schlummerlied zu singen. Einmal, Mama,
einmal. O, liebe süße Mutti!" Suzette
streckt ein wenig das feine Köpfchen nor
und faltet die Hände auf der Brust. „Es
gibt ein Lied, das man seinem Kiudlein
singt. Wenn es dunkel ist im Zimmer und
das Sanömäunle'iN naht."
„Genug!" ruft Flenre außer sich. „Ich
weiß nicht, was heute in dich gefahren ist,
Suzanne. Schäme dich! Nichts als Aerger
bereitest du mir. Du weißt, daß du dein
Bett nicht verlassen darfst. Und nun —
mitten in der Nacht. Geh augenblicklich
in dein Zimmer zurück! Und bete, daß
Gott dir hilft, ein folgsames Kind zu wer
den. Bate..."
„Flenre", flüstert eine Stimme. Mah
nend, bittend... „Flenre!"
Madame wirft den Kopf in den Nacken.
Das fehlte noch — daß er dem Kinde recht
gibt, anstatt es zurechtzuweisen.
„Suzanne!" ruft sie drohend. Da wen
det sich die Kleine um und geht. Doch sie
wirft vorher noch einen Blick auf den
Mann, in dem sie instinktiv einen Helfer
vermutet. Es liegt so viel glühende Dank
barkeit in dem Blick, daß er davon erschüt
tert ist.
„O, Flenre", bittet der Mann, als sie
wieder allein sind. *„Gehen Sie doch der
Kleinen nach und singen Sie ihr das Lied."
„Nein!" brauste sie auf. „Nein... das
würde das Kind in seinem Ungehorsam
noch bestärken. Ich pflege meine Befehle
immer aufrecht zu erhalten, ganz beson
ders Suzanne gegenüber. Sie wissen nicht,
was ich bisher mit der Kleinen hatte.
Schon von Geburt an war sie übernervös,
schwach und kränklich. Die teuersten
Aerzte, das geübteste Pflegepersonal mutz
ten her. Ich habe ihr so vieles geopfert.."
„Das war Ihr Geld!" wirft er ernst
ein. „Uns — Ihre Mutterliebe —?"
Sie hat auf diesen Einwurf scheinbar
nicht geachtet.
„Die letzten zwei Jahre ist sie endlich
körperlich etwas erstarkt. Doch ich befürchte,
jetzt kommen andere Sorgen. Das Mädel
hat den Dickkopf meines Mannes, es ist ab
sonderlich, unheimlich in seinem ganzen
Wesen und dazu bodenlos eigensinnig. Und
diese dunklen Mächte müssen bekämpft
werden. Nun aber genug von der Klei
nen. Wir wollen von anderem sprechen,
mein Freund. Bon uns.."
Suzette ist indessen langsam die Treppe
hinuntergeschritten. Schon liegt ihre Hand
auf der Klinke der Kinderzimmertür, als
sic ein Geräusch im Treppenhaus hört.
Schritte. Nun wird von außen ein Schlüs
sel in die Eingangstür gestoßen und her
umgedreht. Doch die Tür geht nicht auf.
Furchtlos schleicht Suzette hin und
versucht, _ durch die bunten Glasscheiben
den draußen Stehenden zu erkennen. Sie
stößt einen schwachen Schrei der Ueber-
raschung aus. Papa! Trotz des Dämmer
lichtes im Treppenhaus hat sie ihn erkannt.
Und nun sieht sie. warum er nicht öffnen
kann. Bon innen ist ein Riegel vorge
schoben.
Das Kind öffnet und hängt am Halse
des Vaters.
„Papa!" -
Der Herr im ledernen Automantel, j
die Schutzbrille auf die Stirn geschoben,
nimmt die Kleine auf den Arm. Er tut es
etwas unbeholfen, fast verlegen. Er sieht
das Kind ja so selten, daß er mit ihm nichts
anzufangen weiß. Zu Hause steckt er bis
über die Ohren in der Arbeit, und wenn
er sich einmal etwas erholen will, sucht er
diese Ruhe irgendwo, wo ihn der gesell
schaftliche Trubel, den Madame liebt, nicht
mehr erreichen kann.
„Warum schläfst du nicht, Suzette?" fragt er.
zerstreut das Kiuderköpfchen streichelnd. Sein Blick
geht umher. Da. am Garderobenständer hängen
fremde Kleider. Ein icharser Nuck geht durch seinen
Körper, jäh stellt er das Kind auf den Boden.
„Hat Mama Besuch?" preßt er heiser heraus.
Suzette nickt. Sie hört das schwere Atmen des
Vaters. Der arme Papa! Gewiß ist er ungehalten,
weil er fo 1 pät am Abend, wo er müde von den
Reise heimkommt, noch Besuch antrifft. Und in dem
Bestreben, seinen Unwillen zu besänftigen, flüstert
sie mit ihrer süßen Kinderstimme:
„Es ist ja nur ein einziger Herr!"
Papas Atein ist zum Stöhnen geworden. Er
stützt sich auf die Schultern des Kindes, als suche er
einen Halt an diesem schmächtigen, kleinen Wesen.
Darum ist er also wie von einer unsichtbaren Macht
nach Hause zurückgetrieben worden, ’ mitten in der
Nacht!
„Was ist dir. Papa?" fragt Suzette erstaunt.
Er reißt sich zusammen. „Nichts, Liebling. Ich
bringe dich in dein Bettchen und bleibe bei dir, bis
du schläfst."
,/X Papa!" lächelt das Mägdlein selig. Einen
Glüchsstrahl hat ihr also dieser bewegte Tag doch
gebracht, llnd als ihr längst di« müden Augen zu-
gefalten sind und gleichmäßige Atemzüge ihre Brust
hebep, behält sie des Vaters Hand fest in ihrer
Rechten.
Der berühmte Komponist mrd Kapellmeister, der
eine Welt erobert hat mit seinen wundersamen
Mehodien, dessen Namen mit fast ehrfürchtiger Be
wunderung genannt wird, dem Ströme Gpldes zu-
'lietzen aus allen Erdteilen und der täglich Nutzende
Engagements zurückweisen muß — die'er Mann sitzt
einsam, gebrachen, vernichtet am Lager seines Kin
des. Er preßt die Stirn auf das Eiicngitter des
BeKchens, denn der körperliche Schmerz loll helfen,
die Seelenqualen zu betäuben.
(Fortsetzung folgt.)