Full text: Newspaper volume (1930, Bd. 1)

123. Jahrgang 
123. Jahrgang 
0o3snia§, bm 23. März 
Herrin der sieben Mandelhügel ist zu schwach für 
diese Anstrengung. Sie wandert mädchenschlank, 
ein Summen auf den Lippen, zwischen den Stäm 
men. und ihr goldrotes Haar wirft einen neuen 
bestrickenden Farbton in das Sonnenblau des 
Blütentages. 
Ich sehe. im Kreis der Jahreszeiten, wie die 
Kelche der Mandelblüten sich öffnen, lösen und 
fallen, hermelinhell leuchtet es von der Erde em 
por. Die grünen Blätter brechen langsam aus.den 
Hüllen, und während sie in sonnenglühenden Mon 
den dorren und gilben, werden Knospen zu Früch 
ten, die schwellen, in dickem grünlichen Pelz liegt 
wohlverschlossen der weiße Kern. um den sich all 
mählich die braune harte porige Schale bildet. An 
fernen Herbsttagen ziehen die jungen flzilianischen 
Männer und Frauen zur Ernte, die Körbe füllen 
sich, auf dem Plateau vor dem einsamen hochge 
legenen Landhaus lösen sie, unter uralten Ge 
sängen, den grünen Pelz vom harten Gefüge der 
Schale, und vor den Augen der Herrin wölben sich 
die braunen Mandelhaufen höher und höher. Bis 
sie, sortiert, verpackt, über die Meere nach nörd 
lichen Ländern wandern. 
Und früh stehen die Mandelbäumo kahl und 
dürr auf ihren Hügeln, während die Zitronen in 
der Tiefe durch alle Jahreszeiten hin ihre Früchte 
im grünen Laub tragen. Es ist, als wolle dis 
Natur einen Ausgleich schaffen dafür, daß sie vor 
allen andern ihre Blüten in den erwachenden 
Frühling heben .... 
jerer Zeit zu hart erscheinen, erweichen. Aber 
Gott läßt sich nichts abhandeln. Du kannst sün 
digen. leichtsinnig oder trotzig. Nur zu! Aber 
die Folgen wirst du und die Deinen tragen! Die 
se: unbeugsame Zorn ist vielleicht das einzige, was 
unserm taumeligen Geschlecht noch zur Besinnung 
helfe» kann. Besinnt es sich. und wird es ernst, 
dann ist es Zeit, auch von d»r helfenden Liebe 
Gottes zu reden, eher aber nicht. 
voller Nur an uns selbst stellen war bald keine 
Ansprüche mehr. Darüber werden wir immer 
unfähiger kraftlos und haltlos. Da ist es ein 
Glück, daß unser Gott unerbittlich ist und seines 
heiligen Zorn über alles ungöttliche Wesen aus- 
gießt, daß er es einfach bei dem uralten Natur 
gesetz bleiben läßt, daß bie Sünde der Leute 
Verderben ist. Menschliche Ordnungen kann man 
umstoßen, menschlicl)e Gebote und Sitten, die un- 
Sonntagsgedanken. 
Um dieser Dinge willen kommt der Zorn 
Gottes über die Kinder des Unglaubens. 
Eph. ö. 6. 
Es ist ein uns ganz ungewohnter Klang, 
wenn wir vom Zorn Gottes reden hören. Gott 
ich doch die Liebe. Wir kennen und rühmen als 
Christen selbst der Sünde gegenüber Gott als das 
väterliche Erbarmen. Ist es da nicht bloß ein 
alttestamentlicher Rest, den man abtun muß, wenn 
selbst im neuen Testament ab und zu noch der 
Zorn Gottes erwähnt wird? 
Es ist aber doch merkwürdig, wie oft die Men 
schen unserer Tage gerade an diesem „lieben" 
Gott irre werden. Natürlich, ein entschiedener 
Christ steht in seinem Glauben auf Felsengrund. 
Er weiß: „Denen, die Gott lieben, müssen alle 
Dinge zum besten dienen." Aber wenn jemand 
erst sucht und tastet, der möchte dann doch in sei 
nem Leben irgendeinen Grund und Anhalt für 
seinen Glauben haben Es gibt genug, deren Ju 
gend, schon auf der Schattenseite des Lebens ge 
standen, die das Leben immer nur kalt und rück 
sichtslos angehaucht hat, die kaum Liebe, dafür 
vielleicht um so mehr Härte und Ungerechtigkeit 
erfahren, was sollen die mit der Predigt von dem 
„lieben" Gott anfangen? Sie müssen sie ja für 
ein ganz weltfremdes Gerede halten, und den 
Glauben, wenn er überhaupt mehr ist als Redens 
art, für ein Phantasiegespinst, das mit der Wirk 
lichkeit nichts gemein hat. Was aber nicht zur 
Wirklichkeit des Lebens paßt, ist für den heutigen 
Menschen abgetan und unannehmbar. 
Da war einmal ein Mann, der erlebte cs ge 
radezu als eine Erleuchtung, als er einmal vom 
Zorn Gottes predigen hörte. Von der Liebe 
Gottes aus war ihm sein Leben und das Welt 
geschehen rätselhaft geblieben. Als er aber das 
Leid der Welt unter der Beleuchtung des Zornes 
Gottes ansah, da kam ihm Sinn in die ganze Ge 
schichte. Nun erkannte er einen großen Zusam 
menhang, der all das viele Menschenleid erklärte; 
nun ging es ihm auch auf, warum sein eigenes 
Leben so bedrückt und verpfuscht verlaufen mußte: 
überall sah er die Sünde der Menschheit, fremde 
und eigene Schuld, und verstand, wie Gott da 
gegen angehen mußte. Es fiel ihin wie Schuppen 
van den Augen. All das Elend und all das 
Massenleid der Erde war 'ja kein Widerspruch 
gegen Gott, sondern war Gottes Widerspruch ge 
gen die Sünde. Der Zorn Gottes erklärte ihm 
diese Wirklichkeit, in der wir leben. 
Wie nötig ist solch ein Zeugnis gerade den 
Menschen unserer Tage! Wir sind doch ein furcht 
bar verweichlichtes Geschlecht! Genießen möchten 
wir in vollen Zügen und murren, wenn cs an 
etwas fehlt. Dabei werden wir immer anspruchs- 
Erich K. Schmidt, Palermo. / I 
In einem alten Steinbruch, von drei Seiten 
durch graue Felsen geschützt, nur der warmen Mii- 
tagssonnc weit aufgetan, öffnen sich die ersten 
Blüten am Gezweig eines Mandelbaumes. Der 
Himmel lohnt seine Einsamkeit durch allerfrühstes 
Erwachen. 
Um feinen Stamm wuchert dichter Klee, auch 
die Iris erschließt, an kahleren Stellen, ihre prunk 
vollen lila Kelche, und eng am Gestein steht ein 
verlorener Orangenbaum voll rotgoldener Früchte. 
Noch liegt der Schnee eines strengen Winters 
auf den Gipfeln der Berge ringsum, fast scheint es, 
als feien ein paar Flocken aus der Höhe herabge 
weht und an den Zweigen des Mandelbaumes 
hängen geblieben. Ein sanfter Schimmer läßt die 
Blüten hauchzart erglühen, sowie die Morgen 
sonne zuweilen den Schnee mit einer rosigen Ah 
nung üborweht. 
Ein buntbemalter Sizilianerkarren holpert 
um eine Kurve des steinigen Weges, ein schwarz 
haariges Mädchen steigt herab, bricht einen BIü- 
tcnzweig und schwingt ihn triumphierend dem 
Himmel entgegen, in desten azurner Bläue ein 
Raubvogel mit still gespannten Flügeln hängt. 
Da lacht der alte Bauer auf dem Wagen, die vielen 
Falten seines rotbraunen Gesichtes ziehen sich ver 
zückt zusammen; der kleine Esel schüttelt sich zwi 
schen der Deichsel, daß alle seine Schellen klingeln, 
er reckt das geöffnete Maul, um die schluchzende 
Inbrunst feines Gefühls gegen die Felswand zu 
schmettern. 
Der Mandclbaum bebt. weil der Wind ihn 
berührt, doch es ist. als erschüttere ihn der jähe 
gewaltige Eselschrei. 
die Lapislazulistreifen des Meeres. Wenn der 
Zufall es will, hängen unendlich kleine Segel 
boote auf See. ähnlich den Mandelblüten zwischen 
den Aesten, kaum unterscheidbar von ihnen. 
lleber die Ebene hinweg gesehen, werden die 
Mandelbäume zu marmorner Plastik, hinter der 
das wellige Gebirgsmassiv wie blauer Rauch ver- 
schwebt, vom zackigen Streifen des Schnees über 
glänzt. 
Auch in der Tiefe gibt es Mattdelbäume. hin 
ter der langgestreckten Rückwand des Monte Pelle 
grino. etwa im königlichen Favoritapark. Dort 
sind sie rhythmisch zwischen die Opuntien gesetzt. 
Es gibt kaum größere Gegensätze in der Natur als 
blühende Mandelbäume, weiß und zart: und da 
neben die dicken harten Kakteen, die, in skurriler 
Regellosigkeit, ihre stachelbewehrten Platten nach 
allen Seiten stoßen .... 
Ich kenne eine Besitzung weit hinter der Stadt 
Palermo, an der Bahn nach Messina. Sie geht 
über sieben Hügel hinweg, die Mandelbäume tra 
gen. Tics unten leuchtet eine Bucht des Tyrrheni 
schen Meeres. 
Dis Rebstöcke in den Senkungen an den süd 
lichen Abhängen sind noch knorrig und kahl, frisch 
beschnitten zwar, doch ohne jegliche Knospen 
schwellung. 
Nur die sieben Hügelkuppcn leuchten gleich 
den Schneebergen am Horizont, sie schimmern in 
weißer Glorie, helle Hymnen stoßen gegen die 
blaue Wölbung eines hochgespannten Himmels. 
Die Erde zwischen den Stämmen ist wieder trocken 
und hart, die Waster des Winters flössen zum 
Meer aber die Mandelbäume sind genügsam. 
Cie überdauern den langen heißen sizilianischen 
Sommer ohne künstliche Bewässerung: sie sind be 
scheidener als die Agrumen. 
Wenn man jetzt zwischen ihnen schreitet, dann 
wird das Auge geblendet wie auf Gletschern, gleich 
tausend Türkisen hängen zwischen dem Weiß die 
Sprenkel des Himmels. 
Die sieben Hügel sind von ungleichmäßiger 
Höhe, man möchte hoch in dis dahinterliegenden 
Berge steigen, um dis siebenfache Pracht der sieben 
Kuppen zu seinen Füßen zu sehen. Doch die 
Anekdoten aus alter Zeit. 
Bon Karl Federn. 
Das Trftrkgeld. 
Diese Geschichte erzählte mir Herr v. F.- 
H. in Wien, als er schon sehr alt war. Er 
war ein hübscher liebenswürdiger, in Gesell 
schaft gern gesehener junger Mann gewesen, 
hatte als Schriftsteller Erfolge und wußte ge 
schickt zu verbergen, wie sehr es ihm zumeist 
am Gelde fehlte. Seine Barschaft bestand aus 
einem Doppclsilbergulden und zwanzig Kreu 
zern, als er eines Abends zu einem Empfang 
in der französischen Botschaft geladen wurde. 
Er besaß einen tadellosen Frack und was sonst 
nötig war, aber er konnte unmöglich zu Fuß 
kommen, und konnte sich auch nicht entschlie 
ßen, dieses letzte Zweignldenstück zu opfern. 
Zum Glück waren die Wiener Fiaker ver 
ständnisvolle Leute. Die französische Gesandt 
schaft lag auf dem Lobkowitz-Platz: Herr v. F.- 
H. ging von seiner entfernten Wohnung zu 
Fuß bis zur letzten Ecke. an der ein Fiaker- 
stand war, trat auf einen Kutscher zu und 
fragte ihn, ob er ihn für zwanzig Kreuzer, 
also für das bloße Trinkgeld ohne die Taxe 
Aber nach zwei Sonnentagen stehen alle 
Bäume auf den Abhängen der Berge in heller 
Blust. Sie ragen rührend, ahnungslos ihrer 
Pracht, über die Zitronengärten voll goldgelber 
Früchte hinweg, aller Blätter bar, nur tausend 
Blüten im Zweiggewirr, weißgewandete Bräute 
des Frühlings. Steht man unter ihnen, so sieht 
man einen schneebeslockten Himmel über sich: blickt 
man quer durch sie hindurch, so entdeckt man da 
zwischen ferne Vorgebirge, lila umsponnen wie 
Kokons, gelbe Sarazenentürme, oder. am Horizont, 
Das Miedersehen. 
Eine Geschichte, von Ludwig Bäte. 
Zweiunddreißig Jahre waren es her, als er 
sich heimlich mit ihr verlobt hatte. Sie zählte da 
mals neunzehn, er vierundzwanzig Jahre. Er 
war gerade mit seinem pharmazeutischen Studium 
fertig und seit ein paar Monaten Provisor in 
ihrer Heimatstadt. Dach hatte sich ihr Vater be 
stimmt gegen eine Verbindung erklärt und führte 
seine Absicht, sie zu trennen, mit Unerbittlichkeit 
durch, so sehr ihn das im Grunde seines leicht ge 
rührten Herzens auch schmerzen mochte. Nicht, daß 
ihm der sunge Apotheker mißfallen hätte, doch wi 
derstrebte es dem Friesen aus uralter Sippe, einen 
io nahen Angehörigen anderer Konfession zu wis 
sen, so fern ihm eigentlich jedes kirchliche Be 
kenntnis lag. 
Sie hatte sich gefügt, und er verließ seine 
Stelle uild sand sein Brot in einer kleinen nieder- 
rheinischen Stadt, wo er sich nach einiger Zeit mit 
der Tochter des dortigen Arztes verheiratete, nicht 
ohne immer noch heimlich verehrend und doch mit 
einem leichten Gefühl der Bitterkeit vor dem Altar 
seiner ersten Liebe das Knie zu beugen, so un 
gerecht er das auch gegen die stille, feine Frau, 
die er geheiratet, empfand. 
Etta Petersen war nach des Paters Tode in 
dem großen grauen Hause an der Küste geblie 
ben und harte sich nicht vermählt. Bei dem Besuche 
einer jungen Freundin, die sie in dem der Vater 
stadt naheliegenden Badeorte kennen lernte, er 
fuhr sie ganz zufällig, daß er in der Nähe des 
Wohnortes ihrer Gastgeber vor etwa zehn Jahren 
eine kleine Landapotheke gekauft habe, und sie 
beschloß, ihn auftusnchen. Sie hatte ihm einige 
Tage vorher geschrieben und einen Brief bekom 
men. in dem trotz der ruhigen Fasiung der weni 
gen Sätze, so schien es ihr, doch noch ein Anhauch 
der alten Lebendigkeit und ein Fünkchen der un 
gestorbenen Liebe lebte. 
Der Gatte der Freundin begleitete sie. Er 
hatte anfangs ihre Bitte abschlagen wollen, fühlte 
aber bald, daß seine Anwesenheit leichte Stockun 
gen im Beisammensein der alten Leute überbrücken 
und ausgleichen würde. 
Keiner holte sie ab. Ihm als Apotheker war 
"s nicht möglich, und Frau und Tochter mochten 
im Hause zu tun haben, „vielleicht auch gründlich 
vorbereiten", wie der Begleiter, der ihr eine leise 
Befangenheit anmerkte, scherzend meinte. Ein 
Wagen war nicht aufzutreiben. 
So ging man langsam über die schöne, pap 
pelumstandene Landstraße, die sich eine Weile durch 
ebenes Land zog. Dann trat der Wald. der sie 
eine Zeitlang umschlosien hatte, zurück, und vor 
ihnen spannte sich das nicht sehr breite Tal mit dem 
von einem langen, schmalen Turm überragten 
Dorfe, aus dessen hohen Linden und Ulmen sich 
einige Häuser hoben, die ans Pfarrei und Apotheke 
deuteten. Ein kleiner Junge, der vor der nied 
rigen Schule spielte und ganz in seine Unterhal 
tung mit einem Häufchen blankglänzender Kiesel 
vertieft schien, führte sie über den nahen Mühlen- 
bach zur Apotheke. 
Das Haus stammte aus den ersten Jahrzehn 
ten des vergangenen Jahrhunderts und machte in 
seiner bürgerlich-soliden Tüchtigkeit, der ein fest 
licher Anstrich nicht fehlte, einen behaglichen Ein 
druck, den ein buntes Beet Astern nur noch ver 
tiefte. Die Klingel gellte mißtönend. Eine Tür 
dem Eingang zur Apotheke gegenüber, tat sich auf. 
und eine etwas gebeugte weißbärtig« Gestalt 
streckte ihnen aus dem Halbdunkel des großen 
Flures beide Hände mit herzlichem Druck entgegen. 
Indessen war auch die viel jüngere Frau mit ihrer 
etwa siebzehnjährigen Tochter gekommen, und nach 
einigen der üblichen Worte saß man am Kassee- 
tisch im tief und nach dem Garten h'n gelegenen 
Wohnzimmer. Dann und wann fiel ein langer, 
dünner Faden in den Raum und legte sich über 
die alten, feinen Gesichter der beiden, die manchmal 
wie scheu aneinander vorbei sahen, bis sie das 
ftöhliche Geplauder des Begleiters, dem ein schar 
fes Ohr freilich einige Unsicherheit angemerft 
hatte, den andern wieder zuführte. Des öfteren 
ging die Tür zur Offizin, und der Apacheftr mußte 
dann ausstehen und kam manchmal, w>« dem Gaste 
schien, mit einer gewissen inneren Sammlung und 
Festigung wieder, bis- ihn ein scheinbar schwerer 
auszuführendes Rezept länger dort fesih'clt. 
Man war unterdes aufgestanden und besah 
sich einige der Räume. Im letzten Zimmer, 
schräg der Apotheke gegenüber, stano ein mahagoni- 
şarbenes, sp'yettährffiches TafeMaoier m't steilem 
Pult und zwei schwach geschwungenen Leucht armen. 
Er griff einige Akkorde Es war ein altmodisches 
Lied, das er einmal irgendwo gehöri hatte und das 
ihr bekannt schien, denn sie summte leite mit und 
erklärte sich auf seine Bitte bereit, es zu äugen, 
während die Mutter, um nach dem Abendbrot zu 
sehen, sich entsernte. 
lleber Ettas Gesicht glitt eine tiefe Röte. 
Das Lied halte man in ihrer Jugend oft gesungen 
und sie sah noch immer seinen fröhlichen Mund. 
:«r es der Musik nachsummte an jenem Übend 
Di? beiden Jungen waren bald, da er in ihr 
eine hübsche, sichere Stimme fand, in Eiser gera 
ten und kramten in den spärlichen Notenvorrften, 
die der kleine Eckschrank barg. 
Etta schloß, nachdem sie ein« Zeitlang -»gehört 
hatte, die Tür und trat in den kleinen Apvthcken- 
raum und von dort in sein Zimmer. 
Ruhig erhob er den weißen Kops von dem 
kleinen Messingmörser auf dem Tisch. Der Abend 
hängte dunkle Vorhänge in das Zimmer, und 
mühsam tastete sich ein schwaches Kerzenlicht in 
die immer tiefer wachsende halbe Helle. 
„Wie schön, daß Du noch gekommen bist!" 
sprach er ruhig. 
Sie antwortete nicht, aber er sah, wie 'hre 
Schultern zitterten und sie sich cur Seite wandte 
Endlich fragte sie schwer: „Bist Du glücklich gewor 
den trotz alledem?" 
Beinahe raub entgegnet-? er: „Ick habe mein 
Brot, habe Frau und Kind — so sagt man ja 
wohl. llndffch habe meine Einsamkeit. Anfangs 
schienen die beiden, an das Leben ihrer Heima^ 
gewöhnt, sich hier nickt froh fühlen zu können. Das 
ist nun wohl doch langsam aesilschen " 
Sie schwieg und wußte nun ganz, warum er 
sich in diese Weltverlassenheit vergraben hatte. 
„Aber glücklich?" fuhr er fort. „Was nennt 
man Glück? Ist es das. was war und was uns 
damals nickt bewußt wurde, weil es traumvoll 
und uniroisch durch unsere törichten Hände glitt, 
die es nicht bester faßten? Kommt der Tag an das 
feine Gespinst, so zerreißt es, und kein W-ber 
zieht je die Fäden wieder zusammen. Warum kam 
der Tag an unser Glück!" 
„Schilt nicht!" bat sie. „Es ist nicht möglich, 
daß er an ihm vorüber ging, denn alles, was zux 
Erde kommt, wird auch in ihren Strudel hin- 
eiugerisien. Klagend schlägt das Edle seinen zer- 
risienen. beschmutzten Mantel um sich und ftieht 
zurück in sein Land. um doch immer wieder liebend 
hinab zu steigen in diese dunkle Welt.- Es ist 
kein dauerndes Glück im Irdischen. Aber die 
Sehnsucht nach ihm brennt in uns. Ist sie nicht 
die einzige Hoffnung, daß es einst ganz kommen 
wird?" 
„Oder wir zu ihm", antwortete er. 
Sie nickte. „Suchen wir nicht das Glück, suchen 
wir die Liebe, sagt ein gutes Wort, das ich in 
schwerer. Stunde damals fand. Die Liebe, die 
unser armes Ich hinaushebt über uns selbst. Die 
große Liebe." 
Die Frau bat zum Esten. In der behaglich 
warmen Stube saß man noch eine Stunde zusam 
men. indessen der Wind klagend um die Fenster 
strich 
Dann trennte man sich. Er begleitete sie 
durch die Gassen des Dorfes und noch ein Stück 
die Landstraße entlang. An einer Wegbiegung 
nahmen sie Abschied. Sein greiser Kopf stand 
scharf im Lichte des plötzlich für Augenblicke auf 
kommenden Mondes. Sie sah innig in sein- 
Augen und ließ ihm beide Hände. 
„Die Liebe, die große Liebe", sprach er vor sich 
hin. 
Dann wandte sie sich schnell ab und griff wi« 
hilfesuchend nach dem Arm des jungen Freundes, 
der einige Schritte vorausgegangen war. 
Endlich lösten sich die Lichter der Haltestellr 
aus der Nacht. 
Am aiaderen Tage fuhr sie heim. 
- . ' - 
*4. ----
	        
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