Zur Unterhaltung
Beilage der Schleswig.Holsteinischen Landeszeitunc) (Rendsbnrger Tageblatt)
Mittwoch. den 12. Februar
Klei,;e àMKdSiàhMeN ans Rem -krttfchm
Ihmirrêeîķm NW WSS.
Ņus alten NeifeLüchern ZnsaWMengesèEllL norr Dr. Klaus Witt.
tfcrn ^ einen eigenen Neiz, in alten Bü-
& ar ltlu ' ) Schriften zu blättern, die unmittel-
fachwissenschaftliche Darstellungen
"l \ l r
Kett
e ßcn und Treiben, mm den Einpsindnn-
Ķ Un . Utt ^ Meinungen früherer Geschlechter
sex. ^ lieben. Nicht umsonst ist gerade in un-
^‘ c Memoirenbibliothek so beliebt,
icļiii/î^ şieht es, wenigstens für die Jahr-
Die e utn 1800 mit den Reisebeschreibungcn.
It>Z ^upfinüsame Zeit unserer Urgroßeltern
à.Fuders gerne die mehr oder weniger
Wer sir°^ en Schilderungen von Reisenden
dcr ni. E-Das lehrt uns die stattliche Anzahl
tzxj^eisebncher, die unsere wissenschaftlichen
Sstrt e ^ eten aufbewahren. Wichtiger als die
schņ, îu Ņ Seide gebundenen Ergüsse über-
»lcx Üblicher Reiseschilöerer haben uns heute
f s >iift^ te häufigeren, mehr nüchternen und
6iid»o Ctt ^richte vieler größerer Reisehand-
^ 4u erzählen.
äer spärlichen Verbreitung und dem
ļ}e lt Kommenen Nachrichtendienst der weni-
biiê^àngen und Zeitschriften hatten Reisc-
»lz? damals eine weit größere Bedeutung
şsiibr etwa der Vädeker und Grieüens
n Sie geben auch meist ausführliche
uugcn des kulturellen Lebens der von
dtzx^^rfasser aufgesuchten Gegenden, und da-
»i!xx ?vertvolle Einblicke in vielfach uns sonst
Katyä^'malt und verzerrt überlieferter Zu-
^brlder gebend.
heutigen, durch Gipfelleistungen der
hinsichtlich der Lichteffekte und des
>v8s,ņFiufbaues selbst auch im Theater ver-
d,,ü Weltbürger des 20. Jahrhunderts
tk jà, bse recht häufigen ausführlichen Berich-
Theatererlebnisse vor l00 Jahren zu-
Ni»* ^echt bescheiden au; aber bei näherer
"lNia Eņņg erkennen wir dann, daß ein viel
tzyxş.^'^b Miterleben und -fühlen unseren/
Uren den Ausgleich gegeben haben.
i şg M welcher Begeisterung spricht nicht
'px,,l.ber doch wirklich weitgereiste und an-
ibxx ^ i'olle dänische Dichter Jens Baggesen
»^'eme Erlebnisse im Hamburger Theater
tzch. ŗ ZUli 1794. in dem er den berühmten
i'pieler Schröder als König Lear gesehen
^xschDie Art, wie er herauskam, bloß seine
tk„ â schon sein Antlitz, sein Gang, erweck-
kitzelnde Schauern bei mir, welches die
iex., sü den Armen der Kunst hervorznzan-
şw fehlt. Und nun, sein Ton, sein Bor-
- tltc Kops- und Arnlbewegungen, sein
^tipt^spiel — Die Wahrheit, womit seine
l»gtem"'Augen, Hände und Füße jede Replik
^erüe .^^'gleichcn habe ich nie gesehen, und
ijz wohl nie wieder zu sehen bekommen,
s ^àmal wieder Schröder als König
»'she-
fett 'ms h"?e den göttlichen Shakespeare gele
it wieder gelesen, durchfühlt trnd durch-
ki
acht s f.. - -.
^ bewundert und angebetet,' ich
>lig .‘Meutern majestätischen Genius den Kö-
kekltà. Dichter, den Fürsten der Phantasie,
Ntaitî ■ 1huie habe ich seine Triumphe der
wtelerkunst hervorgeführt!
Sweisle
p«,
ļ’èiii.,
e»"
daran, ob die Schauspielkunst
tcibt Vollkommeneres aufzuweisen
'Jitgfjjr ; stt , oder haben könne- als Schröders
dieser 9tolle. Gestalt, Antlitz und
Heu a-hiî hie Natur ihm schon in einem so
iMtisr w hozir verliehen, daß wait in dem
llit ^ear unmöglich sich alles dies vvrstel-
° saun - und
'tttftu'- 1 -~~ nnö hie Anwendung, die sein
vom Ansang bis zum Ende dieser
Ute , ^ Figur, von diesem glücklichen Ge
st öxi-M . diesem erwünschten Organ macht,
M 'lel^ì"'ņph der Eritil, der Theorie, und
det,s«: "vg. Es ist mir unmöglich, hiervon
schürn .Zuzuführen, und die Stellen auszn-
^tiirliau/i denen der richtige Vortrag, die
'eu :. Bewegung, und die überzenaeiid-
Unte„»ì'den sich in den geschmackvollen Zn-
Hang vereinten, die Rolle nicht bloß
^hşìtè p'Een, sondern zu verschönern — ich
^Zsch,.'^ ganz anführen und alle Repliken
L c <5 b»iche^ Mischung von Schrecken tknö Ņtit-
k?de r, ^''ierte sich meiner Seele, da er am
M'Wrig'' 'chauderhaften Fluchs, mit dem er
Müttern ^erwünscht, plötzlich seine Stimine
m ^ loht, und sagt:
es. eiņ "Damit sic fühle, wie viel schärfer
, l >tö ... ?'angenbiß es ist, ein undankbares
S trn' hoben! -
^eô Cï ..'her, wenn
— lte erhebt:
j'e&ct ,Yr "alte thörigte Augen? weint ihr
"Steif,J^et diese Begebenheit, so will ich ettch
^ . Tag ş..^uch wegivcrfeu!"
"'n. w^'Mchterlichc ,wiederholte': ),Nein! —
hinweg! hinweg!" — —
er in folgender Periode
-Ut I matter
ich: -
t . Bep dem allmächtigen Got'
^ der Scene, wo der in Fußblöckc ge.
im.' auf Lears Frage, wer es gcwao^
Mb tz.' andten so zu behandeln?, äntivorte^'
i'hd etitc Sie. Euer Sohn und Eure
lout nocb in weinen witternden
Es würde zu weit führen, Baggesens viele
Seiten langen Ausführungen über die Vor
stellung ganz wiederzugeben. — Noch unmit
telbarer sprechen aber die Worte zu uns, in
denen Baggesen sein erstes persönliches Zu
sammentreffen mit dem gefeierten Mimen
schildert. Schröder muß wirklich der große
Schauspieler gewesen sein, als der ihn die heu
tige Schauspielerwelt verehrt, weitn sein Spiel
einen solchen Eindruck gemacht hat auf einen
so leicht zum Spotte geneigten Menschen, wie
den berühmten dänischen Schriftsteller, dessen
100. Jahrestag Dänemark so gefeiert hat.
Ueber die Leistungen von Schröders cven-
salls gefeierten Gattin füllt Baggesen aller
dings ein wesentlich anderes Urteil als das
herkömmliche. Bei seinem Besuch in Schröders
behaglichem Hause an der Alster hat er Nla-
dame Schröder als vorzügliche Hausmutter
kennen gelernt und meint nun, hier wäre ihre
wirkliche Begabung: denn auf der Bühne sei
sie doch nur Mittelmaß. Wenn allerdings
Schröder selbst im Laufe der Abendunterhal
tung immer und immer wieder betont, daß ihm
sein Beruf langweilig und undankbar vor
komme, so dürfen wir doch wohl Baggesen
Recht geben, wenn er diese Worte nicht ganz
ernst nimmt.
Die angeführten Urteile von Baggesen be
finden sich im 3. Stück der Beschreibung seiner
großen Reise durch Deutschland, die Schweiz
irnü Frankreich, die unter dem Titel „Bagge
sen oder das Labyrinth" der Kieler Universi-
tätsprofessor Carl Friedrich Cramer 1794 zu
Altona und Leipzig in der Kavenschen Bttch-
handlung in deutscher Sprache hat erscheinen
lassen.
Baggesen hat stets in den besuchten Städ
ten sein besonderes Augenmerk dem Theater-
wesen zugewandt. Von Hannover, in dem da
mals Baron von 5knigge waltete, sagt er im
Vergleich mit Berlin:
„Dies Operhans ist ungleich größer als
unser Theater, mit fünf Reihen Logen rat
Halbzirkel übereinander. Die Struetur ist alt
fränkisch. und die Vergoldung abgeschlissen.
Die aufgestellten Decorationen waren so
schlecht, daß ich sie nur des ersten Blickes
würdigen mochte."
Dies scharfe Urteil scheint sich aber nur auf
Vorhang und äußere Dekorationen zu bezie
hen, denn der dänische Besucher lobt gleich
darauf die eigentliche Szenerie geradezu über
schwenglich.
Eigenartige Erlebnisse hat Baggesen in
Frankfurt am Main. Bei einem nichtssagenden
französischeir Singspiel „Das Herrenrecht"
l„Droit du Seigneur" von dÄriens langweilt
er sich über die Maßen und wundert sich, daß
nach dem Theaterzettel ein so berühmter Kom
ponist tvie Martini die ganz unbedeutende
Musik geliefert hat. Es wird ihm aber bald eine
verblüffende Aufklärung:
„Da ich mich mit neuer Verwunderung
darüber auslief: wie ein elender Komponist so
berühmt, oder eilt berühmter Componist so
elend seyn könnte? sagte ein Mann, mir zur.
Seite: die Composition sey eigentlich von einem
französischen Verfasser: man hätte nur Mar
tini's Namen auf die Ankündigung gesetzt, die
Zuschauer zu locken, da dieser Componist hter,
wie überall, so beliebt sey. Diese Nachricht, die
ich nachher gänzlich bestätigt fand, brachte mir
nicht eben die besten Begriffe von der Frank
furter Gesellschaft bey."
Trotz mäßiger Darstellung wird dieser
Aufführung, die am 12. Dezember 1794 statt
fand. riesiger Beifall zitteil. Zum Schlitß kün
digt man von der Bühne ans die nächste Vor-
stellnng art.
Ganz zeitgemäß mutet uns die weitere
Mitteilung an, daß in einem sonst schlecht ge
gebenen Schauspiele der Darsteller Friedrichs
des Großen ganz hervorragend in Maske und
Spiel gewesen sei und dem Stück einen großen
Zulauf gebracht habe.
Günstiger sittd Baggesens Eindrücke von
Mannheim, dem Reiche des großen I f f l a n d.
Bezeichnend für die damalige Stellung zur
Oper, die ja allerdings noch in mancher Hin
sicht der heutigen Operette oder besser dem
Singspiel nahestand, sind Aeußerungen des
gefeierten Mannheimer Theaterleiters im Ge
spräch mit dem dänischen Gast. Dieser berichtet:
„Ohngeachtet er selbst ld. h. Jffland» nicht
singt, hielt er doch Die Oper nicht blos für er-
lanbt und nützlich, sondern sogar für nothwen
dig in der Dramatik."
Ueber Jfslanös eigene Schanspiclerlei-
stnngcn spricht Baggesen sich sehr günstig arts:
es fällt ihm allerdings dessen häufiges Ex
temporieren im Lustspiel airs.
Mit einer gewissen Wehmut lesen wir in
Baggesens Schilderung seines Straßburger
Aufenthaltes im März 1793:
„Noch kürzlich waren zwey Schauspiele
hier: ein französisches und ein deutsches: aber
da die Stadt nach und nach mehr versranzö-
siert, so hat letzteres aufgehört."
Also der Theaterfreund ans dem Norden
muß sich mit einer schlechten französischen Oper
begnügen, kann sich aber über gute Stimmen
freuen. Die Straßburger müssen äußerst opern-
freundlich gewesen sein, denn Baggesen sagt
verwundert:
„Man klatschte bereits während des Stim-
mcns des Orchesters: tveis der Himmel, iva-
rum!" —
Wir haben uns länger bei Baggesens The
atererfahrungen aufgehalten, als mir eigent
lich wollten, aber als Urteile eines Kenners
besitzen seine Vergleiche ja atrch einen ganz be-
sonderen Wert. So möge denn auch noch seine
Schlußzusammenfassung über die Höhe und
Leistungsfähigkeit der wichtigsten deutschen
Bühnen am Ausgange des 18. Jahrhunderts
hier folgen:
„Ich sah auf meiner Heimreise mehrere
und bedeutende Stücke hier sd. h. Mannheim),
und genug, um Jfslanden als Schauspieler den
Rang nächst Schröder zuzuerkennen: aber auch
genug, im Ganzen das Mattnheimer Theater
ebenso tief unter dem Copenhagener zu finden,
als das Copcnhagensche unter dem Hambitrgi-
schen steht — obgleich sowohl ersteres, als letz
teres viel bessere Schauspielerinnen besitzt."
Wie unbeholfen meist die technische Aus
stattung der Theateraufführungen vor iOo
Jahren waren und wie wenig die Schauspieler
durch Jnszeniernngskünste unterstützt werden
konnten, enthüllt and) sehr anschaulich eine
Darstellung des weitgereisten Norrpegers
Peter Treschow-Hanson in seiner
„Reise durch einen Theil von Sachsen und
Dänemark m den letztverflossenen Jahren
lAltona 1813 bei I. F. Hammerich). Hanson
schildert nicht etwa eine Vorstellung in irgend
einem kleinen Neste, sondern eine Aufführung
in dem Berliner Schauspielhaus und ist hin
gerissen von der Darstellungskunst der Haupr-
darsteller. Aber wie unbeholfen versucht man
selbst an so bevorzugter Stelle ein Gewitter
darzustellen! -
„Als ich airs dem Theaterzettel öeS zwi
schen zwey hübschen Kirchen gelegenen Schau
spielhauses die Namen Makbeth und Jssland
nebeneinander las, so ging ich alsbald hinein.
Hier herrschte noch ein magisches Halbdunkel,
das etwas Großes erwarten ließ. Nur durch
die Fenster und hinter dem Vorhänge hervor,
ans welchem Thalia gebildet ist, brach einiges
Licht. Nach und nach füllte sich das Haus mit
Herren und Damen, die dett wohlklingenden
Berliner Dialekt redeten, welcher langsam, be
stimmt und deutlich ist, einen singenden Ton
hat und die Doppellanter nicht recht angtüt.
Die Lichter wurden angezündet, es schlug sechs
Uhr, der Vorhang rauschte in die Höhe. Plötz
lich entstand eilte sich bis in die verborgensten
Winkel verbreitende Stille, kein Hauch ward
gehört. Jetzt begann das ins Große gearbeitete
Trauerspiel des größten tragischen Dichters
auf einer der ersten Schaubühnen Deutsch
lands. Ich war hingerissen von der Wahrheit
und Treue, uumtit Jffland, Unzelmann und
die Bethannin ihre Rollen spielten. Die Hexen
hatten jedoch so starke, kräftige Stimmen, wie
sich nur Hexenbanner wünschen könnten. Daß
die Schwerter und Schilde ein furchtbares
Klirren verursacht hätten, kann ich, der die
Arbeiten der Waffenschmiede und Klempner
wohl unterscheiden kann, eben nicht sagen: den
noch entfuhr bey solchen Männerscenen meinen
Nachbarinnen manches O und Ach. Die Ent
stehung des Blitzes erklärte ich mir aus einem
sehr vernehmlichen Blasen hinter den Kulis
sen, wodurch Alles in Nebel gehüllt würde.
Dem Donnergott ivünschte ich, daß es ihm eben
so ergehen möchte, wie jenem Jupiter, welcher
nachdem er seinen Köcher schon fast ganz von
Donnerkeilen geleert hatte, endlich selbst ttt
bocksleöernen Hosen, aufgestreiften Ermeln
und einem dreyeckigen Hute zur allgemeinen
Bertvunderung aus den Wolken stürzte und
im Fallen einett Haupthelden niederwarf, itt-
deß ein anderer ihn einen Dummkops und
Tölpel schalt. Alle Nachahmungen der Natur
auf dem Theater fallen ins Lächerliche."
Bezeichnende Vergleiche zwischen zwei
großen Städten zieht 1831 Hofrat Dr. B e r n-
hard Meyer in seinen bei Johann David
Sauerländer zu Frankfurt am Main erschie
nenen „Reiseskizzen". Er wohnt in Hamburg
einer Festausführung zu Ehren einer von
Hunderten von in- und ausländischen Gelehr
ten besuchten Tagung von Naturforschern und
Aerzten bei. Nach einem Vorspruch und einem
lebenden Bild wird die damals so beliebte
„Stumme von Portici" gegeben. Dr. Meyer
äußert sich kritisch über die Vorstellung mit
folgenden Betrachtungen:
„Auf einen Wink des Redners ging der
Vorhang in die Höhe und die Bühne stellte
eine Ansicht Hamburgs von der Hafenscite,
mit den Schiffen aller Nationen dar: der ganze
Raum war von Männern und Frauen in den
hiesigen Volkstrachten eingenommen, die Blu
men streuten und uns pantomimisch willkom
men heißen. Der Jubel im Hans, dgs zum
Erdrücken mit Menschen angefüllt war, war
allgemein und laut, und rein der Tank für die
uns enviesene Auszeichnung.
Für die Größe des Hauses ses ist um vie
les größer als das Darmstädter) und den
Reichtum der Stadt, war die Aufführung der
Stummen nicht in Vergleich zu setzen mit der
Aufführung in Frankfurt. In Frankfurt ist"
das Orchester bei weitem besser, der Chor vier
stärker, Decorationen und Kleider prachtvoller
und besonders die Costüme naturgetreuer.
Einen Bassisten wie D o b l e r besitzt Hamburg
ebenso wenig, als eine Stumme, wie unsere
Lindner. E o e r n e r hat eine klangvolle,
gute Tenorstimme, aber sein Spiel ist nicht das
Edle des Nieser. Der Wahnsinn, in dieser
Nolle von Nieser so meisterhaft und wahrhaft
rührend dargestellt, wurde hier zur wilden
Karikatttr und ging ganz Mitleids- und theil-
nahmslos an dem Zuschauer vorüber. Mad.
Mädel besitzt eine vortreffliche Altstimme.
Schauspiele, deren ich mehrere sahe, wer
den um vieles besser gegeben, als in Frankfurt
Die Schauspieler sehen sich in ihren Leistungett
dadurch belohnt, daß man gute Schauspiele be
sucht und nicht die Opern, so wie bei uns, den
Sinn für das Bessere in der Dramaturgie
größtenteils verdrängt haben. Doch ist die
Liebe zitr Musik seit einigen Jahren ziemlich
allgemein geworden: allein der Ernst im Cha
rakter des Hamburgers ist vorherrschend und
die südliche Lebendigkeit thut nicht eigen, daher
sprechen ihn auch die süßlichen Tändeleien im
Lebeit, so wie aitf dem Theater, weniger an,
als dies bei uns der Fall ist."
Daß aber auch schon früher guter Gesang
in Hamburg sehr geschätzt worden ist, beweist
das Zeugnis eines andern Reisenden, des bie
deren Rektors Sigismund Stille, den
gute Freunde auf eine Erholungsreise ge
schickt haben. In seinem pflichtschuldigst abge
lieferten Reisebericht „Die Fahrt nach dem
Ugley aus der Lüneburger Heide über Ham
burg und Kiel" (1820 in Hamburg bei Perthes
u. Besser erschienen) plaudert er anschaulich
über seine Erlebnisse bei einem Gastabend der
berühmten Sängerin Catalania:
„Ich war zwei volle Stunden vor der be
stimmten Zeit hingeeilt, um ein leidliches
Plätzchen zu fiitden, doch kam ich dazu schon zu
spät, und mußte mich ziemlich tief hinter einen
großen Ofen drängen lassen. Der Apollosaal,
keiner von den kleinsten, aber für diese Fülle
von Menschen war er viel zu klein denn auch
in den Fensterbänken standen Frauenzimmer,
und ehe die Musik begann, sahe ich schon eine
ohnmächtig gewordene Dame hinaustragen.
Die Hitze war fürchterlich: wäre der Rückzug
aus diesem Gedränge und von meinem Stand
punkte aus möglich gewesen) ich glaube nuM,
ich hätte die Flucht ergriffen. Jetzt innßte ich
mich in mein Schicksal ergeben, und endlich
begann die Symphonie. Die Catalani bediente
sich eines ganz gemeinen Kunstgriffes, dessen
sie nicht einmal bedurft hätte, um sich rauschen
den Beifall zu gewinnen: sie ließ erst andere
Leute singen, die es weniger gut konnten als
sie .. . Nun trat sie selbst, die Königin dieses
Tages, wie eine Sonne hervor. Ein Beifalls-
geklatsch, ein Rufen, Stampfen, Jauchzen der
Hunderte von Menschen, wie mir noch nichts
Aehnliches vorgekommen ist, empfing sie. Ihr
selber mag es wohlgethan haben: mir zerriß
es die zarten Nerven fast, und steigerte meinen
Kopfschmerz auf eine fast unerträgliche Weise.
Stille's.lange Würdigung der Gesangslei
stungen überschlagend, wollen wir nur noch ver
raten, daß der Bremer mitteilt, daß die „ivelt-
berühmte Catalania" irr der Lüneburger Heide
„sogar ein recht apostolisches Wunder gethan"
haben solle, nämlich ein krankes Kind geheilt
haben solle, an dessen Bett sie ein Lied gesun
gen habe. — Wir sehen, die — noch dazu ko
stenlose — Reklame der Frau Fama konnte
sich vor einem Jahrhundert durchaus neben
amerikanischen Filmstarmethoden sehen lassem
Die kürzlich wieder angeschnittene Frage,
ob Beifallsbezeugnngen erwünscht seien oder
nicht, hatte man um 1816 in dem damals nur
etwa 7000 Einwohner zählenden, aber ein
Theater für 700 Zuschauer besitzenden F l e n s-
b n r g in anerkennenswerter Art praktisch ge
löst. Während nämlich zeitgenössische Berichts
sich z. B. iit Kiel über lärmmäßige Beifalls-
bezeugungen des Publikums beschweren, lobr
der von uns schon im Anfang genannte Nor-
wcger die Flensburger sehr:
„Das Schauspielhaus in der Nähe des Ge
fängnisses, ein Angebäude des Rathhauses,
führt die Aufschrift: Jntroitc, nam et hie dir
sunt, und gehört in jeder Hinsicht zu den bes
sern. An Sonntagen fand ich dasselbe fast im
mer gedrängt voll und in der Woche nicht leer.
Die Truppe, welche 5kotzebucische Lustspiele,
recht gut gibt, soll ehedem zu den vorzüglichsten
gehört haben. Beifallsklatschen und Auszischen
hält man für Ungezogenheiten und bemerkt
kaum die Böcke, welche Schauspieler nicht sel
ten schießen."
„Auch hier sind Götter!" — Dies stolze,
schöne Wort der nördlichsten Schaubühne deut
scher Zunge sollte sich unser zu sehr dem tech
nischen Erfolg, dem Sportrckord, der Mam-
monsjagd, dem Aeußcrlichcn jeder Art nach
laufendes Geschlecht des 20. Jahrhunderts in
die Seele schreiben.