Full text: Newspaper volume (1914, Bd. 1)

BìMiies Bàû 
Nr. 47. 
NerrösSurger Laģeblà 
Mittwoch, dm 25. Februar 
1914 
Sfefaafon Wņ to SKW fas»r 
Stefanffon, der Entdecker der Weißen Es 
kimos und Führer der kanadischen Polarexpedi 
lion, über deren Schicksal in den letzten Wochen 
mit schwerwiegenden Gründelt bange Vermut 
ungen geäußert wurden, ist vor einigen Tagen 
in Port Barrow in Alaska eingetroffen und 
gibt nun in einem Kabeltelegramm an den Dai 
ly Chronicle einen genaueren Bericht über die 
Umstände, unter denen er die Fühlung mit sei 
nem einstweilen verschollenen Expeditionsschiff 
„Karluk" verlor. Mitte August war das Schiff 
im Jungeis gefangen und außerstande, sich auch 
nur um Zollesbreite zu bewegen. Das schwie 
rigste Problem, das nun auftauchte, war die 
Beschaffung von frischem Fleisch, da das Ge 
spenst des Skorbuts drohte. Da die „Karluk" 
für den Winter festgelegt schien, beschloß Ste- 
fansson an Land zu gehen, um zu versuchen, 
Karibus (nord amerikanische Renntiere) oder 
Fische zu sangen. Er berichtet hierüber: „Ich 
nahm dabei Jenneß, McConnell und Wilkins 
mit, um ihnen ein wenig Gelegenheit zu Er 
fahrungen im Schlittenreisen zu geben, ferner 
die beiden Eskimos Pauyurak und Asatschak. 
Wir führten zwei Schlitten und zwölf Hunde 
mit uns, hatten für unsere Jagdexpedition ei 
ne Zeitdauer von ungefähr 14 Tagen angesetzt 
und drangen in südwestlicher Richtung etwa 40 
englische Meilen vor, bis zu der Stelle, an der 
wir 1908 überwintert hatten. Wir brachen am 
20. Scptenkber aus. Das Eis war nicht eigent 
lich rauh, aber der Marsch wurde sehr schwie 
rig, da die durch die scharfe Eispressung ent 
standenen Kanten noch nicht vom Schnee gepol 
stert waren. Die Schlitten wurden oft umge 
worfen, und wir brauchten zwei Tage, um 6 
Meilen nordwestlich von Beechey Point auf der 
westlichsten der Jonesinseln an Land zu kom 
men. Das Jungeis zwischen den Inseln und 
dem Festlande erwies sich nun jedoch zu einer 
sicheren Ueberquerung als zu dünn. Ich be 
schloß daher, McConnel und Asatschak nach der 
„Karluk" zurückzuschicken, um eine Reihe von 
Gegenständen zu holen, deren wir bedurften. 
Aber in jener Nacht wurde der Wind, der bis 
her als eine mäßige Nordostbrise über uns hin 
gegangen war, zu einem Sturme, und nicht 
weit von der Küste begannen sich im Meere 
breite Wasserstreifen zu öffnen. Der Sturm 
währte drei Tage. Als er abflaute, lag nur ein 
etwa eine Meile Eisstreifen noch längs der Kü 
ste: draußen war der Ozean so frei und offen 
wie im Sommer. Nur hier und da trieb eine 
Eisscholle oder ein Eisstreifen, für die Fahrt 
eines Dampfers und selbst eines Seglers konn 
ten sie kein Hindernis bedeuten. Das Eis, von 
dem ich angenommen hatte, es würde den gan- 
zen Winter überdauern, war verschwunden und 
mrt UM höchstwahrscheinlich auch die „Karluk", 
es sei denn, daß auch die das Schiff umgeben 
den Eismassen brachen und ihr die Möglichkeit 
eröffneten, unter Segel zu gehen. Der 26. Sep 
tember war ein trüber Tag, es schneite, Nebel 
kam und wurde nur hin und wieder durch kla 
reres Wetter gelichtet. Wir hatten Treibholz auf 
geschichtet und daraus eine Ausguckwarte gezim 
mert, die etwa 3 Meter höher war als der 
Boden der Insel, die ihrerseits etwa 5 Meter 
über dem Meeresspiegel liegt. Ich befand mich 
seit etwa einer Stunde auf dem Beobachtungs- 
Posten und suchte den Horizont mit meinem Gla- 
se ab, als es endlich im Rordwesten infolge des 
Vorüberziehens eines Schneetreibens klarer 
wurde. Ich sah ein gewaltiges Eisstück fern am 
Horizont und es schien mir, als stände ein 
Mann auf dem Rücken dieses Eisberges. Ich 
beobachtete diesen menschenähnlichen Punkt ei 
nige Minuten lang, als er sich plötzlich verdop 
pelte und beide Menschen gleichzeitig dem Eis 
rande zuzuschreiten schienen. Es sah wirklich 
aus, als gingen zwei Männer in westlicher 
Richtung den Gipfel des Eisberges entlang. 
Ein paar Minuten verstrichen: da erreichten die 
schwarzen Punkte den äußersten Rand des 
Berges, glitten darüber hinaus und nun er 
schienen die zwei Mastspitzen eines Schiffes. 
Ich stürmte die 400 Meter zu unserem Lager, 
um den Gefährten zu helfen, ein Signalfeuer 
zu machen; als ich auf meine Beobachtungssta- 
tion zurückkehrte, hatte der Nebel wiederum je 
den Fernblick verhängt. Später wurde das Wet 
ter wieder klarer, aber obgleich ich eine Stun 
de lang den Horizont absuchte, sah ich nichts 
Bestimmtes. Einmal hatte ich den Eindruck, als 
sähe ich ein Schiff mit vollen Segeln westlichen 
Kurses davonsteuern, aber die Gewißheit, mich 
nicht gern geirrt zu haben, blieb ans. So be 
gann ich denn schließlich zu zweifeln, daß ich 
überhaupt ein Schiff gesehen hatte, denn der 
Eindruck war zu glückverheißend, um wahr zu 
sein. Sollte wirklich die „Karluk" mitten im 
Winter frei werden, nachdem sie den halben 
Sommer hindurch eingefroren war?" Stefanffon 
blieb nichts übrig, als den Weg nach Port Ba- 
row zu nehmen. Hier empfing er Nachrichten 
von der „Alaska" und der „Mary Sachs", die 
in Collinson Point lagen. Von der „Karluk" 
aber keine Spur. Ihr Schicksal bleibt einstwei 
len in Dunkel gehüllt, nur Vermutungen sind 
möglich. Stefanffon äußert sich: „Die „Karluk" 
ist widerstandsfähig und in gutem Zustande, ist 
für die Arbeit im Eise verstärkt, wiewohl es 
stärkere Eisschiffe gibt. Sie hat den Sommer 
ohne die geringste Beschädigung überstanden. 
Ob sie den Winter überdauert ist somit eine 
Frage von Glück oder Unglück. Wenn die Win 
de und Strömungen sie dem Lande fernhalten, 
ist sie sicher; kommt sie in die Nähe der Küste, 
so wird sie vom Eisdruck vernichtet werden, 
tritt das inr Winter ein, so wird cs der Be 
satzung nicht schwer sein, sicher an Land zu 
kommen; ob aber Instrumente und Gegenstän 
de gerettet werden können, wird von der Ent- 
sernung der Küste und von der Rauheit des 
Eises abhängen. Gerät die „Karluk" im kom 
menden Sommer in Eisdruck, so wird die Le 
bensgefahr größer sein, wenn man sie auch 
nicht überschätzen darf, denn das Schiff ist mit 
drei Fellbooten ausgerüstet und jedes von ih 
nen kann die ganze Besatzung aufnehmen, die 
aus 6 Gelehrten, 14 Seeleuten und 5 Eski 
mos besteht." 
rife und ein großzügiges Kanalprojekt, eine Ver- 
bindung der Weichsel mit Oder und Elbe und. 
wenn es sein muß. auch mit Weser und Rhein. 
Das Ecsanltprojekt soll 81 Millionen kosten. Der 
Minister _ meint, die wirtschaftlichen Verhältnisse 
hätten sich seit 1905 nicht derartig geändert, 
daß eilte so umfangreiche Erweiterung des Was 
serstraßengesetzes nötig sei. Der Konservative 
Mcützcchn fordert Schiffahrtsabgaben, ohne die 
keine neuen Ausgaben für Kanäle bewilligt wer 
den dürfen. Eine Reihe voll Abgeordneten aus 
bem Westen fordert einmütig einen Kanal zwi 
schen Saar und Mosel, denen der Minister die 
hohen Kosten des Projekts entgegenhält. Um 
414 Uhr schließt das Haus, um am Donnerstag 
10 Uhr den Etat der Bauverwaltung weiter 
zu beraten. 
NgMiMiG«. 
Die schwarze Kchrmr. 
14) Kriminalroman von A. G r o n e r. 
(Nachdruck verboten.) 
Alle diese Fragen drängten sich in des De 
tektivs Kopf, während er der blassen Frau ei 
nen Sessel hinschob und im Tone eines Kindes, 
das sich auf eine gruselige Geschichte freut, sagte: 
„Ah, da müssen Sie sich setzen. Ich habe über 
diesen Fall nur ganz flüchtig gelesen, weiß also 
so viel wie nichts darüber. Da interessiert es 
mich also, von jemandem, der die Sache mit 
erlebt hat, davon zu hören. Also, wie war es 
denn, liebe Tonner?" 
Der Schatten eines Lächelns huschte ob sei 
ner kindlicheil Art über ihr Gesicht. Sie setzte 
sich und schilderte ihm warheitsgetreu, was sie 
über das seltsame Vorkommnis wußte. Was 
als peinigende Furcht, als qualvolles Ahnen, 
als entsetzliche Möglichkeit sich in ihre verdü 
sterte, schon seit Jahren angstvolle Seele ein 
genistet, davon redete sie nicht. 
Ab und zu warf Müller eine Frage ein, 
deren jede eine Falle war, aber die Frau war 
nicht zu fangen, nicht einmal zu verwirren; offen 
bar redete sie die Wahrheit, denn sie widersprach 
sich in nichts, was sich auf Erlachs Verschwinden 
bezog, und sie schilderte beri Mann genau so, 
Wie sein Neffe ihn geschildert hatte. Und den 
noch fühlte Müller, daß diese Frau etwas in 
sich verschloß, irgend etwas — das Wichtigste, 
das sie bezüglich dieses rätselhaften Falles wuß 
te — verschwieg. 
Als sie mit ihrem Berichte zu Ende gekom 
men war und aufstand, sagte sie: „Noch an 
demselben Abend bin ich aus dem Haufe gegan 
gen." 
„Und zu freundlichen Verwandten, nicht 
wahr?" 
„Frau Menger ist nicht mit mir verwandt." 
„Nicht? Da haben Sie wohl überhaupt kei 
nen Anhang?" 
Einige Sekunden zu viel schwieg die Frau, 
dann sagte sie: „Einen Sohn habe ich." 
Auf ben Etat des Innern folgt der Etat 
der Bauverwaltung. Nach dem Bericht der Kom 
missionsverhandlungen und über die Ertrags 
fähigkeit der Wasserstraßen für das Jahr 1912 
bedauert der Minister, bestimmte Erklärungen 
über die Masserstraßentarisfrage nicht abgeben 
zu können. Der Freikonservative von Woyna er 
klärt sich gegen den Ausbau des Mittelland 
kanals bis Magdeburg, ehe nicht der bestehende 
Kanal im vollen Umfange benutzbar ist, und 
spricht sich für eine monopolartige Versorgung 
des Landes mit Elektrizität aus. Der Volkspar 
teiler Lippmann wünscht leine Herabsetzung her Ta- 
Sicherst»-««-AisS- «SeSifie. 
Veracruz, 23. Febr. Eine neue Greueltat 
mexikanischer Rebellen. Am Sonnabend wurde 
ein Militärzug, auf dem sich eine nach Jalapa 
bestimmte Kompagnie Infanterie befand, von den 
Rebellen in der Nähe der Station Lima der 
interozeanischen Eisenbahnlinie in die Luft ge 
sprengt. Die Erplosion war ganz fürchterlich. 
Der Lanze Zug wurde auseinandergerissen. 55 
Offiziere und Soldaten und ein englischer Loko 
motivführer wurden getötet. Ein nachfolgender 
Personenzug, auf den die Rebellen feuerten, ent 
kam, indem er schleunigst zurückfuhr. 
Frankreich. 
St. Etienne, 24. Febr. Folgen des Kohlen 
arbeiterstreiks. Der durch den Ausbruch des Berg- 
arbeiterstreiks eingetretene Kohlenmangel hat 
schon unangenehme Folgen gehabt. 800 Arbeiter 
der Eisen- und Stahlgießerei von St. Etienne 
mußten die Arbeit einstellen, da die Kohlenreser 
ven der Gesellschaft für diejenigen Abteilungen be 
stimmt wurden, welche mit dringenden Arbeiten 
überhäuft sind. Aus dem Saargebiet werden 
6000 Tons Kohlen erwartet. Sobald sie einge 
troffen sein werden, sollen die Arbeiten wieder in 
normalem Umfange aufgenommen werden. Auch 
im Stahlwerk von Chambon müssen 600 Arbeiter 
wegen Kohlenmangels feiern. 
Kpnittr». 
Madrid, 24. Febr. Lärmende Protestkund 
gebungen gegen das vom Stadtrat beschlossene 
Budget fanden gestern hier statt. Die Polizei 
mußte verschiedentlich einschreiten, um Ruhe und 
Ordnung wieder herzustellen. Es kam wiederholt 
ZU Zusammenstößen, wobei aus der Menge auch 
Schüsse fielen, doch liegen irgendwelche Nachrich 
ten über Verluste an Menschenleben nicht vor. 
GnAllnr. 
London, 24. Febr. Ein schwerer Automobil- 
unfall hat sich gestern in Birmingham zugetragen. 
An einer Straßenkreuzung stieß eine Motor- 
droschke mit einem Privatautomobil zusammen. 
Die Motordroschke wurde in zwei Teile zerschnit 
ten. Der Besitzer des Privatautomobils, ein be 
kannter Geschäftsmann aus Birmingham, wurde 
getötet. Drei andere Personen sind schwer verletzt 
worden. 
Berlin, 24. Febr. Zue Wohnungsfrage. Das 
Direktorium der Reichsversicherungsanstalt hat 
Richtlinien aufgestellt für die Mitwirkung der 
Anstalt an der Verbesserung der allgemeinen 
Wohnungsverhältnisse. Dadurch wird bei Be 
leihungsangeboten auf Hausgrundstücke nach Mög 
lichkeit geprüft werden, ob die vorhandenen Woh 
nungen gesundheitlich einwandfrei sind. Eine 
Beleihung von Grundstücken mit ungesunden Woh 
nungen findet nicht statt. 
Berlin, 24. Febr. Der Herzog von Braun 
schweig und die Welfen. In einer Versammlung 
der deutsch-hannoverschen Partei zu Göttingen 
hat der Reichstagsabgeordnets Alpers die Be 
hauptung wiederholt, bafe der Herzog von 
Braunschweig seine Rechte auf Hannover nicht 
aufgegeben habe. Das ist unrichtig. Wie aus 
der Erklärung des Reichskanzlers im Aögeord- 
netenhaufe schlüssig hervorgeht, hat der Herzog 
von Braunschweig gewünscht, vor dem Lande 
festzustellen, daß jede Berufung auf ihn für die 
Betätigung der Bestrebungen der deutsch-hanno 
verschen Partei nicht nur seinem Willen nicht 
entspreche, sondern unmittelbar widerspreche. Die 
se Willensmeinung des Herzogs ist so unmißver 
ständlich, daß auch der Herr Abgeordnete Alpers 
sie verstehen mußte. ^Die Deutschhannoveraner 
werden künftig darauf verzichten müssen, sich auf 
den Herzog von Braunschweig zu berufen. 
Homburg v. d. H., 26. Febr. Wehrste-ier- 
erklärnng. Im Obertaunus-Kreise sind bei den 
Wehrsteuererklärungen nach vorläufiger Be 
rechnung 6 Millionen Mark mehr an Kapitalver 
mögen deklariert worden. 
Kupserdreh, 24. Febr. Bergwerksunglück. 
Heute früh ereignete sich auf der Zeche „Viktoria" 
ein schwerer Ilnglücksfall. Acht Bergleute verun 
glückten infolge widerrechtlichen Befahrens eines 
blinden Schachtes. Sämtliche 8 Bergleute wur 
den schwer verletzt, zum Teil lebensgefährlich. 
Bremen, 24. Febr. Zum Schiffsuirfall im 
Golf von Biscaya. Vom Kapitän des der Deut 
schen Dampfschifsahrts-Eesellschaft „Hansa" gehöri 
gen Dampfers „Wildenfels" ist heute früh ein 
drahtloses Telegramm angekommen. Danach ist 
nicht der „Wildenfels" in Seenot gewesen, sondern 
der aus Kopenhagen stammende belgische Dampfer 
„Ekliptika". Die „Ekliptika" erlitt im Golf von 
Biscaya Schiffbruch. Der Dampfer „Wildensels" 
war auf die Hilferufe der „Ekliptika" herbeigeeilt 
und konnte elf Personen der „Ekliptika" retten. 
Diese elf Personen stellten aber nicht die gesamte 
Besatzung des verunglückten Schiffes dar. Ein 
Teil der Besatzung ist leider ums Leben gekommen. 
Die „Ekliptika" selbst ist gesunken. 
Hamburg, 24. Febr. Schwere Vergiftungs 
katastrophe. Als heute morgen Kunden bei dem 
Milchhändler Lüdders am Kleinen Schäferkamp 
Cv § 
guter Kamerad 
der Kinder ist der Fischer mit dem Dorsch, das Er 
kennungszeichen der echten Scotts Emulsion. Sie 
kennen ihn genau und wissen, daß er ihnen für die gut- 
LSèèL 
€mul|i©n 
schmeckende, so bekömmliche Marke 
bürgt. Ş Scotts Emulsion ist schmackhaft 
und leicht verdaulich gemachter Leber 
tran mit Kalk- und Natron-Salzen. 
Gehalt, ca.: Lebertran 150,0, Glyzerin 
50,0, unterphoêphorigs. Kalk 4,3, unterphos- 
phorig,. Natron 2,0, Tragant 3,0, arab, 
Gummi 2,0, Wäger 129,0, Alkohol 11,0, 
Zrmt--,Mandel- u. Gaultheriaöl je 2 Tropsürr 
„So! Und, der ist nicht in Ihrer Nähe?" 
„Nein — ich habe schon längere Zeit keine 
Nachricht von .ihm. Er ist auf einem Schiffe 
— Matrose." 
Sie hatte es recht leichthin äußern wollen. 
Aber Müller wußte, daß ihre Zunge und ihr 
Herz bleischwer waren uub daß es sie einen 
Kampf gekostet hatte, es zu sagen. Ihre Finger 
hatten sich unbewußt dabei auf die Sessellehne 
gepreßt. ^S» fest hatte sie die Lehne dabei um 
faßt, daß das Blut aus ihren schön geformten 
Nägeln verschwand. 
Müller tat die Frau leid. In seinem kalt 
gewordenen Kaffee rührend, sagte er freundlich: 
„Tas Ä sehr interessant," und dann: „Kon- 
Ķrd um drei Uhr aus dem Haufe gehen. 
B.rte richten Sie sich danach." 
^ Bonner stellte den Sessel weg, verbeugte 
siw uno ging. Ex sah ihr nach. Sein Gesicht 
wurde ernst. „Also — warum hatte sie gelo 
gen. Denn sie hat gelogen! Ganz zweifellos 
hat sie zuletzt nicht die Wahrheit gesagt!" Er 
sah sehr bekümmert aus, der alte Detektiv, denn 
die Tonner war ihm sympathisch. 
11m drei Uhr verließ Konrad mit der neuen 
Wirtschafterm das Haus. Müller war jetzt in 
dessen vorderen Teil allein. Er ging ins Erd 
geschoß, in das Zimmer. das der Tonner an 
gewiesen worden. Es war nicht das Zimmer, 
weiches die Grützner bewohnt hatte. Diese konn 
te voraussichtlich bath wieder zurückkommen, sie 
hatte nur has Nötigste an Kleidern und Wäsche 
nlitgenommen und ihr Ziminer verschlossen. Das 
jenige. welches die Tonner bewohnte, lag nach; 
dem Garten zu und hatte drei Fenster. Müller 
zog die aus dichtem dunklen Stoff bestehenden 
Vorhänge zu. so daß es, da das Wetter sehr 
trübe, jetzt im Zimmer ganz dunkel war. 
Müller zog eine winzige Laterne aus fei 
ner Rocktasche. Ein Druck und es wurde hell. 
Der ş Detektiv interessierte sich für die Habse 
ligkeiten seiner neuen Wirtschafterin. Es rear ihm 
ein leichtes, die beiden Schränke und den Koffer 
der Frau zu öffnen. In dem einen Schrank be- 
fand sich Wäsche, nicht viel und nicht neu, aber 
blendend Ş weiß und vielfach und zierlich gestopft 
und geflickt. Auch die wenigen Kleider, die im 
zweiten Schrank hingen, bezeugten sowohl die Ar 
mut als auch den Ordnungsinn der Wirtschafte 
rin. 
Warum war sie so arm? Warum besaß 
sie gerade nur das Nötigste? Sie, die seit min 
destens sechzehn Jahren ununterbrochen recht gut 
bezahlte Stellen innegehabt und vollständig ver 
pflegt war, also von den teuren Zeiten nichts 
Müller verschloß! den Schrank wieder und 
trat an den Koffer heran. Auch diesen hatte 
er bald geöffnet, (rr war nur halb gefüllt. Oben 
auf lag ein großes Paket. Feines, weiches, aber 
doch festes Papier umschloß da etwas Leichtes, 
Knisterndes, Bauschiges. Müller hob das Pa 
ket heraus und schlug das Papier zurück. Ein 
prachtvolles weißes Atlaskleid lag vor ihm. Es 
war offenbar ein Brautkleid, denn es lag noch 
ein weißer, langer Schleier dabei und in dem 
flachen Karton, um welchen die Stoffe gelegt 
waren, befand sich ein welker Myrtenkranz. 
Müller schaute nachdenklich auf diese Zeugen 
einer festlich schönen Stunde. „Ist das ein Stück 
von der Vergangenheit dieser Frau?" dachte er 
und es wurde ihm ganz traurig zumute, als seine 
Augen auf dieser einstigen Pracht weilten, die 
jetzt vergilbt und zerschlissen war. Sorgfältig 
hatte er die Stoffe auseinandergenommen und 
ebenso sorgfältig faltete er sie wieder zusammen 
unb hüllte sie genau so, wie er sie gefunden, 
wieder in das Papier. Eines wußte er: dieser 
alte, schwarze Koffer war für Therese Tonner 
ein Reliquienschrem. Auf seinem Grund standen 
drei Holzschachteln. Müller öffnete eine nach der 
andern. 
_ In der ersten lagen ein paar winzige Kin 
derschuhe. vertreten und an ihren Spitzen von 
kleinen Zehen durchbohrt. In einem steckte ein 
Schllchtelchen: es enthielt vier weiße, winzige 
Kmderzühne. Auf dem Grunde befand sich ein 
zusammengefaltetes Schulheft. „Karlis erstes 
Heft," stand in zarter Frauenschrist in der rech 
ten oberen Ecke. Auf den: weißen Schildchen aber 
stand: „Karl Tonner." „Drei Etappen im Le- 
'ben eines Kindes," sagte Müller leise und schloß 
die Schachtel wieder. Der zweite enthielt einen 
Eeneralshut unb einen Totenschein. Dieser be- 
zeugte, daß Anton Maulner Edler von Rauch, 
k. it. ï. Generalmajor, am 26. Juli 1879 gestor 
ben fei. Diesen Totenschein hatte eine Inns 
brucker Pfarre ausgestellt. 
lFwMetzung folgt.) 
Äm fflsMel! (KasMe) 
iw Misöurp AMmMim C8IÎ IMS, 
Tages Arbeit! Abends Gäste! 
Saure Wochen! Frohe Feste! 
Diese Worte aus Goethes Ballade „Ter Schatz 
gräber" ist seit Wochen die Parole nicht nur im 
sonnigen Süden und im Westen unseres Vater 
landes, wo das Blut lebhafter durch die Adern 
seiner Bewohner rollt, sondern auch in Mittel- 
Deutschland, sowie in den deutschen Ost- und Nord- 
marken, die langsamer und bedächtiger am Freu- 
denkelche schlürfen. 
Wer wollte es auch dem Menschen, der ur 
sprünglich zu seiner und zur Freude seines Schöp 
fers geschaffen ist, und letzten Endes in seinem Da 
sein wieder dahin gelangen soll, verdenken, wenn 
er trotz trüber Zeit und saurer Arbeit sein Recht 
auf Freude schon in diesem Erdenwallen von Zeit 
zu Zeit geltend macht?! Sind doch die Stunden, 
die man im fröhlichen Freundeskreise, bei einem 
trauten Familienfest oder in deren Erweiterung — 
in einer frohgemuten heiteren Vereinsveranstaltnng 
zubringt, ganz besonders geeignet, neuen Lebens 
mut, Arbeits- und Schaffensfreudigkeit zu erwecken. 
Und das namentlich im Februar 1914, der 
nach der Berechnung der Meteorologen der wärm 
ste seit ungefähr 160 Jahren sei. Ja die Choreo 
graphen stellen sogar fest, er sei der Tanzfreudigste 
seit Menschcngedenkcn. Große Bälle und langaus- 
gedchnte Tanzsoireen, Tanzfeste und „Tanzdarbie 
tungen" im kleineren Kreise und das Tanzficber in
	        
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