BìMiies Bàû
Nr. 47.
NerrösSurger Laģeblà
Mittwoch, dm 25. Februar
1914
Sfefaafon Wņ to SKW fas»r
Stefanffon, der Entdecker der Weißen Es
kimos und Führer der kanadischen Polarexpedi
lion, über deren Schicksal in den letzten Wochen
mit schwerwiegenden Gründelt bange Vermut
ungen geäußert wurden, ist vor einigen Tagen
in Port Barrow in Alaska eingetroffen und
gibt nun in einem Kabeltelegramm an den Dai
ly Chronicle einen genaueren Bericht über die
Umstände, unter denen er die Fühlung mit sei
nem einstweilen verschollenen Expeditionsschiff
„Karluk" verlor. Mitte August war das Schiff
im Jungeis gefangen und außerstande, sich auch
nur um Zollesbreite zu bewegen. Das schwie
rigste Problem, das nun auftauchte, war die
Beschaffung von frischem Fleisch, da das Ge
spenst des Skorbuts drohte. Da die „Karluk"
für den Winter festgelegt schien, beschloß Ste-
fansson an Land zu gehen, um zu versuchen,
Karibus (nord amerikanische Renntiere) oder
Fische zu sangen. Er berichtet hierüber: „Ich
nahm dabei Jenneß, McConnell und Wilkins
mit, um ihnen ein wenig Gelegenheit zu Er
fahrungen im Schlittenreisen zu geben, ferner
die beiden Eskimos Pauyurak und Asatschak.
Wir führten zwei Schlitten und zwölf Hunde
mit uns, hatten für unsere Jagdexpedition ei
ne Zeitdauer von ungefähr 14 Tagen angesetzt
und drangen in südwestlicher Richtung etwa 40
englische Meilen vor, bis zu der Stelle, an der
wir 1908 überwintert hatten. Wir brachen am
20. Scptenkber aus. Das Eis war nicht eigent
lich rauh, aber der Marsch wurde sehr schwie
rig, da die durch die scharfe Eispressung ent
standenen Kanten noch nicht vom Schnee gepol
stert waren. Die Schlitten wurden oft umge
worfen, und wir brauchten zwei Tage, um 6
Meilen nordwestlich von Beechey Point auf der
westlichsten der Jonesinseln an Land zu kom
men. Das Jungeis zwischen den Inseln und
dem Festlande erwies sich nun jedoch zu einer
sicheren Ueberquerung als zu dünn. Ich be
schloß daher, McConnel und Asatschak nach der
„Karluk" zurückzuschicken, um eine Reihe von
Gegenständen zu holen, deren wir bedurften.
Aber in jener Nacht wurde der Wind, der bis
her als eine mäßige Nordostbrise über uns hin
gegangen war, zu einem Sturme, und nicht
weit von der Küste begannen sich im Meere
breite Wasserstreifen zu öffnen. Der Sturm
währte drei Tage. Als er abflaute, lag nur ein
etwa eine Meile Eisstreifen noch längs der Kü
ste: draußen war der Ozean so frei und offen
wie im Sommer. Nur hier und da trieb eine
Eisscholle oder ein Eisstreifen, für die Fahrt
eines Dampfers und selbst eines Seglers konn
ten sie kein Hindernis bedeuten. Das Eis, von
dem ich angenommen hatte, es würde den gan-
zen Winter überdauern, war verschwunden und
mrt UM höchstwahrscheinlich auch die „Karluk",
es sei denn, daß auch die das Schiff umgeben
den Eismassen brachen und ihr die Möglichkeit
eröffneten, unter Segel zu gehen. Der 26. Sep
tember war ein trüber Tag, es schneite, Nebel
kam und wurde nur hin und wieder durch kla
reres Wetter gelichtet. Wir hatten Treibholz auf
geschichtet und daraus eine Ausguckwarte gezim
mert, die etwa 3 Meter höher war als der
Boden der Insel, die ihrerseits etwa 5 Meter
über dem Meeresspiegel liegt. Ich befand mich
seit etwa einer Stunde auf dem Beobachtungs-
Posten und suchte den Horizont mit meinem Gla-
se ab, als es endlich im Rordwesten infolge des
Vorüberziehens eines Schneetreibens klarer
wurde. Ich sah ein gewaltiges Eisstück fern am
Horizont und es schien mir, als stände ein
Mann auf dem Rücken dieses Eisberges. Ich
beobachtete diesen menschenähnlichen Punkt ei
nige Minuten lang, als er sich plötzlich verdop
pelte und beide Menschen gleichzeitig dem Eis
rande zuzuschreiten schienen. Es sah wirklich
aus, als gingen zwei Männer in westlicher
Richtung den Gipfel des Eisberges entlang.
Ein paar Minuten verstrichen: da erreichten die
schwarzen Punkte den äußersten Rand des
Berges, glitten darüber hinaus und nun er
schienen die zwei Mastspitzen eines Schiffes.
Ich stürmte die 400 Meter zu unserem Lager,
um den Gefährten zu helfen, ein Signalfeuer
zu machen; als ich auf meine Beobachtungssta-
tion zurückkehrte, hatte der Nebel wiederum je
den Fernblick verhängt. Später wurde das Wet
ter wieder klarer, aber obgleich ich eine Stun
de lang den Horizont absuchte, sah ich nichts
Bestimmtes. Einmal hatte ich den Eindruck, als
sähe ich ein Schiff mit vollen Segeln westlichen
Kurses davonsteuern, aber die Gewißheit, mich
nicht gern geirrt zu haben, blieb ans. So be
gann ich denn schließlich zu zweifeln, daß ich
überhaupt ein Schiff gesehen hatte, denn der
Eindruck war zu glückverheißend, um wahr zu
sein. Sollte wirklich die „Karluk" mitten im
Winter frei werden, nachdem sie den halben
Sommer hindurch eingefroren war?" Stefanffon
blieb nichts übrig, als den Weg nach Port Ba-
row zu nehmen. Hier empfing er Nachrichten
von der „Alaska" und der „Mary Sachs", die
in Collinson Point lagen. Von der „Karluk"
aber keine Spur. Ihr Schicksal bleibt einstwei
len in Dunkel gehüllt, nur Vermutungen sind
möglich. Stefanffon äußert sich: „Die „Karluk"
ist widerstandsfähig und in gutem Zustande, ist
für die Arbeit im Eise verstärkt, wiewohl es
stärkere Eisschiffe gibt. Sie hat den Sommer
ohne die geringste Beschädigung überstanden.
Ob sie den Winter überdauert ist somit eine
Frage von Glück oder Unglück. Wenn die Win
de und Strömungen sie dem Lande fernhalten,
ist sie sicher; kommt sie in die Nähe der Küste,
so wird sie vom Eisdruck vernichtet werden,
tritt das inr Winter ein, so wird cs der Be
satzung nicht schwer sein, sicher an Land zu
kommen; ob aber Instrumente und Gegenstän
de gerettet werden können, wird von der Ent-
sernung der Küste und von der Rauheit des
Eises abhängen. Gerät die „Karluk" im kom
menden Sommer in Eisdruck, so wird die Le
bensgefahr größer sein, wenn man sie auch
nicht überschätzen darf, denn das Schiff ist mit
drei Fellbooten ausgerüstet und jedes von ih
nen kann die ganze Besatzung aufnehmen, die
aus 6 Gelehrten, 14 Seeleuten und 5 Eski
mos besteht."
rife und ein großzügiges Kanalprojekt, eine Ver-
bindung der Weichsel mit Oder und Elbe und.
wenn es sein muß. auch mit Weser und Rhein.
Das Ecsanltprojekt soll 81 Millionen kosten. Der
Minister _ meint, die wirtschaftlichen Verhältnisse
hätten sich seit 1905 nicht derartig geändert,
daß eilte so umfangreiche Erweiterung des Was
serstraßengesetzes nötig sei. Der Konservative
Mcützcchn fordert Schiffahrtsabgaben, ohne die
keine neuen Ausgaben für Kanäle bewilligt wer
den dürfen. Eine Reihe voll Abgeordneten aus
bem Westen fordert einmütig einen Kanal zwi
schen Saar und Mosel, denen der Minister die
hohen Kosten des Projekts entgegenhält. Um
414 Uhr schließt das Haus, um am Donnerstag
10 Uhr den Etat der Bauverwaltung weiter
zu beraten.
NgMiMiG«.
Die schwarze Kchrmr.
14) Kriminalroman von A. G r o n e r.
(Nachdruck verboten.)
Alle diese Fragen drängten sich in des De
tektivs Kopf, während er der blassen Frau ei
nen Sessel hinschob und im Tone eines Kindes,
das sich auf eine gruselige Geschichte freut, sagte:
„Ah, da müssen Sie sich setzen. Ich habe über
diesen Fall nur ganz flüchtig gelesen, weiß also
so viel wie nichts darüber. Da interessiert es
mich also, von jemandem, der die Sache mit
erlebt hat, davon zu hören. Also, wie war es
denn, liebe Tonner?"
Der Schatten eines Lächelns huschte ob sei
ner kindlicheil Art über ihr Gesicht. Sie setzte
sich und schilderte ihm warheitsgetreu, was sie
über das seltsame Vorkommnis wußte. Was
als peinigende Furcht, als qualvolles Ahnen,
als entsetzliche Möglichkeit sich in ihre verdü
sterte, schon seit Jahren angstvolle Seele ein
genistet, davon redete sie nicht.
Ab und zu warf Müller eine Frage ein,
deren jede eine Falle war, aber die Frau war
nicht zu fangen, nicht einmal zu verwirren; offen
bar redete sie die Wahrheit, denn sie widersprach
sich in nichts, was sich auf Erlachs Verschwinden
bezog, und sie schilderte beri Mann genau so,
Wie sein Neffe ihn geschildert hatte. Und den
noch fühlte Müller, daß diese Frau etwas in
sich verschloß, irgend etwas — das Wichtigste,
das sie bezüglich dieses rätselhaften Falles wuß
te — verschwieg.
Als sie mit ihrem Berichte zu Ende gekom
men war und aufstand, sagte sie: „Noch an
demselben Abend bin ich aus dem Haufe gegan
gen."
„Und zu freundlichen Verwandten, nicht
wahr?"
„Frau Menger ist nicht mit mir verwandt."
„Nicht? Da haben Sie wohl überhaupt kei
nen Anhang?"
Einige Sekunden zu viel schwieg die Frau,
dann sagte sie: „Einen Sohn habe ich."
Auf ben Etat des Innern folgt der Etat
der Bauverwaltung. Nach dem Bericht der Kom
missionsverhandlungen und über die Ertrags
fähigkeit der Wasserstraßen für das Jahr 1912
bedauert der Minister, bestimmte Erklärungen
über die Masserstraßentarisfrage nicht abgeben
zu können. Der Freikonservative von Woyna er
klärt sich gegen den Ausbau des Mittelland
kanals bis Magdeburg, ehe nicht der bestehende
Kanal im vollen Umfange benutzbar ist, und
spricht sich für eine monopolartige Versorgung
des Landes mit Elektrizität aus. Der Volkspar
teiler Lippmann wünscht leine Herabsetzung her Ta-
Sicherst»-««-AisS- «SeSifie.
Veracruz, 23. Febr. Eine neue Greueltat
mexikanischer Rebellen. Am Sonnabend wurde
ein Militärzug, auf dem sich eine nach Jalapa
bestimmte Kompagnie Infanterie befand, von den
Rebellen in der Nähe der Station Lima der
interozeanischen Eisenbahnlinie in die Luft ge
sprengt. Die Erplosion war ganz fürchterlich.
Der Lanze Zug wurde auseinandergerissen. 55
Offiziere und Soldaten und ein englischer Loko
motivführer wurden getötet. Ein nachfolgender
Personenzug, auf den die Rebellen feuerten, ent
kam, indem er schleunigst zurückfuhr.
Frankreich.
St. Etienne, 24. Febr. Folgen des Kohlen
arbeiterstreiks. Der durch den Ausbruch des Berg-
arbeiterstreiks eingetretene Kohlenmangel hat
schon unangenehme Folgen gehabt. 800 Arbeiter
der Eisen- und Stahlgießerei von St. Etienne
mußten die Arbeit einstellen, da die Kohlenreser
ven der Gesellschaft für diejenigen Abteilungen be
stimmt wurden, welche mit dringenden Arbeiten
überhäuft sind. Aus dem Saargebiet werden
6000 Tons Kohlen erwartet. Sobald sie einge
troffen sein werden, sollen die Arbeiten wieder in
normalem Umfange aufgenommen werden. Auch
im Stahlwerk von Chambon müssen 600 Arbeiter
wegen Kohlenmangels feiern.
Kpnittr».
Madrid, 24. Febr. Lärmende Protestkund
gebungen gegen das vom Stadtrat beschlossene
Budget fanden gestern hier statt. Die Polizei
mußte verschiedentlich einschreiten, um Ruhe und
Ordnung wieder herzustellen. Es kam wiederholt
ZU Zusammenstößen, wobei aus der Menge auch
Schüsse fielen, doch liegen irgendwelche Nachrich
ten über Verluste an Menschenleben nicht vor.
GnAllnr.
London, 24. Febr. Ein schwerer Automobil-
unfall hat sich gestern in Birmingham zugetragen.
An einer Straßenkreuzung stieß eine Motor-
droschke mit einem Privatautomobil zusammen.
Die Motordroschke wurde in zwei Teile zerschnit
ten. Der Besitzer des Privatautomobils, ein be
kannter Geschäftsmann aus Birmingham, wurde
getötet. Drei andere Personen sind schwer verletzt
worden.
Berlin, 24. Febr. Zue Wohnungsfrage. Das
Direktorium der Reichsversicherungsanstalt hat
Richtlinien aufgestellt für die Mitwirkung der
Anstalt an der Verbesserung der allgemeinen
Wohnungsverhältnisse. Dadurch wird bei Be
leihungsangeboten auf Hausgrundstücke nach Mög
lichkeit geprüft werden, ob die vorhandenen Woh
nungen gesundheitlich einwandfrei sind. Eine
Beleihung von Grundstücken mit ungesunden Woh
nungen findet nicht statt.
Berlin, 24. Febr. Der Herzog von Braun
schweig und die Welfen. In einer Versammlung
der deutsch-hannoverschen Partei zu Göttingen
hat der Reichstagsabgeordnets Alpers die Be
hauptung wiederholt, bafe der Herzog von
Braunschweig seine Rechte auf Hannover nicht
aufgegeben habe. Das ist unrichtig. Wie aus
der Erklärung des Reichskanzlers im Aögeord-
netenhaufe schlüssig hervorgeht, hat der Herzog
von Braunschweig gewünscht, vor dem Lande
festzustellen, daß jede Berufung auf ihn für die
Betätigung der Bestrebungen der deutsch-hanno
verschen Partei nicht nur seinem Willen nicht
entspreche, sondern unmittelbar widerspreche. Die
se Willensmeinung des Herzogs ist so unmißver
ständlich, daß auch der Herr Abgeordnete Alpers
sie verstehen mußte. ^Die Deutschhannoveraner
werden künftig darauf verzichten müssen, sich auf
den Herzog von Braunschweig zu berufen.
Homburg v. d. H., 26. Febr. Wehrste-ier-
erklärnng. Im Obertaunus-Kreise sind bei den
Wehrsteuererklärungen nach vorläufiger Be
rechnung 6 Millionen Mark mehr an Kapitalver
mögen deklariert worden.
Kupserdreh, 24. Febr. Bergwerksunglück.
Heute früh ereignete sich auf der Zeche „Viktoria"
ein schwerer Ilnglücksfall. Acht Bergleute verun
glückten infolge widerrechtlichen Befahrens eines
blinden Schachtes. Sämtliche 8 Bergleute wur
den schwer verletzt, zum Teil lebensgefährlich.
Bremen, 24. Febr. Zum Schiffsuirfall im
Golf von Biscaya. Vom Kapitän des der Deut
schen Dampfschifsahrts-Eesellschaft „Hansa" gehöri
gen Dampfers „Wildenfels" ist heute früh ein
drahtloses Telegramm angekommen. Danach ist
nicht der „Wildenfels" in Seenot gewesen, sondern
der aus Kopenhagen stammende belgische Dampfer
„Ekliptika". Die „Ekliptika" erlitt im Golf von
Biscaya Schiffbruch. Der Dampfer „Wildensels"
war auf die Hilferufe der „Ekliptika" herbeigeeilt
und konnte elf Personen der „Ekliptika" retten.
Diese elf Personen stellten aber nicht die gesamte
Besatzung des verunglückten Schiffes dar. Ein
Teil der Besatzung ist leider ums Leben gekommen.
Die „Ekliptika" selbst ist gesunken.
Hamburg, 24. Febr. Schwere Vergiftungs
katastrophe. Als heute morgen Kunden bei dem
Milchhändler Lüdders am Kleinen Schäferkamp
Cv §
guter Kamerad
der Kinder ist der Fischer mit dem Dorsch, das Er
kennungszeichen der echten Scotts Emulsion. Sie
kennen ihn genau und wissen, daß er ihnen für die gut-
LSèèL
€mul|i©n
schmeckende, so bekömmliche Marke
bürgt. Ş Scotts Emulsion ist schmackhaft
und leicht verdaulich gemachter Leber
tran mit Kalk- und Natron-Salzen.
Gehalt, ca.: Lebertran 150,0, Glyzerin
50,0, unterphoêphorigs. Kalk 4,3, unterphos-
phorig,. Natron 2,0, Tragant 3,0, arab,
Gummi 2,0, Wäger 129,0, Alkohol 11,0,
Zrmt--,Mandel- u. Gaultheriaöl je 2 Tropsürr
„So! Und, der ist nicht in Ihrer Nähe?"
„Nein — ich habe schon längere Zeit keine
Nachricht von .ihm. Er ist auf einem Schiffe
— Matrose."
Sie hatte es recht leichthin äußern wollen.
Aber Müller wußte, daß ihre Zunge und ihr
Herz bleischwer waren uub daß es sie einen
Kampf gekostet hatte, es zu sagen. Ihre Finger
hatten sich unbewußt dabei auf die Sessellehne
gepreßt. ^S» fest hatte sie die Lehne dabei um
faßt, daß das Blut aus ihren schön geformten
Nägeln verschwand.
Müller tat die Frau leid. In seinem kalt
gewordenen Kaffee rührend, sagte er freundlich:
„Tas Ä sehr interessant," und dann: „Kon-
Ķrd um drei Uhr aus dem Haufe gehen.
B.rte richten Sie sich danach."
^ Bonner stellte den Sessel weg, verbeugte
siw uno ging. Ex sah ihr nach. Sein Gesicht
wurde ernst. „Also — warum hatte sie gelo
gen. Denn sie hat gelogen! Ganz zweifellos
hat sie zuletzt nicht die Wahrheit gesagt!" Er
sah sehr bekümmert aus, der alte Detektiv, denn
die Tonner war ihm sympathisch.
11m drei Uhr verließ Konrad mit der neuen
Wirtschafterm das Haus. Müller war jetzt in
dessen vorderen Teil allein. Er ging ins Erd
geschoß, in das Zimmer. das der Tonner an
gewiesen worden. Es war nicht das Zimmer,
weiches die Grützner bewohnt hatte. Diese konn
te voraussichtlich bath wieder zurückkommen, sie
hatte nur has Nötigste an Kleidern und Wäsche
nlitgenommen und ihr Ziminer verschlossen. Das
jenige. welches die Tonner bewohnte, lag nach;
dem Garten zu und hatte drei Fenster. Müller
zog die aus dichtem dunklen Stoff bestehenden
Vorhänge zu. so daß es, da das Wetter sehr
trübe, jetzt im Zimmer ganz dunkel war.
Müller zog eine winzige Laterne aus fei
ner Rocktasche. Ein Druck und es wurde hell.
Der ş Detektiv interessierte sich für die Habse
ligkeiten seiner neuen Wirtschafterin. Es rear ihm
ein leichtes, die beiden Schränke und den Koffer
der Frau zu öffnen. In dem einen Schrank be-
fand sich Wäsche, nicht viel und nicht neu, aber
blendend Ş weiß und vielfach und zierlich gestopft
und geflickt. Auch die wenigen Kleider, die im
zweiten Schrank hingen, bezeugten sowohl die Ar
mut als auch den Ordnungsinn der Wirtschafte
rin.
Warum war sie so arm? Warum besaß
sie gerade nur das Nötigste? Sie, die seit min
destens sechzehn Jahren ununterbrochen recht gut
bezahlte Stellen innegehabt und vollständig ver
pflegt war, also von den teuren Zeiten nichts
Müller verschloß! den Schrank wieder und
trat an den Koffer heran. Auch diesen hatte
er bald geöffnet, (rr war nur halb gefüllt. Oben
auf lag ein großes Paket. Feines, weiches, aber
doch festes Papier umschloß da etwas Leichtes,
Knisterndes, Bauschiges. Müller hob das Pa
ket heraus und schlug das Papier zurück. Ein
prachtvolles weißes Atlaskleid lag vor ihm. Es
war offenbar ein Brautkleid, denn es lag noch
ein weißer, langer Schleier dabei und in dem
flachen Karton, um welchen die Stoffe gelegt
waren, befand sich ein welker Myrtenkranz.
Müller schaute nachdenklich auf diese Zeugen
einer festlich schönen Stunde. „Ist das ein Stück
von der Vergangenheit dieser Frau?" dachte er
und es wurde ihm ganz traurig zumute, als seine
Augen auf dieser einstigen Pracht weilten, die
jetzt vergilbt und zerschlissen war. Sorgfältig
hatte er die Stoffe auseinandergenommen und
ebenso sorgfältig faltete er sie wieder zusammen
unb hüllte sie genau so, wie er sie gefunden,
wieder in das Papier. Eines wußte er: dieser
alte, schwarze Koffer war für Therese Tonner
ein Reliquienschrem. Auf seinem Grund standen
drei Holzschachteln. Müller öffnete eine nach der
andern.
_ In der ersten lagen ein paar winzige Kin
derschuhe. vertreten und an ihren Spitzen von
kleinen Zehen durchbohrt. In einem steckte ein
Schllchtelchen: es enthielt vier weiße, winzige
Kmderzühne. Auf dem Grunde befand sich ein
zusammengefaltetes Schulheft. „Karlis erstes
Heft," stand in zarter Frauenschrist in der rech
ten oberen Ecke. Auf den: weißen Schildchen aber
stand: „Karl Tonner." „Drei Etappen im Le-
'ben eines Kindes," sagte Müller leise und schloß
die Schachtel wieder. Der zweite enthielt einen
Eeneralshut unb einen Totenschein. Dieser be-
zeugte, daß Anton Maulner Edler von Rauch,
k. it. ï. Generalmajor, am 26. Juli 1879 gestor
ben fei. Diesen Totenschein hatte eine Inns
brucker Pfarre ausgestellt.
lFwMetzung folgt.)
Äm fflsMel! (KasMe)
iw Misöurp AMmMim C8IÎ IMS,
Tages Arbeit! Abends Gäste!
Saure Wochen! Frohe Feste!
Diese Worte aus Goethes Ballade „Ter Schatz
gräber" ist seit Wochen die Parole nicht nur im
sonnigen Süden und im Westen unseres Vater
landes, wo das Blut lebhafter durch die Adern
seiner Bewohner rollt, sondern auch in Mittel-
Deutschland, sowie in den deutschen Ost- und Nord-
marken, die langsamer und bedächtiger am Freu-
denkelche schlürfen.
Wer wollte es auch dem Menschen, der ur
sprünglich zu seiner und zur Freude seines Schöp
fers geschaffen ist, und letzten Endes in seinem Da
sein wieder dahin gelangen soll, verdenken, wenn
er trotz trüber Zeit und saurer Arbeit sein Recht
auf Freude schon in diesem Erdenwallen von Zeit
zu Zeit geltend macht?! Sind doch die Stunden,
die man im fröhlichen Freundeskreise, bei einem
trauten Familienfest oder in deren Erweiterung —
in einer frohgemuten heiteren Vereinsveranstaltnng
zubringt, ganz besonders geeignet, neuen Lebens
mut, Arbeits- und Schaffensfreudigkeit zu erwecken.
Und das namentlich im Februar 1914, der
nach der Berechnung der Meteorologen der wärm
ste seit ungefähr 160 Jahren sei. Ja die Choreo
graphen stellen sogar fest, er sei der Tanzfreudigste
seit Menschcngedenkcn. Große Bälle und langaus-
gedchnte Tanzsoireen, Tanzfeste und „Tanzdarbie
tungen" im kleineren Kreise und das Tanzficber in