Full text: Newspaper volume (1899, Bd. 1)

Bezugspreis: 
Vierteljährlich 2 Jt—, frei ins Haus geliefert 
2 Ji 15 9), 
für Auswärtige, durch die Post bezogen 
2 di 25 $ 
Sncl. Postprovision re-, jedoch ohne Bestellgeld. 
JnsertionspreiS: Pro Petitzeile 15 Z. 
Aeltestes und geiesenstes Klatt im Kreise Kendsdurg. 
Anzeigen für die Tagesnummer werden bis 12 Uhr Mittags erbeten. 
-à f>2 stev Jtthŗgttng. 
Bei Betriebsstörungen 
irgend welcher Art ist die regelmäßige Lieferung 
dieses Blattes vorbehalten. 
Dem RendSburger Wochenblatt wird 
„Der Landwirth" 
(Zeitschrift für die politischen u. socialen Interessen 
der Landwirthschaft) gratis beigegeben. 
Ms. 150. 
Ireitag, den 30. Juni 
1899. 
jysort 
wollen unsere ' geehrten Voft- 
nbonneņèen das Rendsb. Wochen- 
blntt bei der nächsten Poftanstalt 
gefälligst bestellen, um UuLer- 
brechnmgen in der regelmüstipe« 
Zustellung des Blattes bei Beginn 
'des neuen Duurtols vorzubeugen, 
ģ Ş-ķ - Die Expedition. 
Msrgen-Besichts. 
Prag, 28. Juni. Bei der Ueberfüh- 
rung der Leiche des Kardinals Schönborn 
nach den: Hradschsn entstand durch das 
Auffallen einer Leiter auf die Pferde des 
Leichenwagens eine Panik. Ein Kavallerie 
pferd, das scheute, sprang in die aufge 
stellte Kinderschaar. Mehrere Personen 
wurden schwer, 16 leicht verletzt. 
Haag, 28. Juni. Einer englischen 
Blättermeldung zufolge hat in der Kom 
mission des Friedenskongresses, welche über 
den russischen Entwaffnungs- 
Vorschlag verhandelte, der deutsche 
Delegirte Ober st Schwarz hoff eine 
Rede gegen denselben gehalten. Die Rede 
habe eine halbe Stunde gedauert und einen 
starken Eindruck gemacht. Der Oberst führte 
aus, das; eine Reduktion des Friedensbe 
standes gar nicht mit einer entsprechenden 
Reduktion der Wehrkraft identisch sei; der 
Friedensstand könne stationär bleiben und 
die Wehrkraft eines Landes könne doch 
wachsen. Die Länge der militärischen 
Dienstzeit, der Dienst durch einen Ersatz 
mann, die Eisenbahnen, die Schnelligkeit der 
Mobilmachung und die ökonomischen Be 
dingungen — das alles seien Faktoren, 
welche die nrilitärische Stärke eines Landes 
ausmachen. Wenn man nur einen Theil des 
Problems herausgreife und behaupte, daß 
durch Reduktion des Friedensbestandes al 
lein die Wehrkraft jedes Landes allgemein 
und in gleicher Weise vermindert werde, so 
könne das einem Laien wohl plausibel er 
scheinen; dem militärischen Sachverständi 
gen aber erscheine das als eine so offenbare 
Absurdität, daß er sich> wundern müsse, wie 
man einen solchen Vorschlag überhaupt im 
Ernste habe vorbringen können. Tie Rus 
sen bezeichneten Sibirien als eine Kolonie, 
aber im Falle eines europäischen Krieges 
werde Rußland jedes sibirische Regiment 
per Eisenbahn nach Europa bringen. Diese 
Rede sei die größte Sensation der bisherigen 
Konferenz gewesen. Die Antwort des rus 
sischen Obersten Gilinski auf Schwarzhoffs 
Rede sei sehr matt gewesen. — Man wird 
abzuwarten haben, ob nicht auch bei der 
Wiedergabe dieser Rede die Phantasie des 
englischen Berichterstatters stark mitgear 
beitet hat. 
Brüssel, 28. Juni. Angesichts des 
heute Abend stattfindenden kolossalen li 
beral-sozialistischen Meetings im vlämischen 
Theater, in welchem aus Opposition gegen 
das neue Wahlgesetz der allgemeine Aus 
stand verkündet werden wird, sind außer 
der Garnison und mehreren 100 Gendar 
men ein Artillerie- und Schützen-Regiment, 
sowie die Bürgergarde mobilisirt worden, 
welche auf km Börsenplätze Aufstellung 
nehmen. 
Brüssel, 28. Juni. Gestern Abend 
fanden in den Vororten zehn verschiedene 
Protestversammlungen gegen die Wahlvor 
lage statt. Ueberall war der Zudrang des 
Publikums ein sehr starker. Nach Beendi- 
gung der Versammlungen durchzogen die 
Kündgeber die Straßen unter den Rufen: 
Es lebe die Republik! Eine Anzahl Kund 
geber begab sich zum Volkshaus, wo Van- 
dervelde eine Ansprache hielt. In Brüssel 
werden für den 5. Juli alle Arbeiter die 
Arbeit ruhen lassen. 
Rennes, 28. Juni. In vergangener 
Nacht wurden Maueranschläge, unterzeichnet 
von dem Leiter des „Soleil", angeheftet, 
die einen Aufruf an das katholische Komi 
tee von Rennes zur Vertheidigung des 
Rechtes enthalten. 
B r e st, 28. Juni. Gestern Nachmittag 
verließ ein für den Dienst der Wasserbau- 
Verwaltung bestimmtes Schiff den hiesigen 
Hafen. Wie verlautet, soll es den Auftrag 
erhalten haben, Dreyfus von Bord des 
„Sfax" zu holen und ihn heimlich an Land 
zw setzen. Es gilt als sicher, daß Drey 
fus heute Borniittag den „Sfax" verlassen 
hat und auf dem kleinen Schiffe unterwegs 
nach der Küste ist. Der Ort der Landung 
wird geheim gehalten. 
M a d r i d , 28. Juni. Nach Depeschen 
aus Saragossa erneuerten sich dort die 
Schlägereien auf den Straßen, an welchen 
diesmal das bäuerliche Element aus der 
Umgebung besonders eifrig theilnahm. Doch 
weigerten sich die Bauern, an dem von den 
Führern der Bewegung kommandirten An 
sturm gegen das Jesuitenkloster theilzunch- 
men, dessen Prior rechtzeitig gewarnt wor 
den war und zwei Escadrons Kavallerie 
zu seinem Schutze verlangte. Diesen go 
laug es, die Demonstranten zu vertreiben, 
welche sich nach den oberen Stadttheilen zu 
rückzogen. Heute kündigen Plakate an, daß 
auf dem kürzesten Wege gegen die Unruhe 
stifter vorgegangen werden würde. 
In Sevilla, Granada, Valencia, Mur 
cia, Saragossa finden täglich! wüste Kra 
walle statt. Die Regierruig legt Energie 
an den Tag, aber auch Takt und Klugheit. 
Nur in den schlimmsten Fällen wurde bis 
her von der Waffe Gebrauch gemacht, na 
mentlich wo die Anführer nrit Steinhagel 
vorgingen und versuchten, Feuer an die 
Gebäude zu legen. Tie Zahl der Todten 
und Verwundeten ist auch bei km Militär, 
das vielfach einschreiten mußte, bedeutend. 
Auch in Valencia mußte der Kriegszustand 
erklärt werden. 
F r i e d e r i k s h a v n, 28. Juni. Als 
der deutsche Trawldampfer „Nordsee" 
von Altona gestern Abend nach erlittener 
Strafe den Hafen verlassen wollte, stieß er 
mit dem am Bollwerk liegenden „I. L. 
Ginge" zusammen, der beschädigt wurde. 
Die Ursach!e des verkehrten Manövers war 
die Verwechselung des durch den Maschinen 
telegraphen gegebenen Befehls. Die „Nord 
see" wurde vorläufig polizeilich beschlag 
nahmt; der Kapitän wird heute Nachmittag 
vor das S-eegericht gestellt werden. 
K o n st a n t i n o p e l, 28. Juni. Die 
„Frkf. Ztg." meldet: Der Sultan bewilligte 
seinem Schwiegersohn Noureddin das Recht 
der Banderolle flir Zündhölzer. Darnach 
kann derselbe eine Abgabe von 4 Para auf 
50 Zündhölzer legen. Die Mächte werden 
gegen diese Maßnahme protestirem 
London, 28. Juni. Es heißt, Eng 
land habe den Besitz der Insel Juyack am 
Eingänge der Delagoa-Bay erworben. 
T s i n t a u, 28. Juni. In Folge neuer 
ungünstiger Nachrichten aus dem Ausruhr 
gebiet sind weitere 120 Mann mit Geschü 
tzen nach Kaomi ahgegangen, Hauptniann 
Mauwe ist in den dortigen Dörfern auf 
Widerstand gestoßen, den er mit Waffenge 
walt brechen mußte. Dabei wurden einige 
Chinesen getödtet. 
Köln, 28. Juni. Die „Köln. Ztg." 
bezeichnet die Ablehnung der Mündelsicher 
heit der Pfandbriefe als einen Schritt, der 
weit über die direkte Schädigung unseres 
vorzüglichen preußischen Hypothekenbank- 
wesens hinausgehe; es ist ihm vielmehr eine 
große politische Bedeutung beizumessen, 
denn er führt nothwendig zu einer weiteren, 
recht bedenklichen Scheidung zwischen dem 
Westen und Osten unseres Vaterlandes. 
Im Westen hat man bisher diesem einseiti 
gen Verhalten gegenüber nicht den wün- 
schenswerthen Widerstand geleistet. Aber 
der jetzige Beschluß, gemeinsam nrit dem 
leidenschaftlichen und kurzsichtigen Verhal 
ten der Agrarier dem Rhein-Elbe-Kanal ge 
genüber wird zweifellos im ganzen Westen 
der bisherigen Langmuth den Boden aus- 
schlagen. Es ist im hohen Grade zu be 
dauern, daß die preußische Staatsregierung 
unter Führung Miguels noch! immer nicht 
erkannt hat, wohin die Bahn führt, aus 
die sie die Agrarier zu zielbewußt hindrän 
gen. Die eigenartige Rolle, welche dabei 
Miguel den: Landwirthschaftsminister ge 
genüber gespielt hat, wird in parlamenta 
rischen Kreisen sehr fragwürdig aufgefaßt, 
in jedem Fall stünden die allgemeinen Sym- 
pathieen ausschließlich auf der Seite des 
Landwirthschaftsministers. (Siehe auch un 
ter Berlin.) 
» i'iîiii ereil. 
Roman von E. v, Linden. 
(Nachdruck verboten.— Ucbersctzuirgsrccht vorbehalten.) 
Mit feinem weltmännischem Tacte, der 
den ungenirt fick gehen lassenden Amerikaner 
zu der nöthigen Zurückhaltung zwang und 
ihm kein geringes Mißbehagen verursachte, 
führte Baron Justus jetzt ganz allein die 
Unterhaltung, und zwar auf eiueni Gebiete, 
das der Neffe nicht zu betreten wagte, um 
sich keine Blöße zu geben, dem Gebiete 
deutscher Interessen und deutscher militärischer 
Macht und Größe. 
Hans Justus ließ ihm allein das Wort. 
Er that dem kräftigen Frühstück alle Ehre 
an, weil er in der That seit dem gestrigen 
Abend fast gar nichts genossen und deshalb 
einen Wolfshunger hatte, hörte aber schließ 
lich, da ihm die Salbaderei des alten Narren, 
wie er ingrimmig dachte, völlig unvcrständ- 
kich war, gar nicht mehr zu, sondern fand 
es nur unerhört, daß der alte Geizkragen 
ihm anstatt, wie sich's gebührt, vom Besten 
aus seinem Weinkeller, ein so „nieder 
trächtiges Gebräu" vorzusetzen wagte. 
„Es scheint mir, baß Dein Vater Dich 
nur als einseitiger Amerikaner erzogen hat", 
bemerkte Baron Justus plötzlich stirnrunzelnd. 
Der junge Mann blickte ihn zerstreut an 
und zuckte verständnißlos die Schultern, 
worauf der Oheini die Frage wiederholte 
mit dem Zusatze, ob ihm die deutsche Sprache 
Vielleicht nicht ganz geläufig sei. 
„0 yes, yes, ich spreche das Deutsche 
U'ie meine Muttersprache, die mir natürlich 
lieber ist", erwiderte der Neffe lächelnd, 
"U«ün verstorbener Vater konnte für meine 
^Ziehung nicht viel thun, weil ihm die 
Existenzfrage genug zu schaffen machte." 
, «Er nahm sein Erbtheil, das ihm bei 
seinen, Abschied von der Heimath unverkürzt 
überliefert wurde, mit hinüber nach Amerika", 
unterbrach ihn der Baron kalt, „die Summe 
war groß genug, um sich überall eine be 
hagliche Existenz zu schaffen." 
„Ich weiß, daß er hier nichts mehr zu 
fordern hatte, — aber drüben war just der 
große Krieg entbrannt, als sein Fuß den 
amerikanischen Boden betreten hatte, er suchte 
deshalb in die Marine einzutreten und hätte 
sich hier jedenfalls bald emporgeschwungen, 
doch war keine Lieutenantsstelle zu erhalten, 
und als gemeiner Matrose einzutreten, da- 
zu war ein Atting nicht im Stande. Auch 
wollte ihn die schwache Frau nicht fort 
lasten." 
„Eo war Deine Mutter, von der Du 
sprichst", fiel Baron Justus scharf ein. 
„Na. freilich, — Onkel, aber es war 
trotz alledem nicht reckt von ihr, den Vater 
seinen eigentlichen Berus abwendig zu machen, 
da ich überzeugt bin, daß er in diesen, Kriege, 
wo auch die Seemacht zur wirksamen Geltung 
kam. die höchste Staffel erreicht haben würde. 
Er wird in seiner Liebe für die Frau da 
mals auch auf zu großem Fuße, wie sie es als 
junges Mädchen gewohnt gewesen war, ge 
lebt und von, Kapital gezehrt haben. Genug, 
daß jener Ansang in New-Ljork die erste 
Ştufc zum Niedergang war, wovon mein 
amer Vater, ver stets ein vollkommener 
Gentleman geblieben ist. Ihnen sicherlich 
nichts geschrieben hat." 
Baron Justus zupfte nervös an dem 
grauen Schnurrbart, die starken Brauen 
waren singer zusammengezogen und in den 
Augen blitzte es zornig. 
Dev Bochumer Streik 
nimmt an Ausdehnung zu; der Widerstand 
der Streikenden ist erbittert. Größere Aus 
schreitungen werden indessen die Truppen 
abtheilungen, welche nach dein Streikrevier 
entsandt wurden, wohl inr Keim ersticken. 
Erst heute konnte man die Zahl der Opfer 
des gestrigen Zusammenstoßes feststellen. 
Das Plakat des Königl. Landraths Spude 
wurde von den Streikenden mit Hohngeläch- 
ter aufgenommen. Kaum angeschlagen, war 
es auch schon heruntergerissen. Des Tags 
über wurde eine ganze Reihe von Verhaf 
tungen vorgenommen und zwar an den ver 
schiedensten Stetten. In hohe Gefahr ge- 
ricth gestern Abend ein berittener Gendarm 
aus Baukau, welcher mit einem Kollegen 
zwei Arrestanten zum Wachtlokal bringen 
wollte. 
Der Tumult wurde fortgesetzt und man 
ging zum förmlichen Angriff über. Aus der 
Menge heraus knallten Schüsse; Stöcke 
wurden durch die Luft geschwungen, und 
von hüben und drüben flogen Steine auf 
die Beamten. Die Polizeibeamten sowohl 
wie Gendarmen hatten alsbald ihre Schuß 
waffen zur Hand, welche sie direkt in die 
Menge hielten. Die Wirkung ihrer Geschosse 
war eine entsetzliche; denn eine ganze An 
zahl Menschen stürzte getroffen zur Erde, 
während die übrigen angsterfüllt ausein 
anderstoben. Als man den Verwundeten 
zu Hilfe kam, zeigte es sich, daß alle durch-- 
weg schwer verletzt waren. Ein junger Pole 
starb unmittelbar nach seiner Einlieferung 
ins Hospital; ein anderer soll sofort auf 
der Stelle todtgeblieben sein. Dem Er 
steren war eine Kugel in den Hals und in 
den Rücken gedrungen, die übrigen hatten 
die Kugel in der Brust und in den Beinen 
sitzen. Ein Bataillon Infanterie und zwei 
Schwadronen Kavallerie sollen heute in das 
Streikgebiet abrücken. Im Ganzen wurden 
bis jetzt 36 Verhaftungen vorgenommen. 
Die Nacht verlief ruhig. Bei der heutigen 
Frühschicht waren ans den Zechen „Sham 
rock", „Friedrich der Große", „von der 
Heydt", „Julia", „Constantin der Große" 
und „Mont Cenis" insgesammt 2500 
Mann ausständig. 
WaiMki# Wuchten. 
— In der Kanalkommission des Ab 
geordnetenhauses, welche heute wieder um 
9 Uhr Vormittags zusammentrat, erklärte der 
Centrumsführer Dr. Lieber: Das Centrum 
habe sich nur durch die gewichtigsten sachlichen 
Gründe zu dem Antrag auf Rückverwcisung der 
Vorlage an eine Commission bestimmen lassen. 
Gerade die Gegner dieser Maßnahme hätten 
davon ausgiebigst Gebrauch gemacht, um ihre 
Compensationsforderungen geltend zu machen. 
Nachdem die Regierung einmal auf den Boden 
der Compensationen getreten ist, müssen auch 
andere solche Forderungen sachgemäß geprüft 
werden. Er persönlich sei ein entschiedener 
Freund des Mittellandkanals unv bedauere, daß 
die Regierung sich überhaupt auf den Compen- 
salionsstnndpunk: eingelassen habe. Das Ab 
geordneten- und auch das Herrenhaus hätten 
doch wiederholt auf den Ausbau des Kanal- 
pstems gedrungen; die jetzige erste große Vor 
lage sei die Conseguenz dieser langjährigen An 
regungen. Jetzt müsse praktisch in die Prüfung 
aller Ansprüche eingetreten werden, ähnlich wie 
im Konkursverfahren wußten die Forderungen 
gesichtet werden nach dem Gesichtspunkte, ob sie 
wirklich Kompensationen sind. Er beantrage die 
Einsetzung einer Subcommission, um gleichsam 
ein Tableau aller Compensationsforderungen 
aufzustellen. Nachdem Abg. Stengel (frcons.) 
nachzuweisen versucht, daß früher nicht an einen 
Mittellandkanal gedacht worden sei, wird die 
Generaldiskussiou geschlossen und eine viertel 
stündige Parish gemacht, damit die Fraktionen 
VA über den Antrag Lieber verständigen. Nach 
Wiederaufnahm^ der Sitzung erklärt sich Abg. 
Dr. Barth (freis. Vg,) gegen eine Subkommission, 
denn die Verhandlungen würden durch eine- 
solche nicht verkürzt, vielmehr verlängert und 
verschleppt werden. Die Frage über Berechtigung 
und Art der Compensationen lasse sich garnicht 
durch Gründe entscheiden, sondern sei eine 
politische Machtfrage. Abg. Schmieding 
pflichtet diesen Aussührungenn bei. Graf Lim 
burg- Stirnm ist ebenfalls gegen die Sub 
kommission, besonders mit Rücksicht auf die 
Stellungnahme der Regierung. Graf Strach- 
wltz meint, die Auskünfte der technischen Re 
gierungsvertreter könnten nicht anders als in 
einer Subkommission geprüft werden. Der An- 
trag auf Einsetzung einer Subconunission wird 
„Lassen wir dies- unerquicklichen Er 
örterungen", sprach er kurz, „ich habe die 
Vergangenheit begraben und erinnere Dick 
an das vierte Gebot. Willst Du die Güte 
haben, abtragen zu lassen, meine Tochter?" 
wandte er sich an Ellen, die sich sofort er 
hob, um dem Diener zu klingeln und als 
dann das Zimmer zu verlassen. 
Sie mußte einen Augenblick auf die 
Veranda hinaustreten und mehrere Male 
tief aufathmen, als ob drinnen eine unreine 
Luft auf ihr gelastet hatte. 
„Armer Vater!" dackie sie seufzend, ..ich 
fürchte, daß Dir mit diesem Neffen noch 
schwere Kämpfe bevorstehen, — und — wo 
her nimmst Du die Gewißheit, daß er auch 
wirklich der Sohn Deines Bruders ist? —" 
Ein plötzlicher Gedanke ließ sie jetzt rasch 
in's Haus treten und nach einem breiten 
Corridor eilen, welcher die Ahnen-Gallerie 
genannt wurde, weil die der Fensterseite 
gegenüber befindliche hohe Längswand mit 
lebensgroßen Bildern der Alting'schen Vor 
fahren bis auf den vorletzten Baron und 
seine Gemahlin bedeckt war. Seltsamer 
Weise war nur noch ein Platz frei, welchen 
Baron Justus für sich selber als den letzten 
des alten vornehmen Geschlechts bestimmt 
hatte. 
„Man sieht daraus", pflegte er wohl 
scherzend zu sagen, „daß ich von vornherein 
zur Ehelosigkeit vernrtheilt gewesen bin, 
weil für meine Frau kein Raum mehr vor 
handen war." 
Das Herrenhaus oder Schloß, wie es 
stets genannt wurde, machte den Eindruck 
einer alten feudalen Burg. Die von zwei 
Seiten emporlaufende breite Freitreppe war 
mit steinernen Balustraden geschmückt, welche 
oben von hohen Gewächsen flankirt waren 
Ueber der breiten eichenen Thür erhob sich 
das steinerne Wappen der Herren von Alting : 
ein Ritterhelm mit offenem Visir über zwei 
gekreuzten Schwertern. Rechts bildete ein 
umfangreicher runder Thurm, der an einen 
wohlgepflegten Park stieß, den Abschluß, 
während sich links die bereits erwähnte 
Veranda bis zu einem Gewächshause hin 
zog. Letztere beiden waren von dem ver 
storbenen Vater des Barons auf Wunsch 
seiner Gemahlin angelegt worden. Ebenso 
der große Rasenplatz vor dem Schlosse, der 
dem mittelalterlicken Gebäude das düstere 
Gepräge genommen hatte. 
Ueber der Treppe mit dem Wappen be 
fand sich jene Ahnen-Gallerie, die sich nach 
beiden Seiten des ersten Stocks hin erstreckte 
und von hier nach verschiedenen großen Ge- 
sellschastsräumen hinführte, von denen der 
mittelste ein Saal war, der mit seinen 
kostbaren Gobelins, seinen Fahnen, Waffen 
und Torphäen aller Art eher einem Ritter- 
als einem Ballsaale glich. Und doch waren 
hier früher fröhliche Feste gefeiert worden, 
und noch die Mutter des letzten Schloßherrn, 
die heitere Rheinländerin, hatte in diesem 
Saale als junge, schöne Gebieterin der Ball- 
'reude sich hingeben dürfen, bis andere 
Pflichten die Jugendlust beendeten und seit 
dem keine Musik mehr hier erklungen war. 
Nun stand die Adoptivtochter des letzten 
Barons vor dem Bilde der letzten Schloß- 
jerrin, die in ihrer vollen Jugendschönheit 
nr die Galleric gemalt worden war, und 
was ihr an alten Ahnen fehlte, durch Lieb 
reiz zu ersetzen wußte. Sic war unstreitig 
die schönste der hochedlen Frauen, die so 
stolz, mit so vornehm abweisenden Mienen 
aus ihren breiten Rahmen herabblickten. 
Ellen betrachtete das reizende Gesicht der 
Rheinländerin und stellte in Gedanken ihren 
amerikanischen Enkel daneben. Ja. er glich 
ik auffällig, die Gesichtszüge waren die 
ihrigen, nur das sonnige Lächeln fehlte und 
der frei, uubefange Blick ihrer Augen. Die 
seinigen waren freilich ebenfalls braun, oder 
vielleicht schwarz? Sie konnte cs nicht 
genau sagen, sondern hatte nur die Em 
pfindung, daß sich etwas Lauerndes und 
Unheiniliches darin verberge, die Spottsucht, 
die das Heiligste verhöhnt und ihr Opfer 
erbarmungslos in den Staub tritt. — Hatte 
er diesen Blick, der sich zur geeigneten Zeit 
zu verschleiern verstand, von seinem Vater? 
— Eine heftige Unruhe und Ungeduld er 
faßte das junge Mädchen, das die Stunde 
nicht erwarten konnte, wo sie mit dem Vater 
allein sein werde, um sein Urtheil über diesen 
so plötzlich in's Haus geschneiten Neffen zu 
hören. 
Noch einen Blick über die Ahnenreihe 
werfend, begab sie sich nun rasch hinunter, 
um ihren häuslichen Pflichten nachzukonimen 
Mittlerweile hatte der Baron bei einer 
Cigarre seinen Neffen in's Verhör genommen, 
was dieser mit einem spöttischen Lächeln 
aufnahm. 
„Mit Verlaub, lieber Onkel", unterbrach 
er ihn nach den ersten einleitenden Worten. 
„Sie haben doch sicherlich einen kleinen 
Cognac oder dem Aehnliches vorräthig? 
3ch bin ein wenig Alkohol beim Frühstück 
gewohnt." 
„Bedauere sehr, ich führe keinen Schnaps, 
dulde ihn auch nicht bei meinen Leuten", ver 
setzte der Baron ruhig, „mein selbstgebrautes 
Bier scheint Dir also nicht zu munden?"
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.