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-à f>2 stev Jtthŗgttng.
Bei Betriebsstörungen
irgend welcher Art ist die regelmäßige Lieferung
dieses Blattes vorbehalten.
Dem RendSburger Wochenblatt wird
„Der Landwirth"
(Zeitschrift für die politischen u. socialen Interessen
der Landwirthschaft) gratis beigegeben.
Ms. 150.
Ireitag, den 30. Juni
1899.
jysort
wollen unsere ' geehrten Voft-
nbonneņèen das Rendsb. Wochen-
blntt bei der nächsten Poftanstalt
gefälligst bestellen, um UuLer-
brechnmgen in der regelmüstipe«
Zustellung des Blattes bei Beginn
'des neuen Duurtols vorzubeugen,
ģ Ş-ķ - Die Expedition.
Msrgen-Besichts.
Prag, 28. Juni. Bei der Ueberfüh-
rung der Leiche des Kardinals Schönborn
nach den: Hradschsn entstand durch das
Auffallen einer Leiter auf die Pferde des
Leichenwagens eine Panik. Ein Kavallerie
pferd, das scheute, sprang in die aufge
stellte Kinderschaar. Mehrere Personen
wurden schwer, 16 leicht verletzt.
Haag, 28. Juni. Einer englischen
Blättermeldung zufolge hat in der Kom
mission des Friedenskongresses, welche über
den russischen Entwaffnungs-
Vorschlag verhandelte, der deutsche
Delegirte Ober st Schwarz hoff eine
Rede gegen denselben gehalten. Die Rede
habe eine halbe Stunde gedauert und einen
starken Eindruck gemacht. Der Oberst führte
aus, das; eine Reduktion des Friedensbe
standes gar nicht mit einer entsprechenden
Reduktion der Wehrkraft identisch sei; der
Friedensstand könne stationär bleiben und
die Wehrkraft eines Landes könne doch
wachsen. Die Länge der militärischen
Dienstzeit, der Dienst durch einen Ersatz
mann, die Eisenbahnen, die Schnelligkeit der
Mobilmachung und die ökonomischen Be
dingungen — das alles seien Faktoren,
welche die nrilitärische Stärke eines Landes
ausmachen. Wenn man nur einen Theil des
Problems herausgreife und behaupte, daß
durch Reduktion des Friedensbestandes al
lein die Wehrkraft jedes Landes allgemein
und in gleicher Weise vermindert werde, so
könne das einem Laien wohl plausibel er
scheinen; dem militärischen Sachverständi
gen aber erscheine das als eine so offenbare
Absurdität, daß er sich> wundern müsse, wie
man einen solchen Vorschlag überhaupt im
Ernste habe vorbringen können. Tie Rus
sen bezeichneten Sibirien als eine Kolonie,
aber im Falle eines europäischen Krieges
werde Rußland jedes sibirische Regiment
per Eisenbahn nach Europa bringen. Diese
Rede sei die größte Sensation der bisherigen
Konferenz gewesen. Die Antwort des rus
sischen Obersten Gilinski auf Schwarzhoffs
Rede sei sehr matt gewesen. — Man wird
abzuwarten haben, ob nicht auch bei der
Wiedergabe dieser Rede die Phantasie des
englischen Berichterstatters stark mitgear
beitet hat.
Brüssel, 28. Juni. Angesichts des
heute Abend stattfindenden kolossalen li
beral-sozialistischen Meetings im vlämischen
Theater, in welchem aus Opposition gegen
das neue Wahlgesetz der allgemeine Aus
stand verkündet werden wird, sind außer
der Garnison und mehreren 100 Gendar
men ein Artillerie- und Schützen-Regiment,
sowie die Bürgergarde mobilisirt worden,
welche auf km Börsenplätze Aufstellung
nehmen.
Brüssel, 28. Juni. Gestern Abend
fanden in den Vororten zehn verschiedene
Protestversammlungen gegen die Wahlvor
lage statt. Ueberall war der Zudrang des
Publikums ein sehr starker. Nach Beendi-
gung der Versammlungen durchzogen die
Kündgeber die Straßen unter den Rufen:
Es lebe die Republik! Eine Anzahl Kund
geber begab sich zum Volkshaus, wo Van-
dervelde eine Ansprache hielt. In Brüssel
werden für den 5. Juli alle Arbeiter die
Arbeit ruhen lassen.
Rennes, 28. Juni. In vergangener
Nacht wurden Maueranschläge, unterzeichnet
von dem Leiter des „Soleil", angeheftet,
die einen Aufruf an das katholische Komi
tee von Rennes zur Vertheidigung des
Rechtes enthalten.
B r e st, 28. Juni. Gestern Nachmittag
verließ ein für den Dienst der Wasserbau-
Verwaltung bestimmtes Schiff den hiesigen
Hafen. Wie verlautet, soll es den Auftrag
erhalten haben, Dreyfus von Bord des
„Sfax" zu holen und ihn heimlich an Land
zw setzen. Es gilt als sicher, daß Drey
fus heute Borniittag den „Sfax" verlassen
hat und auf dem kleinen Schiffe unterwegs
nach der Küste ist. Der Ort der Landung
wird geheim gehalten.
M a d r i d , 28. Juni. Nach Depeschen
aus Saragossa erneuerten sich dort die
Schlägereien auf den Straßen, an welchen
diesmal das bäuerliche Element aus der
Umgebung besonders eifrig theilnahm. Doch
weigerten sich die Bauern, an dem von den
Führern der Bewegung kommandirten An
sturm gegen das Jesuitenkloster theilzunch-
men, dessen Prior rechtzeitig gewarnt wor
den war und zwei Escadrons Kavallerie
zu seinem Schutze verlangte. Diesen go
laug es, die Demonstranten zu vertreiben,
welche sich nach den oberen Stadttheilen zu
rückzogen. Heute kündigen Plakate an, daß
auf dem kürzesten Wege gegen die Unruhe
stifter vorgegangen werden würde.
In Sevilla, Granada, Valencia, Mur
cia, Saragossa finden täglich! wüste Kra
walle statt. Die Regierruig legt Energie
an den Tag, aber auch Takt und Klugheit.
Nur in den schlimmsten Fällen wurde bis
her von der Waffe Gebrauch gemacht, na
mentlich wo die Anführer nrit Steinhagel
vorgingen und versuchten, Feuer an die
Gebäude zu legen. Tie Zahl der Todten
und Verwundeten ist auch bei km Militär,
das vielfach einschreiten mußte, bedeutend.
Auch in Valencia mußte der Kriegszustand
erklärt werden.
F r i e d e r i k s h a v n, 28. Juni. Als
der deutsche Trawldampfer „Nordsee"
von Altona gestern Abend nach erlittener
Strafe den Hafen verlassen wollte, stieß er
mit dem am Bollwerk liegenden „I. L.
Ginge" zusammen, der beschädigt wurde.
Die Ursach!e des verkehrten Manövers war
die Verwechselung des durch den Maschinen
telegraphen gegebenen Befehls. Die „Nord
see" wurde vorläufig polizeilich beschlag
nahmt; der Kapitän wird heute Nachmittag
vor das S-eegericht gestellt werden.
K o n st a n t i n o p e l, 28. Juni. Die
„Frkf. Ztg." meldet: Der Sultan bewilligte
seinem Schwiegersohn Noureddin das Recht
der Banderolle flir Zündhölzer. Darnach
kann derselbe eine Abgabe von 4 Para auf
50 Zündhölzer legen. Die Mächte werden
gegen diese Maßnahme protestirem
London, 28. Juni. Es heißt, Eng
land habe den Besitz der Insel Juyack am
Eingänge der Delagoa-Bay erworben.
T s i n t a u, 28. Juni. In Folge neuer
ungünstiger Nachrichten aus dem Ausruhr
gebiet sind weitere 120 Mann mit Geschü
tzen nach Kaomi ahgegangen, Hauptniann
Mauwe ist in den dortigen Dörfern auf
Widerstand gestoßen, den er mit Waffenge
walt brechen mußte. Dabei wurden einige
Chinesen getödtet.
Köln, 28. Juni. Die „Köln. Ztg."
bezeichnet die Ablehnung der Mündelsicher
heit der Pfandbriefe als einen Schritt, der
weit über die direkte Schädigung unseres
vorzüglichen preußischen Hypothekenbank-
wesens hinausgehe; es ist ihm vielmehr eine
große politische Bedeutung beizumessen,
denn er führt nothwendig zu einer weiteren,
recht bedenklichen Scheidung zwischen dem
Westen und Osten unseres Vaterlandes.
Im Westen hat man bisher diesem einseiti
gen Verhalten gegenüber nicht den wün-
schenswerthen Widerstand geleistet. Aber
der jetzige Beschluß, gemeinsam nrit dem
leidenschaftlichen und kurzsichtigen Verhal
ten der Agrarier dem Rhein-Elbe-Kanal ge
genüber wird zweifellos im ganzen Westen
der bisherigen Langmuth den Boden aus-
schlagen. Es ist im hohen Grade zu be
dauern, daß die preußische Staatsregierung
unter Führung Miguels noch! immer nicht
erkannt hat, wohin die Bahn führt, aus
die sie die Agrarier zu zielbewußt hindrän
gen. Die eigenartige Rolle, welche dabei
Miguel den: Landwirthschaftsminister ge
genüber gespielt hat, wird in parlamenta
rischen Kreisen sehr fragwürdig aufgefaßt,
in jedem Fall stünden die allgemeinen Sym-
pathieen ausschließlich auf der Seite des
Landwirthschaftsministers. (Siehe auch un
ter Berlin.)
» i'iîiii ereil.
Roman von E. v, Linden.
(Nachdruck verboten.— Ucbersctzuirgsrccht vorbehalten.)
Mit feinem weltmännischem Tacte, der
den ungenirt fick gehen lassenden Amerikaner
zu der nöthigen Zurückhaltung zwang und
ihm kein geringes Mißbehagen verursachte,
führte Baron Justus jetzt ganz allein die
Unterhaltung, und zwar auf eiueni Gebiete,
das der Neffe nicht zu betreten wagte, um
sich keine Blöße zu geben, dem Gebiete
deutscher Interessen und deutscher militärischer
Macht und Größe.
Hans Justus ließ ihm allein das Wort.
Er that dem kräftigen Frühstück alle Ehre
an, weil er in der That seit dem gestrigen
Abend fast gar nichts genossen und deshalb
einen Wolfshunger hatte, hörte aber schließ
lich, da ihm die Salbaderei des alten Narren,
wie er ingrimmig dachte, völlig unvcrständ-
kich war, gar nicht mehr zu, sondern fand
es nur unerhört, daß der alte Geizkragen
ihm anstatt, wie sich's gebührt, vom Besten
aus seinem Weinkeller, ein so „nieder
trächtiges Gebräu" vorzusetzen wagte.
„Es scheint mir, baß Dein Vater Dich
nur als einseitiger Amerikaner erzogen hat",
bemerkte Baron Justus plötzlich stirnrunzelnd.
Der junge Mann blickte ihn zerstreut an
und zuckte verständnißlos die Schultern,
worauf der Oheini die Frage wiederholte
mit dem Zusatze, ob ihm die deutsche Sprache
Vielleicht nicht ganz geläufig sei.
„0 yes, yes, ich spreche das Deutsche
U'ie meine Muttersprache, die mir natürlich
lieber ist", erwiderte der Neffe lächelnd,
"U«ün verstorbener Vater konnte für meine
^Ziehung nicht viel thun, weil ihm die
Existenzfrage genug zu schaffen machte."
, «Er nahm sein Erbtheil, das ihm bei
seinen, Abschied von der Heimath unverkürzt
überliefert wurde, mit hinüber nach Amerika",
unterbrach ihn der Baron kalt, „die Summe
war groß genug, um sich überall eine be
hagliche Existenz zu schaffen."
„Ich weiß, daß er hier nichts mehr zu
fordern hatte, — aber drüben war just der
große Krieg entbrannt, als sein Fuß den
amerikanischen Boden betreten hatte, er suchte
deshalb in die Marine einzutreten und hätte
sich hier jedenfalls bald emporgeschwungen,
doch war keine Lieutenantsstelle zu erhalten,
und als gemeiner Matrose einzutreten, da-
zu war ein Atting nicht im Stande. Auch
wollte ihn die schwache Frau nicht fort
lasten."
„Eo war Deine Mutter, von der Du
sprichst", fiel Baron Justus scharf ein.
„Na. freilich, — Onkel, aber es war
trotz alledem nicht reckt von ihr, den Vater
seinen eigentlichen Berus abwendig zu machen,
da ich überzeugt bin, daß er in diesen, Kriege,
wo auch die Seemacht zur wirksamen Geltung
kam. die höchste Staffel erreicht haben würde.
Er wird in seiner Liebe für die Frau da
mals auch auf zu großem Fuße, wie sie es als
junges Mädchen gewohnt gewesen war, ge
lebt und von, Kapital gezehrt haben. Genug,
daß jener Ansang in New-Ljork die erste
Ştufc zum Niedergang war, wovon mein
amer Vater, ver stets ein vollkommener
Gentleman geblieben ist. Ihnen sicherlich
nichts geschrieben hat."
Baron Justus zupfte nervös an dem
grauen Schnurrbart, die starken Brauen
waren singer zusammengezogen und in den
Augen blitzte es zornig.
Dev Bochumer Streik
nimmt an Ausdehnung zu; der Widerstand
der Streikenden ist erbittert. Größere Aus
schreitungen werden indessen die Truppen
abtheilungen, welche nach dein Streikrevier
entsandt wurden, wohl inr Keim ersticken.
Erst heute konnte man die Zahl der Opfer
des gestrigen Zusammenstoßes feststellen.
Das Plakat des Königl. Landraths Spude
wurde von den Streikenden mit Hohngeläch-
ter aufgenommen. Kaum angeschlagen, war
es auch schon heruntergerissen. Des Tags
über wurde eine ganze Reihe von Verhaf
tungen vorgenommen und zwar an den ver
schiedensten Stetten. In hohe Gefahr ge-
ricth gestern Abend ein berittener Gendarm
aus Baukau, welcher mit einem Kollegen
zwei Arrestanten zum Wachtlokal bringen
wollte.
Der Tumult wurde fortgesetzt und man
ging zum förmlichen Angriff über. Aus der
Menge heraus knallten Schüsse; Stöcke
wurden durch die Luft geschwungen, und
von hüben und drüben flogen Steine auf
die Beamten. Die Polizeibeamten sowohl
wie Gendarmen hatten alsbald ihre Schuß
waffen zur Hand, welche sie direkt in die
Menge hielten. Die Wirkung ihrer Geschosse
war eine entsetzliche; denn eine ganze An
zahl Menschen stürzte getroffen zur Erde,
während die übrigen angsterfüllt ausein
anderstoben. Als man den Verwundeten
zu Hilfe kam, zeigte es sich, daß alle durch--
weg schwer verletzt waren. Ein junger Pole
starb unmittelbar nach seiner Einlieferung
ins Hospital; ein anderer soll sofort auf
der Stelle todtgeblieben sein. Dem Er
steren war eine Kugel in den Hals und in
den Rücken gedrungen, die übrigen hatten
die Kugel in der Brust und in den Beinen
sitzen. Ein Bataillon Infanterie und zwei
Schwadronen Kavallerie sollen heute in das
Streikgebiet abrücken. Im Ganzen wurden
bis jetzt 36 Verhaftungen vorgenommen.
Die Nacht verlief ruhig. Bei der heutigen
Frühschicht waren ans den Zechen „Sham
rock", „Friedrich der Große", „von der
Heydt", „Julia", „Constantin der Große"
und „Mont Cenis" insgesammt 2500
Mann ausständig.
WaiMki# Wuchten.
— In der Kanalkommission des Ab
geordnetenhauses, welche heute wieder um
9 Uhr Vormittags zusammentrat, erklärte der
Centrumsführer Dr. Lieber: Das Centrum
habe sich nur durch die gewichtigsten sachlichen
Gründe zu dem Antrag auf Rückverwcisung der
Vorlage an eine Commission bestimmen lassen.
Gerade die Gegner dieser Maßnahme hätten
davon ausgiebigst Gebrauch gemacht, um ihre
Compensationsforderungen geltend zu machen.
Nachdem die Regierung einmal auf den Boden
der Compensationen getreten ist, müssen auch
andere solche Forderungen sachgemäß geprüft
werden. Er persönlich sei ein entschiedener
Freund des Mittellandkanals unv bedauere, daß
die Regierung sich überhaupt auf den Compen-
salionsstnndpunk: eingelassen habe. Das Ab
geordneten- und auch das Herrenhaus hätten
doch wiederholt auf den Ausbau des Kanal-
pstems gedrungen; die jetzige erste große Vor
lage sei die Conseguenz dieser langjährigen An
regungen. Jetzt müsse praktisch in die Prüfung
aller Ansprüche eingetreten werden, ähnlich wie
im Konkursverfahren wußten die Forderungen
gesichtet werden nach dem Gesichtspunkte, ob sie
wirklich Kompensationen sind. Er beantrage die
Einsetzung einer Subcommission, um gleichsam
ein Tableau aller Compensationsforderungen
aufzustellen. Nachdem Abg. Stengel (frcons.)
nachzuweisen versucht, daß früher nicht an einen
Mittellandkanal gedacht worden sei, wird die
Generaldiskussiou geschlossen und eine viertel
stündige Parish gemacht, damit die Fraktionen
VA über den Antrag Lieber verständigen. Nach
Wiederaufnahm^ der Sitzung erklärt sich Abg.
Dr. Barth (freis. Vg,) gegen eine Subkommission,
denn die Verhandlungen würden durch eine-
solche nicht verkürzt, vielmehr verlängert und
verschleppt werden. Die Frage über Berechtigung
und Art der Compensationen lasse sich garnicht
durch Gründe entscheiden, sondern sei eine
politische Machtfrage. Abg. Schmieding
pflichtet diesen Aussührungenn bei. Graf Lim
burg- Stirnm ist ebenfalls gegen die Sub
kommission, besonders mit Rücksicht auf die
Stellungnahme der Regierung. Graf Strach-
wltz meint, die Auskünfte der technischen Re
gierungsvertreter könnten nicht anders als in
einer Subkommission geprüft werden. Der An-
trag auf Einsetzung einer Subconunission wird
„Lassen wir dies- unerquicklichen Er
örterungen", sprach er kurz, „ich habe die
Vergangenheit begraben und erinnere Dick
an das vierte Gebot. Willst Du die Güte
haben, abtragen zu lassen, meine Tochter?"
wandte er sich an Ellen, die sich sofort er
hob, um dem Diener zu klingeln und als
dann das Zimmer zu verlassen.
Sie mußte einen Augenblick auf die
Veranda hinaustreten und mehrere Male
tief aufathmen, als ob drinnen eine unreine
Luft auf ihr gelastet hatte.
„Armer Vater!" dackie sie seufzend, ..ich
fürchte, daß Dir mit diesem Neffen noch
schwere Kämpfe bevorstehen, — und — wo
her nimmst Du die Gewißheit, daß er auch
wirklich der Sohn Deines Bruders ist? —"
Ein plötzlicher Gedanke ließ sie jetzt rasch
in's Haus treten und nach einem breiten
Corridor eilen, welcher die Ahnen-Gallerie
genannt wurde, weil die der Fensterseite
gegenüber befindliche hohe Längswand mit
lebensgroßen Bildern der Alting'schen Vor
fahren bis auf den vorletzten Baron und
seine Gemahlin bedeckt war. Seltsamer
Weise war nur noch ein Platz frei, welchen
Baron Justus für sich selber als den letzten
des alten vornehmen Geschlechts bestimmt
hatte.
„Man sieht daraus", pflegte er wohl
scherzend zu sagen, „daß ich von vornherein
zur Ehelosigkeit vernrtheilt gewesen bin,
weil für meine Frau kein Raum mehr vor
handen war."
Das Herrenhaus oder Schloß, wie es
stets genannt wurde, machte den Eindruck
einer alten feudalen Burg. Die von zwei
Seiten emporlaufende breite Freitreppe war
mit steinernen Balustraden geschmückt, welche
oben von hohen Gewächsen flankirt waren
Ueber der breiten eichenen Thür erhob sich
das steinerne Wappen der Herren von Alting :
ein Ritterhelm mit offenem Visir über zwei
gekreuzten Schwertern. Rechts bildete ein
umfangreicher runder Thurm, der an einen
wohlgepflegten Park stieß, den Abschluß,
während sich links die bereits erwähnte
Veranda bis zu einem Gewächshause hin
zog. Letztere beiden waren von dem ver
storbenen Vater des Barons auf Wunsch
seiner Gemahlin angelegt worden. Ebenso
der große Rasenplatz vor dem Schlosse, der
dem mittelalterlicken Gebäude das düstere
Gepräge genommen hatte.
Ueber der Treppe mit dem Wappen be
fand sich jene Ahnen-Gallerie, die sich nach
beiden Seiten des ersten Stocks hin erstreckte
und von hier nach verschiedenen großen Ge-
sellschastsräumen hinführte, von denen der
mittelste ein Saal war, der mit seinen
kostbaren Gobelins, seinen Fahnen, Waffen
und Torphäen aller Art eher einem Ritter-
als einem Ballsaale glich. Und doch waren
hier früher fröhliche Feste gefeiert worden,
und noch die Mutter des letzten Schloßherrn,
die heitere Rheinländerin, hatte in diesem
Saale als junge, schöne Gebieterin der Ball-
'reude sich hingeben dürfen, bis andere
Pflichten die Jugendlust beendeten und seit
dem keine Musik mehr hier erklungen war.
Nun stand die Adoptivtochter des letzten
Barons vor dem Bilde der letzten Schloß-
jerrin, die in ihrer vollen Jugendschönheit
nr die Galleric gemalt worden war, und
was ihr an alten Ahnen fehlte, durch Lieb
reiz zu ersetzen wußte. Sic war unstreitig
die schönste der hochedlen Frauen, die so
stolz, mit so vornehm abweisenden Mienen
aus ihren breiten Rahmen herabblickten.
Ellen betrachtete das reizende Gesicht der
Rheinländerin und stellte in Gedanken ihren
amerikanischen Enkel daneben. Ja. er glich
ik auffällig, die Gesichtszüge waren die
ihrigen, nur das sonnige Lächeln fehlte und
der frei, uubefange Blick ihrer Augen. Die
seinigen waren freilich ebenfalls braun, oder
vielleicht schwarz? Sie konnte cs nicht
genau sagen, sondern hatte nur die Em
pfindung, daß sich etwas Lauerndes und
Unheiniliches darin verberge, die Spottsucht,
die das Heiligste verhöhnt und ihr Opfer
erbarmungslos in den Staub tritt. — Hatte
er diesen Blick, der sich zur geeigneten Zeit
zu verschleiern verstand, von seinem Vater?
— Eine heftige Unruhe und Ungeduld er
faßte das junge Mädchen, das die Stunde
nicht erwarten konnte, wo sie mit dem Vater
allein sein werde, um sein Urtheil über diesen
so plötzlich in's Haus geschneiten Neffen zu
hören.
Noch einen Blick über die Ahnenreihe
werfend, begab sie sich nun rasch hinunter,
um ihren häuslichen Pflichten nachzukonimen
Mittlerweile hatte der Baron bei einer
Cigarre seinen Neffen in's Verhör genommen,
was dieser mit einem spöttischen Lächeln
aufnahm.
„Mit Verlaub, lieber Onkel", unterbrach
er ihn nach den ersten einleitenden Worten.
„Sie haben doch sicherlich einen kleinen
Cognac oder dem Aehnliches vorräthig?
3ch bin ein wenig Alkohol beim Frühstück
gewohnt."
„Bedauere sehr, ich führe keinen Schnaps,
dulde ihn auch nicht bei meinen Leuten", ver
setzte der Baron ruhig, „mein selbstgebrautes
Bier scheint Dir also nicht zu munden?"