2. Blatt.
Sonntags-Ausgabe.
Nr. 134.
zum
Nendsburgeŗ WoWnAatt.
Diķse Beļlaņe wird dem „Rendsburger
B*" 1 ' tvöcheiUNch (Srnntagê) beigegeben.
Sonntag, den 11. Jnni 1899.
Druck und Verlag von dein verantwortlichen Herausgeber
H. Möller (H. Gütlein Nachf.), Rendsburg, Mühlenstr. rö.
ßilltkr- Md BndkkhMS.
Eine Geschichte aus dem Leben.
Von Gustav Höcker.
Nachdruck verboten.
(Schluß.)
Traubmann holte seine Frau regelmäßig
vom Theater ab. Nicht selten kam es
vor, daß sie sich verfehlten. Er konnte
dies nicht begreifen, er erwartete sie stets
an einem bestimmten Platze in der Vor
halle, und dennoch behauptete Ella, ihn
dort nicht gesehen zu haben. So mußte
er denn allein nach Hause gehen, wo Ella
oft erst eine halbe Stunde nach ihm ein
traf. Eines Tages erhielt er einen
anonymen Brief. Wenn er seine Frau
im Theater wieder versetzten sollte, hieß
es darin, so möge er nur den Umweg
durch die und die Straße nicht scheuen,
darin werde er sie schon treffen. Bei der
nächsten Gelegenheit befolgte er diesen
geheimnißvollen Rath, und zu seinem
großen Erstaunen sah er in der ihm bezeich
neten Straße seine Frau am Arme eines
Herrn vor sich herwandeln. Unbemerkt
folgte er beiden, bis sie in einer Konditorei,
wo sich in einem lauschigen Hinterstüben
mit Behaglichkeit zu einer Tasse Choko
lade ein Stück Kuchen verzehren ließ,
verschwanden. Traubmann sagte nichts,
als Ella nach Hause kam und ihm mit
eherner Stirn und mit heiterer Ruhe in
ihrem dunklem Auge vorlog, sie sei aus
dem geradesten Wege nach Hause gegangen.
Wenn er mit seinen Gesellen ein
Hühnchen zu rupfen hatte, so wetterte er
los; aber den Ingrimm über sein pflicht-
und ehrvergessenes Weib schluckte er hin
unter. Er wollte schlau sein, er fand
eine Art schmerzliches Vergnügen daran,
daß sie nicht ahnte, was er wußte, sie
sollte sich tiefer und tiefer im Lügengewebe
verstricken, bis er es an der Zeit sand,
sie zu entlarven. Und dann? Was dann
werden sollte, wußte er selbst nicht:
Der Unentschlossenheit der Menschen
Helsen aber fast stets die Ereignisse nach.
Es kam ein zweiter anonymer Brief,
welcher die Handschrift des ersten trug
Der Brief machte ihn auf ein rothes
Hyazinthenstöckchen aufmerksam, welches
seine Frau stets ans Fenster setze, so ost
sie Wiste, daß er einen längeren Geschäfts«
gang vorhabe. Er möge nur einmal un
erwartet nach Hanse kommen, so werde er
sicher angenehmen Besuch bei seiner Frau
antreffen. Traubmann hatte eine Ahnung,
daß die Angeberin von der prophetischen,
allwissenden Nachbarin stammten, aber er
wußte wohl, wenn er hinüberginge, um
sie darüber zu befragen, so würde sie aus
Himmel und Hölle schwören, daß es ihr
garnicht eingefallen sei, sich um anderer
Leute Angelegenheiten zu kümmern. Was
wollte er auch bei dieser Frau, es genügte
ja, wenn er eine Probe machte.
Am anderen Morgen kleidete er sich
zum Ausgehen an und sagte Ella, er
müsse eine kleine Reise machen, um
Bretter zu ersteigern. Richtig! als er
das Haus verließ und an demselben vor
überging, sand er das rothe Hyazinthen-
stöckchen, welches er vorher noch auf dem
Blumentische gesehen, bereits unter die
Blumentöpfe vor Ellas Boudoirsenster
versetzt. Nach einer Stunde kehrte er
zurück und trat überraschend ins Zimmer.
Ein Herr saß neben Ella auf dem Sopha,
und erschrocken zog sie ihre Hand, die er
eben an sein Herz gepreßt zu haben schien,
aus der seinigcn. Auf dem Tische war
ein feines Frühstück aufgetragen, mit den
besten Weinsorten aus Traubmanns Keller
Daß der Besucher ein überaus hübscher
Bursche mit blondlockigem Haar war,
reizte Traubmanns Wuth nur noch mehr.
Es sei nur ihr Vetter Karl, sagte Ella
mit bleichem Antlitz, der ihr im Vorüber
gehen einen Besuch gemacht hatte. Als
Traubmann von dem rothen Hyazinthen
stöckchen anfing und von seinen Fehlgängen
ins Theater, von der stillen Straße und
von der Conditorei, wurde Ella noch
blässer. Mit Traubmanns Schlauheit
war es jetzt vorbei, denn der Tiger war
Plötzlich in ihm erwacht. Er schrie und
donnerte und riß die Thür sperrangelweit
auf, damit es Platz für den Vetter gäbe.
„Mein Herr," rief dieser mehrmals im
Tone eines tödtlich beleidigten Kavaliers,
als er aber den nervigen Tischlermeister
auf sich zustürzen sah, suchte er so rasch
hinter dem Tische hervorzukommen, daß
er denselben umwarf, wobei Flaschen,
Gläser und Teller auf dem Boden in
tausend Scherben zersprangen. Ella stand
da und rang die Hände, während Vetter
Karl, bereits von Traubmanns nerviger
Faust gepackt, um Hilfe schrie. Der
Meister nahm ihn am Rockkragen und
schleuderte ihn durch die offene Thür in
den Hausflur hinaus, daß die Wand
dröhnte, dann beförderte er ihn auf gleiche
Weise die drei Stufen vor der Hausthür
hinab auf die Straße, verabreichte ihm
noch einige Ohrfeigen und überließ es
ihm dann, sich zusammenzuraffen und zu
gehen, wohin er wollte.
Der Auftritt hatte allgemeines Aufsehen
erregt, sämmtliche Gesellen waren aus
dem Hinterhause hervorgestürzt, aus der
Straße waren die Leute zusammengelaufen,
aus allen Fenstern hatten sich die Köpfe
herausgestreckt, den ganzen Tag sprach
man in der Straße von nichts anderem,
als von dem skandalösen Vorfalle.
Zu Ella sagte Traubmann kein Wort.
Er ließ die That sprechen, sie hatte ge«
sehen, wie er reine Wirthschaft machte.
Was nun geschehen sollte, wußte er wieder
nicht. Er meinte, es könne am Ende bei
dieser Lektion sein Bewenden haben. Auch
Ella blieb stumm. Was in ihr vorging,
verschloß sich hinter ihren fest zusammen
gepreßten Lippen. Er sah sie nur wenig
an diesem Tage, kümmerte sich auch nicht
um sie. Am andern Morgen war ihr
Bett leer, sie war nirgends zu finden.
Aber auf ihrem zierlichen Schreibtische in
ihrem Boudoir lag ein Brief an Traub
mann. Darin schrieb sie ihm: Sie be
reue bitter, einen so rohen, ungebildeten
Mann geheirathet zu haben. Er habe
ihr einen Schimpf angethan, den sie nicht
überleben könne. Ihr Weg führe sie
direkt nach dem Flusse, man werde sie
lebend nicht wieder sehen ....
Traubmann war wie zerschmettert, an
eine solche Wendung hatte er nicht im
Traume gedacht. Das schöne Weib, dem
er verziehen haben würde, eine Beute der
mitleidslosen Wellen! Und er — er
hatte sie bis zum Selbstmord getrieben;
Er setzte die Polizei in Bewegung und
irrte selbst tagelang weit draußen hinter
dec Stadt an den Ufern des breiten
Stromes umher, ja er reiste nach einem
Orte, wo der Strom eine scharfe Biegung
machte, und wo die Leichen, die er mit
sich führte, gewöhnlich gelandet wurden.
Eine Depesche vom Polizeiamt, welches
ihm meldete, daß man ihm Auskunft über
seine Frau geben könne, rief ihn zurück.
Kaum glaublich erschien ihm, was er er
fuhr. Von einem Residenzbewohner, der
eben von einer längeren Geschäftsreise
aus Hamburg zurückkam, war Ella dort
aus der Straße gesehen worden. Derselbe
hatte sogar einige Worte mit ihr gesprochen,
da er sie kannte, doch war sie sehr eilig
gewesen. Auch der Herr, in dessen Be
gleitung sie sich befand, war ihm bekannt
vorgekommen, doch wußte er seinen Namen
nicht. Die Beschreibung hatte auf Vetter
Karl gepaßt, eine der Polizei wohlbekannte
Persönlichkeit, die früher im Bureau
eines Advokaten angestellt war, seit Mona
ten aber von Ellas freigebiger Hand ge
lebt zu haben schien und mit dieser zugleich
verschwunden war, den Wirthsleuten
gegenüber eine Reise vorschützend. Noch
ganz erstaunt über diese Nachrichten ver
ließ Traubmann das Polizeibureau. Also
kein Selbstmord, sondern eine jämmerliche
Flucht, die Ella und ihren Entführer in
Armuth und Elend stürzen mußte. Traub
mann konnte es nicht begreifen, bis ihm
plötzlich ein Gedanke durch den Kops schoß.
Doch nein, das war nicht möglich, nicht
denkbar, es wäre ja schrecklich gewesen,
wenn der schlimme Gedanke Recht behalten
sollte. Traubmann stürzte nach Hause —
im Schreibfekretär hatte er zwanzigtausend
Mark liegen, mit denen er dieser Tage
die letzte Hypothek aus sein Haus löschen
wollte — er schloß mit bebender Hand
den Sekretär auf — das Geld war fort!
„O, ich Thor!" schrie er, sich die Haare
zerraufend, „o Matchen! Malchen I" Ver
gebens flogen Depeschen nach Hamburg
und New-Iork. Die Begegnung mit dem
Landsmanne aus der Resivenz mochte die
Flüchtigen vorsichtiger gemacht haben.
Wer weiß, in welchem andern Hafen und
nach welchem Theile der neuen Welt sie
sich eingeschifft hatten.
Zwar war Traubmann durch den Ver
lust der zwanzigtausend Mark nicht ruinirt,
die Hypothek blieb eben auf dem Hause
ruhen. Aber er war moralisch gebrochen.
Den Gedanken, sein treuloses Weib im
Schlamme des Stromes gebettet zu wissen,
hätte er ertragen wollen, aber sie sich in
den Armen ihres Entführers zu denken,
sich zu vergegenwärtigen, wie sie ihm in
kaltblütiger Berechnung die Frucht jahre
langen Fleißes gestohlen, seine Kinder,
gegen die sie Liebe und Zärtlichkeit ge
heuchelt, um ihr künftiges Erbtheil schänd-
lich betrogen hatte, und darüber wohl
auch hohnlachend triumphirte, — das
konnte er nicht verwinden, das hätte ihn
wahnsinnig gemacht, wenn er nicht im
Trünke Vergessenheit gesucht hätte. Ja,
leider muß es gesagt sein, der Mann, der
nie in der Woche ein Wirthshaus besucht
hatte und jetzt dringende Ursache gehabt
hätte, den Kopf oben zu behalten und
durch erneuerten Fleiß dem Schicksale
wieder abzutrotzen, um was er gekommen
war, — der Mann ließ die Hände sinken
und taumelte von Kneipe zu Kneipe, bis
ihn die ungewohnte ausschweifende Lebens
weise in Verbindung mit der tiefen Er
schütterung seines Gemüths auf das
Krankenlager warf.
Von einem heftigen Nervenfieber gepackt
schwebte er zwischen Leben und Tod.
In seinen Phantasieen befand er sich fast
immer auf dem Meere, dem flüchtigen
Paare nacheilend. Da plötzlich sah er
Malchen vor sich, so blühend, so lieblich
und jugendlich, wie er sie kaum in ihren
schönsten Jahren gesehen. O, gewiß, er
war im Jenseits, er hatte die Qual des
Lebens überstanden und nichts von allem,
was er liebte, hatte er hier auf Erden
zurückgelassen, denn auch die Kinder waren
hier, von den Armen der jugendlichen
Mutter umsangen.
„Molchen! Malchen!" rief er und
streckte seine Hände aus. Da antwortete
sie mit sanfter Stimme: „Ich bin nicht
Malchen, ich bin Johanna, Deine Schwä
gerin."
Wie geistesverwirrt blickte er um sich.
Der bekannte Raum des Schlafzimmers
umgab ihn, er'lag in seinem Bette, er
war aus tiefer Geistesnacht, nach sieg
reichem Ringen mit dem Tode, zu klarem
Bewußtsein gekommen. Er lebte noch
auf dieser Erde.
Als der Vater so schwer erkrankt war,
hatte das elfjährige Söhnchen den klugen
Einfall gehabt, an Tante Johanna zu
schreiben, die immer noch bei derselben
Herrschaft war, und sie zu bitten, doch
ja recht schnell zu kommen. Aus weiter
Ferne war Johanna herbeigeeilt, hatte
die Pflege des Kranken übernommen und
für den Haushalt und die Kinder gesorgt,
die bald mit inniger Liebe an ihr hingen.
Seit ihrem sechszehnten Jahre hatte
Traubmann die Schwägerin nicyt mehr
gesehen, und in diesem Zeitraume war
sie zu jener Aehnlichkeit mit ihrer ver
storbenen Schwester herangereift, daß sie
wie deren verklärtes Jugendbild erschien.
Mit der äußern Aehnlichkeit verband sie
aber auch alle häuslichen Tugenden
Malchens, und mit ihr zog Ordnung,
Zufriedenheit und Segen in Traubmanns
Haus ein. Seine kräftige Natur erholte
sich bald wieder; mochte nun sein geistiges
Wesen gestärkt aus der Krankheit hervor
gegangen sein, oder wirkte Johanna'S
treues, fürsorgliches Walten so wohlthätig
auf ihn ein, — gleichviel, er schlug sich
das Vergangene vollständig aus dem
Sinn, that die nöthigen Schritte, um die
Scheidung von seiner flüchtigen Frau zu
bewirken und lernte die ihn betroffenen
Schicksalsschläge als eine wohlverdiente
Züchtigung betrachten. Er war wieder
der nüchterne und arbeitsame Mann, den
er früher gewesen, hatte aber vor allem
„Vornehmen ' einen solchen Ekel bekommen,
daß er der Erziehung seiner Kinder eine
ganz andere Richtung gab und sie an den
Gedanken gewöhnte, ihre Zukunft und
und ihr Glück nur innerhalb der bescheide
nen Gesellschaftsgrenze zu suchen, welcher
Vater und Mutter auch angehört hatten.
Wohl dachte er oft betrübt an die
kommende Zeit, wo Johanna, die ihm
ein neues häusliches Glück geschaffen, ein
mal heirathen und ihn wieder verlassen
werde, wohl konnte es keine bessere Mutter
für seine Kinder geben, wohl gestand er
sich jetzt, daß das Wort, welches in
Malchens letztem Wunsche unausgesprochen
geblieben oder seinem Ohre entgangen
war, nur Johanna geheißen haben konnte,
aber er hielt sich für unwürdig, noch ein
mal ein glücklicher Gatte zu werden, so
sehr er auch gewünscht hätte, an Johanna
bis zu seinem letzten Athemzuge wieder
gut machen zu können, was er an Malchen
versäumt hatte.
Es war gerade am Tage des heiligen
Weihnachtsabends, als er vom Gerichte die
Scheidungsurkunde zugestellt erhielt, die dar
letzte, ihn noch an Ella knüpfende Band löste.
Die ganze Welt trüber Erinnerungen
wurde dadurch in ihm geweckt und er
konnte nicht vermeiden, darüber zu sprechen.
Die Jdeenverbindungen der Kinder sind
oft wunderbar. „Vater", warf das
Söhnchen dazwischen, „Johanna geht nie
wieder von uns, sie bat es selbst gesagt."
— „Ja, Vater," ergänzte das Töchterchen,
„sie hat gesagt, daß sie lieber eine alte
Jungfer werden wollte." — Mit dem
Scheidungsbriefe noch in der Hand wurde
Traubmann durch diese Reden in einige
Verlegenheit gebracht. Er warf einen
raschen Blick auf Johanna, die mit hoch-
rothem Antlitz eben das Zimmer verließ.
Zwischen den Geschwistern bestand eine
Verschwörung und der Christabend war
der verabredete Zeitpunkt, wo sie zum
Ausbruch kommen sollte. Als der ge
schmückte Tannenbaum im Glanze der
Lichter strahlte und Johanna eben noch
ihre Hand in der des Schwagers ruhen
hatte, um ihm gerührt für die schöne Pelz.
mütze zu danken, da knieten die Kinder
plötzlich vor ihnen nieder und baten den
Vater mit erhobenen Händen, er möchte
ihnen doch Tante Johanna zur Mutter
geben! . . .
» * -Ir
Es war in einer sternenhellen Sommer
nacht, als vor Meister Traubmanns Hause
ein Weib stand, ein altes grauwollenes
Kleid umhüllte ihre hohe, magere Gestalt,
den Kopf bedeckte nur der wirre Knäuel
rabenschwarzer Haare, aus welchem über
all Zopfenden, wie die Dornen eines
Stechapfels, hervorragten, ihr bleiches
Antlitz war eingefallen und aus tiefen
Höhlen glühten die dunkeln Augen hervor.
Sie stand unbeweglich, den Kopf mit an
gespanntem Lauschen den Parterresenstern
zugeneigt, hinter dessengeschlossenenJalousie-
lüden helles Licht hervordrang, dazu
tönten die lauten Stimmen einer zahl
reichen Gesellschaft, vermischt mit fröh
lichem Lachen und Gläserklingen, unter-
brocheu von einer einzelnen Stimme, die
eine kurze Rede zu halten schien, woraus
ein dreimaliges „Hoch" erschallte.
Die Lauschende war Ella. Vetter Karl
hatte in Amerika das Geld durchgebracht
und als dann die eiserne Nothwendigkeit
an ihn herantrat, für das tägliche Brot
zu sorgen, verließ er Ella heimlich und
überlieferte sie der Noth und der Ver-