Full text: Newspaper volume (1895, Bd. 1)

Boctticher Bezug nehmend, das; auch für die Mi 
niste--Ernennungen und -Entlassungen, die aller 
dings im Kronrecht seien, die Minister verant 
wortlich seien. 
Das Laus vertagt sich aus morgen II Uhr: 
Fortsetzung der 1. Etatbernthung. 
MrMand. 
'Außereuropäische Gebiete 
Newyork, 21. Jan. Die durch den 
Streik der Straßenbahnbeamten 
in Brooklyn geschaffene Lage wird immer 
ernster. Die Streikenden zertrümmerten 
einige Wagen und es kam mehrfach zu 
Zusammenstößen zwischen ihnen und der 
bewaffneten Macht; dabei wurde eine große 
Anzahl Männer, Frauen und Kinder zu 
Boden geritten; einige wurden durch 
Bajoucttstiche verwundet, auch mehrere 
Soldaten erlitten Verletzungen. Vor dem 
Zugänge zu den Stallungen wurden Ka 
nonen aufgefahren. Die Bevölkerung 
unterstützt die Streikenden und liefert ihnen 
Geld und Lebensmittel. Gegen Abend 
ivandte sich die Menge wieder gegen einen 
Wagen. Die Truppenabtheilung gab Feuer. 
Die Zahl der Verwundeten ist noch nicht 
bekannt. 
Newyork, 18. Jan. Heute wurde hier 
der Makler Edwin Quigley verhaftet. 
Er hat falsche Schuldscheine der Städte 
Cleveland, Zanesville. Springfield (Ohio) 
und Harrisburg im Betrage von 166 000 
Doll, angefertigt. Auf solche falsche 
Scheine hatte er von der Mercantile 
National Bank in Newyork einen Vorschuß 
von 144 000 Doll, erhoben. Da Quigley 
ein wohlhabender Mann ist, so hat die 
Bank sofort sein Vermögen mit Beschlag 
belegen lassen. Quigley gestand seine Schuld 
sofort bei seiner Verhaftung ein. 
Italien. 
Rom, 22. Jan. Der erste Staats- 
anwalt in Sassart erhielt einen län 
geren eingeschriebenen Brief von dem be- 
rüchtigten Briganten Sedda, der noch 
immer nicht gefaßt ist und die Berge 
durchstreift, worin er ihn ersuchte, sofort 
seine in Untersuchungshaft genommene 
Frau frei zu lassen. Andernfalls drohte 
er damit, binnen zehn Tagen ebenso viele 
Carabinieri zu ermorden! In der That 
sind bereits tags darauf aus dem Hinter- 
yalt zwei auf einer Streife befindliche 
Beamte angegriffen und einer davon er- 
schossen worden. Der Brigantaccio wächst 
sich in Sardinien leider immer mehr zu 
einer politischen Institution aus, und die 
Regierung ist anscheinend nicht in der 
Lage, endlich damit reinen Tisch zu machen. 
Der Brigant Sedda wird seine Drohung 
tvahrscheinlich ausführen. 
Neapel, 22. Jan. Gestern früh fanden 
von Seiten der Studenten der hiesigen 
Universität lärmende Kundgebungen 
statt, weil die Studenten einen außer- 
ordentlichen Prüfungstermin verlangten, 
den der Unterrichtsminister nicht bewilligen 
konnte. Wenn die Unruhen fortdauern 
sollten, dürfte die Universität geschlossen 
werden. 
Griechenland. 
Athen, 22. Jan. Dreihundet Studenten 
wollten vor dem Palast des Königs 
verschwenderischen Leben und leichtfertigen 
Streichen nachzugeben. Die anfänglich _ vcr- 
zwciflungsvollc Bitterkeit, die ihn befallen 
hatte, war rasch wieder in die überschäumende 
Genußsucht umgeschlagen u»d über die nächste 
Stunde hinaus mochte er offenbar nicht 
denken. Selbst die Scheu, gerade von Georg 
sich helfen zu lassen, schien völlig von ihm 
gewichen und er nur noch froh darüber zu 
sein, daß er dort einen Rückhalt besaß. 
Wann und wie würde das alles sich zum 
Besseren wenden? Und wo war der Halt zu 
finden, an dem dieser schwache, schwankende 
Charakter sich ausrichten, erstarken und sich 
zu seinem besseren Selbst zurückrctten würde 
für immer? Sa, wer ihn gewußt und gefunden 
hätte! 
Der größere Theil des 'Nachmittags ging 
darüber hin, daß beide in den Läden die 
Cinkäufe machten, welche für Huberts Aus 
stattung unumgänglich erschienen und ein 
Zimmer in der Nähe der Geschäftslokalitäten 
des „Phönix" mietheten, das er sofort beziehen 
konnte. Hubert machte bei alledem so gar 
nicht übertriebene Ansprüche, daß Georg er 
staunte; jener mochte sich noch seines leicht 
sinnigen Streiches vom Mittag her schämen 
und das Edle in seiner Natur kam wieder 
deutlicher zum Vorschein. Georg, der ihn 
zuletzt bis zu dem Sprechzimmer Ambergs 
begleiret hatte, wo Hubert sich vorstellen sollte, 
verließ ihn in beruhigterer Stimmung. Wenn 
Hubert nur in das rechte Fahrwasser kam, 
konnte alles noch gut werden. Und vielleicht 
war für ihn Anibergs Einfluß von unbe 
rechenbarer Tragweite. 
Die Brüder trennten sich mit warmem 
Händedruck und.einem: Auf Wiedersehen!, 
das dem folgendem Tage galt. Fast verschämt 
hatte Georg noch zuletzt Hubert heimlich eine 
in Papier gewickelte Geldsumme zugesteckt, 
mit der dieser in den ersten Tagen seine 
kleinen Ausgaben bestreiten sollte. Dann 
stürmte er nach Hause, um sich nun endlich 
seinen Arbeiten zu widmen, die er sehr wider- 
feinen Willen so lange vernachlässigt hatte 
und die ihn nun bis tief in die Nacht hinein 
beschäftigten. 
(Fortsetzung folgt.) 
eine Kundgebung veranstalten, zogen 
sich aber ohne Zwischenfall zurück. Trotz 
der Erregung herrscht vollständige Ruhe. 
England. 
Der Herzog v. Argyll ist am Dienstag, 
abend in Glasgow während einer Rede in 
einer Versammlung plötzlich zusammenge- 
brachen. Der Herzog sprach gerade über 
Lord Roseberry und war am interessan 
testen Punkte seiner Ausführungen ange 
langt. „Ich will noch ein Wort mehr 
über Lord Roseberry persönlich sagen. 
Ueber seine Stellung als Premierminister. 
Es gibt drei Arten Premierminister in 
England. Die einen haben originelles 
Genie. Sie machen sich Bahn durch ihre 
Originalität. Solch einer war Pitt. Dann 
kommen diejenigen, welche allmählich durch 
das öffentliche Leben gehen und schließlich 
auf die Spitze der Leiter kommen. So 
einer war Sir Robert Peel. Dann kommt 
die dritte Art. Sie werden Premiermini 
ster, weil andere Leute sich um sie scharen." 
Damit brach der Satz ab. Vielleicht war 
auch nicht mehr nöthig. 
Rutzrund. 
Aus Warschau meldet der „Loc.Anz." : 
Mehrere katholische Geistliche wurden vor- 
gestern Nacht verhaftet. Der Erzbischof 
Popiel beabsichtigt, seine Stellung nieder 
zulegen. 
Schweiz. 
Den größten Springbrunnen der 
Welt zu besitzen, kann sich die schweizerische 
Stadt G»nf rühmen. Derselbe ist, wie 
das internotionale Patentbureau von Hei 
mann & Co. in Oppeln schreibt, erst vor 
Kurzem am Ufer des Sees errichtet worden, 
und wird der Wasserstrahl bis zu einer 
Höhe von 90 Meter geworfen. Für ge 
wöhnlich wird der Springbrunnen nur 
Sonntags in Thätigkeit gesetzt. Abends 
erfolgt elektrische Beleuchtung des Wassers 
und zwar werden dann anstatt eines großen 
Strahls mehrere von geringerer Höhe ge 
worsen. Der Anblick des in verschiedenen 
Farben leuchtenden Wassers soll großartig 
sein. 
Bern, 22. Jan. Gestern wurden zwei 
Frauen und ein junger Mann aus dem 
Dorfe Pontirone, Bezirk Biasca (Tessin) 
auf einem benachbrten Berge von einer 
Lawine überrascht und getödtet. 
Oesterreich-Ungarn. 
Ueber ein S ä b e l d u e l l iu Wien, in 
welchem ein früherer preußischer Offizier 
eine schwere Verwundung erlitten hat, ist 
einem Berliner Journal folgende Meldung 
zugegangen: Am Sonnabend hat hier ein 
Säbelduell zwischen einem jetzt hier leben 
den früheren preußischen Offizier, Herrn 
v. K., und einem aktiven österreichischen 
Offizier stattgefunden. Ersterer erhielt eine 
schwere Kopfwunde. Den Anlaß zu dem 
Duell gab eine peinliche Scene in einem 
Restaurant, wo der Ncrddeutsche sich weg 
werfend äußerte über die Haltung des 
Hoch- und Deutschmeister-Regiments in der 
Schlacht bei Königgrätz. Beide Herren waren 
bei diesem Vorfall in Civil. 
Durch die Explosion eines mit Benzin 
gefüllten Fasses im Keller eines Kaufmanns 
in Scmliii wurde das Haus stark beschädigt 
und drohte einzustürzen. Von den Markt 
frauen, welche vor dem Hause ihren Ver 
kaufsstand haben, wurden zwei getödtet 
und eine schwer verwundet. 
Frankreich. 
0ü est la femme? So kann man mit 
Recht zu dem neuesten Pariser Stadt- 
klatsch wieder einmal fragen. Diesmal 
handelt es sich darum, dem Rücktritt 
Casimir-Periers ein pikantes Re 
lief zu verleihen. Da es in Paris be 
reits die Spatzen von den Dächern pfeifen, 
und die Angelegenheit immer mehr auch 
einen politischen Charakter anzunehmen 
droht, so glauben wir sie unseren Lesern 
nicht länger vorenthalten zu dürfen. Ohne 
uns für die Wahrheit des Gerüchts irgend 
wie zu verbürgen, registriren wir als ge 
treue Chronisten einfach, was Frau Fama 
schon vor einigen Tagen meldete: 
„Verschiedene Pariser Blätter bringen 
ferner unverhüllte Andeutungen über Frauen 
geschichten, die der eigentliche Grund zu 
Periers Rücktritt gewesen sein sollen. Ge 
meint ist damit, daß er mit Frau Bur- 
deau, einer schönen Kreolin, ein 
Verhältniß habe, daß diese Frau aber nach 
den Anseindungen Angst gehabt habe, es 
im Etysee fortzusetzen, und das Casimir 
deshalb, in totaler Nerven zerrüttung 
zurückgetreten sei. Er soll auch mit seiner 
grau unglücklich leben. Wie weit das 
Alles Geschwätz ist, ist schwer zu sagen. 
Aber Sie können es in jedem Cafeehaus, 
in den Couloirs der Kammer, kurz, über 
all hören." 
Einen politischen Charakter hat die 
Affaire angenommen, nachdem sie von der 
französischen Skandalpresse gierig aufge 
griffen und in ihren Spalten mundgerecht 
verarbeitet ist. 
Eine Anzahl Blätter deuten heute intime 
Vorgänge im Hause Casimir-Periers an. 
Der Jntransigeant, die antisemitsche Libre 
Parole und andere kündigen unverhüllt die 
bevorstehende Sch ei vung zwischen dem 
Ehepaar Perier an. Damit treten die 
mehr oder minder glaubwürdigen Gerüchte, 
die man sich vor und nach dem Rücktritt 
des Präsidenten in Paris zuraunte, «n die 
Oefientlichkeit. 
Sollte grau Fama diesmal ausnahms 
weise die Wahrheit gesprochen haben, so 
würde 'die letzte Präsidentschaftskrise und 
die Persönlichkeit Casimir-Periers allerdings 
in einem ganz neuen Lichte erscheinen. 
Jedenfalls hat Frankreich wieder einmal 
seinen neuesten Skandal tin cke siöele. 
Inland. 
— Das Krönungs- und Ordens 
fest hat am Sonntag in hergebrachter 
Form im Schlosse stattgefunden. Das 
Wetter stimmte durchaus nicht zu dem 
Glanze, der im Schlosse entfaltet wurde. 
Das äußerliche Zeichen der prunkenden 
Vorgänge im Schloß war das Hissen der 
deutschen Kaiserstandarte, der rothen Kö 
nigsflagge und des kurbrandenburgischen 
Adlers auf demselben; auch die königlichen 
und prinzlichen Palais und die Staats 
gebäude soivie einzelne Privathäuser hatten 
Flaggenschmuck angelegt. Bon der Pracht 
der farbenstrotzenden Galawagen, in denen 
die fürstlichen Gäste zum Schloß fuhren, 
stach das einfache zweispännige Kupee ab, 
in dem die Kaiserin Friedrich die Fahrt 
ins Schloß zurücklegte. Um halb 12 Uhr 
begannen die Glocken der Schloßkapelle 
zum Gottesdienst zu läuten, nachdem das 
Kaiserpaar im Rittersaal die Defilircour 
abgehalten hatte. Der Kaiser führte die 
Kaiserin Friedrich, dann folgten Prinz 
Heinrich mit der Kaiserin, Prinz Leopold 
mit der Prinzessin Heinrich, Prinz Albrecht 
mit der Prinzessin Leopold. Die Predigt 
hielt Hofprediger Faber. Beim Verlassen 
des Gotteshauses legte der Kaiser die so 
genannte Opferspende der Ritter in Gold 
in die silberne Kirchenbüchse; ein gleiches 
thaten die Prinzen, die Botschafter, Gesand 
ten und Ritter. Eine gute halbe Stunde 
später fand die Tafel im Weißen Saale statt. 
Ein Hofberichterstatter beschreibt die Pracht 
bei dem Festmahl wie folgt: Aus dem Blumen 
flor erglänzten die kostbaren Silbergefäße und 
auf dem Damastleincn der Tafel schimmerte 
das neue Porzellanservice, welches vor 
mehreren Jahren in der königlichen Por 
zellan-Manufaktur hergestellt worden ist — 
weiß mit Ziegelroth und Gold nach einem 
älteren Muster aus der Zeit des Großen 
Königs. Bei Tafel saß der Kaiser zwischen 
Gemahlin und Mutter. Er hatte gestickte 
Generalsuniform angelegt; dazu trug der 
Großmeister sämmtlicher preußischer Orden 
auch deren Dekoration Die Kaiserin war 
im vollen königlichen Schmucke. Ueber 
einer Robe von Silberstoff breitete sich eine 
Schleppe von dunkelbraunem, goldegesticktem 
und mit Zobel verbrämtem Sammet. Ein 
königliches Diadem von Brillanten schmückte 
das Haupt. Dazu hatte sie Band und 
Stern des Rothen Adlerordens angelegt. 
Kaiserin Friedrich war ganz in Schwarz 
gekleidet und hatte als einzigen Schmuck 
die Kette des Schwarzen Adlerordens an 
gelegt. Die Schleppe der Prinzessin Hein 
rich bestand aus weißer Seide mit kostbarer 
Silberstickerei. Die Prinzessin Friedrich 
Leopold erschien mit einer hellblauen 
Sammetschleppe und ebensolchem Ueber- 
kleide mit Silberstickerei, Prinzessin Albrecht 
hatte eine tiefrothe mit Goldenborden be 
stickte Sammetschleppe angelegt, Prinzessin 
Friedrich Karl eine Schleppe von hoch 
rother Farbe gewählt. Während der Tafel 
brachte der Kaiser das Hoch auf die neuen 
Ritter aus. 
Berlin, 22. Jan. Ueber das Duell 
zwischen dem Rittmeister a. T. (nicht dem 
Ceremonienmeister) Friedrich v. Kotze 
und Frhrn. o. Schrader bringt die 
„Kreuzztg." folgende Angaben: Dem 
Letzteren haben die Kammerherrn v. Rei 
schach und v. Blumenthal secundirt; die 
Sccundantcn des Herrn v. Kotze waren der 
Oberpräsidialrath von Brandenstein und 
der Reichstagsabgcordnete Freiherr von 
Hammerstein, während Herr von Tschirschky- 
Renard das Amt des Unparteiischen über 
nommen hatte. Die Forderung lautete 
auf 15 Schritte Distanz, gezogene Pistolen 
und dreimaligen Kugelwechsel. Trotzdem 
hat eine Verwundung nicht stattgefunden 
— Der Commission zur Borbe 
rathung der sogen. U m st u r z - V o r l a g e 
ist heute von den verbündeten Regierungen 
ein Theil des verlangten Materials über 
die Strafrechtspflege in andern Staaten 
zugegangen. 
— In der gestrigen K o m m i s s i o n s 
berathung der Umsturzvorlage sind 
von den Lippen des Ministers des Innern, 
Herrn v. Koller, merkwürdige Aeußer 
ungen über das Spitzelthum geflossen. 
Einem ausführlichen Bericht entnehmen 
wir über den Hergang Folgendes: Als zur 
Rechtfertigung der Vorlage immer wieder 
neue Schriftstücke anarchistischen Inhaltes 
verlesen wurden, da rief das Kommissions 
mitglied Bebel entrüstet dazwischen: Das 
sind Polizeispitzel, die diese Dinge liefern, 
und vor Allem rühren diese Sachen von 
dem berüchtigten Reuß her. Worauf 
Herr v. Köller gelassen entgegnete: „Wir 
wissen, was wir von dem Reuß zu 
halten haben, wir wissen, daß er Mitglied 
des Authonomy-Clubs in London gewesen. 
Er hat dort lange genug im warmen Neste 
gesessen und er hat uns wesentliche 
Dienste geleistet." Damit wäre ja 
die erwünschte Klarheit über diese Persön 
lichkeit erbracht. Bebel hat diese Aeußer 
ung des Ministers sofort niedergeschrieben. 
Es wird also Lärm genug noch geben in 
der Plenarsitzung. Der „Vorwärts" er 
klärt dazu, daß Reuß nicht nur preußischer 
Spitzel, sondern auch Führer des Anar- 
chistenklubs Autonomie gewesen ist, und 
daß er als Spitzel ein monatliches Gehalt 
von 450 Mk. erhalten habe. Abg. Frhr. 
v. Stumm theilte in der Kommission 
noch mit, daß Reuß, als er von den So 
zialdemokraten gebrandmarkt worden war, 
auch seinen Schutz nachgesucht habe. Bebel 
erklärte, wenn der Minister es als „Treu 
bruch" bezeichnete, wenn er Mittheilungen, 
die ihm aus den Reihen der Anarchisten 
zugehen, veröffentlichen würde, so lasse das 
doch den Schluß zu, daß nähere Beziehun 
gen zu den Anarchisten bestehen. Die Auf 
forderung des Ministers, ihn im Kampfe 
gegen die Anarchisten zu unterstützen, müssen 
die Sozialdemokraten ablehnen: sie hätten 
von jeher die Anarchisten selbständig be 
kämpft, während diese gerade durch die 
offiziöse Presse Unterstützung gefunden 
habe. Ueber die Anarchisten a. D., 
Journalisten und Polizeispitzel Reuß be 
merkte Abgeordneter Bebel in der Umsturz- 
Kommission, daß derselbe heute noch einer 
der begünstigten Journalisten einiger Reichs 
ämter sei und offiziell zur Ein 
weihung des Reichstagsgebäudes 
zugelassen worden ist, obgleich jer 
notorisch seiner Zeit Mitglied des Anar 
chistenklubs Autonomie in London gewesen 
— Zum Zusammentritt des preußischen 
Staatsraths schreibt das „Volk": Wie 
wir hören, ist die Berufung der Grafen 
Kanitz und Mirbach in den Staats 
rath eine beschlossene Sache; diese Be 
rufung soll aber keineswegs zu der Er 
wartung berechtigen, daß die Regierung 
nunmehr auch allen von den genannten 
Herren vertretenen Forderungen entgegen 
kommen werde. Insbesondere ist ganz aus 
geschlossen ein Eingehen der Regierung auf 
den Antrag Kanitz betreffend die M o - 
nopolisirung des Handels mit aus- 
wärtigem Getreide. 
— Auf Antrag eines Vertreters der 
Centrumspartei ist in der Reichtags 
baukommission beschlossen worden, die 
(nackte) Figur der Justitia auf dem Stuhl 
des Präsidenten kurzer Hand entfernen zu 
lassen. Es wird dieser Justicia außer 
ihrer absoluten Nacktheit noch besonders 
zum Vorwurf gemacht, daß sie auf zwei 
Schultern trägt. 
Einen interessanten Beitrag zu der 
jetzt so lebhaft erörterten Frage ärztlicher 
Einkommens-Verhältnisse und deren theil- 
weise traurigen Beschäftigungslosigkeit in 
folge übergroßer Concurrenz bietet ein 
der „Dtsch. Warte" im Original vor- 
gelegter Brief, welchen ein aus einer 
kleinen Nordbahnstadt nach Berlin überge 
siedelter praktischer Arzt seinen hiesigen 
Garderobenlieferanten, einer Compagnie- 
Firma, übersandt hat. Unter Hinweis auf 
die durch die Niederlassung in Berlin ver 
ursachten Kosten und den noch geringen 
Verdienst bittet er um Zahlungsstundung 
und fährt dann wörtlich wie folgt fort: 
„Am liebsten wäre es mir, wir glichen 
die Sache in der Weise aus, daß ich mich 
verpflichte, für die gelieferten Anzüge jeden 
der beiden Herren Compagnons in je zwei 
Krankheiten zu behandeln. Sollte einer 
von Ihnen gleich bei der ersten Behänd- 
lung sterben, würde natürlich der Ueber- 
lebende das Recht auf freie Behandlung 
in einer dritten Krankheit haben. Ich 
bemerke dabei, daß ich als Krankheit nicht 
eine vorübergehende Indisposition, wie 
Husten, Schnupfen u. dgl. auffasse, sondern 
nur ein reelles Leiden, wie Lungenent 
zündung, Typhus, Wassersucht, Krebs usw. 
darunter verstehe. In der Hoffnung, daß 
Ihnen diese Vorschläge acceptabel erscheinen, 
daß Sie sich aber jedenfalls noch etwas 
gedulden, bin ich Ihr usw." 
Beuchen (Oberschl.), 21. Jan. In Two- 
rog erschoß ein steckbrieflich verfolgter Wild 
dieb einen Gensdarm und einen Förster. 
Der Mörder entfloh. 
Ter sozialdeniokratische Vertrauensmann 
für Ilmenau in Thüringen, Expedient 
Evuard Münch, ist nach Unterschlagung 
einer größeren Summe flüchtig geworden. 
Gleich dem Leib-Regiment in München 
sind jetzt auch das dortige 1. Jnf.-Regt 
und das 1. Train-Bataillon von der Schar 
lach-Epidemie ergriffen worden. 
In Münden klagten beim Biere zwei 
Bürger, der eine Besitzer einer Wäscherei 
der andere ein Fabrikant, über die schlechte 
Lage der Geschäfte. Dabei glaubte Jeder 
von dem Andern, daß er ohne Grund 
klage, bis schließlich der Eine dem Andern 
einen Tausch der Geschäfte anbot. Vor 
Zeugen wurde schriftlich abgemacht, daß 
Beide auf diesen Vorschlag eingingen 
Am folgenden Tage aber hatte sich oer 
Fabrikant die Sache überlegt. Sein Ge 
schäft ist 100 000 Mk. werth, das des 
andern Kontrahenten -die Hälfte. So kam 
er denn darum ein, den Tausch für un 
gültig zu erklären. Der Wäschereibesitzer 
ging auch darauf ein, bedang sich aber ein 
Reugeld von 10 000 Mk. aus, die der 
Fabrikant, um sich vor größerem Schaden 
zu bewahren, denn auch zahlte. Das Geld 
war jedenfalls schnell verdient. 
Aus Bruchsal meldet der „L. A ": Man 
versuchte, die Stadt an vier Stellen 
zugleich in Brand zu stecken. Der 
Versuch wurde rechtzeitig bemerkt. Die 
Polizei ist den Thätern auf der Spur. 
Oldenburg, 15. Jan. In allen Kreisen 
ist die Empörung über die Betrügereien 
des angeblichen Pastor Dr. Partisch groß- 
Schon seit Langem hatte man P. verdäch 
tigt, dann ließ er die Polizei einschreiten 
und die „Verleumder" wurden verurtheilt. 
Dabei log er rund um sich herum. Als 
Partisch vor zehn Jahren an der hiesigen 
St. Lambertikirche angestellt wurde, hatte 
er sich durch sein frommes Gebühren und 
durch seine herrlichen Zeugnisse das Ver 
trauen des Oberkirchenraths zu erwerben 
verstanden. Uebrigens versuchte ein ähn 
licher Schwindler vor einigen Jahren in 
einer Nachbargemeinde sein Glück, er mußte 
aber Fersengeld geben. Partisch hatte an 
sein Haus schreiben lassen: „Ich und mein 
Haus wollen dem Herrn dienen." In der 
Diakonissen-Anstalt, in der Jdiotenanstalt 
u. s. w. war er thätig, sogar aushülfs- 
weise als Religionslehrer am Schullehrer- 
seminar, wo die Schüler ihn auslachten- 
Auch als Schulinspektor wirkte er, vielen 
Lehrern zum Verdruß, mußte doch sogar 
ein jüngerer Lehrer seinetwegen fortgchen- 
Man denke sich ferner diesen famosen Herrn 
als Vorsteher eines „Damenhcims", eines 
Diaconissenhauses. Man hat darüber im 
mer im Stillen gemurrt, aber er verstand 
die Kirchenbehörden zu täuschen. 
Der „Hamb. Corr." theilt mit, daß das 
Handelshaus, dem der neue Präsident Frank 
reichs vorsteht, in Hamburg durch die in den 
betheiligten Kreisen sehr bekannte und ge 
achtete Firma Michelsen & Carstens ver 
treten ist. Vor etwa drei Jahren hat 
Herr Präsident Felix Faure in Hamburg 
geweilt, um in Begleitung seiner Vertreter 
den dortigen Freunden seiner Firma einen 
Besuch abzustatten. Weiter wird mitge 
theilt, daß er schon seit dem Jahre 1870 
durch den inzwischen verstorbenen Fc- 
Ehlers vertreten war und zu jener Zeit 
mehrmals jährlich nach Hamburg kam- 
Er war einer der ersten Franzosen, welche 
nach dem Kriege wieder mit Deutschland 
in kommerzielle Verbindung traten. Faure 
benutzte seine häufige Anwesenheit, um sich 
nicht allein über Hamburger, sondern auch 
über sonstige deutsche Verhältnisse zu unter 
richten, und erklärte oft, wie sehr er es 
bedaure, nicht längere Zeit in Deutschland 
verweilen zu können. 
Durch den Konkurs einer Ludwigs 
luster Viehvers icheruugsgese l l- 
schaft sind zahlreiche kleinere Händler in 
Hamburg-Altona schwer geschädigt worden- 
Die entstandenen Verbindlichkeiten sollen 
sich auf 100 000 Mk. beziffern, von ,& CIt 
200' Mitgliedern dürfte die Hälfte e.0»» 
hier und in Altona ansässig sein. 
Hamburg, 21. Jan. Eine längst ge 
suchte internationale Hochstaplerin, welche 
unter dem Namen einer Gräfin Albedyll 
die deutschen Hotels beschwindelt, wurde 
hier endlich verhaftet. Das stattliche 
Frauenzimmer ist aus Celle gebürtig und 
heißt Louise Amelung. Sie wurde ohne 
alle Mittel in einem Hamburger Hotel 
verhaftet. 
BroviriLietles 
Auf die Provinz Schleswig-Holstein ent 
fallen im neuen preußischen Etat folgende 
einmalige und außerordentliche Ausgabe >0 
Etat der Domänenverwallung: Zur SoM- 
merbedeichung von Theilen des Osterhever 
und des Tctenbüller Vorlandes im Kreise 
Eiderstedt 268,500 Mk. Etat der Eisen 
bahnverwaltung: Zur Erweiterung der 
Gleisanlagen auf dem Bahnhöfe Nord- 
schleswigsche Weiche erste Rate 100,000 
Mark. Etat des Ministeriums der geist 
lichen Unterrichts- und McdizinalangelegeN- 
heiten: Zum Neubau eines evangelischen 
Predigerseminars in Preetz erste Rate 
50.000 Mark. — Zur Herstellung einet 
Luftheizungsanlage im Hörsaale der Frauen 
klinik in der Universität Kiel 2260 Mark- 
— Zur Ergänzung der Ausstattung des 
chemischen Instituts mit Instrumenten und 
Apparaten. — Zum Neubau des Schul 
lehrer-Seminars in Ratzeburg zweite und 
letzte Rate 104,500 Mk. — Etat der Ju 
stizverwaltung: Zum Erweiterungsbau des 
Gerichts-Gefängnisses in Kiel, Ergänzungs 
rate 9500 Mk. Etat der Bauverwaltung- 
Zum weiteren Ausbau des Buhuensysteins 
auf der Westküste der Insel Sylt, erste 
Rate 100,000 Mk. — Zur Verbesserung 
der Befeuerung der Flensburger Föhrve, 
erste Rate 100,000 Mk. — Zum Neuba» 
einer 123 Meter langen Kaistrecke ai" 
Glückstädter Außerhafen, sowie zur Be 
schaffung und Aufstellung eines feststehende» 
DrehkrahnS für Handbetrieb, 133,500 A 
— Zum Bau voii^ Steindecken und Busch.' 
lahnungen zum Schutze der Deiche anl 
Pellworm als verzinsliches Darlehn uN° 
staatliche Beihülfe, erste Rate 125,000 A 
Der Händler Blank in Altona, welches 
wegen Ermordung seiner früheren 
liebten zum Tode verurtheilt Ivar, ist vo»' 
Könige zu lebenslänglicher Zuchthausstra^ 
begnadigt worden. 
In Altona ist Frau Obcrbürgerineist^ 
Giese im blühenden Alter von 34 Jahr»" 
verstorben. 
X Itzehoe, 22 Jan. Bei der Hohe'^ 
Hörner Fäyre über den 'Nordostsecļaw' 
ereignete sich em Uuglücksfall. Mehre» 
Italiener benutzten die Fähre. Bel de 
8n l 
"richtet 
"len u 
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feiten 
feibtüe: 
tat« G 
fit wer 
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werden 
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drin 
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