Full text: Newspaper volume (1895, Bd. 1)

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->> 88ster Jahrgang. 
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Wo. 10. 
Sonnabend, öen 19 Januar 
1895. 
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Morgen-Depeschen. 
Paris, 18. Ian. Der neue Präsident 
Faure empfing heute Vormittag im Mi 
nisterium zahlreiche Offiziere und die Be 
amten der Marinedepartements. Später 
derfammelten sich die Minister im Elysee, 
»m ihre Demission einzureichen. 
London, 18. Jan. „Standard" hält 
die Wahl Faures für eine glückliche und 
weint, der neue Präsident müsse vor Allem 
das thun, was Perier unterlassen habe, 
uämlich, die Kammer auflösen. „Daily 
Telegraph" bezeichnet die Wahl ebenfalls 
als günstig. 
London, 19. Jan. Gestern Abend 6 
Ühr entstand im Gebäude des Unterrichts 
»tinisteriums Feuer; es wurde bedeutender 
Materialschaden verursacht. Viele Scrip- 
turen sind verbrannt. Die Feuerwehr 
konnte nur das Auswärtige Amt schützen. 
Der Grand wüthet noch fort. 
Graz, 18. Jan. Gestern wurden hier 
zwei angeblich russische Edelleute, sowie 
«n hier wohnhafter Kaufmann Otto Hilde 
brandt verhaftet. Die Ersteren bezeich 
neten den Letzteren als einen aus Ruß- 
land geflüchteten Wechselfälscher, der gar 
uicht Hildebrandt heiße. 
, Rom, 18. Jan. General Baratieri 
iandte ein Telegramm, worin er mittheilt, 
daß er den Rath der Mangassen gefangen 
Uehmen wolle; er sei demselben schon scharf 
Bus der Ferse. Die Italiener erbeuteten 
Bitt 15. Januar 800 Pfeide, 4000 Ge 
wehre, bedeutende Munitionsvorräthe vnd 
"iele Fahnen. 
Athen, 19. Jan. Bor den Gebäuden 
bkr Kammern, die von Truppen bewacht 
werden, fand am Donnerstag eine Protest 
Undgebung gegen die neuen 
Steuern statt. Es kam zu einem 
Handgemenge, 4 Personen ivurden 
verhaftet. 
^ Wien, 19. Jan. Unweit der Station 
Simmering erfolgte heute Morgen ein 
Zusammenstoß zwischen der Maschine des 
^rient-Expreßzuges und einer Güterzug- 
Mkomotive. Beide Maschinen wurden 
hark beschädigt. Verletzungen von Per- 
ş°nen kamen nicht vor. 
Budapest, 19. Jan. Ein Rechnungs- 
Beamter, Namens Cziko, wurde verhaftet, 
weil er auf ein gefälschtes Post-Sparkassen- 
vuch 800 Gulden erhoben hatte. Das- 
wlbe Betrugsmanöver soll er bereits mehrere 
Male ausgeführt haben. 
Berlin, 19. Jan. Eine gestern Abend 
vom Deutschen Antisemitenbund ein- 
berufene Volksversammlung beschäftigte sich 
mit der Umsturzvorlage. Referent Dr 
Böckel sprach sein Bedauern aus, daß Ab- 
geordneter Liebermann v. Sonnenberg sich 
im Reichstage nicht strikte gegen die Um 
sturzvorlage erklärt habe; desgleichen be 
dauere er, daß Abgeordneter Liebermann 
v. Sonnenberg in die Kommission zur Be 
rathung der Vorlage gewählt worden sei. 
Die Vorlage sei ein Attentat des Groß- 
kapitalismus auf die Freiheit des deutschen 
Volkes, sie sei geschaffen zum Schutze des 
Geldsackes. Schließlich wurde eine Reso 
lution angenommen, in welcher sich die 
Versammlung mit aller Entschiedenheit 
gegen die Umsturzvorlage ausspricht. 
Berlin, 19. Jan. Heute Mittag hat 
in der Brauerei Friedrichshain eine etwa 
von 2000 Personen besuchte Versammlung 
von Arbeitslosen stattgefunden. In den 
naheliegenden Straßen waren zahlreiche 
Schutzleute anwesend, um etwaige Aus 
schreitungen sofort zu unterdrücken. Reichs 
lagsabgeordneter Förster-Hamburg sprach 
über Ursachen und Wirkungen der Ar- 
beitslosigkeit und führte aus, es liege im 
Interesse der Gesellschaft, Abhilfe zu schaffen, 
da sonst die Massen nicht gutwillig ver 
hungern würden. Redner empfahl, an den 
Magistrat eine Deputation zu senden, 
welche um Angriffnahme von Nothstands- 
arbeiu-n bitten solle. Einige Redner wider 
sprachen dem. Hierauf ergriff das Wort 
der Anarchist Pezypille. Derselbe schlug 
vor, einen Aufzug durch die Stadt zu 
machen, damit der Bourgeoisie das Elend 
vor Augen geführt werde. Redner betonte, 
er werde gewiß nicht verhunzen, denn er 
werde nehmen, wo er etwas finde! Hier 
auf wurde aus der Versammlung gerufen, 
Redner sei .ein Spitzel. Große Unruhe 
enlstanv. Von dem Absenden einer Depu 
tation an den Magistrat wurde Abstand 
genommen. Eine Resolution, daß die Ar 
beitslosigkeit die natürliche Folge der 
kapitalistischen Gesellschaftsordnung sei, die 
nur durch eine sozialistische Gesellschafts- 
Ordnung beseitigt werden könne, gelangte 
zur Annahme. Die Versammlung ging 
sodann ruhig auseinander. — In Kellers 
Festsälen fand ebenfalls eine zahlreich be- 
suchte Arbeitslosenversammlung statt, in 
welcher der Abgeordnete Vogtherr sprach. 
Berlin, 19. Jan. Das Staatsministeri- 
nm trat heute Nachmittag zwei Uhr im 
Reichstage zu einer Sitzung zusammen. 
Feìiŗ Faure. 
Versailles, 17. Jan. Der neue Prä 
sident der französischen Republik, Felix 
Faure, feiert in den letzten Tagen dieses 
Monats seinen vierundfünfzigsten Geburts 
tag. Er ist ein Selfmademan und hat 
als junger Mann lange in den Gerbe 
reien der Touraine gearbeitet. Heute 
ist er ein sehr reicher Mann, Chef eines 
großen Handlungshauses und einer Schiffs 
rhederei in Havre. In Havre war er 
während des deutsch-französischen Krieges 
Kommandant der Mobilgarde. Damals 
ward ihm das Kreuz der Ehrenlegion zu 
getheilt. 
Unter dem reaktionären Ministerium 
Broglie wurde er von seinem Posten als 
Maire-Adjunkt in Havre, den er inne 
hatte, abgerufen. Er widmete sich nun der 
Politik. 1876 kandidirte er zum ersten 
Mal. Aber erst im Jahre 1881 wählten 
ihn die Republikaner. Seither gehörte er 
ohne Unterlaß dem Parlament an und 
hatte einen großen Einfluß auf die Reform 
des Eisenbahntarifs. Er arbeitete viel in 
Kommissionen, war mehrmals Untersekretär 
der Kolonien, im Käbinet Dupuy ward 
ihm das Portefeuille der Marine zu Theil. 
Man erinnert sich, daß er am 8. Januar 
noch als Mitglied des Kabinets den Re 
publikanern als der einzige Mann erschien, 
der in der Wahl um das Kammerpräsidium 
Brisson entgegenzustellen wäre. Damals 
refüsirte er und heute hat er im Ringen 
um den höchsten Staatskosten Brisson ge 
schlagen. 
Felix Faure ist eine hohe, magere Er- 
scheinung, schon lveißhaarig, mit einem 
kleinen weißen Schnurrbart. Er kleidet sich 
inodern, und man sah ihn in der Kammer 
stets in elegantem Rock und Gamaschen. 
Er ist nahe verwandt mit dem höchsten 
Beamten des Kongostaates, und diese Ver 
wandtschaft soll der französischen Republik 
wie dem Kongostaat schon über manche 
Schwierigkeit hinweggeholfen haben. Einen 
hervorragenden Ruf als Redner hatte er 
in der Kammer nicht und zählte üben aupt 
bisher nicht zu den markanteren Politischen 
Persönlichkeiten der dritten Republik. Er 
ist verheirathet, hat Kinder und macht in 
Paris ein schönes Haus. 
Faure wurde mit 435 Stimmen, also 
niit einer Mehrheit von 72 Stimmen ge 
wählt. Aber die Frage drängt sich auf; 
Wie lange wird er sich vor der stetig wach 
senden Hochfluth der mit dem Radikalis 
mus verbündeten Sozialdemokratie zu halten 
vermögen? 
Jedenfalls ist die Wahl Faure's weit 
glücklicher als es die von Brisson gewesen 
wäre, dem, wenn man auch gänzlich von 
seiner politischen Haltung absieht, die 
Eigenschaften zur Ausfüllung des höchsten 
Staatsamtes bei der Unduldsamkeit seines 
Charakters durchaus fehlen. Daß auch in 
Frankreich der Eindruck des Wahlergeb- 
nisfes, abgesehen von den extremen Kreisen 
sich als ein günstiger erweisen wird, dafür 
bürgt am meisten die unbezweifelte Ehren 
haftigkeit des Charakters von Felix Faure, 
ein Moment, daß j« auch bei der Wahl 
Sadi Carnots ausschlaggebend war. Einen 
guten Eindruck dürften auch die Worte 
machen, welche der neue Präsident auf die 
Glückwünsche der Präsidenten der De- 
putirtenkammer und des Senats erwiderte. 
Er bezeichnete darin als sein Hauptbe 
streben die Wahrung der Unparteilichkeit 
und richtete in dieser Hinsicht einen Appell 
an die Mitwirkung aller Vertreter der re 
publikanischen Ansichten. Diese Worte 
haben allerdings kaum die Bedeutung eines 
Programms, zeigen aber doch, daß der 
neue Präsident gewillt ist, jedem sein Recht 
zukommen zu lassen. 
Felix Faure galt auch bisher stets als 
ein gegen andere Meinungen sehr rücksichts 
voller Politiker und war deshalb im 
Ministerium Dupuy am wenigsten ange 
feindet. Auch ein ernsthaftes Eingehen 
auf Forderungen von sozialistischer Seite 
hat er in einer Programmrede von 1893 
ausgesprochen, sofern es sich um wirklich 
ernsthafte Verbesserungen handle; jedoch 
ebenso entschieden wies er damals ver 
brecherische Hetzereien, Unterdrückung und 
Gewalt zurück. 
Außereuropäische Gebiete 
Shanghai, 18. Januar. Die „Central 
News" melden: General Nodzu und 
Marschall Ojama befinden sich in H a i t- 
ş ch i n g. Dort findet K r i e g s r a t h 
über die vorzunehmenden Operationen statt. 
Die Chinesen haben um Nütschwang herum 
eine derartige Streitkraft gesammelt, daß 
eine unverzügliche Bewegung gegen sie ge- 
beten erscheint. Die Chinesen verfügen 
über 34 Bataillone mit 28 Feldgesck ützen 
und Gatlingkanonen bei Aen-Kow. Diese 
Streitmacht steht unter dem Commando 
von vier Generalen, nämlich Shi, Schang, 
Tso und Ko. 6000 Chinesen rücken süd 
westlich von To-Long-Sai heran. Ein 
ferneres chinesisches Corps von 2000 Mann 
mit 5 Geschützen marschirt auf Hu-Jo- 
Schang. In der Nähe dieses Ortes be 
findet sich außerdem eine chinesische Brigade 
von 4000 Mann. Die Chinesen sind ver 
muthlich gegen die Schwierigkeiten geschützt, 
die die rauhe Witterung den Bewegungen 
der Japaner bereitet. 
Auckland, 18. Januar. Die Fidschi- 
Inseln wurden von einem furchtbaren 
Orkan heimgesucht, durch den großer 
Schaden zu Lande und zur See angerichtet 
wurde. Die Schiffe haben schwer gelitten. 
Man glaubt, daß viele Menschen umge 
kommen sind. Das Schiff „Ophir" ist 
mit 700 Tonnen Copra auf einem Riff 
bei Leonka gescheitert. Ein unbekannter 
Schooner ist bei der Insel Taviuni ge 
scheitert. Man befürchtet, daß alle Per 
sonen, die sich an Bord befanden, ertrun 
ken sind. 
Frankreich. 
Versailles, 17. Jan. Als der Präsi 
dent die Wahlziffer Faure's proklamirte, 
sprangen die Sozialisten wüthend auf, 
ballten die Fäuste und schrieen minutenlang: 
„Nieder mit Faure!" Die Stimme des 
Präsidenten, der Faure zum Präsidenten 
der Republik proklamirt, wird vom Tu 
mult übertönt. Das Centeum beantwortet 
das Geschrei der Sozialisten durch Beifall 
klatschen. Die Sozialisten geberden sich 
Ivie rasend und schreien; „Nieder e 
Reaktion;" Einer ruft: „Es lebe Brisson", 
ivas das Signal wird zu einer stürmischen 
Ovation der Sozialisten und Radikalen für 
Brisson, der, vom Beifall umtost, still 
sitzen bleibt. Bau dry d'Asson besteigt 
die Tribüne, parlamentirt mit dem Prä 
sidenten und hält eine kurze Rede, in dev 
er beantragt, die Präsidentschaft der Re 
publik aufzuheben. Die Sozialisten applau- 
diren und rufen; „Es lebe der König 
von Belgien!" Der Sozialist Viviani 
bringt Namens der Wähler Mirmans uno 
Gerault-Richards einen Protest dagegen 
ein, daß man sie an der Ausübung ihres 
Wahlrechts verhindert habe. Er protestirt 
Namens seiner sozialistischen Freunde gegen 
die Manöver, welche die Wahl Faure's 
herbeigeführt haben. (Tumult im Centrum; 
Beifall der Sozialisten) Die Sozialisten 
Toussaint und Michelin verlangen die 
Verfassungsrevision. Michelin protestirt 
gegen das herrschende politische Bastard- 
system. Der Präsident Challemel- 
tileus., 
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Mti Herzt». 
Preisgekrönte Erzählung von Conrad Telmann. 
. Der Direktor hatte seine Privatwohnnng 
Hintcrhausc des mächtigen Gebüude- 
^niplcxcs, welcher durch die ausgedehnten 
^eschöftslokalitätcn der Gesellschaft in Anspruch 
genommen wurde. An die Rückseite derselben 
Moß sich ein Garten, welcher sich bis zu 
städtischen Anlagen hinzog, die jetzt ms 
"ein Platze der ehemaligen Fcstungswälle und 
Gräben den Ort wie ein grüner, blühender 
'aasen umschlossen. 
Als Georg den Thorweg des Vordcr- 
^bäudcs durchschritt, strömten gerade die 
.^chaaren der Arbeiter und Arbeiterinnen aus 
Druckerei und Buchbinderei ins Freie, 
war Mittagspause. _ Lauteres, munteres 
^triebe erfüllten die Korridore; die Maschinen 
Mn rastloses Geklapper und Gcschnurre 
Mt bis hierher herausscholl, waren in 
Stillstand versetzt. Als Georg in den Hof 
?Bbog, hörte er sich angerufen und erblickte, 
umwendend, den ihm bekannten Leiter 
^ Druckerei, einen alten, jovialen Weißbart, 
11 ihn mit freundlicher Vertraulichkeit begrüßte, 
k „Gewiß zum Herrn Direktor?" fragte er, 
Hut in der Hand. „Nun, der wird in 
%i Minuten zur Stelle sein. Schließt 
^lade nur noch oben die Korrespondenz ab. 
L .fl' einstweilen treffen sic das gnädige 
Mulen im Garten. Darf ich Sie führen. 
M Rechtsanwalt?" 
, Georg hatte, gleichfalls den Hut ziehend, 
.Ņîanne die Hand geschüttelt, machte 
W letzt eine Bewegung, als ob er zurück 
tu wollte. 
"^ch weiß nicht," sagte er unsicher, „ich 
möchte nicht das gnädige Fräulein — es ist 
diesmal eine rein geschäftliche, vertrauliche 
Angelegenheit, die mich herführt." 
Der Alte hatte ein etwas ungläubiges 
Lächeln auf den Lippen, als er erwiderte: 
„Außerhalb der Gcschäftsstunden finden 
Sic den Herrn Direktor niemals besser gelaunt, 
als in Gegenwart des gnädigen Fräuleins, 
Herr Rechtsanwalt. Das könnten Sie auch 
schon wissen. Im Interesse Ihrer Sache ist 
cs also dringend zu empfehlen, ihn dort zu 
erwarten. Da sagt er zu allem Ja und 
Amen." 
Der Sprecher lachte behaglich hinterdrein. 
Georg war ihm halb wieder seinen Willen 
gefolgt, und sie betraten nun Beide den weit- 
gedehnten Garten, der sich an das Rnckgcbäude 
anschloß und dessen Wipfelmeer eben jetzt 
von einem zarten lichten Schimmer über 
spannen war. Ilcbcrall sproßten die Frühlings 
blumen auf den Rasenplätzen und an den 
Wegrändern, die Sonne wob ein gleißendes 
Strahlennetz über der blühenden Wildniß, die 
hier wie von der Welt abgeschieden dalag, 
und nur jubilirende Vogelstimmen im Gezweige 
durchbrachen die anmuthige Stille. 
Der Alte hatte Georg auf einem der mit 
Kies bestreuten Schlängelwegc bis zu einem 
von einer mächtigen Eiche beschatteten Ruhe- 
. tz geführt, der, etwas erhöht gelegen, 
elnen freien Blick auf die Bastcianlagen ge 
währte, hinter deren Bäumen die Thürme 
der Stadt und die Masten der Schiffe sicht 
bar wurden, die den Strom hinauf- und 
hinabzogen. Es war ein reizvoller Platz, 
der in seiner versteckten Einsamkeit doch wie 
im engen Zusammenhang mit dem regen 
Getriebe des Lebens stand, ohne daß es 
hierauf brandete oder lärmte. In den alten 
Fcstungsgräben blühten die Kirschbäume, 
man blickte wie über ein weißes, leise im 
Wind wogendes Meer darüber hin. 
Von der Bank unter der Linde hatte sich 
ein junges Mädchen erhoben, als die beiden 
Männer zwischen den Bäumen hervortraten. 
Sic war in Heller Kleidung und ihr gold 
braunes, welliges Haar wurde von einem 
brcitkrämpigen Strohhut überdeckt, unter dem 
das feine Oval ihres blaffen, stillen Gesichtes 
hervortrat, in welchem die dunklen, sinnenden 
Augen fast zu groß erschienen. Ueber ihrer 
eher zierlich und biegsam, als schlank zu 
nennenden Gestalt lag etwas Fremdartiges, 
das man nicht leicht hätte in Worte fassen 
können, das aber unverkennbar sofort hervor 
trat und dem eigenartigen Zauber, den 
dieie zarte mädchenhafte Erscheinung ausübte, 
noch erhöhte. Sie kam mit raschen, leichten 
Schritten den Männern entgegen, von denen 
der Alte mit einer halb ehrerbietigen, halb 
vertraulichen Verbeugung eben wieder zurück 
trat. 
„Ich habe den Herrn Rechtsanwalt nur 
den Weg gewiesen," sagte er, drückte Georg 
die Hand und ging. 
„Herr Winkler sagte mir, daß ich Ihren 
Herrn Vater in wenigen Minuten hier würde 
prechen können, gnädiges Fräulein," sagt 
Georg befangen. 
„Das ist auch wirklich so," sagte sie 
reundlich, ihm die kleine schmale Hand 
reichend, „ich erwarte ihn jeden Augenblick. 
Gilt Ihr Besuch nur ihm?" 
„Ich hätte sonst wohl nicht gewagt, heute 
chon wieder —" brachte er verlegen hervor, 
nachdem ich erst gestern — 
,.Oh," machte sie, verwundert den Kopf 
chüttelnd, während ihre großen, fragenden 
Augen auf ihm hafteten, „können denn 
Freunde zu oft oder auch nur oft genug 
kommen? Setzen Sie sich wenigstens so lange 
bis mein Vater da ist, zu mir! Es ist ein 
hübscher Platz, nicht wahr? Man kann da 
allerlei denken und träumen. Es ist, als ob 
man das Leben aus einer gewissen Ferne 
vor sich hätte, und da erscheints uns ge 
wöhnlich reizvoller, als wenn mau so mitten 
drinnen ist i» seinem Staub und Brodcm." 
„Das sollte es aber nicht," sagte er, ohne 
noch ganz seiner Befangenheit Herr werden 
zu können. „Ich meine, wenn man ihm so 
recht ehrlich grad in die Augen sieht, dann 
erfährt man erst, wie schön und wie reich 
es doch im Grunde ist. Blos wenn man 
oberflächlich hinsieht, stößt es uns manchmal ab." 
Er hatte neben ihr, ihrer Einladung folgend, 
Platz genommmen und blickte, den Hut auf 
seinen Knieen, über das schimmernde Blüthen- 
meer in die duftumsponnene Weite hinaus. 
„Sic meinen," fiel sic ein, die beiden 
Hände lässig im Schooß gefaltet und die 
Stirn leicht darauf herabgcbcugt, „das 
Träumen sei müssig und gefährlich, nicht 
wahr? Weil man nachher an das wirkliche 
Leben mit solchen „geträumten" Ansprüchen 
herantritt, die es dann nicht erfüllt und nicht 
erfüllen kann, und deren Nichterfüllung uns 
doch schmerzt und wohl gar bitter macht und 
ungerecht. Habe ichs errathen?" 
Sie hob die lang bewimperten, glanzvollen 
Augen auf und sah ihn nachdenklich von der 
Seite an. Georg >var unruhig auf seinem 
Platze hin- und hergerückt. 
„Ich finde," sagte er jetzt mit einer gewissen 
Hast, „daß das Leben uns doch recht viele 
und recht schöne Träume erfüllen kann, 
Fräulein Petra." 
Darauf schwieg sie und blickte nur traum 
verloren in die grüne Wildniß hinaus, 
während ihnen zu Häupten jetzt ein Buchfink 
zu schmettern begonnen hatte. 
„Wir müssen nur Geduld haben und 
hoffen, setzte Georg nach einer kleinen Weile 
hinzu. „Und dafür ist der Frühling ja recht 
geeignet, daß er uns hoffen lehrt. Wenn 
man sieht, wie alles rundum auf Erden dem 
neuen Leben entgegenblüht und entgcgen- 
jubilirt, schämt man sich ja seines Klcin- 
muihs und wird muthig und freudig, daß 
man sich gar nicht mehr wundern würde, 
wenn uns ein großes Glück plötzlich in den 
Schooß fiele. Freilich sollte es uns auch 
wieder eine zudringliche Mahnung sein, uns 
dessen würdig zu zeigen, damit cs uns nach 
her nicht gar zu unverdient trifft und gar 
zu beschämt macht." 
Er hielt, über sich selbst erstaunt, inne 
und sah sie an. Da gewahrte er, daß ihr 
ein seltsam müdes Lächeln um die Lippen 
ging. „Was Sic für ein Optimist sind, 
Herr Hcrbing!" sagte Petra mit aufrichtiger 
Verwunderung. „Solche Leute, wie Sic, 
ind heutzutage selten geworden. Freilich,' 
das ist ja ein Kompliment, wenn man 
Jemandem sagen darf, daß er nicht so ist, 
wie alle Welt. And im Grunde haben Sie 
ja auch wohl recht. Nur ist das alles 
Temperamentssache, glaube ich, denn man 
kann sich zum Hoffen doch nicht zwingen, 
das muß von selber kommen, wie alle 
himmlische Gnadcngüter sonst und wie das 
Glück auch. Und dann Übersicht cs eben der 
eine leichter als der andere, wenn seine 
Träume und Hoffnungen sich nicht erfüllen. 
Aber es giebt Menschen — und ich glaube, 
man darf sic nicht anklagen oder verdammen
	        
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