Full text: Newspaper volume (1895, Bd. 1)

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für Auswärtige, durch die Post bezogen 
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147. 
Arltrllrs und grlrsenllrs Dlatt im Kreise Rendsburg. 
Anzeigen für die Tagesnmmner werden bis 12 Uhr Mittags erbeten. 
-D°> 88ster Jahrgang, ch^- 
Donnerstag, öen 27. Juni 
Bei Betriebsstörungen 
irgend welcher Art ist die regelmäßige Lieferung 
dieses Blattes vorbehalten. 
Als Beilagen 
werden dem Blatt „Der Landwirth" sowie das 
Blatt „Mode und Heini" gratis beigegeben. 
3000 Abonnenten. 
1895. 
Morgen-Depeschen 
Hamburg, 26. Juni. Vor dem hiesigen 
Schwurgericht begann heute die voraus- 
sichtlich 3 Tage in Anspruch nehmende 
Verhandlung gegen die Banknotenfälscher 
Thies, Gronemeyer, Geņtsch und Genossen, 
welche 1893—94 tausende von 5 Pfund- 
nnd 5 Dollar-Noten angefertigt und zum 
großen Theil nach Amerika und Australien 
zur Verausgabung geschickt hatten. 
Mailand, 26. Juni. Seit zwei Stunden 
steht die große Kuppel der 1847 im 
prächtigen Renaissancestile erbauten San 
Carlo Kirche auf dem Corso „Victor 
Emanuel" in Brand. Man hofft, dank 
der starken Untermauerung der Kuppel, 
die Kirche zu retten. 
Petersburg, 26. Juni. Ein Peters 
burger Drahtbericht der „Köln. Ztg." 
meldet: Während wir aus vorzüglicher 
Quelle wissen, daß die Beziehungen Deutsche 
lands zu Frankreich und Rußland die aller, 
besten sind, ivird plötzlich in den leitenden 
russischen Finanzkreisen eine Verstimmung 
über Deutschland, sowie eine stark gereizte 
Stimmung gegen England bemerkbar. Letz- 
teres habe China gegenüber Rußland zu 
der Erklärung bewogen, Laß die aus rnssi- 
scher Seite gemachten Anleihevorschläge in 
der jetzigen Gestalt von China nicht" an- 
genommen werden können, vielmehr zuvor 
Aenderungen unterzogen werden müßten 
Ebenso soll China vor dem bereits gemach 
ten Zugeständniß zuni Bau der Südlinie 
der Sibirischen Bahn zurückschrecken. Die 
russische Finanzlcitung erblicke hierin den 
Einfluß Englands, dessen Einsprache Deutsch 
land unterstütze. Trotzdem hofft man die 
Schwierigkeiten zu überwinden und den 
endgiltigen Abschluß der Anleihe in 2 bis 
L Wochen zu bewerkstelligen. Französische 
Baiikvcrtreter sind wegen der Verzögerung 
nach Moskau gefahren. 
WMskaà 
Außereuropäische Ģebiete. 
Newhork, 20. Juni. Die amerikanischen 
Millionäre scheinen einander neuerdings 
in der Entfaltung unerhörten Glanzes bei 
Hochzeitsfeierlichkeiten überbieten zu 
wollen. Als kürzlich die Vermählung von- 
Jay Goulds Tochter mit dem französischen 
Grasen von Castellane unter märchen 
haftem Pomp stattgefunden hatte, konnte 
man glauben, der Gipfel geldprotzender 
Großthuerei sei damit erreicht gewesen. 
Repräsentiren doch die dem jungen Paare 
dargebrachten Hochzeitsgeschenke einen Werth 
von 400000 Dollars. Noch sind nicht 
zwei Monate seit diesem „Ereigniß" ver 
flossen, und schon ist dasselbe durch ein 
ähnliches weit in den Schatten gestellt 
worden. Am 6. Juni fand auf dem Land 
sitze des Newyorker Millionärs William 
Douglas Sloane (dessen Gattin eine Doch- 
ter des 1885 mit Hinterlassung von zwei 
hundert Millionen Dollars verstorben Wm. 
H. Vanderbilt ist) in Lenox, Mass., die 
Vermählung von dessen Tochter Adele mit 
Herrn James Abercrombie Burden jun. 
von Droh statt. Letzterer ist auch keiner 
von den „Enterbten", da sein Jahresein 
kommen aus Fabriken und Grundbesitz 
aus eine Million Dollars geschätzt wird. 
Die zur Hochzeitsfeier geladenen, den 
reichsten Newyorker und Bostoner Familien 
angehörigen Gäste wurden in drei Sonder- 
zögen, die ausschließlich aus Palastwagen 
bestanden, nach Lenox gefahren. Auf jedem 
Zuge befand sich ein Musikkorps. Am 
Bahnhöfe in Lenox waren 80 Herrschaft 
liche Wagen aufgestellt, welche die Hoch 
zeitsgäste nach dem Palais des Braut 
voters brachten. Bon dort ging es zu 
der in einen prachtvollen Blumengarten 
umgewandelten Kirche, wo die Trauung 
vollzogen wurde, und von dort zurück nach 
dem Hause der Brauteltern, wo der Gäste 
ein über alle Maßen reiches Hochzeitsmahl 
wartete, welches durch musikalische Bor- 
träge eine zusätzliche Würze erhielt. Dann 
folgte ein glänzender Ball, und schließlich 
wurden die Hvchzeitsgäste ans Sonderzügen 
nach Newhork und Boston zurückbefördert. 
Der Werth der Hochzeitsgeschenke betrug 
700000 Doll. Der kürzlich von seiner 
Gattin geschiedene William K. Vanderbilt, 
ein Onkel der Braut, hatte ein Diamanten- 
Halsband im Werthe von 50000 Doll, 
beigesteuert. Die Ausstattung der Braut 
kostete 60000 Doll. Nach mäßiger 
Schätzung hat die Hochzeit, die Geschenke 
natürlich eingeschlossen, einen Kostenauf. 
wand von mindestens einer Million Dollars 
gefordert. 
Eine neue Brandstisterbande ist in 
Washington verhaftet worden. Unter den 
12 Verhafteten befinden sich Agenten von 
verschiedenen Feuerversicherungs-Ge- 
ellschäften und mehrere Schutzleute. 
Die Bande soll nicht weniger als 75 
Häuser in Brand gesteckt und dadurch 
einen Eigenthumsschaden von einer Million 
Dollar verursacht haben. 
Italien. 
Rom, 25. Juni. Die gestrige große 
Kammerscene ist ohne weiteren Skandal 
vorübergegangen, hat auch äußerlich mit 
einem Erfolg Crispis geendet. Wer aber 
tiefer sieht, bemerkt, daß dieser Erfolg 
lediglich von dem Wunsche der Kammer 
mehrheit diktirt war, aus dem Parlament 
keine Arena für öffentliche Kämpfe und 
Skandale zu machen. Sie drückte also, 
wie man sagt, ein Auge zu, wo möglich 
beide Augen. — Es ist nach dem lang er 
warteten Exposö Cavalottis unzweifelhaft, 
das Crispi von Cornelius Herz durch Ver 
Mittelung Rainach (die bekannten Sumpf 
pflanzen des Panamaskandals in Frankreich) 
50 000 Lire erhalten hat, um ihm das 
Großkreuz des Mauritiusorden zu ver 
schaffen. Es sind noch weitere Unsauber 
feiten des italienischen Ministerpräsidenten 
aufgedeckt worden, die ihn arg compromit- 
tiren und endlich ist erwiesen, daß der in 
ewiger Geldverlegenheit lebende Minister- 
Präsident Crispi schon im Jahre 1845 für 
Geld Aemter am bourbonischen Hofe ver- 
schafft hat. Es wäre für Italien vielleicht 
besser gewesen, wenn diese Geschichten nie 
an's Tageslicht gekommen wären, indeß 
werden sie, jetzt zwar vertuscht und ver 
graben, in Italien früher oder später die 
bedeutendsten politischen Folgen unzweisel- 
haft nach sich ziehen, denn das moralische 
Recht des Gewissens läßt sich zwar beugen 
aber nie brechen. 
Frankreich 
Paris, 26. Juni. Der Correspondent 
des „G a u l o i s" behauptet, vor seiner 
Abreise von Kiel eine Unterredung mit- 
einem der Chefs der deutschen Marine ge 
habt zu haben, dessen Namen er verschweigt 
Derselbe habe ihm mitgetheilt, daß in Er 
widerung des Besuchs des sranzöstschen 
Geschwaders die deutschen Schiffe „Bayern" 
und „Brandenburg" unter dem Conimando 
des Admirals Knorr oder des Viceadmirals 
v. Reiche sich nächstes Jahr nach Brest 
begäben und daß der Chef des Geschwaders 
dem Präsidenten Faure ein Handschreiben 
des Kaisers Wilhelm und den Schwarzen 
Adlerorden überbringen würde. 
Paris, 22. Juni. Die Blätter berichten 
von einer Erbschlcicherei durch Hyp 
notismus. Eine alte Rentnerin, die 
Wittwe Guindraud, hatte in ihrem 
Testament eine Summe von 300,000 Frcs. 
dem magnetisirenden Ehepaare I o u v e 
vermacht. Die natürlichen Erben der 
Frau Guindraud griffen die Gültigkeit 
3) 
An to MiŞrM'te. 
Roman von Reinhold Ortmann. 
dieses Testaments an, indem sie behaup 
teten, die alte Dame sei von den Jouves 
auf magnetischem Wege hypnotisirt worden. 
Aber das Civilgericht von Lyon erklärte 
das Testament mit folgender Begründung 
für gültig: „Die wissenschaftliche Theorie 
der Hypnose kann aus das Gewissen der 
Richter verwirrend wirken, aber sie hat 
noch nicht den wissenschaftlich unanfecht 
baren Charakter erhalten, der gestatten 
würde, dieselbe zur Grundlage einer rich 
terlichen Entscheidung zu machen." Die 
Erben haben gegen dieses Urtheil Bern- 
sung eingelegt. 
Kußland. 
Petersburg, 26. Juni. In russischen 
Finanzkreisen, die an der chinesische An- 
leihe betheiligt sind, herrscht, wie die 
„Voss. Ztg." aus St. Petersburg, den 24. 
Juni, meldet, große Aufregung, die ihre 
Quelle zweifellos im Finanzministerium 
hat. Es wird nun nicht mehr verheim 
licht, daß der Abschluß der Anleihe durch 
formale Schwierigkeiten behindert wird. 
Die chinesische Verwaltung verweigert ihre 
Zustimmung zu dem Bau einer Bahn von 
der sibirischen Bahn nach dem Hafen 
Nütschwang in der Mandschurei. 
Dänemark. 
Kopenhagen, 26. Juni. Die fremden 
Journalisten segelten gestern Nach 
mittag 5'/2 Uhr nach dem Badeort Skods- 
borg ab. Am Hafen hatte sich eine zahl 
lose Menschenmenge eingesunden, die un 
endliche Hurrahrufe ausbrachte. Die Küste 
war überall mit Flaggen geschmückt, hier 
und da wurde Kanonensalut abgegeben. 
Bei der Ankunft hieß der Präsident des 
hiesigen Journalistenvereins, Chefredakteur 
Carstensen, die Gäste willkommen und 
toastete auf die Souveräne der anwesenden 
Gäste. Der Amtmann und frühere 
Redakteur Kammerherr Bille hielt die 
Festrede, in der er hervorhob, daß der 
Freihafen nur friedlichen Zwecken und 
commerciellen Interessen diene. Von der 
Presse, deren Aufgabe es ist, leitend aus- 
zuklären, erwarten wir keine Schmeichelei, 
sondern nur die Wahrheit. Er toastete 
auf die Vertreter der fremden Presse und 
deren glückliche Reise. Von den fremden 
Journalisten redete außer anderen Niepa- 
Kiel. Nach dem Diener defilirte ein groß 
artiger Radfahrerzug, aus 1500 Theil- 
nehmern bestehend, auf mit Flaggen und 
Blumen geschmückten Maschinen. Um 11 
Uhr erfolgte die Rückkehr nach Kopenhagen, 
wo die Gäste enthusiastisch begrüßt wurden. 
Ein großes Feuerwerk wurde abgebrannt. 
Ein Boot mit sieben Insassen ist im 
Häfen von Roskilde auf Seeland ge 
kentert. Drei Mädchen und ein Mann 
ertranken. Drei Mann wurden gerettet. 
England. 
Der „Adelaide Observer" berechnet die 
Menge der während der Saison von 1895 
zur Verschiffung nach England gelangenden 
Aepfel aus Tasmanien auf ungefähr 
150,000 Kisten. Die Regierung garantirt 
die Fracht für 30,000 Kisten, 'doch wird 
der Rest auf Grund privater Arrange 
ments zur Versendung gelangen. Das 
Obst wird vor dem Export einer Quali- 
tätscontrole unterzogen und die Inspection 
weist minderwerthige Waare zurück, und 
zwar wird für die meisten Sorten ein 
Durchmesser von 2'/ 2 Inches gefordert. 
London, 26 Juni. Die „Times" 
melden aus Tientsin: Es laufen be- 
unruhigende Gerüchte um, wonach die 
Japaner die Grenze der Halbinsel Liaotong 
befestigen. 
Schweiz. 
Gens, 24. Juni. Gestern Abend sind 
elf Strebepfeiler sammt Dachstuhl des 
K u n st g e b ä u d e s der Landesausstellung 
eingestürzt. Ein Arbeiter wurde schwer 
verletzt, die übrigen konnten sich rechtzeitig 
retten. Ein grober Konstruktionsfehler soll 
die Schuld des Unglücks sein, doch hoffen 
die Unternehmer das Gebäude, dessen 
rechter Flügel ganz neu gebaut werden 
muß, doch noch rechtzeitig fertig stellen zu 
können. 
Inland. 
— Die Meldung einiger Blätter, daß 
der Kaiser am 28. d. Mts. nach Berlin 
geht und am 1. Juli Hierselbst zurückkehrt, 
beruht auf Erfindung. Der Kaiser bleibt 
bis zur Abreise der Kaiserin in Kiel. 
— Die Kaiserin befindet sich heute 
sehr wohl und hofft, am Montag oder 
Dienstag nach dem neuen Palais in' Pots- 
dam übersiedeln zu können. 
— Die „Kreuzztg." will aus zuver- 
lässiger Quelle wissen, daß die große 
Herbst parade am 2. September statt- 
findet. 
Berlin, 26. Juni. Obgleich endgültige 
Meldungen über die r u s si s ch - ch i n e si sch e 
Anleihe bisher nicht vorliegen, herrscht 
in unterrichteten Kreisen die Annahme, 
daß das Anleiheprojekt nicht zur Aus 
führung kommen werde. 
II. 
Die neue Oper des berühmten italienischen 
Komponisten hatte einen glänzenden, stürmischen 
Erfolg davon getragen, und das begeisterte 
Publikum war nicht müde geworden, die 
Darstellerin der weiblichen Hauptrolle immer 
wieder von neuem vor die Gardine zu rufen. 
Nie hatte oulia Lehndorf eine» so bedeut 
samen Sieg errungen als an diesem Abend, 
wo der Telegraph zugleich mit der Nachricht 
über die beifällige Aufnahnie der Oper die 
Kunde ihres Triumphes in alle Winde 
hinaustragen mußte. Und niemals auch war 
sie von so blendender Schönheit, von so 
hinreißendem Feuer gewesen, nie hatte sie 
ihre Stimme so leicht und sicher beherrscht 
als an diesem Abend. Es gab wohl kaum 
einen einzigen im Zuschaucrraum, der nicht 
entzückt und berauscht gewesen wäre von der 
Pracht ihrer Erscheinung wie von ihrem 
leidenschaftlichen Spiel. Die Enthusiasten 
schrien sich heiser und klatschten sich fast 
die Hände wund, nur um sie noch einmal 
mit ihrem holden Dankeslächeln an die 
Rampe treten zu sehen, und erst als rasselnd 
der eiserne Vorhang niederfiel, leerte sich lang 
sam das Haus. 
Leopold Kronert hatte in der letzten Par- 
guetreihe gesessen, halb versteckt hinter einer 
der dicken Säulen, welche die Logen des ersten 
Ranges stützten. Wenige Minuten vor dem 
Beginn der Aufführung erst hatte er sich ent 
schlossen, dennoch in das Theater zu gehen, 
-r würde es für eine gnädige Fügung des 
Schicksals genomnicn haben, wenn" man an 
der Kasse keinen Platz mehr für ihn gehabt 
hätte, und er hatte kaum einen einzigen Ton 
von der herrlichen Ouvertüre vernommen, weil 
er seit dem Augenblick seines Eintritts in 
einer fast fieberhaften Aufregung gewesen war. 
Cinc Bewegung des Staunens, die durch 
das Theater ging, hatte ihm verraten, daß 
Julia auf der Scene erschienen sei; er hatte 
ihre glockenhelle, süß perlende Stimme gehört, 
aber er hatte hinter seiner schützenden 'Säule 
noch Minuten lang die Augen fest geschlossen, 
wie wenn er sich erst mit seiner ganzen Manncs- 
kraft gegen ihren verführerischen Zauber 
wappnen wollte, bevor er den Blick zu ihr 
erhob. Und dann, als er sich doch endlich 
dazu entschlossen hatte — wie waren da all' 
seine tapfere» Vorsätze in nichts zerstoben vor 
der siegenden Allgewalt ihrer Schönheit, die 
>hm jetzt, durch hundert schauspielerische Hülfs 
mittel unterstützt, geradezu übe,irdisch dünkte! 
Von da an hatte er nur noch sie gesehen, 
nur sic allein gehört unter dm vielen Sängern 
und Sängerinnen, welche die Bühne belebten. 
Von der Oper und ihrer Handlung wußte er 
nichts, denn das alles war an ihm vorüber 
gegangen wie an einem Träumenden. Er 
wußte nur, daß das der herrlichste Abend 
seines Lebens gewesen sei und daß er nie mehr 
c,n anderes Weib würde lieben können, nach 
dem er Julia in der ganzen Wunderpracht 
ihrer Reize gesehen. 
Als einer der letzten ging er ans dem Saal, 
die banalen Ausdrücke der Anerkennung, die 
von rechts und links an sein Ohr schlugen, 
verursachten ihm eine namenlos peinliche Em 
pfindung. Er betrachtete diese fremden, gleich 
gültigen Menschen, die sich herausnadmen, 
mit einer gewissen Vertraulichkeit von ihr zu 
sprechen wie von der ersten besten Komödiantin, 
mit dem zornigen Blick der der Eifersucht, 
und er atmete auf, als er endlich draußen 
in der kühlen Nachlluft mit raschen Schritten 
dem Geschwirre widerwärtiger Stimmen ent 
fliehen konnte. 
Das Künftlerpförtchen, von dem ihm 
Julia gestern gesprochen hatte, befand sich 
an der Hinteren Seite des Gebäudes. Er 
sah vor der kleinen Ausgangsthür einen 
geschlossenen Wagen halten und wartete im 
schatten desselben ans ihr Erscheinen. Seine 
brennende Ungeduld wurde auf eine harte 
Probe gestellt, denn fast alle anderen Mit 
wirkenden hatten bereits dicht vermummt das 
Opernhaus verlassen, aber noch immer war 
die, der sein Herz entgegenschlug, auf dem 
schlecht beleuchteten Gange nicht sichtbar 
geworden. Da endlich tauchten in der 
Tiefe desselben zwei weibliche Gestalten auf, 
von denen er die eine, größere, trotz des 
weiten Mantels, der ihre schönen Umriß 
linien halb verbarg, sogleich als diejenige 
Julia's erkannte. Er ging ihr um einige 
Schritte entgegen und ein kleiner Ausruf 
freudiger Ueberraschung kam von ihren Lippen, 
als sie ihn gewahrte. 
„Sic haben also doch Wort gehalten! — 
Wie hübsch das von Ihnen ist! — Ich 
spähte überall ini Zuschaucrraum vergeblich 
nach Ihnen umher, und ich glaubte 'schon, 
daß Ihre Zusage Ihnen wieder leid geworden 
sei. — Aber nun sagen Sie mir auch ganz 
ehrlich: wie habe ich Ihnen gefallen? 
Diesmal zögerte Leopold nicht, ihre von 
einem weichen, schwedischen Handschuh um 
kleidete Rechte wieder und wieder an seine 
Lippen zu pressen. 
„Ach, es kann Ihnen nicht im Ernst 
darum zu thun sein, etwas wie eine Kritik 
von mir zu vernehmen. Was bin ich arm 
seliger neben Ihnen, der herrlichen, gott 
begnadeten Künstlerin! — Nicht um ihre 
Leistung zu beurtheilen, habe ich mich hier 
eingefunden, sondern nur, um Ihnen zu 
danken — aus übervollem Herzen zu danken 
für das Glück dieses Abends!" 
„Nicht doch, mein Freund!" wehrte ft 
bescheiden ab. „Das ist viel mehr, als ich 
verdiene. Ein wenig hatte ich allerdings auf 
Ihre Erkenntlichkeit gerechnet, das will ich 
allerdings nicht leugnen. Denn weil ich 
noch inimer einige Hoffnung hegte, daß Sie 
doch ^irgendwo aus einem versteckten Platze 
im Theater seien, habe ich meine ganze 
Kraft zusammen genommen, um Ihnen zu 
gefallen." 
„Mir?" stotterte er verwirrt, doch mit 
einem Gefühl namenloser Glückseligkeit in, 
Herzen. „O, sie wollen mich verspotten, 
Julia? Was bedeutet Ihnen meine kleine, 
unscheinbare Persönlichkeit neben all den 
Großen, die Ihnen bewundernd zu Füßen 
liegen!" 
Die Sängerin lachte hell auf mit einem 
sinnbcthörendcn, silbernen Kinderlachen, das 
alte Erinnerungen an die unschuldigen 
Freuden ihres ersten Lebensglückes in ihm weckte. 
„Mir scheint, Sie sind trotz Ihrer Recken- 
gestalt und Ihres schönen Bartes noch immer 
ein wenig der alte Phantast geblieben, 
Leopold! — Die Großen der Erde haben 
leider viel Besseres zu thun, als sich jeder 
beliebigen Künstlerin zu Füßen zu legen. 
Und im übrigen kann man sich auch in'der 
Welt des Scheines seine Anhänglichkeit für- 
alte Freunde bewahren." 
„Du wirst Dich in der schneidenden 
Nachtlust erkälten, Julia," mahnte die andere 
Dame, die bis jetzt still und bescheiden zur 
Seite gestanden hatte, und die Sängerin sah 
sich erst durch diese Erinnerung veranlaßt, 
sie mit den: Doktor bekannt zu machen. 
„Meine Tante, Frau Wallbaum, die Wittwe 
des trefflichen Mannes, dem ich meine erste 
künstlerische Ausbildung verdanke. Sie ist 
seit dem Tode des Onkels meine liebe Haus 
genossin. wie sie mir seit langem eine theure 
mütterliche Freundin gewesen ist. — Aber sic 
hat recht ich darf mich meiner Stimme 
wegen nicht länger hier im Freien unterhalten. 
Wenn Sie mir eine Freude machen wollen, 
so begleiten Sie uns noch ein Siückchen da 
in unserm Wagen, da können wir viel besser 
plaudern als auf der zugigen Straße." 
Doktor Kronert weigerte sich nicht, und 
mit Entzücken atmete er den Duft ihres feinen 
Bcilchcnparfüms ein, als er ihr gegenüber in 
der bequemen Equipage saß. Die Tante, eine 
ältliche Person von recht gedrücktem Aussehen, 
war nach der Vorstellung sogleich wieder in 
ihre frühere Schweigsamkeit verfallen, und so 
unterhielten sich die beiden, wie wenn sie ganz 
allein miteinander gewesen wären. Die 
Sängerin war cs, die am meisten und leb 
haftesten sprach. Ob es nun die Nachwirkung 
des eben errungenen großen Erfolges war 
oder die Freude an dem Beisammensein mit 
Leopold, jedenfalls war ihre heitere Liebens 
würdigkeit heule noch ungekünstelter und be 
zaubernder als bei seinem gestrigen Besuch, 
und auch mancher andere an seiner Stelle 
würde wohl gleich ihm gewünscht haben, daß 
diese Fahrt nimmer ein Ende haben möge 
Im Eifer des Gespräches hatte keines von 
den beiden aus das sonderbare, verworrene 
Geräusch geachtet, deni sie seit einigen 
Minuten immer näher An kommen şchimen. 
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