Full text: Newspaper volume (1895, Bd. 1)

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■310. 1. 
Mittwoch, den 2, Şcmuar 
1895. 
Morqen-Dep eschen. 
Stuttgart, 2. Jan. Der „Köln. Ztg." 
wird aus Stuttgart von bester Seite ge 
schrieben, König Wilhelm habe in den 
letzten Tagen bei dem Empfange hoher 
Staatsbeamten die in der Presse zirkulirten 
Gerüchte erwähnt, nach welchen er mit dem 
deutschen Kaiser während der ostpreußischen 
Manöver Meinungsverschiedenheiten gehabt 
haben soll. Der König bezeichnete diese 
Gerüchte vom ersten bis zum letzten Wort 
als erfunden und versicherte, er sei that 
sächlich einen Tag krank gewesen, habe sich 
dann aber, als er sich wohler gefühlt, an 
den militärischen Vorgängen wieder be- 
theiliqt und der Parade beigewohnt. Erst 
bau' sei er nach Hause gereist. Wie weiter 
aus Stuttgart gemeldet wird, habe der 
König den Wunsch ausgesprochen, dieser 
wahre Sachverhalt möge in den weitesten 
Kreisen bekannt werden. 
Berlin, 2. Jan. In einer zahlreich be- 
suchten Versammlung der Berliner Saal- 
oesitzer wurde am Montag-Nachmittag die 
Aufhebung der Saalsperre beschlossen, nach- 
bst Aufhebung des Bierboykotts er 
folgt ist. 
Mailand, 2. Jan. Cavallotti, welcher 
gestern aus Paris hier eintraf, wurde auf 
dem Bahnhof von einer dichtgedrängten 
Menschenmenge mit lebhaften Ovationen 
empfangen. Vielfach erschollen die Rufe: 
„Hoch Cavallotti! Nieder mit Crispi und 
den D'toen!" Vom Fenster seiner Woh 
nung aus, nach welcher ihn die Bolks- 
‘c»tje begleitet hatte, hielt Cavallotti 
eme Ansprache, in welcher er besonders 
der Hoffnung Ausdruck gab, daß Italien, 
welches schon so viele Schlachten gewonnen 
habe, auch jetzt, wo seine Ehre'auf dem 
Spiele stehe, den Sieg davontragen werde. 
Mehrere Personen, welche feindliche Rufe 
negen den König ausgestoßen hatten, wur 
den verhaftet und in Untersuchungshaft 
gebracht. 
London, 2. Jan. Die Polizei erhielt 
einen anarchistischen Drohbrief, in dem an 
gekündigt wird, daß demnächst eins der 
großen Westend-Rcstaurants in die Luft 
gesprengt werden solle. 
Außereuropäische Ģebiete 
Peking, 31 Dec. Die „Central News" 
melden: Lui-kun-ji, der frühere Vice- 
könig von Nanking, ist zum Oberbefehls- 
Haber der gesammten chinesischen Streit- 
kräfte an Stelle von Li-Hung-Tschang und 
Prinz Kong ernannt worden. Die beiden 
letzteren sind vollständig in Ungnade ge 
fallen. Lui-kun-ji hat ein Gesuch an den 
Kaiser gerichtet, in dem er aus Gesund 
heitsrücksichten von seinem Posten entbun 
den zu werden wünscht, das der Kaiser 
jedoch abgelehnt hat. Es wird angenom 
men, daß Lui-kun-ji sich der ihm vom 
Kaiser gestellten Aufgabe nicht gewachsen 
fühlt. 
Aus Waverly (Iowa) wird berichtet: 
Seinen eigenen Selbstmord hat 
der Redakteur einer in Preston (Iowa) er 
scheinenden Zeitung ausführlich und genau 
beschrieben, das Manuskript in der Druckerei 
abgegeben und dann die That der Be 
schreibung gemäß ausgeführt, indem er sich 
vor einen heranbrausenden Zug warf und 
in Stücke reißen ließ. 
New-Aork, 29. Dez. In ver 24. Straße 
ist eine Fabrik durch eine Feuersbrunst 
fast gänzlich zerstört worben; zwei Feuer- 
Wehrleute fanden dabei den Tod. In 
Louisville sind mehrere Handelshäuser ab- 
gebrannt, wodurch ein Schaden von 500 000 
Dollars verursacht wurde. In Toledo 
(Ohio) wurde ein Elevator mit 625 000 
Bushel Weizen durch Feuer vernichtet. 
Der Verlust beträgt 575 000 Dollars. 
Aus Jeffersonville (Indiana) wird be 
richtet: Von einem furchtbaren Schicksal 
ist aus der Waschbärjagd Henry Chastcen, 
ein in der Nähe von Holman, Dearborn 
Co., wohnender Farmer, ereilt worden 
Er hatte sich mit seinem Bruder Barney 
und drei Hunden auf die Jagd begeben; 
die Hunde spürten einen Waschbären ans, 
der auf einem 50 Fuß hohen Baume Zu- 
flucht gesucht hatte. Chasteen erkletterte 
den Baum und hatte den Waschbären bei 
nahe erreicht, als der Ast, auf welchem er 
stand, brach. Der Farmer stürzte auf den 
Boden, und die Hunde, die knurrend auf 
das Wild gelauert hatten, stürzten sich 
auf ihn und rissen den Unglücklichen buch- 
stäblich in Stücke. Barney Chasteen mußte 
zwei der Bestien tobten, ehe die dritte 
losließ. Henry lebte noch, als ihn sein 
Bruder aufhob, allein die Wunden dessel 
ben waren so furchtbar, daß er denselben 
nach wenigen Stunden erlag. 
Irenen. 
Der Stiefbruder des Königs 
von Italien, Graf Enianuel Guerrieri di 
Mirafiori, ist, kaum 43 Jahre alt, in seiner 
Villa Sommariva bei Alba einer Nieren 
entzündung erlegen. Der Graf war der 
Sohn Victor Emanuels und der einst welt 
berühmten, schönen Rosina Vercana, die 
der galante König in Turin kennen gelernt 
und dann zu seiner morganatischen Gattin 
erhoben hatte. Rosina war von Hause 
aus Wäscherin und lebte als Tochter eines 
pensionirten Sergeanten in nichts weniger 
als glänzenden Verhältnissen. Der König 
adelte sie nicht nur, sondern schenkte ihr 
auch in Piemont und Rom große Schlösser, 
wie denn die vor der Porta Pia gelegene, 
von einem majestätischen Park umgebene 
Villa Mirafiori jedem Besucher der ewigen 
Stadt wohlbekannt ist. Graf Emanuel 
Mirafiori war einer der bedeutendsten 
WeiN'Produzeuten Piemonts. 
Reggio di Calabria, 31. Dez. Die 
seismographischen Apparate verzeichneten 
heute Nacht zwei Erdstöße, von denen 
einer besonders heftig war. Eine wisseu- 
schaftliche Commission ist zur Besichtigung 
der durch die Erdbeben beschädigten Ort 
schaften abgegangen. 
Monaco. 
In Monte Carlo erschoß sich am Sonn 
abend Abend das italienische Ehepaar Car- 
lini, nachdem es innerhalb vier Tagen 
260,000 Lire verloren hatte, beim Ein 
gangsthor des Casinos vor den Augen 
zahlreicher Zeugen. 
Frankreich. 
Am Tage vor Weihnachten wurde die 
Gräfin de Maupas aus Schloß Villers 
bei Poitiers durch einen namenlosen Brief 
mit einem P-o mbenan schlag be- 
droht. Die Untersuchung ergab, daß 
der Pfarrer Fuseau, zu dessen Sprengel 
das Schloß gehört, den Bries geschrieben 
hatte. Fuseau ist geständig, will die That 
aber in einem Zustande von „Geistesstörung" 
begangen haben. 
Paris, 31. Dec. Wie verlautet, soll 
den Professoren Behring und Löffler 
wegen ihrer Verdienste um die Serum- 
Heilmethode das Comniandeurkreuz der 
Ehrenlegion verliehen werden. 
Spanien. 
Aus Madrid wird berichtet: In dem 
von Navarra kommenden Zuge saß vor 
einigen Abenden in einem Coupee erster 
Klasse ein General der Infanterie, der 
nach Madrid fuhr. Zwischen Gallus und 
Luceni trat ein verdächtig aussehender Kerl 
ein, der sich auf den Reisenden stürzte und 
ihn mit dem Tode bedrohte, wenn er Wi 
derstand leisten und sein Geld, das er bei 
sich trage, nicht ausliefern würde. Im 
Waggon entspann sich nun zwischen den 
Beiden ein furchtbarer Kamps. Die Käm 
pfenden fielen mehrere Male zu Boden 
und erhoben sich wieder, wobei einer von 
ihnen so gegen die Thür geschleudert wurde, 
daß diese aufsprang und das Kämpferpaar, 
das sich fest umschlungen hielt, auf die 
Schienen stürzte. Als der Zug an der 
Station Luceni hielt, machten Reisende 
dem Stationsvorstand von dem Geschehenen 
Mittheilung. Derselbe ordnete sofort an, 
daß man dem General zu Hülfe eilen solle, 
aber als die damit betrauten Bahnbeamten 
die Station verlassen wollten, kam der Ge 
neral, der ganz unverletzt war, gemüthlich 
angeschlendert. Ihm folgte, von einem Po- 
lizeireiter geführt, der Räuber, der bei dem 
Sturz aus dem Zuge unbedeutende Ver 
letzungen davongetragen hatte. Auf der- 
selben Strecke ist vor kurzer Zeit ein ähn 
licher Ueberfall vorgekommen; damals wurde 
der Reisende aber vollständig ausgeplün 
dert. Solche Attentate sind in spanischen 
Bahnzügen durchaus nichts Seltenes; Noth- 
bremsen und Lärmglocken sind hier noch 
gänzlich unbekannt, und die Regierung und 
die Bahngesellschasten thun so gut wie 
gar nichts zum Schutze der Passagiere. 
Beim Spielen auf dem Felde genossen 
in Vilches (Malaga) 12 Kinder Theile 
einer Schierlingpflanze, die sie kür 
Petersilie hielten; 8 starben sofort; ob es 
gelingt, die anderen zu retten, ist noch 
zweifelhaft. 
Lerdien. 
Belgrad, 31. Dec. Seit einigen Tagen 
fanden in Jagodina täglich Erderichütte- 
rungen statt. 
England. 
Vor einigen Tagen tvurde in London 
ein alter Mann, der Abends nach einigen 
Einkäufen nach Hause ging, von ein paar 
jungen Burschen überfallen, zu Boden ge 
schlagen und beraubt. Er war böse zuge 
richtet; sein Schulterbein gebrochen und 
seine Brust verletzt. Gestern standen zwei 
der Straßenräumer, Evens und Summers, 
beide erst 18 Jahre alt, vor dem City- 
richter. Es entspann sich nun folgender 
Dialog: Der Richter: „Evens ist ein 
Vorbild der Korruption für junge 
Burschen und ich verurtheile ihn zu zwölf 
Monaten harter Arbeit und zwanzig 
Streichen mit der Peitsche." Der andere 
Angeklagte flehentlich: „O! Herr, geben 
Sie mir nicht die Peitsche!" Der Richter 
streng: „Du trägst kein Bedenken, 
Deine Opfer zu mißhandeln, willst 
aber nicht, daß man Dir das Gleiche thut. 
Du bekommst neun Monate harter Arbeit 
und ebenfalls zwanzig Peitschenhiebe!" 
Viele englische Richter sind der Ansicht, 
daß die Brutalität gewisser Großstadt 
früchtchen nur ein Mittel steuern kann: 
nämlich — Prügel mit der „Katze." (Sehr 
richtig, trotz des Gejammers über die 
Prügelstrafe. Jeder freche Bursche glaubt, 
er dürfe anständige Mädchen auf einsamen 
Straßen übersallen und ein Attentat be 
gehen, in Häuser einbrechen und nach der 
famosen Proudson'schen Lehre: „Eigenthum 
ist Diebstahl" Anderen schlankweg ihr 
Eigenthum rauben, alte Leute im Schlafe 
überfallen und „kalt machen". Ein paar 
Jährchen Haft mit guter Fütterung und 
warmem Obdach macht alles wieder gut. 
Aber selbst körperliche Schmerzen erdul 
den, die er Anderen kaltblütig bereitet, 
dazu ist der Bursche natürlich zu feige 
und die in Deutschland herrschende falsch 
humane Gesetzgebung schützt seine Feigheit 
obendrein.) 
Oesterreich-Ungarn. 
In Ocdcnburg faß der Bürger Paul 
Meszaros in einem Gasthause, als ein 
Tischler aus Deusch-Kreutz, Namens Paul 
Ottniayer, der sich gleichfalls im Lokale 
befand, mit den Worten: „Glaubst Du, 
ich bin ein Landtroddel!" auf ihn zutrat 
und einen Schuß auf ihn abfeuerte, ohne 
früher auch nur ein Wort mit Meszaros 
gesprochen zu haben. Meszaros war sofort 
eine Leiche. 
Einen „Roman" aus dem Leben, 
erzählen Pester Blätter. Ein Viceconsul 
G. T. L. hatte vor vier Jahren ein ge- 
feierte« Mitglied des Karltheatcrs in Wien 
kennen und lieben gelernt. Man schloß 
nach längerem Liebeszauber einen Vertrag, 
durch welchen sich der Viceconsul ver 
pflichtete, die Schauspielerin innerhalb vier. 
Jahre zu ehelichen, andernfalls 60 000 Jl 
Reugeld, mittlerweile aber 400 JL Monats 
gehalt zu zahlen. Eine süße Hochzeits 
reise und viele schöne Flitterwochen be 
siegelten den niedlichen Vertrag, der dem 
Fräulein für den Todesfall des Viceconsuls 
noch 100 000 Jl aus dessen Hinterlassen 
schaft zusicherte. Allmählich vergletscherte 
aber die Liebe, und das Ende vom Liede 
war, daß die abgekühlte erste Liebhaberin 
zur tragischen Heldin wurde und dem un 
getreuen Viceconsul das Gericht auf den 
Hals hetzte. Die Kleine verlangt viel 
Entschädigungsgelder für verfehlten Beruf, 
Treubruch und dergleichen Scherze; der 
ä2) Der Detektiv. 
Roman von I. F. Molloy und K. Dietrich. 
Einundvierzigstes Kapitel. 
Ein Herr vom Lande. 
Lange dachte Gillwaldt darüber nach, auf 
welche Weise er am besten die Bekanntschaft 
von Emilie Orlowsky machte, und wenn 
Wvglich ihr Vertrauen gewänne. Je mehr 
ì...^wog' er von Cäcilie und Hugo 
"h j batte, desto mehr wurde er davon 
«baß diese Malerin irgendwie in 
,, C ) ; b. Kl dem geheimnißvollen nächtlichen 
Uebersall m der Regentenstraße und vielleicht 
"uch ZU don Ņorde Karls von Foerster 
s andc. - l şģ^'chung des Briefes und der 
Hondjchnft dĢ Qrlowsky sowohl mit der 
Auychrrfl des °n Stößer adressirten Couverts, 
als mit d'M Stoßer schen Briefe selbst hatte 
chn lerder zu cmerle. bestch.,,^,,/ Resultat 
geführt, wennglerch er sich darüber bald flar 
J? av - daß die Malerin in dem Briefe an 
maulein von Heldberg ihre Handschrift 
zwusellos verstellt hatte. 
_ Bei ihrer Stellung, Beschäftigung und 
Begabung wäre es manchem vielleicht undenk 
bar erschienen, daß sie die Mitschuldige von 
Drcben und Mördern wäre, aber Gillwaldt 
hatte so viel Erfahrungen gesammelt, daß ihm 
Me solche Verbindung durchaus nicht unwahr 
scheinlich erschien. Er war durchaus darauf 
Zefaßt, flc klug und schlau und wohl vorbc- 
recket gegen alle Fragen und Ausforschungen 
«u finden. Er mußte ihr daher in einer Weise 
egegnen, die von vornherein jeden Argwohn 
hrerjeits ausschloß, und dann erst sich be 
uchen, ihr Geheimniß zu ergründen. 
-eicht genug könnte er ja ihr Atelier in 
der Maske eines Kunstmäcens besuchen und 
eines ihrer Bilder kaufen, aber dabei würde 
er keine Gelegenheit haben, sie längere Zeit 
hindurch zu beobachten und sich eingehcnder 
mit ihr zu unterhalten. Nach reiflicher Ueber- 
legung und nachdem er mancherlei Pläne 
gemacht und wieder verworfen, beschloß er, 
vor ihr in der Rolle eines harmlosen, alten 
Gutsherrn vom Lande zu erscheinen, der von 
ihrer Hand das Porträt seiner kleinen Enkelin 
gemalt zu haben wünschte. 
Nachdem er zu diesem Entschluß gelangt 
war, handelte er auch sofort auş Grund 
desselben. Er schrieb einen höflichen Brief an 
die Künstlerin, worin er ihr mittheilte, er 
wäre auf einige Wochen nach Berlin gekommen 
und wünschte ein Pastellporträt seiner kleinen 
Enkelin malen zu lassen. Er hätte gehört, 
daß Fräulein Orlowsky mit Kinderporträts 
besonders erfolgreich wäre, und würde sich 
daher freuen, wenn sic den Auftrag annähme 
und ihm Zeit und Stunde für die erste 
Sitzung mittheilte. 
Dieser Brief, den er mit „Harry von 
Western" unterzeichnete, trug die Adresse eines 
vornehmen kleinen Privathotels in der Behren- 
straße, dessen Besitzer ihm vielfach verpflichtet 
und infolgedessen gern bereit war, ihm in 
jeder Weise gefällig zu sein. Es dauerte vier 
îage, che die gespannte Erwartung und 
angstvolle Ungewißheit Gillwaldt's durch eine 
Antwort von Fräulein Orlowsky beendet 
wurde, worin sie ihm mittheilte, daß sie ihn 
und seine Enkelin mit Vergnügen am folgenden 
Freitag-Morgen in ihrem Atelier empfangen 
würde. 
Diese Bestimmung ließ Gillwaldt vierund- 
pvanzig Stunden Zeit, sich die erforderliche 
Enkelin zu beschaffen. Zu dem Behufe zog 
er Herrn Götze, den Hotelbesitzer, wenigstens 
zum Theil in sein Vertrauen und theilte ihm 
seinen Wunsch mit, den dieser als Vater von 
einem halben Dutzend Kindern ohne Mühe 
erfüllen konnte. Aus den sechscn wurde ein 
kleines, siebenjähriges Mädchen, ein hübsches 
Kindchen mit blauen Auge», rosigen Wangen 
und langem, blonden Haar ausgewählt, um 
die Rolle der Enkelin des Gutsbesitzers zu 
spielen. Gillwaldt erzählte ihr, daß am fol 
genden Tage ein alter Herr, der Kinder gern 
hätte und sehr freundlich gegen sie wäre, vom 
Lande ankommen und sie mit sich nehmen 
würde, bcmiit eine Dame ihr Bild male. Sic 
müsse Großpapa zu ihm sage», sehr gut und 
artig sein und vor allen Dingen ans nichts 
antworten, was die Danie sie etwa fragte. 
Das Kind war sehr entzückt über diese 
Aussicht, einen neuen Großpapa zu bekommen 
und sich abmalen lassen zu sollen. Am fol- 
genoen Morgen fuhr dann vor dem Hotel 
eine Droschke vor, aus dem ein alter Herr 
sehr behutsam ausstieg. Sein Gesicht, welches 
die gesunden, bräunlichen Farben eines Man 
nes zeigte, der sein Leben lang auf dem Lande 
geweilt, strahlte förmlich von Wohlwollen 
und Gutmütbigkeit, sein Vollbart und seine 
Augcnbrauneu waren grau, und sein langes 
Haar war schneeweiß. Sein magerer, etwas 
runzlichcr Hals war von hohen steifen, ge 
stärkten Vatermördern und einer gewaltigen, 
schwarzen Atlaskravattc halb verdeckt. Seine 
Weste war tief ausgeschnitten uud ließ ein 
prächtig gesticktes Vorhemd sehen, und sein 
dunkelblauer Anzug vom feinsten Tuch zeigte 
einen Schnitt etwa aus der Mitte des Jahr 
hunderts, während sein breiträndiger Zylinder- 
sein ehrwürdiges, wohlhabendes Aussehen 
noch vermehrte. Dazu kam ein kostbarer 
Siegelring, eine schwere, massiv goldene Nhr- 
kcttc mit zahlreichen Anhängseln und eine 
goldene Brille, um die Erscheinung des reichen 
Gutsbesitzers zu vervollständigen. 
Sich fest auf sein spanisches Rohr mit 
großer, silberner Krücke lehnend, trat er in das 
Hotel und fragte nach dem Besitzer. Derselbe 
erschien sofort und begrüßte einen so viel ver 
heißenden Gast mit der entsprechenden Ehr 
erbietung. 
Der alte Herr fragte, ob er einen gute» 
Salon und ein geräumiges Schlafzimmer im 
ersten Stockwerk neben einander haben könnte, 
und der Besitzer führte ihn die Treppe hin 
auf, ihm dabei eifrig versichernd, daß er in 
seinem Hotel die ganze Ruhe, Behaglichkeit 
und Bequemlichkeit einer Privatwohnung fin 
den würde, während die Preise, die ja aller 
dings in dieser Stadtlage nicht so sehr gering 
sein könnten, durchaus angemessen waren. 
Sobald die beiden oben im Zimmer allein 
waren, unterbrach jedoch der Fremde die be 
redte Auseinandersetzung des Wirthes durch 
ein lustiges Lachen und die mit seiner natür 
lichen Stimme gesprochene Frage: „Kennen 
Sie mich denn nicht?" 
„Nein, so etwas!" rief der Wirth. 
„Nicht wahr, es ist nicht so leicht, den 
Gottfried Gillwaldt in dem Herrn Harry 
von Western zu entdecken? Nun, ist alles 
bereit?" 
„Vollständig." 
„Schön, dann will ich mich ohne weiteren 
Zeitverlust auf den Weg machen." 
Während der Fahrt nach der Fasancnstraßc 
gelang cs Gillwaldt, den das kleine Mädchen 
durchaus nicht als den Herrn, der gestern mit 
ihr gesprochen, wiedererkannte, das volle Ver 
trauen des Kindes zu gewinnen und ihre 
Schüchternheit zu überwinden, so daß ihr 
beiderseitiges Verhalten zu einander, als sie 
in Fräulein Orlowskys Atelier anlangten, 
durchaus dem eines liebevollen Großvaters 
und einer artigen kleinen Enkelin entsprach. 
„Habe ich die Ehre, Fräulein Orlowsky 
zu sehen?" begrüßte sie Gillwaldt mit höf 
lichem Lüften seines Hutes. 
„Ja," antwortete sie kurz, „und Sie sind 
vermuthlich Herr von Western?" 
„Allerdings, und das ist meine Enkelin, 
deren Porträt ich wünschte." 
Fräulein Orlowsky sah das Kind prüfend 
an und meinte: „Sie wird ein hübsches 
Bild abgeben." 
„Ja, ja," stimmte der alte Herr ihr bei, 
„und deshalb wünsche ich auch, daß ihr 
Porträt gemalt würde, so lange noch die 
Rosen auf ihren Wangen blühen, uud ehe 
sie sich verändert hat." 
„Pastell oder Oelfarbcn?" fragte die 
Künstlerin geschäftsmäßig. „Meine Honorar- 
fordcrrungcn sind je nachdem —" 
„Wegen des Honorars brauchen Sic be 
mir keine Schwierigkeiten zu besorgen," unter 
brach sie der Herr Gutsbesitzer anscheinend 
etwas beleidigt. „Ich wünsche, daß das 
Porträt in Pastell ausgeführt wird. Die 
dadurch erzielten Effekte sind für ein Kinder- 
porträr entschieden vorzuziehen." 
„Darin stimme ich Ihnen bei. Ln face 
oder Drciviertcl-Profil?" 
„Das überlasse ich Ihrem Ermessen." 
„Dann würde ich Dreiviertcl-Profit vor 
schlagen, Hals und Schultern des Kindes 
sind schön geformt und anmuthig," antwortete 
Fräulein Orlowsky und rückte unterdessen die 
Staffctei zurecht. Dabei zeigte sie auf das 
von ihr gewählte Format des Bildes:
	        
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