Full text: Newspaper volume (1895, Bd. 1)

Folge geleistet sei. Das Centrum sei stets für Sitte 
und Ordnung eingetreten; die Regierung möge nun 
den Weg der Gerechtigkeit beschreiten und den 
Antrag annehmen und zur Ausführung bringen. 
(Lebhaftes Bravo vom Centrum.) Tie Abgg. 
von Manteuffel (sons.) und Schröder geben 
kurze Erklärungen gegen den Antrag ab; dafür 
sprechen der Pole Kwilecki und der Sozialdemo 
krat Liebknecht, der sich in breiten Ausführungen 
und Ausfällen gegen die gegenwärtige Gesell 
schaftsordnung ergeht und auf den eben sich voll 
zogenen Umschwung der politischen Verhältnisse 
in Frankreich exemplificirt. Abg. v. Marquardsen 
verliest die in der nationalliberalen Partei am 
1. Dezember 1895 gegen den Antrag abgegebene 
Erklärung. Abg. Rickert will den Antrag am 
Aufhebung nur des Paragraphen 2 des Jesuiten 
gesetzes, und da dieser Antrag noch nicht vor 
liegt, ersucht er um Absetzung der zweiten Le 
sung des Centrums-Antrages von der Tagesord 
nung. Abg. Frhr. v. Stumm (freit.) erklärt sich 
gegen die Vorlage. Abg. Förster (Antis.) scheint 
es jedem Fraktionsgenossen freizustellen, wie er 
stimmen will. 
Das Schlußwort erhielt der Abg. Dr. Lieber 
und erklärt dabei, daß die Auffassung, das Cen 
trum mache seine Abstimmung über die „Um 
sturzvorlage" abhängig von der Annahme des 
Antrages auf Aufhebung des Jesuitengesetzes 
völlig irrthümlich sei. 
Str Mitritt WaMM. 
Paris, 16. Januar. 
Durch ein hochbedeutsames Ereigniß ist 
soeben Frankreich und die Welt überrascht 
worden, durch den Rücktritt des gegenwär 
tigen Präsidenten der französischen Re 
publik. Auch in Frankreich hatte Niemand 
an die Möglichkeit gedacht, daß der Rück- 
tritt des Bautenministers Barthou noch 
größere Folgen haben werde, als den des 
Gesammtministeriums Dnpuy. Die Be 
stürzung war deshalb in Paris ebenso groß 
als die Ueberraschung. Aber leider sind 
auch jetzt keine Symptome hervorgetreten, 
die die volle Ueberzeugung durchblicken 
ließen, daß die Dinge so nicht weiter gehen 
können, und die den ernsten Willen bekun 
deten, andere Bahnen einzuschlagen. An 
statt von dem ganzen Ernst der Lage durch 
drungen zu sein, überließ man sich sofort 
der Erwartung, daß Casimir-Perier sich 
bestimmen lassen werde, seinen Entschluß 
rückgängig zu machen, und in seinem hohen 
Amte zu verbleiben. Indessen hat sich Ca- 
simir-Perier zu dieser Komödie nicht bereit 
sinden lassen, trotzdem er von verschiedenen 
Seiten auf das Eindringlichste darum ge 
beten ist. Im Auslande wird man sich 
vielleicht wundern, daß der Präsident nicht 
zu dem Mittel der Kammerauflösung ge 
griffen hat, um dem Lande den ganzen 
Ernst der Lage vor Augen zu fuhren, 
aber es scheint, daß er während der kurzen 
Zeit seiner Amtsführung einen so tiefen 
Einblick in die Zerfahrenheit und Zer- 
rüttung der französischen Zustände gethan 
hat, daß er die Verantwortung für die 
Weiterführung einer ohnmächtigen Re 
gierung nicht weiter tragen zu können 
glaubt. Wer aber wird wagen, die Per- 
antmortlichkeit auf sich zu nehmen, die ein 
solcher Ehrenmann wie Casimir-Perier 
glaubt ablehnen zu müssen? 
Die verbreitetste Annahme ist, daß Ca 
simir-Perier mit großer Mehrheit wieder 
gewählt werden wird. Wahrscheinlich 
wird die Majorität des Parlaments Schritte 
in dieser Richtung unternehmen. Für den 
Fall, daß Casimir-Perier ablehnt, werden 
Dnpuy, auch^Waldeck-Rousseau, Challemel 
Lacour und Spuller genannt. Der Senat 
Gedanken an das, was aus dem Unglücklichen 
werden sollte, die Sorge um die Zukunft 
desselben nicht schlafen. Würde Hubert über 
haupt für einen schlichten bürgerlichen Beruf 
taugen? Würde er sich in ein regelmäßiges, 
eng umgrenztes Leben wieder eingewöhnen 
können, nachdem er so lange ziellos und 
heimathlos in der Welt umhergeirrt war, 
nachdem er bei allen Entbehrungen und 
Demüthigungen doch auch die Reize, Lockun 
gen des ungebundenen Lebens kennen gelernt 
hatte? Etwas Regelloses, Unstätes hatte ja 
von jeher in seinem Wesen gelegen. Und 
jetzt — auf seine moralische Kraft kam jetzt 
alles an. Aber weshalb sprach er nur in 
dunklen, allgemeinen Andeutungen von dem 
Leben, das er in der letzten Zeit geführt 
hatte, nm sich aus eigener Kraft — 
und das wäre doch erst das Höchste gewesen 
— wieder emporzuarbeiten, um sich in 
einen sicheren, wenn auch so bescheidenen 
Hasen zu retten, und wie und warum alle 
seine mannhaften Versuche fehlgeschlagen 
waren? Daß erste hätte doch Vertrauen z 
ihm und zu seinem ehrlichen Wollen, seinem 
tapferen Ringen einflößen können, daö erst 
Mitleid und thatkräftige Hilfbereitschaft der 
Anderen geweckt und gerechtfertigt. Aber 
Hubert hatte davon geschwiegen und Georg 
hatte nicht fragen mögen. Vielleicht würde 
er morgen mehr erfahren. Morgen! Georg 
wollte heute nicht mehr denken, sorgen und 
grübeln. Er wollte schlafen, er mußte 
Ichlafcn, um morgen kraftvoll und frisch zu 
sein, um morgen seine heiligen Pflichten 
gegen diesen Unglücklichen erfüllen zu können. 
Er zwang sich zur Ruhe. Der Schlaf zwar 
ließ sich nicht rufen und Georg Herbing lag 
noch lange wach, als die Uhren von den 
Kirchthürmcn bereits Mitternacht verkündet 
aber die umschweisendcn Gedanken bannte er 
doch zur Ruhe, zun, Stillstand, und endlich 
verfiel er so in einen tiefen, traumloscn 
Schlummer. 
(Fortsetzung folgt.) 
und die Kammer sind für heute einberufen, 
um eine Mittheilung der Regierung ent- 
gegenzunehmen. Der Congreß wird wahr- 
scheinlich Donnerstag zusammentreten. 
Man kann sagen, daß die Bestürzung 
allgemein war. Die Charaktergröße Ca- 
simir-Perier's, seine Erfahrenheit, seine Fe 
stigkeit und seine Unbescholtenheit flößten 
in der That allen republikanischen, selbst 
den radikalen Republikanern Vertrauen ein. 
Man hat jetzt eine Erklärung für die lange 
Dauer der Unterredung Challemel-Lacour's 
mit Casimir-Perier, dessen Entschluß be- 
reits gefaßt war. Alle Bemühungen Challe- 
mel-Lacour's blieben erfolglos. Der Prä 
sident des Senats verließ das Elhsêe in 
äußerst beklommener Stimmung. Alle Mit 
glieder des Cabinets, von Dnpuy an und 
Leygues, Poincarrö, Mercier, Felix Faure 
und Guerin wiederholten nacheinander den 
Versuch, den Präsidenten Casimir-Perier 
in seinem Entschluß wankend zu machen. 
Der Ministerpräsident Dupuy begab sich 
im Laufe des Abends zum letzten Mal zu 
Casimir-Perier und blieb 3 U Stunden bei 
ihm. Er kleidete die Gründe, die er Ca 
simir-Perier vorgelegt hatte, in eine noch 
wärmere Form, und brachte auch andere 
mehr persönliche Gründe vor, von denen 
er glaubte, daß sie großen Eindruck auf 
Casimir-Perier machen würden, konnte aber 
den Widerstand des Präsidenten nicht über 
winden. Nach Dupuy kam Spuller. Alles, 
was Dupuy und Spuller erreichen konnten, 
war, daß Casimir-Perier seine Entscheidung 
bis gestern Abend 11 Uhr verschob. Als 
Dupuy und Spuller den Präsidenten ver 
ließen, begegneten sie im Vorzimmer seine 
Mutter, die ihnen versprach, ihren ganzen 
Einfluß auf ihren Sohn aufzubieten, um 
ihn zum Verbleiben auf seinem Posten zu 
bewegen. Die Begegnung zwischen Mutter 
und Sohn war, wie es schien, äußerst be 
wegt; Trotzdem richtete Casimir-Perier 
schon eine halbe Stunde vor der verab 
redeten Zeit einen kurzen Brief an Du 
puy, in dem er ihm seinen unabänderlichen 
Entschluß mittheilte und ihn zugleich bat, 
von diesem Entschluß den Präsidenien des 
Senats und der Kammer Kenntniß zu 
geben und ihn auch durch das „Journal 
officiel" und die „Agence Havas" ver 
öffentlichen zu lassen. Dupuy traf nun 
sofort alle von der Lage bedingten Maß 
nahmen. 
Die Note in der „Agence Havas", die 
die Demission des Präsidenten Casimir 
Perier ankündigt, saßt die hauptsächlich 
sten Ideen zusammen, welche der Präsident 
in einer au den Senat und die Kannner 
zu richtenden Botschaft entwickeln wird. 
Der Präsident der Republik Casimir-Perier 
hat den Entschluß gefaßt, auf sein Amt 
zu verzichten. Die gestrige Kammersitzung 
und die Abstimmung in derselben seien in 
seinen Augen ein nur in zweiter Linie 
in Betracht kommender Zwischenfall. Ein 
Kampf sei ausgebt ochen gegen das par 
lamentarische Regime und gegen die staats 
bürgerlichen Freiheität. Er habe gehofft, 
daß die Präsidentschaft der Republik, die 
der Actionsmittel entblößt sei, unerreichbar 
für die Parteien sein werde, daß das 
politische Vertrauen aller Republikaner ihr 
Kraft und Ansehen geben würde; er habe 
gehofft, daß diejenigen, die ihn wider 
seinen Willen auf seinen Posten gestellt 
hätten, wo er sich nicht selbst vertheidigen 
konnte, die Vertheidigung des ersten Staats 
amts übernehmen würden. Er habe die 
Minister gebeten, provisorisch ihre De- 
mission zurückzunehmen, um die Ueber 
tragung der Gemalten zu sichern. Auch 
habe er die Präsidenten des Senats und 
der Kammer seine Entschließung wissen 
lassen, damit sofort der Congreß einbe 
rufen werde 
Die Morgenblätter besprechen die De 
mission des Präsidenten. Das „Journal 
des Dtzbats" sagt; Die Geschichte werde 
die Demission erklären. Ungewiß sei aber, 
ob die Geschichte diese Demission in An 
betracht der schweren Gefahren, die dem 
Lande von der wachsenden Kühnheit der 
Revolutionäre und der Unthätigkeit der 
Gemäßigten drohen, billigen werde und ob 
nicht andere Entschlüsse als die Abdankung 
gefaßt werden können. 
Die einfache Thatsache ist die, daß der 
socialistische Radikalismus in Frankreich 
den Präsidenten vor die Entscheidung 
stellte, sich ihm zu unterwerfen oder zu 
demissioniren. Casimir Perier wählte das 
Letztere. 
Paris, 16. Jan. Das Demissions 
schreiben des Präsidenten Casimir-Perier 
wurde heute Nachmittag im Senat und 
in der Kammer verlesen. Es hat folgen 
den Wortlaut: 
Ich habe mir niemals die Schwierig 
keilen der mir von der Nationalversamm 
lung übertragenen Aufgabe verhehlt. Ich 
habe sie vorausgesehen. Wenn man im 
Augenblick der Gefahr seinen Posten nicht 
ausfüllt, so bewahrt man seine Würde nur 
bei ler Ueberzeugung, seinem Baterlande 
zu dienen. Der von Mitteln der Action 
und Controle entblößte Präsident der Re 
publik kann allein aus dem Vertrauen 
der Nation moralische Kräft schöpfen, ohne 
sie sie nichts ist. Ich zweifle weder an 
dem gesunden Sinn noch an der Gerech 
tigkeit Frankreichs. Man hat es jedoch 
erreicht, die öffentliche Meinung mehr als 
20 Jahre hindurch irrezuführen. Meine 
20jährige Erfahrung in dieser Beziehung, 
meine Anhänglichkeit an die Republik und 
meine Hingebung an die Demokratie haben 
nicht genügt, alle Republikaner von der 
Aufrichtigkeit und Wärme meines politischen 
Glaubens zu überzeugen und die Gegner 
eines besseren zu belehren, die glauben 
oder zu glauben vorgeben, daß ich mich 
zum Werkzeuge ihrer Leidenschaften und 
ihrer Hoffnungen machen werde. Seit 
einem halben Jahr tobt der Verleumdungs- 
und Beleidigungskampf gegen Heer, Be 
Hörde, Parlament und den Staatschef. 
Diese Freiheit, den sozialen Haß zu schüren, 
wird fortgesetzt und die Freiheit des 
Denkens, genannt Achtung und Ehrgeiz, 
die ich für mein Land hege, gestattet mir 
nicht, zuzugeben, daß an jedem Tag die 
besten Diener des Vaterlandes und die 
jenigen, die in den Augen des Auslandes 
dasselbe vertreten, beleidigt werden. Ich 
begnüge mich dabei, das Gewicht der auf 
mir lastenden moralischen Verantwortung 
mit der Machtlosigkeit, wozu ich verdammt 
bin, zu vergleichen; vielleicht werde ich ver 
standen, wenn ich versichere, daß die 
constitutionellen Fictionen die Forderungen 
des politischen Gewissens nicht zum Schweigen 
bringen können, vielleicht habe ich, indem 
ich das Amt niederlege, denjenigen die 
Aufgabe vorgezeichnet, denen die Sorge 
für die Würde, die Macht und den guten 
Ruf Frankreichs in der Welt obliegt, 
wenn ich unveränderlich und mir getreu 
bleibend die Ueberzeugung hege, daß die 
Reform nur unter der thätigen Mitwirkung 
einer Regierung erreicht wird, die ent 
schlossen ist, die Achtung vor den Gesetzen 
zu sichern, sich den Gehorsam der Unter 
gebenen zu verschaffen und die anderen in 
gemeinsamer Arbeit an gemeinsamen Werken 
zu sammeln. Ich glaube trotz der Kümmer 
nisse der gegenwärtigen Stunde an die 
Zukunft des Vaterlandes und au die 
soziale Gerechtigkeit. Ich lege auf dem 
Bureau des Senats und der Kammer 
meine Demission als Präsident der Re- 
publik nieder. gez. Casimir-Perier." 
stS 
Aņtzxreuropäişche Ģêdiere 
In der vorigen Woche wurde vas palast 
ähnliche Haus des Newyorker Millionärs 
Cornelius Vanderbilt eröffnet. Es 
liegt am Central-Park. Der Bau hat 
fast vier Jahre gedauert Das Haus ist 
fast eine genaue Copie des Schlosses von 
Blois. Es ist aus sog. Graustein ausge 
führt. Die Verzierungen bestehen aus 
Terracotta. Der Ballsaal ist im Stile 
Ludwigs XIV. ausgeschmückt und ungefähr 
80 Fuß lang und 50 Fuß breit. Die 
von Toudouze gemalte Decke stellt von 
Zephyren geschaukelte Nymphen dar, die 
verschiedene Instrumente spielen. Um sie 
herum sind eine Menge Cupidos. Einer 
hängt von der Decke herab und schießt 
seinen Pfeil aus die Tanzenden. Den 
Fries machen Guirlanden, die gleichfalls 
von Cupidos gehalten werden. Der ganze 
Saal ist elektrisch beleuchtet. Dennoch 
sind aber riesige Crystall-Kronleuchter vor 
handen. Der Palast soll 20 Millionen 
Mark gekostet haben. 
Auf der Chicago Burlington & Quincy 
Eisenbahn ereignete sich am 12. Januar 
aus der Strecke von Denver nach Chicago 
ein Eisenbahnraub. Zwei Räuber zwangen 
die Beamten des Expreß-Wagens mit vor 
gehaltenem Revolver, ihnen freies Spiel 
mit dem Geldschrank zu lassen. Die Beute 
betrug 8000 Dollars. Die Räuber ent 
kamen wie gewöhnlich. 
Jsraire». 
Rom, 16. Jan. Das Landstädtchen 
Celenzo, das in herrlicher Lage sich auf 
einem kleinen Hügel erhebt, wurde am 
Mittwoch, 9. Januar früh gegen 9 Uhr 
von einem starken Wirbelsturm heimge 
sucht. Der Sturmwind verursachte auf 
der Feldflur unermeßlichen Schaden; er 
entwurzelte große Bäume und trug ganze 
Hütten mit sich fort. Vier Wohnungen 
armer Landleute konnten dein Angriff des 
Sturmes nicht Widerstand leisten und 
brachen zusammen; alle Bewohner der 
Häuschen und mehrere andere Personen, 
die sich dorthin geflüchtet hatten, wurden 
von dem einstürzenden Mauer- unv Balken 
werk begraben. Später fand man unter 
den Trümmern 8 Leichen und 15 Schlver- 
verwundete. 
— Die Umgebung des Fürsten Bis- 
marck fährt sort, den bisherigen geh äs. 
sigen Ton auch gegenüber deni Fürsten 
Hohenlohe festzuhalten trotz aller 
Freundlichkeit desselben. So entnehmen die 
„Münch. Neuest. Nachr." einem Privatbrief 
von einer dem Fürsten Bismarck sehr nahe 
stehenden Persönlichkeit" eine Stelle, in 
der es u. a. heißt: 
„ Es geht dem Fürsten Bismarck wie 
etwa Rubens, dem man plötzlich die 
Palette aus der Hand gerissen und zu 
schauen ließ, wie Jahr aus Jahr ein 
Bild von ihm nach dem andern von 
Dilettanten überschmiert und 
r^u i n i r t wird und wie Andere an 
der Arbeit sind, vom Dache seines wohl 
eingerichteten Hauses einen Ziegel 
nach dem andern wegzunehmen. 
— — Dann fragen Sie noch, ob der 
Fürst von den vielen Ovationen 
nicht sehr gerührt wäre, — das weiß 
ich nicht sicher, aber mir kommt es vor, 
als wenn ein alter Tänzer oder Komö 
diant wohl mehr Genugthuung davon 
hätte." 
In den „Münch. Neuest. Nachr." wird 
alsdann in Uebereinstimmung mit den 
„Hamb. Nachr." das zeitige politische 
Programm des Fürsten Bismarck da 
hin zusammengefaßt; Einführung des 
Tabakmonopols, Altersversicherung 
für jeden Deutschen, welcher das 
65. Lebensjahr vollendet hat, Aufhebung 
der Wählbarkeit der Sozial 
demokraten in den Reichstag. 
— Einen neuen Vorschlag zur He- 
bung des Getreidepreises macht 
unter Verwerfung des Getreide-Einfuhrmo 
nopols nach Antrag Kanitz und der Eon 
tigentirung des Getreideimports, die cen 
trumsparteiliche „Germania": „Nach diesem 
neuen Vorschlage würde die Getreideein 
fuhr genau so wie bisher vor sich gehen; 
es führt ein, wer will und wo er will, 
und er bezahlt den betreffenden Zoll. Dann 
aber wird von diesem ausländischen Ge 
treide sofort, oder wenn es im Jnlande in 
den Verbrauch übergeht oder im Jnlande 
weiter verkauft wird, eine Verbrauchs 
bezw. Verkehrs-Steuer erhoben. Diese kann 
natürlich gegenüber dem Zwecke keine feste 
Steuer sein, sondern sie muß veränderlich 
sein. Und sie kann auch nicht ein Prozent 
satz des Werthes des eingeführten Getreides 
sein, denn dann wäre sie um so niedriger, 
je niedriger der jeweilige Getreidepreis, 
während umgekehrt um so höher. Ihrem 
Zweck gemäß müßte die Steuer um so 
höher, je niedriger der Getreidepreis steht, 
um so niedriger, je höher er steht, und bei 
einem für diesen Zweck gesetzlich zu be 
stimmenden Höchstmaaß hört diese Ver 
brauchs- bezw. Verkehrssteuer ganz auf". 
Wir theilen einstweilen diesen Plan ledig 
lich referirend mit. In allen Fällen hat 
der Mittelstand und der kleine Mann den 
durchaus größten Theil der Mehrkosten 
des Getreides zu zahlen. 
- Die „Hamb. Nachr." schließen einen 
dem landwirths chaftlichen Nothstand 
gewidmeten Aufsatz wie folgt; 
„Was No!h zu thun scheint, ist, da die land 
wirthschastlichen Zölle noch auf zehn Jahre fest 
liegen, eine großartige, mit den Mitteln des 
Staates unterstützte Kolonisirungs-Politik, die 
das bäuerliche Element wesentlich stärkt und da 
mit den Kreis derjenigen landwirthschastlichen 
Betriebe vermehrt, welche die Produkie seiner 
eigenen Arbeit zum größern Theile selbst ver 
zehrt und jedenfalls nicht in dem Maße, wie die 
Großgrundbesitzer unter steigenden Bruttokosten 
leidet. Darin bestände vielleicht ein wirksames 
Mittel zur Linderung des landwirthschastlichen 
Nothstandes der nordöstlichen Provinzen Deutsch 
lands. Wenn man es erreichte, den Abfluß der 
ländlichen Elemente nach den Städten aufzu 
halten, die Uebervölkerung des Westens und 
Südens nach dem Nordosten nbzuleit n und damit 
auf der einen Seite das System der Zwergwirth- 
schaften, auf der andern Seite die übermäßige 
Anzahl von Latifundien zu korrigieren, so würde 
man einen wesentlichen Schritt zur Lösung der 
landwirthschastlichen und sozialen Frage gethan 
haben." 
Eine „s i d e l e Schlittenfahrt" 
machten vier wohlhabende Handwerksmeister 
in Britz bei Berlin. Leider endigte sie 
mit einem Strafverfahren ivegen groben 
Unfugs, ruhestörenden LärmeuS, Körperver 
letzung mittels gefährlichen Werkzeugs in 
zahlreichen Fällen, Thierquälerei, Beamten 
beleidigung, Widerstandes gegen die Staats 
gewalt und Sachbeschädigung. Und das 
kam so. Am Sonntag vor acht Tagen 
uuteruahmen die vier Meister eine Schlit- 
lenpartie nach Rudow. Die Herren heizten 
mit dem üblichen Grog ein ioenig zu stark 
ein, und so kehrten sie des Nachts stark 
angetrunken nach Britz zurück. Hier jagten 
sie noch eine volle Stunde laut schreiend 
und johlend durch das Dorf, wobei es 
ihnen besonderes Vergnügen machte, die 
friedlichen Leute, die still ihrem Heim zu 
strebten, vom Schlitten aus mit Ochsen- 
ziemern zu bearbeiten und sich dann schleu 
nigst in wilder Jagd allen Weiterungen 
zu entziehen. Endlich aber versagte der 
abgetriebene Gaul jede weitere Mithülfe 
bei diesen tollen Streichen. Das Pferd 
war schlechterdings nicht mehr von der 
Stelle zu bringen. Es lourde daher aus 
gespannt, au einen Baum gebunden und 
in unbarmherzigster Weise mit den Ochsen- 
ziemern bearbeitet. Zufällig kam eine aus 
zwölf Mann bestehende Musikkapelle, die 
im Dorfe zum Tanz aufgespielt hatte, des 
Weges. Als die Musikanten über das 
empörende Treiben ihren Unwillen äußer 
ten, schlugen die Excedenten auf jene ein. 
Nun drehte sich das Blatt, die Angreifer 
bekamen Prügel nach Noten, und der Lärm 
war so arg, daß die Gendarmen herbei 
gelockt wurden. Diese wollten Ruhe stiften, 
die Excedenten ivaren aber nicht zu bändi 
gen. Sie beschimpften die Beamten in 
gröblichster Weise, und als ihnen bedeutet 
wurde, daß sie bei eventueller Fortsetzung 
des Skandals eingesperrt werden müßten, 
da schrieen sie: „Wir sind Bürger von 
Britz, wir wollen einmal sehen, wer es 
wagt, uns einzusperren!" Im Handum 
drehen waren aber die beiden ärgsten 
' Lchrcicr beim Kragen gepaßt und avgejüyit, 
und so sehr sie auch Widerstand leisteten, so 
saßen sie doch sehr bald hinter Schloß und 
Riegel. Die anderen Beiden nahmen Ver 
nunft an, sie spannten den Gaul wieder ein, 
und dieser ließ sich bewegen, das Paar lang 
sam hcimzuschleifen. 
Für einen Groschen mußte die 
elektrische Straßenbahn in Breslau in den 
letzten Tagen sechsundsiebzig Mk. 
herauszahlen! Und das kam so: Ein Fahr 
gast bestieg, mit einem großen Packet be- 
laden, den Wagen und wurde genöthigt, 
für seine Bürde extra ein Billet 'zu lösen. 
Das that er unter Vorbehalt und klagte 
dann den Groschen ein, da ihn die Gesell 
schaft ihm trotz förmlicher Reclamation 
nicht herrausgab. — Nun muß die Ge 
sellschaft rechtskräftig den Groschen wieder 
geben und dazu noch sechsundsiebzig Mark 
zahlen — von Rechtswegen — für Ge- 
richtskosten und Rechtsanwaltsqebühren. 
Das ist bitter! 
Königsberg, 13. Jan. Die „Königsb. 
Hart. Ztg." schreibt: „Dieser Tage fand 
bei dem Herrn Oberpräsidenten Dr. Grasen 
zu Stolberg eine Besprechung über Maß- 
regelngegendenMangelländlicheri 
Arbeiter in der Provinz statt. Es nah 
men daran die Vorsitzenden der beiden 
landwirthschastlichen Centralvereine, sowie 
der Vorsitzende der Provinzialabtheilung 
des Bundes der Landwirthe, Herr von der 
Groeben-Arenstein, theil. Es wurde hier 
bei u. A., wie die „O. Z." erfährt, die 
Vermehrung von kleinem und mittlerem 
Grundbesitz in Vorschlag gebracht. Es 
soll durch staatliche Beihilfe die Kolonisa 
tion gefördert werden, und, damit der 
Fortbestand der so geschaffenen Kolonien 
sicher gestellt wird, soll auf die Kolonisten 
das H e i m st ä I t e n g e s e tz angewendet 
werden." Was die Anwendung des Heim 
stättengesetzes betrifft, so wird es damit 
allerdings seine Schwierigkeit haben, denn 
wir haben einstweilen noch kein Heimstätten 
gesetz, und der Bundesrath hat bekanntlich 
den auf Einführung eines solchen gerich 
teten Antrag des Reichstags erst unlängst 
abgelehnt. 
Darmstadt, 15. Jan. Der auch in wei 
teren Kreisen bekannte Medizinalrath K ü ch 
lor hat sich am Sonnabend gelegentlich einer 
Operation an der Maus der Hand ver 
letzt; er liegt infolge Blutvergiftung 
schwer krank darnieder. 
Ans Sachsen, 11. Jan. Im Reichstage 
und in der Presse ist debattirt worden 
über den „Fall Stolle". Dem Sohne 
des sozialdemokratischen Abg. Stolle-GesaN 
war bekanntlich von der Militärbehörde 
verboten worden, gelegentlich seines Weih- 
Nachtsurlaubes und seines Aufenthaltes im 
Elternhause, die Gastwirlhschaft seines- 
Vaters zu betreten. Es könnte den An 
schein gewinnen, als stehe dieses Borkomm- 
niß vereinzelt da, aber diese Auffassung 
wäre vollkommen unrichtig, vielmehr handelt 
die sächsische Militärbehörde allgemein so 
wie im Fall Stolle. Der Sohn des 
Wirthes vom „Schützenhaus" in Chemnitz 
— in welchem Lokal die sozialdemokratische 
Partei ihre Versammlungen abhält —- 
diente in Chemnitz als Einjähriger 
und wohnte im Elternhause. Aus Befehl 
der Militärbehörde durfte er während 
des ganzen I a h r e s' die Restauration I 
seiner Eltern nicht betreten und war so ein 
Jahr lang in seinem Aufenthalt im Vater 
hause beschränkt. 
München, 16. Jan. Im Saale der 
hlesigen Kindl-Brauerei, dem größten Saale 
Deutschlands hielt gestern Abend Reichs 
tagsabgeordneter Ahlwardt einen 2W 
stündigen Vortrag, welcher sich mit neuen j 
Fragen nicht beschäftigte, sondern nur die 
an anderen Orten oft erörterten Gesichts 
punkte enthielt. Der mächtige Raum war 
bis auf den letzten Platz besetzt. Dem 
Vortrage folgte eine Diskussion, bei der 
es mehrmals zu stürmischen Scenen kam. 
Die Versammlung vermochte sich nur mit 
Mühe aufrecht zu erhalten. 
Brovinzielles. 
wmbi 
X 
Seit 
falb. 
Oute s 
bi, 
Westliches Eidcrstcdt, 15. Jgy Die 
„Flensb. Nachr." schreiben: Bon nicht unter 
schätzender Bedeutung für die dabei be 
theiligten Kreise an der ganzen Westküste 
Schleswig-Holsteins wäre es unzweifelhaft, 
wenn man die Ausfuhr von Schafen 
itach England wieder zu ermög 
lichen wäre. Wir sind in der Lage, 
aus bestunterrichteter Quelle mittheilen "zu 
können, daß von dem Minister für Land- 
wirthschaft ein junger gelehiter Landwirth, 
Herr Dr. Lavalle, beauftragt worden ist, 
zu untersuchen, ob und in welcher Weise 
es zu ermöglichen ist, Schleswig-Holstein 
den Viehexport nach England wieder zn 
eröffnen, in gleicher Art. wie er für Däne 
mark offen ist. Herr Dr. Lavalle hält sick! 
deswegen augenblicklich in Dänemark auf, 
wird jedoch auch den hiesigen Kreis noch 
besuchen, uni an Ort und Stelle genab 
Erkundigungen über diese Angelegenheit 
einziehen zu können. — Mit Dank ist cs 
anzuerkennen, daß unsere Regierung den 
Viehexport nbch England wieder zu er- f 
öffnen immer bestrebt ist. der namentlich 
-nu die Lckmiziichr, die auch vom kleinen ; 
Lnndbc irc-yner beii ieben wird. criragsreichekt 
Rcsuliaie ergeben ivürde.
	        
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