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Zweites Blatt.
Aàbilrger Wochenblatt
So. 134.
61 Der Kronzeuge.
Erzählung ans der Schleswig-Holsteinischen
Verbrecherwelt vergangener Tage.
Von Ulrich Ohlerich.
Der Präsident wendete sich ab. „Der Kerl
wurde mir vom Vogt vorgestellt und ich
habe mich eine ganze Weile mit ihm unter
halten," murmelte er. „Na, da werden
sicherlich schöne Dinge zum Vorschein kommen.
Ich wollte Sie noch eins fragen," kehrte
er sich dem Gefangenen wieder zu, „unsere
Rathhauskasse ist vor zwei Tagen vermittelst
Einbruchs um eine größere Summe in
Silber bestohlen worden — können Sie uns
auf die Spur der Thäter helfen? Wohl
schwerlich, Sie sitzen ja bereits acht Tage hier."
Eisenhut lächelte. „Die Thäter kann ich
Ihnen auf der Stelle namhaft machen"
entgegnete er zum Erstaunen des Präsidenten.
„Ich setze dabei voraus, daß cs dieselben
Personen sind, die den Einbruchsdiebstahl
schon seit einem halben Jahre geplant hatten
und ich bin meiner Sache um so sicherer
weil ich die Betreffenden als Leute kenne'
die ihre Pläne selbst auszuführen vermögen.
Es geschieht mitunter, daß Planmacher, die
sich den Schwierigkeiten der Ausführung nicht
gewachsen fühlen, das Geschäft gegen einen
gewissen Antheil an kühnere und geschicktere
Kollegen überlassen. Dieser Fall liegt aber
zweifelsohne nicht vor, Daniel Holtz, Rudolf
Hoffmann und Heinrich Mohr gehören zu
den hervorragendsten Größen. Das Geld
werden die Dreie einstweilen in einem ge
meinschaftlichen Versteck untergebracht haben
bis Gras über die Geschichte gewachsen ist."
Der Präsident griff nach der Klingel, um
den Sergeanten herbeizurufen. „Es ist gut,
wir sprechen nachher weiter darüber. — Noch
à Wort zum Schluß, das Sie sich übrigens
wohl schon selbst gesagt haben werden: Lassen
Sre sich durch den Gedanken an das Schick
st. welches unter Ihrer Mitwirkung über
^îhre bisherigen Genossen hereinbrechen wird,
nicht beirren. Es ist verdient und bewahrt
lt«s F ei t e sicher Leute vor unverdientem
Unheil. Vielleicht gestattet Ihnen diese Be
trachtung, sich mit dem Gefühl, daß Sie
von Rechtswegen daö Schicksal des Ersteren
theilen mußten, einigermaßen abzufinden."
Donnerstag, den 30. Aal
1883.
Zweites Kapitel.
Es dunkelte schon und der Abendwind strich
kalt und feucht über die Haide, als sich ein
paar Tage später zwei in einfache grobe
Reise-Mäntel gehüllte Männer in raschester
Gangart dem in einer ausgedehnten flachen
Niederung weitab von der Landstraße gelegenen
Haide-Dorfe N. näherten. * 9
,,SttteS für die Wissenschaft, sage ich, aber
nicht zu vlel und dies ist wahrlich zu viel "
unterbrach der eine der beiden Wanderer ein
längeres Stillschweigen, indem er mit einem
halb unterdrückten Seufzer die Hand über das
scinn und die Lippen gleiten ließ.
„Es war leider absolut nothwendig, Herr
Sergeant, erwiderte sein Begleiter mit einem
verstohlenen Lächeln. „Schade um den schönen
Vart, aber verschwinden mußte er; er war
zu weit bekannt in Stadt und Land Sie
hatten grad' so gut ein Messingschild auf
der Brust tragen können mit der Inschrift-
Bberpolizeffergeant Lau aus X. und das taugte
kur unser Unternehmen nicht. Das Wea-
Ï"» des Bartes ist unbedingt das Beste
iekeķ^^ŗ Verkleidung — wer kennt Sie
bic fv-r. Ist 9 ? abe ' â °b Ihr Gesicht um
wäre o m tTl àgc verkürzt worden
wai Uebrigens," fügte der Sprecher tröstend
mnzu, wo was gewesen, wächst was wieder
nn , „/°mmt nur auf die Güte des Grundes
an und an den, fehlt es ja nicht, wie das
vergangene Prachtexemplar gezeigt hat."
Sergeant Lau begnügte sich mit einer so-
wohl ingnmmigen Verdruß als lebhaften
Zweifel ausdruckenden Grimasse als Antwort,
b°"'er Weile fragte er: „Wohnen Sie
M unter Ihrem wirklichen Namen, Eis-nhut?"
„Nein," erwiderte der Angeredete nach
leichtem Zögern, „ich heiße hier Christoph
Schweiger. Die Papiere eines verstorbenen
Landniannes von mir — ich bin Hannoveraner
sind in meine Hände gerathen und ich
habe mir seinen Namen angeeignet. Sie
kennen ja meine ganzen Verhältnisse und
werden begreifen —"
„Schon gut," unterbrach ihn Lau etwas
barsch, „ich wollte nur wissen, woran ich
für einen gewissen Fall bin. Denn glauben
Sie nur nicht, daß ich Sie auf Schritt und
Tritt verfolgen werde; so fasse ich meine
Aufgabe nicht auf. Hat der Präsident sich
in Ihnen getäuscht, so kann ich seinen Irrthum
durch die angestrengteste Aufpasserei nicht ver
bessern. Wollen Sie uns also entweichen
oder uns verrathen oder Beides zugleich, so
thun Sie es ungcnirt; ich werde mir meinen
Schlaf durch Gedanken über das, was Sie
im Sinn haben mögen, nicht stören lassen."
Eisenhut fand sich durch die Aeußerung
des Polizeimannes trotz ihres rauhen Klanges
angenehm berührt. „Sie erleichtern mir da
durch den Verkehr mit Ihnen, und im klebrigen
werden Sie sehen. Ich erwog soeben, ob
ich Ihnen zumuthen dürfte, mich meine Woh
nung allein betreten zu lassen — das Häus
chen liegt da drüben am Rande der Niederung
und sich selbst solange in der Nähe auf.
zuhalten ; über einen dazu passenden Ort bin
ich freilich in Verlegenheit, ganz nahe Nach
barn habe ich nicht."
„Wenn's weiter nichts ist," lachte Lau,
„so ist uns geholfen; ich sehe dort gleich
rechter Hand ein Gebäude, das mit seiner-
breiten, überdachten Einfahrt natürlich den
Dorfkrug vorstellt. Gehen Sie Ihrer Wege,
ich bleibe da; es ist mir der Wissenschaft
wegen interessant, zu erproben, welchen Trank
schänkt" biCftr şi'Eh bcÖ Besenstrauchs
"»Zum lustigen Besenbinder" heißt die
Schänke," bemerkte Eisenhut mit einem zer
streuten Lächeln, „ihre haupsächtlichsten Kun
den haben sie so getauft; der Name bedeutet
schier eine Art Selbst-Verspottung der armen
Leute."
Eisenhut's Auge hatte das kleine Haus,
welches er dem Sergeanten bezeichnet und
das noch ziemlich weit entfernt und von den
übrigen Gebäuden der Ortschaft etwas ab
gesondert in dunkeln, allmählich verschwimmendcn
Umrissen dastand, seitdem er desselben an
sichtig geworden, keinen Augenblick verlassen.
Jetzt stand er still.
„Ist es Ihnen also recht, so gehe ich hier
ab sagte er, auf einen schmalen Fußsteig
. ànd' der in vielfachen Wendungen um
das Dorf herumführte. „Längstens nach einer
Stunde werde ,ch Sie im Krug wieder auf
suchen."
„Ich bewillige Ihnen zwei," antwortete
SV 8tläbi9 ' »"ich* gern aber mehr;
o ^acht Hs» zubringen will ich nicht, der
„Lustlge Besenbinder" scheint mir ein etwas
ruppiger Gesell."
Während Lau auf den Krug losmarschirte,
ohne sich wieder nach seinem Begleiter um
zuschauen, zog dieser den Mantelkragen in
die Höhe und die Mütze tief in die Stirn
um Erkennung und lästige Anrede durch
Begegnende zu vermeiden, betrat darauf den
Fußpfad und ging langsam aus demselben
vorwärts. Eine Viertelstunde mochte ungefähr
noch vergehen, ehe er vor seinen, Hause an-
langte. Es war ihm diese Verzögerung
gerade lieb, dann war cs ganz dunkel und
Niemand würde ihn das Haus betreten sehen.
@o sollte es sein. Nieniand durfte ihn
gewahren und erst recht Niemand ihn durch Wori
und Blick im Moment des Wiedersehens mit
seinem Weibe stören. Wie unerträglich ihm
der Gedanke an eine noch so unverfängliche
Berührung m.t Dritten erschien, kam ihm
selbst auffällig vor. Allmählig aber ward er
stch bewußt, wie sehr jeder Nerv in ihm sich auf
das erste Zusammentreffen mit dem fragenden
Blick seines Weibes spannte. Alles Fremde
abwehrend, bewegten sich seine Gedanken und
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