Full text: Newspaper volume (1895, Bd. 1)

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Moryen-Dep eschen. 
Berlin, ft.^Mai. Die Commiffion des 
Reichstages für den Antrag Kanitz 
lehnte uiit 13 gegen 12 Stimmen die Re 
solution des Grafen Schwerin ab, bie be 
sagt, daß die Commiffion den allgemeinen 
Zweck des Antrags Kunitz billige. 
Berlin, ' 9. Mai. Die „Kreuzztg." 
schreibt, es werde bestimmt versichert, die 
Centrumsfraktion habe beschlossen, an den 
Kommissionsbeschlüssen des Umsturzģesctzes 
unbedingt festzuhalten. Damit sei die Ab 
lehnung des Gesetzes nicht mehr zweifelhaft 
Breslau, 9. Mai. Aus eine Verfügung 
des Kultusministers ist das Disziplinar. 
verfahren gegen die Unterzeichner des 
beschlagnahmten studentischen Aus 
ruses gegen die Umsturzvorlage einge 
leitet werden. 
Wien, 9. Mai. Nach einer Meldung 
der „N. Fr. Pr." aus Belgrad soll die 
Rückkehr der Königin Natalie mit einer 
wichtigen politischen Wendung verbunden 
sein. König Alexander werde sich von der 
Fortschrittspartei lossagen und die radikale 
wieder ans Ruder rufen. 
Belgrad, 9. Mai. Ministerpräsident 
Christie hat im Aufträge des Ministeriums 
die Deniisiion des ganzen Kabinets dem 
Könige überreicht. In eingeweihten Kreisen 
wird erzählt, General Sava Gruie werde 
die Neubildung des Kabinets übernehmen 
London, 9. Mai. Aus Havanna wird 
gemeldet, der Rebellenführer Maceo habe 
in der Nähe von Christo einen Personen- 
Mg zum Entgleisen gebracht. Zahlreiche 
Personen sollen umgekommen sein. Unter 
der Bevölkerung herrscht über die That 
Maceo's große Erbitterung. 
London, 9. Mai. Nach aus Hongkong 
hier eingegangenen Nachrichten wurden 
seitens der japanischen Regierung 5000 
Soldaten nach der Insel Formosa gesandt, 
um einen eventuellen Widerstand der 
Sckwarzflaggen zu unterdrücken und die 
Okkupation der Insel durch die Japaner 
zu sichern. 
Budapest, 9. Mai. Das kaiserliche 
Handschreiben an den Grafen 
Kalnoky erfolgte ohne Borwissen des 
Rarons Banffy, da mit ihm am Sonntag 
war die Verlesung von Kalnoky's Noten 
Reichslage und die römische Demarche 
vereinbart wurden. Dieses Handschreiben 
Rldet ein neues Moment und giebt der 
Stellung Bansfy's abermals eine ernstere 
Wendung. Der Minister am Hoflager, 
Baron Josika, begab sich heute unmittel 
bar nach dem Ministerrathe zum König 
nach Pola, da diese Wendung eine Lösung 
erheischt. 
Wien, 9. Mai. Aus bestinformirten 
Kreisen wird gemeldet, der Kaiser werde 
sich keinesfalls von Ungarn zur Entlaffung 
des Ministers des Aeußern Kalnoky drängen 
oder zwingen lassen. Der ungarischen 
Regierung seien die Intentionen des Kaisers 
Franz Joseph wohl bekannt, und nur auf 
sie wird es ankommen, folgenschwere End 
schließungen zu verhindern. 
Buenos Aires, 9. Mai. Jn Mscndoza 
wurden einige Erdstöße verspürt. Die 
Bevölkerung flüchtet. 
Deutscher Reichstag. 
87. Sitzung. 
Berlin, 8. Mai. 
Aus der Tagesordnung steht die zweite Be 
rathung des Gesetzentwurfes betr. Aenderungen 
und Ergänzungen des Strafgesetzbuches, des 
Militär-Strafgesetzbuches und des Gesetzes über 
die Presse. (Umsturzvo rlag e.) 
Debattirt wird zunächst nur über das Prinzip 
der Anpreisung, Aufforderung und Rechtfertigung 
von Verbrechen. 
Reichskanzler Fürst Hohenlohe: Schon bei 
der ersten Lesung habe ich daraus hingewiesen, 
daß das Gesetz nicht aus theoretischen Erwägun 
gen hervorgegangen ist, sondern aus der mehr 
und mehr sich geltend machenden Ueberzeugung, 
daß die Grundlagen des rechtlichen und sittlichen 
Lebens, daß die Achtung vor den überkommenen 
Einrichtungen des Staatswesens, der Gehorsam 
gegen die Gesetze und die Obrigkeit im Schwin 
den begriffen sind. Eine Umkehr ist nöthig) und 
je größer die revolutionären und anarchistischen 
Ausschreitungen waren, um so stärker trat an 
Re Regierung die Forderung heran, die bürger 
liche Gesellschaft zu schützen. Als nun die ver 
bündeten Regierungen, diesen Forderungen ent 
sprechend, die Reform des gemeinen Rechts in 
Angriff nahmen, konnten wir uns der Hoffnung 
hingeben, daß sie der Zustimmung wenigstens der 
Kreise des Theiles der Bevölkerung sicher sein 
würden, die am lautesten nach Schub und stren 
geren Maßnahmen riefen, (Große Heiterkeit) und 
als bei der ersten Berathung einige hervorragende 
Mitglieder dieses hohen Hauses sich in gleicher 
Weise aussprachen, da gaben wir uns der Hoff 
nung hin, daß aus der Berathung der Commission 
ein Gesetz hervorgehen würde, das diesem Zwecke 
der Vorlage entspräche. Die se Hoffnung ist 
nicht in Erfüllung gegangen. Im'Ver 
laufe der Commissionsverhandlungen vermehrten 
sich zusehends die Feinde der Vorlage. Anträge 
wurden in der Commission gestellt, welche die 
Außenstehenden abschreckten. ' Und wenn diese 
Anträge auch nur zum Theil zur Annahme ge 
langten, so vermehren sie doch den ungünstigen 
Eindruck. Von vielen Seiten erhoben sich War 
nungsruse Es wurde dem Reichstag und der 
Regierung der Vorwurf gemacht, daß sie die 
Gesetzesfreiheit beschränken wollten, während doch 
nur beschimpfende und den öffentlichen Frieden 
gefährdende Aeußerungen bestraft werden sollten. 
Die Herren, welche Entrüstungsversammlungen 
veranstalteten, verstehe ich nicht. (Heirerkeit. Sehr- 
richtig!) Ich glaube nicht von den Denkern, — 
dazu habe ich_ eine viel zu hohe Meinung von 
ihnen — daß sie annehmen, der weltbewegende 
Kampf der Geister könne durch eine Gesetzes-Be- 
stimmung gehemmt werden, die öffentliche Be 
schimpfungen bestrafen will. Vielleicht sind da 
durch auch Mißverständnisse entstanden, daß die 
Commission Materien in das Gesetz gebracht hat, 
die von ihm früher fern gehalten waren, nament 
lich die strafbaren Handlungen gegen Religion und 
Sitte. Dagegen wurden gerade die Bestimmun 
gen des Entwurfs, die sich auf den Schutz der 
Staatsordnung, den eigentlichen Zweck des Ge 
setzes bezieben, etwas stiefmütterlich behandelt. 
So ist im § 111 die Verurtheilung deS Wider 
standes gegen die Staatsgewalt gestrichen, indem 
dort die Bezugnahme auf den § 113 beseitigt ist. 
Ich höre, der Reichtstag will diesen Paragraphen 
wieder einsetzen, dessen Ausscheidung eine er 
hebliche und bedauerliche Abschwächung der Ten 
denz der Vorlage bedeutete. Bezüglich des zweiten 
Absatzes des § 111 sehe ich in dem Commissions- 
Vorschläge keine Verbesserung. Die Vorlage will 
Denjenigen treffen, der vor der Oeffentlichkeit 
Verbrechen und gewisse Vergehen anpreist oder 
als erlaubt hinstellt, sofern die hieraus sich er 
gebende Verwirrung des Rechts- und Sittlichkeits 
gefühls die Gefahr in sich trägt, die Neigung zu 
solchen Verbrechen zu steigern. Uebrigens kann 
ich mich nur für den Antrag v. Levetzow aus 
sprechen. Ich bitte Sie, dem Gesetz zuzustimmen, 
das der Regierung Mittel an die Hand giebt, 
revolutionäre Ausschreitungen strenge zu treffen 
Abg. Dr. Barth (freist Berg.): Aus der 
Rede des Reichskanzlers klang eine gewisse Elegie 
heraus, die für mich etwas Erfreuliches hat; 
denn ich doffe, daß sich die Regierungen in das 
Unvermeidliche fügen, und wenn die Vorlage 
abgelehnt werden sollt-, uns für die Dauer mit 
einer ähnlichen verschonen werden. Was den 
Paragraphen 111 der Vorlage betrifft, so will 
er das Strafmaximum hinaussetzen. Wir lehnen 
dies ab, weil wir eine Nothwendigkeit dazu bei 
der Seltenheit der Fälle von Aufforderung zu 
Verbrechen in Deutschland nicht einsehen. Das 
ist aber nur von untergeordneter Bedeutung 
gegenüber den neuen Strafbestimmungen gegen 
die Glorifizirung und Aufreizung zu Verbrechen. 
Diese haben in der Commission schon große 
formalistische Schwierigkeiten gemacht. Es entsteht 
nun die Frage, bedeutet die Commiffionsfassung: 
das Aufreizen zu Verbrechen ist strafbar, wenn 
cs eine Anreizung zu solchen Verbrechen darstellt 
oder; weil es eine Anreizung zu Verbrechen 
darstellt? Die Commission har offenbar im 
letzteren Sinne diese Bestimmung interpretiren 
wollen. Das Schlimmste ist die Elastizität, die 
der Paragraph bekommen hat; es wird alles 
dem Ermessen des Richters überlassen, der er 
kennen soll, je nach seinen politischen und so 
zialen Anschauungen, ob eine strafbare Handlung 
vorliegt oder nicht. Mein Antrag will eine 
ganze Reihe von Vergehen ausscheiden: danach 
soll die Verherrlichung von Verbrechen nur dann 
bestraft werden, wenn den Betreffenden die 
direkte Anreizung zu solchen strafbaren Hand 
lungen nachgewiesen wird. Stimmen werde ich 
indessen gegen den ganzen Kill und auch dann, 
wenn mein Antrag angenommen werden sollte. 
Der bei Weitem größte Theil der dramatischen 
Dichtung beschäftigt sich mit den Constikten 
zwischen menichlichen Satzungen und einer ge 
rechteren Weltanschauung. Man müßte also 
im Gesetz zum mindesten ausdrücklich aussprechen, 
daß die dramatische Literatur vor strafrechtlicher 
Verfolgung sicher sein soll. Die Bestimmungen 
richten sich nun auch namentlich gegen die Presse, 
aber eine Preßfreiheit ist nicht.möglich ohne 
eine gleichzeitige Möglichkeit des Mißbrauchs 
dieser Freiheit. Wie die Sache heute steht, hat 
die sozialdemokratische Partei kein Interesse an 
gewaltsamem Auftreten. Darum sollte man 
nichts thun, um dieser Entwickelung entgegen 
zutreten. Ich kann daher nur rathen, die Ge- 
sammtvorlage abzulehnen, jetzt vor allem § 111, 
für alle Möglichkeiten aber meinen Antrag an 
zunehmen. 
Abg. Frhr. v. Ma n te uffel (sorts); Daß 
die sozialdemokratische Partei aus einer revo 
lutionären zu einer reformatorischen geworden 
ist, möchte ich doch einigermaßen bestreiten. Wenn 
die Partei ein derartiges Mäntelchen umge 
hangen hat, so ist ihre Gefährlichkeit nur noch 
größer geworden, und ich glaube auch, daß Herr 
Dr. Barth die sriedlichen Tendenzen der Partei 
erheblich überschätzt. Nicht weit die Sozial- 
demo'ratie größere Freiheit bei uns genießt, 
wagt sich der Anarchismus in Deutschland 
weniger hervor als anderswo, sondern weil sich 
das deutsche Volk noch zu sehr als christliches, 
als monarchisches Volk suhlt, daß noch Liebe 
zu Gott und seinem Heiland hat und endlich, 
weil wir noch eine intakte Armee besitzen. Was 
den 8 111 betrifft, so habe ich namens meiner 
Partei zu erklären, daß, falls unser Antrag 
nicht angenommen wird, wir nicht in der Lage 
sein werden, für den Antrag zu stimmen und 
auch nicht in der Lage sein werden, für das 
Gesetz, wie es sich ferner gestalten wird, zu 
stimmen. Der Reichskanzler sollte mit dem Ge 
setz noch warten, und meine Freunde haben es 
nicht versianden, daß er diese Erbschaft ange 
treten hat. Die Bestimmungen des Gesetzes'in 
militärischer Beziehung befriedigen uns in keiner 
Weise Wir hätten da erhebliche Berschärsungen 
gewünscht. _ Die Vorlage hat das eine Gute 
gehabt, daß sich die Ueberzeugung Bahn ge 
brochen hat, daß man, wenn man den subversiven 
Tendenzen beikommen will, dies nicht auf dem 
Wege des gemeinen Rechts ihun kann. Daß 
ein klerikal-konservatives Bündniß besteht, bat 
man immer als Schreckgespenst hingestellt. In 
vielen Fällen, z. B beim Schulgesetz, habe ich 
ein solches Bündniß mit Freuden begrüßt; im 
vorliegenden Falle aber hat es nie bestanden 
und unsere Anträge beweisen, daß von einen: 
Bündniß nicht die Rede sein kann. Wenn uns 
also die Vorlage in keiner Weise befriebigen 
kann, so können wir doch nicht verhehlen, daß 
wir die Worte des Kaisers in Königsberg, in 
denen er alle staatserhaltenden Parteien zum 
Zusammenschluß aufforderte, zur Erhaltung von 
Religion, Sitte und Ordnung mir Freuden be 
grüßt baden Wir haben uns deshalb an den 
Commissionsberathungen betheiligt. Erfreulich 
an den Beschlüssen der Commission ist das 
stärkere Hervortreten christlicher Gesinnung. 
Sonst aber halten wir die Commissionsbeschlüsse 
für eine Verschlechterung. Ich kann Sie nur 
nochmals bitten, unsere Anträge, die der Re 
gierung die Mittel in die Hand geben, deren 
sie bedars, anzunehmen (Beifall rechts.) 
Abg. Auer (Sozialdem.): Die große Arbeiter 
bewegung aus der Welt zu schaffen, werden Sie 
durch solche Gesetze nie und nimmer erreichen. 
Der Reichskanzler meinte, der Geist des Fort 
schrittes könne nicht durch Gesetze gehemmt werden. 
Das ist richtig! Aber weshalb' stellen Sie sich 
denn diesem Fortschritt mit einigen geschrieben 
Paragraphen entgegen? Der gegen die Vorlage 
eingeleiteten Protestbewegung stehen wir mit sehr 
gemischten Gefühlen gegenüber und zwar weil die 
Theilnehmer daran eine sehr gemischte Gesellschaft 
gewesen sind. (Heiterkeit.) Die „Germania" be 
zeichnete die Protestler als Freimaurer, weil sie 
dann sicher ist, daß sie bei ihren Lesern Zustim 
mung finden würde. Es ist bei ihr umgekehrt 
wie bei den Protestanten mit den Jesuiten. Der 
dritte Wauwau sind die Sozialdemokraten. Ihnen 
gegenüber finden sich die Jesuiten und die Frei 
maurer wieder zusammen. Daß die Centrums 
partei dem Gesetze den Stempel aufgedrückt hat, 
den es jetzt trägt, finde ich sehr erklärlich, und 
wenn es jetzt Leute giebt, die sich darüber wundern 
und da sitzen, wie die betrübten Lohgerber, so 
beweist das nur die politische Kurzsichtigkeit dieser 
„Staatsmänner", die die politische Weisheit 
glaubten gepachtet zu haben. Ich habe mit großem 
Behagen die Verhandlungen in der Commission 
verfolgt und zugesehen, wie jene Staatsmänner 
von Beschluß zu Beschluß immer mehr den Ge 
schmack an der Vorlage verloren, zuletzt so sehr, 
daß sie garnicht mehr erschienen. Nachdem der 
Redner der eonservativen Partei seine Erklärung 
abgegeben hat, frage ich, wie wollen die Herren 
aus der Mitte diese Nuß knacken, wie sie zer 
theilen, daß beide Theile zu ihrem Recht kommen? 
Das Centrum sitzt jetzt im Fett, aber nicht 
immer hat es einen katholischen Reichskanzler. 
Dem Vorredner gegenüber betone er, daß auch 
seine Partei Vertrauen zum Richterstande habe, 
der einzelne Richter aber masse einen objektiven 
Maßstabs bekommen, wonach er zu urtheilen habe. 
Redner schließt mit der wiederholten Versicherung, 
die Sozialdemokratie wolle keine Gewalt und 
werde sich hüten, sich vor das Achtmillimeterge- 
wchr zu stellen; wenn aber immer wieder von 
der andern Seite das Gegentheil behauptet werde, 
so entstehe der Verdacht, daß diese Gewalt an 
wenden wolle. „Wenn Sie rechts immer sagen: 
„Blut muß fließen", dann muß man annehmen. 
Sie wollen, daß Blut stießt!" 
Vieepräsident Schmidt ruft den Redner wegen 
dieser Aeußerung zur Ordnung. 
Kriegsminister Bronsart v. Sch eilen dors 
erklärt, die Armee betrachte es als ihren Zweck, 
an die Grenze zu marschiren und dort das Vater- 
land gegen den äußeren Feind zu vertheidigen. 
Sie wisse, daß sie Lorbern nicht im Kampfe auf 
der Straße mit Pöbelmassen ju erringen habe, 
diesen Kamps überlasse die Armee der Polizei 
und der Feuerwehr. (Stürmische, minutenlange 
Heiterkeit.) 
Abg. v. K a r d o r f s (R. P.) verliest eine Er 
klärung seiner Partei, worin die Commissions- 
beschlüsse als nicht dem Grundgedanken der 
Vorlage Schutz der bürgerlichen Klaffen gegen so- 
ztalrstische und anarchistische Umsturzbestrebungen 
entsprechend, dargestellt werden. Diese Com- 
missionsbeschlüsse gewährten dem Richter einen 
Spielraum, der zu ernsten Besorgnissen Anlaß 
gebe und gefährdeten außerdem auf weiten Ge 
bieten des öffentlichen Lebens die freie und wissen 
schaftliche Meinungsäußerung Auch sei durch 
25) 
Der älschlliünzer. 
Novelle von Ludwig Habicht. 
Müller wollte mit einem neuen Glase 
^ìe trüben Gedanken verscheuchen, aber es 
d>ar kein Tropfen mehr vorhanden: „Ich 
totll lieber in einen Abgrund als in ein 
leeres Glas sehen!" rief er in bitterer Un- 
wuth und forderte von dem aufwartenden 
Dinstmädchen eine neue Flasche. 
„Fünf," schrie sogleich der Matrose. 
„Die kommen auf meine Rechnung," 
prahlte Müller. 
„Beleidige mich nicht, theurer Freund! Ich 
bin glücklich, einen ^ solch' prächtigen Kerl 
Zefunden zu haben, und der Şeemann 
Ersetzte ihm dabei in überströmender Herz 
lichkeit einen solch' derben Schlag auf° die 
Schulter, daß Müller schmerzlich betroffen 
Zusammenfuhr und nur mit Mühe eine 
Verwünschung unterdrückte. Je mehr ihm 
lecne Genossen zuwinkten, das Anerbieten 
"ks Matrosen anzunehmen, je mehr weigerte 
^ sich — bis dieser ärgerlich ausrief: 
Entweder Du läßt Dich freihalten, oder ich 
'Plage Dir die Knochen entzwei," und kaum 
jWte er drohend die Hand erhoben, da streifte 
lchvn sein Kamerad die Aerniel herauf und 
ņahm sine Boxerstellung an. „Siehst Du, 
N» Freund versteht nicht deutsch, aber cr 
ichlägt desto besser englisch zu." 
^ Mtiller's Widerstand war ohnehin nicht 
Mi gemeint und Prügel zu bekommen, um 
m die Ehre der Bezahlung zu erstreiten, 
nicht nach seinen, Geschmack. „Wenn 
^u es durchaus willst, Hcrzcnsbruder," sagte 
I, m gerührter Stimmung und die beiden 
undsleute küßten sich versöhnt. 
Die neue Ladung stand aus dem Tisch. 
„Ja, wo war ich denn stehen geblieben?" 
ries Müller. „Meine Gedanken müssen einen 
Anhaltepunkt haben," er schänkte sich wicder 
cin Glas ein und begann von Neuem: „Ich 
ging nach Kopenhagen, gab daselbst" ein 
Concert für die Armen, worunter ich mich 
vorzugsweise selbst verstand, wurde von der 
Polizei verfolgt und entfloh nach Petersburg. 
Ich ließ mich bei der deutschen Bühne 
engagiren, aber weil ich die Jntriguantcnrollen 
mit wirklich ergreifender Wahrheit darstellte, 
wollten mich die dummen Russen ganz er 
bittert mit der Keule bearbeiten, als ich das 
Theater verließ, ich trat deshalb als Sekretär 
in die Dienste des französischen Gesandten 
und ging mit demselben nach Paris." 
„Das war ein herrliches Leben!" rief 
Müller mit glänzenden Augen und nahm 
mit seligem Lächeln einen Schluck. „Dcr 
Wein floß in Strömen," und bei diesen 
Worten floß der Rest des Glases in seine 
stets trunkbereite Kehle. „Aber ich sollte mein 
deutsches Vaterland verrathen, das konnte 
ich nicht, so stiefmütterlich es mich auch 
behandelt hatte. Ich verließ den nichts- 
würdigen Gesandten, erhielt eine Empfehlung 
des Erzbischofs von Paris an Don Carlos, 
reiste nach Spanien, küßte dem Beichtvater 
des spanischen Prätendenten am Rockzipfel, 
wurde dafür zuni Capitän ernannt, gcrieth 
in Christinische Gefangenschaft, wurde durch 
die Geliebte eines vornehmen Geistlichen 
vom Tode des Erschießens gerettet, die leider 
sich an meine Fersen heftete, ging in die 
Schweiz, von da nach Homburg, sprengte 
die Bank, um an andern Tage meinen 
Gewinn und das Geld meiner Begleiterin 
zu verspielen, die ich für ein kleines Abstands 
geld von 40 000 Rubel einem russischen 
Fürsten überließ und mit diesem Gelde habe 
ich mich nun hier in London zu Ruhe 
gesetzt. Da siehst Du, Herzensbruder, das 
nichtswürdige Spiel hat mich zu Grunde 
gerichtet," schloß Müller den buutgefärbten 
Bericht seines Lebens und diese trübsinnige 
Reflexion verleitete ihn, von Neuem sein Glas 
zu füllen. 
Die Gefährten lachten aus vollem Halse, 
aber der Matrose entgegnete theilnahmsvoll: 
„Du bist ein prächtiger Kerl, Capitän! 
Ich könnte Dir die ganze Nacht zuhören. 
Aber so viel Geld und Alles wieder verspielt!" 
Diese Vorstellung schien niederschlagend auf 
ihn zu wirken, er senkte den Kopf und 
höchst traurig vor sich hin. 
„Nimm Dir's nicht zu Herzen, Bruder," 
beruhigte Müller. „Wer Glück in der Liebe 
hat, hat Unglück im Spiel und ich hab' stets 
fabelhaftes Glück bei den Weibern — ich 
kann auch sogen: „Weenich, wiedu wixsic!" 
sic waren Alle in mich verschossen, rein weg; 
nur beim Spiel hab' ich merkwürdig Pech. 
Die Karten sind mein Unglück. Spielst Du 
auch, Bruder'?" wandte er sich plötzlich an 
dm Matrosen. 
„Nein, aber mein Freund spielt leiden 
schaftlich gern," er zeigte auf den Engländer, 
der noch immer in seinem tüchtigen Rausche 
vor sich hinstarrte. 
Müller forderte Jack sogleich in englischer 
Sprache auf, daran Theil zu nehmen und 
dieser nahm die Einladung bereitwilligst an. 
Bald war das Spiel im vollen Gange; 
Jack gewann Anfangs fortwährend, und 
davon verlockt, besetzte auch der deutsche 
Matrose eine Karte, es schlug ebenfalls zu 
seinen Gunsten aus, er steckte das Goldstück 
zu sich und spielte trotz alles Zuredens nicht 
weiter, dagegen bestellte er wieder sechs neue 
Flaschen und dies söhnte seine Landsleute 
mit ihm aus. Jack und Müller tranken 
fortwährend um die Wette, nur mit dem 
Unterschied, daß sich der trunkene Zustand 
des Ersteren zu verschlimmern schien, während 
an dem Letzteren noch . keine Spur eines 
eigentlichen Rausches zu bemerken war. 
Bald jedoch schlug das Glück um, Jack 
verlor eine Summe nach der andern und 
nach kurzer Zeit war er völlig ausgebcutelt 
und sein Gcld in die Taschen Müllers und 
dessen Genossen gewandert. 
„Ich bin fertig!" ries Jack mit großem 
Glcichmnth und nahm dabei einen kräftigen 
Schluck. 
„Soll ich Dir was borgen?" fragte sein 
deutscher Freund. 
„Kein Engländer borgt von einem Deut 
schen," entgegnete dieser hochmnthig. 
„Das ist ja eine Beleidigung," stachelte 
Müller seinen Landsmann auf. 
„Er ist betrunken," war dessen ruhige 
Antwort und wirklich machte sich die Wirkung 
des genossenen Weines geltend, die um so 
stärker war, als Jack schon bedenklich ange 
trunken im durstigen Hering erschienen war. 
Er blieb auch jetzt seinem schweigsamen Cha 
rakter treu, sprach kein Wort, sondern focht 
mehrmals mit den langen Armen in die Luft, 
nahm eine Boxcrstellung an, als wollte er 
sich gegen einen anstürmenden Feind verthei 
digen und fuhr dann zum unauslöschlichen 
Gelächter der Anderen mit einem gewaltigen 
Ruck polternd unter den Tisch. 
„Der ist abgethan!" rief Müller trium- 
phirend. 
„So macht er's immer," bemerkte der 
deutsche Matrose. „Lassen wir uns nich 
stören, wir trinken weiter," und er ging mi 
gutem Beispiel voran, indem er ein volle, 
Glas hinunter stürzte. Die Anderen folgten 
Unterm Tisch begann Jack schon snrchter 
sich zu schnarchen. 
„Er schnarcht wie eine Drcchslerbank," 
meinte sein deutscher Freund. 
„Ach, das ist noch gar nichts," rief Mülle 
sogleich. „Ich kannte in Amerika cinei 
Gummischuhfabrikanten, der jede Nacht auf 
stehen und in einem einige Hundert Schrit 
weit entfernten Gasthofe eine Schlafstell 
suchen mußte, um nicht durch sein eigene? 
Schnarchen aufgeweckt zu werden." 
Ein tolles Gelächter folgte seinen Worten 
„Teufelskerl, ich muß Dich umarmen/ 
schrie der Matrose und drückte Müller stürmisch 
an seine Brust. „Sechs Flaschen Wein," 
befahl er von Neuem und wenn er anck 
leider nicht im Spiel zu rupfen war, fandet 
die deutschen Landsleute wenigstens sein, 
Freigebigkeit höchst achtcnswerth. 
Müller wurde durch den Beisall, dm sein, 
Späße fanden, immer mehr angestachelt und 
in die heiterste Stimmung versetzt. Et 
schwatze immer tolleres Zeug durcheinandei 
und sein Groll gegen leere Gläser much? 
mit seiner guten Laune. Kaum hatte de, 
Matrose das GlaS wieder gefüllt, so empfand 
er das dringende Bedürfniß, es wieder zr 
leeren und doch konnte er die Verfassung 
seines Glases am wenigsten vertragen, e? 
mußte rasch wieder gefüllt werden. 
Vergeblich waren die Winke und All 
Mahnungen seiner Genossen, sic erhöhten nm 
feinen Eifer, jeder Flasche ans den Grund 
zu kommen. „Ach, Ihr denkt, ich werd« 
von den paar Tropfen betrunken, wie off
	        
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