Full text: Newspaper volume (1895, Bd. 1)

Mâàsàrger M Wochenblatt 
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WO. 104. 
Montag, den 6. Mai 
1895. 
Morgen-Lep eschen. 
Berlin, 6. Mai. Die Nordlandsreise 
kr Kaisers wird sich in diesem Jahre nicht 
lach Norwegen, sondern gutem Vernehmen 
M nach der Ostsee erstrecken. Dabei ist 
'kr Stadt Stockholm ein Besuch zugedacht. 
Bcrliu, 6. Mai. Die gestrige Konferenz 
°ks Kaisers mit dem Reichskanzler Fürsten 
Hohenlohe und Marschall war offen 
er durch die gestern eingetroffene Antwort 
Japans auf die Vorstellungen Deutscb- 
Fds, Frankreichs und Rußlands verein 
et. Die Antwort befriedigt die Mächte 
'°ch nicht; sie bietet aber eine Unterlage für 
fitere Verhandlungen. Japan verzichtet auf 
He Besitzergreifung in der Mandschurei und 
'»s den Besitz der Halbinsel Liaotong, be- 
"kht aber auf Port Arthur, 
ì Bcrliu, 6. Mai. In der ostasiatischen 
^age dauern, der „Post" zufolge, die 
^Handlungen der intervenirenden Mächte 
»>it 
Japan fort; es hat den An> 
^ein, als ob sie zu einem befriedigenden 
^gebniß führen werden. 
Berlin, 6. Mai. Der Abg. Dr. Bött> 
Fr (nl.) beabsichtigt, sein Reichstags- 
Fssdat, dessen Ungültigkeit von der Wahl- 
^fungskommission ausgesprochen worden 
5 niederzulegen, wenn das Plenum die 
îAscheidunģ gefällt hat. 
Berlin, 6. Mai. Der natioualliberale 
-geordnete Dr. Boettcher wird auf 
Deutes Ersuchen der nationalliberalen 
Aktion sein Mandat nicht niederlegen, 
j letztere den Versuch machen will, die 
Et eifg geschlossene Diskussion über die 
Ostung der Wahl wieder eröffnen zu 
"lien, um die directen Irrthümer in der 
.»sfassung der Commission darzulegen, 
?>che zu der Ungültigkeitserklärung der 
^°hl geführt haben. 
.Berlin, 6. Mai. Die nationalliberale 
k'chtagsfraktion hat die Umsturzvorlage 
' diesen Tagen berathen und dieselbe 
gelehnt. 
Berlin, 5. Mai. Heute Vormittag 
im „Kaiserhof" die g r o ß e P r o tefü 
krsammlung gegen die U m st u r z- 
l a g e, zu welcher etwa 15 0 deut 
le Städte Vertreter entsandt und 
Aesähr ebenso viel telegraphisch und brief- 
ji ihre Zustimmung ertheilt hatten. Unter 
^îen Städten heben wir folgende hervor: 
-fUin, Charlottcnburg, Stettin, Cottbus, 
- bt, Beuthen, Breslau, Zittau, Görlitz, 
nn, Colberg, Braunschweig, Altona, 
"digsbcrg, Nordhausen, Rostock, Mühl 
hausen i. Th., Torgau, Bielefeld, Gera, 
Halle, Cassel, Frankfurt a. M., Hanau, 
Mainz, Wiesbaden, Heidelberg, Mannheim, 
Alzey, Höchst, Baden-Baden, Wetzlar, Stutt 
gart, München, Offenburg, Freiburg i. B., 
Konstanz, Nürnberg, Eisenach re. Stadt- 
verordneten-Vorsteher Dr. Langerhans-Ber- 
lin, welcher später auf allgemeines Ver 
langen den Vorsitz übernahm, eröffnete um 
11'/2 Uhr die Sitzung und hieß die Ver 
sammlung willkommen. Er wies auf die 
kurze Spanne Zeit hin, die nur für die 
Einladungen vorhanden war, tvodurch es 
leider an der nöthigen Sorgfalt fehlen 
mußte. Nur an die Bürgermeister und 
Vertreter sämmtlicher deutscher Städte habe 
sich die Einladung zur heutigen Versamm 
lung gerichtet, als Vertreter der ganzen 
Bürgerschaft Deutschlands, indessen einen 
Mann habe er sich verpflichtet gehalten, 
besonders einzuladen, der es durch seine 
öffentliche Erklärung gegen die Umsturz 
vorlage gewiß verdiene. Dies sei Prinz 
Schöuaich-Carolath, den er gewissermaßen 
als Ehrengast betrachte. Prinz Schönaich. 
Carolath (Reichstagsabg.) dankt dem Vor 
sitzenden für die Einladung, wodurch es 
ihm möglich gemacht sei, der Versammlung 
als Gast beizuwohnen. Er habe sich die 
selbe eigentlich ausgedehnter gedacht, aber 
die Kundgebung aus mehr als 200 Städten 
beweise, welche große Gefahr dem Vater 
lande drohe. Wenn dieses Gesetz, was 
wir wünschen, falle, dann heiße es auf der 
Hut sein vor den Leuten, die uns das all 
gemeine gleiche Wahlrecht nehmen wollten. 
Das deutsche Volk müsse selbst handeln 
und sich nicht aus die Obrigkeit verlassen. 
Redner, der oft von brausendem Beifall 
unterbrochen wird, schließt mit den Worten: 
„Fort mit dieser Vorlage." Stadtschulrath 
Geheimrath Bertram-Berlin bespricht das 
Umsturzgesctz, indent er Vergleiche zwischen 
der Regierungsvorlage und dem Kom- 
miffionsbeschlusse stellt. Der Gesetz-Ent 
wurf sei gegen die Feinde des Landes be 
stimmt gewesen und treffe seine Vertheidiger. 
Wie könne ein solches Gesetz von denen 
verstanden werden, die cs befolgen sollen. 
Reichstagsabgeordneter Ehm - Stuttgart 
bringt der Versammlung Grüße und Sym 
pathie-Bezeugungen aus Schwaben und 
giebt ein Stimmungsbild über das Um 
sturzgesctz aus Süddeutschland. In Würt 
temberg seien nicht nur die städtischen Ver- 
tretungen gegen die Vo-.lage, sondern auch 
das Abgeordnetenhaus habe sie in seiner 
Majorität verworfen. Wir im Süden, endet 
Redner, sind überhaupt gegen allen Umsturz, 
von Eicke-Hamburg erklärt, daß sich in der 
Hamburger Bürgerschaft auch nicht eine 
Stimme für das Umsturzgesetz finde. Die 
Stadt Hamburg habe ihre Unterschrift zur 
heutigen Protestkundgebung nur deshalb 
versagt, weil sie nicht nur städtische Ver- 
tretung sondern auch gesetzgeberischer Körper 
sei. Reichstagsabgeordneter Dr. Alexander 
Meyer bespricht das Umsturzgesetz in der 
von der Regierung dem Reichstag vorge 
legten Form, das er als ein Sozialisten 
gesetz bezeichnet. In der jetzigen Form, 
die sie durch die Kommission erhalten 
habe, treffe die Vorlage hauptsächlich 3 
Wissenschaften und zwar die Naturwissen 
schaft, die Theologie und die Philosophie; 
auch die Geschichtsforschung bekomme eine 
Kleinigkeit ab. Nach einer weiteren kurzen 
Bemerkung eines Herrn Roeder aus Tel 
tow nahm die Versammlung folgende 
Resolution einstimmig an: „Die in Berlin 
versammelten Mitglieder deutscher kommu 
naler Körperschaften erblicken in der soge 
genannten Umsturzvorlage eine Einschrän- 
kung derjenigen Freiheit der öffentlichen 
Kritik, welche die unentbehrliche Voraus 
setzung einer gesunden Entwickelung des 
öffentlichen Lebens und insbesondere kommu 
naler Selbstverwaltung ist. — Erfüllt von 
der Besorgniß, daß die gesetzgeberische 
Zurückdrängnug der öffentlichen Kritik allen 
Gebieten des staatlichen Lebens den Fort- 
schritt hindern, vielfach die gewerbliche 
Thätigkeit in hohem Maße beschränken, die 
Heilung solialer Schäden erschweren und 
damit die Unzufriedenheit vermehren 
würde, richtet die Versammlung an den 
Reichstag das dringende Ersuchen, die 
Uinsturzvorlage in jeder Gestalt ablehnen 
zu wollen." Es wurde beschlossen, daß 
der Resolution die Namen sämmtlicher 
Theilnehmer der Versammlung untergesetzt 
wurden, sowie die Bemerkung, daß sich der 
Petition außerdem 170 Städte telegraphisch 
und brieflich angeschlossen haben. — Der 
Versammlung wohnten eine Reihe Ober 
bürgermeister, darunter der hiesige Ober- 
bürgermeister Zelle bei. — Um 12 3 / 4 Uhr 
schloß Dr. Langerhans die Versammlung, 
worauf ein gemeinschaftliches Frühstück 
eingenommen wurde. 
Berlin, 6. Mai. Heute früh hat die 
unverehelichte Pauline Gröst ihr fünfjähriges 
Töchterchen in ihrer Wohnung 5 Treppen 
hoch zum Flurfenster hinaus auf den Hof 
geschleudert und ist sodann nachgesprungen. 
Die Ursache zu dem Mord und Selbstmord 
*) 
Der Falschmünzer. 
Novelle von Ludwig Habicht. 
-,Sic selbst haben in dem Gartenhause 
.şvhnt und wissen recht gut, daß mein 
dort nicht Falschmünzerei betreiben 
Me." 
.--Er wird wohl Alles bei meiner Ankunft 
Seite geräumt haben; aber nachdem ich 
î Haus verlassen, hat er Tage lang dort 
-Wie können Sic das behaupten, da Sic 
1 nicht mehr bei uns waren?" warf 
"Fsit ein und ihre dunklen Augen ruhten 
Ft durchdringend auf Feodor, der kaum 
Verlegenheit verberge» konnte. „Ich 
Fhinaße nur," erwiderte er nach einigem 
.Anen, denn wo sollte er sonst gearbeitet 
|"Unb doch wissen Sic, daß er unschuldig 
F°^ß ex nimmermehr dies schändliche Ver 
bs' begangen hat," fuhr Harriet fort und 
nahmen einen fast drohenden Aus- 
1 an. 
Fräulein?" stotterte Müller, „wie 
Şìe zu dieser wunderlichen Bchaup- 
ty. Dann fuhr er schon wieder sicherer 
I - -Dccin Freund hat leider eine Vorliebe 
,ş Gold, ich habe ihn oft gewarnt und 
ş'. bas wird Dir noch Unglück bringen 
^ hat cs ihn bis zur Falschmünzerei 
fonnte Mary nicht länger an sich 
bp - die Schändlichkeit dieses Menschen 
ì ^.weit; todtenbleich trat sic ihm ent- 
tzlA ^hre sonst so ruhigen Taubcnaugen 
Ai °Men.Blitze und mit zorncrstickcndcr 
't>c rief sic: Elender, das wagen Sic 
zu sagen, Sie, der allein damals seinen un 
erfahrenen Sinn berückt und ihn aus den 
Pfad der Sünde gelockt, Fluch Ihnen und 
ewige Vcrdammniß! Sie werden trotz aller 
Ränke und Schliche Ihrem Berhängniß nicht 
entgehen, und für all' Ihre Niederträchtigkeit 
endlich doch den Lohn erhalten!" 
Feodor siel wie aus den Wolken; einen 
solch' heftigen Surm hatte er am Wenigsten 
von dem sanften, stillen Kinde erwartet; aber 
so war sie erst recht nach seinem Geschmacke, 
mochte sie sich immerhin ein wenig sträuben, 
um so glühender mußte sich dann auch ihre 
Liebe zeigen. Nachdem er sich von seiner 
Ueberraschung erholt, brach er in ein freches 
Gelächter aus und rief übermüthig: „So 
gefällst Du mir, Liebchen! Hast niemals 
prächtiger ausgesehen als in diesem Augenblick, 
aber treib' vie Komödie nicht zu weit, sonst 
könnte ich doch verdrießlich werden. Bedenke 
die Tochter eines zu lebenslänglicher Depor 
tation Verurthcilten hat keine große Wahl 
mehr. Laß Dich deshalb an mein Herz 
drücken, Schätzchen!" Er streckte schon die 
Arme aus und wollte in blinder Leidenschaft 
auf sic losstürmen, da fühlte er sich plötzlich 
von hinten ^ gepackt und in einem Nu zu 
Boden gerissen. „Was suchen Sie hier?" 
fragte eine ganz ruhige Stimme. Es war 
die Mr. Templeton's. Mary mochte vor Auf 
regung kein Wort hervorzubringen und des 
halb gab Harriet die nöthige Aufklärung: 
„Dieser freche Mensch, der meinen Vater in's 
Unglück gestürzt, hatte jetzt die Stirn, Mary 
einen Hcirathsantrag zu machen." 
„Was unterstehen sie sich, hinaus!" befahl 
Templeton und machte Miene, den eben erst 
auf seine Füße gekommenen Müller noch 
einmal niederzuboxen. 
Trotz seines beinahe herkulischen Körpers 
erwachte in ihm der alte Feigling. Die 
Boxerstcllung des Engländers kam ihm zu 
bedenklich vor — er murmelte einen Fluch 
und zog sich dann vorsichtig zurück, erst an 
der Thür stieß er noch einige Drohungen 
aus, dann war er verschwunden. 
Jetzt erst vermochte Mary das Vorgefal 
lene zu erzählen. Templeton wurde nach 
denklich. — „Jean muß mit km Schurken 
im Bunde sein," begann er nach einer Pause, 
„denn er sagte mir, die jungen Damen seien 
ausgegangen und als ich dennoch auf den 
Eintritt bestand, weil ich Dir eine kleine 
Ueberraschung mitgebracht, da wurde er ver 
legen und meinte, Ihr wolltet nicht gestört 
sein. Mir war ohnehin die bestürzte Miene 
des Burschen aufgefallen, deshalb kehrte ich 
mich nicht an seine dringenden Vorstellungen, 
und wie ich sehe, habe ich gut daran gethan." 
Die Erkenntniß, daß Müller mit Jean 
noch immer im besten Einvernehmen stehe, 
wirkte auf die Schwestern wahrhaft beun 
ruhigend. Der glatte Franzose hatte eine 
solche Ergebenheit geheuchelt, und sie glaubten, 
sich gerade auf ihn verlassen zu können; nun 
sahen sie sich plötzlich in ein förmliches Netz 
von Verfolgungen gesponnen. Templeton 
rieth, den nichtswürdigen Burschen sofort zu 
entlassen und wie man noch die Angelegenheit 
weiter besprach, erschien Dr. Willibald. 
Jetzt hatte Mary vollauf zu thun, um 
ihrem Bräutigam dm schrecklichen Hergang 
ausführlicher zu berichten und so konnte sich 
das andere Paar auch allein angehören. 
Jedes von Ihnen plauderte in einem Winkel 
leise weiter. 
So wenig wie Templetons Liebe konnie 
die Willibald's durch die letzte schwere Enl 
ist in der Nothlage der Gröst zu suchen. 
Beiden wurde der Schädel zertrümmert 
und der Tod war sofort eingetreten. 
Elding, 6. Mai. Das hiesige Schwur 
gericht verurtheilte heule Nachmittag nach 
4tägigcr Verhandlung 6 Bürger der 
StadtStuhm wegen wissentlichen Mein 
eides und Anstiftung dazu zu Zuchthaus 
strafen von 2 bis 5 Jahren und zwei 
Bürger wegen fahrlässigen Meineides zu 
6 resp. 18 Monaten Gefängniß. Ein 
Bürger wurde freigesprochen. Der Mein 
eidsprozeß war durch Beschuldigungen ver 
anlaßt, die dem katholischen Pfarrer von 
Stuhm Fälschungen von Wahllisten zur 
Last gelegt hatten. In dem Prozeß wur 
den etwa 100 Zeugen vernommen 
Sondcrburg, 6. Mai. Der Unter 
suchungsrichter entließ die Aufsichtsraths 
mitglieder der Sondcrburger Bank 
aus der Haft, nachdem sie das Ehrenwort 
abgegeben hatten, die Stadt nicht zu ver 
lassen. 
Risch, 6. Mai. Der Rücktritt des 
gesammten Kabiiiets steht bevor. Es ver 
lautet, der König werde Garaschin oder, 
falls dieser ablehne, die Radicalen berufen. 
Belgrad, 6. Mai. Der Rücktritt des 
Finanzministers Petrowic ist auf die direkte 
Aufforderung sämmtlicher Minister und 
auf den Wunsch des Königs zurückzuführen. 
Dies bedeutet einen Sieg des Königs 
Alexander über Milan. Die Aufregung 
wegen des Finanzabkommens ist ungeheuer. 
Alle Blätter erklären, das Abkommen 
führe Serbien zum Bankerott. Sie be 
schuldigen den Finanzminister offen der 
Bestechung; auch die ausländischen Banken 
werden heftig angegriffen. 
Laibach, 6. Mai. Heute früh gegen 
4 Uhr wurde abermals ein Erdstoß ver 
spürt. 
Brünn, 6. Mai. Unter dem Verdachte, 
auf die Schienen der Lokalbahn eine Blech 
büchse gelegt zu haben, die während der 
Fahrt explodirie, wurden 2 Personen ver- 
hastet. Bei der Explosion ist niemand zu 
Schaden gekommen. 
Wien, 6. Mai. Die politische Lage ist 
noch unverändert. Baron Bansfy sollte 
heute vom Kaiser empfangen werden, trotz 
dem beziveifelt man eine baldige Lösung 
der Krise. Graf Kal noky soll ans seinen 
Rücktrirt bestehen und auch für Baron 
Banssy werden bereits Nachfolger, zunächst 
Graf Khuen-Kedervary, genannt. Einen 
Systemwcchsel in Ungarn hält man für 
nicht wahrscheinlich, obgleich das gesammte 
scheidung erschüttert werden. Er hatte dein 
jungen Mädchen gestern beim Scheiden mit 
bewegter Stimme gesagt: Harriet, lasse den 
Muth nicht sinken, was gäbe cs wohl auf 
der Welt, das zwei cngvcrbundcuc Herzen 
nicht überwinden könnten? und heut kam er 
um der Tochter des Verurthcilten noch einmal 
Herz und Hand anzutragen. — Wie wohl 
thuend berührte sie sein unerschütterlicher 
Glaube an die Unschuld des Vaters und sie 
erzählte ihm, was sie von dem Acrmsten ge 
hört und das eben Vorgefallene. 
Der Doktor hatte mit großer Spannung, 
ohne Harriet zu unterbrechen, auf jedes Wort 
gelauscht und als sie mit ihrem Bericht zu 
Ende war, ging er in sichtlicher Erregung 
einige Mal im Zimmer auf und ab, öffnete 
dann die Thür, um sich zu überzeugen, ob 
Jemand im Vorderzimmer >var und als er 
cs leer fand, sagte er lebhaft: „Kein Zweifel, 
das ist ein elendes Komplott und wir müssen 
den Buben auf die Spur kommen." Als 
ihn Harriet fragend anblickte, fuhr er fort: 
„Jean ist von Müller empfohlen worden, er 
bat dann Deinem Vater vorgcschwmdett, daß 
sein Freund nach Amerika geflüchtet sei und 
statt dessen bis zur heutigen Stunde mit ihm 
in Verbindung gestanden, — von diesem 
französischen Spitzdubcngesicht war ohnehin 
das Schlimmste zu erwarten." 
„Er hatte ein so offenes freundliches Aus 
sehen." 
„Harriet, es wäre traurig, wenn Du 
bereits die Menschcnkenntniß besäßest, um 
auch den abgefeimtesten Heuchler zu durch 
schauen, aber ich hege nicht den mindesten 
Zweifel, daß diese aalglatte, französische Be- 
dientcnseelc an Deinem Vater den schänd 
lichsten Verrath geübt." 
Kabiuct sich mit seinem Präsidenten ein 
verstanden .erklärt, indessen außer diesem 
im Amte verbleiben dürfte. 
Panis, 6. Mai. Wie hiesige Blätter 
melden, sollen im nächsten Monat die 
deutschen Reichstagsabgeordneten Bebel 
und Liebknecht hier eintreffen, um in Ver 
sammlungen Vorträge zu halten, die von 
sozialistischen Studenten abgehalten werden. 
Paris, 6. Mai. Der Marineminister 
soll wegen der Haltung der chauvinistischen 
Presse über die Thatsache, daß ans den 
Flaggen der nach Kiel zu den Festlichkeiten 
zu entsendenden französischen Schiffe die 
Jahreszahl 1870 angebracht wird, tele 
graphisch die Marineverwaltung in Brest 
angewiesen haben, auf den Schiffsflaggen 
überhaupt ceine Jahreszahl anzubringen. 
Ncwyork, 6. Mai. Im Staate Iowa 
hat ein Wirbelsturm die Schulhäuscr zer 
stört, wobei eine große Anzahl Kinder ge- 
tödtet wurden. Häuser sind vollständig 
abgedeckt, Felder vernichtet. 
AKslarrv. 
Anhereuropäische Gebiete. 
Ncwyork, 4. Mai. Ein verheerender 
Orkan wüthete in Sioux County, Staat 
Jova. Drei Schulhäuser wurden durch die 
Gewalt des Sturmes zerstört, die Schüler 
unter den Trümmern begraben. 
Zwanzig Wohnhäuser sind vernichtet, 
Hunderte von Menschengetödtct 
worden. Ein wolkendruchartiger Regenguß 
spülte die Eisenbahnschienen weg, so daß 
den Unglücklichen keine Hilfe von außen 
zugeführt werden kann. 
JLaUeu. 
Rom, 3. Mai. Der Papst übergab 
den Kardinälen, Ordensgenerälen und an 
deren leitenden Personen ein langes bedeu 
tungsvolles Schriftstück als sein politi 
sches Testament. Nach einer Betrach 
tung der Lage des Heiligen Stuhles bittet 
der Papst die Kardinäle, nach seinem Tode 
die Wahl des nächsten Papstes 
nach Möglichkeit zu beschleunigen, um Rän 
ken von außen oder der Eifersucht fremder 
Mächte nicht Zeit zu lassen, die freie Ab 
stimmung der Kardinäle zu beeinflussen 
oder dem neugcwählten Papst Schwierig 
keiten zu bereiten. Als die Absicht des 
Schriftstückes gilt, daß der Papst die Wahl 
eines Nachfolgers zu sichern wünsche, der 
seine Polilik fortsetze. 
„Er muß auf der Stelle fort," rief 
Templeton dazwischen, der den Ausruf des 
Doktors gehört. 
„Nein, nein," erklärte Willibald, „damit 
würden wir uns jede Gelegenheit entschlüpfen 
lassen, ihr schändliches Geheimniß zu er 
gründen." 
„Niemand anders als dieser Jean hat 
jene Werkzeuge in das Gartenhaus gebracht, 
um Deinen Vater zu verderben." 
Harriet jauchzte laut auf: „Ja, so ist es, 
es muß so sein: O, Du giebst mir das 
Leben wieder!" 
Mary wurde von dieseni Gedanken eben so 
lebhaft ergriffen und Templeton rief unge 
wöhnlich rasch: „Dann soll der Bube an 
unserm höchsten Galgen baumeln." 
„Noch ist nichts damit gewonnen, aber 
ich hoffe, daß wir dennoch die Schurken 
überlisten. Vor allen Dingen müssen wir 
Jean in Sicherheit wiegen und ihn nicht das 
Mindeste merken taffen. Harriet, Du mußt 
ihm sogar morgen eine Guinee schenken, als 
Beweis Deiner vollsten Zufriedenheit." 
„Stockschläge wären weil besser angewandt," 
meinte Templeton. 
Da stürzte die alte Betty ganz gegen ihre 
Gewohnheit in großer Hast herein und 
berichtete in gewaltiger Aufregung: „Unser 
Jean ist soeben ausgerissen." 
„Ah, er hat bereits bemerkt, daß seine 
Rolle hier ausgespielt ist, rief Willibald. 
„Der Schändliche! ich fragte ihn, was 
das bedeuten solle," fuhr die Alle mit 
ziternder Stimme fort, „und der freche 
Mensch antwortete mir, er wolle nicht mehr 
in einem Hause leben, wo der Herr" — 
sie mochte das vcrhängnißvollc Wort nicht
	        
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