Full text: Newspaper volume (1895, Bd. 1)

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88ster Jahrgang. 
1805 
mW 
iprinzenstr. 9. 
er in einem 
und daselbst 
girte, sucht 
Nanufactur- 
leres bei 
in Crfde. 
Moraen'Depeschen 
Berlin, 23. April. Wegen Betheiligung 
mgm -f? Presse an den Feierlichkeiten zur Er 
i|Jl Ņung des Nordostseekanals haben der 
preußische Minister des iJnnern und der 
Staatssekretär des Auswärtigen Amts Ein- 
— - mdungen zu einer Konferenz am 23. d. M. 
' hervorragende Vertreter der Presse 
'rgehen lassen. 
Berlin, 23. April. Der Verüben der 
5m Ostermontage in der Kirche zu Teltow 
in, dortigen Postgebäude vorgekommenen 
Abbrüche ist in Großlichterfelde in der 
Person eines 17jährigen Burschen, Namens 
"dvls Tempel verhaftet worden. Er gab 
er habe auch das Postamt in Groß 
p-lchterfelde bestehlen wollen. 
Berlin, 23. April Der erste Vize- 
Präsident des Reichstages Schmidt (Bingen), 
vor Beginn der Osterferien wegen eines 
^àidens aus ärztliche Anordnung nach 
sollanza gegangen war, ist um weiteren 
Urlaub eingekommen, um sich noch einer 
.Nachkur unterziehen zu können. Er wird 
«a er den nächsten Sitzungen des Reichs 
1 . Zes fernbleiben. Der zweite Vizepräsident 
-^ Abgeordnetenhauses Dr. Gras (Elder 
) ist an einer fieberhaften Luströhren- 
K^^ņ^uņg erkrankt und wird daher vor 
tide der Woche nicht hier zu den Sitzun 
şi eintreffen. 
Berlin, 23. April. Ein Gewinn von 
00 000 Mk. fiel auf Nr. 177 094 in der 
Mrigen Ziehung der preußischen klaffen 
Lotterie. 
( *8*rlia, 23. April. Der „Reichsanz/ 
^êlbt: „Von den „Berliner Politischen 
mchnchten" und dem „Hamb. Corresp." 
°erden Andeutungen verbreitet, als ob 
maßgebender Stelle eine Zurück, 
ilehung der Umsturrvorlage 
°us den Berathungen des Reichstages in 
Aussicht genommen sei. Es ist demgegen- 
?per daraus hinzuweisen, daß die Ein- 
jngung der Vorlage aus einem Beschluß 
J 1 verbündeten Regierungen beruht. Eine 
^tschljxstung des Bundesraths, durch die 
JJ* frühere Beschluß rückgängig gemacht 
deî»ņ würde, steht nicht in Frage. Die 
, vbündeten Regierungen dürfen an der 
nat alt. 
:enftr. 5 72 
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schüft, 
ligstraße.^ 
Delikatessen' 
t mit guten 
F. Rcstorss' 
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e Vanirli 
raße. 
„Wartung festhalten, daß es in den 
. Ueren Berathungen des Reichstages ge 
finden. 
msthal. 
ļ'pgen 
ļ>e 
wird, der durch die Kommissions- 
^athungen erheblich umgestalteten Bor> 
"ne Form zu verschaffen, welche den 
den verbündeten Regierungen 
Anbringung verfolgten Absichten 
bei der 
gerecht 
Friedrichsruh, 23. April. Zum Empfang 
der Deputation der Alten Herren der 
deutschen Burschenschaften durch den Fürsten 
Bismarck wird noch gemeldet, daß der 
Fürst zu einem der Herren, der bei dem 
rheinischen 28. Regiment gestanden, sagte: 
„Der alte Wellington (der Chef des Regi' 
ments) ist mir noch aus meinen Kinder 
jähren erinnerlich; ich habe ihn als Schul 
junge später auch in England gesehen, in 
den vierziger Jahren. Er war sehr lang 
lebig." 
Fricdrichsruh, 22. April. Der Fürst 
führte in seiner Ansprache an die Depu 
tation der alten Herren der deutschen Bur 
schenschasten bei dem bereits gemeldeten 
gestrigen Empfang aus: „Die Republikaner 
sind die ersten Burschenschafter kaum ge 
wesen, vielleicht die Imperialisten. Sie 
waren kaiserlich-national gesinnt. Ich bin, 
wie ich zur Universität kam, von dem Vor' 
urtheil der Corpsburschen gegen die Bur- 
schenschafl geleitet gewesen. Außerdem 
widerstrebte mir das persönliche Material. 
Die Burschenschafter, mit denen ich in 
Berührung kam, hatten nicht den gesell 
schaftlichen Schliff, den ich von Berlin ge' 
wohnt war, daher meine Abneigung, ob' 
schon ich schon damals national-deutschen 
Glauben hatte und 1832 eine Wette ein- 
ging, die deutsche Einheit würde in 20 
Jahren geschaffen sein. Ich war vom 
Berliner Gymnasium mit ziemlich republi- 
konischer Gesinnung abgegangen, hatte eine 
gewisse Sympathie für Harmodius und 
Aristogeiton übrig behalten und fand es 
schwer verständlich, warum so viele Leute 
Einem gehorchten, wenn er ihrer Geschmacks- 
richtung als Herrscher nicht entsprach. Erst 
als Diplomat bin ich zum Nachdenken über 
die Mittel zur Herstellung der deutschen 
Einheit gekommen, da leuchtete mir in 
der Frankfurter Zeit ein: Wenn die preu- 
zische Armee nicht für die Sache eintritt, 
!o schlägt sie nicht durch. Das stärkste 
Element war natürlich der König von 
Preußen. 
Friedrichsrnh, 23. April Gestern fan. 
den hier wiederum 2 Empfänge statt. Zu- 
nächst begrüßte Fürst Bismarck eine De 
putation deutscher Burschenschaften, die im 
Namen von 9000 alten Herren der deut 
schen Burschenschaften den Fürsten beglück 
wünschte und zum Ausdruck brachte, daß 
alle Kräfte der Burschenschaften auf die 
Erhaltung und Kräftigung des deutschen 
Reichs gerichtet seien. Der Fürst entgeg- 
nete, er hätte in seiner Politik dieselben 
Ziele verfolgt wie sie; daß die Erfolge so 
verschieden seien, läge ausschließlich in 
den Verhältnissen und in den Mitteln, die 
beiderseits angewandt wurden. Weiterhin 
empfing der Fürst eine aus 17 Personen 
bestehende Abordnung der Dessauer, die 
den Auftrag hatte, die am nahen Waldes 
rande zur Aufstellung gelangte Hirsch 
gruppe aus Erz dem Fürsten persönlich zu 
übergeben. Der Fürst führte in Erwiderung 
auf die Ansprache eines Herrn aus, die 
Begrüßung sei ihm deshalb so lieb, weil 
das kleine Land Anhalt-Dessau, obwohl es 
früher so völlig in Kleinstaaterei aufge 
gangen und das eigentliche Treibhausbeet 
des Partikularismus gewesen, sich dennoch 
mit der Herstellung des deutschen Reiches 
so willig abgefunden habe. Es mußte also 
doch noch etwas Idealeres geben, was über 
den Partikularismus hinausging und das 
war das deutschnationale Gefühl, das überall 
damals unter der Asche glühte und auf 
flammte, sobald das Feuer im Heerd an- 
gefacht wurde. Später kam der Altreichs- 
kanzler jwieder auf das sogenannte Klebe 
gesetz zu sprechen. Es sei nicht sein Kind, 
sondern ein geheimräthlicher Wechselbalg. 
Auf den stolzen Hirsch weisend, sagte der 
Fürst, gut gelaunt, so übermüthig habe 
er doch als Reichskanzler nicht ausge 
sehen. Geheimrath Professor Schweninger 
war immer in der unmittelbaren Nähe 
des Fürsten. Das Publikum brachte en 
thusiastische Hochrufe aus den Fürsten Bis 
marck aus. 
Leipzig, 23. April. Das sächsische Kul 
tusininist erium hat den Lehrern die 
Ausübung der Naturheilkunde und die 
Mitgliedschaft bei Vereinen für Na 
turheilkunde untersagt. 
Wien, 21. April. Die streikenden 
Arbeiter in der Ziegelfabrik auf dem 
Wienerberg bewarfen die arbeitenden Ver 
lader mit Steinen; sie wurden von der 
Polizei zerstreut. Ein Haufe Arbeitsloser 
drang gestern Vormittag in die Roth- 
Neusiedler Ziegelwerke ein und versuchte 
die Materialien zu zerstören. Die ein- 
schreitende Gendarmerie wurde mit Steinen 
beworfen; ein Gendarm, der lebensgefähr 
lich bedroht wurde, versetzte einem Arbeiter 
einen schweren Säbelhieb auf den Kopf. 
Wien, 22. April. Eine furchtbare Ex 
plosion fand gestern auf der aerarischen 
Fabrik für rauchloses Pulver in Blumenau 
'tatt. Zwei Arbeiter sind schwer, 26 Ar 
beiter leicht verwundet. Der Material 
schaden ist sehr bedeutend. 
Laibach, 23. April. Heute Vormittag 
3 Uhr 50 Minuten fand wieder ein sehr 
starker, doch kurzer Erdstoß von schütteln 
der Bewegung statt. Die Häuser wurden 
neuerlich beschädigt. Unter der Bevölkerung 
herrscht Beunruhigung. 
Paris, 23. April. Als streikende 
Omnibusbedienstete heute Nachmittag gegen 
4 Uhr im Quartier des Ternes einen 
Omnibus anhielten, machte die Polizei von 
der Waffe Gebrauch, verwundete 2 Streikende 
und verhaftete 15. 
Antwerpen, 23. April. Gestern Nach 
mittag stürzte unter donnerähnlichem Krachen 
die Cemcntbrücke ein, welche die Congo- 
Ausstellung mit der Weltausstellung ver 
bunden hatte. 6 Arbeiter, die bei dem 
Abreißen der Brücke beschäftigt waren, 
wurden tödtlich verletzt. 
msthal. 
Arrslêîrrd« 
Oefterreich-Ungarn. 
Laidach, 22. April. Die com mis 
sarisch en Erhebungen führen neuer 
dings zu traurigeren Ergebnissen. Eine 
ungeahnt große Anzahl von Häu 
fern muß abgetragen werden. Die 
Geschäfte wurden aufs neue geschlossen. 
Eine weitere eiugetroffene Pioniercompagnie 
erweist sich als unzureichend, da sich die 
Schäden durch den Regen zusehends er 
weitern. Mittags hatte der Regen nach, 
gelassen, Abends regnete es wieder in 
Strömen. Um '/.,6 Uhr Abends wurde 
ein neuer schwacher Erdstoß verspürt. Bis 
jetzt sind keine Erkrankungen vorgekommen. 
Serbien. 
Aus Belgrad meldet die „Frkf. Ztg." 
die Regierung werde der Skupschtina ein 
Gesetz vorlegen, durch welches dem Ex- 
könig Milan eine nicht unerhebliche 
Pension bewilligt wird. 
Frankreich. 
Die Herzogin von U z è s ist in 
Paris wieder einmal der Gegenstand des 
Tagesgesprächs, wie zur Zeit, als sie Bou- 
langer die drei Millionen gab und die 
kleine Sidonie Vaillant, die Tochter des 
anarchistischen Bombenwerfers, erziehen 
lassen und ausstatten wollte. Die Künstler, 
die über die Zulassung der Bildhauerwerke 
zum Salon der Elysäischen Felder entschei 
den, haben ihr A u g i e r - D e n k m a l 
mit 24 gegen 2 Stimmen abgewiesen. 
Die Herzogin, die eine Universalgenie sein 
will, läßt es sich nicht daran genug sein, 
die erste Herzogin des französischen'Hoch- 
adcls mit Rang unmittelbar nach den 
Prinzen von Geblüt, eine sehr vielfache 
Millionärin, eine der besten Jagdreiterinnen 
des Landes und eine eifrige Parteigängerin 
der Orleans zu sein. Sie malt auch, 
knetet den Thon und schreibt 
Romane. Tondichtungen hat sie noch 
nicht veröffentlicht, dos wird aber wohl 
noch kommen, denn sie ruht nicht, bis sie 
sich rühmen kan«, daß in ihrem Salon 
alle Musen, alle neun! — freundschaftlich 
verkehren. 
Chalons-sur-Marnc, 21. April. Eine 
Fcu ersbrunst, deren Entstehung unbe- 
kannt ist, zerstörte diese Nacht die Tischler- 
Werkstätten der Kunsthandwerk-Schule. Der 
Schaden beträgt über eine Million Francs. 
Inland. 
Berlin, 22. April. In diplomatischen 
Kreisen hält man nach wie vor an der 
Annahme fest, daß neben dem Friedens- 
vertrag ein Schutz- und Trutzbündniß 
zwischen China und Japan bestehe. 
— Würde die U m st u r z v o r l a g e 
in ihrer jetzigen Fassung Gesetz, so ist, wie 
die „Berliner Politischen Nachrichten" 
hervorheben, „die Befürchtung nicht abzu- 
weisen, daß der überwiegende Theil der 
gebildeten Kreise Deutschlands dadurch in 
das gegnerische Lager getrieben und so in 
die Phalanx der staatserhaltendeu 
Elemente zum Kampfe für Religion, 
Sitte und Ordnung ein Keil getrieben 
wird. Täuscht nicht alles, so rührt diese 
Kundgebung von derselben Stelle her, wie 
die Artikel in dem „Hamburger Corresp.", 
nämlich von dem Abg. Freihr. v. Zedlitz. 
Der letztgenannte aber vermittelt dergleichen 
Artikel in die offiziöse Presse nur dann, 
wenn er sich eines Rückhalts bei der preu- 
ßischen Regierung, insbesondere bei dem 
Finanzminister Miguel sicher weiß. 
. • Umsturzdiplomaten nennt 
die „Korrespondenz für Centrnmsblätter" 
die verschiedenen Offiziösen, welche 
jetzt über die Haltung der Regierung gegen 
über der Umsturzvorlage in dem „Hamb. 
Corresp." und in der „Rordd Allg. Ztg." 
orakeln. Des langen offiziösen Geredes 
kurzer Sinn sei: „dem Centrum muß 
Alles entzogen werden, was es in dieser 
Session erstrebt und angebahnt hat; das 
Jesuitengesetz soll bestehen bleiben und aus 
der Umsturzvorlage die Centrumsperlen 
herausgebrochen werden. Ob die Regie 
rung glaubt, daß sie das erreichen könne, 
im Kronwerk' 
Wochenbl. . 
Der Falschmiriyer. 
Wasserleitung' 
> Bodenrauin 
hilstrasiep. 
chnnilg » ie ? 
Î, enthalten" 
. Bequemlich' 
Michels 
niethen: , 
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KebenräuineN 
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Batists. 23. 
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öl. Wohnn^ 
nmer, 
artenlaiid. - 
:, Bild etstoß 
Nr. 41' 
Ute. 
fmiihleiş 
Nr. 
Novelle von Ludwig Habicht. 
Waö konnte es für sie Schöneres geben, 
cv diese Stunden, in denen beide am 
I U 9 C J fnßcn, sic mit glühenden Wangen das 
. Nnäckig eingeübte Stück vortrug und nun 
d 5 freundliches Nicken beobachtete, sein 
s..ņwnàndes Wort hörte, mit dem er ihre 
»,> !^^°?fchritte bewunderte. Dann wurden 
b î e Ģàchte vorgenommen, er las sic ehr 
. mit seiner klangvollen, sonoren Stimme: 
L wiegte Mi seme Seele aus den weichen 
"iklodien mit der Goethe'schcn Sprache und 
andächtig lauschte sie darauf! Und 
Äschen hindurch trug er irgend ein klassisches 
Musikstück vor oder erging sich in Phanlasien, 
Harriet einen noch größeren Genuß 
Jettete. Musik und Poesie führten die 
Liebenden in ihr unvergängliches 
^°uberland . . . 
I«ni\ ^ saß dann in ihrem Schaukelstuhl 
jjj dkrtiefte sich in das Lesen eines Romanes; 
ļ>a„?îkbcndkn schienen für sie so wenig vor- 
îfjjJ n ’ wie sie in Wirklichkeit für diese. 
(J t j 'hre Stunden hatte sic rasch aufgegeben, 
frtlü 0tmte ihr diese Versündigung an ihrem 
gw' m Talent, wie er es nannte, nicht vcr- 
ļlj-.ņ und glaubte darin eine jener uncr- 
«chen Mädchenlaunen zu endccken, die 
^ zuwider waren. Wie wenig kannte Dr. 
twtz all' seiner Philosphic ein 
tief °Ņherz und noch dazu das der stillen, 
ftiw ei l? ,ïo ïï encn Mary! Sic hatte mit dem 
Stfu.,. Spürsinn, der ihr eigen war, heraus- 
fü t j en, daß sich der Musiklehrcr sehr lebhaft 
V lt )u interessiren begann: — vielleicht 
nur die begabte Schülerin, die ihn 
anzog, — aber sie mochte kein Spiel mit 
den Herzen eines Mannes treiben, der ihr 
die vollste Achtung abzwang, und sic zog 
sich leise und vorsichtig ganz zurück. Vielleicht 
war noch ein anderer Beweggrund zu diesem 
Entschluß vorhanden gewesen — die Rücksicht 
ans ihre Schwester. Sic hatte wohl die 
Anwandlung von Laune und Eifersucht bemerkt) 
die Harriet heimsuchte, sobald diese bemerkte, 
daß Willibald sie vorzog und sich ihr aus 
schließlich zuwandte. Harriet fand dann den 
Musiklehrer ganz abscheulich, wollte keine 
Stunden mehr nehmen, und beruhigte sich 
erst dann, wenn Mary den an die jüngste 
Schwester gerichteten Worten Willibald's einen 
tieferen und schöneren Sinn unterlegte, oder 
die Kleine damit tröstete, daß verschlossene 
Naturen, zu denen auch der Musiklehrer ge 
höre, sich immer am gleichgültigsten gegen 
Diejenigen zeigten, die ihr lebhaftestes In 
teresse erregt, und Harriet war bereits viel 
3 U „ trostbedürftig, um nicht diesen Zuspruch 
gläubig hinzunehmen. 
Metzt war Mary nicht mehr gefährlich, 
mcht einmal ihr Spiel, ihr hübsches Talent 
begeisterte den Doktor; er hatte nur noch 
Şwj und Verständniß für Harriet und diese 
w şich m ihrer Alleinherrschaft unendlich 
glücklich. Sie würde ihn schon geliebt haben, 
weil er endlich Augen für sie und nicht fü. 
ihre Schwester hatte; denn wie sie auch Mary 
liebte, hierin war sic doch nichts weiter als 
ein verzogenes Kind, das gewöhnt war, wo 
sie erschien, Alle, selbst ihre Schwester, in 
den Schalten zu stellen. Man hatte ihr 
schon als unreifsten Backfisch sehr gehuldigt, 
ihre vielversprechende Schönheit bewundert und 
jetzt, wo ihr Herz zum ersten Mal sich zu 
regen begann, da wollte sie auch allein be 
sitzen. Ihr Stolz fühlte sich um so , geschmei 
chelter, daß sich Willibald ihr so rasch zu 
gewandt, trotzdem ihn anfänglich das Talent 
der Schwester bestochen. Wie viel sie dem 
vorsichtigen Zurücktreten Mary's zu danken 
hatte, daran dachte sie nicht, sie sah nur 
ihren Sieg und feierte damit einen noch 
höheren Triumph, als sie Willibald tief und 
ihn wahrhaft liebte. 
Jn ihrer verschlossenen Weise traf Mary 
überhaupt weit leichter das Unglück, mißver 
standen zu werden; sic hielt mit ihren inner 
sten Gedanken zurück, und da es nicht jeder 
manns Sache ist, diese zu errathen, so waren 
diese Urtheile unvermeidlich. Nur Mr. 
Templeton hatte seine Braut völlig erkannt, 
ihn konnte nichts mehr irre machen. Die 
beiden Liebenden sprachen nicht viel mit ein 
ander und doch verstanden sie sich bis auf 
den innersten Grund ihrer Seelen! Es war 
die gleiche ruhige Gcmüthsstimmung, dieselbe 
Tonart, aus der sich Alles bei ihnen ab 
spielte, die ihr Verhältniß ungetrübt erhielt. 
dkiemals kam es zwischen ihnen zu jenen 
kleinen Reibungen und Mißverständnissen, 
durch die sich ein liebend Paar erst zum 
wahren Frieden zu kämpfen meint. Jn ihren 
Herzen herrschte die schönste Harmonie; ein 
Blicks ein flüchtig Wort, und das innerste 
Empfinden lag vor ihnen gegenseitig entsiegelt. 
Auch in Herrn Müller wurden durch das 
Benehmen Mary's die irrthümlichsten Vor 
stellungen geweckt. Ihr Bemühen, den scharfen 
Spott der Schwester durch größere Freund 
lichkeit wieder gut zu machen, nahm er für 
ganz was Anderes. Er glaubte darin eine 
keimende Herzcnsneignng für seine eioene 
interessante Persönlichkeit zu entdecken. Wenn 
er auch gestehen mußte, über die erste Jugend 
hinaus zu sein, so sagte ihm doch sein Spiegel,!wünschte, dann durste er sicher nichts Auge 
daß er noch immer ein staltlickier Mann sei. nebmes doom, n-niii-trm iimnni. ». 
daß er noch immer ein stattlicher Mann sei, 
der wohl die Liebe eines jungen Mädchens 
erregen könne. Und war er nicht ein an 
genehmer, lustiger Gesellschafter, der mehr 
von der Welt gesehen, als die Störche und 
tagelang die amüsantesten Geschichten auf 
decken konnte? Hatte sich nicht sogar ein 
Othello mit seinem Erzählcrtalcnt eine DeS- 
dcmona erplaudert? und Mary war nichts 
weiter als die Tochter eines schlichten Kauf 
manns und noch dazu seines theuren Freundes, 
der unter allen Umständen nicht „nein" sagen 
konnte und durfte. Wenn er seine Schnurren 
und Abenteuer zum Besten gab, dann hörte 
Mary stets aufmerksam zu und das sonst so 
ernste Mädchen hatte oft dafür ein beifälliges 
Lächeln. Jemehr er sie sah, jemehr gefiel 
ihm das stille, blonde Kind und zuletzt mußte 
er sich gestehen, daß er rasend in sic verliebt 
sei. Er wagte ihr jetzt beim Abschiede die 
Hand zu drücken und sie duldete es. 
Wenn er sie ansah, dann schlug sic ihre 
blauen, milden Augen nicht nieder — kein 
Zweifel, sie liebte ihn, obgleich sie es in ihrer 
englisch ruhigen Weise zu verstehen gab. — 
Müller war kein Freund von langem Zögern 
und Schwanken; was ihm durch dm Sinn 
schwirrte, daß mußte rasch ausgeführt werden 
und als er eines Tageö wieder das hübsche 
Kind nicht genug bewundern gekonnt und sic 
seinen Händedruck mit einem freundlichen 
Lächeln erwidert, da konnte er nicht länger 
zaudern und er sagte am Abend seinem 
Freunde: „Es wäre mir lieb, wenn Du 
heut mich in meine Klause begleiten wolltest, 
ich habe Dir etwas wichtiges mitzutheilen." 
Waxmanns Gesicht verfinsterte sich etwas; 
wenn Müller eine geheime Unterredung 
nehmes davon erwarten, dennoch suchte er 
sich zu beherrschen, und als er in das kleine 
Gartenhaus trat, war sein Antlitz wieder so 
kalt und ruhig wie immer. 
Fcvdor wollte doch erst, um sich zu sammeln, 
mit hastigen Schritten daß Zimmer durch- 
stürmen, da ihn aber die Kleinheit des Ge 
maches daran hinderte, warf er sich in den 
Lehnsessel, daß es knackte, schlug die Arme 
über die Brust, und die Beine weit von sich 
streckend,^ begann er nach kräftigem Räuspern: 
„Ja, Herzensbruder, cs ist eine wichtige 
Sache, die ich mit Dir zu besprechen habe: 
ich könnte freilich erst eine lange Einleitung 
machen und Dir weitläufig auseinander setzen, 
wie das Alles gekoinincn und ivaruiii mich's 
noch einmal so gewaltig packt, wie mich's 
als zwanzigjährigen Burschen nicht geschüttelt; 
— aber ich bin nun auch schon in England, 
ich weiß time is rnonev — also grad' heraus 
mit der Sprache — cs hilft nichts, 
wir lieben einmal einander und Du mußt 
mir Deine Mary zur Frau geben." 
Waxmann war in, Zimmer stehen 
geblieben, er hatte die rechte Hand etwas 
auf die Stuhllehne gestützt und hörte auf 
die wunderliche Einleitung mit gleichgültiger 
Miene; auch als Feodor geendigt und seine 
großen Augen forschend ans ihn richtete, 
veränderte sich sein Antlitz nicht im Mindesten. 
„Jean sagte mir, daß er Dir täglich zwei 
Flaschen bringen muß, Du solltest Dich doch 
mit einer Flasche begnügen, war seine ruhige 
Antwort. 
„Zum Henker, glaubst Du, ich bin 
betrunken?" lachte Müller, „ich war niemals 
nüchterner als heut. Es wäre mir freilich 
nicht zu verargen, wenn ich mich alle Tage
	        
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