Full text: Newspaper volume (1895, Bd. 1)

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Wo. 80. 
MorgeuDepescheu 
Berlin, 4. April. Ueber die Form der 
Einladung aA das Reichstagsprä- 
fidium erfährt der „Reichsbote", daß 
zwei getrennte Einladungen zum Empfange 
beim Kaiser und zur Theilnahme an dem 
Hofdiuer ergangen sind; die erstere Ein- 
ladung war sehr verbindlich abgefaßt, die 
andere in der üblichen Fassung wie bei 
sonstigen Hoffestlichkeiten gehalten und mit 
der Bemerkung des Zweckes des Diners 
versehen. 
Benthen, 3. April. Ein äußerst heftiges 
Gewitter entlud sich am Somitag-Nach- 
mirtag unter starkem Schlossenfall über der 
Stadt Beuthen und dem südlichen Theile 
des Kreises Tarnowih. Ein Blitzstrahl 
fuhr auch in die Wallfahrts-Kirche zu 
Deutsch-Piekar bei Beuthen, wo gerade der 
Nachmittagsgottesdienst abgehalten wurde. 
Der Blitzableiter scheint nicht in Ordnung 
gewesen zu sein, denn der Strahl nahm 
von der Leitungsstange seinen Weg von 
der Dachrinne über die Schnur der soge 
nannten ewigen Lampe nach der Kirche. 
Der Kaplan Sigulla, der den Gottes 
dienst leitete, wurde betäubt aus der 
Kirche hinausgetragen. Bon den Kirchen 
besuchern wurde niemand erheblich verletzt. 
Cadiz, 4 April. Durch einen festigen 
Sturm wurde in der Stadt einiger 
Schaden angerichtet. Eine Menge kleiner 
Fahrzeuge kenterte. 
Arltrstes und erlesenstes Matt im Kreise Rendsburg. 
Anzeigen für die Tagesnummer werden dis 12 Uhr Mittags erdeten. 
88ster Jahrgang. 
Donnerstag, öen 4. April 
Bei Betriebsstörungen 
irgend welcher Ar! ist die regelmäßige Lieferung 
dieses Blattes vorbehalten. 
Als Beilagen 
werden dem Blatt „Der Landwirth" sowie das 
Blatt „Mode u. Heim" gratis beigegeben. 
3200 Abonnenten. 
Außereuropäische Gebiete. 
Newyork, 3. April. Nach einem Tele 
gramm aus K i n g st v n (Jamaikas hat 
auf der Höhe von Kap Maysi ein spani- 
sches Kanonenboot auf den britischen 
Dampfer „Ethelred" gefeuert. Als 
der „Ethelred" anhielt, kamen Offiziere 
des Kanonenboots an Bord und durch 
suchten den Dampfer. 
Ein jüdischer Schlachter in Tunis hatte 
eine von ihm gefangene Ratte an der 
Thür feines Ladens lebend gekreuzigt. 
Weil er durch „Scherzreden" dabei einen 
Menschenaufllauf verursacht hatte, wurde 
er von einem französischen Polizisten fest 
genommen und dem Gericht der Uzara 
übergeben, da er als eingeborener Jude 
Unterthan des Bey ist. Bor dem fran 
zösischen Gericht wäre er wohl gelinder 
weggekommen, die Uzara aber veruriheilte 
ihn zu einer längeren Gefängniß st rase 
V wegen Beleidigung, nicht gegen die 
Hans Oesterreich. 
Von Baron Schloßhof. 
•1 Der Kaiser und die Kaiserin. 
Wir haben in letzter Nummer das Haus, 
m welchem der Kaiser und die Kaiserin von 
Oesterreich wohnen, im Geiste der Leser 
aufgebaut, nun wollen mir von den kaiserlichen 
Herrschaften selbst erzählen. Der Kaiser von 
Oesterreich, König von Ungarn, Franz Fosef I., 
'st. ş. Ņ an, 18. August geboren. 
S 'n d.esiun Sommer vierundsechzig 
Jahre alt werden Die Wiener sagen, „man 
sehe de n Kaiser feme Iah« nichr an." Das 
s 'st '" bcr Ģ b i r r t an - Wenige Männer 
d,Ģen Alters ^besitzen dessen jugendliche 
oErscheinung, jene Milche, welche sich besonders 
x in der Art zu gehen, zu stehen, zu reiten 
tzund im Wagen gerade und aufrecht, aber 
w-doch in einer Haltung zu sitzen, die der 
^Weichheit der kleineren Bewegungen nicht 
kv-'ntbehrr, kundgiebt. Zwar ist die hohe, 
schtarkc Stirn kahl, das ganz kurz gehaltene 
xlpaupthaar und der üppige Schnurr- und 
^Backenbart weiß, aber von Weitem macht 
ftpr Xïnifpr Sr.. — * ' ' * 
christliche, sondern gegen die muselmanische 
Religion, da dieselbe Jesus Christus nach 
Mohamed als größten Propheten Gottes 
verehrt. 
Italien. 
Rom, 3. April. Heute stürzte in Monte 
Puleiano, Provinz Siena, der Südtheil 
der alten Festung ein. Mehrere Häuser 
wurden beschädigt, eins zerstört. Ein Kind 
wurde getödtet, drei Personen verwundet, 
zwei vermißt. 
Venedig, 3. April. In der hiesigen 
Barfüßer-Kirche fand in voriger Nacht ein 
Einbruch von unbekannten Dieben statt, 
welche Hostien-Kapsel stahlen. Die Thäter 
sind noch nicht ermittelt. 
Monaco. 
Aus Monte Carlo wird der „unerhörte" 
Vorfall berichtet, daß die Spielbank 12000 
von ihr gewonnene Franks wieder zurück- 
gezahlt hat. Der Verlierer war der Poli 
zeikommissar Jouffroy aus Nizza, der das 
Geld unterschlagen und sich nach dem Ver- 
lust erschossen hatte. Der Gemeinderath 
von Nizza hätte das verlorene Geld neu 
bewilligen müssen, und das wäre nicht 
ohne fatale Debatten abgegangen. So hat 
die Spielbank die 12000 Frks. zurückge- 
geben, und Alles ist in schönster Ordnung. 
Frankreich. 
In Limoges in Frankreich befindet sich, 
so berichten mehrere Blätter, die sozial 
demokratisch geleitete und sozial 
demokratisch betriebene Genossen- 
s charts bä ckerei seit drei Tagen im 
Streik, ver durch die Maßregelung eines 
Arbeiters von Seiten der sozialdemokratischen 
Geschäftsleitung provozirt worden ist. Der 
Betreffende hatte sich bei Ausführung einer 
Nebenarbeit von einem anderen helfen 
lassen, für welches Vergehen gegen die 
Betriebsordnung er unverzüglich aus der 
Arbeit gejagt wurde. Die Kameraden, 
denen diese Strafe außer allem Verhältniß 
zu der begangenen Zuwiderhandlung schien, 
protestirten und da das nichts half, legten 
12 Arbeiter von 15, lauter „zielbewußte 
Genossen," die Arbeit nieder. Ohne sich 
auch nur im mindesten auf Verhandlungen 
mit den Streikenden einzulassen, stellte die 
Betriebsleitung sogleich 12 andere Arbeiter 
— also Streikbrecher — ein. 
Paris, 3. April. Eine Frau, Namens 
Richard, gegen die heute Vormittag von 
dem. Zuchtp olizeigericht wegen 
Beleidigung eines Gerichtsbeaniten ver 
handelt werden sollte, feuerte bei Beginn 
der Vernehmung auf den Vorsitzenden des 
Gerichtshofes, Levrier, einen blinden Re 
volverschuß ab. Die Sitzung wurde unter 
großer Aufregung aufgehoben, die Frau 
sofort verhaftet. 
England. 
London, 3. April. Der „Standard" 
meldet, der Vicekönig Li-Hung-Schang werde 
vom Mikado die Begnadigung des Jndi- 
vidiums verlangen, welches das Attentat 
auf ihn verübte. 
London, 3. April. Wegen einer vom 
krassesten Aberglauben zeugenden Hexen 
verbrennung, die mit dem Tode der 
„Hexe" endete, sind gestern in Clonmel, 
Grafschaft Tipperary, ein irischer Bauer, 
Namens Cleary, sein Schwiegervater und 
sieben andere Leute vor Gericht gekommen. 
Aus den bisherigen Zeugenaussagen erhellt, 
daß Cleary's Frau seit Längerem an der 
Influenza erkrankt war. Ihre Umgebung 
aber glaubte, sie sei vom Teufel besessen, 
und um diesen auszutreiben, zwangen ihr 
eigener Gatte und Vater nebst anderen 
Männern, sie zuerst einen von einem 
Wunderdoktor der Umgegend gebrauten 
Kräutertrank einzunehmen. Nachdem dann 
verschiedene Zauberformeln angestimmt, riß 
man die Aermfte aus dem Belt, hielt sie 
eine Zeit lang über HaS Küchenfeuer und 
brannte sie mit einem glühenden Schüreisen. 
Durch die von ihren Brandwunden verur- 
sachten Schmerzen halb wahnsinnig gewor 
den, stürzte die Gewartete des Nachts aus 
dem Hause aus die unwirthsamen Moore 
hinaus und erst nach mehrtägigem Suchen 
wurde ihre Leiche von der Polizei in einem 
Graben vorgefunden. 
Norwegen. 
Durch einen Brand wurde in der Nacht 
zu Montag das auf dem Holmenkollen, 
dem in der Nähe Christianias belegenen und 
vielen Fremden wohlbekannten großartigen 
Aussichtspunkt, befindliche Touristenhotel 
zerstört. Gegenwärtig wohnten in dem 
Gebäude nur Dr. Holm nebst Kindern und 
Personal, die sich schleunigst retten mußten. 
Für den nächsten Tag war der Besuch des 
Kronprinzen angekündigt, und man ver- 
muthet. daß das Feuer durch ein Mädchen 
verursacht wurde, das die Zimmer in Ord- 
imng bringen sollte. Außer dem Touristen 
hotel befinden sich auf dem Holmenkollen 
noch die Sportsstube, die Villa des Dr. 
Holm und ein Sanatorium, in dem Fremde 
aller Nationen wohnen. 
OäerrefH-Ungarn. 
Budapest, 2. April. Der tirheber des 
nächtlichen D yn am it-A tten t ats gegen 
das Hentzi-Denkmal ist bereits verhaftet; 
er heißt Adorjan Szeles und war Redak 
teur des Hetzblättchens „Olvasd", welches 
unter radikaler Maske die Geschäfte der 
klerikalen Opposition besorgte. Zwei weitere 
Journalisten stehen im Verdacht der Mit 
schuld. 
Wien, 2. April. Cardinal Schönborn 
ist heute hier angekommen. Er soll vom 
Verlaufe seiner letzten Audienz beim Papste 
sehr befriedigt sein und die Gewißheit haben, 
daß die österreichischen Bischöfe im Kampfe 
gegen den Antisemitismus sich 
auf den Papst stützen können. 
Inland. 
— Der Kaiser ist gestern Abend nach 
dem Diner beim Staatssekretär der Marine 
nach Kiel gefahren, wo er heute früh acht 
Uhr eingetroffen ist. Seine Rückkehr nach 
Berlin wird erst für Montag erwartet. 
Wenn auch die Reise dem Stapellauf eines 
Schiffes in erster Linie gilt, so soll sie 
auch, wie man uns aus Berlin schreibt, 
den Zweck haben, die Dispositionen über 
die Manöver bei Kiel anläßlich der Eröff 
nung des Nord-Ostsee-Canals zum 
Abschluß zu bringen. Der Kaiser hat sich 
in den letzten Tagen unausgesetzt mit den 
Feierlichkeiten zur Eröffnung des Nord- 
Ostsee-Canals beschäftigt, Admiral Knorr 
und Vieeadmiral Hollmann haben ein ganz 
genaues Programm aufgestellt, das in allen 
Einzelheiten durchberathen wurde und in 
der Conserenz am Montag, an der bekannt 
lich der eonimandirende General des schles- 
wig-holsteinischen Armeeeorps, Graf Wälder- 
see, Oberpräsident Steinmann und Direktor 
Ballin von der Hamburg-Amerika-Linie 
theilnahmen, gutgeheißen wurde. Zu den 
Feierlichkeiten dürfte auch, wie es heißt, 
ver Reichstag eine Einladung erhalten. 
Berlin, 29. März. In der Berliner 
Ressource fand heute Abend eine von 
Menzel, Anton v. Werner, Skarbina, 
Knaus, Dahn, Pätel, Jensen, Wilmowski, 
Freiherrn von Lipperheide, Rodenberg, 
Spielhagen und anderen einberufene Ver 
sammlung von Künstlern und Schrift- 
stellern unter Leitung von Julius Wolfs 
statt, um gegen die in der Um stürz vor- 
läge geplante Vernichtung der geistigen 
Freiheit Pro.est einzulegen. Professor 
Hans Delbrück unterzog zunächst die auch 
in der „Frankfurter Zeitung" veröffent 
lichte Erklärung Hans v. Hopfens einer 
vernichtenden Kritik unv ivandte sich dann 
^wuuiuuu lvcitz, Û0CI von oueuuu lUUUJI 
aer Kaiser den Eindruck, als habe man es 
j^mit einem vorzeitig grau gewordenen jungen 
(jjDianne zu thun. Das bewirkte die körperliche 
he^bung von Jugend auf. Vorerst die 
gp.nilitärifdie Laufbahn, denn man kann vom 
Kaiser sagen, daß er dieselbe vom 
Lieutenant an bis empor zum höchsten Range 
durchgemacht hat; sodann der Aufenthalt in 
! freier Luft, im Sommer in Schönbrunn und 
Ischl und im Frühjahr und Herbst die Jagd 
m den Alpen Niederösterreichs, Ober- 
österreichs und Steiermarks, wo der Kaiser, 
leidenschaftlicher Jäger, dem Waidwerke 
is oblag und noch obliegt. 
Der Kaiser ist einer der ausgezeichnetsten 
Hochlandschützen in Oesterreich. Sellen hat 
Jemand die Strapazen der Jagd so leicht 
ertragen, wie er. Wenn ihm gemeldet wurde, 
daß der Hahn balze, oder der Hirsch rufe, 
und er einigermaßen über den kommenden 
Tag verfügen konnte, fuhr er mit den geladenen 
Gästen, zu denen fast immer der Großherzog 
von Toskana und in neuester Zeit der 
Schwiegersohn des Kaisers, Prinz Leopold 
von Bayern, gehören, des Abends zur Eisen 
bahn, dann auf derselben über den Semmering 
nach Müzzuschlag, und während der Fahrt 
schlief der Kaiser, in eine», Lehnstuhle sitzend, 
so gut und fest, als ob er sich ans weichen 
Eiderdaunen, die übrigens niemals sein Fall 
waren, wiegte. Um zwei Uhr morgens wurde 
die bereit gehaltene Equipage bestiegen und 
um vier Uhr bereits stand der Kaiser auf 
der Höhe, wo der Hahn verhört worden war, 
den nun der kaiserliche Jägersmann mit 
Glück ansprang. Um sechs Uhr wurde bereits 
die Rückfahrt angetreten, gegen Mittag war 
die kaiserliche Burg in Wien erreicht, und 
fotc-rt, nach raschem Umkleiden und zu sich 
genommenem Mahle, widmete sich der Kaiser 
wnDer den Staatsgeschäften. 
... waren die kurzen Ausflüge. Die 
anger dauernden Jagdgenüsse sielen in den 
vom Kaiser als „Urlaubszeit" bezeichneten 
Monat August, wo er in der Nähe Jschl's 
oder m der Steiermark die überschüssigen 
Hirsche und Gomsböcke erlegte. An den 
anderen oagden, welche so zahlreich in der 
Nähe von Wien, im Marchfelde und in 
anderen Gauen vorhanden sind, hat der 
Kaiser selten teilgenommen, und auch der 
Tiergarten, bei Schönbrunn, in Lainz, wo 
hauptsächlich Säue sich eines kurzen, aber 
1805. 
gegen die Paragraphen 111» und 130 
der Vorlage. Gerade das so sensitive 
Künstlergemüth dürfe nicht stets vom Straf 
recht bedroht werden. Redner schlägt fol 
gende Petition an den Reichstag vor; Die 
Versammlung beehrt sich an hohen Reichs- 
tag die Bitte zu richten; Die dem Reichs- 
tage vorliegende sogenannte Umsturzvorlage 
enthält in genannten Paragraphen Bestim 
mungen, die geeignet sind, die freie Bethä 
tigung der Wissenschaft einzuschränken. 
Wir bitten, die fragliche Vorlage nicht an 
zunehmen. Zweiter Referent war Kammer 
gerichtsrath Wichen, Vorsitzender des 
Vereins Berliner Presse, der besonders 
betonte, daß ein Richter in seinem Urtheil 
nicht zugleich Kunstkritiker sein könne, zu 
mal die Grenzen der Aesthetik fließend 
und keineswegs durch sogenannte klassische 
Dramen fixirt seien. Nach kurzer Debatte 
wurde die Petition einstimmig von eirea 
500 versanimelten Künstlern und Schrift 
stellern, worunter auch viele Damen, an 
genommen. 
— Dem morgen zusammentretenden 
deutschen Handelstage unterbreitet 
der „Nat.-Ztg." zufolge der Ausschuß einen 
Antrag, wonach Handel lind Industrie je 
der Erschütterung unserer wohlgeordneten 
deutschen Goldwährung eine fundamentale 
Schädigung des gesammten deutschen Wirth- 
fchaftslebens erblicken muffen. Der Han- 
delstag vertraue daher fest aus die Er 
klärung des Reichskanzlers im Reichstage, 
daß die verbündeten Regierungen keinerlei 
Verhandlungen in Aussicht nehmen, die 
den Grundlagen der deutschen Reichswäh- 
rnng präjudiziren. 
— Finanzminister Miguel scheint ge 
neigt, auch die von den M a j o r a t s h e r r e n 
und Rittergutsbesitzern im Herren- 
haufe verlangten Liebesgaben bewilligen 
und aus die Rückzahlung der Entschädigungs» 
gelber für Aufhebung der Grundsteuer 
freiheit verzichten zu wollen. Die Haltung 
der „Nationalzeitung" und der „Nat. Lib. 
Korr." läßt darauf schließen. Vorgeschützt 
werden in diesen Blättern angebliche Un- 
zuträglichkeiten, welche sich für kleinere 
Besitzer in Holstein und für kleine Städte 
ergeben hätten. . Alle diese Verhältnisse 
waren vor zwei Jahren ebenso bekannt 
wie heute. In jedem Falle handelt es sich 
hierbei nur um minimale Beträge Die 
Hauptsache sind die Enlschädigungsgelder, 
welche den Fideikommißherren und den 
Rittergutsbesitzern in den östlichen Provinzen 
Preußens im Jahr 1861 im Betrage von 
vergnüglichen Daseins unter alten Eichen er- 
sreuen, hat ihn nie angezogen, während aus 
wärtige Fürsten, wenn sie sich zu Gast in 
Wien befanden, den meilenlang umfriedeten 
Wildpark, welcher reich an Schwarzivild ist, 
mit Eifer heimsuchten. 
Die bevorzugten Jagdgründe des Kc...... 
befinden sich in den Alpenländern. Der 
Kaiser besitzt mehrere Jagdschlösser in 
denselben, so in der Nähe Ischl am Lang- 
bathsee und am Offensee. Dann hat der 
Kaiser ein Jagdschloß in Mürzsteg, am 
Fuße der Schneealpe und in Radi»er, dort, 
wo das Innerberger Eisen zn Tage tritt, 
der berühmte Erzberg, welcher abgegraben 
wird, als ob er ein ganz gewöhnlicher 
Erdhügel wäre. Da zwischen den grauen, 
nackten, gezackten Kalkwänden, den ab 
geschundenen Riesen der Alpenwett, wechselt 
der mächtige Hirsch, mit zurückgelegtem 
Geweihe von Zeit zu Zeit in die weite 
Welt stierend, und da springt von einer 
Zinke zur anderen das flüchtige Gemswild, 
das bald auf einem Felsenplateai! horchend 
stehen bleibt und kaum zn äsen wagt, bald, 
wenn der Führer der Schaar einen Pfiff 
ausjtößt, dahinsaujt, wobei es vorkommen 
kann, daß das edle Wild, mitten im Sprunge 
durch das Herz geschossen, in den Abgrund 
fällt und dort erst nach langem Suchen 
gefunden wird. Das ist das Wild, welches 
der Kaiser mit Borliebe jagt und daß er 
mit sicherem Blicke und fester Hand als 
glücklicher Schütze erlegt. Befreit von 
Geschäften, wenn auch nie von Sorgen, — 
welcher Monarch könnte ganz und gar der 
Last, die auf ihm ruht, vergessen? — 
chreitet er, wie ein Jüngling, die steile 
Wand empor, aus voller Brust die reine 
Luft der Höhe athmend. 
Doch wir eilen, als wollten wir mit dem 
Kaiser den Berg besteigen, und sollen doch 
ruhig seinem Leben folgen. Vier Jahre noch, 
und der Kaiser wird Oesterreich st 
Jahre lang regiert haben. Das ist eine 
lange Zeit und war nicht immer eine leichte 
Zeit. Die Familie des Regenten, die aus 
so vielen Mitgliedern besteht, als eS 
Unterthanen giebt, ist recht zahlreich und 
macht besonders in Oesterreich, wo die 
Völker und Völkerschaften groß und klein, 
mit ihren besonderen Anliegen, verbrieften 
und unverbrieften, wahren und eingebildeten 
Rechten, Anforderungen an den Herrscher 
stellen, die oft einander schnurstracks entgegen 
lauft.», dem Kaiser eiivas heiß. Schon die 
Jugend Kaiser Franz Josefs ließ sich 
türmisch ş an. Die Eindrücke, die der 
Jüngling in sich aufnehmen mußte, waren 
keine freudigen, und das Bild big beweglichen 
Bottes, das heute murrt, während es Tages 
vorher mit Jubel grüßte, ist aus dem 
Gedächtniß des Kaisers, der eS in sich 
aufgenommen, kaum verwischt worden. Seine 
Mutter, die Erzherzogin Sofie, bekanntlich 
eine bayrische Prinzessin und Schwester des 
Königs Ludwigs, war eine politische Frau. 
Sie lebte mit ihrem Gemahl, Erzherzog 
Karl, in der Wiener Hofburg, in der nächsten 
Nähe des Kaisers Ferdinand des Gütigen. 
Im Sturmjahre dankte Kaiser Ferdinand 
ab, und ihm folgte in der Abdankung zugleich 
Erzherzog Franz Karl, welcher seinen 
Ansprüchen auf den Thron' zu Gunsten 
eines Sohnes Franz Josefs entsagte. Einige 
Monate vor der Thronbesteigung des Kaisers 
nhr der Prinz eines Tages im offenen 
Wagen durch die Straßen von Wien, und 
aus hunderttausenden von Kehlen scholl de; 
Mutter und dem ältesten Sohne der Jubelru 
der enthusiasmirten Menge entgegen. Abei 
es währte kaum einige Tage, so schlug dal 
politische Wetter um, und dieselbe Menge, 
welche gejubelt hatte, veranlaßte nun der 
Hof, Wien zu verlassen, um in der Fernc 
Schutz und Ruhe zu finden. Wer das in 
seiner Jugend erlebt hat, in dessen Gedächtniß 
bleibt es eingegraben für alle Zeiten. Und 
doch muß man sagen: nie hat ein Herrscher, 
dessen Wiege in einem absolutistischen Staate 
gestanden, so sehr die Pflichten eines 
konstitutionellen Monarchen zn erfüllen 
verstanden, als Kaiser Franz Josef. Er hat 
in sich die Wandlung vollzogen, die gethan 
werden mußte, um den Staat glücklich zu 
nachen, ihn zur Ruhe und Eintracht zu 
Ähren. Er hat die Mission standhaft weiter 
geführt, trotzdem er der stärkste und mächtigste 
Mann in Oesterreich ist, mächtiger als irgend 
eine der Parteien. Der Kaiser verdankt seine 
Macht dem dynastische» Gefühle, nicht nur 
des Hochadels, welcher ihm blindlings ergeben 
ist, sondern auch jenem der Völker, welche 
gewöhnt sind, zun. Throne emporzublicken. 
Die politische Einsicht tagt ihnen, daß es 
in Oesterreich der Monarch sei, welcher 
bindet, was die Völker scheidet. DaS hat 
sich vielfach deutlich im parlamenlarischen 
Leben herausstellt. Bei Bildung verschiedener 
Kabinette war eS der Kaiser, der mit 
sicherem Blicke jenen Mann als Leiter des 
Ministeriums bezeichnete, welcher für den 
Augenblick der allein Richtige gewesen ist. 
So in neuester Zeit bei der Wahl des 
jungen Fürsten Windischgrätz, des aus 
erkorenen Koalitions-Ministers, der versuchen 
wird, ob die gemäßigten Parteien mit
	        
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