Full text: Newspaper volume (1895, Bd. 1)

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88stev Jahrgang. 
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Blatt „Mode u. Heim" gratis beigegeben. 
3209 Nborttteutcrr. 
Ireitag, den 22. Wärz 
1895. 
ndsburg^ 
ni bcziehba” 
(ff. Offerten 
Morgen-Depeschen. 
Berlin, '22. März. Auf Vorschlag der 
s»r Berathung des'A n t r a g c s K a » i tz 
's- eingesetzten Commission hat der 
Staats r ath die Vorschläge, die ein 
^niiltâares Eingreifen des Staates znr 
Hebung des Getreidepreises durch Mono- 
^lişiruug des Handels mit answärtigein 
Getreide bezwecken, als undurchführbar mid 
'lhädļich abgelehnt. 
Berlin, 22. März. Im Reichstage 
nilt mit wachsender Bestimmtheit das 
Gerücht auf, daß im Falle der Ablehnung 
'ineè Antrages auf Ehrung des Fürsten 
Bismarck durch den Reichstag sowohl der 
Präsident vou -Levetzow als auch der 
»weite Bicepräsident Dr. Bürklin ihre 
seniler niederlegen würden. Gleichzeitig 
würben die beiden conservativen Parteien 
Und die Nationalliberalen gleichlautende 
Erklärungen dahin abgeben, daß keines 
îhrcr Miîglieder gewillt sei, eine Wahl 
Stirn Präsidenten oder zum Vicepräsidenten 
^es Reichstages anzunehmen. 
_ Innsbruck, 22. März. Die Zurück- 
Siehung der Unterschriften der Nniversitäts- 
intoscssoren von dem Aufruf zu einer 
«ismarck.Ehrung soll auf Veranlassung 
°es Unterrichlsministers erfolgt sein, welcher 
telegraphisch nach Wien berufenen 
Sektor erklärt haben soll: „Wenn Sie 
!’ch weigern, kostet es -Opfer." Hierauf 
Lotten die Professoren ihre Unterschriften 
ibrückgezogen. Die Studenten hatten 
Segen die Professoren Denivnstrationen 
Seplant, haben aber jetzt die Absicht, solche 
Segen eine andere Adresse zu richten. 
London, 22. Marz. Die „Pol. Corr." 
Meldet, daß man in doriigen maßgebenden 
preisen der Ueberzeugung Ausdruck gebe, 
ser gegenwärtige Krieg in Ostasien werde 
lür China in culiureller Beziehung weit- 
nagende Nachwirkungen haben. In erster 
Willie dürfte nach Beendigung des Krieges 
chinesische Eisenbahnwesen sich mehr 
Entwickeln. 
§Ģ«îî êê§ Şt«i!sn!hks. 
Dem „Reichsanz." zufolge hat der 
Kaiser den Ş t a a t s r a t h mit 
v l g e n d e r Ansprache geschlossen: 
Steine Herren! Nach achttägiger ange 
sengter Berathung sind Sie nunmehr an 
den Schluß Ihrer Verhandlungen gelangy 
Wcnn auch das Ergebniß derselben hochge« 
spannte Erwartungen vielleicht nicht über« 
all befriedigen vermag, so ist es doch für 
die Aufgabe Meiner Regierung, alle wirk« 
samen Mittel anzuwenden, um der Noth 
läge der Landwirthschast Hülfe zu bringen, 
von hoher Bedeutung, daß aus diesem Ge« 
biet durch Ihre Verhandlungen die Gren« 
zen des Erreichbaren klar erkennbar ge« 
worden sind. Die erschöpfende Erörterung 
der allseitig anerkannten Nothlage der Land 
wirthschaft, ihre Ursachen, ihr Umfang und 
ihre Folgen, sowie die sorgfältige Prüfung 
aller Mittel, die bisher in der Oeffenllich- 
keit oder im Lause Ihrer Berathungen sür 
die Abhülfe in Frage gekommen sind, bil 
den eine werthvollc Unterlage für die 
weiteren Entschließungen Meiner Regierung. 
Die Sachkunde und die praktische Erfahrung, 
die in Ihrer Mitte vertreten und bei Ihren 
Berathungen zum Ausdruck gekommen 
sind, geben Mir die besondere Gewähr, 
daß die Vorschläge, die das Ergebniß Ihrer 
Verhandlungen sind, sich auch bei den 
weiteren Erwägungen seitens Meiner Re 
gierung zweckentsprechend und durchführbar 
erweisen werden. Solche Mittel aber, 
deren Anwendung auch voll Ihnen als 
ungeeignet für die Erreichung des Zweckes, 
als praktisch nicht ausführbar oder als ge- 
fährlich sür die Erhaltung der staatlichen 
und wirthschafllichcn Ordnung erkannt und 
loiderrathen wird, wird Meine Regierung 
um so unbedenklicher aus dem Kreise ihrer 
Erwägungen ausscheiden können. Es ist 
Meine Absicht, die werteren Entschließun 
gen unverweilt herbeizuführen. Zum Schlüsse 
ersuche Ich Sie, meine Herren, an Ihrem 
Theil dafür zu sorgen und in den Ihnen 
zugänglichen Kreisen des Landes die Auf 
fassung zu verbreiten, daß, wenn künftig 
ähnliche Fragen, wie gegenwärtig die Noth- 
lage der Landwirthschaft und die Mittel 
zu ihrer Abhülfe, auch auf anderen Ge 
bieten die Gemüther erregen, zunächst Meine 
Regierung angegangen werde, um das zur 
schleunigen Abhülfe Geeignete zu veran 
lassen. Es ist Meine Absicht, in solchen 
Fällen unverzüglich selbst in die Erwägung 
der erforderlichen Maßnahmen einzutreten 
und nöthigenfalls den Staatsrath zur Be 
rathung derselben zu berufen. Ich schließe 
nunmehr die Verhandlungen und sage Ihnen 
allen, meine Herren, Meinen königlichen 
Dank." 
Ausland. 
Autzerenropäische Gebiete. 
Aus Shimonoscki von gestern meldet 
das Reuter'sche Bureau: Die Friedens« 
Verhandlungen zwischen China und 
Japan nahmen heute hier ihren Anfang 
— Li-Hung-Tschang hat in einem Ge 
bände an der Küste Wohnung genommen 
Zwischen Regierungstruppen und 
Insurgenten fand in Lima ein drei 
tägiger Kampf statt. Die Verbindung 
mit Lima ist unterbrochen. Der Ausgang 
des Kampfes ist unbekannt. 
Ncwyork, 20. März. Man glaubt und 
loeiß, daß die Aristokratie des Continents 
es in der Regel auf steinreiche Erb 
innen abgesehen hat, wenn eine Ehe 
mit einer Amerikanerin abgeschlossen wird. 
Was jedoch die eng lische A rist okratie 
betrifft, so ist fast das Gegentheil der Fall. 
Die wenigsten Amerikanerinnen, welche 
Engländer gcheirathct haben, hatten eine 
große Mitgift. Die Herzogin von Man 
chester brachte ihrem Gatten kein Vermögen 
mit, noch waren Lady Randolph Churchill 
und ihre Schwester reiche Damen. Lady 
Harcourt hat allerdings ein bedeutendes 
Leibgedinge von ihrem ersten Gemahl, aber 
kein bedeutendes Vermögen. Dasselbe ist 
der Fall bei der Herzogin von Marl 
borough. Mrs. Dudley Leigh (Gattin des 
ältesten Sohnes von Lord Leigh) hat Lstr. 
5000 jährlich und Lady Bernon vielleicht 
das Gleiche. Lady Craven hat allerdings 
noch viel zu hoffen und Mrs. Arthur Paget 
wird noch eininal reich werden. -■ Keine 
Amerikanerin aber hat ihrem Gatten ein 
Vermögen zugebracht, welches entfernt an 
die Mitgift der verstorbenen Lady Rose 
bery (Hannah von Rothschild) heranreicht. 
Merkwürdig ist, daß die reichste Englän- 
derin des Jahrhunderts, Lady Burdett- 
Coutts, an einen Amerikaner verheirathet 
ist. 
Tifiis, 21. März. Eine Räuberbande 
plünderte eine Lakritzenfabrik bei der Eisen 
bahnstation Udshava, tödtete einen Wächter 
und verwundete einen andern. Daraus 
beschossen die Räuber zwei aus der Eisen 
bahnstation haltende Züge, verwundeten 
jedoch niemand. Tie Räuber sind kauka 
sische Tataren und gehören zu der im ver- 
gangenen Jahre gesprengten Bande von 
Talzb und Mastali. Nach dem Ueberfall 
auf Udshava wurden die Räuber von der 
Polizei und Kosaken verfolgt nnd bei dem 
Orte Dshewat eingeholt. In dem sich ent 
wickelnden Gesechie wurden fünf Räuber, 
darunter die beiden genannten Häuptlinge 
und zwei Kosaken getödlel, vier Kosaken 
verwundet. Zum Schutz der Eisenbahn 
wurden Wachtposten aufgestellt, die von 
den Räubern auch bedroht wurden. 
Rustlanv. 
Die „Neue Fr. Pr." läßt sich neuer 
dings ans Petersburg melden, daß das 
Gerücht, Graf Herbert Bismarck sei 
zum Botschafter in Petersburg aus 
ersehen, in höheren Kreisen an der Newa 
unangenehm berührt habe. Dem 
aktiven neuen Minister Fürsten Lobanow 
könne man keine unbeliebtere Persön 
lichkeit wie den Grafen Bismarck entgegen 
stellen, der nicht blos repräsentiren, sondern 
auch eifrig Politik treiben werde. Der 
Wunsch Kaiser Wilhelms, einen Diplomaten 
an der Newa als Vertreter zu haben, er 
scheine ja ganz natürlich; die angekündigte 
Ernennung einer so prono ncirten 
Persönlichkeit müsse jedoch die Be 
fürchtung erwecken, daß in der deutschen 
Politik wieder die Tendenzen des Exkanz- 
lers znr Geltung gelangen könnten, was 
sür die leidlich wiederhergestellten Be 
ziehungen der beiden Nachbarstaaten schwer 
lich förderlich sei. 
Schweiz. 
Zürich, 16. März. Ein eigenthümliches 
Quid pro quo ereignete sich gestern hier. 
Stand da ein Herr, den Kopf mit einer 
großen Pelzmütze bedeckt, auf der Quai 
brücke und blickte hinab auf das Wasser, 
wo sich eine «Schaar fremder Wildvögel, 
vom Eise zur Stadt gedrängt, tummelte. 
Plötzlich fühlte er sich von rückwärts mit 
eisernem Griff am Kragen gepackt, zugleich 
schlugen ihm zwei Flügel in's Gesicht. Es 
war ein riesiger Mäusebussard, der 
die Pelzmütze in seinem Hunger wahr 
scheinlich für etwas Eßbares gehalten hatte 
und sich nun uiivermuthet einem Gegner 
gegenüber sah. Laut kreischend schlug er 
mit der freien Fänge auf den Mann ein, 
ohne doch den Mantel los zu lassen. 
- chließlich gelang es dem Angegriffenen, 
dem wüthenden Vogel mit dem Stocke zu 
erschlagen. 
Oeîîerrerch-Ungarn. 
Wien, 21. März. Der Konkurs der 
Chropiner Zuckerfabrik wurde eröffnet. 
er Anmeldungstermin ist für den 18. 
Juni, die Wahl des desinitiven Masien- 
verwalters sür den 3. April und die Li- 
quidationstagsahrt für den 8. Juli festge 
setzt. 
Täņŗmark. 
Aus dem Gefängniß in Kolbing ist der 
Verbrecher Jakob Jung entwichen. 
Derselbe entwich im vorigen Jahre aus 
dem Zuchthause in Rendsburg und verübte 
Einbruch ans Einbruch längs der Grenze, 
wurde aber endlich in Kolding dingfest 
gemacht. Jetzt ist er wieder ausgebrochen, 
und zwar in Gesellschaft eines anderen, 
zu 18monatlicher Freiheitsstrafe verurtheil- 
ten Individuums. Man glaubt, daß die 
beiden gefährlichen Verbrecher zur Zeit im 
nördlichen Schleswig umherstreichen. 
— Der jetzt viel erörterte Antrag 
K a n i tz , betr. Getreidepreis, und 
das dem Kaiser zugeschriebene Wort vom 
Brotwucher erinnert uns an das Urtheil 
von Dr. M. Luther über diese Ange 
legenheit. Der Reformator schreibt in 
seinem großen Katechismus zum 7. Gebot 
(nachdem er den Handwerkern und Tage 
löhnern ihren Text gelesen) u. A. folgendes: 
„Also soll es allen Anderen gelingen, so 
aus dem offenen freien Markt nichts denn 
ein Schindleich und Ranbhans machen, da 
tnan läglich die Armen übersetzet, neue 
Beschwerung und' Theuerung macht, ein 
jeglicher des Markts braucht nach seinem 
Muthwillen, trotzet und stolzet dazu, als 
habe er Fug und Recht, das Seine so 
theuer zu geben, als ihn gelüstet, und soll 
ihm Niemand drein reden. Denen wollen 
wir zwar zusehen, schinden, zwacken und 
ge'zen lassen, aber Gott vertrauen, der es 
doch ohne das thun wird, daß er, wenn 
du lang geschunden und geschreppelt hast, 
einen Segen darüber spreche, daß dir dein 
Korn auf dem Boden, dein Bier im Keller 
und dein Vieh im Stall verderbe. — Uns 
gebühret nicht weiter, denn zu sagen und 
strafen mit Gottes Wort; aber daß man 
solchem öffentlichen Muthwillen steure, da 
gehören Fürsten nnd' Obrigkeit zu, die 
selbst Augen und den Muth hätten, Ord 
nung zu stellen und halten in allerlei 
Handel und Kauf, auf daß die Armuth 
nicht beschweret und ilnterdrückt würde, 
noch sie sich fremden Sünden beladen 
dürften." Und zur 4. Bitte schreibt er: 
„Was ist jetzt sür eine Plage in der Welt 
allein mit der bösen Münze, ja mit täg 
licher Beschwerung und Aufsetzen im ge 
meinen Handel, Kaut nnd Arbeit derer, 
die nach ihrem Mnihwillen die liebe Armuth 
drücken und ihr tägliches Brot entziehen, 
ne Liebc. 
von 
Lothar Brenkendorff 
den Konsirntations-Unterricht 
ir ein jmķ' 
an die Cxpe°' 
n 1. October 
ner Lage W 
chfeiten W?« 
bl. ^ 
(6 
„Als ich 
^suchte, regte sich's zum ersten Mal wie die 
Ahnung von etwas Unbekanntem, Köstlichem 
’» meiner verdüsterten und verstockten Kinder- 
f e(e. Der Prediger hatte so herrliche Worte, 
Liebe klar 
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Chaussee. 
mg das Wesen der Vicnc tiar zu machen, 
jener Liebe, die sich selbst verleugnet, die 
starker ist als Noth und Tod! — Nun 
S>Ußtc ich mit einem Mal, was meinem 
wenden Dasein fehlte, und mich erfaßte ein 
(,t Heißhunger nach Liebe. All' mein Trotz und 
’’leine Verstocktheit, der finstere Haß gegen 
’’’eine Peiniger, sie schmolzen dahin in der 
jUiendlichen Sehnsucht nach dieser Liebe, die 
o himmlisch sein mußte und die ich nie 
’’»Pfunden. Am Abend meines EinsegmingS- 
’”ge vermochte ich dem mächtigen inneren 
prange nicht mehr zu widerstehen. Mein 
^ater" war eben von seinem anstrengenden 
dienst nach Hause gekommen. Er war be 
stücken wie immer, vielleicht auch zufällig 
’’»ch mehr als sonst. Aber ich ließ mich 
"»durch nicht abhalten, mich ihm liebevoll zu 
Hern. Wo Hütte ich das Köstliche, danach 
’’’eine verschmachtende Seele dürstete, denn 
fuch suchen sollen, wenn nicht bei ihm, meinem 
^Qter! -— Nie werde ich den Blick vergessen, 
’’’ft dem er mich aus stieren, blutunterlaufenen 
uw»; şi”gcn ansah, als ich schüchtern meinen Arm 
seinen Nacken legte. Er begriff ja nicht, 
tit Zubehör 1 iu a g wollte, und mit einem Schimpfwort 
^ meß er mich zurück. Aber mein Hunger nach 
— ftebe war zu groß, als daß ich mich dadurch 
Mite einschüchtern lassen. Wenn er mich nur 
mt verstand, würde er sic mir gewiß nicht 
versagen. Er war ja doch mein Vater, und 
ein Prediger hatte uns gesagt, daß nichts 
Heiligeres auf Erden sei als das Band zwischen 
Eltern und Kindern. So drängte ich mich 
noch einmal an ihn heran, flehentlicher und 
dringender als zuvor. „Habe mich lieb, 
Vater," bat ich, „ich will Dir dienen und 
Dir gehorsam sein — nur habe mich lieb!" 
-— Er aber war der Belästigung müde, und 
meine Beharrlichkeit erregte in ihm den leicht 
gereizten Zorn des Trunkenen. „Geh' weg, 
Du Narr — Du Range!" brüllte er mich 
an. Im nächsten Augenblick fühlte ich einen 
brennenden Schmerz an der Stirn und mit 
vergingen die Sinne. Gewiß war es nur 
ein unglücklicher Zufall gewesen, daß sich 
gerade der schwere irdene Bierkrng im Bereich 
seiner Hand befinden mußte — gewiß hatte 
er nicht mehr Besinnung genug, die Tragweite 
seiner jähzornigen That zu ermessen. Mir 
aber war durch diesen Wurf »och etwas 
Anderes zertrümmert worden als das Stirn 
bein — etwas, das keine ärztliche Kunst 
wieder herstellen kann. 
und er 
schob mit einer Handbcwegung die häßliche 
Haarsträhne auf seiner Stirn zur Seite — 
„da steht unauslöschlich die Antwort einge 
schrieben, die ich auf meine erste flehentliche 
Bitte um ein bischen Liebe erhalten hatte, 
nnd ich brauche nur einen Blick in den Spiegel 
zu werfen, um mich von einer etwaigen neuen 
Anwandlung solcher thörichten Sehnsucht zu 
kurieren." 
Er stand im vollen Mondlicht, und Gilda 
sah mit Erschauern die breite rote Narbe, die 
sich dunkel von der weißen Haut seines gcister- 
blcichcn Antlitzes abzeichnete. 
„Sic müssen sehr unglücklich gewesen 
sein," sagte sic leise. „Was sie da erzählen, 
ist furchtbar, aber sic wurden denn doch aus 
diesen schrecklichen Verhältnissen befreit - 
nicht wahr?" 
„Ich lag ein paar Monate im Krankenhaus, 
fuhr Lindstrand fort, „und ich belauschte da 
eines Tages ein Gespräch der Aerzte, die 
mich noch sür bewußtlos hielten. Sic 
meinten, es sei besser für mich, wenn ich 
stürbe, denn meinen vollen Verstand würde 
ich doch niemals wieder zurückgewinnen. 
Aber sie waren trotzdem nicht barmherzig 
genug, mir eines ihrer wohlthätigen Gifte 
zu geben. Als genesen wurde ich entlassen, 
um meinen Vater bekümmerte ich mich nicht 
mehr. Ich war neunzehn Jahre alt, als 
ich in der Zeitung las, daß 
bei einem 
Rencontre mit Schmugglern verwundet 
worden und mehrere Tage nachher eines 
gnalvollen Todes gestorben sei. Es war mir 
so gleichgültig, wie die Nachricht vom Ende 
irgend eines Fremden. Er mochte doch 
wohl recht gehabt haben, als er mein Verlangen 
nach Liebe als etwas Unnatürliches von sich 
wies. Und ich hütete mich wohl, einen 
meiner Nebenmcnschen zum zweiten Mal mit 
diesem Verlangen zu kommen. Zwar wollte 
mich damals noch zutvcilen der alte Heißhunger 
packen, wie damals während des Konfirmations- 
Unterrichts, aber ich hatte inzwischen gelernt, 
auf den Gesichtern der Leute zu lesen, und 
es bedurfte keines Wurfes mit dem Bicrlruge 
mehr, mir die thörichte Bernieffcnheit solcher 
Forderung klar zu machen. Ich habe mir 
darin, wie man das so im lächerlichen Stolze 
zu nennen pflegt, mein Leben durch eigene 
Kraft gestaltet. Auf der Stufenleiter, die 
mit dem Laufburschen nnd dem Advokaten 
sehreiber anfing, bin ich allgemach bis zu 
der schwindelnden Höhe meiner jetzigen 
gesellschaftlichen Stellung emporgestiegen. Ich 
habe dabei vielleicht etwas mehr gehungert, 
gefroren und gewacht, als es der Durchschnitt 
der Menschen für erträglich halten würde, 
aber ich bin glücklicherweise immer vor der 
Demüthigung bewahrt geblieben, einem lieben 
Nächsten schönen Dank sagen zu müssen. 
Ich habe von Niemandem genommen, ivas 
ich nicht zahlen konnte, und ich bückte mich 
niemals nach den Brocken, mit denen sich 
gutherzige Leute loszukaufen pflegen von der 
Befolgung des unbequemen Befehls: Liebe 
Deinen Nächsten wie Dich selbst! Wenn es 
wahr ist, daß Jeder, der nicnschliche Züge 
trägt, einen Anspruch hat auf solche Liebe 
so ist man mir bisher die ganze Forderung 
schuldig geblieben." 
„Und Sie selbst? — Sind Sic denn frei 
giebiger gewesen als die Anderen, über die 
Sie sich beklagen? — Haben Sie sich nicht 
in Ihrer stolzen Scheu vor dm Menschen 
desselben Unrechts schuldig gemacht, dessen 
~ ic jene bezichtigen? Vielleicht war mancher, 
den Sie für kalt und lieblos hielten, in 
Wahrheit mir von der gleichen Furcht erfüllt 
wie Sie selbst. Vielleicht wartete Mancher 
nur auf daS erste Wort, auf die erste Gabe 
von Ihnen, um dann den ganzen Reichthum 
seines Herzens über Sie auszuschütten." 
Sie wußte selber kauri!, wie ihr solche 
Worte hatten auf die Lippen kommen können. 
Gewiß waren sie ihr nur von dem innigen 
Wunsche eingegeben worden, ihm etwas Gutes 
und Tröstliches zu sagen. Daran, daß er 
ihnen eine andere, eine tiefere Bedeutung bei 
legen könnte, dachte sic sicherlich nicht einen 
Augenblick. Und sie war glücklich, als sic 
sah, daß ihre Antwort wirklich nicht ohne 
Eindruck auf ihn geblieben war war. Sic 
wich nicht zurück, als er mit zivci raschen 
Schritten dicht vor sic hintrat, und sieblickte 
ruhig zu ihm auf, als er mit gepreßter 
Stimme fragte; 
„Ist das ihr Ernst, Fräulein Hon Hohen- 
brnck? Wollen Sie mich in Wahrheit ermu- 
thigcii, noch einmal zu versuchen^,was mir 
zum ersten Mal grausam mißlungen ist? 
Glauben Sic, daß cs auch für einen Elenden 
und AnSgcstoßcncn wie mich noch ein Glück 
geben könnte — das Glück einer echten, er 
lösenden Liebe?" 
„Ja, das glaube ich," sagte sie mit der 
freundlichen Unbefangenheit ihres ahnungslosen 
Herzens, „und Sic werden cs finden, wenn 
Sic sich nur die Mühe geben wollen, danach 
zu suchen." 
Ein gütiges Lächeln, ein Lächeln, das ihn 
von der Aufrichtigkeit ihrer Versicherung über 
zeugen sollte, war auf ihren Lippen, aber es 
erstarrte in jähem Schrecken, und ihre Augen 
öffneten sich weit, als sie sich plötzlich von 
einer Flut wildheißcr, leidenschaftlicher Worte 
wie von einem Glickstrom überschüttet fühlte. 
Alt' das stürmische, bis an die Grenzen des 
Wahnsinn's gesteigerte Liebesverlangen einer 
mißhandelten, getretenen, in ihrer freudlosen 
Vereinsamung fast verschmachtenden Menschen- 
scclc brach sich mit elementarem Ungestüm 
Bahn in dieser Erklärung, die ihr das Herz 
vor unsäglicher Angst zusammenschnürte und 
ihr die Schauer eines nie gekannten, geheimniS- 
vollm Entsetzens über den Körper jagte. 
Wohl fühlte sie in den ersten Augenblicken 
ein Verlangen laut aufzuschreien und die 
Flucht zu ergreifen, aber dieser glühende 
trom nie gehörter Worte lähmte die Kraft 
ihres Willens und machte sie unfähig, sich 
von der Stelle zu rühren. Ihre Pulse jagten,
	        
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