Full text: Newspaper volume (1895, Bd. 1)

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Krschsint tägLich. -Z- 
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88ster Jahrgang. 
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Bei Betriebsstörungen 
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Blatt „Mode u. Heim" gratis beigegeben. 
3200 Abonnenten. 
Wo. 58. 
Sonnabend, den 9 März 
1895. 
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. des R. W. , 
Wohnung, 
fmühle 199. 
Msrnen-Depeschen. 
Berlin, 9. März. Die Umsturzkom 
Mission hat den ganzen Paragraphen 130 
mit sämmtlichen Anträgen abgelehnt, da 
gegen den Ccntrnmsantrag ans Streichung 
des Paragraphen 130 a des Strafgesetz 
buchcs angenommen. 
Ncwyork, 8. März. Ter Lloyddampfer 
„Havel" ist gestern früh bei starkem Nebel 
und, da daS elektrische Licht aus den Bojen 
vom Eise zerstört, in den Hafen einfahrend, 
ans Grund gerathen. Fünf Bugsirdampfer 
bemühten sich bis zum Abend vergeblich, 
den Dampfer wieder flott zu machen. Die 
Passagiere 1. Klasse sind gelandet, die 
übrigen bleiben noch am Bord, da keine 
Gefahr vorhanden ist, trotz des andauern 
den Rebels. Die „Havel" muß wahr 
scheinlich einen Theil der Ladung löschen. 
Das mächtige Schiff sitzt 3 Meilen nord 
östlich von Sandyhook auf einer sandigen 
Untiefe. 
Newyork, 0. März. Der hier gestern 
aufgefahrene Deutsche Dampfer Havel ist 
Uoch nicht wieder flott. Die Passagiere 
srster Klasse sind gelandet, die andern be 
finden sich noch ans dem Schiffe. 
^ Berlin, 8. März. Bon unterrichteter 
Seite wird uns mitgetheilt, daß die Rede 
des Kaisers beim Diner auf dem Branden 
burgischen Provinziallandtagc durchaus un 
berechtigter Weise gegen den Antrag Kanitz 
ausgelegt wird. Es sei absolut unrichtig, 
zu behaupten, daß der Kaiser bereits seine 
Ansicht über den Antrag festgelegt habe. 
L.er Kaiser werde im Staatsrath Gelegen 
heit nehmen, sich hierüber zu äußern, um 
keinen Zweifel bestehen zu lassen, daß er 
vollständig unbeeinflußt ist von Strömungen 
für oder wider diesen Antrag. Bor Allem 
siehe es fest, daß es des Kaisers Wille ist, 
dafür zu sorgen, daß für die nothleidende 
Landwirthschaft etwas geschieht. Sollte in 
den Verhandlungen des Staatsraths der 
Antrag Kanitz als annehmbar bezeichnet 
Werden, so dürste auch der Kaiser für die 
Durchführung des Antrages eintreten. Es 
!?ird uns ferner bestätigt, daß, wenn die 
^abaksreuervorlage fällt, an die Heran- 
Kehung der Biersteuer gedacht werden solle, 
Worauf Bayern bereits vorbereitet sei 
bezüglich der neuen Branntweinsteuer 
Novelle wird uns versichert, daß dieselbe 
^icht nur die industriellen Großbetriebe 
beschränken, sowie bie bürgerlichen Klein- 
betriebe kräftigen und ertragsfähiger machen 
solle, sondern auch in hervorragendem 
Diaaße die Ausfuhr vergrößern und da 
durch die Lasten der Besteuerung ans die 
Ausländischen Abnehmer und Konsumenten 
^wälzen werde. 
Berlin, 9. März. In Köberwitz, Kreis 
^aļibor, stürzte ganz plötzlich der Thurm 
er dortigen Kirche ein, ohne jedoch einet 
Menschen dabei irgendwie zu verletzen. 
ist schier ein Wunder, da viele Rinder 
»1 der Nähe spielten. 
Berlin, 9. März. Eine scheinbar 
Krankheit tritt in verschiedenen 
Städten z. Z epidemisch auf. Sie er 
scheint ebenso schnell und uuvermutyet wie 
die Influenza und wirkt sehr ansteckend. 
Dte Kraukhelt beginnt mit Blasenbildungen 
"u Munde, aus Zunge und Gaumen und 
w der Rachenhöhle, die Blasen gehen als- 
ä?>d auf und es entstehen große ivuude 
stellen, die recht schluerzhast find. Der 
kranke kann feste Nahrung überhaupt nicht 
e? şich nehmen und kaum sprechen. Die 
Krankheit dauert etwa vier bis sechs Tage 
ssņd hinterläßt ein großes Schwächegefühi. 
şjr ärztliche Eingriff beschränkt sich im 
Wesentlichen auf Mundspülungen mit Ka- 
"'illenthee u. dergl. Es giebt Familien, 
} denen drei und vier Personen gleichzeitig 
dieser Krankheit befallen wurden, 
j Zeitz, 7. März. Dem Gutsbesitzer Sp. 
,, Rüden wurden aus einer verschlossenen 
unnttwde 30 000 Mk., die er alö Kauf- 
e,ä für ein Gut in den nächst en Tagen 
sen ^ atte ' Ü^'sto hlen. Dem Diebe 
oso Sache bekannt gewesen sein. Die 
lJei stellt eifrige Nachforschungen an. 
England. 
v»uo„, 7. März. Ueber den heute 
Morgen in der Borstadt Tooting von 
einem Steinsetzer Namens Taylor an seiner 
Frau und seinen sechs Kindern verübten 
Mord liegen seitens des ältesten vierzehn 
jährigen Knaben Frank, der zwar ver 
wundet wurde, aber lebt, folgende schauer 
liche Einzelheiten vor: Um fünf Uhr 
Morgens wurde Frank durch einen von 
seiner Mutter in deren Schlafzimmer aus- 
gestoßenen Ruf „Mörder!" geweckt. Gleich 
darauf erfolgte ein schwerer Fall; der 
Vater trat unmittelbar danach in das 
Zimmer der Kinder ein und rief „Frank, 
wo bist Du?" Als dieser antwortete 
„Hier, Vater!" faßte er ihn an der Kehle 
und brachte ihm an der rechten Seite und 
an den Händen, mit denen er sich ver 
theidigte, mehrere Schnitte bei. 
Die übrigen Kinder begannen zu 
schreien. Der Vater kehrte darauf in sein 
Schlafzimmer zurück, und Frank hörte, 
wie er ein Messer schliff. Frank ver- 
barg sich. Gleich darauf erschien der Vater 
wieder und schnitt den fünf Kindern 
den Hals ab. Noch einmal kehrte er 
zum Schärfen des Messers in sein Zimmer 
zurück und tödtete damit als Letzte sein 
kleines siebenjähriges Mädchen; daraus 
brachte er sich in seinem Zimmer 
selber um. 
Frank schlich sich darauf, obwohl stark 
blutend, aus dem Hause und machte bei 
den Nachbarn Anzeige, welche die Polizei 
herbeiriefen. Frau und Kinder waren bei 
deren Eintreffen todt, nur der Mörder 
lebte noch, verstarb aber auf dem Wege 
nach dem Krankenhause. Taylor war ein 
nüchterner, ordentlicher Mann, der mit 
seiner Familie in bester Harmonie lebte. 
Er gehörte zum Kirchenchor von Tooting 
und besaß das Certifikat der Human 
Society. Er war in Folge des Frostes 
außer Arbeit, hatte auch seine letzte Miethe 
nicht bezahlt, doch besaß er Möbel, auch 
ein Piano, und man hat auch genügende 
Lebensmittel in der Wohnung gefunden. 
Bulgarien. 
Sofia, 8. März. Das Blatt „Mir" 
bestätigt die Nachricht von einem Ueber 
fall des protestantischen Gottes 
Hauses in Lompalanka Darnach 
haben am vergangenen Sonntag 2 Indi 
viduen eine Bande von etwa 40 Burschen 
um sich gesammelt, die Thür des Gottes 
Hauses gesprengt, alles, was sie im Innern 
der Kirche vorfanden, zerbrochen und 
einige Kirchengegenstände geraubt. Das 
Blatt verurtheilt die That auf das Schärfste 
und bemerkt, die Schuldigen seien ver 
haftet und deni Staatsanwalt zur Be 
trafung übergeben. 
stalten. 
Rom, 8. März. In Jglesial auf 
Sardinien hat sich ein elegantes russisches 
Ehepaar vermittelst Morphium ver 
giftet. Wie die Blätter behaupten, hat 
ich das Paar in Monte Carlo durch 
Spiel ruinirt. 
Berlin, 8. Mär;. Bei den Berhand 
langen des Staatsrathes wird, wie 
die „Nat.-Ztg." bestätigt, der Kaiser per 
il nlich den Vorsitz führen. 
Berlin, 8. März Der Abg. Lenz 
mann wird in der heutigen Sitzung der 
Umsturz-Commission den Antrag stellen, 
in die zweite Lesung der Gesetzes 
porlage überhaupt nicht einzutreten, 
andern dieselbe im Ganzen abzulehnen. 
Es sei begründete Aussicht aus Annahme 
des Antrages. Parlamentarische Kreise 
nehmen an, die Regierung iverde alsdann 
me Vorlage zurückziehen. (Von anderer 
Şdà wird dies bezweifelt. Red.) 
Ern Garderobengeschäft in Berlin 
»,F. Z." einen Originalbrief 
aus Bunde i. W. In demselben werden 
die für Mai in Auftrag gegebenen Liefe 
rungen zurückgenommen, weil die 
Tabaksteuervorlage eingebracht sei und nach 
Annahme des Z I sämmtliche Arbeiter 
in Bünde entlassen werden müßten. — 
Das neueste Petitionsverzeichniß, welches 
dem Reichstage zugegangen ist, weist über 
3000 Petitionen auf, welche um Ab- 
lehnung der Tabaksteuervorlage bitten. 
— Welchen Grad die ■ augenblicklich 
herrschende Verwirrung in unklaren Köpfen 
anzurichten im Stande ist, zeigt der Vor 
schlag eines Provinzblattes aus Einbe 
rufung einer internationalen Wirth 
schafts konferenz, die sich unter anderem 
mit der „Kontingentirung des Ge 
treideanbaues in den Getreide expor 
tuenden Ländern" beschäftigen soll. Der 
Redakteur, der diesen Plan ausgeheckt hat 
und der anzunehmen scheint, daß er Län 
der mit den verschiedensten Interessen unter 
einen Hut bringen könne, hält seinen Vor 
schlag für so weise, daß er ihn mit seinem 
Namen unterzeichnet. Wir haben keine 
Veranlassung, uns mit dieser neuesten 
„Idee" zu beschäftigen, deren Besprechung 
höchstens im „Ulk" am Platze sein könnte. 
— Daß der Antrag Kanitz in dem 
Deutschen Landwirthschaftsrath 
nur mit 36 gegen 32 Stimmen ange 
nommcn worden ist, wird mit Recht als 
eine schwere Niederlage für denselben er 
härt. Der Deutsche Landwirthschaftsrath 
ist die inkaruirte Interessenvertretung. Auf 
andere Interessen wie diejenigen des Groß 
grundbesitzers wird in dem Deutschen 
Landwirthschaftsrath keinerlei Rücksicht ge 
nommen. Und trotz alledem nur eine 
solche knappe Mehrheit für den Antrag. 
Auch diese Mehrheit wäre nicht einmal 
zu Stanbe gekommen, wenn man nicht 
noch eine Klausel in die Resolution ein 
gefügt hätte, welche die Hebung des 
Getreidepreiscs durch „mit den Handels 
vertragen zu vereinbarende Maß 
nahmen" empfiehlt. Dadurch wurden 
die Stimmen derjenigen für die Resolution 
gewonnen, ivelche den Antrag Kanitz zwar 
materiell befürworten, aber formell als im 
Widerspruch stehend mit den Handel 
vertrügen erachten oder Zweifel an der 
Zulässigkeit nach den Handelsverträgen 
hegen. 
- Anläßlich des Spezialfalles des ver 
storbenen früheren Reichstagsabgeordnetcn 
Wiggers verbietet der mecklenburgis che 
Oberkirchen rath durch Verordnung 
allen Geistlichen des Landes die Betheiligung 
an Leichenverbrennungsfeiern sowie an der 
Urnenbeisetzung auf Friedhöfen. — Gegen 
den Geistlichen, der bei Wiggers Bestattung 
mitgewirkt hat, ist bekanntlich eineDisziplinar- 
Untersuchung eingeleitet worden. 
— Wie widersinnig das neue Stempel- 
steuergesetz ist, davon kann man sich 
einen Begriff machen, wenn man den Para- 
graphcn betr. den Stempel auf Gesellschafts- 
Verträge näher in's Auge faßt. Die Er- 
richtung von Gesellschaften mit beschränk 
ter Haftung soll an eine Stempel 
st euer geknüpft werden, îoelche 1 pCt 
des Gesellschaftskapitals beträgt. Nur bei 
Stammkapitalien unter 100,000 Mk. be 
trägt der Stempelsatz ein zwanzigstel Pro 
zeut. Ein Stammkapital von 100,000 
Mark würde danach also SO Mk. Steuer 
entrichten, ein Stammkapital von 101 000 
Mark dagegen 1010 Mk.! 
— Nach dem soeben erschienenen Bericht 
der R e i ch s b a n k für 1894 beträgt die 
Dividende an die Antheilseigner dies 
mal 6,2 6 pCt. gegen 7,53 pCt. im Vor 
jahr, 1892 betrug die Dividende 6,38, 
1891 7,55 pCt. 
- Das neueste Petitionsverzeichniß des 
Reichstags weist nicht weniger als 47 12 
Petitionen auf aus nahezu ebenso viel 
verschiedenen Orten Deutschlands, welche 
bitten, alle gegen die Fabrikation und die 
Besteuerung der Margarine gerichteten 
Anträge abzulehnen. Für Beschränkung der 
Margarine sind dagegen nur 6 Petitionen 
verzeichnet. 
Der Abg. Ahlwardt hatte in der 
letzten Sitzn > g des Reichstages die Juden 
in unerhörter Weise beschimptt, u. A. von 
„Raubthieren", „Gesindel" u. s. w. ge- 
prochen. Der Abg. Richter äußerte sein 
Mißfallen darüber, daß der Präsident v. 
Levetzow dafür keinen Ordnungsruf gehabt 
habe, worauf dieser in sehr erregter Weise 
den Abg. Richter bedeutete, daß darüber 
ihm allein ein Recht zustehe. Richter re- 
plicirte baraus, daß er das sittliche Recht 
ür sich in Anspruch nehme. Heute hat 
der Präsident nachträglich dem Abg. Ahl- 
ivardt den Ordnungsruf ertheilt. 
Berlin, 8 März. Wie die „Kreuz-Ztg." 
hört, ist die Ordre, durch die der Ober 
Präsident Graf Stolberg in den einst 
weiligen Ruhestand versetzt wird, vom 
Kaiser vollzogen. Gleichzeitig stellt das 
Blatt fest, daß die Zurdispositionsstellung 
des Grafen Stolberg keineswegs deshalb 
erfolgt ist, weil er sich materiell für den 
Antrag Kanitz erklärt hat, vielmehr des 
halb, weil man an maßgebender Stelle 
einen so schnellen und vollständigen Wechsel 
der Ansichten über das deutsch-konservative 
Tivoli-Programm und den Antrag Kanitz, 
wie ihn Graf Stolberg offenkundig voll 
zogen hat, mit der Stellung eines ersten 
Beamten der Provinz für nicht recht ver- 
einbcr hielt. 
Lübeck, 8. März. Der Maschinenbauer- 
lehrling Aß mann ist seinem Vater nach 
Entwendung von 16,000 Mk in Werth 
papieren und baarem Gelde durchgebrannt. 
Er wurde im Logirhaus „Concordia" in 
Hamburg indeß bereits verhaftet. Von 
dem vielen Gelde wurde nur ein geringer 
Theil vorgefunden und nimmt man an, 
daß er den größten Theil des gestohlenen 
Gutes irgendwo versteckt hat. 
Hamburg, 8. März. Wir haben schon 
mehrfach über den Vorfall Samuelsohn- 
Berthold berichtet. Die Angelegenheit 
erregt hier ungeheures Aufsehen und för 
dert den Antisemitismus gewaltig. Selbst 
die „Hamb. Freie Presse" schreibt Nach- 
stehendes: „Wir haben gestern das Ver 
halten des Rechtsanwalts Dr. Berthold, 
welcher dem wegen Sittlichkeitsdelikte ver 
hafteten Dr. med. Samuelsohn den Revolver 
einhändigte, damit er sich erschieße, als 
eine unerhörte That hingestellt. Einige 
weitere Bemerkungen verdient die Ange 
legenheit noch aus verschiedenen Gründen. 
Man fragt sich, wie kann ein Anwalt, der 
sich Zugang zu dem Jnhaftirten doch nur 
unter der Maske des Vertheidigers ver 
schaffte, dieses ihm von, Gesetze gewährte 
Recht in so unerhörter Weise mißbrauchen? 
Wie ist die „Freundschaft" beschaffen, 
welche einen so unseligen Entschluß in dem 
Busen des Freundes nährt und ihn gerade 
zu in den schmachvollen Tod hineintreibt? 
In solchen Augenblicken, wo die gerechte 
Sühne für die schändlichen Laster naht, 
ist der jäh Betroffene von der Last so 
niedergeschnietiert, daß er nicht ruhig ab 
wägen kann, sondern das Opfer plötzlicher 
Empfindungen oder fremder Einflüsterungen 
wird. Da bewährt sich die Freundschaft 
im Trösten und Hinweisen darauf, daß 
die That gesühnt und im fernen Lande 
ein neues Leben begonnen werden 'könne. 
Nicht aber drückt der Freund dem Freunde 
die Waffe zum Selbstmorde in die 
Hand, um dann überlegen lächelnd vor 
Behörde und Publikum zu erklären, daß 
man diese goldene That vollbracht. 
An diese Art Freundschaft glauben wir nicht. 
Was wir aber glauben, das glauben viele 
mit uns, wenn wir es auch vorläufig wegen 
„Mangel au Beweis" noch nicht aus- 
sprecheu. Recht auffällig ist es doch, daß 
der „frcund"liche Anwalt schon vor dem 
Urtheilsspruche die verhängnißvolle Waffe 
mitbringt, und daß er — wie wir er- 
fahren — vor dem Thore des Untersuch 
ungsgefängnisses so lange wartet, bis ihm 
der Schuß die Kunde bringt, daß der gute 
Freund stumm ist. Nun, diese „Praxis" 
hört jetzt auf, da der Herr es dieses Mal 
doch nicht auf die Nachsicht der Anwalts 
kammer ankommen lassen, sondern die recht 
einträgliche Anwaltschaft unserem gestrigen 
Rathe entsprechend niederlegen will. Das 
ist ja auch das bequemste. Für die „Prole 
tarier" und ihre Interessen reden und 
schreiben mit dem Jahreseinkommen eines 
vielfachen Millionärs, die Klaffen der Be 
völkerung, in denen man sich nicht mehr 
halten kann, herunterreißen, und selbst in 
Daus und Braus in verrufenen Lokalen, 
welche ein ehrlicher Sozialdemokrat niemals 
betritt, die Arbeitergroschen zu verprassen, 
ist auch eine Existenz und nicht vereinzelt. 
Berthold wie Samuelsohn waren „Genossen", 
auch in der Sozialdemokratie; letzterer hielt 
in den sozialdemokr. Fortbildungsvereinen 
häufiger Vorträge und wurde auch durch 
Vermittlung von „Genossen" als Arzt 
einer größeren Krankenkasse bestellt. Wir 
erwähnen das lediglich, weil wir im „Echo" 
die hämischen Bemerkungen vermißen, die 
nie fehlen, wenn es sich um diejenigen 
Hamburger und andere Bürger handelt, 
die nicht auf die sozialdemokratische Partei 
schwören. Daß ein anderes Blatt, das 
„Hamb. Fremdenblatt", von der „hochacht 
baren Familie" des Samuelsohn redet, 
nimmt nicht Wunder, nannte doch dieser 
Bannerträger des Berthold auch die Ange 
hörigen des Breitrück eine „hochachtbare 
Familie", obwohl drei Viertel von Ham 
burg weiß, in welcher Straße sie sich diese 
„Hochachtbarkeit" erworben hat." 
Seinen „Freundschaftsdienst" ver 
theidigt Rechtsanwalt Dr. Berthold „gegen 
über den unsagbaren Entstellungen und 
Angriffen eines Theils der „Bourgeois- 
blätter" in folgender Erklärung an seine 
sozialdemokratischen „Parteigenossen", in 
welcher es heißt: „Wer dem Verstorbenen 
nahe gestanden hat, oder mit ihm als Arzt 
in Berührung gekommen ist, weiß, daß er 
ein treuer, guter Mensch war, stets hilfs 
bereit, einfach in seinen Ansprüchen und 
in seiner Lebenshaltung. Hat er gefehlt, 
hat er in einer Stunde der Verirrung 
selbst schwer gefehlt, so konnte er als 
Mann von Charakter dem beleidigten Ge 
setze keine edlere Sühne bieten, als den 
freiwillig gewählten Tod. Wer die Freund 
schaft nicht nur als ein Wort auf den 
Lippen trägt, sondern im Herzen fühlt, 
wer kein Bourgeois der konventionellen 
Pharisäermoral ist, wird verstehen, warum 
ich dem Unglücklichen die letzte Bitte, ihm 
die Waffe ins Gefängniß zu bringen, nicht 
abschlug. Parteigenossen! Jeder von Euch 
würde dasselbe für einen Freund gethan 
haben!" Eine solche Verherrlichung des 
Selbstmordes, wie sie kaum schlimmer 
gedacht werden kann, ist wohl noch nicht 
dagewesen. 
BrovinzieUes. 
? Kiel, 7. März. Heute stand vor der 
Strafkammer ein Rendsburg 
besonders interessircnder Fall zur Verhand 
lung. Der Ingenieur Paul Verborg in 
Rendsburg, Vertreter der Kanalbaufirma 
Hantel und Bung beim Bauamt 111. der 
kaiscrl. Kanalkommission, hatte vom Flens 
burger Staatscisenbahnbetriebsamt einen 
Strafbefehl zu 30 Mk. erhalten wegen 
Uebertretung des § 54 der Betriebsord 
nung für die Haupt-Eisenbahnen Deutsch 
lands vom 5. Juli 1892, war damit aber 
nicht zufrieden, sondern verlangte gericht 
liches Gehör; ward indessen vom Rends- 
burger Schöffengericht freige- 
sprachen. Was ihm zur Last gelegt war, 
das war, daß er am 24. Sepr. die west 
liche der beiden Brücken zwischen Rends 
burg und Oesterrönseld betreten hatte. 
Die Kanal-Kommission hatte nämlich beim 
Bahnbetriebsamt Flensburg, nachdem die 
westliche Brücke soweit fertig gestellt war, 
daß sie als feste Brücke, doch nicht als 
Drehbrücke, benutzt werden konnte, den 
Staatsbahnbetricb über die westliche Brücke 
zu leiten, damit die östliche Brücke ganz 
fertig gestellt werden konnte. Betriebs- 
Inspektor Schreiner aus Flensburg besich 
tigte am 2. Aug. die westliche Brücke, ver 
langte und erhielt vom Regierungsbau 
meister Ziegler, welcher den erkrankten 
Baurath Görz vom Bauamt lll. vertrat, 
den Schlüssel zum Steuerhaus. Damir 
war die kaiserliche 
nicht einverstanden, 
burger Betriebsamt 
denn die westliche 
Kanalkommission gar 
verlangte vom Flens- 
ben Schlüssel zurück, 
Brücke war ja noch 
nicht als Drehbrücke fertig. Den Schlüssel 
bekam sie nicht. Die Kanalkommission ver 
einbarte dann mit dem Betriebsaml Flens 
burg, daß für den 23. und 24 Sept. zu 
bestimmter Zeit die Brücke geöffnet werden 
ollte und der Ingenieur Verborg ver 
langte daher, weil er am Sonntag, den 
23. Sept. keine Arbeiter bekommen konnte, 
am Montag den Schlüssel zum Steuer 
haus, wollte die Maschinentheile, die zu 
rosten anfingen, putzen lassen. Der Schlüssel 
ward ihm verweigert. Darauf nahm er 
den Schlüssel zum Steuerhaus der östlichen 
Brücke, der zu dem auf der westlichen 
Brücke paßt. Da dies ohne Aufsicht des 
Bahubeamten geschah, schickte ihm das 
Flensburger Betriebsamt einen Strafbe.
	        
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