Full text: Newspaper volume (1895, Bd. 1)

Mķaà 
Berlin, 2. März. Der gestrige 
Kommers der Studentenschaft 
der Universität und der übrigen Hochschulen 
Berlins zu Ehren des Fürsten Bis 
m a r ck war von 2 bis 3000 Personen 
besucht. Darunter waren zahlreiche 
Professoren, Generäle und andere Ehren 
gäste. Auch der Reichskanzler Fürst Hohem 
lohe und Generaloberst von Los waren er 
schienen. Fürst Hohenlohe hielt folgende 
Ansprache: „Meine Herren! Im Namen 
der Gäste danke ich den vereinigten Stu 
direnden von Berlin für die freundlichen 
Grüße und die Ehre, die Sie uns damit 
haben zu Theil werden lassen. Ich danke 
auch dem Festausschüsse, daß er mir durch 
die Einladung die Gelegenheit gab, den 
Mann mitzufeiern, in dem ich nicht allein 
den größten Staatsmann unseres Jahr 
Hunderts, sondern, wie ich mit Stolz hin- 
zufüge, auch meinen Freund verehre. 
Meine Aufgabe ist aber hier nicht, seine 
Verdienste zu würdigen, ich will zur 
studirenden Jugend sprechen und zwar 
zur studirenden Jugend von ganz Deutsche 
land. Ich will meinen Trinkspruch ju- 
sammenfassen in den Rath eines alten 
Mannes von Erfahrungen. Bewahren 
Sie sich den patriotischen Geist, der bei 
den Studenten Deutschlands traditionell ist. 
Bewahren Sie die Treue zu Kaiser und 
Reich! Bewahren Sie sich den frohen, 
wüthigen Geist der Jugend durch Ihr 
ganzes Leben und halten Sie fest an der 
idealen Lebensauffassung, ohne die das 
Leben keinen Werth hat! Meine Herren! 
Ich trinke auf das Wohl der akademischen 
Jugend Deutschlands!" Später sprach 
General-Oberst Los über das gute Ver 
hältniß zwischen Studenten und Offizieren. 
Berlin, 4. März. Die Ablehnung des 
Referats über den Antrag Kanitz im 
Staatsrath begründet der Abgeordnete 
von Kardorff in den „Berliner Neuesten 
Nachrichten" damit, daß er ihn für schwer 
durchführbar, aber doch als die ultima 
ratio betrachte, wenn andere Wege sich als 
ungangbar erwiesen haben sollten. Außerdem 
habe er sich mit der Tragweite der An 
trages nicht gründlich genug beschäftigt 
und sei durch andere parlamentarische 
Arbeiten in Anspruch genommen. Das 
Referat und Correferat über die Währungs 
frage, so erklärt Abgeordneter von Kardorf, 
würde er ohne jede Vorbereitung haben 
übernehmen können, indessen würde Graf 
Mirbach als Referent den gegnerischen 
Referenten, Generalkonsul Ruffel, vielleicht 
noch bester wiederlegen, als er es vermocht 
hätte. 
— Der Berufung des Staats- 
raths sieht die „Kreuzztg." in ihrem 
Wochenbericht sehr skeptisch entgegen. Es 
sei von den Berathungen des Staatsraths 
bei seiner Zusammensetzung und der Ver- 
theilung der Referate für den Antrag 
Kanitz nicht viel Gutes zu hoffen. 
Indeß dürfe eine solche Berufung dieses 
„höchsten Tribunals" nicht lediglich mit 
einer Negative endigen. Wenn die Regie- 
rung ein anderes Mittel wisse zur Hebung 
»er Getreidepreise, so sei der Antrag 
Kanitz bis aus Weiteres, das heißt bis 
zur Probe auf das Exempel, preiszugeben. 
— Der Verein deutscher Zeitung s,< 
Verleger beschloß in der heutigen Gene 
ralversammlung, im geeigneten Fall, bei 
spielsweise bei grobem Unfug oder bei der 
Frage nach dem Gerichtsstand der Presse, 
den Preßprozeß auf Vereinskosten bis zur 
Entscheidung des Reichsgerichtes durchzu 
führen, gleichgültig, ob der Verklagte 
Mitglied des Vereins ist oder nicht. Ein 
weiterer Beschluß betrifft eine Eingabe 
wegen einheitlicher Regelung der Sonntags 
ruhe im Zeitungsgewerbe wegen Freigabe 
des Verkaufs von Zeitungen an Sonn- 
und Festtagen. 
— Die „Post" erfährt zuverlässig, die 
Nachricht, Minister v. Köller habe dem 
Grafen Stolberg sein Mißfallen über 
die Zustimmung zum Antrag Kanitz aus 
gesprochen, entbehre der Begründung. 
— Bei den sich steigernden Vorbereitungen 
zur Feier seines 80. Geburtstages sieht 
Fürst Bismark, den Hb. Nachr. zufolge 
demselben mit immer stärkeren Zweifeln 
darüber entgegen, ob es ihm physisch möglich 
sein werde, allen seinen Freunden an diesem 
Tage gerecht zu werden. 
Berlin, 4. März. Der Professor an 
der hiesigen Universität Georg Gizhcki 
ist an Influenza gestorben. 
Der Reichshauptstadt Berlin kostet die 
diesjährige Schnecabfuhr bereits über 1 
Million Mk. 
Schmalkalden, 2. März. Das national 
liberale „Tageblatt" fordert die Wähler 
auf, in der Stichwahl Mann für Mann 
für Jsk raut (den Antisemiten) einzutreten. 
Eine Rettung aus Lebensge 
fahr durch einen Kanarienvogel 
gehört gewiß nicht zu den alltäglichen 
Vorkommnissen. Ueber einen solchen sel 
tenen Fall wird der „Königsb. Allg. Ztg." 
aus Piüau folgendes berichtet: Herr S. 
wenden, daß sie selbst die Umrisse des Nach- 
bargewölbcs nicht mit dem Auge streifen 
konnte; und erst nachdem sie die Straße 
hinab war, schlug sie den Schleier zurück. 
(Fortsetzung folgt.) 
hatte einen Kanarienvogel, der sehr zahm 
ist, auf einen Pfiff seines Herrn den 
Käfig verläßt, sich auf seinen Schreibtisch 
setzt und neugierig dem emsigen Schreiben 
zusieht, den Zucker aus dem Munde mit 
seinem Schnäbelchen pickt und dann lieb 
kosend und dankend sein Köpfchen an den 
Wangen des gütigen Spenders reibt, kurz 
der beste Freund seines Herrn ist. Nun 
hatte Herr S. die Gewohnheit, Abends, 
wenn er sich zu Bette legte, noch zu rau- 
chen. Eines Abends aber schlief er dabei 
unversehens ein. Nicht lange konnte er 
indeß geschlafen haben, als ihn ein Picken 
an seinen Lippen weckte. Aus seinem 
Schlummer auffahrend, fand er die Stube 
voller Rauch und bemerkte dann auch ein 
auf der Decke sich ausbreitendes Glimmen. 
Die brennende Cigarre war seiner Hand 
entfallen, auf der Decke liegen geblieben 
und hatte das Oberbett entzündet. Sein 
kleiner Freund, der ängstlich im Zimmer 
hin- und herflatterte, hatte ihn aus schwerer 
Gefahr gerettet. 
Braunschweig, 3. März. Der seit Mai 
v. I. dauernde Bierboykott ist heute 
aufgehoben worden. 
Crefeld, 2. März. Der Bureau-Asststent 
Leutfeld, seit 8 Jahren bei der Crefelder 
Bahn beschäftigt, wurde nach Unter 
schlagung eines größeren Betrages, den 
er bei der Reichsbank einzahlen sollte, 
flüchtig. 
Aus Mühlhausen in Thüringen theilt 
man uns mit: Sämmtliche hiesigen T a 
bak- und Cigarrenfabrikanten 
wendeten sich in gleichlautender Eingabe 
an den Magistrat und die Handelskammer, 
in der sie erklären, daß, wenn § 1 der 
Tabakfabrikatsteuervorlage durch den Reichs- 
tag angenommen werden sollte, sie ihre 
gesammten Fabriken schließen und 
'ämmtliche Arbeiter entlassen. 
Regensburg, 2. März. Soeben eröffnet 
Memminger die Delegirtenversammlung 
der Kanitzianer. Namens der Einbe 
rufer werden sämmtliche Nicht-Kanitzianische 
Bauernbündler, insbesondere die er 
chienenen Führer des oberbayrischen Bauern 
bundes ausgewiesen, desgleichen die geg 
nerische und neutrale Presse, selbst ein 
Vertreter des landwirthschaftlichen Blattes 
ür Nieder-Oksterreich ausWien. Die Sektion 
der Ausgeschlossenen verläßt den Saal. 
Hamburg, 4. März. Die Generalver 
ammlung der Maklerbank nahm einen 
ruhigeren Verlauf, als man nach dem 
vorausgegangenen Zeitungskrieg vermuthen 
konnte. Bekanntlich mußten die beiden 
Direktoren wegen Veruntreuung von 600,000 
Mark entlassen werden und konnte die 
Bank eine Dividende deßhalb nicht ver 
theilen. Eine Anzahl Aktionäre hatte den 
Antrag gestellt, eine Klage gegen den Auf 
sichtsrath einzuleiten, um denselben zur 
Erstattung des defraudirten Betrages an 
zuhalten. Der Aufsichtsrath sah sein Un- 
recht — mangelhafte Kontrolle — teil 
weise und machte Zugeständnisse, durch 
welche die Aktionäre schadlos gehalten 
werden. Die Opponenten zogen deßhalb 
ihre Anträge zurück und der Fortbestand 
der Bank ist gesichert. 
In Hamburg wird zur Bismarck-Feier 
am 1. April eine allgemeine Illumination 
der Stadt geplant. 
Provinzielles. 
? Kiel, 2. März. In der gestrigen 
Stad tk ollegien-Sitzung gelangteu. A. 
die Vorlage betreffend die Uebernahme 
einer Garantie für die Provinzial- 
Gew erbeausstellung 1896 seitens der 
Stadt Kiel zur Beschlußfassung. Der Ge 
schäftsausschuß der Ausstellung hatte ein 
Gesuch an die Stadtvertretung gerichtet, 
ihrerseits zum Garantiefonds die Summe 
von 100000 Mk. zu zeichnen. Die Vor 
lage wurde nach längerer Diskussion so 
wohl im Magistrat wie in dem Stadtver- 
ordneten-Kollegium genehmigt. Bei dieser 
Gelegenheit kam zur Sprache, daß bereits 
über 400000 Mk. von Privaten gezeichnet 
seien und daß der auf 500000 Mk. fest 
gesetzte Garantiesonds um eine bedeutende 
Summe erhöht werden solle, damit eine 
für die ganze Provinz segensreiche Aus 
stellung zu ermöglichen sei. Eine längere 
Debatte hatte die Vorlage, betreffend eine 
Petition der Arbeitslosen zur Folge. In 
dieser waren die Stadtkollegien ersucht wor 
den, in der allernächsten Zeit öffentliche 
Arbeiten vorzunehmen und diese einheimi 
schen Arbeitern übertragen. Diesem Ersuchen 
war, soweit thunlich bereits Rechnung ge 
tragen. Es wurde beschlossen, über die 
Petition zur Tagesordnung überzugehen. 
Allgemeine Theilnahme erweckt in Apen 
rade das traurige Schicksaal des jungen, 
erst seit kurzem verheiratheten Rechtsanwalts 
und Notars I. Bachmann, der an einer 
Gehirnerweichung erkrankt, unheilbarem 
Irrsinn verfallen ist und in die Irren 
anstatt zu Schleswig hat überführt werden 
müssen. 
In Uetersen sind bereits wieder zwei 
Brandstiftungen verübt, ohne daß man des 
Uebelthäters habhaft geworden ist. 
Die Spar- und Leihkasse zu Niebüll 
hat den Beschluß gefaßt, jedem dortigen 
Konfirmanden ein Sparkassenbuch, auf einen 
bestimmten Betrag lautend, zu schenken. 
Früher wurde nur ein Theil der Konfir- 
wanden mit einem solchen Geschenk bedacht 
Pretz, 4. März. Wegen Beleidigung 
des hiesigen Bürgermeisters in öffentlicher 
Versammlung wurde der Schuhmacherge- 
selle Uslar Hieselbst zu 4 Wochen Ge 
fängniß verurtheilt. Derselbe hatte be. 
hauptet, daß der Bürgermeister das Ver 
sammlungsrecht erschwere und seiner Auf 
sichtsbehörde erlogene Angaben gemacht 
hätte. Das Reichsgericht hat das Urtheil 
bestätigt. 
Mittelholstein, 4. März. Die Ast-Wall 
fahrten beginnen nunmehr auch hier. 
Schon sind einzelne Personen in Radbruch 
gewesen, und jetzt schaaren sich die Leiden 
den zu größeren Reisegesell 
schaften zusammen, um geschlossen nach 
dem „berühmten" Manne zu reisen. 
Dr. med. Flügge in Süderstapel ver 
zieht demnächst nach Hannover. An seiner 
Stelle wird Dr. med. Schaper aus Braun 
schweig die ärztliche Praxis in Süderstapel 
aufnehmen. 
Erfde, 4. März. Der Spar- und 
Vorschußverein schließt für das 17 
Geschäftsjahr 1894 in Einnahme und Aus 
gäbe mit 175,870,20 Mk. und in Aktiva 
und Passiva mit 365,278,26 Mk. ab. Der 
Kassenbestand betrug 2158,86 Mk., der 
Reservefonds 11,145,16 Mk., der Rein 
gewinn 2693,23 Mark. Der Verein ver 
theilt an die Aktionäre eine Dividende von 
16 pCt. 
Nortorf, 3. März. Wie wir vernehmen, 
wird in nächster Zeit eine Krankenkarawane 
sich aufmachen zum Wunderdoktor Ast in 
Radbruch Damit würden dann auch von 
hier die Ast-Wallfahrten ihren Anfang ge 
nommen haben. Nachdem schon Brieflein 
und Haarpacketlein eingesandt, auch schon 
einige Leute in Person in Radbruch ge 
wesen sind, wollen sich dem Vernehmen 
nach jetzt mehrere Leidende zu einer grö 
ßeren Reisegesellschaft zusammen thun und 
so gemeinsam die Pilgerfahrt nach dem ge 
lobten Lande antreten. — Auch von 
Kelliughusen berichtet man ähnliches. In 
einem benachbarten Orte haben nicht 
weniger als 6 Patienten ihre Zuflucht zu 
diesem Wundermann genomnien Selbst 
ein seit Jahren erblindeter Mann 
hat seine letzte Hoffnung auf diesen Mann 
gesetzt. 
A Fockbek, 5. März. Am 17. d. M 
feiern die Eheleute Jak. G r o t h und 
Frau, geb. Tanck, das Fest der goldenen 
Hochzeit. Das Jubelpaar ist trotz seines 
hohen Alters noch äußerst rüstig und er 
reut sich auch einer außerordentlichen zei 
tigen Frische. Die Hochzeit wird im 
Lokal des Gastwirths Schaar gefeiert 
v Rendsburg, 5. März. Die Rede, 
welche der Abgeordnete unseres Wahlkreises, 
Landrath Brütt, im Abgeordnetenhause hielt 
gegen die zwangsweise Einführung von 
Verpflegungsstationen lautet nach dem steno 
graphischen Bericht, wie folgt: 
Der Bericht der Gemeinde-Kommission kommt 
in seinem Schluß zu dem Antrage, daß die Ver 
pflegungsstattoncn in den Kreisen, wo sie bis 
lang nicht eingeführt oder nach zeitweiligem Be 
tehen aufgehoben sind, zwangsweise durch Ge 
rt» eingeführt werden Dabei erkannte die 
Gemeindrkommission an, daß das Verpflegungs 
stationswesen in einer rückläufigen Bewegung sich 
befinde. Nach dem Berichte giebt es in der Mo 
narchie 342 Kreise von 531, welche Verpflegungs 
tationen haben. Früher war das Verhältniß 
günstiger Es wird jetzt immer ungünstiger und 
iinmer inehr Kreise werden die Unterstützung der 
Verpflegungsstationen, die sie früher beschlossen 
haben, aufgehen. Wenn man nun, wie ich, zu 
dem Resultate kommt, daß ein Gesetz, welches 
zwangsweise die Kreise zur Unterstützung der 
Verpflegungsstationen anhält, schädlich ist, kommt 
inan darum noch keineswegs gleichzeitig zu dem 
Resultat, 'daß man die Politik des Gewähren- 
lassens gegenüber der Vagabundenplage zur An 
wendung bringen will. 
Der Bericht der Gemeindekoinmission führt 
aus, daß die Verpflegungsstationen nothwendig 
seien erstens, um die Wanderbettelei einzu 
schränken, zweitens, um einzelne Individuen 
vor Sem sittlichen Verfall zu bewahren. 
In dem Berichte der Gemeindekoinmission wird 
das allerdings nicht näher nachgewiesen. Es ist 
lediglich diese Behauptuna aufgestellt; nun fragt 
es sich aber doch, ob diese Behauptung eine un 
bedingt richtige ist. Ob in einzelnen Kreisen und 
in einzelnen Gegenden die Wanderbettelei that 
sächlich nachgelassen hat, ist keineswegs eine leicht 
festzustellende Sache; auf die Beobachtung ein 
zelner Personen kommt es nicht an. Hat aber 
in einzelnen Kreisen und Gegenden die Wander 
bettelei thatsächlich nachgelassen, so kann das in 
besonderen Verhältnissen seinen Grund haben. 
Durch diese Thatsache würde aber das thema 
probandum nicht bewiesen sein, auf das es 
h er ankommt, das; nämlich der Mail«, welcher 
Gast in einer Verpflegungsstatioii gewesen 
ist, hernach das Vetteln unrerlätzt In ein 
zelnen Kreisen, die besonders für Berpflegungs- 
stationen sich interessiren, ist durch Polizei-Ver 
ordnung den Kreisangehörigen verboten, Almosen 
zu geben. Also haben gerade diejenige Herren 
und diejenigen Korporationen, die sich besonders 
für das Verpflegungsstationswesen interessiren 
und darin einen besonderen Vortheil sehen, zu 
erkennen gegeben, ociß die Verpflegungsstation 
allein das Betteln nicht hindert, sondern daß es 
zur Erreichung dieses Zweckes noch nothwendig 
ist, den Einwohnern das Geben von Almosen zu 
verbieten. 
Es kommen noch weitere Momente hinzu, welche 
darthun, daß die Verpflegungsstation die Bettelei 
nicht beseitigt. Die Freunde des Verpflegungs 
stationssystems machen es sich allerdings recht 
bequem und leicht, um zu konstruiren, auf Grund 
welcher Motive die Kreise, welche sich ablehnend 
zum Verpflegungsstationswesen verhalten, dazu 
kommen; sie sagen: das kommt daher, daß die 
Sache noch nicht einheitlich geregelt ist; wäre 
das geschehen, so würden die ablehnenden Kreise 
sich auch anschließen. Das ist doch eine eigene 
Begründung. Die Beschlüsse der Kreistage wer 
den ja nicht mit Erwägungsgründen abgefaßt; 
aber es liegt doch viel näher, anzunehmen, daß 
die Kreise sich ablehnend verhalten, weil sie prinzi 
pielle Gegner oes VerpflegungsstationSivesens 
sind, oder aus dem Grunde, daß sie die Vortheile. 
die das Verpflegungsstationswesen bringen soll, 
nicht für verhältnißmäßig halten gegenüber den 
großen Kosten, die es verursacht. 
Ich kann weiter aus den Punkt Hinweisen, der, 
wenn ich sogar sagen darf, in prozessualisch- 
technischem Sinn ein direkter Gegenbeweis gegen 
, die Behauptung ist, daß derjenige, der die Ver 
pflegungsstationen in Anspruch genommen hat, 
deswegen vom Betteln Abstand nimmt. In einem 
Kreise meiner Heimathsprovinz wollte der Kreis 
tag nur ungern die Mittel für die Verpflegungs 
stationen bewilligen. Um nun den Nutzen der 
selben klar zu machen, kam der Landrath auf die 
Idee, die Gendarmen anzuweisen, in ihren Dienst- 
Journalen bei jeder Festnahme wegen Bettelns 
zu notiren, ob der einzelne Mann, den sie fest 
nahmen, an demselben Tage die Verpflegungs 
station benutzt habe oder nicht. Das wurde, wie 
ich aus den Akten ersehen habe, 18 Monate lang 
durchgeführt. Das Resultat dieser anderthalb 
jährigen Feststellung war Folgendes: in runder 
Summe hatten von 10 Leuten) die w°gen Bettelns 
festgenommen wurden, 3 die Veroflegungsstationen 
an demselben Tag in Anspruch genommen. Wenn 
Sie sich nun vergegenwärtigen) daß nicht alle 
Leute, die die Verpflegungsstation benutzt haben 
und trotzdem betteln, auch beim Betteln abgefaßt 
werden, und daß nicht alle Leute, die betteln, 
die Verpflegungsstationen in Anspruch genommen 
haben, so ist diese Thatsache doch ein Moment, 
aus dem sich schließen läßt, daß die Leute durch 
den Besuch der Verpstegungsftaitoiie» die 
Liebe zu», Betteln nicht verlieren Also 
resumire ich, die Gemeindekoinmission hat nur 
behauptet, aber nicht bewiesen, daß durch die 
Verpflegungsstationen die Wanderbettelei einge 
schränkt wird. Dagegen ergaben die Momente, 
welche ich vorgeführt habe, daß der Mann, welcher 
die Verpflegungsstation in Anspruch nimmt, da 
durch keineswegs vom Betteln sich abhalten läßt. 
Es ist dann gesagt worden von den Freunden 
der Verpflegungsstationen, daß der einzelne Mann 
dadurch vor dem sittlichen Verfall bewahrt wird. 
Ich meine nun, daß das Gros der L.ute, die die 
Verpflegunzsstation in Anspruch nehmen, aus 
solchen besteht, an denen überhaupt nichts mehr 
zu bessern ist, und aus solchen, die besser zu 
Hause blieben. Ich bin nicht der Meinung, daß 
die Verpflegungsstationen einen besonders ver 
sittlichenden Einfluß ausüben, indem sie dem 
herumziehenden Manne mehr geben, als der Werth 
seiner Arbeit beträgt, falls eine solche überhaupt 
auf der Station gefordert wird. Darüber wer 
den die Verpflegungsstationen niemals hinweg 
kommen, daß die Arbeitsleistung ihrer Gäste sick: 
viel geringer bewerthet als die Emolumente, welche 
die Gäste entgegennehmen. 
Dann noch ein Moment, das gerade die 
Schädlichkeit der Berpflegungsstationen beleuchtet 
Man denke sich den Fall, daß der Mann zu 
Hause sitzt, und hat augenblicklich keine Arbeit, 
oder Arbeit die ihm nicht zusagt, oder ein junger 
Mensch hat Lust, sich die Welt anzusehen , 
wenn Verpflegungsstationen nicht da sind, über 
legt er den Fall erst; lvenn sic aber da sind, 
so sagt der Mann sich: der Tisch ist für mich 
überall gedeckt, wenn ich mich nur von Station 
zu Staiion als Vagabund legitimire Also 
glaube ich, daß die Verpflegungsstationen nicht 
dazu dienen, den einzelnen voin sittlichen Ver 
fall fern zu halten, sondern das; gerade die 
sangen Leute durch dte Verpflegungs- 
ltatronen viel mehr als nothwendig zur 
Wanderschaft verleitet werden und dadurch 
ich der Gefahr des sittlichen Verfalls aus- 
setzen. 
Ich möchte Sann noch ein Moment hervor 
heben, was demjenigen, der sich mit Kriminalistik 
befaßt hat, wohlbekannt ist Es ist die That. 
fache, daß das Gros der rückfälligen Delinquenten 
sich aus den Leuicn zusammensetzt, welche eine 
freudelose Jugend gevabt haben, und in ihrer 
Jugend keinen oder keinen guten Familie,lanhalt 
hatlcn, Ja. meine Heiren, hier prophylaktisch 
eingreifen, das wäre der Weg; aber wenn die 
Leute in der Jugend verwahrlost sind, w nn sie 
dann auf die Landstraße kommen und sie sinken 
anfangs, dann ist es sehr ichwer, sie vor ganz 
lichcm Verfall zu belvahren, und die Ver 
pflegungsstationen nützen sehr wenig dazu Ich 
kann mir wohl denken — bei Fall' wird einem 
Jeden hier im Hause schon begegnet sein , 
daß einem das Herz blutet, wenn man sieht, 
wie ein junger Mensch, der einen verhältniß- 
mäßig noch unverdorbenen Eindruck macht, 
herbeigeschleppt wird ivpgen Beticlns, eingcstecl r 
u wind, um dann mit dem Gesindel zuinmmen- 
zukommen, das sich seit Jahren aus der Straße 
herumtreibt. Da würde ich es für ein großes 
Glück halten, wen» im Wege der Reichs- 
gesetzgcbuiig der Richter ermächtigt würde, 
im ersten nnS womöglich auch im zweiten 
Fall des Bettelns ans Verweis zu erkennen 
Ich glaube, daß dieser Vorschlag wohl Berück- 
'ichligung verdient, um die verhältnißmäßig un 
verdorbenen Leute, die auf der Wanderschaft 
lud, vor dem sittlichen Verfall zu bewahren. 
Dann möchte ich auf einen Punkt noch näher 
eingehen, den ich mir hervorzuheben schon er 
laubte: daß nämlich die Verpflegungsstationen 
nie darüber hinauskommen werden, daß das 
Emolument, welches sie dem Stationsgast ge 
währen, sich höher b.werlhet als die Arbeit, 
welche er auf der Station leistet. Häufig haben 
die Stationen überhaupt keine Arbeitsgelegenheit; 
in einer Stadt, welche große Forsten in der 
Nähe und im Eigenthum hat, ist es ja viel 
leichter, Arbeit für die Station zu beschaffen. 
Aber gehen Sie einmal auf das platte Land, 
da ist es sehr schwierig und stellenweise ganz 
Unmöglich. 
Und, meine Herren, wenn Sic diesem Mgnil, 
der aus der Landstraße herumzieht, die 
Arbeit verschaffen, so entziehen Sie die 
Arbett wieder dem setzhafte» Manne. Bei 
der Ausübung der gesetzlichen Armenpflege ver. 
fahren diejenigen, welche Armenuntcrftütziingen 
gewähren sollen, auch einmal mit großer Skru- 
pulosttät, so daß sie von Aufsichtswcgen ange 
halten werden müssen, den gesetzlichen Au 
forderuvgen zu genügen. Bei der von der 
Gemcindekommifsioil in Aussicht ge 
nommene» gesetzliche» Vagabundenpflrge 
ist jede ernstliche Prüfung ausgcjchloffeu 
Wie wollen Sie prüfen, ob der Mann 
würdig ist ķ 
Da kann nur geprüft werden, ob der Mann 
aus der Landstraße sich herumgetrieben hat. ob 
er mittellos ist oder im höchpen Falle, ob er 
auf der nächsten Verpflegungsstation gewesen ist 
und den Wanderschein hat abstempeln lassen 
Die Statuirung eines solchen Unterschiede« in 
der Behindlulig des seßhaften Mannes, der 
in Noth gerath, und in der Behandlung des 
Vagabunden, meine Herren, ist ein Moment, 
das nicht blos den Betroffenen lebhaft erbittern 
mug. Der Vagabund bekommt es, und bei dem 
etzhaften Manne wird mit peinlicher Genauig 
keit geprüft. Für den Gast der «er- 
istegungsstation wird die Arbeit manch 
mal allerdings nur kniistttch geschaffen, 
währeiid die Gemeinde „tan nt oer Lage 
ist, dem Seßhaften Arbeit zu verschaffe», 
der sich darum bemüht. Ist das nicht eine 
Ungerechtigkeit? 
Und nun noch eins, meine Herren, was nicht 
zu unterschätzen ist Wenn Sie Verpflegungs 
stationen haben, wo der Mann Unterstützung 
erhält und ernährt wird für eine Arbeitsleistung, 
die längst nicht den Werth hat wie der Vor 
theil, der ihm zugewandt wird, so fübrt das zu 
ganz bedenklichen praktischen Konsequenzen, ganz 
abgesehen von dem prinzipiellen Bedenken. Äir 
wollen doch alle den Miktelstanö fördern, und, 
meine Herren, den schädigen wir gerade 
durch die Verpflegungsstationen. Da führe 
ich als Beweis einen Fall vor. der nicht einmal, 
sondern mehrmals sich zugetragen hat, den W 
selbst kenne und der in anderen Siädten ebenso 
gut vorkommt. Ein Geselle kommt zum Meister 
und fragt: „Haben Sie Arbeit?" Der Meister 
sagt: „Jawohl, ich habe Arbeit, so und so viel 
will ich geben/) Da sagt der Geselle: „FM 
mir gar nicht ein, dafür arbeite ich nicht; wen» 
ich nicht das bekomme, was ich fordere, gehe ild 
aus die Verpflegungsstatlon !" — Auf diese 
Weise, meine Herren, stärke» Sie den Arbeit 
nehmer gegenüber dem Arbeitaeber, und 
zwar ans öffentlichen Mitteln. Das ist eine 
Konsequenz der Verpflegungsstationen, die 
gerade den Mittelstand schädigen muß. 
Und dann ferner — noch ist cs meines 
Wissens zwar nicht vorgekommen — aber lassen 
Sie später einmal Streiks entrirt werden; 
wenn dann diese Vagabundenverpflegung für 
die ganze Monarchie gesetzlich eingeführt ist, 
dann brauchen die Leute, die ihre Kameraden 
im Streike unterstützen wollen, nicht so viel Geld 
herzugeben, diese werden aus die Landstraßen 
gehe», sie werden von Slation zu station ver 
pflegt— und hier wird wieder der Arbeitnehmer 
gestärkt gegenüber dem Arbeitgeber, und zwar 
auf öffentliche Kosten. 
Wie die soziale Frage ein Problem ist, das 
nicht gelöst werden kann, so ist auch die Be 
kämpfung der Wanderbettelei ein Problem, 
welches nicht gelöst werden kann. Wir können 
aber durch Gesetz und Verwaltung diese Plage 
einschränken. Aus diesem Weg werden wir aber 
niemals Glück haben, wenn wir die Vcrpflegungs- 
stationcn, wie es die Gemeindekommission vor 
schlägt, durch Gesetz obligatorisch machen: denn 
die Verpflegungsstationen werden, wie ich 
schon hervorgehoben habe, niemals darüber 
hinwegkommen, »atz th-en Gästen viel 
grötzere Emolumente zu Theil werden, als 
der Werth der Arbeit ist. welche sie leiste« 
Ein solches System hat aber die allcrichwerstcn 
Bedenken gegen sich aus den Gründen und 
Gesichtspunkten, die ich anzudeuten mir erlaub! 
habe. Ich bitte deshalb das Hohe Haus, den 
Antrag der Gemeindekommission abzulehnen 
< Rendsburg. 5. März. Mit den 
Arbeiten zur Abtragung des Walles vor 
der Kronprinzenstraße ist nunmehr begon 
nen worden und konnten gegen 50 Arbeiter 
dort beschäftigt werden. Im Ganzen kön 
nen hier später gegen 70 Personen Arbeit 
indem Noch an anderen Stellen Arbeits 
losen Beschäftigung zu geben, hat sich 
wegen des stark gefrorenen Bodens nicht 
möglich machen lassen. 
> Rendsburg, 5. März. Wie wir er- 
ahren, ist das Stangesche Gewese in der 
Bahnhofstraße für den Preis von 45,000 
Mark von Herrn Glißmann, Altstädter 
Markt erworben worden. 
X Rendsburg, 5. März. Gestern wurde 
Hierselbst ein Mädchen zur Haft gebracht, 
welches seine früheren Dienstherrschaste« 
und seine jetzige Logiswirthin mehrfach 
bestohlen hat. Die früheren Diebstähle 
kamen erst durch den letzten Fall zu Tage. 
X. Rendsburg» 5. März. Trotz der 
herrschenden Arbeitslosigkeit und ocoth ist 
in den letzten Tagen die Beobachtung ge 
macht worden, daß, bei vielen Leuten die 
Trunksucht nach wie vor in reichem Maße 
blüht, ja zugenommen hat. Es gehört 
doch Ge d dazu, um sich betrinken zü 
können. So mußten Sonnabend un» 
Sonntag mehrere Personen zur Hast ge 
bracht werden, weil sie in Aergerniß er 
regender ekelhafter Weise sich in trunkenem 
Zustande auf öffentlicher Straße benahmen 
und Unfug verübten. 
2X Rendsburg, 5. März. Der hiesige 
Radfahrer-Verein hielt gestern Abend in 
der Tonhalle das angekündigte Saalfest 
unter Mitwirkung des Kunstfahrers Kauf 
mann ab. Dasselbe war gut besucht und 
wird dem Frauen-Verein trotz der ganz 
erheblichen Kosten doch wohl noch einen 
Ueberschuß von 100 Mk. bringen. Das 
Hanprinteresse konzentrirte sich natürlich 
ans den Kunstfahrer Kaufmann. An und 
für sich gehen die Leistungen der ersten 
Kunstfahrer über das Maß dessen, was sich j 
ein Unkundiger vom Kunstfahren vorstellt, 
weit hinaus. Auf dem Niederrad und 
Hochrad fährt Kaufmann, wie er will, vor 
wärts, rückwärts, im gewöhnlichen und 
rückwärtigen Sitz, liegend, hängend, mit 
den Füßen tretend uud die Kurbel nur mit 
Händen, Knien usw. bewegend; beinahe 
jedes Stück des Zweirades scheint ihm zm» 
Fahren entbehrlich zu sein; erfährt, wen» 
er . nur , bin Rad unter den Füßen hat. 
Seine schlanke, geschmeidige Figur macht 
seine Leistungen besonders auf dem hohe« 
Zweirad ansprechend; sein Rivale Marschner, 
welcher vor 2 Jahren hier auftrat, ist da 
gegen mehr für das Niederrad geeignet. 
Nachdem nun beide „Meisterfahrer" der 
alten und neuen Welt hier aufgetreten sind, 
hat der R. R. V. in dieser Beziehung und 
das Möglichste geboten und gebührt dei» 
Vereine hierfür der Dank aller derer, die 
sich für den Radsport interessiren. Die 
seitens des Vereins gesahreren Reiged 
waren recht hübsch. 
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Mbeud-Tepe scheu. 
Leipzig, 3. März. Die ersten Bek' 
kreier der Universität und des Brş 
Handels veraiistatirten am Mitrwoä> 
eine Protest-Uundgedung gegen *>>* 
Umsturzvorlage.
	        
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