Full text: Newspaper volume (1894, Bd. 1)

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Erscheint tägtich. 
Weņdsburģer M Wochenblatt 
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->> 87ster Jahrgangs 
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W0. 18. 
Wontcrg, den 22. gcwuar. 
1894. 
Morgen-Depeschen. 
Stendal, 22. Jan. Ein von der 
Hochzeitsfeier heimfahrendes junges Ehe> 
paar wurde heute früh 4 1 / 2 von dem von 
Hamburg kommenden Personenzuge dicht 
bei Stendal überfahren. Die Pferde wtw 
den von der Maschine vollständig zerfleischt, 
der Wagen die Böschung himmtergeschlew 
dert. Diesem Umstande ist es zu danken, 
daß das Ehepaar eben mit dem Leben 
davonkam. 
Hamburg, 22. Jan. Albertus Freiherr 
v. Ohlendorfs ist gestern Abend auf 
seinem Gute Gresse in Mecklenburg im 
Alter von 60 Jahren gestorben. Der 
Verstorbene war früher Mitinhaber der 
bekannten Hamburger Guano-Etablissements, 
welche im Jahre 1883 unter der Firma 
Anglo - Continentale Guanowerke in eine 
Aktiengesellschaft umgewandelt worden sind. 
Der Verwaltung des Unternehmens hat 
Ohlendorff bis zu seinem Tode als Präsi 
dent des Aufsichtsraths angehört. Ohl en 
dorff, welcher vor einer Reihe von Jahren 
den Titel eines preußischen Freiherrn er 
halten hatte, war auch der Haupteigen 
thümer der Norddeutschen Allgemeinen 
Zeitung. 
Hamburg, 22. Jan. Das Segelschiff 
„Zephir" des Norddeutschen Lloyd, das 
an: 25. Okt. von Danzig nach dem Tyne 
abgegangen und noch nicht eingangen ist, 
wird als verschollen bezeichnet. Ein No 
vembersturm hat muthmaßlich das Schiff 
und seine Bemannung vernichtet. 
London, 22. Jan. Nachrichten aus 
China besagen, daß in der Umgebung 
von Hongkong ein Erdbeben stattgefunden 
habe. Durch dasselbe sollen mehrere Dörfer 
zerstört und über 200 Menschen getödtet 
worden sein. 
Belgrad, 22. Jan. Die Situation ist 
außerordentlich ernst. Das Kabinet Gruic 
hat jede Fühlung mit dem Hofe verloren. 
An letzterem herrscht eine entschieden anti 
radikale Stinimung. Die Radikalen setzen 
ihre ganze Hoffnung auf Paste, welcher 
versuchen soll, nochmals die Differenzen 
zwischen den Radikalen und dem Könige 
zu beseitigen, wofür jedoch wenig Aussicht 
vorhanden ist. 
Brüssel, 22. Jan. In der sozialistischen 
Arbeiterpartei Belgiens ist eine Spaltung 
entstanden, welche nicht wieder zu beseitigen 
sein dürste. Eine neue Partei ist bereits 
in Bildung begriffen. Die Gründer der 
selben haben an die hervorragenden Führer 
der Sozialisten im Auslande Schreiben ge 
richtet, in denen sie ihr Vorgehen zu recht 
fertigen suchen. 
Rom, 22. Jan. Die sizilianischen Ge 
fängnisse sind so überfüllt, daß die Genossen 
der Arbeiterverbände ohne jede nähere Un 
tersuchung zu Hunderten eingesperrt werden. 
300 Verhaftete wurden gestern von Par 
tinico nach Girgenti transportirt. Die bis 
jetzt in Haft befindlichen 15 Obmänner der 
Arbeiterbünde werden einer Verschwörung 
gegen den Staat beschuldigt. —- Die Zahl 
der Verhafteten in Massa-Carrar beträgt 
350 Personen. 
Rom, 20. Jan. Infolge verschiedener, 
hier cursirender, angeblich aber erfundener 
Gerüchte wird auf der Sparkasse seitens 
des Publikums in stürmischer Weise die 
Zurückzahlung der Einlagen verlangt; alle 
Beruhigungsversuche haben sich als nutzlos 
erwiesen. Der römische Gemeinderath hielt 
infolgedessen eine außerordentliche Sitzung 
ab, in der Herzog Cetoni die Nothwendig 
keit betonte, daß man der Regierung be 
hufs Verhängung des Belagerungszustandes 
nahe treten müsse, um die Machinationen 
der Baissiers zu zerstören. 
Teutscher Reichstag. 
31. Sitzung. 
Berlin, 20. Jan. 
Eingegangen ist eine Interpellation des Abg 
Auer (Soz.) beir. den Nothstand und die 
Arbeitslosigkeit. 
Darauf wird die erste Berathung des Wein 
st e uer g es e tz entw urf es fortgesetzt. 
Abg. Payer (südd. Volkspartei) fragt, wie 
denn der Herr Direktor Aschenborn nachweisen 
wolle, daß 86750 Winzer unter das Gesetz fielen 
und 176000 Winzer nur für den Hausgebrauch 
produziren? Die letztere Ziffer könne nur auf 
Verwechslung beruhen. Herr Aschenborn scheine 
die Obst- und Beerenwein-Fabrikanten mitgerech 
net zu haben. Aber selbst wenn nur jene 86750 
Winzer von dem Gesetz betroffen würden, so 
würde damit eine Opposition schon gerechtfertigt 
ein. Sachverständige Steuertechniker könnten 
allein ein brauchbares Gesetz nicht herstellen; da 
zu gehörten doch noch andere Dinge. Er halte 
es für angebracht, die Vorlage nicht erst in der 
Koinmission, sondern sofort im Plenum zur Hin 
richtung zu bringen. Denn was würde bei der 
Kommissionsberathung herauskommen? Sollte 
sie sich nur mit der Schaumweinsteuer beschäftigen? 
Der Herr Staatssekretär habe ein solches Gesetz 
für ungerecht erklärt. Und was eine Steuer auf 
Kunstwein betreffe, so sei die Produktion hierin 
doch nicht so bedeutend, daß man ihre Besteue 
rung nicht den Einzelstaaten überlassen könnte. 
Daß diese Steuer auf Naturweine gefallen sei, 
darüber herrschten keine Zweifel mehr. Die 
Werthgrenze für die Besteuerung von „Qualitüts- 
weinen" fange ja schon mit 51 Mk. an. Die Be 
völkerung Süddeutschlands werde sich freuen, zu 
erfahren, daß sie bisher nur „Oualitätsweine" 
getrunken habe. (Heiterkeit.) Die Ueberwälzung 
der Steuer auf den Winzer werde garnicht zu 
unigehen sein, wenn man den Wein nicht erst 
dann besteuern wolle, wenn man das Glas an 
den Mund setze. Wenn viel getrunken werde, 
könne man ja Rabatt gewähren (Heiterkeit) oder 
auch Abonnements (Heiterkeit.) Vielleicht auch 
wäre eine Reichs-Stempel-Steuer auf Wein an 
gebracht, wobei die Flasche, das Glas oder der 
Trinker selbst zu stempeln seien (Heiterkeit). Viel 
leicht greife nian auch zum Markenkleben, wobei 
der Trinker, wenn er eine Flasche getrunken, eine 
Marke einzukleben habe. Er hätte dann noch 
den Vortheil, am Ende eines Jahres eine Liste 
seiner Thaten zu überschauen. (Große Heiterkeit.) 
Alle Großhändler würden unfehlbar sich in Klein 
händler verwandeln, wenn der Entwurf Gesetz 
werden sollte, und nur diejenigen, die ein so 
großes Lager hätten, daß sie unmöglich die ganze 
Steuer auf einmal bezahlen können, würden 
ferner Großhändler bleiben. So würde die Auf 
saugung des Kleinbetriebs durch den Großbetrieb 
die Folge dieses Gesetzes sein und dadurch eine 
Ueberwälzung der Steuer, wenn nicht ganz, so 
doch zum Theil auf den Produzenten bewirkt 
werden. Wer den Winzer kenne, wisse, daß er 
meist nur ganz kurze Zeit sein Produkt halten 
könne. Deshalb sei er jedem Preisdruck ausge 
setzt. Man übersehe bei den Regierungen, wie 
wirthschaftlich schwach der Winzer sei. Es gebe 
keinen lnndwirthschaftllichen Betrieb, der so ver 
schuldet sei als der Weinbau — ihm stehe in der 
Verschuldung nur der norddeutsche Großgrund 
besitz gleich. Kein landwirthschnfticher Betrieb 
habe ja auch so viel mit Feinden in der Natur 
zu kämpfen wie der Weinbau. Welchen Eindruck 
müsse es niachen, wenn die Landesregierungen 
den Winzern Steuernachläffe gewährten und die 
Reichsregierung ihnen dann wieder mit starker 
Hand den letzten Rock auszöge! Das Argument, 
in Württemberg sei man nur der Steuer zu- 
rieden, sei nicht wahr, denn dort werde die 
Steuer stark angegriffen. Ebenso falsch sei es, 
daß Württemberg, das die höchsten Steuern habe, 
auch die höchsten Preise erziele. Setze man die 
Grenze aus 50 Mk. fest, so würden die deutschen 
Winzer Weine unter diesem Preise produziren. 
Bisher sei das Bestreben dahin gegangen, die 
Weine zu veredeln, und man könne eine Be 
steuerung nicht rationell nennen, die eine solche 
Veredelung verhindere. Die kleinen Produzenten 
müßten durch ein etwaiges Weingesetz recht hart 
betroffen werden, weil sie meistens auch Brannt 
weinbrenner seien. Im Jahre 1870 sei man bei 
Begründung der Reichsverfassung übereingekom 
men, daß gerade für diesen Fall "ausdrücklich von 
norddeutscher Seite eine Garantie dahin gegeben 
werde, das Reich werde nie eine Reichsweinsteuer 
erheben. Man hätte doch auf die Einbringung 
der Vorlage verzichten sollen, nachdem die süd 
deutschen Staaten, mit Ausnahme von Bayern, 
sich dagegen erklärt hätten. Er sei überzeugt, 
daß es dem Vaterlands- und Einheitsgefühl des 
deutschen Volkes gelingen werde, über alle diese 
Dinge wegzukommen, nur solle man es den Süd 
deutschen nicht zu schwer machen. Redner müsse 
es für über die Maaßen kurzsichtig halten, daß 
die verbündeten Regierungen den Unzufriedenen 
im Reiche einen Stoff von solcher Schwere in 
die Hand geben. 
Württembergischer Ministerpräsident v. Mitt- 
nacht: Im Jahre 1870 seien von den württem- 
bergischen und norddeutschen Bevollmächtigten Er 
klärungen über eine etwaige zukünftige Besteue 
rung des Weines von Bundeswegen erfolgt. Einer 
der damaligen württcmbergischen Bevollmächtigten 
habe infolge einer Anregung des damaligen würt- 
tembergischen Finanzminister im November 1870 
Folgendes erklärt: Sowohl für den Staatshaus 
halt Württembergs, als für das Interesse seiner 
Bevölkerung würde es von empfindlichem Nach 
theil sein, wenn der Bund in der Anwendung 
des Artikels 4, Ziffer 2 die Aufhebung eines in 
Württemberg seit Jahrhunderten bestehenden Zu 
standes unternehmen würde, um inländischen Wein 
von Bundeswegen zu besteuern. Der Württem 
bergische Bevollmächtigte sei deshalb angewiesen 
worden, zu beantragen, daß entweder der Wein 
von den durch den Bund zu besteuernden Gegen 
ständen ausgenommen, oder seine Besteuerung 
von der Zustimmung Württembergs abhängig ge 
macht werde. Die norddeutschen Bundesbevoll- 
mächtigten hätten darauf erklärt, sie seien nicht 
in der Lage, darauf einzugehen, aber die Eigenart 
des Weins biete ihrer Ansicht nach eine Gewähr, 
daß der Bund in Bezug auf ihn von seinem 
Rechte keinen Gebrauch machen werde. Es habe 
sich nach den Erfahrungen in Norddeutschland 
herausgestellt, daß eine auf den Wein gelegte 
Steuer namentlich in Bezug auf das finanzielle 
Resultat nur da erfolgreich sein werde, wo die 
ganze Bevölkerung Wein trinke. Diese Erklärun 
gen seien vom württembergischen Bevollmächtigten 
als beruhigend angesehen worden. Der Nord 
deutsche Bundesrath habe dann später die Erklä 
rungen seines Kommissars bestätigt. Ein Son 
derrecht habe Württemberg nicht verlangt. Jetzt 
nach 23 Jahren könne diesen Erklärungen keine 
Bedeutung mehr beigelegt werden, trotzdem hielte 
die württembergische Regierung an ihren Bedenken 
gegen die Weinsteuer fest und habe im Interesse 
der Abwendung einer Schädigung von den Wein 
bauern im Bundesrath gegen die Weinsteuer ge. 
stimmt. Gegen die Schaum- und Kunstweinsteuer 
habe sie nichts einzuwenden. 
Abg. Roeren (Centr.) empfiehlt der Regie 
rung, die Vorlage zurückzuziehen. Es sei un 
gerecht, den Winzern eine von Allen zu tragende 
Last allein aufzulegen. 
Abg. v. Kardorsf (Reichsp.) beantragt mit 
Rücksicht auf die überraschende Erklärung des 
württembergischen Ministerpräsidenten, die eine 
traurige Perspektive auf die Zustände innerhalb 
der verbündetenRegierungen und im Vaterlande 
eröffneten, die Vertagung der Berathung, da alle 
Parteien dazu Stellung nehmen müßten. (Bewe 
gung im Hause.) 
Abg. Rrckert (freist Ver.) schließt sich dern An 
trage an, da aus den Erklärungen nes Ministers 
Mittnacht hervorgehe, daß die verbündeten Re 
gierungen Württemberg ihr Versprechen nicht ge 
halten hätten. Redner giebt der Regierung bei 
der Aussichtslosigkeit der Vorlage anheim, sie zu 
rückzuziehen. 
Ministerpräsident Frhr! v. Mittnacht betont, 
er habe gerade das Gegentheil von dem gesagt, 
was der Vorredner annehme. 
Abg. Gröber (Centr.) widerspricht den: An 
trage, da es sehr häufig vorkomme, daß eine Re 
gierung im Bundesrath überstimmt werde. 
Abg. H ammach er (ntlb.) unterstützt den Ver 
tagungsantrag. um dem Reichskanzler Gelegenheit 
zu geben, sich auszusprechen. 
Abg. Richter (freist Vp.) meint, wenn die Re 
gierung die Vertagung nicht wünsche, habe das 
Haus keine Veranlassung, sich im Interesse des 
Bundesraths einzumischen. Der württembergische 
Ministerpräsident habe nur von seinem verfassungs 
mäßigen Rechte Gebrauch gemacht. 
Abg. v. Kardorsf (Reichsp.): Nicht ich, son 
dern der Abg. Richter war es, der die Regierung 
aufgefordert hat, den Gesetzentwurf zurückzuziehen. 
Es ist charakteristisch, daß Centrum, Sozialdemo 
kratie und Freisinn solche partikularistische Bestre 
bungen begrüßen. (Lachen links.) In Abwesen 
heit des Reichskanzlers sollte nicht weiter ver 
handelt werden. (Lachen.) 
Abg. Richter: Die schärfste Fronde gegen die 
Reichsregierung geht doch gegenwärtig nicht von 
dieser Seite, sondern von der ves Herrn v. Kar- 
dorfs aus und zwar nicht in Vertretung des 
allgemeinen Interesses, sondern eines 
vermeintlichen Sonderinteresses (sehr 
richtig! links). Wenn übrigens Herr v. Kardorsf 
mit mir den Wunsch theilt, daß der Entwurf zu 
rückgezogen wird, so wird vielleicht dieser Wunsch 
seinen Eindruck bei der Regierung nicht verfehlen. 
(Heiterkeit.) Es bedarf aber dazu keiner Verta 
gung. Wir sind gern bereit, den Entschluß der 
Zurückziehung auch brieflich oder als Drucksache 
entgegenzunehmen (Heiterkeit.) Fürst Bismarck, 
eine größere Autorität für den Abg. v. Kardorsf 
als ich, hat unlängst einem Interviewer in be 
glaubigter Weise ausgesprochen, zu bedauern wäre 
es, daß Mitglieder des Bundesraths ihren Stand 
punkt nicht frank und frei aussprächen. Nun es 
geschehen, ist es den Jüngern des Fürsten Bis 
marck auch nicht recht. (Große Heiterkeit.) 
Abg. Dr. Lieber (Centr.): Ich wundere mich, 
daß Herr o. Kardorsf erst heute dahinter kommt, 
daß d»e Centrumspartci sich auf dem Boden der 
Reichsverfassung bewegt und eine förderälistische 
Partei ist. Wir würden den Rahmen "unserer 
Partei verlassen, wenn wir uns auf den Boden 
des Herrn v. Kardorsf stellten. Mag Abg. von 
Kardorsf doch nicht päpstlicher sein als der Papst. 
Wenn Staatssekretär v. Posndowsky selbst- keine 
Vertagung für nöthig gefunden hat, so mag. sich 
auch Herr v. Kardorsf dabei beruhigen. 
Abg. Singer (Soz.) widerspricht der Verta 
gung, da es ja kein Geheimniß gewesen sei, daß 
Württemberg ein Gegner der Weinsteuer sei. 
Staatssekretär Graf Posadowsky erwidert 
deni Abg. Richter, die Reichsregierung habe keinen 
Anlaß, einen Vertagungsantrag zu stellen. Die 
württembergische Regierung sei von Anfang an 
durchaus loyal verfahren und habe keinen Zweifel 
gelassen, daß sie Gegnerin der Vorlage sei. Sie 
habe dabei nur von ihrem verfassungsmäßigen 
Rechte Gebrauch gemacht. Einstimmigkeit könne 
doch nicht bei allen Beschlüssen des BundeSrathS 
herrschen. 
Ausland. 
Außereuropäische Gebiete. 
Die Verhandlungen mit der Firma 
Krupp-Essen wegen Erwerbs des zur 
Weltausstellung nach Chicago gesandten 
Riesengefchützes als Nationaleigenthum 
Nordamerikas sind resultatlos verlaufen. 
Das Riesengeschütz wird mit einem Ham 
burger Dampfer zurückbesördert. 
Magelone. 
Roman von B. von der Lancken. 
Einen Moment zögerte sie, näher zu treten, 
ein Gefühl dankbarer Kindespflicht und heiß 
verlangender Lebensgenuß kämpften in ihr. 
Konnte sie wirklich mit leichtem Herzen fröhlich 
lein in einem Kreis fremder Menschen, während 
derjenige, den sie wie ein Vater liebte, der 
von ihrer Kindheit an so treu die Stelle 
mws solchen bei ihr vertreten hatte, unter 
Schmerzen vielleicht langsam seinem Tode 
entgegen,.echte? Aber wie lange konnte das 
noch dauern — Monde — Jabre — und 
während all' der snlo» c ,r 
■ , 9- \ * oUte sie nur entsagen, 
setzt ans Rücksicht für den Kranken und Väter 
als Rolfs Gatten und aus Rücksicht auf die 
«„şit*! Mn sie 
l ,e hatte ein Recht auf die Freuden des 
Lebens, ebenso gut wie Andere. 
Rasch entschlossen trat sie näher. 
Der Kranke schlug die Augen auf. 
, „Mein Liebling," sagte er matt und streckte 
chv die abgemagerte Hand entgegen. 
»Onkel Karl Friedrich,' flüsterte sic, sich 
hbcr ihn beugend, „sie" — die Namen wollten 
shv nicht über die Lippen ■— „bitten so sehr, 
'"I soll mitfahren, morgen soll getanzt werden 
M übcrworgen komme ich wieder. Darf 
--Macht es Dir Freude, Kleinstes?" 
»Eigentlich ja, Onkel. Aber wird Rolf 
Zcht zanken?" Karl Friedrich schwieg einen 
Augenblick. 
» ''^>ch glaube nicht; Du kannst jetzt nicht 
,'chv an ihn schreiben. Thue cs in "Berlin, 
steht er's nicht gerne, daß Du Dich an 
'U Tanzfest bcthciligst, nun so bietet meine 
Krankheit immer einen Vorwand, Dich schon 
morgen im Laufe des Tages zurück zu rufen." 
„Aber Du, Onkel Karl Friedrich? wer 
wird Dir vorlesen und Schach mit Dir 
spielen?" 
„Um mich sorge Dich nicht, mein Kind 
Wer ein so langes, aussichtsloses Kranken 
lager hat, darf seine Pfleger nicht überbürden. 
Ich werde schon fertig werden, bringst ja 
dann manch' Neues mit zum Plaudern. — 
Da liegt meine Börse, Lona, nimm Dir 
noch 10 Mark — so und nun laus! Sage 
auch Deiner schönen Gräfin, ich ließe ihr die 
Hand küssen, dem Prinzen sprich mein Be 
dauern aus, daß ich ihn nicht persönlich be 
grüßen kann." 
„Du bestes Onkelchen." 
Sie schlang ihre Arme um seinen Hals 
und lehnte ihren Kopf an seine Wange. 
„Mein süßes kleines Töchterchcn, leb' 
wohl." 
In der Thüre wandte sie sich noch einmal 
un. und nickte ihm zu. 
Rose Marie jubelte, als Lona mit Onkel 
Sascha in den Schlitten stieg. Wie die 
Windsbraut sauste das leichte elegante Gefährt 
lC Chaussee von Steglitz nach Berlin entlang; 
. lsiĶn Himmel strahlte die Wintersonne 
aus die schneebedeckte Landschaft, das harmonisch 
a 'ge, umnte Geläut der Schlittenglocken tönte 
durch die stille, scharfe Luft, Schaumflocken 
flogen von den Gebisse» der prachtvollen 
reichgesch.rrten Rappen, weich und wärmend 
chmiegte şifl) bte kostbare Decke von Blaufuchs 
um Magclonen s Gestalt. 
Der Prinz erzähle von einem Schlittenfest, 
das er vor einem Jahr am Petersburger Hofe 
mitgemacht hatte. 
„Das wäre etwas für Sie, Fräulein 
Dyrfurt," rief er; „möchten Sie dergleichen 
nicht kennen lernen?" 
„Und wenn ich's möchte, Durchlaucht, was 
würden mich solche unerfüllbaren Wünsche 
nützen?" 
„Unerfüllbar?" 
Erzeugte sich etwas zu ihr und dämpfte 
seine Stimme. 
„Wer jung und schön ist," flüsterte er, 
„dein gehört die Welt, gnädiges Fräulein." 
Magelone crröthete; ein herber Zug legte 
sich um ihren Mund und sic machte eine 
fast verächtlich abwehrende Bewegung mit 
dem Kopf. Der Prinz hatte so seine eigenen 
Gedanken; das Mädchen intcressirte ihn sehr. 
Am Abend waren keine Gäste im Palais 
Bartuch, selbst Fran von Gicsbrecht fehlte 
beim Thee, mit dessen Bereitung Magelone 
beschäftigt war. 
Sascha Edelsberg saß dicht neben ihr und 
sah zu, wie ihre kleinen weißen Hände alles 
so zierlich und geschickt anfaßten. Xenia war 
im Musikzimmer, die Thüren standen ans, 
sie probirte mit heller Stimme einige neue 
Lieder. 
„Gnädiges Fräulein," sagte der Prin, 
plötzlich, „reiten Sie?" 
„So etwas. Als wir auf dem Gute 
waren, habe ich's in den zwei letzten Som 
mern manchmal gethan." 
„Möchten Sic es nicht einmal wieder 
versuchen?" 
»O ja." 
So wollen wir morgen Vormittag mit 
Xenia im Thiergarten spazieren reite». Ich 
habe ein lammfrommes Damenpferd, einen 
allerliebsten milchweißen Araber." 
Lona's Augen leuchteten vor Vergnügen, 
aber die verschiedensten Gedanken kreuzten sich 
abzu- 
in ihrem Kopf; — blitzschnell erwog sie die 
„Für" unb „Wider" des Vorschlages. 
„Durchlaucht sind sehr gütig; indessen ich 
glaube — ich fürchte — ich möchte cs doch 
lieber nichl thun." 
„Mein Gott, warum denn nicht? Fühlen 
Sie sich nicht sicher? Gut, so reiten Sie 
erst mal in der Bahn." 
Er stand auf, ohne ihre Antwort 
warten, und trat in die Thür des Musikzim- 
merS. 
„Xenia!" 
Die Gräfin wandte sich halb zu ihm um. 
„Xenia, Fräulein Dyrfurt reitet; sic möch 
te die schöne Kunst morgen einmal bei mir 
in der Bahn ausüben, wann paßt cs Dir? 
„Sie reitet?" rief Gräfin Bartuch, „wie 
charmant und das erfährt man so gelegent 
lich. Ich bin morgen den ganzen Vor 
mittag frei; wir werden also um 12 Uhr 
dort sein." 
„Aber, theuerste Frau Gräfin," rief Lona 
dazwischen, „ich habe ja kein Reitkleid." 
„DaS schadet nicht; ich habe vier — eins 
davon macht Marie Ferner für Sic passend," 
gab Xenia lachend zurück. Marie Ferner 
war ihre langjährige gut geschulte Kammer 
frau. „Kommen Sie, wir wollen gleich 
Anprobe halten; es ist noch nicht so spät 
und sie ist so geschickt. Süperbe, daß Sic 
reiten, Elfchen, süperbe." 
Mit diesen Worten sprang sie auf, legte 
den Arm um Lona's Schulter und wollte 
die nur sanft Widerstrebende fortziehen. 
„Halt, meine Damen," rief Prinz Alepan- 
ihnen den Weg vertretend, „muß ich 
mich nun schon eine Stunde ohne Ihre 
liebenswürdige Gesellschaft zufrieden geben, 
so lassen Sie doch wenigstens mein armes 
„Ich" nicht verhungern und verdursten. 
Eine Tasse Thee, gnädiges Fräulein ■—- bitte 
schön." 
Er faltete mit komischer Geberde die Hände 
und hob sie gegen Magelone auf. 
„Erhören Sic dies kindliche Flehen, 
Magelone", lachte Gräfin Bartuch; das 
junge Mädchen trat an den Samovar, 
füllte eine der großen, runden Tassen mit. 
dem duftenden Pecco und reichte Sie dem 
Prinzen; dann gingen sic und ließen ihn 
mit seinem Thee und einem zierlichen Butter- 
brod auf dem Teller allein. 
In der Garderobe der Gräfin fand sich 
ein tiefgrünes Tnchkleid, noch aus Gräfin 
Xenia's Mädchentagen, und die Französin 
versprach, mit Hülfe ihres geschickten Mh- 
mädchens bis zum nächsten Tage Mittags 
12 Uhr cm „Kostüm" für „Mademoiselle 
Dyrfurt" 31t fertigen, tout comme il saut." 
(Fortsetzung folgt.) 
Sans ott, der berühmte Kardinal, 
hatte während einer Reise im Gasthofe zu 
Lyon Langeweile. „Ist kein Fremder hier, 
welcher mit mir spielen kann?" fragte er. 
— Man sagte ihm, eben sei der berühmte 
Dichter Boileau eingetroffen. Janson ließ 
chn höflich einladen und Boileau erschien. 
Während der Mahlzeit sagte der Kardinal: 
„Aber pfui, Boileau, Sie haben einen 
albernen Nanien! Lieber wollte ich doch 
Hoi viii (trink Wein) als Hoi leau (trink 
Wasser) heißen." — „Wie war doch Ihr 
Name?" fragte Boileau. — „Janson." — 
»Ist es möglich!" rief der Dichter heftig; 
-lean son (Hans Kleie!) Da heiße ich doch 
Ivahrhaftig lieber (lean taring (Hans Mehl!)"
	        
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