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Wendsburger L WochenblE
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á 87ster Jahrgang.
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werden dem Blatt „Der Landwirth" sowie daZ
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3000 Abotmerrten.
Wo. 150.
Iŗeitcrg, den 29. Juni
1894.
Unsere geehrten
Post-Abonnenten
bitten rechtzeitig für das 3. Quartal 1894
abonniren zu wollen, damit keine Ver
zögerung in der Lieferung eintritt.
Nach wie vor werden wir bestrebt sein,
bei den ernsten Vorgängen auf dem
politischen Gebiete unsere Leser
schnell zu unterrichten
und für Reichhaltigkeit und Abwechselung
des Lesestoffes Sorge zu tragen. — Für
Romane und sonstige Unterhaltungs-
lektüre haben wir Schriftsteller ersten
Ranges als Mitarbeit
Das „Wochenblatt" ist das ge.
lesenste Blatt im Kreise Rendsburg
sowohl, wie darüber hinaus und daher das
wirksamste Organ für alle
Insertionen in diesem Bezirk.
Morgen-Depeschen.
Eckcrnfördc, 28. Juni. Der Kaiser und
die Kaiserin trafen gestern auf der „Hohen-
zollern" in unserer Föhrde ein. Der
Kaiser verweilte eine Stunde auf dem Re>
gattakommers im Hotel „Marien-Louisen-
Bad" zu Borby. Heute morgen fuhren
die Kaiserin und die Prinzessin Heinrich
zur Tauffeier nach Schloß Grünholz.
Berlin, 28. Juni. Wie die „Post"
telegraphisch aus Paris meldet, bedeute
die Wahl des Präsidenten Casimir Perier
weiter nichts als einen Aufschub ernsterer
Ereignisse.
Berlin, 28. Juni. Zum Fall von Kotze
wird gemeldet, daß die Haftentlassung des
Herrn v. Kotze bereits gestern discutirt
wurden, daß jedoch der Angeschuldigte den
Wunsch ausgesprochen hat, bis zur Be
endigung des Verfahrens in der Unter
suchungshast zu verbleiben.
Thorn, 28. Juni. Es werden heute
amtlich einige Cholera-Fälle außerhalb
des Weichselgebiets gemeldet. Eine Amts
vorstehersfrau in Großgrünhof bei Mewe
verstarb an der Seuche nach l'/ 2 tägiger
Krankheit.
Belgrad, 28. Juni. In der vorigen
Nacht wurden mehrere reisende Kaufleute
in einem Gasthofe bei Kragujevae von einer
Bande Haiducken überfallen und vollständig
ausgeplündert.
Paris, 29. Juni. Casimir-Perrier
beschloß, abweichend von dem bisherigen
Gebrauch, an dem Leichenbegängniß Car-
nots persönlich theilzunehmen. ' Es ver>
der
der
der
den
lautet, der neue Präsident werde das
Elysee nicht vor vierzehn Tagen ’ beziehen.
Glasgow, 28. Juni. Es arbeiteten
heute in Schottland nur 500 Bergleute,
während 73 000 feiern. Alle Anzeichen
deuten darauf hin, daß der Ausstand an-
halten werde. Der Schiffverkehr und der
Betrieb der Stahlwerke leiden unter dem
Kohlenmangel.
Antwerpen, 29. Juni. Die Untersuchung
eener heute früh an der Ecke der Avenue
Marie Therese und Rubens explodirtcn
Bombe hat ergeben, daß dieselbe Pulver
und Schrot enthielt und keinen großen
Schaden anrichten konnte. Die Explosion
geschah unweit der Wohnung des Staats
anwaltes, wo vor Jahresfrist eine ähnliche
Bombe geplatzt war. Die Polizei glaubt,
daß sich der Attentäter in der Wohnung
geirrt habe.
Amsterdam, 29. Juni. Während
Predigt des Pfarrers Geselschap in
neuen protestantischen Kirche stürzte
A n a r ch i st B a n d e r z w a n auf
Prediger und versetzte ihm einen Messer
stich in die B r u st. Der Mörder rief:
„Hoch die Anarchie". Der Mörder wurde
verhaftet.
Kamt, ßritiii, Perier.
Eine kurze Charakteristik dieser drei Prä
sidenten. der französischen Republik liefert
der Berichterstatter des „Daily Telegraph"
in Paris. Ueber Carnot, so schreibt er
ungefähr, machte man sich anfänglich lustig.
Man nahm an, daß er, als ein ehrlicher
Mann bekannt, auch ein Narr sein müsse.
Darnach galten s. Zt. in Frankreich alle
ehrliche Männer als Narren und alle
Schufte, Anarchisten und Spione als ehr
bare Menschen.. Beinahe ist es so. Man
erinnert sich eines vor wenigen Jahren
zum Tode verutheilten Mörders, dem nicht
allein „Damen der Halle", sondern eine
ganz erkleckliche Anzahl von sogenanten
wirklichen ehrenwerthen Mädchen in wahn-
sinniger Verblendung ihre Hand anboten.
Vielleicht findet Cesario, der anarchistische
Mörder Carnots, auch noch eine edle Sieb
haberin aus den Kreisen der „oberen Zehn
tausend". Doch genug. Der nunmehr
todte Präsident wurde zuerst in seiner äuße
ren Erscheinung verspottet und nach seiner
Wahl sang man in den Straßen von Paris
ein Kouplet, das seinen Paletot zum Gegen
stand einer witzigen Bemerkung hatte.
Thatsächlich war er der Mehrzahl der
Pariser, auch dem Aeußern nach, vollstän
dig unbekannt. Ich erinnere mich deut
lich an den schwachen Besuch im Elysee.
Neugier, den neuen Präsidenten zu sehen,
war kaum vorhanden, und die wenigen
Besucher pflegten sich bald nach einem
Gange um die leeren Stühle wieder zu
empfehlen. Groß war der Unterschied
zwischen dem neuen und den, alten Präsi
denten. Wenn Grövy bei einem Empfang
jemand die Hand gab, so geschah es, um
ihn bald los zu werden, es sei denn, daß
es sich um eine der Damen handelte, denen
er seine greisenhafte Aufmerksamkeit wid
mete. Carnot im Gegentheil schüttelte
einem nicht allein herzlich die Hand, son-
dern stellte auch einen jeden seiner Frau
vor und nahm damit sofort die königliche
Gewohnheit an, durch seine liebenswürdigen
Bemerkungen zu beweisen, daß er seines
Gastes Gepflogenheiten kannte oder zu
kennen schien. Und indem er diese Art
besonders pflegte, gelang es ihm, Freunde
in allen Lebensstellungen zu erwerben, so
daß er schließlich der beliebteste der vier
Präsidenten der Republik wurde. Bei der
Erfüllung seiner Obliegenheiten wurde er
mächtig unterstützt von Frau Carnot, die
leider etwas taub war; dieses Gebrechen
wußten ihr liebenswürdiges Lächeln und
ihre angenehmen Manieren wieder gut zu
machen. Die früheren Präsidentenfrauen
im Elysee waren darin weniger erfolgreich.
Thiers war ungemein belastet durch seine
Frau und seine Schwägerin, deren schweres
Schnarchen zu beiden Seiten des Kamins
die brummende Begleitung zu seinen witzi
gen Ausfällen bildete. Die Marschallin
Mac Mahon war eine Edeldame, aber da
sie klerikalen Zuneigungen verdächtig war,
konnte sie sich das Vertrauen ihrer Um
gebung nicht erwerben. Was Frau Grövy
betrifft, so war ausschließlich sie très pe
tite dourA8oi86, während ihre Tochter sich
ihre Laufbahn durch die Ehe mit dem an
rüchigen Wilson verdarb. Carnot war
auch darin Grevy unähnlich, daß er ebenso
freigebig, wie dieser knickerig war. Vor
seiner Wahl lebte er bescheiden in einem
höheren Stocklverke von Passy, aber seitdem
er ins Elysee gezogen, gab er jeden Pfen
nig seines Präsidentengehaltes aus. Als
Präsident hatte er auch das Anrecht auf
160 000 Mark Reisegebühren, ein Betrag,
den Grovy ganz in seine Tasche steckte,
denn er reiste nur nach seinem Landsitze,
und für diesen alljährlich wiederkehrenden
Besuch pflegte er die Eisenbahn um Frei
fahrkarten, selbst für seine Diener anzu
gehen. Carnot dagegen reiste mehr als
ein anderer Präsident im Lande umher.
Er hielt es eben für seine Pflicht und
schonte sich dabei nicht. Auch hatte er den
Muth seiner Ueberzeugungen betreffs der
Todesurtheile. Grövy unterzeichnete nie
mals während seiner neunjährigen Amts
dauer ein Todesurtheil, und infolge dieser
Nachsicht mehrten sich die Berbrechen in
fürchterlichem Maße. So oft ein Anarchist
— Ravachol, Baillant, Henry — zum
Tode verurtheilt wurde, traten an Carnot
alle möglichen Einflüsse heran, um ihn zur
Umivandlung der Todesstrafe zu bewegen,
aber er gab nicht nach.
Von Casimir-Periers Pers ön li ch-
keit entwirft die „Köln. Ztg." folgende
Schilderung: Der neue Präsident der
französischen Republik zählt erst 47 Jahre,
ist ein breitschultriger, etwas untersetzter,
kräftiger Mann von Mittelgröße, rundem
Gesicht und gesunder Farbe. Ueber einem
dichten Schnurrbart mit nach oben ragen
den Spitzen schauen ein paar blaue Augen,
deren Strahl mehr durchbohrt als erwärmt,
entschlossen und zielbeivußt in die Welt,
und die ganze Erscheinung macht in der
stets eleganten Kleidung den Eindruck eines
Officiers in Civil, der nach der Gage
nichts fragt und der weiß, daß ihm der
Abschied keine Nahrungssorgen bringt.
Im Feldzug von 1870 hat er als Haupt-
mann der Mobilgarden das Kreuz der
Ehrenlegion davongetragen, nachdem er bei
Bagneux den auf den Tod verwundeten
Major de Dampierre aus dem Feuer des
Gegners hinweggetragen hatte. Dieselbe
Unerschrockenheit, die er vor den: Feinde
bewährte, brachte er als Deputirter mit
in die Kammer. Dort, inmitten einer
Gesellschaft, der schon sein Name und sein
Vermögen Respect einflößte, wußte er sich
bald als Arbeiter in den Ausschüssen sowohl
wie als Redner eine Geltung zu ver
schaffen, welche die Auguren des republika-
nischen Geschicks schon längst veranlaßt
hatte, auf ihn als den kommenden Mann
hinzudeuten. Gradheit, Offenheit und
scharfer Verstand, gepaart mit besten Um-
gangssormen und einer Unabhängigkeit,
die herauszufordern gefährlich, waren Eigen-
schäften, die seinen Kollegen nicht gerade
Behagen und Wohlsein einflößen konnten,
solange in Parlament und Regierung die
Panamisten Wort und Ruder führten.
Nachdem Floguet und die übrigen über
Panama Schiffbruch gelitten und die Wogen
der Entrüstung ihn auf den Sessel des
ersten Präsidenten der Kammer gehoben
hatten, mochte Casimir-Perier fühlen, daß
nun seine Zeit gekommen, sparsam in den
parlamentariischen Strafen und milder in
der Handhabung der Hausordnung zu sein.
Er hatte sich nicht getäuscht. Es ist in
frischer Erinnerung, wie er als Nachfolger
Dupuy's vom Sessel des Kammerpräsidenten
zu dem des Premiers hiuüberstieg, wie er
dort schneidig und brav seinen Mann stand,
wie er gelassen und ruhig fiel und wie
sein Ansehen aus dem Sturze erhöht und
erneuert hervorging.
Ausland.
Außereuropäische Gebiete.
Einer Newyorker Depesche zufolge sank
bei Highlands an der Küste von New-
Jersey ein Passagierdampfer mit 75 Per-
sonen. 21 Personen sind ertrunken.
Aus Ncw-Iork wird vom 26. ds. ge
meldet: Der Dampfer der Anchor-Linie,
„City of Rom", ist mit einem französischen
Schooner bei den Neufundland-Bänken zu
sammengestoßen. Der Dampfer erlitt keinen
Schaden. Der Schooner segelte nach dem
nächsten Hafen.
New-Iork, 28. Juni. Zu dem Unfall
E d i s o n s meldet ein Telegramm des
„Reuterschen Bureaus": Edison ist am
Sonntag vom Stuhle gefallen.
Anfangs glaubte man, daß Edison sich
kein Leid angethan hätte; es scheint aber,
daß eine innere Verletzung eingetreten ist.
Chikago, 28. Juni. Infolge des gestern
gemeldeten E i s e n b a h n-Str eiks stockt
der Verkehr auf sämmtlichen Bahnen. Die
Beioegung dehnt sich auch auf andere Plätze
des Westens aus. In Californien ist der
Verkehr auf der Süd - Pacific - Eisenbahn
unterbrochen in Folge Weigerung der Ge
sellschaft, Züge abzulassen, wenn sie an der
Einstellung der Pullmann-Wagen gehindert
werde. Weitere Ausstände sind bevor
stehend. Der Arbeiterverband hat die Be
diensteten der Atchison-Eisenbahn zum Aus
stand aufgefordert.
Frankreich.
Paris, 28. Juni. Das „Journal des
Debats" schreibt: Frankreich spendet der
Wahl Casimir Perrier's Beifall,
weil es in ihm das sieht, was es am
nothwendigsten braucht, — einen Regierungs
mann.
Ei» ŞtwiffkilSkliWs.
Erzählung von E. Valkwitz.
Die kleine Erzählung, die hier den: Leser
! vorgeführt wird, fand ihren Abschluß in einem
! Hause, das in dem aristokratischen Theil
Londons gelegen war. Es fiel äußerlich
schon durch die gediegene Bauart und seine
- Ornamente auf und verrieth dadurch nicht
nur den aristokratischen Sinn des Erbauers,
sondern —ch den der gegenwärtigen Besitzer,
die den Bau in seiner ganzen gediegenen
Pracht ethalten hatten und noch erhielten.
Das Haus, eigentlich ein kleines Palais,
hatte Lord Rowdey vor vielen Jahren erbauen
lassen und seitdem war cs in dem Besitz
dieser Familie, die über große Reichthümer
verfügte, geblieben. Gegenwärtig war dasselbe
Eigenthum der Lady Rowdey, der es vor
einigen vierzig Jahren, bei dem Tode ihres
Mannes, als Erbtheil zugefallen war.
In diesem Hause, in dem sie an der Seite
ihres geliebten Gatten so glücklich gelebt
hatte, verbrachte sie auch später ihre traurigen
Wittwenjahre, denn sie heirathetc, trotz ihrer
Jugend nicht zunl zweiten Male. Ihr Trost
in dieser schweren Zeit war ihr einziges
Töchterchen Edith, auf die sic, als auf das
Ebenbild ihres heißgeliebten Gatten, all die
Liebe und Sorgfalt übertrug, deren ihr reiches
Herz fähig war. Wenn auch die Trauer
um den früh Verstorbenen in ihrem Herzen
erlosch, so verlebte sie doch ruhige und fried
volle Jahre mit ihrer geliebten Tochter, von
der sie sich, mit einer einzigen Ausnahme,
bei Gelegenheit einer längeren Reise, niemals
trennte, auch dann nicht, als diese sich mit
Henry Ashburn vermählte. Sic wurde wieder
jung in dem Glücke ihrer Kinder, das den
selben in reichem Maße zu Theil wurde.
Leider aber machte der Tod diesem Glück
schon nach wenigen Jahren ein Ende —
eine böse, ansteckende Krankheit raffte in
einigen Tagen beide junge Eheleute dahin —
unb der aufs Neue vom Schicksal so grausam
getroffenen, inzwischen alt gewordenen Lady
Rowdey blieb als einziger Trost bei diesem
herben Schicksalsschlage ein kleines Kind, ihre
Enkelin Ellen Ashburn, zurück.
Die kleine Waise war nach dem Tode
ihrer Eltern ganz allein auf die Liebe und
Pflege der Großmutter angewiesen, und diese
ließ ihr auch beides in reichem Maße an
gedeihen. Verlieh die Kleine ihrem Leben
doch nur allein noch einigen Werth! Wie
liebte aber auch Ellen ihre Großmutter!
Keine Gefährtin, keine Freundin ivar ihr so
lieb wie diese! Zu ihr kam sie mit all ihren
Freuden und Sorgen, mochten sic sein, welcher
Art sie wollten, zu Niemand sonst hatte sie
solch unbegrenztes Vertrauen.
In ihrer äußeren Erscheinung ist Lady
Rowdey noch immer eine hübsche, durch ihr
liebenswürdiges Wesen anziehende Persönlich
keit, trotzdem der Gram und das Alter sicht-
Şpuren bei ihr zurückgelassen haben.
Auffallend schon şind auch heute noch ihre
kleinen, zarten, echt aristokratischen Hände,
die Ellen mit ihrem sonstigen hübschen Aus
sehen von ihr geerbt hat.
Heute nun saß Lady Rowdey in ihrem,
mit prächtigen antiken Möbeln und mit allem
zum Komfort der Neuzeit gehörenden Luxus
ausgestatteten Wohngemach und ließ sich von
Ellen erzählen, was diese während eines vier-
wöchentlichen Aufenthalts ans dem Landsitze
einer befreundeten Familie gesehen und erlebt
und wie sie sich dabei amüsirt hatte.
Lady Rowdey bemerkte sehr bald, wie der
sonst immer recht geläufige Redefluß Ellens
öfters ohne ersichtlichen Grund ins Stocken
gericth und daß ihr ganzer Bericht auch nur
sehr fragmentarisch ausfiel. Als sie dann
allmählich ganz verstummte und in Träume
reien versunken da saß, fragte Lady Rowdey
plötzlich:
„Warum versuchst Du nur, mir etwas
zu verheimlichen? Es gelingt Dir ja doch
nicht, also erzähle doch Deiner alten Groß
mutter vertrauensvoll wie immer, was Dir
begegnet ist. Du hast doch bisher Alles mit
mir getheilt und ivirst darin doch keine Aen
derung eintreten lassen, nicht wahr?"
Als Ellen diese Worte hörte und dabei
in die gütigen, klugen Augen ihrer Groß
mutter blickte, verließ sie den bisher von ihr
eingenommenen Sitz, kauerte sich zu den Füßen
derselben nieder und verbarg ihr Gesicht in
deren Schoß. Und so gestand sie ihr dann,
daß sic bei der Erzählung ihrer Erlebnisse
die Bekanntschaft eines Herrn Hillmann un
erwähnt gelassen, an den sic, ach, nur so
viel und oft denken mußte.
„Ach, Großi, er ist so gut und so klug
und" — mit heißem Erröthen — „ich habe
ihn so sehr, sehr lieb!"
„Und er?" fragte die Großmutter mit
leiser Stimme.
„Er liebt mich auch," rief Ellen jubelnd,
„er hat cs mir gesagt, und er will kommen,
Dich zu bitten, ihm Sohnesrechte einzuräumen
als — Gatten Deiner Ellen. Er hätte mir
vielleicht noch nicht davon gesprochen, wäre
er nicht durch ein Ereigniß dazu veranlaßt
worden, von dem ich Dir in meinen Briefen
nichts erzählt habe, um Dich nicht nachträglich
noch in Angst und Schrecken zu versetzen.
Wenn ich Dir jetzt davon erzähle, wirst Du
sehen, wie viel Dank wir ihm schuldig sind,
da er mich vor einem schrecklichen Tode be
wahrt hat."
„Was willst Du damit sagen?" fragte
erschreckt Lady Rowdey.
„Es ist ja Alles glücklich verlaufen," be
ruhigte Ellen, „trotzdem es gefährlich genug
war. Es war auf einen: unserer Ausflüge
an die See, daß ich mich zu nahe an den
Rand der hohen, steil abfallenden Uferwand
gewagt hatte, ohne daran zu denken, daß der
Boden von den unaufhörlich anprallenden
Wogen unterhöhlt sein könnte. Ich stand da,
ganz versunken in das herrliche, so oft schon
gesehene und doch immer neue Schauspiel
des ewig brandenden Meeres mit den darauf
tanzenden und zitternden Sonnenstrahlen, als
ich den Boden unter meinen Füßen wanken
fühlte. So weltentrückt, wie ich in dem
Augenblick war, hätte ich wahrscheinlich die
Gefahr, in der ich schwebte, zu spät erkannt,
um derselben entfliehen zu können, und ich
wäre unrettbar dem Tode verfallen gewesen,
wenn mich nicht Herr Hillmann gerettet hätte.
Als Lady Rowdey hörte, wie der Tod
ihr beinahe auch diese letzte Lebensfreude ge
raubt hatte, umfaßte sie Ellen fest und zog
sie an ihr Herz, als gälte cs jetzt noch, die
selbe vor dem grausamen Lebensbezwinger zu
schützen.
„Ehe ich noch zum Bewußtsein meiner ge
fahrvollen Stellung gekommen war," fuhr
Ellen fort zu erzählen, „fühlte ich mich von
zwei starken Armen umschlungen, die mich
emporhoben und wie im Fluge einige Schritte
weiter trugen, wo ich wieder auf den Boden
niedergelassen wurde. Ich konnte noch sehen,
wie ein Stück des Bodens, aus dem ich noch
soeben gestanden, sich loslöste, in die Tiefe
stürzte und durch den heftigen Fall auf die
großen Steine, die da unten lagen, in tausend
Stücke zerschellte.
Das wäre auch mein Loos gewesen, hätte
mich nicht die niit Muth und Kraft gepaarte
Geistesgegenwart Herrn Hillmans davor be
wahrt. Erschüttert von dem Erlebten, drückte
er mich an sein Herz und — verrieth mir
flüsternd seine Liebe mit vielen zärtlichen
Worten.
Ach Großi, ich bin ja so glücklich, so un
aussprechlich glücklich durch seine Liebe, und
nicht wahr? Du wirst doch nicht „nein" sagen,
wenn er mit seiner Bitte zu Dir kommt?
Wenn Du daran denkst, daß er mich mit
eigener Lebensgefahr gerettet hat, und wenn
Du in sein liebes, gutes Gesicht, in seine
treuen Augen sehen wirst, dann wirst Du
ihn sicher auch lieb gewinnen und als Sohn
an Dein Herz nehmen."
So bat und schmeichelte das junge Mäd
chen, da sie sah, wie ernst das Gesicht ihrer
Großmutter bei ihrer Erzählung geblieben
war. Diese streichelte sanft mit ihrer zarten,
schönen Hand das glühende Antlitz ihrer
Enkelin und sagte in beruhigendem Tone:
„Mein Liebling, wenn ich Herrn Hillman
kennen lerne und ihn finde, wie Du ihn
schilderst, wenn ich die feste Ueberzeugung ge
wonnen haben werde, daß ich ihm mein letztes
Kleinod, Dich, mein Kind, ruhig anvertrauen
kann, dann werde ich keine Einwendungen
erheben, sondern werde freudig Eurer Ver
bindung meine Zustimmung und meinen Se
gen geben. Aber so lange, bis ich zu dieser
Ueberzeugung gekommen bin, so lange müßt