Full text: Newspaper volume (1894, Bd. 1)

5° Erscheint fctctstá?. 
MenösbUrger 
Bezugspreis: 
Bierteljährlich 2 JL—, frei ins Haus geliefert 
2 vH 15 
für Auswärtige, durch die Post bezogen 
2 Ji 25 § 
stiel. Postprovision:c., jedoch ohne Bestellgeld. 
Insertionspreis: pro Petitzeile 15 
Unsere geehrten 
NoS-Adounenterr 
bitten rechtzeitig für das 3. Quartal 1894 
abonniren zu wollen, damit keine Ver 
zögerung in der Lieferung eintritt. 
Nach wie vor werden wir bestrebt sein, 
bei den ernsten Vorgängen auf dem 
politischen Gebiete unsere Leser 
schnell zu unterrichten 
und für Reichhaltigkeit und Abwechselung 
des Lesestoffes Sorge zu tragen. — Für 
Romane und sonstige Unterhaltnngs- 
lekti'ire haben wir Schriftsteller ersten 
Ranges als Mitarbeit 
Das „Wochenblatt" ist das ge. 
lesenste Blatt im Kreise Rendsburg 
sowohl, wie darüber hinaus und daher das 
wirksamste Organ siir alle 
Insertionen in diesem Bezirk. 
Morgen-Depeschen. 
Kiel, 25. Juni. Der Kaiser und die 
Kaiserin werden sich am Donnerstag von 
Kiel nach Grünholz begeben, um daselbst 
der Taufe der jüngstgeborenen Tochter des 
Herzogs Ferdinand von Schleswig-Holstein 
Sonderburg-Glücksburg beizuwohnen. 
•T- Itzehoe, 22. Juni. Bei einem gestern 
* in dem benachbarten Winseldorf abgehalte 
nen Sänger fest kam cs zwischen Civilisten 
und Militär zu einer argen Zwistigkeit, 
welche schließlich in eine Schlägerei aus 
artete. Im Verlaufe derselben wurde der 
Wirth des Lokals, in welchem das Sänger- 
sest abgehalten wurde, von einem Soldaten 
niedergeschossen. Ein Knecht wurde 
gleichfalls durch einen Messerstich verwundet. 
Hamburg, 25. Juni. Der Herausgeber 
des „Hamburger Fremdenblatts", Gustav 
Diedrich, ist in vergangener Nacht ge 
storben. 
Bonn, 25. Juni. In der Nähe von 
Ahrweiler ermordete in voriger Nacht 
ein Tischlergeselle den Aktuar Kuerzen, als 
Letzterer demGesellen,der anscheinend in einem 
Graben verunglückt war, helfen wollte. 
Petersburg, 25. Juni. Unweit der 
zum Gedächtniß an das Attentat von 
Borki erbauten Kirche, welche der Zar 
demnächst einweihen solle, entdeckte man 
eine Mine. Auch sollen in einem beim 
hiesigen kaiserlichen Palast belegenen Keller 
viele Bomben und eine Höllenmaschine 
vorgefunden worden sein. Zahlreiche Ver- 
Haftungen wurden vorgenommen. 
Arttestes nnd gelesenstes Hlatt im Kreise Rendsburg. 
Anzeigen für die Tagesnummer werden bis 12 Uhr Mittags erbeten. 
87ster Jahrgang. #s- 
Dienslag, den 36. Juni 
Bei Betriebsstörungen 
irgend welcher Art ist die regelmäßige Lieferung 
dieses Blattes vorbehalten. 
Als Beilagen 
werden dem Blatt „Der Landwirth" sown das 
Blatt „Mode u. Heim" gratis beigegeben. 
3000 Abonnenten. 
1894. 
Rom, 25. Juni. In der heutigen Vor 
mittagssitzung der Kammer sprach zuerst 
Crispi; er gab in einigen Worten seiner 
Trauer um den Verlust Carnots Ausdruck 
Seine Stimme war vom Weinen fast er 
stickt, sodaß nur Weniges vernommen 
wurde. Der Kammerpräsident schlug vor, 
die Vormittags- und Nachmittagssitzung 
aufzuheben und die Kammer für die ganze 
Session in Trauer zu hüllen. Die Abge 
ordneten hatten die Rede stehend angehört, 
die Sitzung dauerte nur 10 Minuten. 
Rom, 25. Juni. Sämmtliche Blätter 
verdammen den an den Präsidenten Carnot 
begangenen Mord als eines der nichts- 
würdigsten Verbrechen und bedauern, daß 
der Präsident vurch den Stahl eines 
Italieners umkommen mußte. Unter Hin- 
weis auf das Attentat gegen Crispi äußert 
sich die Presse auf's Schärfste gegen den 
Anarchismus, dessen fanatische' Vertreter 
nicht mehr als Menschen anzusehen seien. 
^Wien, 25. Juni. Im Hörsaale des 
Professors Nothnagel verursachten die 
antisemitischen Studenten heute Vor- 
mittag solchen Tumult, daß die Vorlesung 
geschlossen werden mußte. Da für morgen 
bei Professor Albert die gleiche Demon- 
stration beabsichtigt sein soll, hat das 
Dekanat bis auf weiteres die Aufhebung 
der medizinischen Vorlesungen verfügt. 
Paris, 25. Juni. Als derjenige Candi- 
dat, welcher die meisten Aussichten hat, 
Carnot's Nachfolger zu werden, ist wohl 
Casimir-Perier, der Präsident der 
Deputirtenkammer, bis vor Kurzem Minister- 
Präsident, zu betrachten, denn man ioird 
das Bedürfniß haben, eine energische Per 
sönlichkeit an der Spitze des Staates ;u 
erblicken. 
Cette, 25. Juni. Der Attentäter 
befand sich Sonnabend noch hier. Er war 
8 Monate lang als Bäckergeselle bei dem 
Bäcker Viola beschäftigt. Am Sonnabend 
erhielt er von seinem Arbeitgeber 80 Francs 
und ging ^ fort mit dem Bemerken, er 
würde dahin gehen, wohin ihn die Um 
stände führen würden. Sonnabend Nach- 
mittag 2 Uhr 45 Minuten verließ er die 
Stadt. Der Attentäter war als ein her 
ausfordernder Anarchist bekannt und ist 
21 Jahre alt. Den Dolch, mit dem das 
Attentat ausgeführt wurde, hatte er am 
Freitag gekauft. 
Lyon, 25. Juni. In verschiedenen, 
Italienern gehörigen Etablissements ist 
Feuer ausgebrochen. Die Polizeikommissare 
suchen die Menge zu beruhigen, indem 
sie sie auffordern, den Schmerz der Wittwe 
Carnot's zu achten. Die Menge antwortete: 
wir wollen Carnot rächenl 
Die fr 
M PK 
Präsident Carnot nahm gestern Abend 
an einem Bankett Theil und brachte dabei 
ein Hoch auf die Ausstellung aus, beglück 
wünschte die Aussteller zu dem großen Er 
folg und betonte, ein einziges Werk läge 
in allen Franzosen, wenn es sich um die 
Ehre, die Sicherheit und die Rechte des 
Vaterlandes handle. Dieselbe Einigkeit 
verbürge die Bewegung, die aus dem Fort 
schritt und der Gerechtigkeit errichtet sei 
und von der Frankreich ja selbst ein Bei 
spiel gegeben habe. 
Nach dem Bankett stand vor dem Han 
delspalais eine lange Wagenreihe, in wel 
cher der Landauer des Präsidenten Carnot 
als erster fuhr. Neben dem Präsidenten 
Carnot saß der Präfect des Rhone-De 
partements, Rivaud. Der Wagen Carnot's 
fuhr um 9 Uhr unter dem Jubel der Be 
völkerung und unter jubelnden Zwischen 
rufen der dicht gedrängten Menge ab. 
Carnot dankte und grüßte fortwährend. 
Plötzlich sprang ein Indivi 
duum auf das Trittbrett des 
agens Carnot's, welcher so 
r o r t £) i e Ï t. Die Zunächst stehen 
fcert sahen den Präsidenten er 
bleichen und in den Wagen zu 
r ü ck s i n k e n. Sie stürzten auf das In 
dividium, welches durch einen Fauststoß 
des Präfecten des Rhone-Departements, 
Rivaud, auf die Straße hinabgeschleudert 
wurde. Der Präsident Carnot hatte einen 
Stich in die Herzgegend erhalten. Neben 
dem rothen Großcordon der Ehrenlegion 
drang unaufhörlich Blut hervor. Der 
Attentäter wollte entfliehen. Die Menge, 
Anfangs wie versteinert, ergriff ihn und 
hätte ihn zerrissen, wenn nicht eine große 
Anzahl von Polizeiagenten ihn der Menge 
entrissen hätte. Unter der Bedeckung von 
zahlreichen berittenen Gardisten wurde der 
Attentäter, welcher bartlos ist und gesenkten 
Hauptes mit einer Jacke und Mütze be 
kleidet dahinschritt, auf die Polizei gebracht, 
wo er gefesselt wurde. Alsbald erschien 
der Präfect des Rhone-Departements und 
andere hinzugerufene Persönlichkeiten, um 
den Attentäter zu verhören. 
Der Mörder antwortete, ohne Erregung 
Zu Anfang des neuen Quartals 
werden wir mit dem Abdruck des 
größeren n e u e n R o m a n s aus 
der Feder von C v.Waldt- 
3 e d t w i tz beginnen: 
„Man sagt", 
was wir unseren geehrten Lesern 
zur gest. Notiznahme mittheilen. 
Dieser Nomau ist eine bedeutsame 
Leistung des bekannten Verfassers. 
Die Redaction 
des Rendsburger Wochenblattes. 
und ohne Reue zu bezeugen, in schlechtem 
Französisch und erklärte, er sei Italiener 
und heiße Cesario Giovanni Sonto, sei 
22 Jahre alt, wohne seit 6 Monaten in 
Cette und sei am Montag früh morgens 
in Lyon angekommen. Beim Durchsuchen 
seiner Kleider fand sich ein Arbeitsbuch 
vor, in Paris am 20. Juni 1894 abge 
stempelt. Aus demselben ging hervor, daß 
der Mörder aus der Provinz Mailand ge- 
bürtig ist. Der Attentäter rief sodann 
mehrere lateinische Wörter aus: Giovanni 
Geni Lucas bei der wohlbekannten Familie 
Magno Francisco. Es war unmöglich, 
aus ihm etwas anderes herauszubringen. 
Der Attentäter bleibt dabei, daß er nur 
vor den Geschworenen sprechen werde. 
Inzwischen fuhr der Wagen des Prä 
sidenten nach der Präfectur. Die Menge 
konnte den Präsidenten Carnot auf dem 
Wagensitze bewußtlos, regungslos und die 
Augen erloschen liegend sehen. Aus der 
Wunde in der Lebergegend floß unaufhör- 
lich Blut. Der Anblick rührte die Menge 
zu Thränen. Vor der Präfectur hoben 
der General Boziul, der Präfect des Rhone- 
departements und der Bürgermeister den 
Präsidenten mit großer Muhe aus dem 
Wagen und brachten ihn in das nächste 
Zimmer. Die herbeigeholten Aerzte hielten 
eine Operation für nothwendig. Dr. Ollier 
erweiterte _ die Wunde. Präsident Carnot 
erlangte hierauf die Besinnung wieder und 
agte mit deutlicher Stimme zu dem Arzte: 
„Wie sie mir wehe thun". Die hierauf 
vorgenommene gründliche Untersuchung er 
gab, daß die Verwundung eine schwere, 
sehr tiefe und sehr bedenkliche sei, um so 
mehr als eine Verblutung zu befürchten 
war. 
Die Präfectur wurde abgesperrt. Alle 
Thüren zum Zimmer des Präsidenten wur 
den geschlossen. Draußen harrt die Menge. 
Schrecken liegt auf allen Gesichtern, überall 
hört man fragen, ob der Präsident Carnot 
mit dem Leben davon kommen werde. 
Unterdessen hatte sich um 9 Uhr das 
Theater mit den zur Galavorstellung ge 
ladenen Gästen gefüllt, die mit Ungeduld 
die Ankunft des Präsidenten erwarteten. 
Plötzlich verbreitete sich das Gerücht, Prä- 
ident Carnot sei das Opfer eines Atten- 
:ats geworden. Dieses Gerücht rief eine 
furchtbare Bestürzung hervor. Die Frauen 
chrien auf, es entstand eine allgemeine 
Bewegung. Die offiziellen Persönlichkeiten 
verließen das Haus, um weitere Nachrichten 
zu bringen. Die ganze Stadt war in den 
3) Iw lohte Liciiteimt. 
Eine lustige Gespenstergeschichte von Emil Kol»,fe,der. 
Adam starrte ihr mit weit aufgerissenen 
Augen entsetzt nach — entsetzt nicht über das 
„wat kömmt", sondern über das, was ge 
gangen war, nämlich Sauerkraut und Erb 
sen! „Verdammigter Racker!" prustete er und 
meinte damit beileibe nicht seine Auguste, der 
er nachstierte, sondern das unbekannte Etwas, 
das ihn gestört hatte und dem er vorläufig 
nur sein Ohr zuwendete, da er seine ent 
rüsteten Augen immer noch auf Gustm's Thür 
geheftet hielt. Hätte er dieselben seitwärts 
nach dem dunklen Ende des Ganaes gerichtet, 
s° würde er gesehen haben, wie dort im fahlen 
Mondücht, das schwach durch einige trübe 
kleine Scheiben hereinfiel, drei Gestalten auf 
getaucht waren, von denen sich zwei, wie es 
schien, sehr eng an einander hielten und merk 
würdig schmatzten, bei Gustm's leisem Schrei 
aber alle Drei fchncll auseinander fuhren, 
ihrer zwei hastig nach seitwärts verschwanden, 
nnd die dritte, eine lange, weiße, faltenreich 
umwallte Gestalt mit oben etwas Blutrothem 
statt des Kopfes erschrocken einen Schritt zurück 
prallte und sich emsig noch viel mehr in das 
Straßen versammelt; nirgends war eine 
Weiterbewegung möglich, da die allgemeine 
festliche Beleuchtung dir ganz? Bevölkerung 
zum Zuschauen versammelt hatte. - -'»H 
Um 9 V 2 Uhr fuhr der Wagen mit dem 
Ministerpräsidenten und dem Präfecten des 
Rhone-Departements in rascher Gangart 
vor dem Theater vor. Die Menge rief 
jubelnd: „Es lebe Präsident Carnot". Der 
Ministerpräsident Dupuy erhob sich erschüt 
tert, winkte mit der Hand und antwortete: 
„Rust nicht so, der Präsident Carnot ist 
ein Opfer des Attentats geworden". Diese 
Worte machten einen furchtbaren Eindruck. 
Zuerst herrschte tiefes Stillschweigen. Dann 
wurden von allen Seiten Verwünschungen 
und Racherufe gegen den Mörder laut. 
Der Präfect des Rhone-Departements 
trat in das Theater und theilte von der 
Präsidentenloge aus das geschehene Atten 
tat mit. Die Menge rief, in Wuth aus- 
sprechend: „Tod dem Mörder! Rache dem 
Mörder! Der Präfect Rivaud wollte die 
Einzelheiten erzählen, wurde aber bei jedem 
Wort von Zwischenrufen, die der allge- 
meinen Erschütterung entsprangen, unter 
brochen. Endlich wurde mitgetheilt, daß 
angesichts des schrecklichen Ereignisses die 
Vorstellung nicht stattfinden würde. Das 
Publikum verließ in dumpfem Schweigen 
das Haus. Um 12 V 2 Uhr wurde ein offi 
zielles Bulletin ausgegeben, das besagte, 
der Zustand des Präsidenten Carnot sei 
beunruhigend, aber nicht verzweifelt. Der 
Stich sei in die Lebergegend gegangen und 
habe einen reichlichen Blutverlust erzeugt, 
der aber zum Stillstand gebracht worden 
sei. Bald nach 11'/ 2 Uhr begann der 
Blutverlust wieder. Die Aerzte entschlossen 
ich zur Operation, um womöglich den 
Blutverlust dauernd zu stillen. Alle ärzt- 
lichen Bemühungen erwiesen sich aber als 
vergeblich. Um 12 Uhr 45 Minuten starb 
Präsident Carnot. Ueber das Ereigniß 
richtete der Conseilpräsident Dupuy an die 
Minister, die Präsidenten der Kammer und 
des Senats und an die anderen Staats- 
Würdenträger nachstehende offizielle De- 
wsche: „Präsident Carnot wurde auf der 
Fahrt von der Handelskammer nach dem 
Großen Theater von einem Dolchstich ge- 
troffen. Der Mörder wurde sofort ver- 
haftet. Er hielt mit einer Hand die Wa 
genlehne fest, mit der andern den Dolch. 
Präsident Carnot wurde sofort nach der 
Präfectur gebracht, wo die ersten Aerzte 
Lyons sich um ihn bemühen. In dieser 
schmerzlichen Prüfung schließt sich die Re- 
weiße Grabesgewand hüllte, als sie zuvor 
darin 'eingehüllt war. 
Adam hatte sich endlich überzeugt, daß das 
Entsetzliche nicht bloße Täuschung seiner er- 
mķ- ņ Pommerphantasie, sondern grausige 
Wirklichkeit, daß nämlich Guste mitsammt 
Ero,en und Sauerkraut verschwunden sei und 
nicht wiederkomme und wendete nun langsam 
und verblüfft sein breites Gesicht bent Korri 
dor Zu, von wo er das verdächtige Geräusch 
vernommen hatte und wo er jetzt die weiße 
Gestalt in bleichen Mondlicht vor sich stehen sah. 
„Dunnerwetter, de Düwcl!" brummte er 
erschrocken und lehnte sich verdutzt an die 
Wand, um abzuwarten, was nun kommen werde. 
De Düvel! Hätte Adam Grieneisen ein 
so scharfes Gehör besessen, wie man es eigent 
lich von keinem Menschen verlangen kann, so 
würde er gehört haben, wie das Gespenst 
ģ""» î vor sich hinzischtc: „Der Teufel! 
x > mu f dm verdammten Kerl grausig zu 
machen suchen, sonst komm ich nicht an ihm 
vorbei und werde entdeckt! Zugleich heulte 
das Gespenst ler e vor sich hin: „Huuh! 
Huuuh! Huh." als ob es Leibschmerzen habe, 
und schwebte langsam, feierlich, ja man hätte 
fast vermeinen können: zögernd auf Adam zu. 
„A — dam — Grien — ei — sen'" 
wimmerte es mit hohler Grabesstimme geh 
hinweg, ich bin ein Gespenst, ein böser,' böser 
Geist!" ' 
„Verflixt! Unse Herr Pastor seggt awwer, 
dat gisst keen' Gespinster!" wandte Adain 
verblüfft ein und retirirte langsam und lang- 
suni und halb unschlüssig vor dem Gespenst 
zurück, das ihm mit feierlichen, aber etwas 
langgenommenen Schritten nachfchwebte und 
offenbar gern an ihm vorbeizuwollen schien. 
„Mach fort, Adam, oder ich raube Deine 
Seele und fahre mit ihr zur Verdammniß!" 
sagte das Gespenst hohl und streckte seinen 
langen, weißen Arm nach Adam aus. 
„Verflixt, un nu heff ick den Hunnpietsch 
nick, hier!" brüllte Adam laut auf in einer 
Mischung von Zorn und Angst, welche all 
mählich anfingen, ihm das Bischen Kopf zu 
benehmen, über das er zu verfügen hatte. 
Das Gespenst schien sich das zu Nutze 
machen zu wollen. Sichtlich zusammengc- 
schreckt bei dem Plötzlichen tauten Ansbruch 
von Adam's Stentorstimme, schwebte der 
Geist, der es jetzt plötzlich sehr eilig zu haben 
schien, energisch auf Adam zu, streckte den 
einen Arm mit dem weißen Gewand nach 
ihm aus, als wolle es ihn damit umschlingen, 
und sagte hohl: „Fliehe oder komme mit 
mir zur ewigen —" 
„Au!" brüllte Adam in höchster Angst. 
Verdammigtes Gcspinnst, laß mi sinn!" 
und, vollkommen kopflos, instinktiv nur an 
das denkend, wovon er in solchen Fällen der 
Noth den wirksamsten Gebrauch zu machen 
gewohnt war, holte Adam mit dem einen 
Arm und der daran befindlich flachen Hand 
weit aus, schwang Beides wie einen fliegenden 
Dreschflegel durch die Luft und ließ es im 
nächsten Moment dermaßen wuchtig nach der 
Gegend hinsausen, in welcher das Gespenst 
muthmaßlich seinen Kopf haben mußte, wenn 
cs ihn nicht nach zeitweiliger Gcistermode 
unterm Arm trug, daß er dem armen Grabes 
bewohner wahrscheinlich den spröden Todten- 
schädel zertrümmert haben würde, wenn sich 
der Geist nicht mit einem erschrockenen „Ha 
verflucht!" so hastig nach vornüber nieder 
geduckt hätte, daß die nervige Pommerhand 
ohne zu treffen durch die Luft dahin fuhr. 
Da Adam hierbei aber unbedingt auf einen 
gewissen Widerstand an dem Gespensterschädel 
gerechnet hatte, der seinem Arm bei dem 
gewaltigen Schwünge Halt verleihen würde, 
dieser erwünschte Halt aber nun nicht gefunden 
wurde, sondern der Arm jetzt ungehemmt 
durch den leeren Raum dahinsauste, so theilte 
sich, einem fatalen, physikalifchen Gesetz zu 
folge, die für den Gefpensterschädel berechnete 
Schwungkraft, dem ehrlichen Pommerkörper 
nnt und Adam flog, ihr folgend, nach vorn 
über, wobei er über das vor ihm nieder 
duckende Gespenst stolperte, sich in dessen 
Leichentuch verwickelte und im nächsten Augen 
blick Mensch und Geist über einander fort 
am Boden rollten. 
„Mordio!" brüllte Adam im höchsten 
Entsetzen. 
„Verfluchter Kerl, halt's Maul!" knirschte 
ihm das Gespenst unter ihm leise zu. „Siehst 
Du denn, zum Satan, nicht wen Du vor 
Dir hast?" Und das im fahlen Halbdunkel 
aus dem Leichentuch hervorguckenden Gesicht 
des Geistes starrte ihn zornig an. 
Einen Moment laug studierte Adam laut 
los in das ihm aus Grabestuch und bleichem 
Mondlicht wohlbekannte Antlitz. Aber auch 
nur einen Moment lang lautlos! Dann 
'timmte er das entsetzlichste Gebrüll an, welches 
ich das Gespenst hätte erinnern können, je 
von einem einzelnen Menschen gehört zu haben; 
einige Secunden hindurch, während Adam 
ich stolpernd nnd fehlgreifend aufraffte, erging 
ich dies Gebrüll in nur unartikulirten Pas 
sagen jeder Tonart, dann brach es in die 
artikulirten Entsetzensschreie aus: „Unse Herr 
Leitnam spukt! Unse Herr Leitnam spukt! 
Unse Herr Leitnam is een Gespinst wor'n! 
Und von einem Entsetzen gejagt, wie es der 
biedere Pommer noch nie empfunden hatte, 
stürzte er gegen die Thür des Mügdeflügels, 
welche, von der flüchtenden Guste unverschlossen 
gelassen, vor seiner anstürmenden Wucht auf 
flog und stolperte treppauf von dannen, das 
ganze Haus mit Stentorgebrüll von der 
schrecklichen Thatsache in Kenntniß setzend, 
daß sein Lieutenant todt sei und unten als 
Gespenst umgehe! 
Was den von stolpernder pommerscher 
Leibesschwere niedergedrückten Geist betraf, so 
hatte sich dieser nach Adam's Aufraffen gleich 
falls hastig erhoben. Mit einem durch die 
Zähne gestoßenen „Verdammter stupider Kerl!" 
hatte er sein Leichentuch zufammengerafft, 
unter welchem eine ganz schmucke Jäger 
lieutenantsuniform zuni Vorschein kam, die 
durchaus nicht nach Spuck- und Grabesbe 
wohnerschaft aussah, und hatte nach dem 
Vordereingang des Corridors hin von dannen 
huschen wollen. Dort aber erscholl lautes 
Lärmen, Menschen und Lichter nahten sich, 
der Geist machte Kehrt und flog auf die 
Thür zu, welche Adam's Rückzugslinie ge 
bildet hatte, aber auch von dort erscholl lautes 
Kreischen der zusammeneilenden Mägde und 
war an ein stilles Verschwinden für ein so 
lides Gespenst nicht zu denken, — so flog 
der gehetzte Grabesbewohner denn kurz ent- 
chlossen nach dem Ende des Corridors zu 
rück, wo die Gemächer Luciens, Frau Euse- 
lia's und einiger Honoratioren der Diener 
schaft lagen und von wo er vorhin seinen 
Ausgang bei der Spuktour genomnien hatte. 
Zwar erscholl auch hier bereits Lärmen nnd
	        
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