Full text: Newspaper volume (1894, Bd. 1)

Erscheint täalicS. -Z- 
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Wo. 99. 
i? 
Morgen-Depeschen. 
Berlin, 28. April. Tie Meldung, daß 
Prinz Heinrich von Preußen in nächster 
Zeit einen Besuch am Petersburger Hofe 
machen werde, wird jetzt auch von zuver- 
läsftger Seite als zutreffend bestätigt. Den 
„B. N. N." zufolge dürften in einer Woche 
etwa über den Termin der russischen Reise 
des Prinzen genaue Dispositionen getroffen 
werden. 
Berlin, 28. April. Wegen angeblicher 
Beleidigung des Finanzministers Dr. Mi- 
quel, begangen durch einige im Frühjahr 
vorigen Jahres in Berlin gehaltene Bor 
träge, ist der Reichstagsabgeordnete Ahl 
Wardt vor einigen Tagen vom Unter 
lnchnngsrichter beim Landgenicht I verant- 
lich vernommen worden. 
Berlin, 28. April. Im Briefkasten 
seiner morgen erscheinenden Nummer schreibt 
der „Kladderadatsch": Der Privatbrief, au' 
den die Forderung des Herrn v. Kiderlen- 
Wächter Bezug nimmt, war der Form 
nach allerdings an den Verleger, Herrn 
Hofmann, adressirt, enthielt aber die ab 
lehntnde Antwort auf ein von der Re 
glerung gemachtes Anerbieten, und war 
^dazu bestimmt, durch den Herrn General 
niaior Spitz dem Auswärtigen Amt über, 
geben zu werden. Von Herrn v. Kiderlen 
war nur in dem folgenden Passus die 
Rede: „Die Herren, deren Thätigkeit wir 
angreifen, wissen zur Erreichung ihres 
Zweckes allerlei Vorgänge sehr geschickt zu 
benutzen und andere Vorgänge sehr geschickt 
herbeizuführen, sodaß bei dem Herrn Reichs, 
wnzler kaum ein Verdacht entstehen kann." 
^er Name des Herrn v. Kiderlen ist über- 
Haupt im Briefe nicht genannt. 
Abbazia, 28. April. Heute Vormittag 
9 Uhr 45 Minuten erfolgte die Abreise 
der deutschen Kaiserin und der Prinzen 
jdon Mattuglie aus. In Abbazia waren 
vorher Statthalter Rinaldini, Direktor 
şSrlberhuber und sämmtliche Vertreter der 
Behörden zum Abschied in der Villa An- 
grollna erschienen. Die Kaiserin sprach 
°en Damen der Aristokratie für die reichen 
Blumenspenden, dann dem Direktor Silber. 
Huber in herzlichen Worten ihren Dank 
»us. Auf dem Wege von Abbazia nach 
Mattuglie, den die Kaiserin mit ihren 
Bindern im Wagen zurücklegte, bildete eine 
Noße Volksmenge Spalier, welche die Wa. 
Ķ mit Blumen überschüttete und in stür- 
Mche Hochrufe ausbrach. Auf dem Bahn- 
!°i in Mattuglie war auch der deutsche 
Konsul v. Oertzen erschienen. Die Kaiserin 
Arltrstrs und gelegenstes Klatt int Kreise Rendsburg. 
Anzeigen für die Tagesnummer werden bis 12 Uhr Mittags erbeten. 
87ster Jahrgang. 4S- 
Honnabenö, ben 28. April 
Bci Betriebsstörungen 
irgend weicher Art ist die regelmäßige'Lieferung 
dieses Blattes vorbehalten. 
Als Beilagen 
werden dem Blatt „Der Landwirth" sonne das 
Blatt „Mode u. Heim" gratis beigegeben. 
$000 Abonnenten. 
1894. 
verabschiedete sich dort herzlichst von den 
Anwesenden und bestieg dann den Hoszug. 
Die Prinzen lüfteten bei der Abfahrt" die 
Hüte, während die Kaiserin, mit der Prin- 
zessin im Arm, am Waggonsenster stand. 
Budapest, 28. April Seit vergangener 
Nacht stehen die in der Nähe des Central- 
bahnhofs belegenen großen Holzlager 
m Flammen. Es sind bereits Holzbestände 
Werthe von mehreren hunderttausend 
Gulden verbrannt. Alle Bemühungen, den 
Brand zu löschen, sind bis jetzt vergeblich 
gewesen. 
London, 28. April. Die Polizei hat 
heute bei mehreren italienischen Anarchisten 
Haussuchungen vorgenommen, die resultatlos 
verlaufen sind. Es konnte indeß festgestellt 
werden, daß bei dem verhafteten Anarchisten 
Fornaro höchst verdächtige Personen verkehrt 
haben, welche ausLondon verschwunden sind. 
Prag, 28. April. Der Steuereinnehmer 
von Syeltschau, I o s e p h W i r i b a l, ist 
nach Unterschlagung von 75000 Fl. Steuer- 
geldern geflüchtet. 
Czernowitz, 8. April. Der frühere «Re 
dakteur der ruthenischen Zeitung, Daszkie- 
witsch, erschoß niit Zustimmung seiner 
Gattin zuerst diese, dann sein 8 Monate 
altes Kind und zuletzt sich selbst. Das 
Motiv war hochgradige Nervosität. 
Poris, 28. April. Prozeß gegen den 
Anarchisten Henry. Ans den Gerichtstisch 
nd Kleidungsstücke, mehrere Bomben, ein 
Dolch und Dhnamitpatronen niedergelegt. 
Ans Befragen des Präsidenten erklärte 
Henry, er habe zur Verübung des Atten 
tats deshalb das Hotel Terminus gewählt, 
weil dort viele Bürger verkehren. Er 
habe zuerst das Cafö Paix oder Americain 
ur sein Vorhaben aüserschen, dort seien 
à zu wenig Gäste vorhanden gewesen. 
Die Zündschnur habe er mit einer Cigarre 
angezündet. Henry sagte dann weiter 
wörtlich: „Ich verachte nicht mein Leben, 
sondern das der Bürger. Ich habe mich 
retten wollen, um ani andern Tage das 
Schauspiel wiederholen zu können. Hätte 
mein Revolver funktionirt, wäre ich ° von 
Niemand aufgehalten worden. Daß ein 
Arbeiter verletzt wurde, bcdaure ich leb 
haft. Ich hatte im vorigen Jahre einen 
Dolch vergiftet, um einen treulosen Ge- 
nossen^ niederzustechen. Wäre der Dolch 
mir nicht entfallen, würde ich mich un 
zweifelhaft desselben bedient haben. Ich 
habe zwar zuerst die Urheberschaft geleug. 
net, aber jetzt erkläre ich: Je mehr Bour- 
geois umkonlmen, desto besser ist es!" 
Ausland. 
Ane E-le ans dem Volk 
von Carl Friedrich. 
»Ich E komme eben als ein Offizier, der 
urch eine Feigheit Dir gegenüber seinem 
^del keine Ehre gemacht und als ein Sohn 
fr durch kindisches Handeln seine Männlich 
es" vcrläugnet hat; ich komme Alma's 
wegen." 
un?à?Şmräthin warf sich in die Brust 
>s. Mts., . °"tsetzt einen Schritt rückwärts, 
Holland. 
Zu der sensationellen Gift 
mordaffaire in Antwerpen schreibt 
das „B. T." : Frau Joniaux hatte gegen 
den Beschluß der Rathskammer beim hies. 
Landgerichte, durch welchen der von dem 
Untersuchungsrichter gegen sie erlassene Ber 
haftnngsbefehl bestätigt worden war, Be- 
rufung eingelegt und war daher vorgestern 
nach Brüssel transportirt worden, um, wie 
das Gesetz dies vorschreibt, vor der dorti 
gen Anklagekammer persönlich ihren Ein 
spruch zu begründen. Die letztere vernahm 
gestern die lebhaft ihre Unschuld betheuernde 
Angeklagte sowie deren Advokaten und be 
stätigte alsdann einfach das Urtheil erster 
Instanz, worauf Frau Joniaux in Be- 
gleitung von drei Gendarmen in Civil 
nach Antwerpen zurückkehrte. 
Kann es hiernach auch keinem Zweifel 
unterliegen, daß ein schwerwiegendes Be- 
lastnngsmaterial gegen sie vorhanden sein 
muß, so scheint es doch andererseits, daß 
von einer völligen Ueberfnhrung der Be- 
chuldigten vorläufig wenigstens noch keine 
Rede ist. Allerdings sind in den Einae- 
weiden ihres Bruders Ablay Spuren von 
Morphium nachgewisen,' und nachgewiesen 
es auch der Frau Joniaux, daß sie sich 
m hiesigen und Brüsseler Apotheken größere 
Mengen von Morphium auf keineswegs 
redliche Weise zu verschaffen gewußt hat. 
Dagegen hat jetzt Frl. Emilie Ablay vor 
dem Untersuchungsrichter erklärt, sie er 
innere sich ganz genau, daß ihr Bruder 
Alfred — so hieß der angeblich Vergiftete 
am Tage seines Todes ein Glas Wasser 
mit Cognak verlangt und in dasselbe ein 
Pulver hineingeschüttet hätte. Bon dem 
Vertheidiger der Frau Joniaux wird dies 
jedenfalls zur Unterstützung der Behauptung 
der letzteren, daß ihr Bruder Alfred sich 
selbst vergiftet hätte, benutzt werden, und 
vielleicht nicht ohne Erfolg. 
. Was die beiden andern Fälle von Ber- 
gistung anbelangt, so ist hierüber noch 
keinerlei Mittheilung zuverlässiger Art in 
die Oeffentlichkeit gedrungen, da die Unter 
suchung ganz im Geheimen geführt wird 
England. 
London, 25. April. General Coxey 
îşi feinem 350 9Nnnn ftürfeit Sirbeiter* 
Detachement gestoßen. Dasselbe lagert in 
Frederick, Maryland, von den Streitkräften 
)es Civilgouverneurs beobachtet. Die Leute 
ind mit Allem versehen. Der General 
sagte, nian habe ihm Woodleh-Park, wel 
cher an Clevelands Residenz anstößt, für 
die Arbeiter angeboten. In Butte, Mon- 
tana, bemächtigten sich 500 Arbeiter eines 
Northern > Pacific < Zuges, bemannten den 
selben und eilten mit einer Fahrgeschwindig 
keit von fünfzig Meilen die Stunde nach 
Osten, bis.sie in einem Tunnel festsaßen; 
nach einiger "Zeit setzten sie die Reise fort. 
Der Gouverneur von Minnesota, für die 
Bahn fürchtend, berief die Milizen ein. 
Bon Washington sind Befehle eingegangen, 
den Zug aus der Station Bismarck mit 
Gewalt anzuhalten. Für den Fall, daß 
die Lokaltruppen nicht genügen sollten, hat 
die Regierung zwei Regimenter Staats 
truppen zur Verfügung gestellt. Eine 
weitere Abtheilung hat sich in Indiana 
eines Zuges bemächtigt, ohne jedoch zu 
wissen, was damit anzufangen. Die stärkste 
Bande unter Führung Kellys, 1200 Mann 
stark, wurde vom Mayor in Antlantic, Io- 
wo, empfangen. Zwischen denselben herrscht 
große Uneinigkeit. Die ßvrmer schleppen 
große Quantitäten Nahrungsmittel für das 
Arbeiterheer herbei. Drettausend Eisen- 
former verlassen henke CMgo auf Kosten 
der Washington-Union, andere Gesellschaften 
bilden sich, doch scheinen die Frauen nicht 
mitmachen zu wollen. Tausende von Ar 
beitern wünschen nach Wastiington zu gehen, 
falls ihnen die Mittel für die Bahnreise 
geliefert werden, wollen aber nicht mar- 
schiren. Die Nordwest-Eisenbahn befördert 
die Bummler, um sie loszuwerden, gratis 
ostwärts. General Coxey konnte nicht das 
Newyorker Theater für den Sonntag zum 
Bortrag erhalten, auch wurden ihm in 
Massillon, Ohio, die Räumlichkeiten hier 
für verweigert. Die Farmer haben ver 
sprochen, alle Landarbeit Coxeys auf seiner 
Farm zu thun. Die Bewegung charakteri- 
sirt sich inimer mehr als eine agrarische, 
gegen die Aufhebung der Tarifbill gerich' 
ļete. JSie Stärke der Coxeyiten in Washing 
ton für den 1. Mai wird auf über 50000 
geschätzt. 
Inland. 
!luf dem „Ich komme, um Di,- ... . . 
ehrliche ^lma und ich, heimlich Bella's ^ w! 
a gegen u • ' oerl °ot sind und daß 
ch mein ihr gegebenes Wort unter allen 
borg. Umständen halten werde." aUen 
-U,Ş »Äst das eigentlich mein Sohn, Lieutenant 
lung ab-Paul von Esch? Oder träume ich S ” 
jfjeftr sehe nur des Bildes verworrene Fratze? 
wTÌäfc nein, es ist Wirklichkeit! Mein Sohn, 
gesund.;-"Ni von Esch — von Esch — spricht von 
. Heute ewer Liebe zu einer Schusterstochtcr! Wenn 
56 ...Uniats ein Sprichwort in Wirklichkeit 
hl°chter.yàpert gezeigt hat, so zeigt sich jetzt in 
’ 9Cn Häuft das Sprüchwort vw 
i Iaht 
f voM'cht mehr davo"n! 
!eibendelllma?" eme ^age Mutter, wo ist 
-hlen. „Rede nicht à r -x 
taw nicht diessZs I ' Mm rê 
m st „sä „f, I- meiner Schwelle. Es 
h Äi b l* Tonwellen Deiner Rede 
?ebev b sf «x 9 !' be " plebejischen Geruch von 
sch 3U + f Ä Ir .herübertrügen. Wahr- 
—* Ü be- Gehelmraths nechts bereits sehr nach 
4’ ich weiß nicht, worüber, ich mich am 
sburg. um wundern soll, über Dein Verhält- 
ķiicht^ehŅdanonîşi' 6CsUbe(t 
mß mit dem armen Mädchen, oder über 
Deine Unverfrorenheit, mir dies Verhältniß 
als unlösbar vorzutragen." 
„Liebe Mama, deine wegwerfenden, von 
Haß und Verachtung strotzenden Aeußerungen 
über Alma, über ein so edles Mädchen, mit 
einer Seelengröße und mit einem Hcrzensadcl, 
die nur als Seltenheit vorkommen können, 
über ein Wesen, an dem ich mit ganzer Liebe 
hänge, und die zu besitzen ich meinen Stand 
und mein Leben in die Schanze schlagen 
werde, diese grundlosen Beleidigungen gegen 
ein so unschuldiges Geschöpf, dessen Liebe 
mein Leben ist, haben, das fühle ich, mein 
Herz in seiner tiefsten Tiefe verletzt, haben 
inch von der Thatsache überzeugt, daß Standes- 
tolz (aber was sage ich, Emporkömmlings- 
stolz ist das rechte Wort), daß überspannte 
Eitelkeit bis zum gemeinen Verbrechen aus 
arten kann. 
Du hast eine durch die Bande des Blutes 
»nt dir verbundene Waise von dir hinaus- 
gsstoßen, ohne einen andern Grund, als daß 
ihr edles Betragen zuwider war. 
R à "'»" M ist °°r irrn Ferm,, de, 
Ä" etn gemeinte »vlmdim. ©oft 
LÖh ~ d°s wird auf uns Unglück 
ļ., b ààden herabziehen, wenn es nicht ge 
sühnt wird, ehe Mes edle theure Herz darüber zu 
Ichlagcn aufhort. Ich betrete dieses Haus 
ssäv* “ * ,m « 
»Mit aufgehobener Hand, wie ein Unheil 
und Gericht verkündender Prophet, verließ 
Paul von Esch sein Vaterhaus. 
Drei Tage nach jenen, Austritt mit seiner 
Mutter wurde der damals abwesende Vater 
als furchtbar verstümmelte Leiche ins Hans 
gebracht; er hatte auf der Heimreise von 
Brüssel bei einem Eisenbahnunglück seinen 
■itoo gefunden. 
Dieser traurige Vorfall machte die Seelen 
quälen für Paul nur noch größer, um so 
mehr als er darin das gerechte Gottesgericht 
über ferne Familie hereinbrechen sah Dies 
gemeinsame Unglück ließ das Vorgefallene 
sur eme Zeitlang vergessen und brachte die 
so sehr entfremdeten Herzen von Mutter und 
Sohn wieder einander näher: 
Mutter und Tochter siedelten nach Berlin 
über, um den ihnen jetzt so nöthigen Beistand 
des Sohnes näher zu haben. 
Jedoch währte es nicht lange, da brach 
bei Paul der Schmerz um Alma, bei der 
Mutter aber die alte Eitelkeit mit neuer 
Heftigkeit hervor. 
Es gab für Paul nur noch einen Wunsch, 
es war der, Alma wiederzusehen und zu 
besitzen. 
Und für die Frau Geheimräthin gab es 
ebenfalls nur noch eine Lebensaufgabe, es war 
die, ihre Tochter Lydia bci der die zwanziger 
Uahre bereits in der höchsten Blüte standen 
vorthcilhaft und standesgemäß zu verheirathen. 
Paul, dem dies Treiben mißfiel, wagte 
» ^ "'shŗ- etwas dazu zu sagen, zumal da 
alle Mühe, Alma's Aufenthalt aufzufinden 
vergeblich schien; er hatte ihre Spur bis 
nach Hamburg aufgefunden und dort in Er 
fahrung gebracht, sie sei ins Ausland in 
Stellung gegangen. Dies stumpfte ihn ab 
und machte ihn mißmiithig, was selbstvcr- 
tändlich nicht ohne nachtheilige Wirkung auf 
seine Carriere als Offizier bleiben konnte. 
Man nannte ihn den Kunimervollcn und 
^dauerte ihn, ohne die eigentliche Ursache 
seines Schmerzes zu wissen. 
Nur einmal wagte er noch seiner Mutter 
— Herr Miguel ist mit seiner Agrar 
politik jetzt auch bei den National 
liberalen völlig fallen gelassen 
So schreibt die „Nationalztg." über die 
Entgegnung des Herrn Miguel gegen die 
Kritik seiner Verschuldungsstatistik durch 
den Abg. Richter Folgendes: „Obgleich der 
Minister die vorläufige Lückenhaftigkeit und 
Unsicherheit seiner Statistik zugab, hat er 
doch seine schon wiederholt angedeuteten 
Ansichten über die Nothwendigkeit von 
Aenderungen des Erbrechts und der Ber- 
schuldungsformen des Grundbesitzes wieder 
holt. Wir haben nicht bemerkt, daß die 
Andeutungen dieser Art es auch nur bei 
den Agrariern über einen „Achtungserfolg" 
hinaus gebracht, wie man ihn allerdings 
den Reden eines Ministers zollt, den man 
wohlgesinnt weiß — während die an der 
Agrardemagogie nicht betheiligten Land 
wirthe offenkundig von derartigen, die 
freie Verfügung des Grund 
besitzers he m nl enden gesetz- 
11 d) e n Bestimmungen nichts 
wissen wollen, sogar kaum dort, wo 
einzelne solche Einrichtungen -von Alters 
her ohnehin als feststehende Sitte herrschen." 
^ Berlin, 27. April. Gegenüber den 
Treibereien, die neuerdings für Samoa in 
Australien, England und Nordamerika sich 
vordrängen, haben die „B. N. N." von 
einer Seite, die sie für gut unterrichtet 
halten, erfahren, der Kaiser habe sich ln 
einer an das das Auswärtige Amt ge 
richteten Willensäußerung auf das Be 
stimmteste dahin ausgesprochen, daß Samoa 
von Deutschland nicht preisgegeben werden 
dürfe. Ein diesbezüglicher Artikel der 
„Nordd. Allg. Ztg." wird jenem Blatte 
als ein Ausfluß jener Allerhöchsten Direc- 
live bezeichnet. 
Berlin, 25. April. Der Dowe'sche 
Panzer hat am Dienstag-Nachmittag um 
8 Uhr die eingehendste Probe von allen zu 
bestehen gehabt. Vor Offizieren vom In- 
genieurcorps und von der Artillerie, und 
zwar in Gegenwart des Obersten Götze 
vom Patentamt mußte Dowe den Panzer 
anlegen. Offiziere hatten Patronen für 
das jetzige Infanterie-Gewehr (Modell 88) 
mitgebracht und luden eigenhändig das 
Gewehr, das Martin später auf Dowe 
abschoß. Der Panzer hielt diesmal ebenso 
stand, wie früher, so daß nach dem Ur- 
theil der Sachverständigen die Ersindung 
auch für Militärzwecke nutzbar, wenn auch 
in der jetzigen Gestalt zur Panze 
rung des einzelnen Mannes nicht 
verwendbar, ist. Weiterhin hat eine 
Probe mit der Original-Militärpatrone 
auch vor dem Geheimen Ober-Medizinal- 
rath Dr. v. Bardeleben stattgefunden, nach 
dem gelegentlich des Chirurgischen Con 
gresses die Ansicht ausgesprochen worden 
war, daß der Panzer der Militärpatrone 
nicht standhalten werde. Herr v. Barde- 
darein zu reden, bei der Verlobung oder viel 
mehr vor der Verlobung seiner Schwester 
mit einem Amerikanischen Fabrikanten 1 . . . 
bei- in Berlin auf großen, Fuß lebte und um 
die Hand Lydias anhielt. Er weilte angeb 
lich in Deutschland, um sich über Absatzgebiete 
für feine Fabrikate zu orientiren, zeigte große 
Pläne und Zeichnungen von Fabriken und 
Besitzungen vor und redete von seinen Millio 
nen, wie von etwas, das mit einem wahren 
Gentleman als unzertrennlich verbunden gilt. 
Die Frau Geheimräthin ward hingerissen 
von dem liebenswürdigen, d. h. prahlerischen 
Benehmen des Amerikaners, mehr noch von 
einem Reichthum und willigte in die Bcr 
lobung mit Lydia ohne Bedenken ein. 
Paul aber traute dem Mann nicht und 
hielt ihn für einen Schwindler, ohne freilich 
hierfür eigentliche Beweise zu haben, außcr 
cmer Abneigung gegen diesen Mann. Aber 
dennoch hielt er es für seine Pflicht, die 
Mutter zu warnen, machte dabei aber schlechte 
Geschäfte, dem, der alte, lange verhaltene Haß 
brach von neuem hervor und sie fertigte ihn 
mit dm beleidigenden Worten ab: 
„Man sieht doch, daß in Deinen, Herzen 
noch etwas von der Liebe zu der Schusters- 
tochter steckt, denn Du witterst überall Pech! 
^ Graf 1. aber könnte Dich für Deine Ver 
dächtigung wohl vor dm Sttafrichrer citircn 
— doch der wird sich hüten, ebenfalls Pech 
anzufassen." 
Mit diesem ironischen und verletzenden 
Spott von seiten seiner Mutter war das 
höchste Maß des Erwäglichen für Paul er 
reicht, der letzte Funken kindlichen Gefühls 
gegen sie erlosch in seinem ohnehin schon so 
wunden Herzen. Er ward laub und stumm 
gegen alle ihre weiteren Unternehmungen. 
Ohne jegliche Theilnahme seinerseits wurde 
eine glänzende Verlobung und bald darauf 
Hochzeit gefeiert, natürlich alles auf Kosten 
der Frau Geheimräthin, denn es wäre dem 
Fabrikanten £. ja ein kleines gewesen, dazu einige 
Hunderttausend flüssig zu machen, wie er 
sagte, aber das litt der Stolz, der durch 
diese vortheilhafte Hcirath so geehrten Schwieger 
mutter nicht. Bald nach der Hochzeit ward 
Anstalt gemacht zur Abreise nach Amerika, 
auf die großen und reichen Besitzungen des 
Herrn X. der mittlerweile das Vermögen 
seiner Schwiegermutter in Amerikanische 
Werthe umgesetzt hatte, nur der Bequemlich 
keit wegen, wie er sagte. 
Paul sah dem heillosen und verblendeten 
Treiben zu. ohne ein Wort dazu zu sagen- 
cs hätte auch nichts genützt, denn seine 
Mutter hielt ihn dem Wahnsinn nahe 
und wartete schon jeden Tag auf die Kata- 
trophe, die, noch vor ihrer Abreise nach 
Amerika, ihr Benehmen gegen ihren Sohn 
rechtfertigen sollte. 
Paul dagegen sah mit bestimmter Gewiß- 
şşt sinem unvermeidlichen Ende entgegen 
iim hoffte im Stillen, daß seiner Mutter 
durch eine gründliche Demüthigung vor der 
Welt am Ende noch geholfen werden und er 
ihr Herz wiedergewinnen könnte. 
Im Spätsommer des Jahres 18 . . 
reisten das junge Paar und die „glückliche" 
Schwiegermutter nach Amerika ab. 
Das heißt zunächst über Kisingen nach 
^ondon um auch die Herrlichkeiten dieser 
englischen Metropole so im Vorbeigehen mit 
zu genießen. 
(Fortsetzung folgt.)
	        
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