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-5»> 87ster Jahrgang, chs-
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werden dem Blatt „Der Landwirth" sonne das
Blatt „Mode u. Heim" gratis bcigegebcn.
3(KK) Abomrentcn.
Wo. 84.
Mittwoch, den 11. April
1894.
Morgen-Depeschen.
Altona, 11. April. General Graf v.
Wälder fee hat anläßlich seines am Sonn
tag gefeierten 62. Geburtsages vom Kaiser
einen prachtvollen Ehrensäbel zum Geschenk
erhalten Der Säbel trägt auf der Klinge
die Inschrift: „Dem Feinde Trutz! dem
Freunde Schutz!"
Berlin, 11. April. Das Staats-Mi
nisterium hat heute eine Sitzung abgehalten.
Die Vermuthungen gehen dahin, daß der
Schluß des Landtages zur Berathung ge-
kominen ist, bezw. die Feststellung derjenigen
Regierungs-Vorlagen, deren Durchberathung
noch bestimmt erfolgen soll. — Wie ein
hiesiges Blatt wissen will, soll auch die
Angelegenheit des „Kladderadatsch" zur
Sprache gekommen und auf Wunsch des
Kaisers beschlossen sein; von einer Straf
verfolgung des „Kladderadatsch" Abstand
zu nehmen.
Pilsen, 10. April. Die gestern hier ab
gehaltene Sozialisten-Versammlung verlief
in überaus stürmischer Weise. Der an-
iveseude landesfürstliche Commissar wurde
wiederholt bedroht; die Polizisten bewarf
man mit Steinen. Erst nachdem Militär
requirirt worden war, gelang es, die Ruhe
einigermaßen wieder herzustellen. Es wur
den zahlreiche Verhaftungen vorgenommen.
Triest, 10. April. Privatmeldungen aus
Alexandrien zufolge haben die egyptischen
Truppen den Gehorsani verweigert und ist
es infolgedessen schon zu blutigen Zusammen
stößen gekommen. Die allgemeine Lage ist
sehr beunruhigend.
Sofia, 10. April. Die bulgarische Oppo
sition ist gegenwärtig ungemein rührig und
fucht mit Rußland ein Bündniß anzu
bahnen, um Stambulow zu verdrängen.
Die Haltung der Opponenten gewinnt eine
besondere Bedeutung durch die eigenthüm
liche Sprache, welche von den russischen
Blättern bezüglich Bulgariens geführt
werde. Die „Köln. Ztg." konstatirt, die
heutige überaus erbitterte Opposition treibe
ein gefährliches Spiel, und es sei nicht
ausgeschlossen, daß der bulgarische Ruf
nach russischer Hülfe für Rußland sehr ver
lockend sei, die alte Taktik der nichtamt
lichen Einmischung wieder zu versuchen.
Paris, 10. April. „Figaro" publizirt
das bereits in Aussicht gestellte Interview
seines römischen Korrespondenten mit dem
König von Italien. Letzterer soll dem
Berichterstatter erklärt haben, daß die Po
lemik in den italienischen und französischen
Blättern hauptsächlich die Schuld an der
Mangelhaftigkeit der Beziehungen zwischen
den beiden Ländern trage. König Hum
bert erklärte dann weiter: „Zwischen Frank
reich und Italien bestehen keine Schwierig
keiten, welche zu Beunruhigungen Anlaß
geben könnten, sondern im Gegentheil warme
Sympathien. Ich weiß wohl, daß mau
mich in Ihrem Lande als Kriegsapostel
hinzustellen sucht und daß man glaubt,
Italien werde zuerst die Lunte an das
Pulverfaß legen. Das ist absurd. Unsere
Mittel gestatten uns nicht, einen Krieg an-
zufangen, auch liegt ein solches Vorhaben
ganz außer unserem Willen. Die Nach
richten über unsere angeblichen großen
Rüstungen entsprechen nicht den Thatsachen.
Frankreich rüstet in viel größerem Maß
stabe, als Italien." Der König betonte
zum Schluß, man werde jenseits der Alpen
anerkennen, daß die alte Freundschaft
zwischen beiden Völkern noch fortbesteht.
Besonders hob König Humbert hervor,
seine friedlichen Absichten würden auch von
dem österreichischen, dem deutschen nnd
russischen Kaiser getheilt.
Paris, 10. April. Die Tagesblätter
bringen fortgesetzt heftige Artikel anläßlich
der Unterredung des Korrespondenten des
„Figaro" mit dem König von Italien und
über die Begegnung des Letzteren mit den,
russischen Kaiser. In der Hauptsache sprechen
sich die Zeitungen dahin aus, daß Italien,
wenn es durch die Dreibundpolitik finanziell
gänzlich zu Grunde gerichtet sei, von Frank
reich keine Hülfe zu erwarten habe und
daß es die italienische Regierung nicht ver
wunderlich finden solle, wenn Frankreich
an . der Grenze beständig mit der Hand
den Degengriff umspanne.
In Aütlliz ftniļļ.
3m Reichstag wurde gestern bei der Be
rathung des Handelsvertrages mit Uruguay,
dem auch die Konservativen zustimmen, der
Antrag des Abg. Grafen Kanitz-Podangen
auf Verstaatlichung des Handels
mit ausländischem Getreide gestreift.
Der Antragsteller sprach die Hoffnung aus,
die verbündeten Regierungen würden, auch
ohne daß es dazu eines Reichstagsbeschlusses
bedürfte, auf diese seine Anregung hin selbst
den gewünschten Gesetzentwurf eindringen.
Zweck des Antrages ist ausgesprochener-
maßen die Festsetzung eines Minimalpreises
für Getreide von Reichswegen.
Die „Kreuzztg." nimmt sich des Gedan
kens mit Wärme an, trotzdem er stark an
das sozialistische Programm streift,
wogegen s. Zt. dasselbe Blatt mit solchem
Haß demonstrirte, wie kaum eine andere
Zeitung.
Der ebenfalls konservative „Reichsbote"
hat dagegen sehr schwere Bedenken gegen
den Plan. Im Widerspruch mit dem Gra
sen Kanitz selbst erklärt das Blatt, der
Antrag bedeute einen „thatsächlichen Bruch
der Handelsverträge" und eine ungeheure
Erhöhung der Getreidezölle. Die
Bertragsstaaten würden sich das schwerlich
gefallen lassen und mit einem entsprechenden
Zollaufschlag auf deutsche Waaren ant'
Worten; wir sehen uns in einen Zollkrieg
versetzt und zwar mit allen Staaten, mit
denen wir Verträge abgeschlossen oder denen
wir dieselben auf Grund der Meistbegün
stigung gewährt haben. Die Folgen wären
unabsehbar. In der That deutet die relativ
geringe Zahl von Unterschriften, welche der
Antrag Kanitz trägt, darauf hin, daß man
auch in konservativen Kreisen dem Antrag
Kanitz kritisch gegenübersteht.
Sollte der Antrag Kanitz Gesetzeskraft
erlangen, so muß sich der Konsument wohl
oder übel darin finden, daß der Weizen in
Zukunft anstatt um 35 Mark pro Doppel-
zentner um 107, der Roggen uni 78 Mk.
gegen den Weltmarktpreis vertheuert wird;
mit anderen Worten, daß das Opfer, wel
ches die Konsumenten, d. h. die überwie
gende Mehrheit der Nation zum Besten der
Großgrundbesitzer bringen müssen, bei
Weizen zum Mindesten verdreifacht, bei
Roggen mehr als verdoppelt wird. Unter
Umständen, d. h. bei Mißernten im Aus
lande, d. h. wenn der Weltmarktpreis er
heblich steigt, kann das Reich beim Ver
kauf des ausländischen Getreides die vor
geschlagenen Mindestpreise des Grafen Kanitz
um den Betrag des jetzigen Zolls, also
35 Mk. erhöhen. Stände also Weizen auf
dem Weltmarkts 215, so verkauft das Reich
den ausländischen Weizen im Inlande mit
250 Mark, also zu den Nothstandspreisen
des Jahres 1891! Im klebrigen theilen
sich die Produzenten, die Händler und die
Reichskasse in den Gewinn.
Sehr scharf tritt die „Nat.-Ztg." dem
Plane des Grafen Kanitz entgegen. Sie
weist auf die enorme Steigerung der Ge'
treidepreise hin, die er anstrebe, auf die
außerord entlichen Schwierigkeiten seiner
praktischen Ausführung, auf die unaus
bleiblichen Folgen, die er haben müsse:
„Mit Recht ist bemerkt ivorden, daß die Fest
stellung eines gesetzlich gesicherte» Mindestlohnes
für die große Maste nothdürftig ihr Leben
fristender Arbeiter ungleich gerechtfertigter wäre,
als die Gewährleistung einer Minimalrente des
Grundbesitzes, wie sie der Antrag Kanitz verlangt.
Im Reichstag sind die Bestrebungen der Sozial
demokratie noch niemals so wirksam unterstützt
worden, wie durch diesen Antrag und zwar nicht
nur, weil ein gesetzlicher Minimallohn der Besitz
losen sicherlich gerechtfertigter wäre als die gesetz
liche Mindestrente der Besitzenden, sondern auch
weil die Organisation des Handels mit auslän
dischem Getreide durchaus nur nach dem Modell
deS sozialistischen Zukunstsstaates gedacht werden
könnte und weil die Verstaatlichung des Grund
besitzes für unvermeidlich erachtet werden jmüßte,
wenn er in der That ohne gesetzgeberisch fest
gestellte Getreidepreise nicht mehr bestehen könnte."
Wie oberflächlich aber heuzutage die
„Kreuzztg." verfährt, dafür liefert die
Sonntagsausgabe des Blattes einen höchst
merkwürdigen Kommentar. Auf der einen
Seite des Blattes steht zu lesen:
„Auch mit der ... . gepriesenen Belebung
von Handel und Gewerbe aber ist es nach
unseren Wahrnehmungen nichts. Wie
wir von durchaus zuverlässiger Seite höre», be
ginnt sich selbst da schon, wo man von den neuen
Verkehrsbeziehungen zu Rußland mit mehr Recht
als anderswo etwas erwarten könnte, d. h. in den
Grenzgebieten an der Weichsel, eine große Ent
täuschung geltend zu machen. Der gehoffte
russische „Segen" bleibt eben aus, der Verkehr
hat sich nicht belebt; in den Kauf aber nimmt
man noch den Spott, mit dem russischeI uden
den Abschluß des Vertrages kurzweg auf „Angst"
zurückzuführen sich erlauben, und dergl. mehr."
Auf einer anderen Seite derselben
Nummer liest man:
„Die Anzeichen mehren sich, daß durch die Be
endigung des Zollkrieges der industrielle Unter
nehmungsgeist in Rußland wieder erstarkt. Bei
den russischen wie bei unseren oberschlesi
schen Hüttenwerken hausen sich die Be
stellungen, und die Eisenpreise erhöhen
sich hüben und drüben vrn Woche zu Woche.
Dies Anziehen der Preise hat, wie gewöhnlich zur
Folge, daß Handel und Konsum sich auf weitere
Termine zu heutigen Preisen zu versorgen suchen,
und damit kann, wenn nicht unvorhergesehene
Hindernisse eintreten, eine entschiedene Wrn-
dun g zum Bessern in der ganzen Eisen
industrie gegeben, der todte Punkt überwunden
sein. Die russischen Bestellungen allein, wenn
sie sich auch im Laufe der Zeit noch sehr ver
mehren sollten, genüge» ja nicht, um unserer
Montanindustrie ein sicheres Gedeihen zu verbür
gen, zumal die englische und belgische Konkurrenz
unserer Hütten- und Walzwerke auf anderen Ge
bieten des internationalen Wettbewerbes noch weit
zu unterbieten vermögen. Aber wir haben in
Deutschland selbst, wie wir des Oefteren nach
gewiesen haben, bereits gegen das Jahr 1892
eine wesentliche Besserung des Bedarfs
zu verzeichnen gehabt, und so kommt die rus
sische Nachfrage zu einer Zeit, wo sie für die
Preisbildung von entscheidender Bedeutung sein
kann. Auf anderen Gebieten unserer Produktion,
z. B. in der chemischen Industrie, liegen die Ver
hältnisse ähnlich."
( Die Leser der „Kreuzztg." sind entzückt
von der Ehrlichkeit des führenden Organs
der Agrarier und schimpfen über die „Ver
logenheit der jüdisch-liberalen Presse."
Ausland.
Außereuropäische Gebiete.
Rio de Janeiro, 10. April. Nach hier
vorliegenden Berichten wird die Stadt
Rio Grande in der Provinz Rio Grande
do Sul von 5 Schiffen der Insurgenten
bombardirt. Bvn hier sind deshalb 10
Regierungsfahrzeuge südwärts abgegangen.
Spanien.
Madrid, 10. April. Bei dem Haupt-
sekretär von Manacor auf der Insel Ma°
jorka erfolgte eine Bombenexplosion,
wodurch die zur Wohnung führende Treppe
zerstört wurde. Der Sekretär rettete sich
mit einer Strickleiter. Mehrere Personen
wurden verhaftet. — In den Steinbrüchen
von Bilbao wurden zwei Bomben aufge
funden. Man glaubt, sie seien von Anar
chisten gelegt worden. Einige Hundert Be
schäftigungslose durchziehen die Provinz
Sevilla, die Gendarmerie wurde daselbst
verstärkt.
Oesterreich.
Wien, 10. April. Im Polenklub be-
klagte der Abg. B y k die auffällige Zurück-
setzung jüdischer Beamten. Jüdische
Bewerber um Beamtenstellen erhalten in
allen Zweigen der Verwaltung abschlägige
Bescheide. Den Bewerbern werde direkt
erklärt, daß ihr Religionsbekenntniß ein
Hinderniß bilde und sie wurden aufgefor
dert, die Religion zu wechseln. Die liberale
Partei stehe dieser Frage mit auffallender
geradezu verdächtiger Gleichgültigkeit gegen
über. Prof. Roßkowski appellirt an
den Minister Jaworski, Abhülfe zu schaffen.
Minister Jaworski erwidert, seine Jn-
gerenz erstrecke sich nur auf die Ernennung
höherer Beamten in Galizien; für ihn
persönlich sei nur die Tüchtigkeit und Qua
lifikation der Beamten maßgebend ohne
Rücksicht auf Religion und politische Ueber
zeugung.
Aus Wien berichtet das dortige „Fremden
blatt" vom 4. d. M.: Eine tragikomische
Szene spielte sich gestern Abend am Donau
kanal nächst der Franzensbrücke ab. Ein
etwa 30jähriger Mann stürzte von der
Brücke in den Kanal. Der Pächter der
nächst der Brücke befindlichen Fähre, Herr
Franz Bernhard, der schon 16 Rettungs
werke am Donaukanal vollzogen hat, fuhr
16 Sei« eigen Llut.
Original-Roman von Gustav Lange.
Unter den Kämpfenden befand sich auch Kurt
don Rosenhagen; es war heute das erste
Mal, seit seiner Verwundung, daß er an
einem Gefechte theilnehmen konnte und er
whlte sich wieder wie neugeboren, als er, den
a e f n ™ bcr Hand, allen voran mit seinem
^ Wäldchen anstürmte. Es
stürmenden Deutschen ,
Hagel von Geschoss n. L CLnÄ
Bestürzung, welche die feindlichen Salven an
richteten, war überraschend und veranlaßte
die Stürmenden zum Stillstand; erst als das
Signal „das Ganze avanciren" ertönte und
alle deutschen Abtheilungen gegen den F^d
stürmten, uni dessen Stellung im Anlauf zu
nehmen, konnte der Zug, wenn auch arg durch
den erlittenen Verlust geschwächt, unter Kurts
Führung sich denselben anschließen. —
Noch immer wüthete ein heftiger Kampf
um den Besitz des Waldes, der mit jeder
heftiger zu werden schien — da
pwtzlich entstand in den Reihen der Franzosen
ķ, Bewegung — six begannen zu weichen,
denn den Bajonetten der Deutschen vermochten,
,elbst die Nebcrmacht der Freischaar in ihrer
Stellung nicht zu widerstehen, ihre Reihen
losten sich auf und sie suchten nun ihr Heil
m der Flucht wobet freilich noch mancher
von dem tobtlidjen deutschen Blei erreicht
wurde und sein Leben aushauchte oder
>n Gefangenschaft gcrieth.
An eine Verfolgung des Feindes war
deutscher Seits nicht zu denken, da die Sonne
bereits tief am Horizont stand und Dunkelheit
den schneebedeckten Kampfplatz einzuhüllen be
gann; zudeni die deutschen Soldaten infolge
des dem Gefechte vorangegangenen weiten
Marsches sehr erschöpft waren und durch den
hohen Schncefall und den ziemlich dichten
Wald eine Verfolgung bedeutend erschwert
wurde.
Ermüdet von dem Kampf und dem schnellen
Laufen lehnte sich Kurt von Roscnhagen jetzt
„nach gethaner Arbeit" erschöpft an einen
Baum nnd ließ die wcchselvollen Bilder des
heutigen Tages an feinem geistigen Auge vor
überziehen. Der Tod hatte reiche Ernte ge
halten und wie mancher brave Kamerad, der
am frühen Morgen kampsesmuthig ausgezogen,
lag jetzt sterbend am Boden und sein Blut
färbte den Schnee; er konnte deshalb den
Ausbruch eines weichlichen Gefühls nicht
unterdrücken und eine Thräne rann ihm über die
Wange, als er daran dachte, wie auch sein
treuer Bursche, mit dem er Freuden und
Leiden während des bereits ein halbes Jahr
währenden Krieges getheilt, heute an seiner
. "e gefallen mar. — Aber das ist nun
einmal Soldatenlos! Heute Dir, morgen
Ӕ u ; .~ Signal zum Sammeln cr-
tontc jetzt und Kurt, der fast eine halbe Stunde
starr und halb schlafend an dem Baume ge
lehnt haben mochte, schickte sich an dem Ruf
zu folgen, als em tiefes schmerzliches Stöhnen
and sein Ohr drang, das einem leisen Hilfe
ruf glich. Er wandte sein Auge nach der
Richtung, aus welcher der schmerzliche Ton
gekommen und erblickte einige Schritte entfernt
ein Halbmannes hohes Gebüsch. Er zweifelte
keinen Augenblick daran, daß dahinter ein
vielleicht schwer Verwundeter liege, der dringend
der Hülfe bedürfe, da bei der herrschenden Kälte
ein längeres Liegen auf dem hartgefrorenen
Boden selbst für einen gesunden Menschen
nicht ohne nachtheiligc Folgen war. Sein
Mitgefühl wurde rege und da in unmittel
barer Nähe niemand vom Sanitätskorps zu
sehen war, so eilte er, die eigene Müdigkeit
vergessend, hinzu und sah hinter dem Gebüsch
auf den Boden hingestreckt die Gestalt eines
Mannes, und erkannte beim Nähertreten die
Uniform eines französischen Offiziers.
Er beugte sich tief zu dem Daliegenden
nieder; die Leblosigkeit des Körpers, die fahle
Leichenblässe des von einem dichten wirren
Bart umrahmten Gesichts ließen befürchten,
daß hier wohl der inzwischen eingetretene Tod
seine Hilfe unnöthig gemacht, als das matte
Aufschlagen des bereits dem Erlöschen nahen
Auges ihn eines anderen belehrte.
Mit dem lauten Aufschrei „Frederik" sank
Kurt plötzlich neben den noch immer regungslos
Daliegenden hin nnd suchte mit fieberhafter
Eile Wiederbelebungsversuche anzustellen.
Der Name „Frederik" übte auf den fran
zösischen Offizier eine überraschende Wirkung
aus; sein Körper erzitterte und ersuchte mit
den vor Frost erstarrten Händen eine abwehrende
Bewegung zu machen, aber der eine Arm
war von einer Kugel durchbohrt und sank
schlaff herab.
Nach einigen Minuten öffnete er die Augen
wieder und seine blutlosen Lippen bewegten
sich zu unverständlichen Murmeln. Das
Liegen auf dem Boden bei der Külte und
eine schwere Brustwunde hatten ihn in diesen
leblosen Zustand versetzt; als ihm Kurt jetzt
etwas erwärmenden und stärkenden Wein,
den er mit sich führte, einflößt, begannen die
schwachen Lebensgeister sich wieder etwas zu
erholen.
„Mit mir ist es aus, Kurt," flüsterte nach
einer Weile der Verwundete. „Erweise mir
den letzten Dienst, sofern es in Deiner Macht
steht, sorge für einen Arzt und einige Pflege
für mich, damit ich noch einige Tage dem
Leben erhalten bleibe, wenn dies ärztliche
Kunst vermag," dann schloß er die Augen
und verfiel wieder in die vorige Bewußt
losigkeit.
Kurt von Rosenhagen warmächtig erschüttert,
den einst so sorglosen jungen Lebemann, mit
dem er manchen frohen Tag verlebt hatte,
nach Jahren der Trennung als Feind seines
Vaterlandes, tödtlich verwundet wieder zu
finden und er dachte darüber nach, wie so
seltsam verschlungen dasSchicksal des Menschen
zuweilen ist und sein eigenes an trüben Er
lebnissen reiches und wcchselvolles kam ihm
dabei in den Sinn. Lange noch wirbelten
solche Gedanken in seinem Hirn und erst ein
neuer dumpfer Seufzer des Verwundeten
weckte ihn aus seinem Grübeln und rief dessen
letzten Wunsch in sein Gedächtniß zurück.
Die hereinbrechende Dunkelheit hatte bereits
überhand genommen; weit und breit war kein
menschliches Wesen zu entdecken, da seine
deutschen Kameraden wahrscheinlich in dem
nahen Vrscourt, dessen Lichter bis zu ihm
herüberschimmerten, Quartiere bezogen hatten
und so sah er sich jetzt allein mit einem
Schwcrverwundeten, den: er unter allen Um-
ständen Hülfe bringen mußte; es blieb ihm
darum nur eine Wahl, wollte er nicht erst
nach dem Dorfe eilen, von dort Hülfe her
beizuholen was eine längere Verzögerung
bedingte, er mußte die schwere Last des
Verwundeten auf seine Schultern laden und
so nach Vrscourt tragen, das zum Glück
nicht allzuweit entfernt war.
Einsehend, daß dies das Beste sei, richtete
er den erstarrten Körper Frederik van
Dalenbourgs auf und mit dieser Last beladen
schritt er querfeldein auf den ihm entgegcn-
schimmcrnden Lichtschein zu. Mehr als ein
mal war er nahe daran, zu Boden zu sinken,
aber mit fast übermenschlicher Anstrengung
raffte er den letzten Rest seiner Kraft zusam-
men, um dem einstigen Freunde den letzten
Liebesdienst zu erweisen.
Ein hohes Eisengitter versperrte plötzlich
den Weg und vor ihm tauchten die Umrisse
eines hohen schloßartigen Gebäudes auf, das
fast unheinilich drohend auf ihn herabschaute
nnd er konnte sich eines leichten Schauders
nicht erwehren, als er jetzt vor diesem dunk
len Gebäude stand, in welchem kein Licht
schimmer zu sehen war, wozu der Umstand
noch beitrug, daß er in Feindesland sich be
fand.
Ein rettender Gedanke tauchte in ihm auf;
Frederik van Dalcnbourg war französischer
Offizier und für diesen wollte er ja nur
Hülfe; wenn also dieses Gebäude bewohnt
war, würde man ihm solche gewiß nicht ver
sagen, sollte man auch gegen ihn, als den
verhaßten Deutschen feindselige Absicht hegen,
daran lag ihm nichts, denn es war ihm
jetzt nur darum zu thun, den Verwundeten
unter schützendes Obdach zu bringen, um ihn
nicht länger der verderblichen Kälte auszu
setzen.
Das Gitterthor zeigte sich indeß bei näherer
Untersuchung unverschlossen und mit einem
„Gott sei Dank" folgte er keuchend unter
der schweren Last dem zu dem Gebäude
führenden Weg nnd gleich darauf schallten