Full text: Newspaper volume (1894, Bd. 1)

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-5»> 87ster Jahrgang, chs- 
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werden dem Blatt „Der Landwirth" sonne das 
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3(KK) Abomrentcn. 
Wo. 84. 
Mittwoch, den 11. April 
1894. 
Morgen-Depeschen. 
Altona, 11. April. General Graf v. 
Wälder fee hat anläßlich seines am Sonn 
tag gefeierten 62. Geburtsages vom Kaiser 
einen prachtvollen Ehrensäbel zum Geschenk 
erhalten Der Säbel trägt auf der Klinge 
die Inschrift: „Dem Feinde Trutz! dem 
Freunde Schutz!" 
Berlin, 11. April. Das Staats-Mi 
nisterium hat heute eine Sitzung abgehalten. 
Die Vermuthungen gehen dahin, daß der 
Schluß des Landtages zur Berathung ge- 
kominen ist, bezw. die Feststellung derjenigen 
Regierungs-Vorlagen, deren Durchberathung 
noch bestimmt erfolgen soll. — Wie ein 
hiesiges Blatt wissen will, soll auch die 
Angelegenheit des „Kladderadatsch" zur 
Sprache gekommen und auf Wunsch des 
Kaisers beschlossen sein; von einer Straf 
verfolgung des „Kladderadatsch" Abstand 
zu nehmen. 
Pilsen, 10. April. Die gestern hier ab 
gehaltene Sozialisten-Versammlung verlief 
in überaus stürmischer Weise. Der an- 
iveseude landesfürstliche Commissar wurde 
wiederholt bedroht; die Polizisten bewarf 
man mit Steinen. Erst nachdem Militär 
requirirt worden war, gelang es, die Ruhe 
einigermaßen wieder herzustellen. Es wur 
den zahlreiche Verhaftungen vorgenommen. 
Triest, 10. April. Privatmeldungen aus 
Alexandrien zufolge haben die egyptischen 
Truppen den Gehorsani verweigert und ist 
es infolgedessen schon zu blutigen Zusammen 
stößen gekommen. Die allgemeine Lage ist 
sehr beunruhigend. 
Sofia, 10. April. Die bulgarische Oppo 
sition ist gegenwärtig ungemein rührig und 
fucht mit Rußland ein Bündniß anzu 
bahnen, um Stambulow zu verdrängen. 
Die Haltung der Opponenten gewinnt eine 
besondere Bedeutung durch die eigenthüm 
liche Sprache, welche von den russischen 
Blättern bezüglich Bulgariens geführt 
werde. Die „Köln. Ztg." konstatirt, die 
heutige überaus erbitterte Opposition treibe 
ein gefährliches Spiel, und es sei nicht 
ausgeschlossen, daß der bulgarische Ruf 
nach russischer Hülfe für Rußland sehr ver 
lockend sei, die alte Taktik der nichtamt 
lichen Einmischung wieder zu versuchen. 
Paris, 10. April. „Figaro" publizirt 
das bereits in Aussicht gestellte Interview 
seines römischen Korrespondenten mit dem 
König von Italien. Letzterer soll dem 
Berichterstatter erklärt haben, daß die Po 
lemik in den italienischen und französischen 
Blättern hauptsächlich die Schuld an der 
Mangelhaftigkeit der Beziehungen zwischen 
den beiden Ländern trage. König Hum 
bert erklärte dann weiter: „Zwischen Frank 
reich und Italien bestehen keine Schwierig 
keiten, welche zu Beunruhigungen Anlaß 
geben könnten, sondern im Gegentheil warme 
Sympathien. Ich weiß wohl, daß mau 
mich in Ihrem Lande als Kriegsapostel 
hinzustellen sucht und daß man glaubt, 
Italien werde zuerst die Lunte an das 
Pulverfaß legen. Das ist absurd. Unsere 
Mittel gestatten uns nicht, einen Krieg an- 
zufangen, auch liegt ein solches Vorhaben 
ganz außer unserem Willen. Die Nach 
richten über unsere angeblichen großen 
Rüstungen entsprechen nicht den Thatsachen. 
Frankreich rüstet in viel größerem Maß 
stabe, als Italien." Der König betonte 
zum Schluß, man werde jenseits der Alpen 
anerkennen, daß die alte Freundschaft 
zwischen beiden Völkern noch fortbesteht. 
Besonders hob König Humbert hervor, 
seine friedlichen Absichten würden auch von 
dem österreichischen, dem deutschen nnd 
russischen Kaiser getheilt. 
Paris, 10. April. Die Tagesblätter 
bringen fortgesetzt heftige Artikel anläßlich 
der Unterredung des Korrespondenten des 
„Figaro" mit dem König von Italien und 
über die Begegnung des Letzteren mit den, 
russischen Kaiser. In der Hauptsache sprechen 
sich die Zeitungen dahin aus, daß Italien, 
wenn es durch die Dreibundpolitik finanziell 
gänzlich zu Grunde gerichtet sei, von Frank 
reich keine Hülfe zu erwarten habe und 
daß es die italienische Regierung nicht ver 
wunderlich finden solle, wenn Frankreich 
an . der Grenze beständig mit der Hand 
den Degengriff umspanne. 
In Aütlliz ftniļļ. 
3m Reichstag wurde gestern bei der Be 
rathung des Handelsvertrages mit Uruguay, 
dem auch die Konservativen zustimmen, der 
Antrag des Abg. Grafen Kanitz-Podangen 
auf Verstaatlichung des Handels 
mit ausländischem Getreide gestreift. 
Der Antragsteller sprach die Hoffnung aus, 
die verbündeten Regierungen würden, auch 
ohne daß es dazu eines Reichstagsbeschlusses 
bedürfte, auf diese seine Anregung hin selbst 
den gewünschten Gesetzentwurf eindringen. 
Zweck des Antrages ist ausgesprochener- 
maßen die Festsetzung eines Minimalpreises 
für Getreide von Reichswegen. 
Die „Kreuzztg." nimmt sich des Gedan 
kens mit Wärme an, trotzdem er stark an 
das sozialistische Programm streift, 
wogegen s. Zt. dasselbe Blatt mit solchem 
Haß demonstrirte, wie kaum eine andere 
Zeitung. 
Der ebenfalls konservative „Reichsbote" 
hat dagegen sehr schwere Bedenken gegen 
den Plan. Im Widerspruch mit dem Gra 
sen Kanitz selbst erklärt das Blatt, der 
Antrag bedeute einen „thatsächlichen Bruch 
der Handelsverträge" und eine ungeheure 
Erhöhung der Getreidezölle. Die 
Bertragsstaaten würden sich das schwerlich 
gefallen lassen und mit einem entsprechenden 
Zollaufschlag auf deutsche Waaren ant' 
Worten; wir sehen uns in einen Zollkrieg 
versetzt und zwar mit allen Staaten, mit 
denen wir Verträge abgeschlossen oder denen 
wir dieselben auf Grund der Meistbegün 
stigung gewährt haben. Die Folgen wären 
unabsehbar. In der That deutet die relativ 
geringe Zahl von Unterschriften, welche der 
Antrag Kanitz trägt, darauf hin, daß man 
auch in konservativen Kreisen dem Antrag 
Kanitz kritisch gegenübersteht. 
Sollte der Antrag Kanitz Gesetzeskraft 
erlangen, so muß sich der Konsument wohl 
oder übel darin finden, daß der Weizen in 
Zukunft anstatt um 35 Mark pro Doppel- 
zentner um 107, der Roggen uni 78 Mk. 
gegen den Weltmarktpreis vertheuert wird; 
mit anderen Worten, daß das Opfer, wel 
ches die Konsumenten, d. h. die überwie 
gende Mehrheit der Nation zum Besten der 
Großgrundbesitzer bringen müssen, bei 
Weizen zum Mindesten verdreifacht, bei 
Roggen mehr als verdoppelt wird. Unter 
Umständen, d. h. bei Mißernten im Aus 
lande, d. h. wenn der Weltmarktpreis er 
heblich steigt, kann das Reich beim Ver 
kauf des ausländischen Getreides die vor 
geschlagenen Mindestpreise des Grafen Kanitz 
um den Betrag des jetzigen Zolls, also 
35 Mk. erhöhen. Stände also Weizen auf 
dem Weltmarkts 215, so verkauft das Reich 
den ausländischen Weizen im Inlande mit 
250 Mark, also zu den Nothstandspreisen 
des Jahres 1891! Im klebrigen theilen 
sich die Produzenten, die Händler und die 
Reichskasse in den Gewinn. 
Sehr scharf tritt die „Nat.-Ztg." dem 
Plane des Grafen Kanitz entgegen. Sie 
weist auf die enorme Steigerung der Ge' 
treidepreise hin, die er anstrebe, auf die 
außerord entlichen Schwierigkeiten seiner 
praktischen Ausführung, auf die unaus 
bleiblichen Folgen, die er haben müsse: 
„Mit Recht ist bemerkt ivorden, daß die Fest 
stellung eines gesetzlich gesicherte» Mindestlohnes 
für die große Maste nothdürftig ihr Leben 
fristender Arbeiter ungleich gerechtfertigter wäre, 
als die Gewährleistung einer Minimalrente des 
Grundbesitzes, wie sie der Antrag Kanitz verlangt. 
Im Reichstag sind die Bestrebungen der Sozial 
demokratie noch niemals so wirksam unterstützt 
worden, wie durch diesen Antrag und zwar nicht 
nur, weil ein gesetzlicher Minimallohn der Besitz 
losen sicherlich gerechtfertigter wäre als die gesetz 
liche Mindestrente der Besitzenden, sondern auch 
weil die Organisation des Handels mit auslän 
dischem Getreide durchaus nur nach dem Modell 
deS sozialistischen Zukunstsstaates gedacht werden 
könnte und weil die Verstaatlichung des Grund 
besitzes für unvermeidlich erachtet werden jmüßte, 
wenn er in der That ohne gesetzgeberisch fest 
gestellte Getreidepreise nicht mehr bestehen könnte." 
Wie oberflächlich aber heuzutage die 
„Kreuzztg." verfährt, dafür liefert die 
Sonntagsausgabe des Blattes einen höchst 
merkwürdigen Kommentar. Auf der einen 
Seite des Blattes steht zu lesen: 
„Auch mit der ... . gepriesenen Belebung 
von Handel und Gewerbe aber ist es nach 
unseren Wahrnehmungen nichts. Wie 
wir von durchaus zuverlässiger Seite höre», be 
ginnt sich selbst da schon, wo man von den neuen 
Verkehrsbeziehungen zu Rußland mit mehr Recht 
als anderswo etwas erwarten könnte, d. h. in den 
Grenzgebieten an der Weichsel, eine große Ent 
täuschung geltend zu machen. Der gehoffte 
russische „Segen" bleibt eben aus, der Verkehr 
hat sich nicht belebt; in den Kauf aber nimmt 
man noch den Spott, mit dem russischeI uden 
den Abschluß des Vertrages kurzweg auf „Angst" 
zurückzuführen sich erlauben, und dergl. mehr." 
Auf einer anderen Seite derselben 
Nummer liest man: 
„Die Anzeichen mehren sich, daß durch die Be 
endigung des Zollkrieges der industrielle Unter 
nehmungsgeist in Rußland wieder erstarkt. Bei 
den russischen wie bei unseren oberschlesi 
schen Hüttenwerken hausen sich die Be 
stellungen, und die Eisenpreise erhöhen 
sich hüben und drüben vrn Woche zu Woche. 
Dies Anziehen der Preise hat, wie gewöhnlich zur 
Folge, daß Handel und Konsum sich auf weitere 
Termine zu heutigen Preisen zu versorgen suchen, 
und damit kann, wenn nicht unvorhergesehene 
Hindernisse eintreten, eine entschiedene Wrn- 
dun g zum Bessern in der ganzen Eisen 
industrie gegeben, der todte Punkt überwunden 
sein. Die russischen Bestellungen allein, wenn 
sie sich auch im Laufe der Zeit noch sehr ver 
mehren sollten, genüge» ja nicht, um unserer 
Montanindustrie ein sicheres Gedeihen zu verbür 
gen, zumal die englische und belgische Konkurrenz 
unserer Hütten- und Walzwerke auf anderen Ge 
bieten des internationalen Wettbewerbes noch weit 
zu unterbieten vermögen. Aber wir haben in 
Deutschland selbst, wie wir des Oefteren nach 
gewiesen haben, bereits gegen das Jahr 1892 
eine wesentliche Besserung des Bedarfs 
zu verzeichnen gehabt, und so kommt die rus 
sische Nachfrage zu einer Zeit, wo sie für die 
Preisbildung von entscheidender Bedeutung sein 
kann. Auf anderen Gebieten unserer Produktion, 
z. B. in der chemischen Industrie, liegen die Ver 
hältnisse ähnlich." 
( Die Leser der „Kreuzztg." sind entzückt 
von der Ehrlichkeit des führenden Organs 
der Agrarier und schimpfen über die „Ver 
logenheit der jüdisch-liberalen Presse." 
Ausland. 
Außereuropäische Gebiete. 
Rio de Janeiro, 10. April. Nach hier 
vorliegenden Berichten wird die Stadt 
Rio Grande in der Provinz Rio Grande 
do Sul von 5 Schiffen der Insurgenten 
bombardirt. Bvn hier sind deshalb 10 
Regierungsfahrzeuge südwärts abgegangen. 
Spanien. 
Madrid, 10. April. Bei dem Haupt- 
sekretär von Manacor auf der Insel Ma° 
jorka erfolgte eine Bombenexplosion, 
wodurch die zur Wohnung führende Treppe 
zerstört wurde. Der Sekretär rettete sich 
mit einer Strickleiter. Mehrere Personen 
wurden verhaftet. — In den Steinbrüchen 
von Bilbao wurden zwei Bomben aufge 
funden. Man glaubt, sie seien von Anar 
chisten gelegt worden. Einige Hundert Be 
schäftigungslose durchziehen die Provinz 
Sevilla, die Gendarmerie wurde daselbst 
verstärkt. 
Oesterreich. 
Wien, 10. April. Im Polenklub be- 
klagte der Abg. B y k die auffällige Zurück- 
setzung jüdischer Beamten. Jüdische 
Bewerber um Beamtenstellen erhalten in 
allen Zweigen der Verwaltung abschlägige 
Bescheide. Den Bewerbern werde direkt 
erklärt, daß ihr Religionsbekenntniß ein 
Hinderniß bilde und sie wurden aufgefor 
dert, die Religion zu wechseln. Die liberale 
Partei stehe dieser Frage mit auffallender 
geradezu verdächtiger Gleichgültigkeit gegen 
über. Prof. Roßkowski appellirt an 
den Minister Jaworski, Abhülfe zu schaffen. 
Minister Jaworski erwidert, seine Jn- 
gerenz erstrecke sich nur auf die Ernennung 
höherer Beamten in Galizien; für ihn 
persönlich sei nur die Tüchtigkeit und Qua 
lifikation der Beamten maßgebend ohne 
Rücksicht auf Religion und politische Ueber 
zeugung. 
Aus Wien berichtet das dortige „Fremden 
blatt" vom 4. d. M.: Eine tragikomische 
Szene spielte sich gestern Abend am Donau 
kanal nächst der Franzensbrücke ab. Ein 
etwa 30jähriger Mann stürzte von der 
Brücke in den Kanal. Der Pächter der 
nächst der Brücke befindlichen Fähre, Herr 
Franz Bernhard, der schon 16 Rettungs 
werke am Donaukanal vollzogen hat, fuhr 
16 Sei« eigen Llut. 
Original-Roman von Gustav Lange. 
Unter den Kämpfenden befand sich auch Kurt 
don Rosenhagen; es war heute das erste 
Mal, seit seiner Verwundung, daß er an 
einem Gefechte theilnehmen konnte und er 
whlte sich wieder wie neugeboren, als er, den 
a e f n ™ bcr Hand, allen voran mit seinem 
^ Wäldchen anstürmte. Es 
stürmenden Deutschen , 
Hagel von Geschoss n. L CLnÄ 
Bestürzung, welche die feindlichen Salven an 
richteten, war überraschend und veranlaßte 
die Stürmenden zum Stillstand; erst als das 
Signal „das Ganze avanciren" ertönte und 
alle deutschen Abtheilungen gegen den F^d 
stürmten, uni dessen Stellung im Anlauf zu 
nehmen, konnte der Zug, wenn auch arg durch 
den erlittenen Verlust geschwächt, unter Kurts 
Führung sich denselben anschließen. — 
Noch immer wüthete ein heftiger Kampf 
um den Besitz des Waldes, der mit jeder 
heftiger zu werden schien — da 
pwtzlich entstand in den Reihen der Franzosen 
ķ, Bewegung — six begannen zu weichen, 
denn den Bajonetten der Deutschen vermochten, 
,elbst die Nebcrmacht der Freischaar in ihrer 
Stellung nicht zu widerstehen, ihre Reihen 
losten sich auf und sie suchten nun ihr Heil 
m der Flucht wobet freilich noch mancher 
von dem tobtlidjen deutschen Blei erreicht 
wurde und sein Leben aushauchte oder 
>n Gefangenschaft gcrieth. 
An eine Verfolgung des Feindes war 
deutscher Seits nicht zu denken, da die Sonne 
bereits tief am Horizont stand und Dunkelheit 
den schneebedeckten Kampfplatz einzuhüllen be 
gann; zudeni die deutschen Soldaten infolge 
des dem Gefechte vorangegangenen weiten 
Marsches sehr erschöpft waren und durch den 
hohen Schncefall und den ziemlich dichten 
Wald eine Verfolgung bedeutend erschwert 
wurde. 
Ermüdet von dem Kampf und dem schnellen 
Laufen lehnte sich Kurt von Roscnhagen jetzt 
„nach gethaner Arbeit" erschöpft an einen 
Baum nnd ließ die wcchselvollen Bilder des 
heutigen Tages an feinem geistigen Auge vor 
überziehen. Der Tod hatte reiche Ernte ge 
halten und wie mancher brave Kamerad, der 
am frühen Morgen kampsesmuthig ausgezogen, 
lag jetzt sterbend am Boden und sein Blut 
färbte den Schnee; er konnte deshalb den 
Ausbruch eines weichlichen Gefühls nicht 
unterdrücken und eine Thräne rann ihm über die 
Wange, als er daran dachte, wie auch sein 
treuer Bursche, mit dem er Freuden und 
Leiden während des bereits ein halbes Jahr 
währenden Krieges getheilt, heute an seiner 
. "e gefallen mar. — Aber das ist nun 
einmal Soldatenlos! Heute Dir, morgen 
Ӕ u ; .~ Signal zum Sammeln cr- 
tontc jetzt und Kurt, der fast eine halbe Stunde 
starr und halb schlafend an dem Baume ge 
lehnt haben mochte, schickte sich an dem Ruf 
zu folgen, als em tiefes schmerzliches Stöhnen 
and sein Ohr drang, das einem leisen Hilfe 
ruf glich. Er wandte sein Auge nach der 
Richtung, aus welcher der schmerzliche Ton 
gekommen und erblickte einige Schritte entfernt 
ein Halbmannes hohes Gebüsch. Er zweifelte 
keinen Augenblick daran, daß dahinter ein 
vielleicht schwer Verwundeter liege, der dringend 
der Hülfe bedürfe, da bei der herrschenden Kälte 
ein längeres Liegen auf dem hartgefrorenen 
Boden selbst für einen gesunden Menschen 
nicht ohne nachtheiligc Folgen war. Sein 
Mitgefühl wurde rege und da in unmittel 
barer Nähe niemand vom Sanitätskorps zu 
sehen war, so eilte er, die eigene Müdigkeit 
vergessend, hinzu und sah hinter dem Gebüsch 
auf den Boden hingestreckt die Gestalt eines 
Mannes, und erkannte beim Nähertreten die 
Uniform eines französischen Offiziers. 
Er beugte sich tief zu dem Daliegenden 
nieder; die Leblosigkeit des Körpers, die fahle 
Leichenblässe des von einem dichten wirren 
Bart umrahmten Gesichts ließen befürchten, 
daß hier wohl der inzwischen eingetretene Tod 
seine Hilfe unnöthig gemacht, als das matte 
Aufschlagen des bereits dem Erlöschen nahen 
Auges ihn eines anderen belehrte. 
Mit dem lauten Aufschrei „Frederik" sank 
Kurt plötzlich neben den noch immer regungslos 
Daliegenden hin nnd suchte mit fieberhafter 
Eile Wiederbelebungsversuche anzustellen. 
Der Name „Frederik" übte auf den fran 
zösischen Offizier eine überraschende Wirkung 
aus; sein Körper erzitterte und ersuchte mit 
den vor Frost erstarrten Händen eine abwehrende 
Bewegung zu machen, aber der eine Arm 
war von einer Kugel durchbohrt und sank 
schlaff herab. 
Nach einigen Minuten öffnete er die Augen 
wieder und seine blutlosen Lippen bewegten 
sich zu unverständlichen Murmeln. Das 
Liegen auf dem Boden bei der Külte und 
eine schwere Brustwunde hatten ihn in diesen 
leblosen Zustand versetzt; als ihm Kurt jetzt 
etwas erwärmenden und stärkenden Wein, 
den er mit sich führte, einflößt, begannen die 
schwachen Lebensgeister sich wieder etwas zu 
erholen. 
„Mit mir ist es aus, Kurt," flüsterte nach 
einer Weile der Verwundete. „Erweise mir 
den letzten Dienst, sofern es in Deiner Macht 
steht, sorge für einen Arzt und einige Pflege 
für mich, damit ich noch einige Tage dem 
Leben erhalten bleibe, wenn dies ärztliche 
Kunst vermag," dann schloß er die Augen 
und verfiel wieder in die vorige Bewußt 
losigkeit. 
Kurt von Rosenhagen warmächtig erschüttert, 
den einst so sorglosen jungen Lebemann, mit 
dem er manchen frohen Tag verlebt hatte, 
nach Jahren der Trennung als Feind seines 
Vaterlandes, tödtlich verwundet wieder zu 
finden und er dachte darüber nach, wie so 
seltsam verschlungen dasSchicksal des Menschen 
zuweilen ist und sein eigenes an trüben Er 
lebnissen reiches und wcchselvolles kam ihm 
dabei in den Sinn. Lange noch wirbelten 
solche Gedanken in seinem Hirn und erst ein 
neuer dumpfer Seufzer des Verwundeten 
weckte ihn aus seinem Grübeln und rief dessen 
letzten Wunsch in sein Gedächtniß zurück. 
Die hereinbrechende Dunkelheit hatte bereits 
überhand genommen; weit und breit war kein 
menschliches Wesen zu entdecken, da seine 
deutschen Kameraden wahrscheinlich in dem 
nahen Vrscourt, dessen Lichter bis zu ihm 
herüberschimmerten, Quartiere bezogen hatten 
und so sah er sich jetzt allein mit einem 
Schwcrverwundeten, den: er unter allen Um- 
ständen Hülfe bringen mußte; es blieb ihm 
darum nur eine Wahl, wollte er nicht erst 
nach dem Dorfe eilen, von dort Hülfe her 
beizuholen was eine längere Verzögerung 
bedingte, er mußte die schwere Last des 
Verwundeten auf seine Schultern laden und 
so nach Vrscourt tragen, das zum Glück 
nicht allzuweit entfernt war. 
Einsehend, daß dies das Beste sei, richtete 
er den erstarrten Körper Frederik van 
Dalenbourgs auf und mit dieser Last beladen 
schritt er querfeldein auf den ihm entgegcn- 
schimmcrnden Lichtschein zu. Mehr als ein 
mal war er nahe daran, zu Boden zu sinken, 
aber mit fast übermenschlicher Anstrengung 
raffte er den letzten Rest seiner Kraft zusam- 
men, um dem einstigen Freunde den letzten 
Liebesdienst zu erweisen. 
Ein hohes Eisengitter versperrte plötzlich 
den Weg und vor ihm tauchten die Umrisse 
eines hohen schloßartigen Gebäudes auf, das 
fast unheinilich drohend auf ihn herabschaute 
nnd er konnte sich eines leichten Schauders 
nicht erwehren, als er jetzt vor diesem dunk 
len Gebäude stand, in welchem kein Licht 
schimmer zu sehen war, wozu der Umstand 
noch beitrug, daß er in Feindesland sich be 
fand. 
Ein rettender Gedanke tauchte in ihm auf; 
Frederik van Dalcnbourg war französischer 
Offizier und für diesen wollte er ja nur 
Hülfe; wenn also dieses Gebäude bewohnt 
war, würde man ihm solche gewiß nicht ver 
sagen, sollte man auch gegen ihn, als den 
verhaßten Deutschen feindselige Absicht hegen, 
daran lag ihm nichts, denn es war ihm 
jetzt nur darum zu thun, den Verwundeten 
unter schützendes Obdach zu bringen, um ihn 
nicht länger der verderblichen Kälte auszu 
setzen. 
Das Gitterthor zeigte sich indeß bei näherer 
Untersuchung unverschlossen und mit einem 
„Gott sei Dank" folgte er keuchend unter 
der schweren Last dem zu dem Gebäude 
führenden Weg nnd gleich darauf schallten
	        
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