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JnsertionSpreiS: pro Petitzeile 15
-n> 87ster Jahrgang.
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Wo. 63.
Donnerstag, den 15. März
1894.
Morgen-Depeschen.
Berlin, 14. März. Heute Mittag hielt
der Kaiser über bas Alexander-Garde-Grc-
nadier-Regiment Nr. 1, welchem er vor
Kurzem die historischen Grenadiermützen
verliehen, im Lustgarten eine Parade ab
In einer Ansprache an das Regiment be
tonte der Monarch, er habe dem Regiment
die Mützen als Ziechen seiner Anerkennung
verliehen. Er erwarte, daß die Grenadiere
der Geschichte des Regiments stets eingedenk
seien, dem Vaterlande stets Ehre machen
werden und bei Angriffen äußerer und
innerer Feinde stets treu zu ihrem Kaiser
stehen. Der Oberst des Regiments erwi
derte, daß die Grenadiere stets ihre Pflicht
thun würden und schloß mit einem Hurrah
auf den Kaiser. — Allgemein ist es auf
gefallen, daß während des ganzen Zeit
raumes ein russischer General neben dem
Kaiser stand, mit welchem sich der Monarch
angelegentlichst unterhielt und ihm wieder
holt die Hand schüttelte.
Berlin, 14. März. Ueber die Reise-
Pläne des Kaisers für den Sommer ver
lautet, daß diesmal mit der Nordlandreise
auch ein Besuch von Finland verbunden
sein soll.
Berlin, 14. März. In den Kreisen der
Berliner Anarchisten zirkulirt die Nachricht,
daß^die Polizei in kürzester Zeit energische
Maßregeln gegen den Anarchismus vor
nehmen werde. Aus sicherster Quelle lvollen
die Anarchisten wissen, daß u. A. auch das
Erscheinen des „Sozialist" polizeilich ver-
boten werden solle. Auf diese Meldung
hin werden schon jetzt alle Vorbereitungen
getroffen, um das Blatt int Falle der Kon-
stsziriiug im Auslande Herstellen lassen zu
können. Die Flucht Wilhelm Werner's
welche unter Beihülfe der Genossen in's
Werk gesetzt war, soll hiermit eng zusammen
hängen, da Werner, wie bekannt, der re-
daktionelle Leiter, Drucker und Verleger des
„Sozialist" gewesen ist.
Thorn, 14. März. Heute Morgen wurde
der Kossäth Jakob Malinowski, der Mörder
des Frhrn. v. d. Goltz, durch den Scharf
richter Reindel aus Magdeburg hingerichtet.
Wie», 14. März. Unter den städtischen
Feuerwehrleuten greift die Mißstimmung
über die ablehnende Haltung des Gemeinde-
raths immer weiter um sich. Falls die
Forderungen wegen Verbesserung der ma
teriellen Lage durch den Gemeindcrath iu
einen Streik eintreten.
Abazzia, 14. März. Da sich das Wetter
gebessert hat, konnte die Kaiserin bereits
Spazierfahrten unternehmen. Sie drückte
wiederholt ihre Zufriedenheit über den
Aufenthalt in Abazzia aus. Wie hier ver
lautet, beabsichtige die hohe Frau, länger
als ursprünglich geplant, möglicherweise
drei Monate hier zu verweilen
Brüssel, 14. März. Der „Courier"
meldet aus Lüttich, daß mehrere neue
choleraverdächtige Fälle vorgekommen sind;
ein Todesfall ist bisher noch nicht zu ver
zeichnen.
Paris, 14. März. Der Anarchist Henry
schreibt im Gefängniß ein Buch, betitelt
„Anarchismus des 19. Jahrhunderts und
der kommenden Jahrhunderte."
Loudon, 14. März. Wie aus Rio de
Janeiro gemeldet wird, haben sich die
Insurgenten nunmehr ergeben, nachdem
die Regierungsflotte deren Schiffe stunden
lang bombardirt hat. Nach heftigem
Kampfe hißten die Aufständischen die
weiße Flagge auf und traten mit dem
Präsidenten Peixoto in Unterhandlungen,
um den Frieden abzuschließen. Admiral
de Gama erwartet auf dem portugiesischen
Kriegsschiffe die Entschließung Peixotos,
welcher noch immer großes Mißtrauen
hegt, da de Gama in den Südstaaten Geld
und neue Anhänger erwerben könnte. Die
Offiziere der Jnsurgentenschiffe haben sich
größtentheils auf fremde Kriegsschiffe be
geben.
Deutl er Reichstag.
l. Sitzung
Berlin, 14. März.
Die zweite Berathung des Reichshaushalts-
tats wird beim litat der Zölle und Berbrauchs-
steuern, sowie der Lversc fortgesetzt.
Schatzsekretär Grasv. Posadowski-Wehner:
Mit Rücksicht ans die allgemeine Geschäftslage
und auf die Erfahrungen mit dem Posteiat beab
sichtige Redner nicht, gegen die Beschlüsse der
Budgetkommission noch anzukämpfen. Die Re
gierung halte nach wü vor ihre Berechnung für
richtiger und solider. Redner wolle nicht bestrei
ten, das; die Einnahmen aus der Zuckersteuer 3
Millionen mehr betraget, werde, aber es sei nicht
angebracht, die Veranschlagung auf das Höchst
möglichste zu berechnen, weil dann für etwaige
außeretatsmäßige Ausgaben gar kein Spielraum
bleibe. Redner bitte in erster Linie dem Vor
schlag der Regierung zuzustimmen, ev. aber den
Antrag Pansche anzunehmen. Auch bestreite Red (Lebhafter Beifall rechts) Die Art der Steuer
unrichtig, weil inzwischen das Gesetz von 1892
die Zuckersteuer auf eine ganz andere Grundlage
gestellt habe. Die Production werde zunehmen,
der Konsum sei von 9,5 Kg. per Kopf der Be
völkerung aus 9,9 Kg. gestiegen. Der Januar
des laufenden Jahres biete eine erhebliche Mehr
einnahme.
Abg. Kard o r ff (R.-P.) bezeichnet die Erhöhung
des Titels um 5 Millionen als einen ganz will
kürlichen Akt. der geeignet sei, ein ganz unrichti
ges Bild unserer finanziellen Lage zu ergeben.
Abg. Richter (freist Volksp.) erwidert, die
Vorschläge der Kommission bezweckten gerade, ein
richtiges Bild des Etats zu geben. Gerade die
Zuckersteuer gestatte eine annähernd richtige
Schätzung.
Schatzsekretär Graf v. Posado wski-Mehner,
Darauf, daß er, Redner, die Möglichkeit einer
höheren Einnahme zugebe, dürfe man doch nicht
den Staat basiren. Er bedürfe einer sicheren
Grundlage. Wollte man mit Möglichkeiten rech
nen, so würde man zu einem chronischen Defizit
kommen.
Abg. Richter: Er meine, die beantragte Er
höhung durch die Kommission um 5 Millionen
sei noch sehr bescheiden, mar. hätte den Anschlag
um 10 Millionen erhöhen können, aber die Kom
mission habe möglichst sicher gehen wollen.
Abg. Kardorff (R.-P.) erklärt sich mit dem
Vorschlage Paaschen einverstanden Den Antrag
der Kommission halte er für unrichtig und über
trieben.
Nach einigen weiteren Beiilerkungen der Abgg.
Richter, Panschen und v. Kardorff wird der Antrag
der Budgetkommission angenommen.
Bei Titel 51> (Branntweinverbrauchsabgaben,
Zuschlag zu derselben) beantragen die Abgg. Auer
und Genossen: Der Reichstag wolle den Reichs
kanzler ersuchen, nach jeder Neubemessung der
Jahresmengen an Branntwein, die die einzelnen
Brennereien während der Kontingentsperiode zum
niedrigeren Satze der Verbrauchsabgabe herstellen
dürfen, spätestens bis Schluß des Betriebsjahres
dem Reichstage ein nach Steuerdirektivbezirken
und für jeden Steuerdirektivbezirk nach der Höhe
des Kontingents geordnetes Verzeichniß ' der
Brennereien vorzulegen, deren Kontingents minde
stens 200 Hektoliter betrügt, unter Abgabe von
Namen und Wohnsitz des Unternehmers jeder
Brennerei, die nach ihrer Eigenschaft als land-
wirthschaftliche oder gewerbliche aufzuführen ist.
Abg. Dr. Schönlank (Soz.) bezeichnet als
Zweck des Antrags, endlich einmal zu erfahren,
wer eigentlich die Stipendiaten der Liebesgabe
eien. Der Reichstag habe ein Börsenrcgisür
verlangt. Seine Partei sei damit einverstanden,
verlange aber dagegen ein Liebesgaben-Schnaps-
register. Die Kosten würden nicht hoch sein,
höchstens 800—600 Jt
Staatssekretär von Posadowsky: Er glaube
dem Hause einen Gefallen zu thun, wenn er auf
die Frage der Liebe-gabe jetzt nicht eingehe.
sich die Contingcntirung aus die einzelnen Pro
vinzen in Bezug auf die Höhe vertheile, sei schon
von dem Abg. Barth vorgebracht worden. Ein
solches Verzeichniß sei im Jahre 1890/91 dem
Hause vorgelegt und die Regierung werde jeder
zeit bereit sein, es bis auf die Gegenwart sortzu-
sühren. Herr Schönlank wolle nicht nur einen
Adreßkalender von Contingentinhabern, sondern
eine Proscriptionsliste derselben. (Lebhafter Bei
fall rechts.) Für Schönlank habe die Sache keine
sozialpolitische, sondern nur eine agitatorische Be
deutung. (Unruhe bei den Sozialdemokraten,
lebhafter Beifall rechts.) Es scheine ihm, daß
diesem Antrage nur der Versuch zu Grunde
liege, in die gewerblichen Verhältnisse des Ein
zelnen einzudringen und sie klarzustellen, wie dies
bei keinem anderen Gewerbe der Fall sei. Das
ginge weit über die berechtigten Wünsche hinaus
und die verbündeten Regierungen würden sich
dazu nicht entschließen. (Lebhafter Beifall rechts.)
Abg. von Kardorff (R.-P.): Er werde nach
Ostern eine Abänderung des Branntweinbesteue-
rungsgesetzes dahin beantragen, daß man nicht
mehr von einer Liebesgabe sprechen könne.
Abg. Schön lank (Soz.): Auf den Namen
komme es nicht an, ein Trinkgeld bleibe unter
jedem Namen ein Trinkgeld.
Der Titel, sowie der Rest deS Etats und der
Etat der Reichsstempelabqabe werde ohne weitere
Debatte bewilligt.
Das Haus geht nun über zu dem Titel Er
richtung eines Nationaldenkmals für Kaiser Wil
helm I., I. Rate, 1,100,000 Mk.
Die Commission schlägt vor, den Titel wie
folgt zu fassen: Einmalige Bewilligung von 4
Millionen zur Errichtung eines Reiterstandbildes
für Kaiser Wilhelnt I., '1. Rate, 1,100,000 Mk.
ner, daß durch die hohe Veranschlagung des Etats
durch die Kommission die Frage der Kostendeckung
der Militürvorlage und des.Defizits gelöst werde.
Die Frage sei nicht gelöst sondern nur ver
schoben.
Abg. Richter (freist Volksp.) stellt das Letztere
in Abrede, jedenfalls sehe man jetzt klarer. Wenn
die Regierung sich bei ihrer Veranschlagung auf
den dreijährigen Durchschnitt Ritze, so sei dies
und die Contingentirung ließen sich jeden Augen
blick durch den Nachweis rechtfertigen, wie sich
die Verwerthung der Kartoffeln zur Spiritus-
production stelle und daß, wenn die Brennereien
weiter belastet würden, der Kartoffelbau im gegen
wärtigen Umfang nicht mehr möglich sei. (Leb
hafter Beifall rechts). Damit werde der größte
Theil der Landwirthschaft überaus geschädigt
werden. Ter Gedanke eines Nachweises, wie
Ausland.
Außereuropäische Gebiete.
Rio de Jauciro, 14. März. Gestern
Nachmittag bombardirten die Regie
rungsforts aufs heftigste die Forts der
Insurgenten, die das Feuer nicht erwider
ten. Um 4 Uhr lief das Regierungsge-
schlvader in die Bai ein und nun strichen
die Schiffe und Forts der Insurgenten
die Flagge. Die Offiziere der Aufständi-
schen zöget, sich^auf die französischen und
portugiesischen Schiffe zurück. Der Ad-
miral da Gama soll sich an Bord des
englischen Kreuzers „Sirius" befinden.
Yokohama. Die japanischen Blätter
bringen eine Meldung von Korea, derzufolge
ein Komplott zur Ermordung des Königs,
des Thronfolgers und der Staatsminister
entdeckt morden ist. Die Verschwörer
wollten Schießpulver in den Schrein der
Vorfahren des Königs legen und auf diese
Weise den gesammten Hof in die Luft
sprengen. Es sind 100 Personen verhaftet,
die in die Verschwörung verwickelt sein
sollen.
Ein schlimmes Ende hat nach Mel
dungen ausAmerika der frühere berliner Haus
eigenthümer und Besitzer der Segelyacht
„Störtebecker", Paasche, genommen, der
unter Zurücklassung seiner Familie mit
einer Summe von etwa 15000 Mk. und
einer Bierdonna nach Amerika gegangen
war. Paasche ist dort von seiner Be
gleiterin, die ihm sein Geld gestohlen hatte,
verlassen worden, und hat sich aus Ver<
ziveiflung darüber das Leben genommen,
şşraukretm.
Im Madeleine-Hotel in Paris brach dieser
Feuer aus, das eine große Panik hervor
rief unter den Gästen. Um Mitternacht
wurden diese durch starken Rauchgeruch ge
weckt, an der Flucht jedoch dadurch ver
hindert, daß das Treppenhaus in vollen
Flammen stand. Die Feuerwehr löschte
den Brand und konnte die Damen, die zum
Fenster hinausspringen wollten, bei Zeiten
retten und weiteres Unheil verhüten.
Italien.
Während eines Begräbnisses stürzte
in Grossotto in der italienischen Provinz
Sondrio am Dienstag ein Theil der Um
fassungsmauer des Friedhofes ein und ver
schüttete zahlreiche Personen, von denen 5
getödtet und 36 verwundet wurden.
England.
Der „Entdecker der Affensprache", Mr.
Garner, hat in London in der Prinzeß
Hall einen Vortrag über seine neuen „epoche
machenden" Forschungen gehalten. Er er
zählte, daß er sich tvieder nach Afrika be
geben wolle, um noch mit anderen Gorillas
zu „sprechen", obwohl er, wie er mit Stolz
sagen könne;, deren schon mehr gesehen habe,
als irgend ein anderer Forscher. Er werde
wieder seinen Käfig benutzen, der gegen
wärtig einem Negerstamme als Fetischtempel
dient. Außerdem werde er den ihm gege
benen Rath befolgen und sich schwarz
arbeit, weil da die Gorillas ein
größeres Zutrauen hätten! Im
Uebrigen habe er bemerkt, daß sein kleiner
Neger die beiden Chimpanses, welche Mr.
Garner's intimste Freunde sind, weit besser
verstehe, als er, der Professor selber. Diese
Chimpanses — „Moses" und „Aron" —
verstehen bereits, sich verständlich auszu
drücken und verlangen beispielsweise „Bier,
Brod, Tabak" in ganz bestimmten, leicht
unterscheidbaren Lauten. In Borneo, wohin
Mr. Garner dann auch gehen will, sollen
„Aron" und „Moses" seinen Käfig theilen,
damit der „Professor" auf diese Art auch
Gespräche zwischen civilisirten und un-
" Inte fisi’iuViita Misse.
Kriminal Novelle von Gustav Höcker.
„In der Nacht, die diesem Auftritte folgte,
wurde meine Mutter ermordet," sagte Rudolf
schaudernd. „Ohne die Tante hätten wir
me erfahren, daß zwischen Beiden eine so
Nsgc Scene vorgefallen und daß Flora die
1 c von der Mutter gekündigt worden
S "ly Züllicke, dessen Haar man noch in
' iênc K???. Ermordeten fand, dessen ab-
gcuffene Kravatte auf ihrem Bette lag, dessen
Behauptung, mit Kandier um die Zeit des
Mordes «nt Grünen Kreuz znsammenAtroffen
zu sein, so schmählich Lügen gestraft wurde
— hatte der etwa am Tage vorher keinen
Auftritt mit Deiner Mutter gehabt? Es war
ganz klug von Flora, über ihr eigenes
Aergerniß zu schweigen. Oder hätte sic an
gesichts der Todten den ganzen Zank noch
einmal aufwärmen sollen, hätte sie sich an
die Aufkündigung einer Stelle, in der sic ihr
Brot verdiente, binden sollen, da nach dem Tode
der Mutter die Kündigung doch null und
nichtig war? Wie?"
„Die Stunde ist zu diesen Erörterungen
schlecht gewählt, Vater," sagte Rudolf mit
einem bitterm Lächeln. „Du bist in der
Hochzeitsstimmting, Du sichst Dich am Ziele
T einet Wünsche und hast natürlich kein Auge
für den Flecken des Verdachts, der plötzlich
aus Deine Braut fällt. Es würde ja Dein
Glück vernichten. Ich aber sehe mit den Augen
des Sohnes, den seine Mutter liebte, trotz
aller Eigenheiten, die ihr anhaften, und der
sich vor dem Gedanken entsetzt, vielleicht ihre
Mörderin an ihre Stelle treten zu sehen."
„Nein, ich will Dir sagen, mit was für
Augen Du die Sache ansiehst," raunte Brcdow
dem Sohne zu^dicht an denselben herantretend:
dm Augen des Eifersüchiigm, der die
schöne Braut lieber selbst heimgeführt hätte,
und dem es, da er dies nicht kann, große
Freude machen würde, durch einen schändlichen
Verdacht die Hochzeit zu stören und das
Mädchen, welches dem Vater vor dem Sohne
den Vorzug gab, in unsägliches Elend zu
stürzen. Das sind die Augen, mit denen
Du siehst!"
„Eine Antwort hierauf wäre meiner un
würdig!" entgegncte Rudolf mit männlicher
Offenheit und folgte feinem Vater in das
Zimmer zurück, wo die kleine Hochzeitsgesell
schaft versammelt war.
Bald darauf rasselten die Wagen nach dem
Rathhausc und von da zur Kirche.
VIII.
„Ei, Gott zum Gruße! Also endlich
wieder zurück von der Hochzeitsreise? Na,
das ist ja erfreulich. Wie lange warm Sie
mn fort? Drei Wochen? Immer gutes
Reisewetter gehabt?"
Mit diesen Worten wurde Herr Bredrw
'egiiißt, als er sich nach mchrwöchentlick'er
Abwesenheit nt der neben seinen, Hause ge-
lcgenen Brauern zu einem Abmdtrunke einsund.
Die Begrüßenden waren Doktor Scheffer
der erste Arzt des Stüdchms, und der Bürger
meister.
„Wann sind Sic denn gekommen?" frug
der Letztere, nachdem Brcdow am Tische ^latz
genommen hatte.
„Vor einer Stunde," war die Antwort.
„Da haben Sie wohl auch schon von
dem neuesten Ercigniß gehört", frug Doktor
Scheffer.
„Ein Grenzjäger sei im Walde erschossen
worden, sagt man mir."
„Vorgestern Nacht."
Ist der Thäter schon ermittelt.
„Nein."
Wahrscheinlich war's ein Schmuggler?"
„Das ist außer Zweifel."
„Den wird man schwerlich erwischen,"
meinte Brcdow, „cs giebt ihrer zu viel in
unserer Gegend."
„Dieser Eine ist aber gezeichnet," bemerkte
der Bürgermeister. „Er ist verwundet denn
cs fanden sich Blutspuren."
„Konnten die nicht von dem erschossenen
Grenzjägcr herrühren? "
„Nein,die Leiche lag zwanzig Schritt davon.
Aller Wahrscheinlichkeit nach hat der Grcnz-
jäger zuerst geschossen und den Mann ver
wundet. Dieser hat dann ebenfalls Feuer
gegeben —"
„Mit Mordwaffen sind ja diese Burschen
immer versehen —"
„Und hat seinen Gegner gleich tödtlich
getroffen."
„Wo ist denn eigentlich die That geschehen?"
erkundigte sich Brcdow.
„Gar nicht weit vom Grünen Kreuze."
„Konnte man die Bliitspuren nicht ver
folgen?"
«Nur fünfzig bis sechzig Schritt weit, bis
zum Bache. Dort hörten sie auf. Am
Bache hat der Schmuggler seine Wunde jeden
falls gewaschen und verbunden."
„Könnte es übrigens nicht auch ein Wilderer
gewesen sein?" meinte Bredow.
„Nein, den» man hat die Hucke mit dem
ganzen Waarcninhalt in dem Gebüsch beim
Grünen Kreuz versteckt gesunden. Die Last
ist dem Verwundeten offenbar zu schwer ge
worden."
„Wie cs scheint, soll unser Städtchen gar
nicht mehr aus der Aufregung herauskommen,"
bemerkte Bredow. „Nächsten Monat kommt
übrigens Züllickc vor's Schwurgericht. Bin
gespannt, was es absetzen wird, ob Zucht
haus oder —"
„Der wird zum Tode vcrurtheilt, das ist
ja selbstverständlich," fiel der Bürgermeister
ein. „Vollendeter Mord mit vorausbedachter
Absicht. Der Vertheidiger wird einen sehr
schweren Stand haben."
„Hat sich noch kein Käufer für Ihr Ge
schäft gefunden, Herr Bredow?" frug der
Arzt.
„Es haben sich schon mehrere gemeldet,"
gab der Gefragte zur Antwort, „aber ich
konnte mich noch mit keinem einigen, die
Angebote waren mir zu niedrig. Mein
Sohn freilich — der gäb's billig her, wenn's
auf ihn allein ankäme; der weiß noch nicht,
wie schwer Geld zil verdienen ist, und kann's
nicht erwarten, in die weite Welt hinans-
zufliegcn."
„So hält er also an btefent Plane fest?"
„Jawohl," nickte Brcdow. „Ich gehe
übrigens ebenfalls stark mit dem Gedanken
einer Ortsveränderung uni."
„Oho!" rief der Bürgermeister, „Sie
werden uns doch nicht untren werden wollen."
„Wird wohl so kommen," bekräftigte
Brcdow. „Ich will nach B. ziehen. Einer
jungen Frau muß nian doch etwas bieten,
hier gefällt cs ihr nicht mehr."
Eben trat die Wirthin an den Tisch, um
ebenfalls den zurückgekehrten Nachbar zu be
grüßen, worauf sic sich an den Arzt wandte
mit der thciliichmcndcn Frage: „Es steht
wohl sehr schlimm mit dem Kinde? Soeben
hat Jette Kandier wieder Eis bei uns ge
holt. Heute schon zum dritten Male."
Doktor Scheffer schüttelte etwas verwundert
den Kopf. „Ich weiß von nichts."
„Haben Sie denn das Kind nicht in
Behandlung, Herr Doktor?" frug die Wir
thin. „Es hätte Gehirnentzündung, sagte
mir die Frau, als ich sie frug, wozu sie
das Eis braucht."
„Hm! DaS ist doch unverantwortlich,"
wunderte sich der Arzt, „bei einem so
schweren Krankheitsfälle nicht einmal den
Arzt zu Rathe zu ziehen. Ich begreife diese
Leute nicht! Sic haben schon ein Kind
verloren, das ich ihnen vielleicht retten konnte,
wenn sie mich gerufen hätten, aber diese
traurige Erfahrung scheint sie nicht klüger
gemacht zu haben."
„Lieber Himmel, es ist ja auch nur die
Stiefmutter," sagte die Wirthin unter be
dauerndem Achselzucken. Die hat kein Herz
für die Kinder!"
„^pch will doch einmal nach der Kleinen
sehen," murmelte Doktor Scheffer. Er trank
sein Bier ans, bezahlte, empfahl sich der
Gesellschaft und ging.
Es war in der siebenten Abendstunde,
aber schon herrschte vollständige Dunkelheit,
denn nian befand sich in der ersten Hälfte
b/ö Oktobers. Die Lüden in dem Kandler'schen
Häuschen waren geschlossen, doch schinimcrte
Licht hindurch. Der Arzt mußte wiederholt
klopfen.
___ „Wer ist da?" ftug endlich Jette's
Stimme.
„Doktor Scheffer," tönte die Antwort.
Es dauerte eine Weile, ehe von Innen
der Riegel zurückgeschoben wurde und Jette
den Ankömmling einließ. Sie war über den