Wo. 50.
Mittwoch, den 28. Jebrucrr
1894.
Morgen-Depeschen.
Berlin, 27. Febr. Die Kaiserin hat
dem Vorstand des Vaterländischen Frauen-
Vereins in Kiel 500 Mk. als Beitrag zu
der Sammlung für die Hinterbliebenen der
auf der „Brandenburg" Verunglückten über
wiesen.
Berlin, 27. Febr. Die „Nordd. Allg.
Ztg." bezeichnet die gestrige Meldung der
„Voss. Ztg-", wonach sich der Finanz-
Minister Miguel in einem Privatgespräch
gegen die Handelsvertragspolitik ausge
sprochen haben sollte, als unwahr und fügt
hinzu, daß alle preußischen Minister von
der Nothwendigkeit der Annahme des deutsch
russischen Handelsvertrages überzeugt seien
und jederzeit dementsprechend gehandelt
hätten. Auch die Meldung der „Voss Ztg."
über die Haltung des Finanzministers
Miguel zu der Frage über die Aufhebung
der Staffeltarife sei unzutreffend.
Berlin, 27. Febr. Die „Wirthschastliche
Vereinigung" des Reichstages trat heute
Vormittag unter dem Vorsitze des Abg.
v. Plötz zusammen. Auf der Tagesordnung
stand der Gesetzentwurf des Grafen Kanitz,
betr. die Besteuerung der Margarine. Nach
längerer Debatte wurde der Entwurf einer
Kommission überwiesen.
Prag, 27. Febr. An der czechischen
Universität kamen zwischendenjungczechischen
nnd altczechischen Studenten heftige Streitig
keiten vor; die ersteren beschimpften den
Vorsitzenden des altczechischen Studenten-
Vereins Mastny und wollten thätlich gegen
denselben vorgehen, so daß der Angegriffene
flüchten mußte. Der akademische Senat
beschloß, strenge Maßregeln gegen die Ur
heber dieser Demonstration vorzunehmen.
Brüssel, 27. Febr. Wie „Le Soir"
meldet, sollen mehrere Arbeiter in dem
Tunnel zwischen Welkenraedt und Dolhain
fünf Dynamitpatronen gefunden haben, an
denen die Zündschnur fehlte. Man nimmt
an, daß diese von Anarchisten auf das
Bahngeleise gelegt wurden, die aus Deutsch
land kamen und befürchteten in Verviers
durch den Zollamtsvorsteher verhaftet zu
werden.
Belgrad, 27. Febr. In eingeweihten
Kreisen verlautet, daß Exkönig Milan zum
Generalinspektor der serbischen Armee dem
nächst ernannt werden soll, um ihm eine
offizielle Stellung zu geben und ihm Schutz
gegen die Angriffe der Radikalen zu ver
schaffen.
Deutscher Reichstag.
58. Sitzung.
Berlin, 27. Febr.
Das Haus ist nur mäßig besetzt. Die erste
Berathung des deutsch-russischen Handels
vertrages wird fortgesetzt. Verbunden wird
damit die Berathung über den Antrag v. Kar-
dorfs auf Einführung einer gleitenden Zollskala
für Roggen, Weizen und Mehl.
Abg. v. Kardorff (Reichsp.): Der Abg. von
Mirbach habe gestern ausgeführt, daß alle von
Rußland gemachten Conzessionen durch die unter-
werthige Valuta illusorisch würden. Der Antrag
des Redners helfe den nachtheiligen Folgen ab,
die bei der schwankenden Valuta für Deutschland
entstehen könnten und bezwecke, den Abschluß von
Handelsverträgen, gleichviel mit welchen Staaten.
Der Antrag würde auch der ungesunden Speku
lation an der Börse einen Riegel vorschieben.
Wenn er nicht alle wirthschaftlichen Produkte um
fasse, so sei der Grund der, daß der Redner den
Zollbehörden keine allzugroßen Schwierigkeiten
habe bereiten wollen. Oesterreich, das ja auch
ein Goldagio habe, würde dieser Maßregel sicher
zustimmen, weil es dadurch doch Rußland gegen
über einen Vorzug genösse, da seine Valuta nicht
so tief unterwerthig sei, wie der russische. Der
Widerstand der kleineren Vertragsstaaten würde
sich wohl beseitigen lassen. Der Antrag richte
sich übrigens nicht so sehr gegen Rußland, wie
gegen Indien und Argentinien, die für ihre Ein
fuhr nach Deutschland in der unterwerthigen
Valuta eine Exportprämie besäßen. Die Argu-
nientation, daß das russische Getreide auf jeden
Fall doch auf den Weltmarkt kommen würde,
wenn Deutschland es ausschlösse, könne er nicht
für richtig halten. Das sei das Argument, mit
dem die Freihändler jeden Zoll bekämpfen.
Roggen sei nicht so sehr Weltmarltartikel. Deutsch
land sei aber Hauptabnehmer des russischen
Roggens, und darum sei es für Rußland so
außerordentlich unbequem, die deusche Grenze
gesperrt zu sehen. Die Deduction, daß der
Roggenkonsum immer mehr dem Verbrauch von
Weizen weiche, sei sehr gefährlich; denn würde
dies Thatsache, so würden die östlichen Provinzen,
die nur Roggenboden besäßen, zur Einöde ver
urteilt werden und Kiefern zu pflanzen. (Sehr
richtig! rechts.) Mit der Bevölkerung der öst
lichen Provinzen habe Friedrich der Große der
ganzen Welt widerstanden. Ueber diese Be
völkerung zur Tagesordnung übergehen, das
hieße, über daS deutsche Reich zur Tagesordnung
übergehen. (Zustimmung.) Redner wisse, daß es
Leute gebe, die letzteres gern thäten, er gehöre
aber nicht dazu. Den Todesstoß erhalte ja die
deutsche Landwirthschaft durch diesen Vertrag
nicht, den häßlichsten Stoß habe das Reich durch
den österreichischen Vertrag erhalten. Der Abg.
Rickert habe gesagt, wenn Fürst Bismarck den
Antrag vorgelegt hätte, so würde er im Reichs
tag allgemein Zustimmung gefunden haben. Aber
der Fürst würde niemals euren Vertrag unter
zeichnet haben, der die Bindung der landwirth-
schaftlichen Zölle enthielte (Beifall), wenn er es
aber gethan hätte, so würden Redner und seine
Freunde, die das warnie wohlwollende Herz des
Fürsten für die Landwirthschaft kennten, das
Vertrauen zu ihm gehabt haben, daß er es ver
standen haben würde, Conipensationen für die
Landwirthschaft zu erzielen. (Beifall.) Das Ver
trauen könne man zur gegenwärtigen Regierung
nicht haben. Die Landwirthschaft habe die Er
fahrung gemacht, daß von einem Wohlwollen für
sie bis jetzt noch nicht die Rede gewesen sei. Eine
Compensation würde sie in einer Aenderung der
Währungsverhältnisse gefunden haben, wenn die
Regierung sich entschlossen hätte, die Initiative
zur Einführung der internationalen Doppel
währung zu ergreifen. Eine Enquete sei ja zu
sammenberufen, aber in die Commission habe
man mehr als die Hälite solcher Leute berufen,
die eine Rehabilitirung des Silbers als Unsinn
betrachteten. Das habe wohl auch den Grasen
Mirbach veranlaßt, aus der Commission auszu
treten. Redner sei in der Commission geblieben,
um zu zeigen, daß er in allen Punkten Rede und
Antwort stehen könne. (Beifall rechts.) Die
agrarische Bewegung bestehe nicht nur in Deutsch
land, sondern in der ganzen Welt. In Frank
reich wolle man den Getreidebau schützen. Die
Regierung wisse sehr wohl, daß die militärische
Stärke Frankreichs mit dem schwindenden Ge
treidebau auch schwinden würde, deshalb habe sie
den Getreidezoll auf 7 Mk. erhöht. Das sei die
richtige Ansicht. Redner würde es für die größte
Gefahr für den Bestand des deutschen Reiches
halten, wenn durch Herabsetzung der Getreide
zölle die Concurrenzfähigkeit' der Industrie er
halten bleiben solle. Das sei, was er zu seinem
Antrag zu sagen habe. Er könne nur bitten, den
Vertrag abzulehnen, denn wenn das Haus ihn
annehme, so nehme es eine größere Verantwort
lichkeit auf sich, als wenn es ihn ablehne. (Bei
fall rechts.)
Reichskanzler Graf Capri vi: Auf den
Antrag des Abg. von Kardorff weide »er nicht
eingehen, sondern sich an den Vertrag selbst
und die gestrtgen Verhandlungen halten. Der
vorliegende Vertrag sei bestimmt, eine Brücke
für den Verkehr zwischen zwei benachbarten
großen Nationen zu bilden. Er sei in dieser
Beziehung von außergewöhnlicher Tragiveitc,
von Sachverständigen aller Art geprüft, die ge
funden hätten, daß er gut sei Er trage sich
selbst, da er auf rein wirthschasllichem Gebiet
ausgebaut sei, nnd bedürfe deslialb der Stütze
durch politische Gründe nicht Da aber gestern
die allgemeitie Politik gestreift worden sei/könne
er nicht umhin, einige Worte darüber zu sagen,
Ebenso möchte er auch auf die Insinuationen
in der Presse eingehen, das; zwischen den Bau
leuten selbst S-.reit und Uneinigkeit ausgcbrochen
sei. Man habe sich zunächst mit Redners Pe,son
beschäftigt und habe den Wunsch ausgesprochen,
der Bauleiter möchte bei dieser Gelegenheit vom
Gerüste fallen. (Heiterkeit.) Das werde er aber
nicht thun. Er habe den Vertrag durchgesetzt.
Er sei vor 4 Jahren in seine Thätigkeit einge
treten und werde darin ausharren, so lange es
dem Kaiser gefalle und seine Kräfte genügten.
Natürlich würde er nicht im Stande gewesen
sein die Vcrtragsverhandlnngen durchzuführen
ohne die ausgezeichnete Unterstützung, die er aus
vielen Seiten gesunden hade. Das rechne er
sich zur Ehre an. Niemals würde er aber diese
Arbe-t unternommen haben, wenn er nicht ron
der Ueberzeugung beseelt g-nvesen wäre, daß sie
für die Wirlhichastspoiiîik nothwendig und heil
sam sei. Auch nach anderer Richtung hin seien
Insinuationen zu Tage getreten: es seien Streitig
keiten nnd Spaltungen im preußischen Staais-
mintsicrinm, Spaltungen im Reich, Spaltungen
zwischen Reich und Preußen vorhanden. Bon
Allem sei nichts wahr. Das preußische Staats
Ministerium habe diesem Handelsvertrag ein
stimmig zugestimmt, und wenn in früheren
Stadien etwa verschiedene Meinungen geäußert
worden seien, so sei dies ein Beweis dafür, wie
ernst es das preußische Staatsministerium mit
seiner Pflicht, nach jeder Richtung hin über den
Vertrag klar zu werden, gciiomm-m habe, nicht
aber dafür, daß Meinungsverschiedenheiten bc
standen batten, deren vollständiger Ausgleich
nicht erfolgt sei. Das preußische Staatsmini
sterium, so erkläre er, stehe Mann für Mann
hinter dem Vertrage und ebenso sei cs mit dem
Bundcsrath, in dem der Vertrag einstimmig
angenommen worden sei. Alle Insinuationen,
die man ausgestellt habe, seien also hinfällig.
Er wolle jetzt Herrn von Kardorff auf sein
Spezialgebiet folgen und ihm bemcrklich machen,
daß das, was dieser über Streitigkeiten oder
Meinungsverschiedenheiten zwischen Preußen und
dem Reich in Bezug auf die Währungscommis-
fion gesagt habe, jeder Begründung entbehre.
Herr von Kardorff sei falsch unterrichtet, wenn
er glaube, das preußische Staatsministerium
habe den Zusammentritt der Währungs-Enquete-
Commission veranlaßt Dies sei vom Redner
direct veranlaßt worden und die Commission
verfolge keinerlei andere Ziele, als die vom
Slaatsministcrium dargelegten. Der vorliegende
Bertrag habe bei den competcntesten Bcurtheilcrn
des Jii- und Auslandes Zustimmung gesunden
und auch hier habe mau den Versuch gemacht,
dlc ein - oder andere irrige Meinung zu ver
breiten. Redner wolle deshalb aussprcchen, daß
die leitenden Staatsmänner Oesterreich-Ungarns
und Italiens ihm ihre Freude über das Zu
standekommen dieses Vertrages ausgesprochen
hä ten. (Hört, hört.) Es sei also nichts mit
den Schwierigkeiten, die man in die Sache hin
einlegen wolle. Wie stehe aber der Bertrag zu
der auswärtigen Politik des Reiches? Und wie
stehe diese Politik mit der Wirthschoftspolitik im
Zusammenhang? Er halte es für richtig, die
Frage zu stellen, welches die Ziele der Politik
Deutschlands seien und wie weit der Handels
vertrag diesen entspreche? Die Ziele der deutschen
Politik seien seit Jahrzehnten die Erhaltung
des Friedens, die Wahrung deutschen Ansehens,
deutscher Ehre und Würde) Bei dem Handels
vertrag mit Oesterreich sei schon ausgesprochen
worden, er werde im Interesse des Friedens
geschlossen. Der Dreibund sei erneuert worden
um ins Friedens will-.n. Bei der Arme«vorläge
ist wieder betont worden, daß sie in erster Linie
bestimmt sei, den Frieden zu erhalten. Man
werde nicht dehauprcn wollen, daß der russische
Handelsvertrag nicht das gleiche Ziel verfolge.
Der Vertrag fei nur die Consequenz früherer
Vertiäge. Ihn nicht zu schließen, liege um so
weniger Grund vor, als er die Landwirtbschaft
nicht schädige. Dem Ansehen Deutschlands
werde genützt, wenn dieser Vertrag zur An
nahme gelange. Würde er abgelehnt, so sei die
Folge eine Fortsetzung des Zollkrieges, was doch
wobt die Gegner dcS Vertrages nicht mit
leichtem Herzen aus sich nehmen würden. Rainent-
lich würden die Ostprovinzen schwer geschädigt
werden, der Schmuggel würde wieder aufleben
und Grcnzstreitigkcitcn würden sich ihm an
schließen. W r könne übersehen, wohin das
führen würde? Der Handel würde durch eine
hohe chinesische Mauer beschränkt werden. So
günstige Umstände, wie augenblicklich vorlägen,
kehrten nicht wieder. Wenn die von Rußland
ausgestreckte Hand jetzt zurückgewiesen werde,
nehme der Panslavismus zu und die Ablehnung
würde eine wirthschastliche Verstärkung Ruß
lands zur Folge haben. Ueber alle diese Fragen
werde am besten in der Commission berathen
werden.
Abg. Dr. König-Witten iAntis.) wendet sich
scharf gegen den Vertrag und polemisirt gegen
Rickert. Fürst Bismarck würde, meint er, die
Verträge richt eingebracht haben. Er ist gegen
den Vertrag, weil derselbe den Bauernstand
schädigen würde, der das Rückgrat des Staates
sei. Nicht der Bund der Landwirthe, sondern
die Handelsverträge säen Zwietracht zwischen
Handel und Industrie. Die Gegner des Ver
trages folgen nicht einem imperativen Mandate,
sondern ihrer Ueberzeugung. Die Regierung
sollte doch die symptomatische Bedeutung der
Kundgebungen des Bundes der Landwirthe
nicht unterschätzen. Im übrige» bringt der
Redner die bekannten Darstellungen gegen die
Juden vor.
Die Sozialdemokratie sei natürlich für den
Vertrag. Denn wenn es der Landwirthschaft
schlecht gehe, dann blühe ihr Weizen. Aus
einigen Tarifsätzen will Redner ersehen, daß
den Vortheil nicht sowohl die Industrie, sondern
vielmehr der spekulative Handel haben werde.
Ausland.
Norwegen.
Hammcrsest, 26. Febr. In der vergan-
genenWoche haben orkanartige Stürme
geherrscht, wodurch großer Schaden ange
richtet wurde. Mehrere Menschen sind ums
Leben gekommen. Die Wallfischfänger-
Station bei Troldfjord ist vom Sturme
ganz fortgerissen worden.
England.
London, 27. Febr. Eine Feuersbrunst
zerstörte die an der Rotherhithe-Street ge
legenen mächtigen Getreidespeicher der
Firma Bellamy & Co. Der Schaden be
trägt über eine Million Mark.
London, 27. Febr. Heute früh waren
auf's Neue Gerüchte von der angeblich
unmittelbar bevorstehenoen Demission
des Premierministers Gladstone
verbreitet, als deren Grund die Schwäche
des Sehvermögens Gladstone's angegeben
wurde. Durch diese Schwäche werde
Gladstone absolute Ruhe auferlegt.
Serbien.
Belgrad, 26. Febr. Eine ganze Serie
radikaler Koryphäen ist mit hohen russischen
Orden bldacht, darunter der frühere Mi
nister des Aeußeren, Andra Nikolitsch, mit
dem Großkreuze des Annen-Ordens.
Hus dim Mm puîps Spiclns.
14) Erzählung von Otto Trendies.
Fränzchcn machte eine freudige Bewegung.
Die Mutter griff nach der Hand des Kindes
und versuchte sich zu erheben, aber die Kräfte
verließen sic und sie fiel in die Kissen zurück.
Dann faßte sie hastig nach ihrem Herzen,
ein dumpfer Seufzer, ein letzter tiefer Athem
zug und — sie war todt. — Werner blieb
stumm und regungslos, als ob nichts geschehen
märe, und doch schien er zu weinen. Aber
es waren keine lindernden Thränen, die seinen
brennenden Augen entfielen, es waren einzelne,
kalte Tropfen, wie sic aus einer versiegenden
Quelle träufeln. Dann griff er in die Tasche,
holte einige Geldmünzcn hervor und ließ sie
spielend durch die Finger gleiten, indem er
sie auS der einen Hand in die andere schüttete.
Fränzchcn wußte nicht, daß sie neben ihrer
todten Mutter saß. Sie glaubte sic leidend,
darum beugte sie sich über sie, streichelte ihre
Wangen und sagte: „Meine liebe, gute
Mutter, warte nur noch ein Weilchen, unser
gute Doctor kommt gleich, der wird Dir ge
wiß helfen." Dann strich sie mit ihrer Hand
liebkosend über die geschlossenen Augen der
Todten und schmiegte ihr Köpfchen an deren
Brust. Frau Schmidt, welche in banger Er
wartung immer noch nach dem Doctor zum
Fenster hinaus blickte, hatte von dem traurigen
Vorgang, der sich in wenigen Minuten voll
zogen hatte, keine Ahnung.
Endlich fuhr der Wagen vor, der Doctor
stieg aus und schnell eilte sie ihm entgegen.
^ „Nehmen Sie es ja nicht übel," begann
Frau Schmidt. „Keine unnütze Entschuldi
gung," unterbrach sie der Doctor, „Ihr
Mann hat es ja sehr dringend gemacht."
Als der Arzt eintrat, sah Werner ängst
lich auf den ihm fremden Mann und unter
brach sein Spiel mit dem Gelde, indem er
es hastig verbarg.
Der Doctor war an das Bett getreten.
Ein Blick aus die regungslos Daliegende
sagte ihm sofort was geschehen war. . Er
faßte ihre Hand, nach einigen Augenblicken
erklärte er bewegt: „Ich komme zu spät,
die arme Frail ist todt." „Todt!?" rief
Frau Schmidt voll Schreck. Sic war so
erschüttert, daß sie sich, um nicht umzusinken,
an ihrem Mann festhalten mußte, welcher
mit dem Doctor eingetreten war. „Und
wäre sie nicht zu retten gewesen? fragte sie
weinend den Arzt.
„Vielleicht," erwiderte dieser, „doch möchte
ich es bezweifeln. Ein Herzschlag hat ihrem
ohnehin schwachen Leben ein plötzliches Ende
gemacht."
Fränzchcn hatte verstanden, was der gute
Doctor sagte. Sie faltete ihre Händchen
und richtete einen Blick ans ihre Mutter, so
traurig und sehnsuchtsvoll, dann schloß sie
die Augen und ließ den Kopf ans die Brust
sinken.
Was in dem Kinde vorging, wußte Nie
mand, denn cs sagte nichts mehr und weinte
auch nicht mehr.
Nun wandte sich der Doctor an Werner,
der noch imitier stumm und still auf dem
Bettende saß.
„Sie sind der Mann?" fragte er ihn.
Werner stand auf, er strich sich mit der
Hand über die Augen; dann stammelte er
fast unverständlich und wie sich besinnend:
„Ja, ja ich bin der Mann, ja der Mann,"
und seine wirren Blicke hefteten sich an die
Todte.
Der Doctor trat ihm aufmerksam näher,
legte seine Hand auf dessen Schulter und
sagte ernst vorwurfsvoll: „Begreifen Sie,
daß Sjc die Schuld an diesem Unglück tragen?"
„Die Schuld," wiederholte Werner und
ein wehmüthiges Lächeln umspielte seinen
Mund. „Ja, ja, ich die Schuld, ich allein,"
fuhr er leise fort, dabei nahm er das Geld
wieder hervor und setzte sich, damit spielend,
zu Füßen seiner todten Frau.
Dem kundigen Arzt blieb kein Zweifel
übrig, er wußte, wen er vor sich hatte, einen
Wahnsinnigen.
Frau Schmidt, welcher das Betragen
Werner's höchst sonderbar erschien, fragte
besorgt den Doctor, was mit dem Mann
sei. Dieser erwiderte, um sie nicht zu ängstigen,
daß das traurige Ereigniß ihn sehr erschüttert
habe, daß cs Nervcnabspannung sei, die ihn
so theilnahmlos mache, daß aber wohl nichts
Schlimmes 31t befürchten wäre. Sollte sich
sein Zustand indessen nicht bessern, so würde
er für seine Unterbringung im Krankenhause
sorgen.
„Haben die Leute denn keine Verwandten,
Niemand, der sich in ihrer traurigen Lage
um sie kümmert?" fragte er nach einigem
Nachdenken.
„So viel ich weiß, sichen Sie allein,"
erwiderte Frau Schniidt.
„Nun, so wird Ihnen wohl nichts übrig
bleiben, als daß Sic sich der Verlassenen
annehmen und vor allen Dingen für das
Begräbniß der Frau sorgen. Natürlich sollen
Ihnen nicht etwa noch Kosten erwachsen, ich
werde mich an geeigneter Stelle für die ar
men Leute verwenden. Vorläufig stelle ich
Ihnen einen Todtenschcin aus. Geben Sic
mir bitte Feder und Papier."
Während Frau Schmidt das Verlangte
herbeiholte, hatte sich der Doctor an dm
Tisch gesetzt und einen Blick in dm vor ihm
liegenden Zettel geworfen; es war der von
dem Vorsteher ausgestellte Depositenschein.
„Was ist das?" fragte er erstaunt, indem
er das Blatt zur Hand nahm.
Frau Schmidt erzählte nun, was sie wußte.
Der Doctor hatte gespannt zugehört.
Dann sagte er tief bewegt: „Welch eine
Frau war das!" Und nach einer Pause
fuhr er fort: „Es hat sich hier ein Familien-
Drama ereignet, welches kein Dichter er
greifender schildern könnte."
„Nein, nein, gewiß nicht," seufzte Frau
Schmidt, „und dazu die Noth."
„Der ist nun wohl durch die deponirte
Summe abgeholfen", sagte der Doctor. „Der
Vorsteher wird sich nicht weigern das Geld
zurückzugeben. Sollte er es dennoch thun,
so werde ich mich ins Mittel legen." Er
hatte den Todtmschein geschrieben, war auf
gestanden und zu Fränzchcn gegangen. „Wie
geht cs Dir, mein Kind?" fragte er im
väterlichen Ton. „Mir geht es gut", ant
wortete Fränzchcn, „denn noch bin ich bei
meiner Mutter. Aber sic wird wohl bald
begraben werden, und dann bin ich allein.
Ach! Und ich möchte so gern bei meiner
lieben Mutter bleiben." Dabei blickte sie zum
Doctor ans, mit Augen, welche in dieser Welt
nicht mehr zu leben schienen.
„Unser Familiendrama ist noch nicht zu
Ende", sagte kopfschüttelnd der Arzt zu Frau
Schmidt. „Das Kind gefällt mir garnicht.
Bringen Sie cs sobald, wie möglich, zu Bett.
Ich weiß noch nicht, woran' ich mit ihn;
bin und werde morgen wieder kommen."
Dann trat er noch einmal zu Werner heran.
Dieser hörte ihn nicht, er schreckte heftig zu
sammen als der Doctor ihn auf die Schulter
klopfte und sah ihn ängstlich fragend an.
„Ich will Ihnen nur „adieu" sagen, Werner"
dabei reichte er ihm die Hand hin.
Werner schien das nicht zu verstehen, denn
er ließ die dargebotene Hand unberührt, stand
auf nnd wollte sich schlveigcnd entfernen.
Der Doctor hielt ihn zurück. „Sind sie
krank?" fragte er theilnahmsvoll.
„Krank? Nein," erwiderte Werner, „krank
bin ich nicht." Und sein Gesicht nahm jenen
schmerzlich lächelnden Ausdruck an, der uns
durch die Seele schneidet.
„Mich friert", sagte er zusammenschauernd,
und ich bin müde."
„Dann legen Sie sich nieder und ruhen
Sie, das wird Ihnen gut thun," rieth ihm
der Doctor.
Werner schüttelte den Kopf, gehorchte aber
und ging ohne ein Wort zu sagen in seine
Schlafkammer. Dort warf er sich auf sein
Bett und kauerte sich fröstelnd zusammen.
_ „Sie werden schwere Tage haben, liebe
Schmidt," begann der Doctor, „aber ihr
Mann wird Ihnen wohl helfen."
„So viel mein Dienst mir erlaubt gewiß,"
erwiderte dieser. „Es ist ja Menschenpflicht,"
sagte Frau Schmidt, „und was in meinen
Kräften steht will ich auch gerne thun."
„Ich weiß, Sie sind eine verständige,
resolute Frau. Sollten Sie sich indeß ein
mal keinen Rath wissen, so kommen Sic ge
trost zu mir, wenn Sic keinen Bessern finden,
ich werde Sie nicht im Stiche lassen."
Dann verabschiedete er sich und ging hinaus.
An der Treppe blieb er nachdenkend stehen:
„Da fällt mir ein, den Werner werde ich
doch wohl an geeigneter Stelle unterbringen
-K> Kvfcheint täglich,
»cheublaü.
vezugs-reis:
Vierteljährlich 2 frei ins Haus geliefert
2 Jt 15 Ķ
für Auswärtige, durch die Post bezogen
2 Ji 25
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