Full text: Newspaper volume (1894, Bd. 1)

die Entdeckung der verschwundenen Post. 
In einer menschenleeren Gegend stieß man 
auf einen zusammengewehten Schneehügel, 
der seiner Form nach verdächtig erschien. 
Man schaufelte darauf los und fand auch 
die Post mit dem auf dem Bock des 
Gefährtes zufammengekauerten Postknecht. 
Es ergab sich, daß der Postillon von einem 
heftigen Schneesturm ereilt, den Weg in 
der Dunkelheit verloren hatte und endlich 
willenlos und durch Kälte und Müdigkeit 
benommen, auf seinem Bock eingeschlummert 
war. So wurde das ganze Gefährt und 
er selbst nach und nach vom Schnee verweht, 
und unter dem hoch aufgethürmten Schnee- 
Hügel verbrachten Mensch und Pferde drei 
Tage. Der Postillon lebt noch, doch sind 
ihm Gesicht, Hände und Füße arg erfroren, 
sodaß sein Leben in Gefahr schwebt. 
Eine besondere „Eisbahn" ist nach 
einer Meldung des „Hamb. Corr." aus 
Saratow auf der Wolga hergestellt worden: 
Ueber das Eis der Wolga ist ein 
Schienengeleise gelegt, von Saratow 
bis Pokrowskaja-Vorstadt, dem Ausgangs 
punkt der im Bau befindlichen Pokrows- 
kaja-Ural'Eisenbahn. Der Versuch des Be 
fahrens der Eifenbahnstrecke auf dem Eise 
soll gelungen sein und hoffen lassen, daß 
auch für künftige Winter eine ununter 
brochene Verbindung nach den Gebieten 
jenseits der Wolga über das Eis herge- 
stellt werde. 
England. 
London, 8. Fcbr. Der sogen. Ordner 
der Arbeitslosen, die sich alltäglich auf dem 
Tower-Hügel versammeln, der Sozialist 
Willianis, ist seit dem Zusammenstoß mit 
der Polizei am letzten Sonnabend noch wü 
thender geworden und setzt seine Brandreden 
in Gegenwart der ihn beobachtenden Schutz 
leute ungestört fort. Am Montag erklärte 
er, das nächste Mal würden die Arbeits 
losen nach dem Trafalgar Square trotz des 
Verbotes der Polizei durch Fleetstreet und 
den Strand gehen. Brauche die Polizei 
Knüppel, so würden die Arbeitslosen Che 
mikalien benutzen. Und sie wären ent 
schlossen, es zu thun und die Polizei mit 
der chemischen Packetpost in den Himmel zu 
senden. Riesiger Beifall belohnte diesen 
catilinarischen Satz. Die „Times" fragen: 
„Will der Minister des Innern Asquith 
noch immer seine meisterhafte Unthätigkeit 
fortsetzen? Worauf wartet der Mann denn 
eigentlich? Ist es erst nöthig, daß einige 
Läden im Strand geplündert und einige 
friedliche Bürger verstümmelt !und getödtet 
werden, bis er einsieht, daß sein Vorgänger 
weiser war, wenn er keine Kundgebungen 
auf dem Trafalgar Square erlaubte? Die 
nende Frau Berry ihren 19jährigen 
Sohn William erschlagen. Der 
junge Mann war von der Arbeit zurück- 
gekehrt und hatte einige Lebensmittel mit- 
gebracht, die er seiner Mutter gab. Die 
Letztere, wahrscheinlich stark betrunken, warf 
ihm dieselben vor die Füße, weshalb der 
Sohn ihr Vorwürfe machte. Die Mutter 
gerieth darüber in Wuth, ergriff eine 
eiserne Schaufel und schlug William über 
den Kopf. Der junge Mann fiel bewußt 
los auf ein Bett. Die Mutter nahm keine 
weitere Notiz davon. Am Sonntag aber 
kam die Geliebte Williams, um den Letz 
teren zu besuchen. Da sie keine Antwort 
erhielt, als sie an das Zimmer klopfte, 
trat sie ein und fand ihren Verlobten mit 
dem Tode ringend. Wenige Stunden nach- 
her verschied er, ohne das Bewußtsein 
wieder erlangt zu haben. Am Sonntag 
Abend wurde die Mutter verhaftet. 
London, 6. Februar. In Birkenhead 
feuerte gestern ein Bruder auf seine 
Schwester, gerade als sie zu ihrer 
Trauung die Kirche betreten wollte. Der 
Schuß verfehlte glücklicherweise sein Ziel, 
worauf der Bruder den Revolver gegen 
sich richtete und sich gefährlich in der Brust 
verletzte. Und was war die Ursache? 
Weil sich die Schwester geweigert hatte, 
bei dem Wagenvermiether, bei welchem ihr 
Bruder angestellt war, die Hochzeitskutsche 
zu bestellen. 
Inland. 
Berlin, 8. Febr. Wie die „Börsen-Ztg. 
hört, ist dem Besuche des Kaisers in 
Friedrichs ruh in den ersten Tagen der 
nächsten Woche bestimmt entgegenzusehen. 
Fürst Bismarck befindet sich im besten 
Wohlsein. 
Berlin, 8. Febr. Die „Krzztg." _ hat 
fälschlich berichtet, daß der Kaiser auf die 
Ansprache des Herrn v. Levetzow nichts 
erwidert hat. Die Erwiderung des Kaisers 
auf diese Ansprache lautete wörtlich wie 
folgt: 
„Ich bin weit davon entfernt, aus die 
Ueberzeugung eines Einzelnen einwirken 
zu wollen; aber Sie müssen doch klar 
darüber werden, wie der Kaiser von 
Rußland diese Dinge auffaßt. Er würde 
es garnicht verstehen können, wie Leute, 
welche bei Hofe ein- und aus 
gehen, welche meine Uniform 
tragen, in einer Sache gegen mich 
stimmen, welche von so weittragender 
Bedeutung ist." 
Ueber die Rede des Präsidenten 
v. Levetzow bei dem parlamenta 
hit vem Jtruuayiu «iļuuu; tu»u»iu , ~ f f ._ 
Reben des Sozialisten Williams sind un- rischen Dinerrndem:Rerchskanzlerpalar 
frhsimmf+ptt wird der ..Köln. Volksztg. aus Berlin 
mittelbar Anreizung zu den schlimmsten 
Verbrechen. Der bloße Umstand, daß er 
vollständig ungestraft solche Aeußerungen 
fallen lassen kann, wird früher oder später 
beklagenswerthe Folgen haben, welche ^ die 
Behörden zu verhindern trachten sollten."— 
In einer am Dienstag in Tower-Hill unter 
Leitung des sozialdemokratischen Verbandes 
veranstalteten Versammlung der Arbeits 
losen erneuerte John Williams die Dro 
hungen und kündigte die Absicht an, sich 
an die Spitze einer Kundgebung zu setzen 
und über Fleetstreet und den Strand nach 
Trafalgar Square zu marschiren. Falls 
sich die Polizei mit Gewalt dem widersetzen 
sollte, würde man gegen sie Sprengstoffe in 
Anwendung bringen. 
London, 6. Febr. In der Nacht vom 
Sonnabend auf den Sonntag hat eine in 
Springegardens zu Wandsworth-road woh- 
oerstorbenen Prinzen, das nun in Rolf's 
Zimmer neben dem Schreibtisch seinen Platz 
fand. 
„Möchtest Du sie nicht begleiten, Kmd? 
fragte Rolf seine Frau, als sie der Reisen 
den gedachten, „Du hast noch so wenig von 
der Welt gesehen." 
„Nein, Rolf," antwortete sie ehrlich, „ich 
möchte erst so recht unseres stillen Glückes 
froh werden." 
Er drückte sanft ihren Arm und sie gmgen 
langsam in's Haus zurück; im Vorüberschrei 
ten brach die junge Frau einige Zweige 
blühenden Flieders. 
„Für Prinz Sascha's Bild," sagte sie. 
Mit geschickten Händen befestigte sie dann 
die schweren duftenden Blüthendolden an dem 
vergoldeten Barockrahmen, während Rolf am 
Fenster lehnend ihr zusah Plötzlich Ri ihrer 
Beschäftigung innehaltend brach sie in Thränen 
aus und warf sich an seine Brust, er legte 
zärtlich die Arme um sie. 
„Magelone — Kleinstes, warum weinst 
Tu so?" 
„Ach, Rolf, ich muß wieder daran denken, 
wie alles hätte kommen können und wie 
gnädig, über Verdienst gnädig der liebe Gott 
es mit mir gemacht hat. Du lebst, mein 
Rolf, Du lebst und ich darf an Deiner 
Seite leben, ich, die — —" 
„Pst! still, Kleinstes, und keine Thränen 
mehr; bedenke doch, morgen kommen die 
guten Tanten zum Pfingstbesuch; wenn Dn 
aber heute so weinst, hast Du am Ende 
morgen rothe Aeugelein, und die alten -van- 
ten denken, ich bin der grausamste Haus 
tyrann, den die Erde trägt. Wir wollen 
dem lieben Gott danken; aber wir wollen 
es mit hellen Augen und einem fröhlichen 
Herzen thun." 
Ende. 
wird der „Köln. Volksztg." aus Berlin 
berichtet: Herr v. Levetzow, welcher dem 
Kaiser ungefähr gegenüber saß, schlug einen 
ungleich entschiedeneren Ton -als Herr 
v. Komierowski an, um seine Bedenken 
gegen den Vertrag zum Ausdruck zu brin 
gen, sodaß seine Stimme, trotz den 
Klängen der Musik, welche ununter 
brochen spielte, auch in den Neben 
räumen gehört wurde. Man eilte in 
möglichst unauffälliger Weise herbei, um 
etwas zu erlauschen und überhaupt Zeuge 
des Vorganges zu sein. Herr v. Levetzow 
hatte sich, entgegen der Gewohnheit der 
übrigen Theilnehmer an der Unterhaltung, 
erhoben und schilderte unter lebhaften 
Handbewegungen die mißliche Lage der 
Landwirthschaft, welche in der Gesetzgebung 
im Allgemeinen und insbesondere in den 
Handelsverträgen zu kurz gekommen sei. 
Es sei eine längere, wohlgesetzte Rede ge 
wesen, welche der Reichstagspräsident Herr 
v. Levetzow und zwar mit einem an ihm 
sonst nicht oft beobachteten Feuer- 
eifer hielt; wenigstens auf dem Präsidial 
stuhl im Reichstage erscheint Herr v. Se 
vetzow eher als die vollendete Ruhe und 
Gelassenheit, es sei denn, daß Sozialdemo 
kraten oder Antisemiten ihm das Leben 
sauer machen. 
Die Berliner Bismarck - Korre 
spondenz in der „Münch. Allg. Ztg." 
feiert Herrn v. Levetzow wegen seines 
„Mannesmuthes vor Königsthron 
neu", den er bei dieser Gelegenheit be 
kündet hätte und beklagt es, daß die Zei 
tungen darüber noch nicht berichteten. 
Inzwischen aber ist der Bericht durch 
die „Krzztg." erfolgt; daß andere Zeitungen 
nicht früher darüber berichteten, soll, wie 
man hört, darin seinen Grund haben, daß 
die anwesenden Reichstagsabgeordneten über 
eingekommen waren, über das Auftreten 
des Herrn v. Levetzow nichts in die Oeffent 
lichkeit gelangen zu lassen. 
ir unsererseits schätzen gewiß 
den „Mannesmuth vor Königs 
thronen" und sind auch der Meinung, 
daß, wenn sich die Sitte einbürgert, ge- 
wissermaßen die erste Lesung von Regie: 
rungsvorlagen bei parlamentarischen Diners 
vorzunehmen, offene und entschiedene Gegen- 
reden unter allen Umständen am Platze 
sind, mögen sie nun von konservativer 
Seite oder in andern Fällen von liberaler 
Seite ausgehen. Nur meinen wir, daß es 
nicht gerade die Sache des Reichstags 
Präsidenten ist, solche Opposition zu mar- 
kiren. Denn der Präsident des Reichstags 
vertritt bei solchen Gelegenheiten die 
Gesammtheit des Reichstags. Im 
vorliegenden Falle läßt sich nicht einmal 
behaupten, daß der Präsident des Reichs 
tags sich für sein Auftreten aus die Zu- 
timmung der Mehrheit des Reichstags 
'tützen konnte. 
Die Lage hat sich heute so zuge 
spitzt, so telegraphirt man offiziös der 
„Köln. Ztg." aus Berlin, daß auf eine 
Verwerfung des Vertrages nur 
mit einer Auflösung des Reichs 
tags geantwortet werden kann, und 
da die Konservativen sehr wohl wissen, 
daß sie, wenn die Regierung sie nicht 
unterstützt oder gar in entschiedener Weise 
bekämpft, eine furchtbare Niederlage er 
leiden werden, so werden sie sich zehnmal 
überlegen, ob sie die Existenz der Partei 
aufs Spiel setzen sollen. 
— Wie verlautet hat sich ein Komitee 
von ca. 200 namhaften Industriellen 
aus allen Theilen Deutschlands ge 
bildet, welches beabsichtigt, in nächster 
Zeit eine Versammlung von Vertretern 
der gesammten deutschen Industrie 
und Gewerbethätigkeit nach Berlin 
zu berufen, um in der Frage des russischen 
Handelsvertrages Stellung zu nehmen 
Berlin, 8. Febr. Der deutsch-russische 
Handelsvertrag ist gestern paragraphirt 
worden. Die Unterzeichnung wird wahr 
scheinlich am Sonnabend stattfinden. 
— Graf Herbert Bismarck nebst Ge 
mahlin sind heute Vormittag hier einge 
troffen. Ferner ist Graf Wal der see auf 
Urlaub hier angelangt. 
— Die Stempel st eu er kommission 
des Reichstages nahm einstimmig den 
Antrag Gröber, Wetteinsütze bei Pferde 
rennen wie Spieleinlagen zu behandeln, an 
und lehnte die Anträge Singer auf Erhö 
hung des Steuersatzes um 50 pCt. und 
Richter, auf eine Erhöhung um 20 pCt. 
ab, nahm jedoch eine Erhöhung um 10 
pCt. an. 
— Die „Fr. Ztg." schreibt: Der Air 
trag Kardorfs (gleitende Zollskala gegen 
Rußland und Oesterreich-Ungarn) ist den 
Reichstagsabgeordneten Montag-Abend nur 
als Drucksache und ohne Nummer und allein 
mit der Unterschrift von Kardorff's zuge 
gangen. Man will offenbar zunächst mög 
lichst viele Unterschriften für den Antrag 
sammeln, um mit der Gesammtheit dieser 
Namen als Phalanx gegen den russischen 
Handelsvertrag zu demonstriren. Sodann 
soll versucht werden, den Antrag alsbald 
auf die Tagesordnung des Reichstages zu 
bringen, und zwar außerhalb der Reihen 
folge der Initiativanträge. Dazu ist ein 
Mehrheitsbeschluß des Reichstages erforder 
lich. Ein solcher Beschluß würde einer 
Vorabstimmung über den Handelsvertrag 
selbst gleichkommen. Wer auch nur ent 
lernt eine allgemeine und allseitige Dis- 
kussion über den russischen Handelsvertrag 
wünscht, kann nicht zugeben, daß ein ein- 
zelne Seite der in Betracht kommenden 
Fragen im Anschluß an den Antrag von 
Kardorff vorab erörtert wird. Man darf 
gespannt sein, ob der Abg. von Kardorff 
in einer der nächsten Sitzungen bei der 
Festsetzung der Tagesordnung den Versuch 
machen wird, den Antrag zur Abstimmung 
zu bringen. 
— In der Sitzung der mirths cha ft- 
lichen Vereinigung sagte gestern, nach 
dem Bericht der „Kreuzztg.", der antisemi 
tische Abg. Graefe folgendes: „Es sei 
traurig, daß uns der neue Kurs bereits 
o weit gebracht haben sollte, daß Deutsch 
land vor Rußland zu Kreuze kriechen 
müsse. Es werde uns immer ein Krieg 
mit Rußland an die Wand gemalt. Das 
Bangemachen sei ein überwundener 
Standpunkt." An welche Adresse diese 
Worte gerichtet sind, kann Niemandem 
zweifelhaft sein. • , 
Berlin, 8. Febr. In der heutigen Sr 
tzung der Reichstagsbudgetkommis 
sion besprach Prinz Arenberg bei dem 
Etat für Kamerun die dortigen Vorgänge 
und Leist's Bericht. Er übergehe die Auf- 
landsgründe, an dem zweifellos Unmensch 
liche Grausamkeiten Schuld seien. Nicht 
nur sei Leist's Verbleiben auf dem Posten 
unmöglich, sondern Leist sei strafbar wenn 
ihn nicht bedeutende Gründe entschuldigten. 
Der deutsche Name sei durch das Vorgehen 
geschändet. Geheimrath Kays er erwidert, 
er wolle nichts beschönigen und nichts ver- 
ichweigen, doch weitere Nachrichten seien 
noch nicht eingegangen. Anfänglich habe 
man die Vorgänge für unmöglich gehalten. 
Sollten sich die englischen Berichte von 
der Peitschung der 20 Dahomeyweiber in 
Gegenwart ihrer Männer oder Aehnliches 
bewahrheiten, so würde Leist der strengsten 
Ahndung nicht entgehen. Es sei sofort ein 
Beamter zur Untersuchung der Thatsachen 
nach Kamerun entsandt worden. — Abge- 
ordneten Bebel erklärt, seit 10 Jahren 
habe kein Fall eine so allgemeine Entrü- 
stung erregt. Er erbitte Aufschluß, ob es 
zulässig sei, deutsche Marinesoldaten, ohne 
sie zu fragen, nach Kamerun zu komman- 
diren, wo die Gefahren des Klimas und 
solche durch andere Umstände verursachte 
besonders groß seien. Geheimrath Kays er 
antwortet, die Dahomeher seien fslittļIw 8»' 
kauft worden, aber sofort, als die Nach 
richt nach Deutschland gekommen sei, Ware 
Ordre gegeben, sie freizulassen, keiner aber 
sei zurückgekehrt. Die Dahomeher seien 
wie andere Soldaten behandelt, nur se 
ihnen der Sold in natura geliefert. Die 
Marinesoldaten seien nicht gezwungen, nach 
Kamerun zu gehen, sondern meldeten sich 
reiwillig. Abg. Richter meint, von einer 
Freiwilligkeit könne nicht die Rede sein, es 
«ei bedenklich, jetzt aktive Mannschaften 
nach den Tropen zu kommandiren. Es 
handle sich doch nur um einen internen 
Streit in den Colonien. Die Weiterbera- 
thung findet am Freitag statt. 
— Für die Ratifikation des russisch 
deutschen Handelsvertrag s ist eine 
Frist vereinbart worden, welche mit dem 
20. März abläuft, danach muß also der 
Reichstag bevor die Osterferien beginnen, 
über den Handelsvertrag auch in dritter 
Lesung abgestimmt haben. 
— Ueber die Sendung des kaiserl. 
Flügeladjutanten Grafen Moltke nach 
Friedrichsruh werden nachträglich noch 
einige interessante Einzelheiten mitgetheilt: 
Der Flügeladjutant hatte vom Kaiser den 
Befehl, das Ziel der Reise, sowie die 
Sendung an den Fürsten unter der strengsten 
Verschwiegenheit auszuführen. Graf Moltke 
bestieg deshalb in Berlin auch nicht den 
Hamburger Courierzug, sondern löste sich 
ein Billett für einen Lokalzug nach Witten 
berge. In Wittenberge wartete er den 
Hamburger Courierzug ab und ließ sich, 
als er diesen bestiegen und der Zug bereits 
wieder auf der Fahrt begriffen war, den 
Zugführer in's Coupee rufen. Zu diesem 
wendete er sich mit den Worten: „Im 
Namen Sr. Majestät des Kaisers befehle 
ich Ihnen, in Friedrichsruh halten zu lassen 
und über diesen Befehl absolutes Schweigen 
gegen Jedermann zu wahren." Hierauf 
notirte sich Graf Moltke den Namen des 
Zugführers und des verantwortlichen 
Maschinisten und entließ den etwas ver 
dutzten Beamten. Als er mit seiner Mission 
vor den Fürsten trat, zitterte eine starke 
innere Bewegung über die Gesichtszüge 
des alten Kanzlers, die jedoch nur einen 
Augenblick bemerkbar wurde. Im nächsten 
Moment war der Fürst schon wieder der 
unerschütterliche Staatsmann, der die über- 
wälligende Botschaft seines Kaisers mit der 
scheinbar ruhigsten Miene von der Welt 
las und den Grafen Moltke mit so ge 
lassener Höflichkeit als Gast behandelte, 
als ob dieser mit einer längst erwarteten 
Meldung vor den Fürsten getreten wäre. 
Berlin, 8. Februar. Zur politischen 
Bedeutung des Bismarcktages schreibt die 
dem Fürsten Bismarck nahestehende Wochen- 
schrift „Die Zukunft" in einem leitenden 
Artikel: „Bismarck im Schloß" u. A. Fol 
gendes: „Wie die Ordre, welche die (mili 
tärische) Auszeichnung (des Fürsten Bismarck 
beim Scheiden aus dem Amte) so trug auch 
jetzt die gnädige Einladung zu einem mili 
tärischen Feste'die Unterschrift des Königs 
von Preußen, die damit unzweideutig aus 
gedrückt hat, daß er an seinem Ehrentage 
auf das Erscheinen des Generaloberst be- 
onderen Werth legte .... Der Kriegs 
herr empfängt den Inhaber der höchsten 
militärischen Ehrenstellung als Gast; er 
erweist ihm die gnädigsten Auszeichnungen 
und nimmt im engsten Familienkreise mit 
ihm das Frühstück ein; der Gast nimmt 
die Meldungen der Offiziere des Regiments 
entgegen, zu dessen Chef er ernannt worden 
i't/er darf den König von Sachsen, einen 
erlauchten Kriegskameraden, bei sich begrüßen 
und hat die Freude, an dem rein militäri 
schen Diner später auch seine Söhne theil- 
nehmen zu sehen. Politische Erör- 
terungen haben im Verkehr des Kriegs- 
Herrn mit seinem Generaloberst keinen 
Platz ..." — Was in der That mit dem 
„Bismarcktage" erreicht sei, stellt das Blatt 
schließlich dahin fest: „Im deutschen Reich 
st Alles unverändert geblieben, nur der 
reilich allein schon gefährliche Schein einer 
persönlichen Verstimmung ist beseitigt und 
)ie Bahn ist frei für den Rath Suchenden 
wie für den, der Rath zu ertheilen. für 
nöthig hält. Darin liegt der wichtigste 
Werth der festlichen Stunden ..." 
Berlin, 6. Febr. Die von der Stadt 
beschlossene Anstellung des Gymnasiallehrers 
Caspary ist, nach einem hiesigen Blatt, 
vom Minister nicht bestätigt worden 
Herr Caspary hatte, der „Voss. Z." zu 
folge, unter Verleugnung seines jüdischen 
Glaubens eine Anstellung in den russischen 
Ostseeprovinzen erlangt, war nach einiger 
Zeit dort entlassen worden und in großer 
Noth gewesen, so daß die städtischen Be 
hörden glaubten, wegen der Wissenschaft 
lichen Befähigung des Mannes und weil 
er den sittlichen Makel durch große Ent 
behrungen gesühnt, seine Bewerbung nicht 
abweisen zu sollen. Gegen diese Anstellung 
hat der hiesige Gymnasiallehrerverein Front 
gemacht, und es ist ihm gelungen, den 
Minister zu veranlassen, die Bestätigung 
zu versagen. 
Herr Lorenz, welcher fur den neuen 
konservativen Bauernbund als Führer in 
Aussicht genommen war, hat einem Inter 
viewer der „Kyritzer Ztg." gegenüber zu 
gegeben, daß dieser Bauernbund bereits 
im August 1893 wieder gegründet worden 
ist. Auch wurde der Borstand in der 
Weise gewählt, wie er jüngst im „Volk" 
veröffentlicht wurde. Herr Lorenz wollte 
aber nicht eher mit dem neuen Bund an 
die Oeffentlichkeit treten, bis die Handels 
verträge im Parlament erledigt, da er 
voraussah, daß es mit dem »Bund der 
Landwirthe" einen Kampf bis aufs Messer 
geben und daß im Fall der Annahme der 
Handelsverträge der „Bund derLandwirthe" 
den „Bauernbund" dafür verantwortlich 
machen würde, der ihm Knüppel in die 
Beine geworfen hätte. Die beiden anderen 
Direktoren und der Agitator Werner-Mar 
burg aber waren anderen Sinnes und 
verlangten baldige Inangriffnahme der 
Thätigkeit. Wegen dieser Differenzen und 
weil Herr Lorenz den Herrn Werner nicht 
für die geeignete Kraft hielt, hat Herr 
Lorenz den Vorsitz niedergelegt. 
Lyck, 8. Febr. Die infolge Nichtillumi' 
nirens am Geburtstage des Kaisers in der 
Stadt gesammelten Spenden haben nach 
der „Ostd. Volksztg." den Betrag vou 
438 Mk. 25 Pf. ergeben, und diese sind 
am 127 würdige hiesige Arme vertheilt. 
Köln, 8. Febr. Der Fesselballon der 
hiesigen Luftschifferabtheilung, welcher in 
Folge Zerreißens des Taues weggeflogen 
war, ist, wie die „Köln. Volksztg." meldet, 
nach längerer Schleiffahrt bei Höxter ge 
landet. Die beiden Insassen, zwei hiesige 
Offiziere, haben keinen Schaden genommen- 
Dresden, 8. Febr. Ein heutiges offizielles 
Bulletin bezeichnet die Krankheit als 
B l a s e n b l u t u n g, infolge deren der König 
das Bett hütet. Er hat kein Fieber, sein 
Zustand veranlaßt vorläufig keine ernste 
Besorgniß, längere Schonung ist jedoch 
nothwendig. 
Dresden, 5. Febr. Die zweite sächsische 
Kammer lehnte es ab, die Prügelstrafe 
in den Schulen als Zuchtmittel zu be 
seitigen. Die dahingehende Petition eines 
hiesigen Arztes wurde nur von den So 
zialdemokraten eifrig vertheidigt. Die erste 
Kammer hat schon kürzlich den Beschluß 
gefaßt, die Petition auf sich beruhen z» 
lassen. Das wäre eine nette Sache, wen» 
der Lehrer die Herren Jungens, die scho» 
so wie so an Rohheit gegenwärtig ein 
Uebriges leisten, wo es nöthig, nicht züchtige» 
dürfte, gegen Mißhandlungen sind dieselbe» 
so wie so gesetzlich geschützt. 
In dem Briefkasten eines Postamtes 
in Westfalen fanden sich, wie Sie „Deutschs 
Postztg." mittheilt, kurz vor Weihnächte» 
folgende, von Kinderhand herrührend« 
offene Briefe vor, die wir wiedergeben- 
An das libe Kristkiud im Himmel. Säbel 
Helm Thurnüster Hotferd Brumkösel Hai»' 
pelkerl Puffpuff eisenbahn Schaukelpferd 
einen Griffel eine Schifertafel 1 Pina' 
1 Trommel 1 Bilderbuch ein Hundeställke» 
ein Husarenanzug ein Flozeped Adolf . - 
Lides Kristkindchen. Brink mich ein« 
Puppe einen Puppenwagen und noch meh« 
Spielsachen meinen Prutter Adolv aiw 
ädwas Großpappa mamma und Papp" 
auch was und eine Schwester von de» 
Klapper (stro) (stör) storch dises . (wüsÄ 
wünsch ich mich Marie . . . (Die in U 
gesetzten Wörter sind im Original durşş 
trichen.) 
In Delmenhorst hatte der Dirigent eşş 
kleinen Ballkapelle, mit Namen Hunteman», 
während eines Tanzvergnügens Strei 
mit einem jungen Mann aus Stenui» 
dem Haussohn Schulenberg, bekomme» 
Nachts auf dem Nachhausewege trafen ^ 
beide wieder. Huntemann und dessen W 
gleiter, ein neunzehn Jahre alter Musik« 
Engel, verfolgten den Schulenberg, trieb«-' 
ihn in die Enge und jagten ihn auf ein« 
Kamp. Dort schlug ihn Engel mit sein«» 
eisernen Notenständer nieder; der Unglü» 
liche war sofort eine Leiche. Die beşş 
Musiker wurden alsbald verhaftet. 
Aus Braunschweig wird geschrieben 
Auf genossenschaftlicher Grundlage w» 
hier eine Naturheilanstalt erricht«' 
95 000 Mk. sind bereits vorhanden, f, 
Arzt ist bei dem Unternehmen betheiliS ^ 
an dessen Spitze der Architekt Herr Gröl» , 
teht, ^welcher seit 3 Jahren ein reg 
Vorstandsmitglied des 1. Vereins ' 
Naturheilkunde ist. Die leitenden Perso» 
des Unternehmens sind Kaufleute, Fabrikan 
""Einanderbarer Kauf ist dieser T-ķ 
in Passau abgeschlossen worden. In et» 
Wirthschaft verkaufte ein Gast einen 
Kanarienvogel um 6 Meter Pfennige, wem 
zu seiner nicht geringen Neberraschung J 
Summe von nur 3 Mark 66 Pf. ergab« 
während ihm zuvor ein viel höherer 
trag geboten war. , ( 
Karlsruhe, 8. Febr. Die zweite Kan»» ( 
genehmigte den Bau der Bahn Krotzişş, 
Staufen-Sulzburg, wodurch das Schw»', 
välder Münsterthal dem Weltverkehr 
chlossen wird. . 
Erschossen hat sich, wie schon berichte , 
Mainz ein Oberprimaner, Namens Nass»» , 
weil er vom Maturitäts-Examen wegen »», 
laubter Hülfsmittel bei der griech»^, 
Arbeit ausgeschlossen werden mußte. ^ 
Selbstmörder hinterläßt ein Vermöge» ^, 
600000 Ji und hatte angeordnet, ly 
Leiche verbrennen zu lassen. Das 
in Heidelberg geschehen. Jetzt berichte» , 
„Frkf. Ztg.": Weil der Gymnasiast Nasi^ 
selbst Hand an sich gelegt hat, ist j 
Krematorium zu Heidelberg die Leiches 
Feuerbestattung nicht angenommen t» ß »jt 
Sie wurde deshalb nach Gotha geb» şjj 
Das Heidelberger Krematorium hat 
unseres Wissens den Behörden geg«»F 
statutarisch verpflichten müssen, die * e j 
von Selbstmördern zur Verbrennung 
zuzulassen. .
	        
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