Full text: Newspaper volume (1888, Bd. 1)

Beilage zum Rendsburger Wochenblatt Nr. 18. 
Freitag, den 10. Februar 1888. 
Versuch einer Geschichte der 
St. Marien-Kirche inWendsöurg. 
(Fortsetzung.) 
Wenn St. Nikolaus so freigebig ist. dagegen die 
mau Gertrud, welche doch offenbar mit der St. 
Gertrnd identisch ist, so karg erscheint, so hat das 
kmen sehr einfachen Grund. Am St. Nikolaus- 
sind Küche, Keller und Scheunen voll von 
Nahrungsvorräthen, dagegen sind am St. Gertruds- 
àge, dem 17. März, die Wintervorräthe aufgezehrt 
und es müssen immer kleinere Mengen Teig in die 
-Pfanne geworfen werden. Der St. Gertruds 
ichmaus und der St. Gertrudstrunk bei der St. 
— Das Lehen selbst besaß ansehnliche Renten, 
die längere Zeit nach der Reformation Herr 
Johann Herder jun. behielt, nach dessen Tode aber 
unter Kirchen- und Schulbedienten vertheilt wurden. 
7. Die Fronleichnams-Brüderschaft Rendsbnrg» 
oder die fraternitas corporis Christi. 
Daß die Rendsburger Kirche eine Fronleich 
nams-Brüderschaft hatte, haben wir bereits aus der 
Stiftungsnrkunde der Vicariae corporis Christi 
vom 7. Mai 1451 gesehen. Die Pfründe muß 
aber nicht lange bestanden haben, wie sich aus den, 
Register von 1543 crgiebt. Es wird gesagt: „Dar 
mede hcfft cyn Radt (Rath) to Rendesborg alle 
wege vnde von olther dem Stadtschriucr besoldet 
Ģertrndsgilde wird aber deshalb"doch kein 'geringerer » nbe vor synen Denst mede affgelccht." Die 
' - - - ' Vicaria ging also früher ein und nnt ihr wohl 
SEwesen sein. St. Gertrud aber steht auch zur 
Unterwelt in Verbindung, wohin die abgeschiedenen 
Seelen kommen, welche sie die erste Nackt beherbergt. 
t Gertruds Vogel ist, wie wir soeben gesehen 
haben, der Specht, durch den man die Spring- 
ĢUrzel oder Wünschelrnthe erlangen kann. Man 
lucht das Nest eines Spechtes zur Zeit, wenn er 
f.?. e bat und paßt auf, bis der Vogel das Nest 
Erläßt, um den Jungen Futter zu holen. Als 
dann verkeilt man mit einem Pflock den Zugang 
K>m Neste im Baumstamme. Der wiederkehrende 
"Uagel, welcher das Nest verkeilt findet, fliegt noch 
mals davon und kommt bald darauf mit der 
^pringwurzel wieder, die er an den Pflock hält, 
welcher nun, wie vom stärksten Schlage getrieben, 
hkrausfliegt. Diesen Moment aber muß man be 
nutzen, und dem Vogel ein rothes Tuch vor die 
^ugen halten, lieber die rothe Farbe erschrickt er, 
weil^ er glaubt, Feuer zu sehen und läßt die 
Springwurzel fallen, durch welche man sich jetzt 
beliebig den Eingang zur Unterwelt und den dort 
befindlichen reichen Schätzen öffnen kann. — Die 
Springwurzel wird auch als Kraut hcrha merops 
ficnannt und ist z. B. die lateinische Merope, die 
sich um den Tod ihres Bruders zu Tode weinte, 
»lit der heiligen Gertrud oder ihrer heidnisch«, 
Vorgängerin identisch. — Statt der Springwurzel 
kommen in Sagen vielfach auch andere Pflanzen 
vor, wie die gelbe Schlüsselblume und das blaue 
Vergißmeinnicht. Eindringlingen nämlich ruft die 
Unterweltsgöttin zu, wenn erstere die Wunderblunie 
bei Seite gelegt haben, um desto mehr Schätze 
fortbringen zu können: „Vergiß das Beste nicht!", 
womit die Wunderblume gemeint sein soll, welche 
den Eingang zu den Schätzen der Unterwelt öffnet. 
In Wahrheit aber meint die Göttin sich selbst und 
sollten die Worte lauten: „Vergiß mein nicht!", 
bknn die Unterwcltsprinzcssinncn sehnen sich nach 
Erlösung (vgl. die Prinzessin im Nobiskrüger 
Gehölz). Schlüsselblumen und Vergißmeinnicht sind 
Ekanntlich beliebte Blumen, welche man am St. 
ertrudstage bereits in Gärten und Wiesen 
finden kann. 
Die Schutzpatronin der Rendsburger Kalands- 
herren hat also reiche mythologische Beziehungen, 
on welchen vorstehend mitgetheilte nur als Proben 
onzuiehen sind. 
Wir kommen jetzt in unserer Betrachtung der 
kndsburger religiösen Gilden zur Sommersonncn- 
ondzeit, in welcher hauptsächlich Johannes der 
nufer und die Jungfrau Maria vorzugsweise Vcr- 
Eyrung genossen. Das Cämmer-Buch notirt für 
wse Zeit 3 Gilden, die 1537 aufgehoben wurden 
"Nd zwar: 
4. Unser-leven-sruweu-GilSe, 
"che 6 Ķ Rente besaß, die „deine Karkhcrrcn to 
ihner vödinghe togeleckt" wurden. Es war diese 
»Unser-lieben-Fraucn-Gildc" also eine Gilde der 
Jungfrau Maria. ‘ 
Da Rendsburg außer den 
nderweitigen Gilden nicht noch zwei Mariengildcn 
»shabt haben wird, so müssen wir annehmen, daß 
wEse Unser-lewcn-fruwen-Gilde trotz Einziehung 
obiger Rente weiter fortlebte und noch jetzt in 
Unserer Altstädter Vogelgilde fortgeführt wird. 
Rendsburg hatte ferner 
5. eine Gilde der heiligen Johannes. 
Dieser Johannes ist der Täufer, dessen Tag 
uw 24. IM gefeiert wurde und nicht der Evan- 
şi, dessen Tag der 27. Dezember ist. Bor- 
iand der St. Johanncsgilde war der Rath zu 
' endsburg. Die Gilde besaß in „rcdemen" (baarcm) 
. "bE65P., die1537 „strax tho enem nighenSigher- 
Erk" (sofort zu einer neuen Kirchenuhr) angelegt 
^urden. Die Uhr kostete gegen 200 Ķ, für die 
nnialige Zeit eine sehr große Summe. Dar to 
j?! de karkher Her Johan Meigher (Meiger, 
eiet ) grote fürderinge by deine Rade. (Dazu 
yat per Hauptpastor Johann Meier große För- 
Erung bei dem Magistrate.) Meiger oder Meier 
ar ber 2. der lutherischen Hauptpastoren. — 
cii!* k £m daaren Gelde hatte die Johannesgilde 
"och einige Renten, die der Kirchhcrr (Haupt- 
şistoy bekain. 
- - --- venu,,. Die heidnischen Beziehungen Jo- 
şì "uez beg Täufers zum heidnischen Alterthume 
in 7-^îchtig und bedeutend, lassen sich aber nur 
mngrrrr Abhandlung darthun. 
im* fernere religiöse Gilde Rendsburgs wird 
genannt 
auch die Fronleichnams-Brüderschaft. Das Fron 
leichnamsfest wurde von der frommen Nonne 
Juliana zu Lüttich gestiftet und zuerst 1246 ge 
feiert. Die genannte Nonne hatte die Vision, im 
Monde sei eine Lücke, die nicht anders, als durch 
Einführung eines neuen Festes ausgefüllt werden 
könne. In Folge dieses Festes entstanden mit 
Hülfe der Corpnschristi-Brüderschaften die pracht 
vollen Fronlcichnamsprozessionen, die auch in 
Rendsburg abgehalten worden sind. Fronleich 
namstag ist der 8. Juni. — Es ist hinreichend 
bezeugt, daß in Rendsburg die üblichen Prozes 
sionen abgehalten wurden. Im Missal des 
Plebanus oder Hauptpredigers der St. Marien 
kirche befindet sich folgende Notiz: Ao. 1489 im 
fünften Jahre des Pontificats Jnnocenz VIII. 
kaufte der Plebanus Johannes Borchwede ein 
Pferd zuin Dienste bei den heiligen Prozessionen 
für 6 Ķ lüb., mit der Bestimmung, daß jeder 
Kirchherr (Hauptpastor) seinem Nachfolger entweder 
das Pferd oder dessen Werth im Betrage von 
6 Ķ überliefere. Ferner kaufte er zum Unterhalt 
für daS Pferd für 8 Ķ lüb sich eine Wiese, welche 
allgemein die „Goldwisch" genannt wurde, mit der 
Bestinimung, daß sic für ewige Zeiten zu diesem 
Zwecke dienen solle. Als Zeugen werden auf 
geführt die VicariiS der Kirche in Rendsburg 
Martinus Smyd (Schmidt) und Johannes Scroder 
(Schröder). — Die Goldwicse lag an der 
Untereider. 
Ueber Fronleichnamsprozessionen haben wir fol 
gendes interessante Rendsburger Dokument vom 
2. Tage am Sonntage nach Trinitatis (29. Mai.) 
1458. 
Gerardus, Bischof von Bremen, grüßt den 
Plebanus, die Brüderschaft der Calendcn und die 
ganze Einwohnerschaft Rendsburgs und macht be 
kannt, daß er auf Fürbitten des Herzogs Adolph 
von Schleswig und seiner Gattin die Erlaubniß 
ertheilt habe, in der Pfarrkirche den verchrungs- 
würdigen und ruhmreichen Leib Christi, der in 
einer krystallenen Monstranz und diese wieder in 
einer dazu passenden Kapsel aufbewahrt ist, an 
den Festen der berühmten Brüderschaft (der Ca- 
lenden) während der kanonischen Stunden (1., 3., 
6., 9. Stunde, von Morgens 6 Uhr an gerechnet) 
zu zeigen und in Prozession durch den Umkreis 
der Kirche oder des Cimcteriums (d. i. Kirchhofs 
von griech. koimeterkm, franz. eimetière Kirchhof) 
zu tragen, damit das Volk, das bei der Kirche 
zusammenfließt, in seiner Verehrung inbrünstiger 
wird und so oft der Landesfürst und seine Vasallen 
und Diener, sowie auch Mitglieder des Kirchspiels 
und treue Christen in Ehrfurcht zur Kirche zu 
sammenströmen und darum demüthig bitten, soll 
der Vicar des Altars des Körpers Christi den 
Verschluß öffnen, Lichte anstecken und die Hostie 
auf den Altar stellen. Der Vicar aber soll den 
Anordnungen und Verfügungen gegcntheiligen 
Inhalts sich fügen, welcher Art sie auch sein 
mögen. — Der Erzbischof bestätigt die Bestimmung 
seiner Vorgänger und verheißt für alle Christen, 
welche wahrhafte Reue enipfinden und nach der 
Kirche und ihrem Gebäude die Hände ausstrecken 
im Namen des allmächtigen Gottes und der Apostel 
Petrus und Paulus Ablaß, indem er von den ihnen 
auferlegten Kirchenbußcn 40 Tage hinwegnimmt. 
Dies soll unwiderruflich für alle Zeiten dauern. 
Also auch der Rendsburger Kirche wurde Ab 
laß gewährt, aber, wie es scheint, nur in älterer 
Form, indem ausdrücklich die Kirchenbußcn 
genannt werden. Ob damit aber dabei nur an 
das Diesseits und nicht an das Jenseits zu denken 
ist? — Nach vorstehender Urkunde scheint die 
Brüderschaft der Calendcn die hauptsächlichere ge 
wesen und die Fronleichnams-Brüderschaft mit der 
ersteren vereinigt worden zu sein. In vorstehender 
Urkunde wird nämlich nur des Vicar am Altare 
des Körpers Christi erwähnt. Die Brüderschaft 
des Fronleichnams hat, wie aus der Gilden 
Rechenschaft 1536 und 1537 zu ersehen ist, keine 
Einnahmen hinterlassen. 
(Fortsetzung folgt.) 
12) 
R 6. Sie Elenden-LaSe. 
, ^'Endsgilden gab es auch an andern Orten. So 
bork' 8e ^® rte zum St. Jvhanniskirchspicl in Peters- 
m Fehniarn eine Clcnden-Gilde, welche für 
S r 7"»8 der Armen- und Ertrunkenen sorgte. 
Cfh'v Bestimmung wird auch die Rendsburger 
^ " En-Lade gehabt haben und muß man sich 
wers "ķum denn auch diese Gilde aufgehoben 
sie , en şEe und man sich nicht damit begnügte, 
ŗeformiren. Zu derselben gehörten 2 Ķ 
-jji- e "' Herr Johann Herder jun. erhielt. 
Sg t îs Etstlicher aber war Inhaber der Commende 
Roer, . deren Lehnherr der Rendsburger 
Elenv«^ 9el ^ hieraus hervor, daß die 
lick T eigenen Geistlichen und vermuth- 
der St. Marienkirche ihren Altar besaß. 
Der lateinische Mauer. 
Erzählung von Kieroiihuilis Lori». 
Nachdruck Verbote». Alle Rechte vorbehalten. 
Schluck that, als ob er vor Lachen garnicht zu 
Worte konimen könnte und sich nur mühsam zu dcr 
Erklärung brächte: 
„Das Gut kann mir auch jeder Andere ab- 
kaufen, ohne daß ich ihm dafür ein Geschenk mit 
meiner Tochter machen müßte. Was bleibt mir 
denn von dem Kanfschilling, wenn die Hypothekar- 
gläubiger abgefertigt sind? Nicht der Rede werth!" 
„Und daß Sie die Tochter unter die Haube 
bringen, ohne einen Kreuzer initzngebeu, das rechnen 
Sie für gar nichts?" 
Urban Waldbrenner hatte Gelegenheit, große 
Augen zu niachen, als ihm jetzt Schluck eine Schil 
derung gab, wie seine Tochter umworben sei, wie 
sich bei ihrer Schönheit und ausgezeichneten Erziehung 
angeblich die ersten Cavaliere des " " * ' 
Hofes bemühten, 
ihr ein Lächeln abzugewinnen und kein Mann in 
der Welt wäre, der sich nicht glücklich schätzte, wenn 
sie ihm ihre Hand reichte, obgleich die Hand leer 
war. Da das Antlitz des alten Müllers durchaus 
nicht danach aussehen wollte, als ob er von dem 
hohen Glück, eine solche Schwiegertochter zu be 
kommen, gründlich zu überzeugen wäre, sah sich 
der Sattler genöhigt, mit seinem Verlangen unum 
wunden herauszurücken. Schon im Poststellwagen 
hatte er von einer Hülfe gesprochen, und daran er 
innerte er jetzt den Müller. 
„Was ich damals gesagt habe", versetzte dieser, 
„das sage ich noch heute. Geld? Baares Geld? 
Das giebt's nicht. Ich hab Ihnen aber damals 
schon gesagt, Sie könnten durch mich Ihren Talis 
man wieder beisammen haben, die Hexerei, die 
Ihnen Glück bringt. Wo ist denn der Türke, der 
zu Ihrem Haus gehört,-wie heißt er nur?" 
„Der läßt sich vor Fremden nicht sehen", er 
widerte Schluck, scheinbar ganz gleichmüthig, im 
Innersten aber sehr gespannt, auf welchem Wege 
der Müller dazu gelangt ivar, ein solches Anerbieten 
machen zu können. 
„Also", setzte Waldbrenner fort, „ich will nach 
den goldenen Präsentirteller mit den Edelsteinen, 
den Schild, wie man's nennt, draufgcben, dann 
können Sie von vorn anfangen, ein reicher Mann 
zu werden, und daS Pech, seit Sic das Ding nicht 
mehr haben, hat ein Ende." 
Schluck zitterte in der That vor Begier nach der 
Wiedererlangung dieses Besitzes, was jedoch nicht 
hinderte, daß er mit dem Ausdruck der Verächtlich 
keit äußerte: 
„Das ist purer Aberglaube. Darauf kann man 
ja in einem Geschäft nichts geben. Ich könnt mir 
ebensogut eine geweihte Kerze oder ein „Sackerl" 
mit Kräutern von der Kartenanschlagerin als einen 
großen Schatz aufbinden lassen; gehen S' weg!" 
Der Müller schien in der That Miene zu 
machen, als ob er wegen Resultatlosigkeit der Ver 
handlung weggehen wollte. 
„UebrigenS", setzte Schluck dies bemerkend, hinzu, 
„es wird mir schwer, zu glauben, daß Sie zu dem 
echten und rechten Schild gekommen wären. Wie 
ist's denn möglich? Der Graf Präuner hätte bei 
nahe sein Schloß dafür gegeben, um nur so ein 
Stück in der Sammlung zu haben, und jetzt soll 
er's Ihnen verkauft haben, Ihnen, der Sie ja 
garnichts Geschecktes damit anfangen können?" 
Urban Waldbrenner stand auf und ging an's 
Fenster, um nach dem Wetter zu sehen. Es regnete 
noch immer in Strömen, und kopfschüttelnd kehrte 
er zu dem bequemen Sopha zurück, um es sich 
noch eine Weile hier behaglich zu machen, weil er 
bei solchem Wetter die nichts weniger als glatte 
Straße nach Baden zum Bahnhof nicht befahren 
wollte. 
Wie um sich die Zeit zn vertreiben, begann er 
die Geschichte zu erzählen, wie er zu dem Schmuck- 
gegenstand gekommen war. Nichts konnte einfacher 
sein. Die Gräfin Präuner ergab sich dem damals 
auf dem Continent noch ziemlich neuen Vergnügen, 
Pferde zu ziehen, um damit auf den großen Rennen 
hohe Preise dafür zu erzielen und große Wetten 
zu gewinnen, mit außerordentlicher Leidenschaft. 
Große Summen gingen verloren. Nicht nur auf 
dem „Turf" selbst entschied sich dies, man wettete 
auch im geselligen Verkehr des Salons. Zu der 
Gesellschaft der Gräfin gehörte auch der älteste 
Sohn des tief verschuldeten Grafen Oldfred, welcher 
cs nur einem gewissen Erbarmen seines hauptsäch 
lichsten Gläubigers, Urban Waldbrenner, verdankte, 
daß die Verhältnisse nicht mit Scandal und Eclat 
zusammengebrochen waren. Der Müller übte da 
durch eine Art von Dankbarkeit, denn seine beiden 
verstorbenen Söhne waren vom Grafen gefördert 
und beschützt worden. 
Der älteste Sohn lebte seit langer Zeit in 
Paris und wußte dort anständig, seinem Range 
gemäß, aufzutreten. Die Gräfin Präuner sollte ihm 
eine große Wette bezahlen, die sie verloren hatte. 
Bereits' war eS zwischen ihr und ihrem Manne 
wegen des unverhältnißmäßigen Geldvcrbrauchs zu 
bedeutenden Zerwürfnissen gekommen. Die zuletzt 
nothivendig gewordene Zahlung zu leisten, weigerte 
sich Graf Präuner geradezu; selbst die Androhung 
eines Vcrzweiflungschrittes der Gräfin rührte ihn 
nicht mehr, und als er erst erfuhr, daß der Gewinner 
Graf Oldfred war, wurde der erboste Gatte etwas 
gefügiger. Zu seinen vielen unklaren Ideen ge 
hörte auch eine Verbindung mit dem finanziell 
so herabgekommenen Hanse Oldfred; ihm schimmerte 
dabei eine diplomatische Beziehung vor, die bis in 
die österreichische Staatskanzlei und sogar bis hinauf 
zum Hof des Kaisers Ferdinand reichen sollte. 
Darum war auch das nächste Resultat seiner Unter 
redung mit dem Gläubiger seiner Frau, daß dieser 
seinem Bruder Sigismund in Wien dringend em 
pfahl, mit dem Grafen Präuner und seiner Tochter 
nach der Rückkehr derselben in die Schönauer Gegend 
in näheren Verkehr zn treten. 
Das zweite Ergebniß der Unterredung war, daß 
Graf Oldfred die mit Edelsteinen besetzte Gold 
platte an Zahlnngsstatt annahm. Graf Präuner 
hatte sie nach Paris mitgenommen, weil er geglaubt, 
ebenfalls einen Talisman daran zu haben, auch ohne 
die dazu gehörige Hälfte in Gestalt eines orienta 
lischen Sclaven. Nun war aber im Gegentheil in 
Paris Unglück in's Haus gekommen, was den 
Grafen Präuner nicht hinderte, sein Anerbieten 
dadurch zu verstärken, daß er den Gegenstand für 
ein großes Glücksmittel ausgab. Graf Oldfred gab 
die Platte einem befreundeten Cavalier nach Oester 
reich mit, um sie dem Vater zu überbringen, von 
dem er dafür Geld verlangte. Dieser versetzte das 
Object wie gewöhnlich bei Urban Waldbrenner, 
welcher wohl wußte, daß er cs für eine entsprechende 
Nachzahlung als Eigenthum hätte erwerben können. 
Es war, daher natürlich, daß ihn die Mittheilungen 
Schlucks im Poststellwagen über den Ursprung und 
die Bedeutung dieser orientalischen Curiosität sehr 
in Anspruch nahmen. Was er von den äußeren 
Vorgänge», durch die sie in seinen Besitz gekommen 
war, in Erfahrung gebracht, erzählte er jetzt dem 
hoch aufhorchenden Sattlermeister und gab ihm von 
Neuem zu bedenken, wie viel Werth er darauf 
legen sollte, den Schatz wieder in der Familie zu 
haben. 
„Das Ding kann ein Brautgeschenk sein", sagte 
Urban, „am Tage des ersten Aufgebots kmn's der 
Melchior bringen, und dann ist ja alles wieder gut." 
Schluck blieb anscheinend sehr kalt, und es war 
deutlich zu erkennen, daß er eine Aufforderung er 
wartete, die Bedingungen, unter welchen er die 
Heirath zugeben wollte, selbst ausznsprechen. Wald- 
brenner, dem davor graute, unverrichteter Sache zu 
seinem Sohn zurückkehren zu müssen, sah sich denn 
auch endlich gezwungen, gerade heraiksznsagen: 
„Was verlangen Sie denn eigentlich? Ziehen S' 
vom Leder." 
„Ich verlange nur, >vas billig ist", erwiderte 
Schluck, „ich verlange für mich selbst keinen Groschen 
Geld. Für mich selbst ivill ich mich mit dem Talis 
man begnügen. Melchior aber muß Alles be 
zahlen, was auf dem Gut lastet, und es dann als 
schuldenfreies Eigenthum auf den Namen meiner 
Tochter umschreiben lassen. Ihr Haus muß es 
sein, ihr Hab und Gut, ihr alleiniges Eigenthum, 
ihr Wittivensitz, wenn sie den Mann überlebt, ihr 
eigenes Wohnhaus im Fall einer Scheidung. Ja, 
im Fall einer Scheidung hätte er nicht auf einen 
Nagel im Haus Anspruch, muß davongehen und 
ihr Alles allein überlassen. Das wäre die Be 
dingung." 
Urban Waldbrenner schien fast beleidigt zu sein. 
„Sie denken iveit voraus", sagte er, „sprechen 
schon vom Wittivensitz und mm erst gar von einer 
Scheidung. Warum sollen denn die jungen Leute 
tvieder auseinander gehen? Es schaut so aus, als 
ob Sie nicht auf eine Heirath, sondern ans eine 
Scheidung ausgingen." 
„Man muß in solchen Fällen auf alles Mögliche 
bedacht sein, fiel Schluck beschivichtigend ein, und 
der Müller ging langsam im Zimmer umher, sah 
wieder nach dem Wetter, das sich inzwischen ge 
bessert hatte, und blieb endlich mit den Worten 
stehen:' „Na, wissen Sic, die Dirn ist ein ganz 
sauberes Stück Weibsbild und mein Bub ist in sie 
verschossen. Wir wollen einig werden." 
Es wurde nun zwischen den beiden Männern 
verabredet, daß an einem der nächsten Tage in 
Wien im Hause Schluck's airs Grund der eben von 
ihm ausgesprochenen Bedingungen Alles fertig ge 
macht werden sollte. Noch immer ein wenig kopf 
schüttelnd stieg Urban Waldbrcnner die Treppe hinab 
und in seinen Wagen. Für Wendelin Schluck 
aber war jetzt das Schwierigste zu überwinden — 
der vorauszusetzende Widerstand seiner Tochter. 
Still und unaufhaltsam waren die beiden Frauen 
mit dem thätigen Abschied vom Hause beschäftigt, 
der darin bestand, hundert liebgewordcne Gegen 
stände, die man sonst immer beim Scheiden im 
Herbst zurückgelassen hatte und auf die zuerst der 
Blick gefallen, ivcnn man im Frühling wiederge 
kommen war, jetzt zusammenzulegen, zu verpacken, 
für immer nach der Stadt zurückzunehmen. Schluck 
sah dieser Emsigkeit am Abend nach Waldbrenner's 
Entfernung ruhig zu, ohne Einhalt zu thun, obgleich 
er die Mühe bereits für nnnöthig hielt. Allein er 
war noch zu sehr mit seinen Gedanken beschäftigt, als 
daß er sich durch heftige Auftritte in dem Bestreben 
Hütte stören lassen wollen, seine Lage, ivie sie sich 
nun gestaltet hatte und noch ferner gestalten sollte, 
klar zu überblicken. 
Wenn der Plan zur Ausfühung kam, so war 
vor Allem erreicht, daß seine Tochter die Guts 
besitzerin blieb, selbstständige Herrin eines nicht un 
bedeutenden Grundbesitzes, zu jeder Verfügung dar 
über allein berechtigt. Er selbst war dann freilich 
anscheinend nicht reicher geworden, allein die Be 
freiung von der Zinsenlast für die Hypotheken war 
schon an und für sich ein außerordentlicher Gewinn, 
ferner brauchte er an eine weitere Mitgift für die 
Tochter nicht mehr zn denken, und endlich gelangte 
er wieder in den Besitz des väterlichen Erbstückes 
— ein Gedanke, der ihn mehr, als er es irgend 
einem Menschen gestanden hätte, mit neuer Arbeits 
lust und mit neuen Glückshoffnungen erfüllte. 
Es blieb also nichts mehr zu thun, als feiner 
Tochter zu gebieten, ihre Hand in die des lateini 
schen Bauern zum ewigen Bunde zu legen. Hätte 
er Isidora zu einem der Mädchen erzogen, wie sie 
in seiner Heimath und in den Kreisen seines 
Standes beschaffen waren, Geschöpfe von schlichter, 
kleinbürgerlicher Art, gewohnt, in allen Fällen den 
Willen der Eltern zu thun, so. würde er seinen 
Befehl für hinreichend gehalten und an keine Schwie 
rigkeit geglaubt haben. Jetzt beschlich ihn in Anbe 
tracht des Wesens und der Bildung seiner Tochter 
ein unbestimmtes Gefühl, daß sie sich nicht nur 
widersetzen, sondern ihren Ungehorsam sogar als 
ein Recht und eine Tugend zur Geltung zu bringen 
suchen werde. 
Allein das Messer saß ihm an der Kehle. 
Hatte er sich doch sogar schon mit dem schauerlichen 
Gedanken vertraut gemacht, sein Kind mit dem 
alten Waldbrcnner zu verbinden — nachdem dieses 
Schreckbild beseitigt war, konnte die Zumuthung, 
einen hübschen und jungen Mann zu heirathen, nur 
ein billiges Verlangen sein. Widersprach doch auch 
seines Wissens keine Leidenschaft Jsidora's für irgend 
einen anderen Mann der gehegten Absicht, und zu 
letzt — er war ein Bürgersmann von alter Zucht 
und Ordnung und wollte schon zeigen, ivas er ver 
mochte. 
Dies Alles war ihm während der Nacht durch 
den Kopf gegangen. Obgleich er sonst dem ersten 
Frühstück nicht beiwohnte, schon weil es auch von 
den beiden Mädchen nicht gemeinsam eingenommen 
wurde, so ließ er doch am Morgen dieselben in das 
Zimmer bitten, wo die Mahlzeiten stattfanden. 
Das Zeichen einer gewissen Beklommenheit war. 
..-Vs
	        
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