Beilage zum Rendsburger Wochenblatt 9tr. 13.
Montag, den 30. Januar 1888.
8 ) Aer lateinische Wauer.
Erzählung von Hieronymus Lori».
Nachdruck verboten. Alle Rechte vorbehalten
Da näherte sich ihm ein Diener und sagte ihm
in's Ohr, daß ein fremder Mann in das Haus
getreten sei und den Herrn desselben, wenn möglich,
noch an diesem Abend zu sprechen wünsche. In
die mageren Wangen des Sattlermeisters schoß
alles Blut und drängte dann wieder zuni Herzen,
so daß die Rothe einer tödtlichen Blässe wich. Er
war während der letzten Woche wiederholt am Tabor
beim Müller Urban Waldbrenner gewesen, um den
räthselhaften Alten, den Graf Oldfred in Znaim
einen Zauberer genannt hatte, zur halb und halb
versprochenen Hülfe aufzubieten. Der Müller war
verreist, man stellte aber seine Rückkehr immer schon
für den nächsten Tag in Aussicht, und endlich ließ
Herr Wendelin nach wiederholter Enttäuschung einen
— Brief in der Mühle zurück, um Urban zu beschwören,
sogleich nach seiner Ankunft in die Schönauer Gegend
zu kommen oder Wendclin zu sich zu berufen.
War gerade jetzt, im Augenblick heißer, fieber
hafter Bewegung, da er sich durch lügenhafte Selbst
täuschungen über die nächste Zukunft hinwegheben
wollte, der Retter erschienen?
Wendelin Schluck erhob sich und bat seine Gäste,
ungestört bei Tische zu bleiben. Dann schritt er
hinaus und über einen langen Corridor nach der
Stube, wohin man den Fremden gewiesen hatte.
Er öffnete die Thür mit pochendem Herzen und
sah, daß er nicht Urban Waldbrenner vor sich hatte.
Ein junger Mann stand vor ihni im steierischen
Lodenrock, mit über die Knie hinaufreichenden Jagd
stiefeln und Gemsbart auf dem Hute, den er in
der Hand hielt.
„Herr Wendelin Schluck — verzeihen Sie, wenn
ich nach österreichischer Art sagen sollte: Herr von
Schluck, ich habe mir das ans deutschen Universi
täten abgewöhnt — habe ich die Ehre?"
„Ich bin der Gutsbesitzer Wendelin Schluck",
war die Antwort.
„Ich bin der Bauer Melchior aus Steiermark.
Sie wissen, weshalb ich komme. Freilich, freilich
ist es eine inipertincnte Stunde, zu der ich Sie
aufsuche; Sie sind bei der Tafel, Sie haben Gäste,
ich habe es selbst gesehen."
Diese Rede Melchior's fiel dem Anderen auf,
nicht gerade unangenehm, er mußte sich ja einem
Käufer gegenüber möglichst in großen Verhältnissen
zeigen, damit es diesem nicht einfalle, die Preise
herabdrücken zu wollen. Dennoch wollte Wendelin
wissen, auf welche Weise Melchior die Gesellschaft
im Saale schon gesehen hätte.
Der junge Mann erzählte, daß er mit eigenem
Fuhrwerk vor einer Stunde im Dorf Schönau an
gekommen und sodann zu Fuß herübergewandert war,
weil ihn die Ungeduld nicht ruhen ließ, zu erfahren,
ob Schluck anwesend sei oder am nächsten Tage in
Wien aufzusuchen wäre. Im Hause hatte ihm
keiner der vielbeschäftigten Diener nur einen Augen
blick Rede stehen wollen, und so hatte er sich bis
an die Schwelle des Saales gleichsam fortgetappt,
war aber beim Anblick der Tafel erschrocken zurück
gewichen und im Korridor geblieben, bis sich endlich
ein Bedienter seiner angenommen hatte.
„Ich habe gedacht", ergänzte Melchior seinen
Bericht, „daß wohl Ihre Leute nicht wissen werden,
ob Sie morgen hier sind, und mich deshalb bei
Ihnen melden lassen."
Bei den zwei brennenden Kerzen, die auf dem
Tische standen, betrachtete der Sattler den Ange
kommenen höchst aufmerksam. Es war ihm seltsam,
so ganz widersprechend seinem eigenen Wesen, daß
sich der junge Mann mit besonderer Betonung einen
Bauer genannt hatte, während er doch wegen eines
Kaufes gekommen war, zu welchem mehr Geld ge
hörte, als in diesem Stande gewöhnlich vorhanden ist.
„Sie haben studirt, wie Sie selbst sagen; mir
scheint, als ob Sic Ihren wahren Stand verbergen
wollten, und etwas Zweideutiges ist keine gute Ein
leitung zu einem Geschäft, wobei Alles klar sein
muß", sagte Wendelin mit sehr ernstem Tone.
Der junge Mann lachte, wobei er zwei Reihen
schöner weißer Zähne zeigte, und erwiderte:
„Ich bin halt doch nur ein Bauer. Freilich,
weil ich draußen im „Reich" war und sogar Ge
schriebenes lesen kann, neunen mich die Leut in meiner
Gegend den lateinischen Bauer. Es ist aber damit
nicht weit her. Die Landwirthschaft ist mein Um
und Auf. Bisher war ich nicht so recht mein
eigener Herr. Wenn ich aber ganz selber ans
einem Hof wirthschafte, dann will ich den Leuten
zeigen, wie viel Neues iu die Sachen hineinzu
bringen ist."
Sie kamen überein, daß Melchior bei Tages
anbruch sich wieder einfinden sollte, um mit Wen
delin nach der Kreisstadt zu fahren.- Dort war
Einsicht zu nehmen in die Grundbücher und Stcner-
bogen, was gleich einen Ueberblick gewährte, wie
der Complex des Gutes und seine materielle Be-
werthung beschaffen sei. Nach der Rückkehr aus
der Kreisstadt sollte Melchior die Feldwirthschaft
und die Waldbestände selbst begehen, in die Ver
hältnisse der jetzigen Verpachtung Einsicht nehmen
und sich so lange Zeit lassen, als er wollte, um
zu einem reiflich erwogenen Entschluß zu kommen.
Als Wcndelin zu seiner Gesellschaft zurückkehrte,
war ihr seine Erscheinung wie eine stumme Mahnung,
aufzubrechen; er sah offenbar nicht aus, als ob er
eine längere Unterhaltung wünschte. Es war bald
leer in dem großen Saal; die beiden Frauen, die
errathen hatten, daß wohl der längst angekündigte
Käufer gekommen sein müßte, verhielten sich schwei
gend. Ulrike empfand cs noch immer als ein
Unrecht, daß an dem Gnt nicht um jeden Preis
noch festgehalten wurde, wagte aber nicht, den Vor
wurf, der auf ihrem Gesicht zu lesen war, laut
werden zu lassen, sondern zog sich unwirsch zurück.
Isidora wartete ihre Entfernung ab, um sich dem
Vater an die Brust zu werfen.
„O, könnte ich Dir helfen", flüsterte sie; „wozu
ist man auf der Welt, wenn man in solchen Lagen
zu nichts nütze ist!"
„Ja, könntest Du mir helfen!" erwiderte er
rauh. „Bis heute Abend hab' ich's selber ge
glaubt, und ich Hütte Dir's gesagt: Hilf mir, und
wenn's Dein Leben kostet. Jetzt ist's zu spät, die
Hoffnung hat mich betrogen, und Du kannst nichts
mehr, als mit mir ins Elend ziehen."
Er beantwortete ihre Frage nicht, auf welche
Weise sie ihm hätte helfen können, und verließ sie
mit einer abwehrenden Bewegung. In seiner Schlaf
stube ging er noch immer auf und nieder, still für
sich fluchend und schimpfend, daß er auf den alten
Betrüger Urban Waldbrenner nur einen Augenblick
gehofft hatte.
Die Frauen saßen am nächsten Tage beim zweiten
Frühstück, als die Männer bereits von der Fahrt
nach der Kreisstadt zurückkehrten. Arnold Melchior,
wie ihn Wendelin vorstellte, >var städtischer gekleidet,
als bei seinem ernsten Erscheinen unmittelbar nach
der Reise, gab aber doch iu seinem Auftreten und
in jeder Bewegung den Landmann zu erkennen.
Die auffallende Schönheit seines gebräunten Ant
litzes und seine große Unbefangenheit bewirkten, daß
man ihn nicht unfähig glaubte, die raffinirten
Weltformen zu beobachten, sondern den Eindruck
hatte, als ob er verachtungsvoll verschmähte, sie zu
gebrauchen. Er erzählte von seinem Aufenthalt in
Heidelberg, an dessen Umgebung ihn Vieles hier
mahnte, so daß er die zahme Kastanie vermißte,
die dort in den Gürten anzutreffen war. Dabei
hielt er die großen braunen Augen fast unausgesetzt
ans Isidora gerichtet, weil er nicht Lust hatte, den
herben Zug um die Lippen der trotzig schweigenden
Ulrike durch an sie gerichtete Reden zu mildern.
Als Wendelin sich vom Frühstückstisch wieder erhob,
sprang Melchior wie erlöst auf; er erklärte, daß er
es mit der Besichtigung des Gutes ernst nehmen
müsse und daher keinen Augenblick verlieren wolle.
Wendclin theilte den Frauen mit, daß er in's Ge
schäft nach Wien gehe und erst in zwei Tagen
zurückkehren werde; Herr Arnold Melchior hätte
versprochen, bis dahin schlüssig zu werden.
(Fortsetzung folgt).
Vermischtes.
— Eine Prämie aus das Einfängen des Teufels
hat ein gewisser Mc Cormick in Peru, III., aus
gesetzt, indem er in einer dortigen Lokalzeitung
folgende Anzeige veröffentlicht: „Ich bezahle dem
Sheriff irgend eines der 102 Counties des Staates
Illinois Doll. 1000, wenn er mir den Teufel ge
fangen einliefert. Die Belohnung wird nur für
den Teufel bezahlt, welcher den Pferdefuß und die
anderen besonderen Merkmale des Teufels, besitzt.
Für irgend einen anderen Bewohner des Staates
Illinois, männlichen oder weiblichen Geschlechts, dem
diese Merkmale fehlen, wird keine Belohnung be
zahlt." — Der „Anz. des Westens" bemerkt:
„Bis jetzt hat man keine Nachricht, daß der „alte
Gentleman" erwischt worden ist. Es wäre rathfam,
daß man in Chicago nach ihm forschte, denn dort
ist bekanntlich oft „der Teufel los".
— Zwei Geschichten von Wölfen finden wir in
einer Nummer des „Pester Lloyd". Eine Geschichte,
wie sie von einem das Schreckliche als Selbstzweck
kultivirenden russischen Romanschriftsteller nicht
furchtbarer ersonnen werden könnte, wird aus Groß-
wardcin berichtet. Der Richter von Csehi, Wassilie
Csordar, wurde auf der Fahrt nach Hanse von
Wölfen angefallen. Die Pferde scheuten und rissen
aus, in Folge dessen der Richter ans dem Wagen
stürzte. Die hungrigen Bestien warfen sich auf den
Unglücklichen, den sie stückweise verschlangen. Der
Kutscher hatte wohl gesehen, daß der Richter vom
Wagen gefallen sei, ging ihm aber nicht zu Hilfe,
sondern hieb in die Pferde und fuhr davon.
Folgende unglaublich klingende Begebenheit wird
ferner voni 18. d. Mts. ans Fakset gemeldet:
Aus der benachbarten Gemeinde Dikees fuhr in der
jüngsten Nacht ein rumänischer Bauer mit seinem
13jährigen Sohne im Schlitten nach Lugos. Unter
wegs wurde der Schlitten von einem Rudel Wölfe
angegriffen und der Bauer, um nur sein eigenes
Leben zu retten, erfaßte seinen Sohn und warf ihn
den Wölfen zur Beute hin. Das unglückliche Kind
wurde von den Bestien augenblicklich in Stücke ge
rissen. In Lngos angelangt, fühlte der unnatür
liche Vater Gewissensbisse und stellte sich dem Ge
richtshöfe, worauf er in Haft genommen wurde.
— Von der entsetzlichen That eines Irrsinnigen
wird der „F. O. Z."> Folgendes aus dem Dorfe
Pollen zig im Krossener Kreise gemeldet: Der
dort ansässige irrsinnige Schiffer und Halbhäusler