Full text: Newspaper volume (1888, Bd. 1)

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Jahrgangs. 
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Redaction und Expedition des 
„llcndsb. Wochenblattes.“ 
Aus San Rcmo wird dem „23. T." ge- 
ntelbet: „Der Leipziger Professor der pathologischen 
Anatomie Karl Thiersch, Verfasser des Werkes: 
„Der Epithelialkrebs", schrieb hierher, nach dem 
Verschwinden der Drüsenanschwellungen und nach 
der Vernarbung von Geschwüren im Kehlkopfe des 
Kronprinzen könne er nicht glauben, daß das Leiden 
krebsartig sei." 
— Aus San Remo wird geschrieben: „Jl 
Carriere di Roma" erfährt von seinem Korrespon 
denten in San Remo einige interessante Einzelheiten 
über Dr. Mackenzie, noch mehr aber über dessen 
-vochtcr, bte ^ wir im Nachfolgenden wiedergeben. 
Wenn es auf die deutsche Kronprinzessin ankäme, 
dann dürfte sich der englische Arzt von dem Kron 
prinzen nie trennen, denn sie hält Stücke auf ihn. 
Und doch bekomme ihn der Kronprinz manchmal 
satt, denn Mackenzie habe bei aller Urbanität ein, 
Aerzten zuweilen eigenthümliches, barsches kurz an 
gebundenes Wesen. Mackenzie sei eine sehr nervöse 
Natur. Wenn der Mistral weht, dann fühlt er sich 
sehr angegriffen; man sieht dann den englischen Arzt 
ganz allein spazieren gehen oder besser laufen — 
man merkt es ihm an, daß cs ihm darauf ankommt, 
lich wegen der aufgeregten Nerven ansznlaufen. 
Mackenzie's Tochter ist ein heiteres Wesen, das nicht 
schlecht italienisch spricht. Die Prinzessinnen haben 
sich geradezu mit ihr befreundet. 
Petersburg. 30. Dec. Laut einem heute ver 
öffentlichten Tagesbefehl des Kriegsministers ist der 
erforderliche Eredit für die am 20. Februar ange 
ordnete Umwandlung der Lokal-Bataillone 
in Archangel, Petr-esawedsk, Prrur„ 
unb Astrachan in Reservekadrc-Bataillone zu fünf 
Eompagnicn vom Czaren genehmigt worden. Das 
betreffende Bataillon in Archangel soll in Kricgs- 
zeiten ein Regiment zu zwei Bataillonen bilden. 
den Nachrichten über Rüstungen und 
deutschfeindliche Gesinnungen im Ezarenreiche 
erregen die seit einiger Zeit einlaufenden Nachrichten 
über aufrührerisches Verhalten der Stu 
denten besonderes Aufsehen. Die russische Stu 
dentenschaft steht in schlechterem Rufe als irgend 
eine in Europa. Aber Rußland hat mit dieser 
wichtigen Schicht, die zugleich Bildung und Pro 
letariat darstellt, zu rechnen. Die Unruhen der 
letzten Tage sind so arg geworden, daß sämnitliche 
Universitäten geschlossen tvcrden mußten. Seltsamer 
Weise ist dabei der Gründer des Petersburger 
L>lavcnvercins und frühere Professor Orest Miller 
unter der Beschuldigung der Aufhetzung der Stu 
denten und des Sympathisirens mit den Nihilisten 
verhaftet worden. 
Brüssel, 31. Dec. Der russische offiziöse „Nord" 
sagt, wenn verlangt würde, daß Rußland seine An 
sprüche in der bulgarischen Frage formulire, so sei 
zu entgegnen, daß diese Ansprüche von lang her- 
bekannt seien. Rußland verlange die An 
wendung des Berliner Vertrages, es könne 
ihm aber nicht genügen, wenn man sich platonisch 
zu Gunsten desselben ausspreche. 
Wien» 1. Jan. Die Rückblicke der hiesigen Blätter 
auf das abgelaufene Jahr schließen natürlich mit 
Friedenswünschcn, bekunden jedoch keinerlei Zuver 
sicht. Das offiziöse „Fremdenblatt" führt aus, 
das neue Jahr beginne, wie das alte geschlossen 
habe. Oesterreich bewahre seine bekannten Grund 
sätze, wünsche den Frieden und sei auf seine Sicher 
heit und seine Interessen bedacht. Es überschreite 
die Schwelle des neuen Jahres im innigen Ver 
bände mit seinen Bundesgenossen, welche das gleiche 
Ziel verfolgen. — Im Allgemeinen erscheint die 
hiesige Auffassung, obgleich Fürst Lobanoff, der 
russische Botschafter, gestern wieder, anläßlich der 
Neujahrsgratulation, seine friedlichen Erklärungen 
Namens Rußlands erneuerte, der Hauptsache nach 
unverändert. Ueber die Publikation der „gefälschten 
Aktenstücke" lauten die Urtheile der Wiener Blätter 
verschieden. Die Einen deuten die Publikation un 
günstig, die Andern glauben dagegen, und höchst 
wahrscheinlich mit Recht, dieselbe sei mit Zustim 
mung des Czaren erfolgt, und sie erblicken hierin 
ein besseres Zeichen. (B. T.) 
London, 30. Dec. Heutige Depeschen bestätigen 
die erneute Vorschiebnng russischer Truppen nach 
Bessarabien. Eine Wiener telegraphische Mel 
dung des „Telegraph" versichert: . Oesterreich ver 
langte kategorisch die Zurückziehung der Truppen 
von der Grenze. 
London» 31. Dec. In einer Besprechung dcr 
europäischen Lage sagt der „Standard", 
daß wenn ein Krieg ansbrechen sollte, die englischen 
Sympathien (!) sicher auf Seiten Oesterreichs und 
seiner Alliirten sein würden; England werde niemals 
ein muthloser und passiver Zuschauer bleiben, wenn 
Rußland die Freiheit Bulgariens oder Frankreich 
die Einheit und Integrität Italiens angreifen würde. 
Rom, 31. Dec. Die dem Papste von den 
Katholiken der ganzen Welt überreichte Opfer- 
à ». f'ļj* rf« + 
auf 2 Millionen Lire. Heute empfing der 
Papst den Abgesandten des Großherzogs von Baden 
und gingen demselben weitere zahlreiche Glückwünsche 
zu, darunter diejenigen des Kronprinzen und der 
Kronprinzessin von Oesterreich sowie des Schahs 
von Persien. 
Rom, 30. Dec. Der Papst empfing heute 
in besonderer Audienz den Grafen von Brühl- 
Pfürten, welcher ein eigenhändiges Glückwunsch 
schreiben des Kaisers Wilhelm überreichte. 
Rom, 31. Dec. Der Herzog von Norfolk 
schenkte dem Papst aus seiner Privatkasse die 
Summe von 300,000 Francs. 
Rom, 30. Dec. Die Regierung hat den Bür 
germeister der Stadt Nom, Herzog Torlonia, 
wegen des vor einigen Tagen von ihm dem Kardinal 
vikar gemachten Besuches seiner Stelle entsetzt. 
Torlonia hatte nämlich ohne Autorisation des Ge- 
meindcraths und ohne die Regierung, deren Unter 
gebener er als ein vom König ernannter Syndaco 
war, zu befragen, dem Papst zu dessen Jubiläum 
die Glückwünsche drr Stadt Rom dargebracht. 
Crispi's energischer Schritt kam nicht unerwartet. 
Torlonia empfing heute den Gegenbesuch des Kar 
dinalvikars. 
Paris, 30. Decbr. Der „Temps" erfährt aus 
Madrid, die spanische Regierung habe an alle euro 
päischen Staaten und die amerikanischen Republiken 
ein Circular gesandt, in welchem sie dieselben auf 
fordert, sich an der vierhundertjährigen Feier der 
Entdeckung Amerika's im Jahre 1892 zu betheiligen. 
Die Bereinigten Staaten haben bereits zugesagt. 
Madrid, 30. Dec. Unweit Avila fand gestern 
ein Eisenbahnunfall statt, bei welchem 20 Personen 
getödtet und 38 Personen schwer verletzt wurden. 
Zürich, 30. Dec. In der Tonhalle ereignete 
sich während eines Konzerts ein unangenehmer 
Zwischenfall, indem plötzlich ein Stück der Decke 
prasselnd in den Saal niederstürzte. Mehrere 
Personen wurden von den herabfallenden Kalktheilen 
getroffen. Eine ältere Dame wurde am Kopfe 
nicht unerheblich verletzt und mußte aus dem Saale 
geführt werden. Das Publikum erhob sich bestürzt 
und Einzelne drängten erschreckt den AuSgängen zu. 
Direktor Hegar verhütete durch seine Geistesgegen 
wart eine schlimmere Verwirrung, indem er das 
Orchester ruhig weiterspielen ließ. Das Publikum 
erlangte bald seine Ruhe wieder und hörte das 
Konzert zu Ende. 
Aus China ^ eingegangenen Nachrichten zufolge 
epplodirte am 21. November in Amoy eine 
Pulvermühle mit 40,000 Kilo Pulver, wo 
durch viele Menschen getödtet und ein 
ganzer Stadttheil zerstört wurde. 
Ncwyork, 30. Dec. Die Delcgirtenkonferenz der 
Arbeiter der Philadclphia-Reading-Bahngesellschaft 
beschloß die Erneuerung des Strikes. 
Berlin, 31. Dec. Eine wie eS scheint, sehr- 
treffende Beleuchtung der Kriegs- und Friedensfrage 
giebt die „Köln. Ztg." in Folgendem: 
„Der offene Zwiespalt bleibt: nach wie vor will Ruß 
land kein von ihm unabhängiges Bulgarien dulden, stehe 
es unter einer republikanischen Leitung oder einem Bat- 
tcnberger oder Koburger, und ebensowenig will Oester 
reich russische Vasallenstaaten im Orient an die Stelle 
des früheren türkischen Reiches treten lassen .... Daß 
die Entfernung des Prinzen Koburg aus Bulgarien allein 
die Lage nicht freundlich gestalten würde, ist natürlich; 
vesffrn wurde sie üieselbe aber ^weiseUo. , oa nacp dem, 
was sich zwischen dem Koburger und dem Zaren abge 
spielt hat, an eine Annäherung oder, wenn man das 
Wort lieber hört, an eine Aussöhnung zwischen dem 
vielgeprüften jungen Donaustaate und dem russischen 
Reiche schlechterdings nicht zn denken ist .... Nur dem 
Zwange weichend wird Rußland auf die Dauer ganz 
Bulgarien aufgeben, und die Aussichten, daß der mora 
lische Zwang des Uebergewichts des Dreibundes allein 
hinreiche, erscheint uns gleich Null zu sein; Rußland 
wartet nur auf den paffenden Zeitpunkt, und unsere 
beste Hoffnung ist, daß es den jetzigen Zeitpunkt offen 
bar noch nicht sür den passenden hält." 
Berlin, 31. Dec. Auf Befehl des Kaisers 
von Rußland publizirt im heutigen „Reichs- 
anzcigcr" der Reichskanzler zur Prüfung des Inhalts 
und Ursprungs die ihm zugegangenen, die bul 
garische Frage betreffenden gefälschten Akten 
stücke. Die angestellten Ermittelungen ergaben, daß 
zwischen der Gräfin von Flandern, dem Prinzen 
Ferdinand von Coburg niemals eine Correspondenz 
stattgefunden und eine politische Eröffnung, wie die 
dem Botschafter Prinzen Reuß zugeschriebene nie 
mals gemacht worden ist. Auch die Beziehungen, 
welche den anderen hohen Herrschaften zugewiesen 
werden, sind erfunden. Die Aktenstücke sind von 
bisher unermittelten Personen lediglich zum Zwecke, 
Mißtrauen zwischen den europäischen Mächten her 
vorzurufen!, ohne jede thatsächliche Unterlage zu-' 
sammengestellt und erfunden. Wären die Andeutun 
gen in den fingirten Briefen begründet gewesen, 
so würde der amtlichen deutschen Politik der Bor- 
wurf der Duplizität und Unehrlichkeit haben gemacht 
werden können, da die deutsche Politik das Unter 
nehmen des Koburgers in Bulgarien als den Ver 
trägen zuwiderlaufend angesehen hat und noch ansieht. 
— Nach einem der „Kreuzztg." übermittelten 
Auszug des oben erwähnten Artikels des „Nord" 
wird in demselben noch die Ansicht ausgesprochen, 
daß ein dauerndes Gefühl der Ruhe erst dann 
wiederkehren werde, wenn sämmtliche Großmächte 
alle Schöpfungen rücksichtslos beseitigen, welche 
gegen die Bestimnmngen des Berliner Vertrages 
verstoßen. Vorschläge nach dieser Richtung würden, 
von welcher Seite sie auch immer ausgehen, in 
Petersburg ein offenes Ohr finden. 
^— Eine Jahresübersicht schließt die „National 
zeitung" mit der Bemerkung, wie es zu den be 
dauerlichsten Thatsachen des zu Ende gehenden Jahres 
gezählt werden müsse, daß das Verhalten der Re 
gierung nicht durchweg den Anforderungen cnsprochen 
habe, wonach eine Bürgschaft für die dauernde 
Möglichkeit eines Zusammengehens der National 
liberalen mit den Konservativen in einer Politik 
der Regierung gefunden werden kann, welche den 
liberalen Bestrebungen ebenso Rechnung trägt, ivie 
den konservativen. 
—_ Die Lorbeern der preußischen und sächsischen 
Lotterie lassen die Baiern nicht schlafen. Von 
Schwabach aus wird dem „B. T." zufolge eine 
an den Landtag zu richtende Petition um Einfüh 
rung einer baierischen Lotterie vorbereitet, durch 
welche der Abfluß des baierischen Kapitals nach 
Preußen und Sachsen gründlich verhütet werden soll. 
— Der deutsche Bäcker - Innungs - Ver- 
band „Germania" mit über 21,000 Mitgliedern 
hat sich einstimmig gegen die Brod tape erklärt. 
— Ein unglaublicherVorfallaus Darm 
stadt wird in den „Oberhessischen Nachrichten" 
mitgetheilt. Danach ist dort ein gräfliches Mit 
glied der ersten Kammer im Schlosse nicht zur 
Eidesleistung zugelassen worden, weil sich die staudes 
herrlichen Mitglieder der ersten Kammer geweigert 
hätten, mit dem Grafen zu tagen, da er s. Z. die 
verlangte Genugthuung im Duell ver 
weigert habe. Seitens der Standesherren ist 
ein Ausschuß gewählt worden, welcher den bereits 
seit elf Jahren spielenden Fall des Näheren unter 
suchen und über den Befund Bericht erstatten soll. 
Also unwürdig soll derjenige sein, an der 
Gesetzgebung theilzunehmen, welcher sich 
geweigert hat, an einem Vergehen gegen 
das Strafgesetzbuch theilzunehmen. Sollte 
cs mit dieser Nachricht wirklich seine Richtigkeit 
haben? 
Berlin, 30. Dec. Wie die „Berl. Pol. Nachr." 
melden, ist das Werk der Alters- und Invaliden 
versicherung der Arbeiter so weit gefördert, daß der 
Vorlegung des betreffenden Gesetzentwurfs an die 
gesetzgebenden Factoren des Reiches in den ersten 
Monaten des neuen Jahres mit Sicherheit entgegen 
gesehen werden darf. 
2«) Im Manne der MerlMnisse. 
Roman von Theodor Mügge. 
„Er schläft, Mathis, nach drei Tagen schläft 
er," flüsterte die Frau. „Sieh nur hin, 
ganz ruhig schläft er." 
Mathis beugte sich über sein Kind. Es 
athmete, es lebte. Es lag in weichen reinen 
Belten, als hätte es keinen Schmerz und sein 
Ģesicht einen neuen Lebensschimmer. 
Er setzte sich auf den Holzschemel und drückte 
leine Hände zusammen, immer heftiger zu- 
ŅŅN, je mehr er hörte. „Ich wußte nicht, 
Taa ^îe Frau, „den ganzen 
war IT ""ck allein gelassen, und nichts 
Znb D°s Kind wimmerte und 
wand sich, ich fies auf meine Knie und bat 
Gott lm Himmel um Erbarmen. Und wie ich 
1q ?' * 0t i C r ln f Ş'imme, und wie ich auf 
blickte, stand sie da." ^ 
„Wer?" murmelte Mathis. 
„Wer konnt's sein, Mathis, als die liebe 
Dame, das liebe Fräulein. Du hattest sie 
zum Haus hinausgetrieben, jetzt kam sie dennoch 
wieder; die Schwester hatte ihr von unserer 
Noth gesagt. Und kaum hatte sie gesehen, 
wie es stand, so mußt' ich fort nach der Stadt 
hinein, einen Zettel an den Doctor bringen; 
daraus stand geschrieben, er müßte auf der 
Stelle kommen. Und wie er kam, Mathis, 
war sie noch hier, und vom Gute war noch 
ein Mann gekommen und halte die Belten 
da gebracht und Vielerlei — Vielerlei!" 
„®er Doctor — was sagt er?" fragte 
Mathis, als wollt's ihn ersticken. 
„Wenn's gut gesiegt würde, Mathis, sorg- 
>Şg gesiegt, so würd'S durchkommen." 
. »Gut gepflegt!" versetzte er, auf das Kind 
Ulederschauend. 
»Es hat keine Noth, nein, nein, es hat's 
nicht," fuhr sie ängstlich sort. „O, Mathis! 
liebster Mathis, salt' Deine Hände zum Himmel 
auf, der uns den Netter geschickt hat." 
Mathis erwiderte nichts. Er hielt seinen 
Kopf niedergesenkt und rührte sich nicht, selbst 
nicht, als er Schritte in der Stube hörte und 
gleich darauf nahe bei ihm eine Stimme sprach, 
die er gut genug kannte. — Es war Gotlberg, 
das wußte er, und was dieser wollte, wußte 
er auch; aber hinter Gotlberg stand noch ein 
Herr im Schatten an der Thür. 
„Du hast mich vorhin nicht hören wollen, 
Mathis," sagte Gottberg, „willst Du mich jetzt 
hören?" — 
„Seid Ihr schon da?" murmelte Mathis. 
„Und er kommt nicht allein," antwortete 
der Fremde. 
Mathis fuhr in die Höh', wie der Fremde 
sprach, und musterte ihn bei dem schwachen 
Lichte. Es war ein großer, kräftiger Herr, 
noch jung an Jahren, aber mit einem klugen, 
scharfen Gesicht und einer Brille auf seiner 
Nase, unter welchen seine Augen stechend her 
vorblitzten. 
„Kennst Du mich wohl noch?" fragte er. 
„Ja, Herr," antwortete Mathis. 
„Manch hübsches Mal haben wir zusammen 
Dohnen gestellt und Sprenkel für die Schne 
pfen," fuhr der Herr fort; „wollen wir nicht 
wieder zusammen einen Raubvogel fangen?" 
»Nem Herr," sagte Mathis. 
„leicht?" erwiderte der junge Herr. „Mein 
Vater hat Dir Böses gethan." 
Mathis' Gesicht zog sich zusammen. 
„Dafür willst Du ihm nichts Gutes thun. 
Aber Eines kannst Du mir sagen, mir dem 
Sohn — Du hast ja auch einen Sohn — 
hat mein Vater" — 
„Halt!" fiel Mathis ein, „so geht es nicht." 
„Wie geht es also?" 
„Kommt mit !"j 
„Wohin?" 
«Aufs Gut hinauf. Ich will ihn fangen." 
Der Ministerialrath von Brand ließ seine 
Augen forschend auf ihm ruhen und sagte 
darauf: „Du willst zu dem Herrn von Rachau?" 
„Er hat mich zu seiner Verlobung einge 
laden." 
„Nun willst Du kommen?" 
„Ja, Herr, ich will kommen." 
„Wir werden Dich begleiten." 
«So muß es geschehen, Herr." 
„Höre, Malhis," begann der junge Herr 
von Brand, „ich weiß. Du thust nichts um 
Lohn und nichts aus Furcht; aber wissen sollst 
Du doch, daß, wenn Du uns treulich helfen 
und dienen willst, der reiche Lohn nicht aus 
bleiben wird; willst Du uns aber täuschen, 
so könntest Du leicht als ein Gehülfe bei dem 
Verbrechen, das hier begangen scheint, be 
trachtet und danach behandelt werden." 
„Ich helfe Euch nicht und diene Euch nicht," 
antwortete Mathis unerschütterlich. 
„Wem dienst Du denn?" fragte der Justiz 
beamte, nicht ohne Mißtrauen. 
„Ich will's Euch sagen, Herr!" ries der 
Bettler, indem seine Augen einen lichten Glanz 
erhielten. „Nicht Euch, nicht dem Herrn dort 
oben." — Er schlug sich mit der Hand auf 
die Brust. „Mit all Eurem Geld solltet Ihr 
meinen Mund nicht aufthun, aber — um des 
Kindes willen da und um den Engel, der's 
in seinen Arm genommen hat, darum muß eS 
so sein, und jetzt komm und laß uns gehen." 
„Ich bürge sür Mathis," sagte Goitberg 
zu seinem Freunde, der nicht recht zu wissen 
schien, waS er aus diesen Aeußerungen machen 
sollte. „Laß ihn gewähren, er wird uns nicht 
täuschen." 
Nach einigen Minuten war Mathis auf den 
Beinen, und rüstig führte er die beiden Herren 
an den Fluß hinab unb an den Steg zur 
Mühle hinüber; von dort ging der bei weitem 
nähere Piad zum Gute gerade hinauf an dem 
Schuppen vorüber; durch die Waldhügel jedoch 
lief der einsame Weg, an dessen Rande Eduard 
Willens sein unglückliches Ende gesunden. 
Diesen Weg schlug Mathis ein. 
Seine Begleiter hinderten ihn nicht daran; 
als sie jedoch an der Mühle vorübergingen, 
stand der Müller an seiner Thür, und nach 
einem kurzen Geflüster sprang er zurück und 
kam bald darauf wieder mit einem alten Ge 
wehr auf der Schulter und begleitet von drei 
tüchtigen Knechten und Mühlknappen, jeder 
mit seinem eisenbeschlagenen Stock, einer mit 
einem rostigen Säbel. 
So zogen sie hinter den beiden Herren her, 
aber nicht ganz leichten Muthes. Seit der 
Todte hier gefunden wurde, scheute sich Jeder 
vor dem Gang. Mancher halte schon über 
den Vorfall den Kopf geschüttelt, und unheim 
liches Geflüster ging umher, wenn auch Keiner 
laut und öffentlich ein verfänglich Wort zu 
sagen wagte. Dergleichen höhnisch Lachen und 
spitzig Wesen erlaubte sich Mathis allein. Wie 
der aber über den Major lachte und ihn ver 
wünschte, das war bekannt genug, also gaben 
die Leute auch nichts auf seine giftigen Be 
merkungen über den Reichthum, der dem 
Herrn in's Haus gefallen, und den Vetter, 
den er dafür sicher eingesargt in's Leichenhaus 
gesetzt habe; aber sitzen geblieben war dennoch 
Manches, weil's jedesmal so geht. So un 
glaublich und unerhört der Verdacht war, den 
Jeder von sich wies, so war die Thatsache 
doch nicht zu leugnen, und das geheime Grauen 
warf sich auf den blutigen Fleck Erde an dem 
wilden Rosenstrauch, der allein hätte erzählen 
können, was hier geschah.
	        
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