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EimmdachLMster
I», 106.
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3. September.
1888.
Die letzlwillige» Anfzeichrmnaen Kaiser
Wilhelms 1.
Der „Reichsanzeiger" veröffentlicht im Aufträge des
Kaisers die letztwilligen Aufzeichnungen Kaiser Wilhelms l.
In dein Erlaß, welcher die Veröffentlichung anordnet,
heißt es, daß die Aufzeichnungen „ein herrliches Zeugniß
erhabener Seelengröße und edlen, frommen Sinnes"
enthalten, dessen Kenntniß der Kaiser seinem Volke nicht
vorenthalten wolle. Der Kaiser giebt die Auszeichnungen
bekannt als ein Denkmal zur Ehre des Entschlafenen,
als ein Vorbild für sein Haus und sein Volk. Wir lassen
nunmehr die Aufzeichnungen nach dem „Reichsanzeiger"
hier wörtlich folgen:
Auszug
aus den letztwilligen Aufzeichnungen Sr. Majestät des in
Gott ruhenden Kaisers und Königs Wilhelm I.
Koblenz, den IO. April 1857.
Im Glauben ist Hoffnung!
Befiehl dem Herrn Deine Wege und hoffe
auf Ihn, Er wird es wohl machen!
Herr, Dein Wille geschehe im Himmel wie
auf Erden!—
Wenn diese Schrift in die Hände der Meinigen fällt, ge
höre ich zu den Abgeschiedenen! Möchte es mir vergönnt
sein in meinen letzten Lebensstunden, meinen Geist den
Händen niemes Gottes zu empfehlen! Möchte es mir
vergönnt sein, von meinen Theueren mich Ueberlebenden
Abschied nehmen zu können! Sollte ein jäher Tod mich
ereilen, so möge mein ganzes Leben eine Vorbereitung
für das Jenseits gewesen sein! Möge Gott mir ein
barmherziger Richter sein!
Ein viel bewegtes Leben liegt hinter mir! Nach
Gottes unerforschlicher Fügung haben Leid und Freude
in stetem Wechsel mich begleitet. Die schweren Ver
hängnisse, die ich in meiner Kindheit über das Vater
land einbrechen sah, der so frühe Verlust der unvergeß
lichen, theuren geliebten Mutter, erfüllten von früh an
mein Herz mit Ernst. Die Theilnahme an der Erhebung
des Vaterlandes war der erste Lichtpunkt für mein Le
ben. Wie kann ich es meinem heißgeliebten König und
Vater genugsam danken, daß er mich Theil nehmen ließ
an der' Ehre und dem Ruhm des Heeres! Seiner Füh
rung, Liebe, seiner Gnade danke ich ja Alles, was er mir
bis zu seinem Tode vertrauensvoll erwies! Die treuste
Pflichterfüllung war meine Ausgabe in liebender Dank
barkeit, sie war mein Glück! Dem Könige, meinem
Bruder, der mir zugleich vertrauensvoller Freund ist,
kann ich nie hinreichend für diese Stellung zu ihm dank
bar sein! Wir haben schöne, aber auch schwere Zeiten
zusanrnien durchlebt, die uns aber nur immer enger ver
bunden haben, vor Allein die jüngsten Jahre, wo Verrath
und Irrungen das theure Vaterland dem Abgrund nahe
brachten. Seiner Gnade und seinem Vertrauen danke
ich es, daß ich in Deutschland auf seinen Befehl Ord
nung und Zucht herstellen konnte, nachdem Er iin eige
nen àtande dies Beispiel gegeben hatte. Alle, die mit
lnir durch Freundschaft und Wohlivollen in Verbindung
traten, —- und ihre Zahl ist nach Gottes Weisheit nicht
gering gewesen, — finden hier meinen heißen Dank und
zugleich den letzten Dank für ihre Liebe mit der sie mir
begegneten. Viele sind mir in das Jenseits vorange
gangen — wie wird unser Wiedersehen sein? Allmächti
ger! Du kennst meine Dankbarkeit für Alles, was mir
hienieden Theures und Schmerzliches begegnete! In
Deine Hände befehle ich meinen Geist!! Amen!
Wilhelm.
Berlin, den 31. December 1866.
Seitdem ich am 10. April 1857 meinen Abschieds
ruß meinen zu Hinterlassenden niederschrieb, hat das
Schicksal mächtig in mein Leben eingegriffen. Die
Vorsehung bestimmte in einer ungeahnten Weise über
die letzten Lebensjahre ineines theuren Bruders und
berief mich noch bei seinem Leben zu seinem Nachfolger.
Als Gott den vielgeprüften König und Bruder von
seinem schweren Leiden gnädig erlöste, mußte ich den
Thron der Väter besteigen. Gegen meine Neigung
schritt ich zur Krönung, in tiefster Demuth, um Preußen
mit seinen neuen Institutionen die irdische Macht zu
vergegenwärtigen, die zu dessen Heil fest bestehen müsse.
Diese meine gewissenhafte Ueberzeugung hat mich ge
leitet und gestählt in den schweren Kämpfen, die ich
mit jenen neuen Institutionen Jahre lang zu bestehen
I
hatte. Diese Kämpfe haben mich tief erschüttert, weil
ich Stand halten mußte gegen ein wirres Andrängen,
gegen jene irdische Macht, die ich nicht aus den Händen
geben durfte, daß Preußens Geschichte nicht aufgegeben
werden sollte. Ich vergebe Allen, die wissentlich und
unwissentlich sich meinen, auf Gewissensüberzeugung
begründeten Absichten zum Wohle des Vaterlandes,
entgegensetzten, um die Macht der Krone zu schmälern,
und die Herzen der Preußen derselben zu entsremden.
Vergessen mögen meine Nachkommen es aber nicht,
daß Zeiten möglich waren, wie die von 1861—66! In
dem Jahre, ivelches heute schließt, hat sich Gottes Gnade
in einer Art über Preußen ergossen, die für so viel
Erduldetes reichlich entschädigt. In Demuth erkenne
ich diese göttliche Gnade, die mich ausersehen hat, in
meinem vorgerückten Alter eine Wendung der Verhält
nisse herbeizuführen, die zum Heil des engeren und
weiteren Vaterlandes bestiinnit zu sein scheint. Das
Werkzeug, so Großes zu erreichen, die Armee, steht
unübertroffen in diesem Augenblick vor der Welt. Der
Geists der sie beseelt, ist der Ausdruck der Gesittung,
die eine sorgliche Hand meiner erhabenen Vorfahren
der Nation anerzogen hat. Die Armee finde in allen
ihren Theilen in dieser ernsten Schcidestunde des Jahres
meinen Herzensdank für die Hingebung und Aufopsc-
rung, mit der sie meinem Rufe folgte und vor meinen
Augen siegte — ein Erlebniß, für das ich Gott meinen
demüthigen Dank stammle! Aber ganz Preußen finde
hier meinen Königlichen Dank für die Gesinnung, die
es in diesem denkwürdigen Jahre an den Tag legte!
Wo solche Vaterlandsliebe sich zeigt, da ist der gesunde
Sinn vorhanden, der Nationen groß macht, und darum
segnet sie Gott sichtlich! Meinen heißesten Dank finden
Alle hier, die mir halfen, durch schwere Zeiten zu dem
Lichtpunkte dieses Jahres zu gelangen! Möge Gottes
Segen immer auf Preußen ruhen und Preußen sich
dieses Segens tvürdig zeigen! Möge mein Sohn und
seine Nachkommen solches Volk und solche Armee um
sich sehen, und durch besonnenes, zeitgemäßes Fort
schreiten, das Wohl und Gedeihen Beider sorglich för
dern und Preußen die Stellung sichern, die ihm von
der Vorsehung sichtlich angewiesen ist! Das walte Gott
in Seiner Gnade!!! Mitternacht! 66—67.
Wilhelm.
III. 31. Dezember 1871.
1870—71.
Gott war init uns!
Ihm sei Lob, Preis, Ehre, Dank!
Als ich am Schluß des Jahres 1866 mit Dank er
fülltein Herzen Gottes Gnade dankend preisen durfte für
so unerwartet glorreiche Ereignisse, die sich zum Heile
Preußens gestalteten und den Anfang ju einer Neu-
Einigung Deutschlands nach sich zogen, da mußte ich
glauben, daß das von Gott mir aufgetragene Tagewerk
vollbracht sei, und ich dasselbe irun in Ruhe und Frieden
fortbildend, dereinst meinen, Sohne Glück bringend hinter
lassen würde, voraussehend, daß ihm es beschieden sein
werde, die südliche Hälfte Deutschlands mit der nörd
lichen zu einem Ganzen zu einen. Aber nach Gottes
unerforschlichem Rathschluß sollte ich berufen werden,
selbst noch diese Einigung herbeizuführen, wie sie sich
nach dem von Frankreich auf das frivolste herbeige
führten ebenso glorreichen als blutigen 7-mo»atlichen
Kriege — nunmehr darstellt! Wenn je in der Geschichte
sich Gottes Finger sichtlich gezeigt hat, so ist dies in den
Jahren 1866, 1870 und 71 geschehen. Der deutsch-
französische Krieg, der wie ein Blitz aus heiterem Himmel
herabfiel, einte ganz Deutschland in wenig Tagen und
seine Heere schritten von Sieg zu Sieg und erkämpften
mit schmerzlichen Opfern Ereignisse, die nur durch Gottes
Willen möglich waren. Dieser Wille stellte mir Männer
zur Seite, um so Großes vollbringen zu sollen. Dieser
Wille stählte die Gesinnung der Kämpfenden in Hin
gebung und Ausdauer und nie gekannter Tapferkeit, so
daß an Preußens Fahnen imd an die seiner Verbündeten
sich unvergänglicher Ruhm und neue Ehre knüpfte.
Dieser Wille begeisterte das Volk zu nie gekannter
Opferwilligkeit, zur Linderung der Leiden, die der Krieg
unvermeidlich schlügt! Mit demüthig dankerfülltem Herzen
preise ich Gottes Gnade, die uns würdig befunden hat,
so Großes nach seinem Willen vollbringen zu solle»!
Möge diese Gnade ferner uns zur Seite stehen beim
Auf- und Ausbau des neu geeinten Deutschlands, zu dem
erst der Grund gelegt ist und Frieden uns beschieden
sein „die Güter in Demuth zu genießen", die in bllitigen,
heißen Kämpfen errungen wurden!! — Herr, Dein Wille
geschehe im Himmel, also auch auf Erden!!! Amen!
Wilhelm.
IV. Berlin, den 31. December 1878,
'/-11 Uhr Abends.
Es gehet ein Jahr zu Ende, welches für inich ein ver-
hängnißvolles sein sollte! Ereignisse von erschütternder
Art trafen mich am 11. Mai und am 2. Juni! Die
körperlichen Leiden traten zurück gegen den Schmerz, daß
preußische Landeskinder eine That vollbrachten, die am
Schluß meiner Lebenstage doppelt schwer zu überwinden
war, und mein Herz und Gemüth für den Rest meiner
Tage finster erscheinen lassen! Doch muß ich mich er
geben in den Willen Gottes, der dies Alles zuließ, aber
zugleich seine Gnade und Barmherzigkeit walten ließ, da
Er mir nicht nur das Leben erhielt, sondern mich in
einer Weise gesunden ließ, die mich zu meinen Berufs
geschäften wieder fähig machte. So preise ich Gott für
diese Seine Führung, in der ich zugleich eine Mahnung
erkenne, mich zu prüfen, ehe ich vor dem Richterstuhl
des Allmächtigen erscheinen soll! Daher erkenne ich in
den so sichtbar gewordenen Ereignissen eine gnadenvolle
Führung Gottes, die zum Guten führen soll, wie Alles
was von Ihm in Leid und Freude uns trifft. Darum
preise ich die Vorsehung für die schmerzensvollen Ereigniffe
des ablaufenden Jahres. Sie haben mir aber auch Er
hebendes gebracht, durch die Theilnahme, welche mir von
allen Seiten zu Theil wurde. Zunächst findet hier meine
Gemahlin inemen heißen Dailk für die Liebe und Theil
nahme, die sie mir, selbst leidend, schenkte, demnächst
»lerne Tochter, die mit kindlicher Liebe mich pflegte imd
mir so wohl that. Alle Familienglieder nah und fern
finden hier meinen liebevollen Dank für Alles was sie
mir Theilnehmendes in der Schmerzenszeit bewiesen.
Allen denen, die in so überraschender Weise meiner ge
dachten, gebührt hier mein inniger Dank. Und woher
kam diese Theilnahme? Von wo anders als vom All
mächtigen, dessen Führung es wollte, daß ich in der Welt
so gestellt ward, daß Seine Gnade sich Jedermann ein
prägte, die über mir mattete. Und in dieser Waltunq
erkenne ich wiederum Seiire Liede und Barmherzigkeit,
daß Er mich ausrüstete, seinen Willen hier auf Erden
zu vollfuhren und Er mich und mein Volk ivürdiq fand,
das übertragene Pfund p verwalten. Also wiederum
nur Gottes Gnade preise ich in Allem, was mir von
Menschen in der Leidenszeit Gutes zu Theil ward. Aber
nicht blos in dieser Leidenszeit zeigte sich diese Theil
nahme, sondern jederzeit habe ich dieselbe in einem Maße
empfangen, die weit über das Verdienst ging, mit dem
ich jenes Pfund verwalten konnten. Die Menschen haben
meme Schwächen und Fehler übersehen wollen; aber
Der, ivelcher sie kennt, ivolle mir dereinst ein barm
herziger Richter sein, wo ich die Lehren und Weisungen
des Eingeborene» Sohnes des Himmlischen Vaters mcht
achtete ! Herr Dein Wille geschehe im Himmel also auch
auf Erden, pn Glauben ist die Hoffnung und die
hnnmlische^Liebe der Weg dahin! Amen! Wilhelm.
Paris, 1. Sept. Bei einem ihnen zu Ehren in
Hyöres veranstalteten Essen haben der französische
Ministerpräsident Floquet und der Marineminister
Krantz Friedcnsredcn gehalten. Krantz versicherte,
daß die stattgehabten Manöver keinerlei kriegerische
Bedeutung hätten, und daß man sich nur davon habe
überzeugen wollen, ob die Flotte in einem gegebenen
Augenblicke fertig sein könne. Daß dem so sei,
habe sich gezeigt. Frankreich wolle keinen
Krieg, aber wenn man dem Lande erklären könne,
daß cs keine Demüthigung zu erivarten habe und
daß es nicht zurückzuweichen brauche, werde Jeder
wissen, seine Schuldigkeit zu thun. Flog net dankte
für den ihm gewordenen herzlichen Empfang. Der
Grund seines Kommens sei der durchaus friedliche
gewesen, die Marine zu begrüßen, die auswärtige
Feinde nicht zu fürchten habe, falls cs solche Feinde
geben sollte.
*) Schwarzer Aeier?)
Novelle von W. v. Strachwitz.
Und wenn er nicht gestorben ist, so lebt er heute
noch, der biedere Baron Schindelberg, dessen lustige
Brantwerbungsgeschichte der Nachwelt aufzubewahren
der Zweck dieser Blätter ist.
Bei seinem Abgänge vom Kadettenkorps als
jüngster Lieutenant in die in Sch. garnisonirende
lllanenschwadron eingetreten, ist er allmählig znm
Premierlientenant avancirt und steht aus dieser wich
tigen Etappe ans dem Wege zum General zu dem
Zeitpunkt, da der geehrte Leser seine Bekanntschaft
wachen soll, schon eine stattliche Reihe von Jahren,
in deren Verlauf seine lange Gestalt hagerer, immer
hagerer, sein braunes Haar dünner, immer dünner
geworden. Obschon er noch einen weiten Weg bis
zum Major zurückzulegen hat, so erfreut er sich
doch nichtsdestoweniger der vom Volksmund als
unvermeidliches Attribut dieser Würde bezeichneten
Schulden, ohne daß er sich bisher sonderlich bedrückt
davon gefühlt hätte.
Ist Schindelburg so arm wie eine Kirchenmaus,
so besitzt er dafür den Onkel Rattenburg, der das
Angenehme glänzender Vcrmögensvcrhältnisse mit
dem, für unsern Schindelberg außerordentlich Nütz
lichen verbindet, alt, kinderlos und ohne weitere
verwandte, also das zu sein, was man mit dem
vielversprechenden Namen: reicher Erbonkel bezeichnet,
dem unser Schindelberg alljährlich zweinial, am
Ņeujahstage und am Geburtstage des alten Herrn
’ n einem in militairischer Kürze abgefaßten Briefe
Gesundheit und langes Leben wünscht; und wenn
der ehrwürdige Alte die Ergüsse nefflicher Zärtlich
st auch nur in einem noch kürzeren Briefe erwidert
ņņd auch das noch manchmal vergißt, so sind die
Şnsche des Erbncffcn doch um nichts weniger auf- .
Listig gemeint gewesen, sintemal der Eitel Isidor
Z^nnoch sich hat bereit finden lassen, bent Erb-
t" Nachdruck ist untersagt.
neffen den „seligen Onkel" schon bei des Alten
Lebzeiten gegen landesübliche Zinsen und ein kleines
Damno zu ersetzen.
Drei Monat nach Dato stellt sich der Hannoch
zwar pünktlich ein, und präscntirt das ° „kleine
Wcchselchc," doch wenn er auch jedes Mal bei Moses
und den Propheten betheuert, heute müsse er sein
Geld haben, so greift er doch geduldig in die
schmutzige Brieftasche, wenn ihn der lauge Lieutenant
lächelnd ansieht, und dazu seinen langen Schnurr
bart streicht, und zieht heraus ein langes, schmales
Papierchen. Baron Schwindelberg aber taucht die
verrostete Feder in das Tintenfaß, welches er am
Abend vorher vorsorglich hat durch seinen Burschen
für 3 Pfennige beim Kaufmann daneben füllen
lassen — und indem er wieder mit der Linken den
gewaltigen Schnurrbart lächelnd streicht, setzt die
Rechte in kräftigen Zügen den stolzen Namen
darunter, dessen letzter Träger der Held unserer
Geschichte ist, welcher, ohne die Berechnung der
Zinsen und des kleinen Damno einer Prüfung zu
würdigen, den schon ein für allemal feststehenden
Betrag einstreicht, den der uneigennützige Hannoch
inzwischen einem klebrigen Lcderbeutel entnommen
und ans den Tisch gezählt hat.
So hat es sich seit Jahren unzählige Male
.wiederholt, und Schindelberg hat sich wohl dabei
befunden, so wohl man sich in einem kleinen pol
nischen Neste befinden kann.
Und Schindelberg würde dem guten Onkel ein
ewiges Leben gegönnt haben, ohne zu wünschen, daß
cs jemals anders würde.
Da kam es mit einem Male anders, ganz
anders aber.
, Warn», runzelt seit einigen Tagen der lange
Lieutenant die Stirn? warum läßt er den borstigen
Pinscher nicht mehr über den Stock springen?
warum schimpft er den Burschen beim Nachhanse-
konimen aus dem Casino nicht einen alten Esel,
sondern nennt ihn bei seinem ehrlichen Namen
Schübel? warum wirft er ihm nicht, als dieser mit
einem „Gute Nacht, Herr Lieutenant", Kehrt macht,
nach alter _ Gewohnheit die Stiefeln nach? und
warum schickt er ihn heut nicht zum Kaufmann
daneben, um das Tintenfaß für drei Pfennige frisch
füllen zu lassen, da cs doch morgen „drei Monat
nach dato" ist?
Hat der alte Rattenburg endlich seine Pflicht ge
than und den theuren Neffen zum tief betrübten
Hinterbliebenen gemacht?
Die Antwort auf unsere Fragen erhalten wir,
wenn wir einen Blick über die Schulter des Barons
auf das zerknüllte Papier werfen, das er eben aus
der Hosentasche gezogen, und nachdem er es mit
der Hand glatt gestrichen, beim trüben Schein der
alten Oellampe anstarrt.
„Als ehelich Verbundene empfehlen sich:
Eberhard Kurt von Rattenburg,
Cäcilie von Hohenbüchen."
„Eh, eh, Eitel Isidor Hannoch, eh, eh!" seufzt
Schindelbcrg. „Wie wird das enden?"
Er stützt daS sorgenschwere Haupt auf die Hand;
umsonst tanzt der gelehrige Pinscher in seinen
schönsten Sprüngen, umsonst zündet sich Schindel-
berg die geliebte Pfeife mit dem schwarzgebeizten
Meerschanmkopfe an — die Grillen sind heut zu
ernstlicher Natur, als daß sie sich auf den Rauch
wolken hätten hinwegtragen lassen. Aergerlich wirft
er den versagenden Sorgenbrecher dem vierbeinigen,
ahnungslosen Freunde zwischen die vergeblich sich
für die Anfheitcrnng seines Herrn abmühenden
Pedale, daß der Pinscher mit jämmerlichem Geheul
unter das alte, wurmstichige Sopha fährt. Der
Lieutenant aber lagert seine langen Glieder auf das
harte Feldbett, und bald bürgt ein zwiefaches, herz
haftes Schnarchen dafür, daß die beiden Hartge
prüften die Schicksalsschläge abgeschüttelt und Ver
gessenheit für ihre Leiden gefunden haben. —
Die Sonne hat noch kaum den jungen Morgen
wachgcküßt; Lieutenant Schindelbcrg hat gerade die
Paris, 1. Sept. Unter den vielen Aeußerungen
des Zornes oder der Furcht, welche die Siege
Boulangers in der repulikanischen Presse Frank
reichs hervorriefen, ist eine der vernünftigsten die
kurze Schilderung, welche das „Journ. des Debats"
von der gegenwärtigen Lage der Republik giebt:
Im Namen der republikanischen Disciplin hat man
die Statsverwaltung desorganisiert, die Beamten
den Verleumdungen oder Eifersüchteleien der Bczirks-
wahlcomitees preisgeben und die Regierung in einen
solchen Zustand der Ohnmacht versetzt, daß der
Kriegsminister nicht einmal wagt, sich einen Gene-
ralstabschcf zu geben, aus Furcht sich die Ungnade
dieser oder jener republikanischen Fraction zuzuziehen,
die sich um ihn „concentriert" hat. Im Namen
der republikanischen Disciplin hat man uns seit
zehn Jahren einen Abhang hinunter rutschen lassen
von Waddington zu Ferry, von Ferry zu Freycinet
von Freycinet zu Floquet. Man beginnt endlich
zu sehen, was am Ende des Abhanges ist, und
man begreift, daß wir verloren sind, wenn wir nicht
wieder hinaufsteigen. Aber man steigt nicht hinauf,
wenn man den Radikalen die Hand reicht.'
Paris, 31. Aug. Mit dem in Nizza verhafteten
deutschen Spion „Fritz Kilian von Hohenburg" ist's
nun wieder nichts. Dem „Matin" wird hierüber
telegraphirt: „Die gestern beschlagnahmte Patrone
ist einfach ein leeres Etui einer Patrone des Gras-
GewehreS und nicht des Lebel-Gewehres.
London, 1. Sept. Daß England mit seiner
Kriegsflotte sehr schlecht daran ist, wurde schon öfters
bemerkt. Das Ergebniß der in den letzten Wochen
veranstalteten großen Flottenmanöver läßt sich
in Folgendem zusammenfassen. Fast ohne Aus
nahme erwies sich die Fahrgeschwindigkeit der großen
Panzerschiffe als durchaus ungenügend, ganz ab
gesehen davon, daß die Maschinen fast jeden Tag
defect wurden. Die Vorrichtungen, um Kohlen an
Bord zu nehmen, find durchgängig ungenügend:
der „Invincible" z. B. brauchte 8 Stunden, um
200 Tonnen Kohlen aufzunehmen. Die Schiffe
alter Construction erwiesen sich in jeder Beziehung
brauchbarer als die neuesten Colosse; ihre Fahrge
schwindigkeit ist größer und die Kamine rauchen
wenig oder gar nicht. Die Torpedoboote mit sehr-
großer' Fahrgeschwindigkeit sind bei einigermaßen be
wegter See absolut unverwendbar und selbst bei
ruhigem Seegang gefährlich (für die Bemannung
nämlich). Bei den meisten großen Panzerschiffen
(Thurmschisfe ausgenommen) sind Mast und Takelage
eher ein Schaden als nützlich.
Berlin, 1. Sept. Die heutige Parade des gan
zen Gardekorps auf dem Tempelhofer Felde nahm
bei prachtvollem Wetter den glänzendsten Verlauf.
Der Kaiser war bereits früh um 7'/, Uhr an der
Spitze der Fahnenkompagnie auf dem Paradefeld
erschienen und dann nach der Stadt zurückgekehrt.
Schlag 9 Uhr erschien der Kaiser, welcher die große
Generalsuniform trug, mit den übrigen Fürstlich
keiten in der Kaserne der ersten Gardcdragoner,
welche zu Pferde gestiegen waren. Auf dem Parade-
felde ritt rechts neben dem Kaiser der König von
Schweden, daneben der König von Sachsen, dahinter
der Prinz Heinrich, der Kronprinz von Griechen
land und der Prinz Albrecht mit dem Feldmarschall
stab in der Hand und andere Fürstlichkeiten und die
fremden Militärbevollmächtigten. Der Kaiser und
ihm für heut so nöthige Stärkung in dem ihm
von Schöbcls geschickter Hand gebrauten schwarzen
Kaffee gefunden und eben die lange Pfeife in Brand
gesteckt, so hört er auch schon einen schlürfenden
Schritt der Thür sich nahen, ein zaghaftes Klopfen
erfolgt, und auf Schindelbcrgs schallendes „Herein!"
betritt Eitel Isidor Hannoch unter vielen Bücklingen
das Zimmer. Den schäbigen Cylinderhut stellt er
demüthig neben der Thür auf den Fußboden und
indem er unter wiederholten Verneigungen einen
scheuen, aber schlau beobachtenden Blick auf den
Lieutenant zwischen den, sein Haupt umschwankenden,
langen schivarzen Stirnlocken hindurch wirft, grüßt
er mit leiser, girrender Stimme: „Untcrthänigsten
guten Morgen, gnädigster Herr Baron!" Schindel
berg ruft dm Pinscher zurück, der sich in zwei
wüthenden Sprüngen auf den Hebräer gestürzt und
wie rasend an den langen, bis über das Knie
desselben reichenden Rockschößen zerrt, während der
mit Recht um das Wohl seiner Waden Besorgte
wie ein Kreisel niit angstvoller Geberdc um sich
selbst sich dreht.
„Gott gerechtet, Herr Baron, was haben Sie
for'n reißendes Thier!"
„Zurück, Satan!" ruft Schindclberg und jagt
den Hund mit einem kräftigen Fußtritt unter das
Sopha, von wo dieser aber im nächsten Augenblick
leise zurückkehrt und eine Attake ans den am Boden
stehenden Hut des Juden unternimmt, den er an
der breiten Krempe faßt und unbemerkt in seine
Höhle schleift.
„Eh, eh, wo bringt denn Euch der Teufel her?"
„Waih geschrieen! Herr Lieutenant, >vas führen
Sie heut für gottlose Reden gegen einen alten,
ehrlichen Mann. Was fragen Sc, was mer her
führt? Zahlen Sc mer mein Geld, wo ich babe
das Wcchselchc in der Tasche."
(Forschung folgt).