Full text: Newspaper volume (1888, Bd. 1)

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EimmdachLMster 
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3. September. 
1888. 
Die letzlwillige» Anfzeichrmnaen Kaiser 
Wilhelms 1. 
Der „Reichsanzeiger" veröffentlicht im Aufträge des 
Kaisers die letztwilligen Aufzeichnungen Kaiser Wilhelms l. 
In dein Erlaß, welcher die Veröffentlichung anordnet, 
heißt es, daß die Aufzeichnungen „ein herrliches Zeugniß 
erhabener Seelengröße und edlen, frommen Sinnes" 
enthalten, dessen Kenntniß der Kaiser seinem Volke nicht 
vorenthalten wolle. Der Kaiser giebt die Auszeichnungen 
bekannt als ein Denkmal zur Ehre des Entschlafenen, 
als ein Vorbild für sein Haus und sein Volk. Wir lassen 
nunmehr die Aufzeichnungen nach dem „Reichsanzeiger" 
hier wörtlich folgen: 
Auszug 
aus den letztwilligen Aufzeichnungen Sr. Majestät des in 
Gott ruhenden Kaisers und Königs Wilhelm I. 
Koblenz, den IO. April 1857. 
Im Glauben ist Hoffnung! 
Befiehl dem Herrn Deine Wege und hoffe 
auf Ihn, Er wird es wohl machen! 
Herr, Dein Wille geschehe im Himmel wie 
auf Erden!— 
Wenn diese Schrift in die Hände der Meinigen fällt, ge 
höre ich zu den Abgeschiedenen! Möchte es mir vergönnt 
sein in meinen letzten Lebensstunden, meinen Geist den 
Händen niemes Gottes zu empfehlen! Möchte es mir 
vergönnt sein, von meinen Theueren mich Ueberlebenden 
Abschied nehmen zu können! Sollte ein jäher Tod mich 
ereilen, so möge mein ganzes Leben eine Vorbereitung 
für das Jenseits gewesen sein! Möge Gott mir ein 
barmherziger Richter sein! 
Ein viel bewegtes Leben liegt hinter mir! Nach 
Gottes unerforschlicher Fügung haben Leid und Freude 
in stetem Wechsel mich begleitet. Die schweren Ver 
hängnisse, die ich in meiner Kindheit über das Vater 
land einbrechen sah, der so frühe Verlust der unvergeß 
lichen, theuren geliebten Mutter, erfüllten von früh an 
mein Herz mit Ernst. Die Theilnahme an der Erhebung 
des Vaterlandes war der erste Lichtpunkt für mein Le 
ben. Wie kann ich es meinem heißgeliebten König und 
Vater genugsam danken, daß er mich Theil nehmen ließ 
an der' Ehre und dem Ruhm des Heeres! Seiner Füh 
rung, Liebe, seiner Gnade danke ich ja Alles, was er mir 
bis zu seinem Tode vertrauensvoll erwies! Die treuste 
Pflichterfüllung war meine Ausgabe in liebender Dank 
barkeit, sie war mein Glück! Dem Könige, meinem 
Bruder, der mir zugleich vertrauensvoller Freund ist, 
kann ich nie hinreichend für diese Stellung zu ihm dank 
bar sein! Wir haben schöne, aber auch schwere Zeiten 
zusanrnien durchlebt, die uns aber nur immer enger ver 
bunden haben, vor Allein die jüngsten Jahre, wo Verrath 
und Irrungen das theure Vaterland dem Abgrund nahe 
brachten. Seiner Gnade und seinem Vertrauen danke 
ich es, daß ich in Deutschland auf seinen Befehl Ord 
nung und Zucht herstellen konnte, nachdem Er iin eige 
nen àtande dies Beispiel gegeben hatte. Alle, die mit 
lnir durch Freundschaft und Wohlivollen in Verbindung 
traten, —- und ihre Zahl ist nach Gottes Weisheit nicht 
gering gewesen, — finden hier meinen heißen Dank und 
zugleich den letzten Dank für ihre Liebe mit der sie mir 
begegneten. Viele sind mir in das Jenseits vorange 
gangen — wie wird unser Wiedersehen sein? Allmächti 
ger! Du kennst meine Dankbarkeit für Alles, was mir 
hienieden Theures und Schmerzliches begegnete! In 
Deine Hände befehle ich meinen Geist!! Amen! 
Wilhelm. 
Berlin, den 31. December 1866. 
Seitdem ich am 10. April 1857 meinen Abschieds 
ruß meinen zu Hinterlassenden niederschrieb, hat das 
Schicksal mächtig in mein Leben eingegriffen. Die 
Vorsehung bestimmte in einer ungeahnten Weise über 
die letzten Lebensjahre ineines theuren Bruders und 
berief mich noch bei seinem Leben zu seinem Nachfolger. 
Als Gott den vielgeprüften König und Bruder von 
seinem schweren Leiden gnädig erlöste, mußte ich den 
Thron der Väter besteigen. Gegen meine Neigung 
schritt ich zur Krönung, in tiefster Demuth, um Preußen 
mit seinen neuen Institutionen die irdische Macht zu 
vergegenwärtigen, die zu dessen Heil fest bestehen müsse. 
Diese meine gewissenhafte Ueberzeugung hat mich ge 
leitet und gestählt in den schweren Kämpfen, die ich 
mit jenen neuen Institutionen Jahre lang zu bestehen 
I 
hatte. Diese Kämpfe haben mich tief erschüttert, weil 
ich Stand halten mußte gegen ein wirres Andrängen, 
gegen jene irdische Macht, die ich nicht aus den Händen 
geben durfte, daß Preußens Geschichte nicht aufgegeben 
werden sollte. Ich vergebe Allen, die wissentlich und 
unwissentlich sich meinen, auf Gewissensüberzeugung 
begründeten Absichten zum Wohle des Vaterlandes, 
entgegensetzten, um die Macht der Krone zu schmälern, 
und die Herzen der Preußen derselben zu entsremden. 
Vergessen mögen meine Nachkommen es aber nicht, 
daß Zeiten möglich waren, wie die von 1861—66! In 
dem Jahre, ivelches heute schließt, hat sich Gottes Gnade 
in einer Art über Preußen ergossen, die für so viel 
Erduldetes reichlich entschädigt. In Demuth erkenne 
ich diese göttliche Gnade, die mich ausersehen hat, in 
meinem vorgerückten Alter eine Wendung der Verhält 
nisse herbeizuführen, die zum Heil des engeren und 
weiteren Vaterlandes bestiinnit zu sein scheint. Das 
Werkzeug, so Großes zu erreichen, die Armee, steht 
unübertroffen in diesem Augenblick vor der Welt. Der 
Geists der sie beseelt, ist der Ausdruck der Gesittung, 
die eine sorgliche Hand meiner erhabenen Vorfahren 
der Nation anerzogen hat. Die Armee finde in allen 
ihren Theilen in dieser ernsten Schcidestunde des Jahres 
meinen Herzensdank für die Hingebung und Aufopsc- 
rung, mit der sie meinem Rufe folgte und vor meinen 
Augen siegte — ein Erlebniß, für das ich Gott meinen 
demüthigen Dank stammle! Aber ganz Preußen finde 
hier meinen Königlichen Dank für die Gesinnung, die 
es in diesem denkwürdigen Jahre an den Tag legte! 
Wo solche Vaterlandsliebe sich zeigt, da ist der gesunde 
Sinn vorhanden, der Nationen groß macht, und darum 
segnet sie Gott sichtlich! Meinen heißesten Dank finden 
Alle hier, die mir halfen, durch schwere Zeiten zu dem 
Lichtpunkte dieses Jahres zu gelangen! Möge Gottes 
Segen immer auf Preußen ruhen und Preußen sich 
dieses Segens tvürdig zeigen! Möge mein Sohn und 
seine Nachkommen solches Volk und solche Armee um 
sich sehen, und durch besonnenes, zeitgemäßes Fort 
schreiten, das Wohl und Gedeihen Beider sorglich för 
dern und Preußen die Stellung sichern, die ihm von 
der Vorsehung sichtlich angewiesen ist! Das walte Gott 
in Seiner Gnade!!! Mitternacht! 66—67. 
Wilhelm. 
III. 31. Dezember 1871. 
1870—71. 
Gott war init uns! 
Ihm sei Lob, Preis, Ehre, Dank! 
Als ich am Schluß des Jahres 1866 mit Dank er 
fülltein Herzen Gottes Gnade dankend preisen durfte für 
so unerwartet glorreiche Ereignisse, die sich zum Heile 
Preußens gestalteten und den Anfang ju einer Neu- 
Einigung Deutschlands nach sich zogen, da mußte ich 
glauben, daß das von Gott mir aufgetragene Tagewerk 
vollbracht sei, und ich dasselbe irun in Ruhe und Frieden 
fortbildend, dereinst meinen, Sohne Glück bringend hinter 
lassen würde, voraussehend, daß ihm es beschieden sein 
werde, die südliche Hälfte Deutschlands mit der nörd 
lichen zu einem Ganzen zu einen. Aber nach Gottes 
unerforschlichem Rathschluß sollte ich berufen werden, 
selbst noch diese Einigung herbeizuführen, wie sie sich 
nach dem von Frankreich auf das frivolste herbeige 
führten ebenso glorreichen als blutigen 7-mo»atlichen 
Kriege — nunmehr darstellt! Wenn je in der Geschichte 
sich Gottes Finger sichtlich gezeigt hat, so ist dies in den 
Jahren 1866, 1870 und 71 geschehen. Der deutsch- 
französische Krieg, der wie ein Blitz aus heiterem Himmel 
herabfiel, einte ganz Deutschland in wenig Tagen und 
seine Heere schritten von Sieg zu Sieg und erkämpften 
mit schmerzlichen Opfern Ereignisse, die nur durch Gottes 
Willen möglich waren. Dieser Wille stellte mir Männer 
zur Seite, um so Großes vollbringen zu sollen. Dieser 
Wille stählte die Gesinnung der Kämpfenden in Hin 
gebung und Ausdauer und nie gekannter Tapferkeit, so 
daß an Preußens Fahnen imd an die seiner Verbündeten 
sich unvergänglicher Ruhm und neue Ehre knüpfte. 
Dieser Wille begeisterte das Volk zu nie gekannter 
Opferwilligkeit, zur Linderung der Leiden, die der Krieg 
unvermeidlich schlügt! Mit demüthig dankerfülltem Herzen 
preise ich Gottes Gnade, die uns würdig befunden hat, 
so Großes nach seinem Willen vollbringen zu solle»! 
Möge diese Gnade ferner uns zur Seite stehen beim 
Auf- und Ausbau des neu geeinten Deutschlands, zu dem 
erst der Grund gelegt ist und Frieden uns beschieden 
sein „die Güter in Demuth zu genießen", die in bllitigen, 
heißen Kämpfen errungen wurden!! — Herr, Dein Wille 
geschehe im Himmel, also auch auf Erden!!! Amen! 
Wilhelm. 
IV. Berlin, den 31. December 1878, 
'/-11 Uhr Abends. 
Es gehet ein Jahr zu Ende, welches für inich ein ver- 
hängnißvolles sein sollte! Ereignisse von erschütternder 
Art trafen mich am 11. Mai und am 2. Juni! Die 
körperlichen Leiden traten zurück gegen den Schmerz, daß 
preußische Landeskinder eine That vollbrachten, die am 
Schluß meiner Lebenstage doppelt schwer zu überwinden 
war, und mein Herz und Gemüth für den Rest meiner 
Tage finster erscheinen lassen! Doch muß ich mich er 
geben in den Willen Gottes, der dies Alles zuließ, aber 
zugleich seine Gnade und Barmherzigkeit walten ließ, da 
Er mir nicht nur das Leben erhielt, sondern mich in 
einer Weise gesunden ließ, die mich zu meinen Berufs 
geschäften wieder fähig machte. So preise ich Gott für 
diese Seine Führung, in der ich zugleich eine Mahnung 
erkenne, mich zu prüfen, ehe ich vor dem Richterstuhl 
des Allmächtigen erscheinen soll! Daher erkenne ich in 
den so sichtbar gewordenen Ereignissen eine gnadenvolle 
Führung Gottes, die zum Guten führen soll, wie Alles 
was von Ihm in Leid und Freude uns trifft. Darum 
preise ich die Vorsehung für die schmerzensvollen Ereigniffe 
des ablaufenden Jahres. Sie haben mir aber auch Er 
hebendes gebracht, durch die Theilnahme, welche mir von 
allen Seiten zu Theil wurde. Zunächst findet hier meine 
Gemahlin inemen heißen Dailk für die Liebe und Theil 
nahme, die sie mir, selbst leidend, schenkte, demnächst 
»lerne Tochter, die mit kindlicher Liebe mich pflegte imd 
mir so wohl that. Alle Familienglieder nah und fern 
finden hier meinen liebevollen Dank für Alles was sie 
mir Theilnehmendes in der Schmerzenszeit bewiesen. 
Allen denen, die in so überraschender Weise meiner ge 
dachten, gebührt hier mein inniger Dank. Und woher 
kam diese Theilnahme? Von wo anders als vom All 
mächtigen, dessen Führung es wollte, daß ich in der Welt 
so gestellt ward, daß Seine Gnade sich Jedermann ein 
prägte, die über mir mattete. Und in dieser Waltunq 
erkenne ich wiederum Seiire Liede und Barmherzigkeit, 
daß Er mich ausrüstete, seinen Willen hier auf Erden 
zu vollfuhren und Er mich und mein Volk ivürdiq fand, 
das übertragene Pfund p verwalten. Also wiederum 
nur Gottes Gnade preise ich in Allem, was mir von 
Menschen in der Leidenszeit Gutes zu Theil ward. Aber 
nicht blos in dieser Leidenszeit zeigte sich diese Theil 
nahme, sondern jederzeit habe ich dieselbe in einem Maße 
empfangen, die weit über das Verdienst ging, mit dem 
ich jenes Pfund verwalten konnten. Die Menschen haben 
meme Schwächen und Fehler übersehen wollen; aber 
Der, ivelcher sie kennt, ivolle mir dereinst ein barm 
herziger Richter sein, wo ich die Lehren und Weisungen 
des Eingeborene» Sohnes des Himmlischen Vaters mcht 
achtete ! Herr Dein Wille geschehe im Himmel also auch 
auf Erden, pn Glauben ist die Hoffnung und die 
hnnmlische^Liebe der Weg dahin! Amen! Wilhelm. 
Paris, 1. Sept. Bei einem ihnen zu Ehren in 
Hyöres veranstalteten Essen haben der französische 
Ministerpräsident Floquet und der Marineminister 
Krantz Friedcnsredcn gehalten. Krantz versicherte, 
daß die stattgehabten Manöver keinerlei kriegerische 
Bedeutung hätten, und daß man sich nur davon habe 
überzeugen wollen, ob die Flotte in einem gegebenen 
Augenblicke fertig sein könne. Daß dem so sei, 
habe sich gezeigt. Frankreich wolle keinen 
Krieg, aber wenn man dem Lande erklären könne, 
daß cs keine Demüthigung zu erivarten habe und 
daß es nicht zurückzuweichen brauche, werde Jeder 
wissen, seine Schuldigkeit zu thun. Flog net dankte 
für den ihm gewordenen herzlichen Empfang. Der 
Grund seines Kommens sei der durchaus friedliche 
gewesen, die Marine zu begrüßen, die auswärtige 
Feinde nicht zu fürchten habe, falls cs solche Feinde 
geben sollte. 
*) Schwarzer Aeier?) 
Novelle von W. v. Strachwitz. 
Und wenn er nicht gestorben ist, so lebt er heute 
noch, der biedere Baron Schindelberg, dessen lustige 
Brantwerbungsgeschichte der Nachwelt aufzubewahren 
der Zweck dieser Blätter ist. 
Bei seinem Abgänge vom Kadettenkorps als 
jüngster Lieutenant in die in Sch. garnisonirende 
lllanenschwadron eingetreten, ist er allmählig znm 
Premierlientenant avancirt und steht aus dieser wich 
tigen Etappe ans dem Wege zum General zu dem 
Zeitpunkt, da der geehrte Leser seine Bekanntschaft 
wachen soll, schon eine stattliche Reihe von Jahren, 
in deren Verlauf seine lange Gestalt hagerer, immer 
hagerer, sein braunes Haar dünner, immer dünner 
geworden. Obschon er noch einen weiten Weg bis 
zum Major zurückzulegen hat, so erfreut er sich 
doch nichtsdestoweniger der vom Volksmund als 
unvermeidliches Attribut dieser Würde bezeichneten 
Schulden, ohne daß er sich bisher sonderlich bedrückt 
davon gefühlt hätte. 
Ist Schindelburg so arm wie eine Kirchenmaus, 
so besitzt er dafür den Onkel Rattenburg, der das 
Angenehme glänzender Vcrmögensvcrhältnisse mit 
dem, für unsern Schindelberg außerordentlich Nütz 
lichen verbindet, alt, kinderlos und ohne weitere 
verwandte, also das zu sein, was man mit dem 
vielversprechenden Namen: reicher Erbonkel bezeichnet, 
dem unser Schindelberg alljährlich zweinial, am 
Ņeujahstage und am Geburtstage des alten Herrn 
’ n einem in militairischer Kürze abgefaßten Briefe 
Gesundheit und langes Leben wünscht; und wenn 
der ehrwürdige Alte die Ergüsse nefflicher Zärtlich 
st auch nur in einem noch kürzeren Briefe erwidert 
ņņd auch das noch manchmal vergißt, so sind die 
Şnsche des Erbncffcn doch um nichts weniger auf- . 
Listig gemeint gewesen, sintemal der Eitel Isidor 
Z^nnoch sich hat bereit finden lassen, bent Erb- 
t" Nachdruck ist untersagt. 
neffen den „seligen Onkel" schon bei des Alten 
Lebzeiten gegen landesübliche Zinsen und ein kleines 
Damno zu ersetzen. 
Drei Monat nach Dato stellt sich der Hannoch 
zwar pünktlich ein, und präscntirt das ° „kleine 
Wcchselchc," doch wenn er auch jedes Mal bei Moses 
und den Propheten betheuert, heute müsse er sein 
Geld haben, so greift er doch geduldig in die 
schmutzige Brieftasche, wenn ihn der lauge Lieutenant 
lächelnd ansieht, und dazu seinen langen Schnurr 
bart streicht, und zieht heraus ein langes, schmales 
Papierchen. Baron Schwindelberg aber taucht die 
verrostete Feder in das Tintenfaß, welches er am 
Abend vorher vorsorglich hat durch seinen Burschen 
für 3 Pfennige beim Kaufmann daneben füllen 
lassen — und indem er wieder mit der Linken den 
gewaltigen Schnurrbart lächelnd streicht, setzt die 
Rechte in kräftigen Zügen den stolzen Namen 
darunter, dessen letzter Träger der Held unserer 
Geschichte ist, welcher, ohne die Berechnung der 
Zinsen und des kleinen Damno einer Prüfung zu 
würdigen, den schon ein für allemal feststehenden 
Betrag einstreicht, den der uneigennützige Hannoch 
inzwischen einem klebrigen Lcderbeutel entnommen 
und ans den Tisch gezählt hat. 
So hat es sich seit Jahren unzählige Male 
.wiederholt, und Schindelberg hat sich wohl dabei 
befunden, so wohl man sich in einem kleinen pol 
nischen Neste befinden kann. 
Und Schindelberg würde dem guten Onkel ein 
ewiges Leben gegönnt haben, ohne zu wünschen, daß 
cs jemals anders würde. 
Da kam es mit einem Male anders, ganz 
anders aber. 
, Warn», runzelt seit einigen Tagen der lange 
Lieutenant die Stirn? warum läßt er den borstigen 
Pinscher nicht mehr über den Stock springen? 
warum schimpft er den Burschen beim Nachhanse- 
konimen aus dem Casino nicht einen alten Esel, 
sondern nennt ihn bei seinem ehrlichen Namen 
Schübel? warum wirft er ihm nicht, als dieser mit 
einem „Gute Nacht, Herr Lieutenant", Kehrt macht, 
nach alter _ Gewohnheit die Stiefeln nach? und 
warum schickt er ihn heut nicht zum Kaufmann 
daneben, um das Tintenfaß für drei Pfennige frisch 
füllen zu lassen, da cs doch morgen „drei Monat 
nach dato" ist? 
Hat der alte Rattenburg endlich seine Pflicht ge 
than und den theuren Neffen zum tief betrübten 
Hinterbliebenen gemacht? 
Die Antwort auf unsere Fragen erhalten wir, 
wenn wir einen Blick über die Schulter des Barons 
auf das zerknüllte Papier werfen, das er eben aus 
der Hosentasche gezogen, und nachdem er es mit 
der Hand glatt gestrichen, beim trüben Schein der 
alten Oellampe anstarrt. 
„Als ehelich Verbundene empfehlen sich: 
Eberhard Kurt von Rattenburg, 
Cäcilie von Hohenbüchen." 
„Eh, eh, Eitel Isidor Hannoch, eh, eh!" seufzt 
Schindelbcrg. „Wie wird das enden?" 
Er stützt daS sorgenschwere Haupt auf die Hand; 
umsonst tanzt der gelehrige Pinscher in seinen 
schönsten Sprüngen, umsonst zündet sich Schindel- 
berg die geliebte Pfeife mit dem schwarzgebeizten 
Meerschanmkopfe an — die Grillen sind heut zu 
ernstlicher Natur, als daß sie sich auf den Rauch 
wolken hätten hinwegtragen lassen. Aergerlich wirft 
er den versagenden Sorgenbrecher dem vierbeinigen, 
ahnungslosen Freunde zwischen die vergeblich sich 
für die Anfheitcrnng seines Herrn abmühenden 
Pedale, daß der Pinscher mit jämmerlichem Geheul 
unter das alte, wurmstichige Sopha fährt. Der 
Lieutenant aber lagert seine langen Glieder auf das 
harte Feldbett, und bald bürgt ein zwiefaches, herz 
haftes Schnarchen dafür, daß die beiden Hartge 
prüften die Schicksalsschläge abgeschüttelt und Ver 
gessenheit für ihre Leiden gefunden haben. — 
Die Sonne hat noch kaum den jungen Morgen 
wachgcküßt; Lieutenant Schindelbcrg hat gerade die 
Paris, 1. Sept. Unter den vielen Aeußerungen 
des Zornes oder der Furcht, welche die Siege 
Boulangers in der repulikanischen Presse Frank 
reichs hervorriefen, ist eine der vernünftigsten die 
kurze Schilderung, welche das „Journ. des Debats" 
von der gegenwärtigen Lage der Republik giebt: 
Im Namen der republikanischen Disciplin hat man 
die Statsverwaltung desorganisiert, die Beamten 
den Verleumdungen oder Eifersüchteleien der Bczirks- 
wahlcomitees preisgeben und die Regierung in einen 
solchen Zustand der Ohnmacht versetzt, daß der 
Kriegsminister nicht einmal wagt, sich einen Gene- 
ralstabschcf zu geben, aus Furcht sich die Ungnade 
dieser oder jener republikanischen Fraction zuzuziehen, 
die sich um ihn „concentriert" hat. Im Namen 
der republikanischen Disciplin hat man uns seit 
zehn Jahren einen Abhang hinunter rutschen lassen 
von Waddington zu Ferry, von Ferry zu Freycinet 
von Freycinet zu Floquet. Man beginnt endlich 
zu sehen, was am Ende des Abhanges ist, und 
man begreift, daß wir verloren sind, wenn wir nicht 
wieder hinaufsteigen. Aber man steigt nicht hinauf, 
wenn man den Radikalen die Hand reicht.' 
Paris, 31. Aug. Mit dem in Nizza verhafteten 
deutschen Spion „Fritz Kilian von Hohenburg" ist's 
nun wieder nichts. Dem „Matin" wird hierüber 
telegraphirt: „Die gestern beschlagnahmte Patrone 
ist einfach ein leeres Etui einer Patrone des Gras- 
GewehreS und nicht des Lebel-Gewehres. 
London, 1. Sept. Daß England mit seiner 
Kriegsflotte sehr schlecht daran ist, wurde schon öfters 
bemerkt. Das Ergebniß der in den letzten Wochen 
veranstalteten großen Flottenmanöver läßt sich 
in Folgendem zusammenfassen. Fast ohne Aus 
nahme erwies sich die Fahrgeschwindigkeit der großen 
Panzerschiffe als durchaus ungenügend, ganz ab 
gesehen davon, daß die Maschinen fast jeden Tag 
defect wurden. Die Vorrichtungen, um Kohlen an 
Bord zu nehmen, find durchgängig ungenügend: 
der „Invincible" z. B. brauchte 8 Stunden, um 
200 Tonnen Kohlen aufzunehmen. Die Schiffe 
alter Construction erwiesen sich in jeder Beziehung 
brauchbarer als die neuesten Colosse; ihre Fahrge 
schwindigkeit ist größer und die Kamine rauchen 
wenig oder gar nicht. Die Torpedoboote mit sehr- 
großer' Fahrgeschwindigkeit sind bei einigermaßen be 
wegter See absolut unverwendbar und selbst bei 
ruhigem Seegang gefährlich (für die Bemannung 
nämlich). Bei den meisten großen Panzerschiffen 
(Thurmschisfe ausgenommen) sind Mast und Takelage 
eher ein Schaden als nützlich. 
Berlin, 1. Sept. Die heutige Parade des gan 
zen Gardekorps auf dem Tempelhofer Felde nahm 
bei prachtvollem Wetter den glänzendsten Verlauf. 
Der Kaiser war bereits früh um 7'/, Uhr an der 
Spitze der Fahnenkompagnie auf dem Paradefeld 
erschienen und dann nach der Stadt zurückgekehrt. 
Schlag 9 Uhr erschien der Kaiser, welcher die große 
Generalsuniform trug, mit den übrigen Fürstlich 
keiten in der Kaserne der ersten Gardcdragoner, 
welche zu Pferde gestiegen waren. Auf dem Parade- 
felde ritt rechts neben dem Kaiser der König von 
Schweden, daneben der König von Sachsen, dahinter 
der Prinz Heinrich, der Kronprinz von Griechen 
land und der Prinz Albrecht mit dem Feldmarschall 
stab in der Hand und andere Fürstlichkeiten und die 
fremden Militärbevollmächtigten. Der Kaiser und 
ihm für heut so nöthige Stärkung in dem ihm 
von Schöbcls geschickter Hand gebrauten schwarzen 
Kaffee gefunden und eben die lange Pfeife in Brand 
gesteckt, so hört er auch schon einen schlürfenden 
Schritt der Thür sich nahen, ein zaghaftes Klopfen 
erfolgt, und auf Schindelbcrgs schallendes „Herein!" 
betritt Eitel Isidor Hannoch unter vielen Bücklingen 
das Zimmer. Den schäbigen Cylinderhut stellt er 
demüthig neben der Thür auf den Fußboden und 
indem er unter wiederholten Verneigungen einen 
scheuen, aber schlau beobachtenden Blick auf den 
Lieutenant zwischen den, sein Haupt umschwankenden, 
langen schivarzen Stirnlocken hindurch wirft, grüßt 
er mit leiser, girrender Stimme: „Untcrthänigsten 
guten Morgen, gnädigster Herr Baron!" Schindel 
berg ruft dm Pinscher zurück, der sich in zwei 
wüthenden Sprüngen auf den Hebräer gestürzt und 
wie rasend an den langen, bis über das Knie 
desselben reichenden Rockschößen zerrt, während der 
mit Recht um das Wohl seiner Waden Besorgte 
wie ein Kreisel niit angstvoller Geberdc um sich 
selbst sich dreht. 
„Gott gerechtet, Herr Baron, was haben Sie 
for'n reißendes Thier!" 
„Zurück, Satan!" ruft Schindclberg und jagt 
den Hund mit einem kräftigen Fußtritt unter das 
Sopha, von wo dieser aber im nächsten Augenblick 
leise zurückkehrt und eine Attake ans den am Boden 
stehenden Hut des Juden unternimmt, den er an 
der breiten Krempe faßt und unbemerkt in seine 
Höhle schleift. 
„Eh, eh, wo bringt denn Euch der Teufel her?" 
„Waih geschrieen! Herr Lieutenant, >vas führen 
Sie heut für gottlose Reden gegen einen alten, 
ehrlichen Mann. Was fragen Sc, was mer her 
führt? Zahlen Sc mer mein Geld, wo ich babe 
das Wcchselchc in der Tasche." 
(Forschung folgt).
	        
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