Full text: Newspaper volume (1888, Bd. 1)

Habsburger 
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Rendsburg, den 24 Januar. 
«eine Lehre predigt auf allen Blättern die 
şknschengeschichte eindringlicher, als die, daß sich 
Ästige Bewegungen, welcher Art sie immer sein 
"wgen, nicht durch äußere Machtmittel niederhalten 
' aus der Welt schaffen lassen. Hier versagt 
u mechanische Gewalt, über geistige Strömungen 
rrmag sie Nichts. Unter dem Drucke erhöht sich 
lc Kinft, mit der Widerstandsfähigkeit wächst die 
ängriffsmacht und die Explosion wird eine Frage 
• ? r Zeit. Wir brauchen in Deutschland nur an 
le Aechtung des nationalen Einheitsgedankens, der 
^erfassungsbestrebungen zu denken; was war die 
Ģlge? Der Bankerott aller jener Systeme, die sich 
ermaßen, den Geist durch Gesetze und Dekrete, 
urch Polizei und Gerichte zu bütteln. Regierungen, 
(Ä à)nastien sind an solcher Versündigung schon zu 
Grunde gegangen, denn Nichts rächt sich schwerer, 
als dw Mißhandlung des Geistes. 
.""ch welchem seit einem Jahrzehnt 
Deutschland die Gesellschaft in die Kur genommen 
ird, um sie von der Sozialdemokratie zu 
heilen, ist vom ersten Augenblicke an vielfach genug 
als ein verderbliches und fehlerhaftes bekämpft wor 
den. Man mag sich zu der sozialdemokratischen 
Bewegung stellen, wie man will, verkennen läßt sich 
llicht, daß man es hier mit einer Erscheinung zu 
lhun hat, die leider in dem Wesen und den Ideen 
"er modernen Welt wurzelt, aus ihnen die nährende 
Kraft zieht, die ihren historischen Recknstitel aus 
machen soll. Der vierte Stand tritt mit einem 
Anspruch auf Herrschaft in die Geschichte ein, das 
\ Inhalt fcc. Besi.ebuiîgin mì 
rzm Worten, dieser vierte Stand tritt als Be 
à ercs hervor aus der großen Masse, die man 
s den dritten Stand bezeichnet hat, noch ehe der- 
silbe in den Besitz der seit hundert Jahren erstrebten 
vttrschaft gelangt ist. Wir verkennen die Gefahren 
vör! welche in dieser vorzeitigen Trennung für die 
.'scheu und sozialen Errungenschaften des hundert- 
' şigen Kampfes liegt; auch um dieser Gefahren 
ent " treten wir der Sozialdemokratie entschieden 
(3'8 f n, nicht minder aber auch einem politischen 
r« f em ' '" şimen Wirkungen darauf hinaus- 
"st, durch künstlich geschaffene Gegensätze das Bür- 
şithum in sich zu entzweien und den Zwiespalt 
bià» btn . Arbeitern zu einem unversöhnlichen zu 
UM •» j entS îņ die Arme der Reaction zu treiben 
^ diese zur Energie der Verzweiflung zu bringen, 
ssi öfter- die Frage gestellt und wiederholt 
auch jetzt, was denn geworden wäre, wenn nicht 
dkwJahren das Ausnahmegesetz der Sozial- 
à ein: Bis hierher und nicht weiter! zu- 
şià. Ganz abgesehen davon, ob dieser 
die beabsichtigte Wirkung gehabt hat, darf man 
getrost antworten: Schlimmer als es jetzt ist, hätte 
es nicht werden können. Als geistige Bewegung 
sagt die „F. Z." unterlag von vornherein auch die 
Sozialdemokratie der Entwickelung und diese war im 
Jahre 1878 so weit vorgeschritten, daß eine Scheidung 
der Geister unausbleiblich gewesen wäre. Die In 
telligenz in der Partei war zu der Erkenntniß ge 
langt, daß auf dem Boden des demokratischen Stinim- 
rechts kein Platz für die „revolutionäre Energie" 
sei, daß man die überhitzten Geister in die sichere 
Bahn einer Reformbewegnng bringen müsse, deren 
Zeitpunkte man ja weit genug stecken könne. Sie 
verschloß sich der Wahrnehmung nicht, daß ein Appell 
an die Gewalt, auch in vereinzelnen Putschen, für 
die nächste Zukunft der Partei verhängnißvoll wer 
den, ihr namentlich auf Generationen hinaus alle 
jene Elemente entfremden müsse, die sich, von dem 
Gedanken einer sozialen Reform geleitet, ihr ange 
schlossen hatten. Diese Most und Hasselmann, die 
den revolutionären Typus verkörperten, waren nahe 
daran, jeden Einfluß zu verlieren, in Bebel und 
Liebknecht erkannte die reformatorische Richtung der 
Mehrheit ihre Führer. Wenn eine ernste Inan 
griffnahme der Sozialgesetzgebung in diesen Zer- 
setzuugsprozeß eingegriffen und ihn redlich, ge 
wissenhaft gefördert haben würde, so wäre 
vielleicht eine vollständige Umwandlung der Sozial 
demokratie noch in Frage gekommen. Möglich, so 
gar wahrscheinlich, daß die widerstrebenden Elemente 
es versucht haben würden, an die Gewalt zu ap- 
Pelliren, aber diese Versuche konnten nur ein kläg 
liches Ende nehmen. 
Doch die Frage steht nicht: Was hätte werden 
können? sondern: Was ist? Was hat die Staats 
heilkunst in dem Ausnahmegesetz geschaffen, was hat 
sie in einem Zeitraum von zehn Jahren mit ihm 
erreicht? Die Antwort geben die Motive der neuen 
Vorlage: Die Dosis war zu schwach, sie muß ver 
stärkt werden. Das ist die vollständigste Bankerott 
erklärung des Systems der Bekänipfung geistiger 
Bewegungen durch mechanische Machtmittel, der Auf 
bietung der Polizeigewalt gegen Ideen. Wenn die 
Urheber und Vertreter desselben ihr Urtheil hören 
wollen, so laden wi sie vor den Stuhl einer jener 
menschlichen „Autoritäten", dessen Staatsweisheik 
inan heutzutage anzubeten und zu preisen pflegt, 
in einer Zeit, wo man, zu „klug" geworden ist, 
seine Knie vor der Allgewalt des dreieinigen Gottes 
zu beugen. 
Aus dem Munde Heinrichs von Treitschke, des 
königl. preuß. Hofhistoriographen, mögen sie die 
vernichtenden Worte hören: „Keine Kunst der 
Rede hat je vermocht, den ketzerrichtlichen 
Geist zu bemängeln, der aus der Behaup 
tungredet, die Gesellschaft habe das Recht, 
zwar nicht die Wahrheit, wohl aber die 
Gefährlichkeit der Meinungen zu prüfen". 
Deutscher Reichstag. 
Berlin, den 23. Januar. 
In der 19. Plenarsitzung machte der Präsident dem 
Reichstag zunächst Mittheilung von dem Ableben des 
Abg. v. Waldoiv. Sodann wurde an Stelle des aus 
geschiedenen Schriftführers Dr. Töndelin der Aba. 
Meyer-Jena (n.-l.) gewählt. 
Der Entwurf betr. Einführung der Gewerbeordnung 
in Elsaß-Lothringen wird in 3. Lesung angenommen 
mit einer Resolution, welche die einheitliche Regelung der 
Dampfkesselgesetzgebung für das deutsche Reich verlangt. 
tigr 
in 
Wo, 
igeS 
st- 
c. 
fort 
l die 
Erzählung von Hieronymus Lorm. 
uuck verboten. Alle Rechte vorbehalten. 
Inzwischen hatte die nicht so leicht zu beugende 
stellt .à ihrem Bruder weiter verhandelt. Sie 
u, 1 'hm vor, daß er in diesem Augenblick nicht 
Aachen bül ’f en ' nützte er selbst neue Schulden 
I lange Du das Gut hast", rief sie, „ge- 
auch in Wirklichkeit kein einziger Balken mehr 
li,5' ş° lange es Deinen Namen trägt, so lange 
Li, ein Gutsbesitzer! Wenn Du's nicht mehr 
I, bis Du ein gemeiner Handwerker." 
‘m'nte ïuaâ '"à!" schrie er; „hab ich mich 
u jŗjļ ş'schämt, der Sattlermeister Wendelin Schluck 
uses, 
küche 
Sertrffe "'"äste eine Miene >vie eitel List und 
«Ws, 9eni,cit ’ '° cr '"°hl ein Geheimniß ver- 
?"'ßte. Sie zögerte auch nicht mit ihrer 
• Un ® herauszurücken. Ulrike war in 
Wtf" sanguinisch und phantastisch, bei ihr 
"Und ziemlich fest, daß der junge Graf Sigis- 
>w —'Ibfreb schwärmerisch in Isidora verliebt 
feo«, U " b Q1 ’ 8 deinem anderen Grunde hier seinen 
d°it "'eraufeuthalt nehmen ivollte, als um in einiger 
he. 
llatz. 
q/'u ihre Hand zu werben, 
o Şchluck lachte laut, und anS einem 
len,’. "sterten Gemüth und finsteren Gesicht plötzlich 
Erbrechend, klang das Lachen schauerlich. 
U J. ' Gleise hab ich mit eigenen Augen ae- 
i'fah'realte Graf Oldfred eigen« nach Znaim 
heier I l,t ' " m ct " em durchreisenden alten Wu- 
^Hof Zu machen. Diese Grafen haben 
il mehr an den Stiefeln, und Du glaubst, 
' chen eine Braut, die auch schon barfuß geht?" 
^ wurde er wieder ernst und fügte nach 
2v Mmnten des Nachsinnens bei: 
iben 'c „fe" Oldfred haben einen schönen Namen, 
der ältesten der Monarchie, und wenn ich 
Geld hätte, nur halb so viel, als ich gehabt habe, 
bevor der Abdul Hassan entführt worden ist, wenn 
ich auch nur meinen Talisman wieder beisammen 
hätte! . . . Weißt Du, Nike, daß mich der 
Präuner nicht betrogen hat, daß die Papiere etwas 
taugen, daß es mir mit Geld ein Leichtes wäre — 
und es dauerte gar nicht lang und Dora wäre 
die Tochter. des Freiherrn Schluck auf Schlucken 
walde. Wie ich sage, hätt ich nur halb so viel 
wie damals, dann hätte sie mit diesem Namen 
genug und wär auch genug, um eine Gräfin Old 
fred zn werden. Das ist aber Alles dummes Zeug, 
ich muß verkaufen." 
Er . erörterte nun, das der angekündigte Bauer 
Melchior in den nächsten Tagen erscheinen werde, 
und wie man sich mit ihm zn verhalten habe. 
Man müsse nobel thun, damit er nicht glaube, er 
könnte den Preis herabdrücken. Noch eine Stunde 
lang, bis das Abendbrot aufgetingen und Dora 
gerufen wurde, sprach er von dem Gegenstand, 
schivieg aber ganz während des Essens. 
''Als er in seine Stube hinübergegangen war, 
blieb er vor dem aufgeschlagenen Bett stehen und 
vergaß, sich zu entkleiden. In seinen Gedanken 
wälzte er eine Möglichkeit umher, die ihm einerseits 
wie eine himmlische Rettung erschien, uni den Ver 
kauf zu ersparen, die ihn andererseits bis in das 
Innerste der Seele schaudern machte. Wenn er 
es auch nicht . Wort haben wollte, wenn er auch 
dagegen geschrien hatte, Ulrike war dem empfind 
lichsten Punkt in ihm nahe gekomnien: wenn er 
verkaufte, war er nicht mehr Gutsbesitzer. Wie 
wäre es nun, wenn früher noch Urban Waldbrenner 
erschiene und — ja, was! Wenn er alle Schulden 
bezahlte, das Gut auf den Namen Jsidora's um 
schreiben ließe und — schrecklich! — sie als sein 
Weib heimführte. Eiserner Zwang brächte das 
Mädchen zu dem entsetzlichen Opfer, aber Wald 
brenner ist ein Greis. . Inzwischen würde sich Wen 
delin wieder aufarbeiten; er bekäme ja von hem 
Regierungsseitig wird Entgegenkommen zugesagt. Bei 
der nun folgenden 2. Berathung des Etats giebt das 
Kapitel „Reichsversicherungsamt" Gelegenheit zu einer 
eingehenden Debatte, in welcher die Institution der Be- 
rufsgenossenschaften als zu theuer liberalerseits (Abg. 
Dr. Baumbach) lebhaft angegriffen wird, während Aba. 
Dr. Barth (d.-fr.) auf das Verfehlte der einschlagenden 
Gesetzgebung mit Hinweis auf die zahllosen Prozesse 
gegen die Berufsgenossenschasten darlegt. Auch von 
Seiten der Sozialdemokraten (Abg. Grillenberger) wird 
scharf gegen die Krankenkassen rc. vorgegangen. Der 
Staatssecretär v. Boetticher sucht die Beschuldigungen 
mit Unterstützung der Nationalliberalen (Abg. Webcki und 
Gamp) zu entkräften, welcher letztere, um die Landes- 
polizeilichkeit des Reichsversicherungsamts zu documen- 
tiren, auf dessen Entscheidungen hinweist. 
Schließlich wird der Etat des Innern genehmigt. 
Preustischer Landtag. 
Abgeordnetenhaus. 
In der 5. Plenarsitzung vom 23. Januar setzte das 
Abgeordnetenhaus die 2. Berathung des Etats fort. 
Der Etat der Lotterieverwaltung gab zur Anfrage an 
den Finanzminister Veranlassung, Pb bei Besetzung der 
Stellen der Lotteriecolleeteure politische Rücksichtnahmen 
obwalteten, was von diesem verneint wurde. Beim 
Kapitel „Seehandlung" wurde liberalerseits (Abg. Meyer 
d.-fr.) das Vorgehen der Seehandlung bei Emission rus 
sischer Werthe stark bemängelt; von Seiten der National- 
Liberalen (Abg. v. Eyner) deren ganze Geschäftsführung 
und Untersuchuug von dem Geschäftsgebahren des In 
stituts verlangt. Der Finanzminister nahm die See 
handlung in Schutz und wurde darin von den Con- 
servativen (Abg. v. Minnigerode) unterstützt. Die 
übrigen Etats wurden ohne erhebliche Debatte genehmigt. 
— Das Abgeordnetenhaus hat am Dienstag 
das Gesetz über die Erleichtenmg der Volksschullasten in 
erster Lesung berathen und an eine Kommission von 
28 Mitgliedern zur Vorberathung verwiesen. Der Abg. 
v. Meyer (Arnswalde) ist gegen die Vorlage, weil damit 
ein allgemeines Schuldotationsgesetz aufgegeben sei. 
Minister von Goßler bezeichnete im Gegensatz hierzu die 
Vorlage gerade als einen neuen Wechsel auf das Do 
tationsgesetz. Er gestand zu, daß die Aufhebung des 
Schulgeldes eine verschiedenartige Wirkung in einzelnen 
Gemeinden hervorbringen würde. Die Abgg. Brüel und 
v. Schorlemer hoben besonders die verfassungsmäßigen 
Bedenken gegen die Vorlage hervor und erklärten die 
allgemeine Aufhebung des Schulgeldes für unzweckmäßig. 
Die Unentgeltlichkeit des Unterrichts bedeute die Ver 
staatlichung der Schule, wenn sie nicht auf die ärmeren 
Klassen beschränkt würde. In ähnlicher Weise äußerte 
sich der Führer der konservativen Partei, Herr v. Rauch 
haupt, in dessen reservirten Aeußerungen über die Vor 
lage eine scharfe Kritik derselben enthalten war. Herr 
v. Rauchhaupt möchte lieber eine Erhöhung der Lehrer- 
gehälter und zwar schon vom 1. Juli ab eintreten lassen. 
Seitens der freisinnigen Partei erklärte Abg. Rickert, daß 
dieselbe die Vorlage nach gründlicher kommissarischer 
Berathung annehmen werde, damit endlich der Artikel 
der Verfassung, welcher die Unentgeltlichkeit des Schul 
unterrichts ausspreche, eine Wahrheit werde. Im 
einzelnen bemängelte Herr Rickert den Vertheilungs- 
niaßstab und empfahl der Kommission, dahin zu wirken, 
daß zugleich mit dieser Vorlage die Aufhebung der 
Reliktenbeiträge der Volksschullehrer beschlossen werde. 
Für die Vorlage ohne wesentliche Bedenken traten der 
freikonservative Abg. Barth und die nationalliberalen 
Abgg. Hobrecht und Tramm ein. Aus den Ausführungen 
des Herrn Hobrecht ist nur bemerkenswerth sein lebhaftes 
Eintreten für eine Landgemeindeordnung, die die beste 
Grundlage für die Vertheilung der Zuwendungen ab- 
geben könne. 
San Remo, 24. Jan. Der „Nat.-Ztg." wird 
über den neuesten Krankheitsverlauf beim Kron 
prinzen Folgendes mitgetheilt: In der vergan 
genen Woche ist ein Zwischenfall eingetreten, 'der 
indessen bereits überwunden zu sein scheint. Wer 
das offizielle Bulletin aus San Remo vom 13. d. 
Mts. richtig zu lesen verstand, konnte auf eine solche 
alten Tabor-Müller, tute dieser sich anheischig ge 
macht, den orientalischen Schild zurück. Dann 
würde Isidora Wittwe, dann wäre er reich, dann 
könnte er seinen Adel ans sie übertragen lassen, 
dann würde er dem jungen Grafen Oldfred neue 
Stiefel anziehen und die Baronin Isidora ginge 
keineswegs barfuß. Aber der alte Waldbrenner — 
Wie in Wuth schlenderte der Sattler die Kleider 
von sich, blies das Licht aus und warf sich in's Bett. 
Ein schöner Sommerabend verglühte ans den 
Bergen und ein dort plötzlich aufspringender kühler 
Luftzug verbreitete sich in der Ebene und erquickte die 
Welt. Morgel, der Invalide, saß vor seiner Hütte 
am Saum der mit üppigem Gras bewachsenen 
Wiesen ans einem dreibeinigen Stuhl mit schmaler 
hoher Lehne, die des Alten schmalen hohen Ober 
körper weit überragte. Morgel würde sich um keinen 
Preis auf dem Rasen ausgestreckt haben, weit dies 
der Würde eines Kriegers, der bei Leipzig gefochten, 
nicht ziemte, wenn es nicht in Bivouac geschah. 
Zuweilen unterbrach er seine Arbeit, indem er mit 
dem hölzernen Bein klappernd an die Stuhlbeine 
schlug, und was er damit sagen ivollte, ivar sein 
Geheimniß. Seine Arbeit aber bestand darin, daß 
er an einem Kleidungsstück, welches er über sein 
gesundes Bein gebreitet hatte und mit der steifen 
Hand festhielt, mit der anderen Hand nähte und 
flickte; er verbesserte, wie er soeben selbst bemerkt 
hatte, „die Hosen des nächsten Winters". 
Derjenige, zu dein diese Beinerkung geäußert 
wurde, saß mit gekreuzten Beinen zu den Füßen 
des Invaliden im Rasen. Abdul Hassan liebte die 
Gesellschaft des verkrüppelten Soldaten, hauptsächlich 
aus dem Grunde, weil er ihm sein Herz ausschütten 
konnte, ohne einen Verrath fürchten zu müssen. 
Morgel schwatzte nichts ans, weil er überhaupt nicht 
schwatzen konnte, weil aus seiner verstümmelten 
Sprache für keinen Menschen ein verständlicher 
Zusammenhang hervorging. 
Eventualität vorbereitet sein, denn da wurde schon 
eine etwas stärkere Schwellung der linken Kehlkopf 
hälfte und eine etivas allgemeiner sich ausbreitende 
entzündliche Reizung der Kehlkopfschleimhaut consta- 
tirt. In unmittelbarem Verfolg dieser Erscheinun 
gen hat sich bald darauf ein nekrotisch gewordenes 
Geivebstückchen aus der erkrankten Partie des Kehl 
kopfes abgestoßen, das der Kronprinz am Dienstag, 
den 17. Januar ausgehustet hat. Dem Kaiser- 
würde davon alsbald Meldung gemacht. Die That 
sache, daß der Kronprinz ungefähr acht Tage lang 
das Zimmer nicht verlassen hat, ist durch den er- 
ivähnten Prozeß erklärlich. Seit Freitag hat indeß 
der hohe Patient wieder Ausfahrten gemacht und 
man darf daraus schließen, daß er sich wieder Woh 
ler fühlt. 
San Remo, 24. Jan. . Die Aerzte gestehen jetzt 
zu, daß seit dem 15. Januar der Kronprinz mehrere 
Tage ziemliches Fieber gehabt, was die beun 
ruhigenden Gerüchte hervorgerufen hatte. Seine 
Theilnahme an den Morgen stattfindenden Feierlich 
keiten ist gesichert. 
^ — Der Hochzeitstag des kronprinzlichen Paares 
wird von den Deutschen in San Remo Mittags 
durch ein Festmahl, Abends unter Fenerlverk gegen 
über Billa Zirio auf dem Meere gefeiert. Den 
Mittelpunkt des Feueriverks bildet der italienische 
Aviso in elektrischer Beleuchtung, umgeben von zwölf 
Booten. 
— Der Besitzer der Villa Zirio ist'ein Ad 
vokat Zirio, ein reicher Mann, der nach einem 
Korrespondenten des „Berk. Tgbl." mehr als 10 
Millionen im Vermögen hat und mit einer reichen 
Französin verheirathet ist. Der Besitzer wohnt selbst 
in einer ihm gehörenden Nachbarvilla. 
— Ein 30jährigcr Kandidat derTheolvgi 
soll, wie dem „Berl. Tagebl." ans San Remo 
geschrieben wird, der kronprinzlichen Familie auf 
Schritt und Tritt von Berlin und London nach 
Toblach, Venedig, Baveno und San Remo gefolgt 
sein in der fixen Idee, um die Hand einer der 
Prinzessinnen anzuhalten. Jetzt sei er ans San 
Remo „abgeschafft" worden. 
London. 23. Jan. Sir Morell Mackenzie 
erhielt angeblich nach dem „B. T." die AnffoMrung, 
einen Patienten in Michigan (Bereinigte Staaten) 
zu besuchen (gegen ein Honorar von .30,000 Doll.), 
lehnte jedoch ab, weil er nicht auf jo werte Ent 
fernung vom Kronprinzen reisen ivill. 
Paris, 23. Januar. Louise Michel ist trotz 
ihrer schweren Verivnndnng nach Paris übergesiedelt. 
Sie wollte keine Verfolgung ihres Mörders Lucas 
veranlassen, der bis jetzt in sehr geordneten Ver 
hältnissen gelebt, und konnte erst zu Aussagen be 
wogen werden, als man ihr sagte, derselbe würde 
ex officio verfolgt. Es ist jetzt festgestellt, daß 
Lncas betrunken war, als er das Attentat verübte. 
— Heute Nachmittag erschienen Arbeiter-Dele 
gationen der Anstreicher, der Sattler und Klempner 
in der Kammer, uni bei den Pariser Deputirten 
gegen die Beschäftigung fremder Arbeiter in Paris 
vorstellig zu werden. (B. T.) 
Paris, 23. Jan. Ein Telegramm der „Agence 
Havas" aus Nancy meldet: Ein Einwohner von 
Andun le Roman, Namens Barberot begab sich auf 
der Jagd auf deutsches Gebiet, da er ein Zeichen, 
ivelches ein deutscher Douanier ihm machte, als die 
Abdul Hassan's Gemüth aber war an diesem 
Tage sehr bewegt, so daß er, statt in die Berqc 
zu gehen, sich dem Nachsinnen überließ und Morgel 
dazu wählte, um in Form eines Gespräches laut 
ausdrücken zu können, was er empfand, der Ver 
schwiegenheit so sicher, als ob er in die leere Luft 
gesprochen hätte. Die leere Luft giebt jedoch kein 
Zeichen des Hörens und des Verstehens, während 
der Invalide, so schlecht er auch sprach, um so 
besser verstand und hörte. 
Was das Herz Abdul Hassan's bewegte, war 
die Trauer auf dem Antlitz seiner geliebten Herrin^ 
und nachdem er dies schon eine Zeit lang wahr' 
genommen, hatte sie ihm eben an diesem Tage ge 
sagt, sie werde es ihm gleichthun, sie werde in der 
weiten Welt umherwandern oder, wie er selbst dies 
oft zu nennen pflegte, aus der Armuth ein Geschäft 
machen Der Mann ans dem Morgenlandc war 
zwar schon m der Kindheit der Heimath entfremdet 
worden und nn deutschen Lande aufgewachsen, allein 
sein ursprünglicher Herr, der ihn ans dem Orient 
nntgebiacht, der Vater Wendelin Schlucks, war stets 
darauf bedacht gewesen, orientalische Sitte, Denkunas- 
weise und selbst die Märchenwelt des Ostens in 
r Ķ'à desselben lebendig zn erhalten. Darum 
nebte Abdiial Hassan Diejenigen, die nichts be- 
saßen, aber auch nichts erstrebten, sondern, in der 
Welt umhergehend, geduldig und gelassen warteten, 
was ihnen das Schicksal in Gestalt guter Menschen 
zuwerfen werde; er nannte dies aus der Armuth 
ein Geschäft machen. 
War nicht auch Morgel ein weiser Bettler von 
ähnlicher Beschaffenheit? Plötzlich aber erfüllte den 
Morgenländer der Lieblingsgedanke, nichts zu haben 
und nichts zu verlangen, mit Entsetzen, wenn er 
auf das Geschick der geliebten Herrin angewendet 
werden sollte — die Einzige, die es nach seiner 
Memnng verdiente, Königin der Welt zu sein und 
alle Fabelschätze der arabischen Märchen zu besitzen. 
(Fortsetzung folgt).
	        
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