Habsburger
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Rendsburg, den 24 Januar.
«eine Lehre predigt auf allen Blättern die
şknschengeschichte eindringlicher, als die, daß sich
Ästige Bewegungen, welcher Art sie immer sein
"wgen, nicht durch äußere Machtmittel niederhalten
' aus der Welt schaffen lassen. Hier versagt
u mechanische Gewalt, über geistige Strömungen
rrmag sie Nichts. Unter dem Drucke erhöht sich
lc Kinft, mit der Widerstandsfähigkeit wächst die
ängriffsmacht und die Explosion wird eine Frage
• ? r Zeit. Wir brauchen in Deutschland nur an
le Aechtung des nationalen Einheitsgedankens, der
^erfassungsbestrebungen zu denken; was war die
Ģlge? Der Bankerott aller jener Systeme, die sich
ermaßen, den Geist durch Gesetze und Dekrete,
urch Polizei und Gerichte zu bütteln. Regierungen,
(Ä à)nastien sind an solcher Versündigung schon zu
Grunde gegangen, denn Nichts rächt sich schwerer,
als dw Mißhandlung des Geistes.
.""ch welchem seit einem Jahrzehnt
Deutschland die Gesellschaft in die Kur genommen
ird, um sie von der Sozialdemokratie zu
heilen, ist vom ersten Augenblicke an vielfach genug
als ein verderbliches und fehlerhaftes bekämpft wor
den. Man mag sich zu der sozialdemokratischen
Bewegung stellen, wie man will, verkennen läßt sich
llicht, daß man es hier mit einer Erscheinung zu
lhun hat, die leider in dem Wesen und den Ideen
"er modernen Welt wurzelt, aus ihnen die nährende
Kraft zieht, die ihren historischen Recknstitel aus
machen soll. Der vierte Stand tritt mit einem
Anspruch auf Herrschaft in die Geschichte ein, das
\ Inhalt fcc. Besi.ebuiîgin mì
rzm Worten, dieser vierte Stand tritt als Be
à ercs hervor aus der großen Masse, die man
s den dritten Stand bezeichnet hat, noch ehe der-
silbe in den Besitz der seit hundert Jahren erstrebten
vttrschaft gelangt ist. Wir verkennen die Gefahren
vör! welche in dieser vorzeitigen Trennung für die
.'scheu und sozialen Errungenschaften des hundert-
' şigen Kampfes liegt; auch um dieser Gefahren
ent " treten wir der Sozialdemokratie entschieden
(3'8 f n, nicht minder aber auch einem politischen
r« f em ' '" şimen Wirkungen darauf hinaus-
"st, durch künstlich geschaffene Gegensätze das Bür-
şithum in sich zu entzweien und den Zwiespalt
bià» btn . Arbeitern zu einem unversöhnlichen zu
UM •» j entS îņ die Arme der Reaction zu treiben
^ diese zur Energie der Verzweiflung zu bringen,
ssi öfter- die Frage gestellt und wiederholt
auch jetzt, was denn geworden wäre, wenn nicht
dkwJahren das Ausnahmegesetz der Sozial-
à ein: Bis hierher und nicht weiter! zu-
şià. Ganz abgesehen davon, ob dieser
die beabsichtigte Wirkung gehabt hat, darf man
getrost antworten: Schlimmer als es jetzt ist, hätte
es nicht werden können. Als geistige Bewegung
sagt die „F. Z." unterlag von vornherein auch die
Sozialdemokratie der Entwickelung und diese war im
Jahre 1878 so weit vorgeschritten, daß eine Scheidung
der Geister unausbleiblich gewesen wäre. Die In
telligenz in der Partei war zu der Erkenntniß ge
langt, daß auf dem Boden des demokratischen Stinim-
rechts kein Platz für die „revolutionäre Energie"
sei, daß man die überhitzten Geister in die sichere
Bahn einer Reformbewegnng bringen müsse, deren
Zeitpunkte man ja weit genug stecken könne. Sie
verschloß sich der Wahrnehmung nicht, daß ein Appell
an die Gewalt, auch in vereinzelnen Putschen, für
die nächste Zukunft der Partei verhängnißvoll wer
den, ihr namentlich auf Generationen hinaus alle
jene Elemente entfremden müsse, die sich, von dem
Gedanken einer sozialen Reform geleitet, ihr ange
schlossen hatten. Diese Most und Hasselmann, die
den revolutionären Typus verkörperten, waren nahe
daran, jeden Einfluß zu verlieren, in Bebel und
Liebknecht erkannte die reformatorische Richtung der
Mehrheit ihre Führer. Wenn eine ernste Inan
griffnahme der Sozialgesetzgebung in diesen Zer-
setzuugsprozeß eingegriffen und ihn redlich, ge
wissenhaft gefördert haben würde, so wäre
vielleicht eine vollständige Umwandlung der Sozial
demokratie noch in Frage gekommen. Möglich, so
gar wahrscheinlich, daß die widerstrebenden Elemente
es versucht haben würden, an die Gewalt zu ap-
Pelliren, aber diese Versuche konnten nur ein kläg
liches Ende nehmen.
Doch die Frage steht nicht: Was hätte werden
können? sondern: Was ist? Was hat die Staats
heilkunst in dem Ausnahmegesetz geschaffen, was hat
sie in einem Zeitraum von zehn Jahren mit ihm
erreicht? Die Antwort geben die Motive der neuen
Vorlage: Die Dosis war zu schwach, sie muß ver
stärkt werden. Das ist die vollständigste Bankerott
erklärung des Systems der Bekänipfung geistiger
Bewegungen durch mechanische Machtmittel, der Auf
bietung der Polizeigewalt gegen Ideen. Wenn die
Urheber und Vertreter desselben ihr Urtheil hören
wollen, so laden wi sie vor den Stuhl einer jener
menschlichen „Autoritäten", dessen Staatsweisheik
inan heutzutage anzubeten und zu preisen pflegt,
in einer Zeit, wo man, zu „klug" geworden ist,
seine Knie vor der Allgewalt des dreieinigen Gottes
zu beugen.
Aus dem Munde Heinrichs von Treitschke, des
königl. preuß. Hofhistoriographen, mögen sie die
vernichtenden Worte hören: „Keine Kunst der
Rede hat je vermocht, den ketzerrichtlichen
Geist zu bemängeln, der aus der Behaup
tungredet, die Gesellschaft habe das Recht,
zwar nicht die Wahrheit, wohl aber die
Gefährlichkeit der Meinungen zu prüfen".
Deutscher Reichstag.
Berlin, den 23. Januar.
In der 19. Plenarsitzung machte der Präsident dem
Reichstag zunächst Mittheilung von dem Ableben des
Abg. v. Waldoiv. Sodann wurde an Stelle des aus
geschiedenen Schriftführers Dr. Töndelin der Aba.
Meyer-Jena (n.-l.) gewählt.
Der Entwurf betr. Einführung der Gewerbeordnung
in Elsaß-Lothringen wird in 3. Lesung angenommen
mit einer Resolution, welche die einheitliche Regelung der
Dampfkesselgesetzgebung für das deutsche Reich verlangt.
tigr
in
Wo,
igeS
st-
c.
fort
l die
Erzählung von Hieronymus Lorm.
uuck verboten. Alle Rechte vorbehalten.
Inzwischen hatte die nicht so leicht zu beugende
stellt .à ihrem Bruder weiter verhandelt. Sie
u, 1 'hm vor, daß er in diesem Augenblick nicht
Aachen bül ’f en ' nützte er selbst neue Schulden
I lange Du das Gut hast", rief sie, „ge-
auch in Wirklichkeit kein einziger Balken mehr
li,5' ş° lange es Deinen Namen trägt, so lange
Li, ein Gutsbesitzer! Wenn Du's nicht mehr
I, bis Du ein gemeiner Handwerker."
‘m'nte ïuaâ '"à!" schrie er; „hab ich mich
u jŗjļ ş'schämt, der Sattlermeister Wendelin Schluck
uses,
küche
Sertrffe "'"äste eine Miene >vie eitel List und
«Ws, 9eni,cit ’ '° cr '"°hl ein Geheimniß ver-
?"'ßte. Sie zögerte auch nicht mit ihrer
• Un ® herauszurücken. Ulrike war in
Wtf" sanguinisch und phantastisch, bei ihr
"Und ziemlich fest, daß der junge Graf Sigis-
>w —'Ibfreb schwärmerisch in Isidora verliebt
feo«, U " b Q1 ’ 8 deinem anderen Grunde hier seinen
d°it "'eraufeuthalt nehmen ivollte, als um in einiger
he.
llatz.
q/'u ihre Hand zu werben,
o Şchluck lachte laut, und anS einem
len,’. "sterten Gemüth und finsteren Gesicht plötzlich
Erbrechend, klang das Lachen schauerlich.
U J. ' Gleise hab ich mit eigenen Augen ae-
i'fah'realte Graf Oldfred eigen« nach Znaim
heier I l,t ' " m ct " em durchreisenden alten Wu-
^Hof Zu machen. Diese Grafen haben
il mehr an den Stiefeln, und Du glaubst,
' chen eine Braut, die auch schon barfuß geht?"
^ wurde er wieder ernst und fügte nach
2v Mmnten des Nachsinnens bei:
iben 'c „fe" Oldfred haben einen schönen Namen,
der ältesten der Monarchie, und wenn ich
Geld hätte, nur halb so viel, als ich gehabt habe,
bevor der Abdul Hassan entführt worden ist, wenn
ich auch nur meinen Talisman wieder beisammen
hätte! . . . Weißt Du, Nike, daß mich der
Präuner nicht betrogen hat, daß die Papiere etwas
taugen, daß es mir mit Geld ein Leichtes wäre —
und es dauerte gar nicht lang und Dora wäre
die Tochter. des Freiherrn Schluck auf Schlucken
walde. Wie ich sage, hätt ich nur halb so viel
wie damals, dann hätte sie mit diesem Namen
genug und wär auch genug, um eine Gräfin Old
fred zn werden. Das ist aber Alles dummes Zeug,
ich muß verkaufen."
Er . erörterte nun, das der angekündigte Bauer
Melchior in den nächsten Tagen erscheinen werde,
und wie man sich mit ihm zn verhalten habe.
Man müsse nobel thun, damit er nicht glaube, er
könnte den Preis herabdrücken. Noch eine Stunde
lang, bis das Abendbrot aufgetingen und Dora
gerufen wurde, sprach er von dem Gegenstand,
schivieg aber ganz während des Essens.
''Als er in seine Stube hinübergegangen war,
blieb er vor dem aufgeschlagenen Bett stehen und
vergaß, sich zu entkleiden. In seinen Gedanken
wälzte er eine Möglichkeit umher, die ihm einerseits
wie eine himmlische Rettung erschien, uni den Ver
kauf zu ersparen, die ihn andererseits bis in das
Innerste der Seele schaudern machte. Wenn er
es auch nicht . Wort haben wollte, wenn er auch
dagegen geschrien hatte, Ulrike war dem empfind
lichsten Punkt in ihm nahe gekomnien: wenn er
verkaufte, war er nicht mehr Gutsbesitzer. Wie
wäre es nun, wenn früher noch Urban Waldbrenner
erschiene und — ja, was! Wenn er alle Schulden
bezahlte, das Gut auf den Namen Jsidora's um
schreiben ließe und — schrecklich! — sie als sein
Weib heimführte. Eiserner Zwang brächte das
Mädchen zu dem entsetzlichen Opfer, aber Wald
brenner ist ein Greis. . Inzwischen würde sich Wen
delin wieder aufarbeiten; er bekäme ja von hem
Regierungsseitig wird Entgegenkommen zugesagt. Bei
der nun folgenden 2. Berathung des Etats giebt das
Kapitel „Reichsversicherungsamt" Gelegenheit zu einer
eingehenden Debatte, in welcher die Institution der Be-
rufsgenossenschaften als zu theuer liberalerseits (Abg.
Dr. Baumbach) lebhaft angegriffen wird, während Aba.
Dr. Barth (d.-fr.) auf das Verfehlte der einschlagenden
Gesetzgebung mit Hinweis auf die zahllosen Prozesse
gegen die Berufsgenossenschasten darlegt. Auch von
Seiten der Sozialdemokraten (Abg. Grillenberger) wird
scharf gegen die Krankenkassen rc. vorgegangen. Der
Staatssecretär v. Boetticher sucht die Beschuldigungen
mit Unterstützung der Nationalliberalen (Abg. Webcki und
Gamp) zu entkräften, welcher letztere, um die Landes-
polizeilichkeit des Reichsversicherungsamts zu documen-
tiren, auf dessen Entscheidungen hinweist.
Schließlich wird der Etat des Innern genehmigt.
Preustischer Landtag.
Abgeordnetenhaus.
In der 5. Plenarsitzung vom 23. Januar setzte das
Abgeordnetenhaus die 2. Berathung des Etats fort.
Der Etat der Lotterieverwaltung gab zur Anfrage an
den Finanzminister Veranlassung, Pb bei Besetzung der
Stellen der Lotteriecolleeteure politische Rücksichtnahmen
obwalteten, was von diesem verneint wurde. Beim
Kapitel „Seehandlung" wurde liberalerseits (Abg. Meyer
d.-fr.) das Vorgehen der Seehandlung bei Emission rus
sischer Werthe stark bemängelt; von Seiten der National-
Liberalen (Abg. v. Eyner) deren ganze Geschäftsführung
und Untersuchuug von dem Geschäftsgebahren des In
stituts verlangt. Der Finanzminister nahm die See
handlung in Schutz und wurde darin von den Con-
servativen (Abg. v. Minnigerode) unterstützt. Die
übrigen Etats wurden ohne erhebliche Debatte genehmigt.
— Das Abgeordnetenhaus hat am Dienstag
das Gesetz über die Erleichtenmg der Volksschullasten in
erster Lesung berathen und an eine Kommission von
28 Mitgliedern zur Vorberathung verwiesen. Der Abg.
v. Meyer (Arnswalde) ist gegen die Vorlage, weil damit
ein allgemeines Schuldotationsgesetz aufgegeben sei.
Minister von Goßler bezeichnete im Gegensatz hierzu die
Vorlage gerade als einen neuen Wechsel auf das Do
tationsgesetz. Er gestand zu, daß die Aufhebung des
Schulgeldes eine verschiedenartige Wirkung in einzelnen
Gemeinden hervorbringen würde. Die Abgg. Brüel und
v. Schorlemer hoben besonders die verfassungsmäßigen
Bedenken gegen die Vorlage hervor und erklärten die
allgemeine Aufhebung des Schulgeldes für unzweckmäßig.
Die Unentgeltlichkeit des Unterrichts bedeute die Ver
staatlichung der Schule, wenn sie nicht auf die ärmeren
Klassen beschränkt würde. In ähnlicher Weise äußerte
sich der Führer der konservativen Partei, Herr v. Rauch
haupt, in dessen reservirten Aeußerungen über die Vor
lage eine scharfe Kritik derselben enthalten war. Herr
v. Rauchhaupt möchte lieber eine Erhöhung der Lehrer-
gehälter und zwar schon vom 1. Juli ab eintreten lassen.
Seitens der freisinnigen Partei erklärte Abg. Rickert, daß
dieselbe die Vorlage nach gründlicher kommissarischer
Berathung annehmen werde, damit endlich der Artikel
der Verfassung, welcher die Unentgeltlichkeit des Schul
unterrichts ausspreche, eine Wahrheit werde. Im
einzelnen bemängelte Herr Rickert den Vertheilungs-
niaßstab und empfahl der Kommission, dahin zu wirken,
daß zugleich mit dieser Vorlage die Aufhebung der
Reliktenbeiträge der Volksschullehrer beschlossen werde.
Für die Vorlage ohne wesentliche Bedenken traten der
freikonservative Abg. Barth und die nationalliberalen
Abgg. Hobrecht und Tramm ein. Aus den Ausführungen
des Herrn Hobrecht ist nur bemerkenswerth sein lebhaftes
Eintreten für eine Landgemeindeordnung, die die beste
Grundlage für die Vertheilung der Zuwendungen ab-
geben könne.
San Remo, 24. Jan. Der „Nat.-Ztg." wird
über den neuesten Krankheitsverlauf beim Kron
prinzen Folgendes mitgetheilt: In der vergan
genen Woche ist ein Zwischenfall eingetreten, 'der
indessen bereits überwunden zu sein scheint. Wer
das offizielle Bulletin aus San Remo vom 13. d.
Mts. richtig zu lesen verstand, konnte auf eine solche
alten Tabor-Müller, tute dieser sich anheischig ge
macht, den orientalischen Schild zurück. Dann
würde Isidora Wittwe, dann wäre er reich, dann
könnte er seinen Adel ans sie übertragen lassen,
dann würde er dem jungen Grafen Oldfred neue
Stiefel anziehen und die Baronin Isidora ginge
keineswegs barfuß. Aber der alte Waldbrenner —
Wie in Wuth schlenderte der Sattler die Kleider
von sich, blies das Licht aus und warf sich in's Bett.
Ein schöner Sommerabend verglühte ans den
Bergen und ein dort plötzlich aufspringender kühler
Luftzug verbreitete sich in der Ebene und erquickte die
Welt. Morgel, der Invalide, saß vor seiner Hütte
am Saum der mit üppigem Gras bewachsenen
Wiesen ans einem dreibeinigen Stuhl mit schmaler
hoher Lehne, die des Alten schmalen hohen Ober
körper weit überragte. Morgel würde sich um keinen
Preis auf dem Rasen ausgestreckt haben, weit dies
der Würde eines Kriegers, der bei Leipzig gefochten,
nicht ziemte, wenn es nicht in Bivouac geschah.
Zuweilen unterbrach er seine Arbeit, indem er mit
dem hölzernen Bein klappernd an die Stuhlbeine
schlug, und was er damit sagen ivollte, ivar sein
Geheimniß. Seine Arbeit aber bestand darin, daß
er an einem Kleidungsstück, welches er über sein
gesundes Bein gebreitet hatte und mit der steifen
Hand festhielt, mit der anderen Hand nähte und
flickte; er verbesserte, wie er soeben selbst bemerkt
hatte, „die Hosen des nächsten Winters".
Derjenige, zu dein diese Beinerkung geäußert
wurde, saß mit gekreuzten Beinen zu den Füßen
des Invaliden im Rasen. Abdul Hassan liebte die
Gesellschaft des verkrüppelten Soldaten, hauptsächlich
aus dem Grunde, weil er ihm sein Herz ausschütten
konnte, ohne einen Verrath fürchten zu müssen.
Morgel schwatzte nichts ans, weil er überhaupt nicht
schwatzen konnte, weil aus seiner verstümmelten
Sprache für keinen Menschen ein verständlicher
Zusammenhang hervorging.
Eventualität vorbereitet sein, denn da wurde schon
eine etwas stärkere Schwellung der linken Kehlkopf
hälfte und eine etivas allgemeiner sich ausbreitende
entzündliche Reizung der Kehlkopfschleimhaut consta-
tirt. In unmittelbarem Verfolg dieser Erscheinun
gen hat sich bald darauf ein nekrotisch gewordenes
Geivebstückchen aus der erkrankten Partie des Kehl
kopfes abgestoßen, das der Kronprinz am Dienstag,
den 17. Januar ausgehustet hat. Dem Kaiser-
würde davon alsbald Meldung gemacht. Die That
sache, daß der Kronprinz ungefähr acht Tage lang
das Zimmer nicht verlassen hat, ist durch den er-
ivähnten Prozeß erklärlich. Seit Freitag hat indeß
der hohe Patient wieder Ausfahrten gemacht und
man darf daraus schließen, daß er sich wieder Woh
ler fühlt.
San Remo, 24. Jan. . Die Aerzte gestehen jetzt
zu, daß seit dem 15. Januar der Kronprinz mehrere
Tage ziemliches Fieber gehabt, was die beun
ruhigenden Gerüchte hervorgerufen hatte. Seine
Theilnahme an den Morgen stattfindenden Feierlich
keiten ist gesichert.
^ — Der Hochzeitstag des kronprinzlichen Paares
wird von den Deutschen in San Remo Mittags
durch ein Festmahl, Abends unter Fenerlverk gegen
über Billa Zirio auf dem Meere gefeiert. Den
Mittelpunkt des Feueriverks bildet der italienische
Aviso in elektrischer Beleuchtung, umgeben von zwölf
Booten.
— Der Besitzer der Villa Zirio ist'ein Ad
vokat Zirio, ein reicher Mann, der nach einem
Korrespondenten des „Berk. Tgbl." mehr als 10
Millionen im Vermögen hat und mit einer reichen
Französin verheirathet ist. Der Besitzer wohnt selbst
in einer ihm gehörenden Nachbarvilla.
— Ein 30jährigcr Kandidat derTheolvgi
soll, wie dem „Berl. Tagebl." ans San Remo
geschrieben wird, der kronprinzlichen Familie auf
Schritt und Tritt von Berlin und London nach
Toblach, Venedig, Baveno und San Remo gefolgt
sein in der fixen Idee, um die Hand einer der
Prinzessinnen anzuhalten. Jetzt sei er ans San
Remo „abgeschafft" worden.
London. 23. Jan. Sir Morell Mackenzie
erhielt angeblich nach dem „B. T." die AnffoMrung,
einen Patienten in Michigan (Bereinigte Staaten)
zu besuchen (gegen ein Honorar von .30,000 Doll.),
lehnte jedoch ab, weil er nicht auf jo werte Ent
fernung vom Kronprinzen reisen ivill.
Paris, 23. Januar. Louise Michel ist trotz
ihrer schweren Verivnndnng nach Paris übergesiedelt.
Sie wollte keine Verfolgung ihres Mörders Lucas
veranlassen, der bis jetzt in sehr geordneten Ver
hältnissen gelebt, und konnte erst zu Aussagen be
wogen werden, als man ihr sagte, derselbe würde
ex officio verfolgt. Es ist jetzt festgestellt, daß
Lncas betrunken war, als er das Attentat verübte.
— Heute Nachmittag erschienen Arbeiter-Dele
gationen der Anstreicher, der Sattler und Klempner
in der Kammer, uni bei den Pariser Deputirten
gegen die Beschäftigung fremder Arbeiter in Paris
vorstellig zu werden. (B. T.)
Paris, 23. Jan. Ein Telegramm der „Agence
Havas" aus Nancy meldet: Ein Einwohner von
Andun le Roman, Namens Barberot begab sich auf
der Jagd auf deutsches Gebiet, da er ein Zeichen,
ivelches ein deutscher Douanier ihm machte, als die
Abdul Hassan's Gemüth aber war an diesem
Tage sehr bewegt, so daß er, statt in die Berqc
zu gehen, sich dem Nachsinnen überließ und Morgel
dazu wählte, um in Form eines Gespräches laut
ausdrücken zu können, was er empfand, der Ver
schwiegenheit so sicher, als ob er in die leere Luft
gesprochen hätte. Die leere Luft giebt jedoch kein
Zeichen des Hörens und des Verstehens, während
der Invalide, so schlecht er auch sprach, um so
besser verstand und hörte.
Was das Herz Abdul Hassan's bewegte, war
die Trauer auf dem Antlitz seiner geliebten Herrin^
und nachdem er dies schon eine Zeit lang wahr'
genommen, hatte sie ihm eben an diesem Tage ge
sagt, sie werde es ihm gleichthun, sie werde in der
weiten Welt umherwandern oder, wie er selbst dies
oft zu nennen pflegte, aus der Armuth ein Geschäft
machen Der Mann ans dem Morgenlandc war
zwar schon m der Kindheit der Heimath entfremdet
worden und nn deutschen Lande aufgewachsen, allein
sein ursprünglicher Herr, der ihn ans dem Orient
nntgebiacht, der Vater Wendelin Schlucks, war stets
darauf bedacht gewesen, orientalische Sitte, Denkunas-
weise und selbst die Märchenwelt des Ostens in
r Ķ'à desselben lebendig zn erhalten. Darum
nebte Abdiial Hassan Diejenigen, die nichts be-
saßen, aber auch nichts erstrebten, sondern, in der
Welt umhergehend, geduldig und gelassen warteten,
was ihnen das Schicksal in Gestalt guter Menschen
zuwerfen werde; er nannte dies aus der Armuth
ein Geschäft machen.
War nicht auch Morgel ein weiser Bettler von
ähnlicher Beschaffenheit? Plötzlich aber erfüllte den
Morgenländer der Lieblingsgedanke, nichts zu haben
und nichts zu verlangen, mit Entsetzen, wenn er
auf das Geschick der geliebten Herrin angewendet
werden sollte — die Einzige, die es nach seiner
Memnng verdiente, Königin der Welt zu sein und
alle Fabelschätze der arabischen Märchen zu besitzen.
(Fortsetzung folgt).