Full text: Newspaper volume (1888, Bd. 1)

enöskuraer 
AļoņuemenļSpreiS: 
Vierteljährlich 2Jk~ frei ins Haus geliefert 2 Jl 15 4, 
wr Auswärtige, die das Blatt durch die Post beziehen 
1 25 ^ mcl. Postprovision re., jedoch ohne Bestellgeld. 
Erscheint 
Montag-, Mittwoch- und Freitag-Abend. 
ermatt 
Etmm-achtzigfter 
à. U. 
cs, Deutscher Reichstag. 
Iftws Plenarsitzung des Reichstages vom 15.Jan. 
de« m® a f Haus die Berathung über die Anträge 
ständioâ î""ķsl, zunächst den über Erweiterung der Zu- 
Veraeden^ ^ Schwurgerichte auf Preß- und politische 
aabä^w- Nationalliberalen (Abg. v. Marquardsen) 
weit es Garung ab, daß sie für den Antrag, inso- 
im Uebria?» Ä Preßvergehen beziehe, eintreten würden, 
schlick). "egen Aussichtslosigkeit der event. 2)e= 
weist 'şibuo verhalten müßten. Abg. Träger (bfr.) 
Ausleaun^" î" längerer Rede nach, daß sich durch die 
gegeben w. ^/che man dem Begriffe „grober Unfug" 
versehe 'ŗi* e ķîş°!5"îte Presse in einen Ausnahmezustand 
Dem^schijà^ Abhülfe Ordere. Abg. Frohme (Soc.- 
sick „Fueßt sich dem an, unter Hinweis auf die jüngst 
Abg Lartmnn°"i Sozialistenprozesse, wird jedoch vom 
Dem sf0"s-) darauf hingewiesen, daß die Soc.- 
aioiffm/.• f Schwurgerichte früher ganz anderer Ansicht 
aus hnfc ? en Yt Schlußwort führt Abg. Barth (dfr.) 
aeri»/^ ^ ,e ^Überweisung der Preßvergehen an Schwur 
sei c/ņter den jetzigen Umständen unbedingt nöthig 
''.Fr Rettung der Freiheit der Presse. Die 2. Be- 
Ber^ ^es Antrags findet im Plenum statt. Folgt 
«er» hung des Antrags Munkel (bfr.) betr. Widerein- 
den mä^" Berufung. Abg. Reichenfperger (Ctr.) hat 
am i 9 : TÏ Eintrag eingebracht und begründet denfelbeii 
Klem!^ F^ssie der Rechtspflege selbst liegend. Abg. 
mriMT*/ 0n y, gegen den Antrag, besonders deshalb 
^ der Bundesrath ablehnend gegen die Sache ver- 
iübr>:„ ^g. Miguel (natl.) entschieden für Wiederein- 
Mrung der Berufung, die das Rechtsbewußtsein des 
älkes gebieterisch fordere. Abg. Munkel (bfr.) weist im 
Schlußwort die Einwände der Gegner des Antrags zurück. 
sn Ä ,£ ,e /. Berathung desselben findet im Plenum statt. 
àchste Sitzung Freitag: Etat. Schluß 4'/, Uhr. 
©on Remo, 17. Januar. Das Befinden des 
Kronprinzen weist eine fortschreitende 
Besserung auf. Es zeigten sich weder neue 
Wucherungen, noch irgend welche krebsartige Er 
scheinungen. Alle gegenteilige« Journal»,eldunaen 
smb unrichtig. Dr. Mackenzie wird nicht vor dem 
bei seiner letzten Anwesenheit Hierselbst festgesetzten 
Termin nach San Remo kommen. Man' beklagt 
es, daß die ganze Umgebung des Kronprinzen 
sich in ihren Aussagen dritter Personen gegenüber 
sehr zugeknöpft verhalte. Aus diesem Grunde sind 
die widersprechendsten Gerüchte an der Tagesordnung. 
San Remo, 18. Jan. Der Kronprinz zog sich 
in voriger Woche eine leichte Erkältung zu und 
hatte darauf etwas Fieber; allein sein Befinden 
'/ l>Ete '"ieder normal lind durchaus befriedigend, 
das Fieber völlig ivieder Verschivunden. 
San Remo. 18. Jan. Fürstbischof Ko pp, von 
ckcom zurückkehrend, hatte heute Nachmittag eine 
"^Unterredung mit dem Kronprinzen und 
-erste Abends 8 Uhr ab. 
MonS, 18. Jan. Die Grubenarbeiter von 
rchreren Kohlenbergwerken im Paturages- 
^fbret haben heute die Arbeit eingestellt, 
tesclben verlangen Lohnerhöhung, 
rüffkl, 17. J»n. Die große Tuchfabrik Hau- 
röw m Ģ"şival bei Berviers ist sammt allen Vor 
sts 5!\ u "ö Maaren niedergebrannt. Der Schaden 
g/'ş -'3t eine Million Francs. Dreihundert Arbeiter 
d durch die Katastrophe brodlos geworden, 
ķ ŗrlfşel, 18. Jan. Francois, der Spezial- 
-U/ņd.ent der „Jndependance beige" in Massanah, 
s. "U ein trauriges Bild der Lage der Jta- 
D-r Negus von Abessinien ist zum Kriege 
walu ^àlien entschlossen und konzentrirt eine ge- 
Trnppenmacht in der Stärke von 80,000 
sill"""' Da General Marzano kann, über 10,000 
şaN«"" //fügt, so ist dessen Position stark gefährdet, 
nicht bedeutende Verstärkungen eintreffen. Die 
» edentenden Verstärkungen" dürften schwerlich recht- 
Massanah erreichen. 
18. Januar. Die Blätter begrüßen das 
des Zaren zwar als FriedenSzcichen von 
timto Bedeutung, koiistatircn jedoch, daß die mili- 
die ?r-Ş'îuation sich nicht gebessert habe und auch 
sei.^"Eschen Differenzen nicht geschwunden 
Min»- - Honte hat sich der pensionirte General- 
Bì„st,"ņnîendant Josef Fuchs erschossen, weil er durch 
cher-r arg bedrängt wurde, 
hier 16 ' Uan. Ein sensationeller Prozeß fand 
De. Schwurgerichte seine Erledigung, 
und /.i"hrige Samuel Fuchs, der in Sport- 
wastr^f^ļroisen hinlänglich bekannt, seinem Namen 
anoek nalle Ehre machte, war des Meineids 
dasi . Şehr bemerkenswerth war seine Aussage, 
lion s« Vernlögen von etwa einer Mil- 
S»n, — verspielt habe, u. A. die kleine 
umme von 1OO.OOO Thalern an den 
des T-/" bon Wales, den einstigen Inhaber 
Baden ° ne8 l ’°" England und zwar in Baden- 
der^Kans^' 19 ’ 2an. Auf Grund des jüngst in 
faßten der polnischen Zeitungsredactenre ge- 
Naber şş^ļ"sses veröffentlichen heute 4 Blätter 
Juoens. 3. -'âffautende Artikel, in denen die polnische 
däksttm Rußland angesichts der Provokation ver- 
l,,ji 3/..Eunssäre vor der Bethätigung rcvo- 
baÈt,» 0t v. r Anwandlungen und vor unbe- 
Sckritt' - - /àische Sache kompromittirenden 
hierrn -iudnnglich gewarnt wird. Veranlassung 
sch/ s s dle geheinl gedruckten, mit dem polni- 
Prokwn.".ş österreichischen Wappen versehenen 
sisck-Vw" 'oņeu, welche von Warschau aus in Rus- 
Zrbest " verbreitet werden und die Polen zur 
Kneges auffordern^ ^ßl°"d im Fall-Feines 
şiî- die „Times" aus der Feder ihres Wiener 
Ireitag, 
Korrespondenten. Kalnokys ganze Leitung des 
Wiener auswärtigen Amtes fei nichts wie eine lange 
Reihe nervöser Kompromisse und Fehler gewesen; 
Oesterreich habe viel zu lange von Berlin abge 
hangen, die Oesterreicher fingen jetzt an, dies einzu 
sehen. Das ganze Telegramm verdient wegen ei 
genthümlicher Umstände, ivelchc nicht telegraphirt 
werden konnten, offenbar besondere Bedeutung. — 
Der Wiener Korrespondent der „Times" hat in 
letzter Zeit wiederholt durch deutschfeindliche gehässige 
Auslastungen von sich reden geniacht. Der kürzlich 
gegen ihn erhobene Vorwurf, daß er sich durch die 
Orleanisten inspiriren lasse, ist vielleicht nicht ganz 
unbegründet. Was aber das ehemalige „Weltblatt" 
Times jetzt ivieder für ein Interesse daran hat, ani 
deutsch-österreichischen Bündniß zu rütteln, ist uner 
findlich. (B. T.) 
Die in Rom aus Anlaß der päpstlichen Jubel 
feier weilende fremde Geistlichkeit ist, wie man 
der „Magd. Ztg." meldet, höchst aufgebracht über 
die italienischen Würdenträger des Vatikans, welche 
den Papst in völliger Abgeschlossenheit von den aus 
wärtigen Kirchenfürsten erhalten. Erzbischof Gangl- 
bauer konnte nur mit Mühe knapp vor seiner 
Abreise den Papst sprechen, Kardinal Haynald 
gelangte gar nicht dazu, und auch Bischof Ko pp 
bemüht sich noch immer vergeblich uni eine Audienz. 
Die italienischen Kardinäle wollen eben die unge- 
theilte Herrschaft im Vatikan behalten. 
Paris, 19. Jan. Der zwischen Frankreich 
und Italien schwebende Florentiner Streitfall 
erhitzt die Gemüther auf beiden Seiten, namentlich 
aber auf französischer, immer mehr. An und für 
sich derartig beschaffen, daß man eine rasche Bei 
legung hätte erwarten müssen, hat derselbe jetzt schon 
bis zur bedingungsweise» Androhung des Abbruchs 
der diplomatischen Beziehnugen geführt. Flourens 
beschwerte sich bei Crispi über die Verschleppung der 
Florentiner Sache und über die Drohung des Friedens 
richters Tosini, die Angelegenheit nochmals aufzu 
nehmen. Tosini berief jüngsten Mittwoch El Melik 
und seinen Anwalt auf den 20. d. M. vor das 
französische Konsulat, um mit ihm zusammen noch 
mals daselbst einzudringen, wenn ihnen nickt aut- 
»villig Einlaß gewährt werde. Flourens erklärte 
Crispi, wenn eine derartige Gewaltthat verübt werde, 
berufe er den französischen Botschafter so 
fort ans Rom ab und behalte sich vor, die 
weiteren Maßregeln zu treffen, welche Frankreichs 
Ehre und Interessen erfordern. Die hiesigen Blätter 
rathen der Regierung, die 150,000 italienischen 
Arbeiter auszuweisen, die in Frankreich ihr Brod 
verdienen; dazu wird die Regierung indeß schwerlich 
greifen. 
tzlewyork, 16. Jan. Der Scheesturm, welcher 
in Texas, Dakota, Minnesota, Iowa, Montana, 
Nebraska und Kansas gewüthet hat, ist der schlimmste 
gewesen, dessen man sich im Nordivesten erinnern 
kann. Im Verlaufe einer einzigen Stunde bezog 
sich der ivolkenlose Himmel und der fallende Schnee 
war so fein wie Mehl, ivobei ein so furchtbarer 
Stnrin tobte, daß kräftige Männerstimmen auf sechs 
Fuß nicht mehr zu verstehen waren. Von der Schule 
heimkehrende Kinder und vom Felde kommende 
Männer erfroren, ehe sie ihre Häuser erreichen konnten. 
Eine Frau, welche vor die Thür ging, um nach 
ihrem Manne auszuschauen, starb auf der SchtvcUe 
ihrer Hausthür. Die meisten der limgekoinmenen 
(mindestens 200) sind erstickt, iveil es kaum möglich 
war, gegen den Schneesturm zu athmen. Die Kälte 
erstreckte sich östlich bis zur Küste. Der Eisenbahn 
verkehr war einige Zeit eingestellt. — Die italienische 
Regierung hat in Philadelphia für Spezzia eine 
pneumatische Dynamitkanone bestellt, welche 600 N 
Dynamit 6 km weit werfen kann. — Die Direk 
tion der Handelskammer von Chicago hat eine 
Resolution gesaß, welche Einsprache erhebt gegen das 
von der französischen und der deutschen Regierung 
erlassene Verbot gegen die Einfuhr ameri 
kanischen Schweinefleisches in Frankreich 
und Deutschland und vorschlägt, der Congreß möge 
Repressalien ergreifen. 
Berlin, 18. Jan. Wie nunmehr bestimmt ist, 
wird der Kaiser das Krönungs- und Ordensfest 
am 22. Januar persönlich abhalten, und sich hierzu 
Mittags 11 Vr Uhr nach dem Königsschloß begeben. 
Berlin, 18. Jan. Ein Antrag auf Aufhebung 
des Identitätsnachweises bei der Getreide 
ausfuhr wird heute von den Konservativen im 
Reichstage eingebracht. 
— Die allgemeine Lage darf nach den 
gestern mitgetheilten kaiserlichen Friedenskundgebungen 
besonders nach der Auslassung des Zaren, in einem 
diirchaus günstigen Lichte betrachtet werden. Der 
Eindruck, welchen die Friedensversicherung des Zaren 
im Auslande macht, ist nach den bis jetzt vor 
liegenden Aeußerungen ein guter. Das offiziöse 
Wiener „Fremdenblatt" sagt, die in den- Reskripte 
des Kaisers von Rußland ausgedrückte Friedens 
hoffnung entspreche vollkommen dem überall be 
stehenden lebhaften Wunsche nach Erhaltung des 
Friedens. Freilich^ dürfte nicht verkannt »verden, 
daß trotz der in dieser Hin>icht aufgewendeten Be 
mühungen die auf allen Gemüthern lastende Beun 
ruhigung und die Zweifel über die Gestaltung der 
Zukunft nicht weichen wollten. 
— Eine zeitgemäße Erinnerung bringt die 
„Boss. Ztg." angesichts gewisser Bestrebungen, die 
3'a h t fl rt u fl. 
20. Januar. 
in letzter Zeit die Aufmerksamkeit auf sich gezogen 
haben, nämlich, daß der Kronprinz noch bei der 
Lutherfeier hervorhob, daß das evangelische Be 
kenntniß Gewissensfreiheit und Duldung 
fordere. Der Kronprinz veranlaßte auch den ver 
storbenen Stadtschnlrath Dr. Cauer in Berlin, den 
am 30. Januar 1881 gehaltenen Bortrag über 
Lessing drucken zu lassen, einen Vortrag, in dem es 
heißt: „Gegenüber den fratzenhaften Ausartungen 
deutscher Gesinnung, die sich heute hervorwagen, ist 
es recht, die Weltbürgerlichkeit des achtzehnten Jahr 
hunderts ins Feld zu führen, die sehr viel deutscher 
ist, als die Karrikatur des französischen Chauvinis 
mus, die sich unter uns für Dentschthum ausgiebt; 
und iver sich zurückgestoßen fühlt von der Brutalität, 
die heute auf der Gasse — und leider nicht nur 
auf der Gasse — ihr Wesen treibt, der findet 
nirgends bessern Trost, als im Anschauen und Ge 
nusse Lessing'scher Humanität." Nach diesem Vor 
trage trat der Kronprinz an den Redner, drückte 
ihm dankend die Hand und bat ihn, diese Worte 
drucken und verbreiten zu lassen, damit sie allent 
halben beherzigt würden. 
— Die „Preußische Lehrerzeitung" be 
urtheilt sehr bitter den Gesetzentwurf wegen der 
Volksschullastcn, sie schreibt in einem Artikel: 
„Wieder nichts." „Nichts als ein einziger Ruf 
nicht nur der Enttäuschung, sondern auch der Ent 
rüstung geht durch die ganze preußische Volksschul 
lehrerschaft! Alles darbt: der Kriegsminister darbt, 
die arme Landwirthschaft darbt, die Ritterguts 
besitzer, die Gemeinden und die Geistlichen darben 
— nur der Volksschullehrer schwelgt im Uebcrfluß. 
Auch bei der Aufhebung des Wittwenkaffenbeitrages 
der die Lehrerschaft gar sehr drückt, sind die Lehrer 
nicht betheiligt, sondern nur die unmittelbaren 
Staatsbeamten. Die Lehrer werden hier doch 
U'enigstens erwähnt. Der Herr Finanzminister sagt, 
daß die Regierung auch die Lehrer nicht vergessen 
habe, sondern darauf sinne (!), Mittel und Wege 
zu finden, wie auch ihnen die Wohlthat jener Auf 
hebung zu Theil werden könnte. Das ist nun der 
Wortlaut der Wechsel, ivie man sie den Lehrern 
stets ansstellte, wenn ihnen andere die Suppe vor 
der Nase wegaßen." Den Lehrern bleibe nur der 
Trost, daß ihre Vorgesetzten, die Geistlichen, eine 
Aufbesserung erhalten. 
— Ein Beitrag zur Beurtheilung des 
gesellschaftlichen Lebens der Gegenwart. 
Das Geschäft der Heirathsvermittelnng ivird in 
Berlin sehr schwunghaft betrieben. Durch Zufall 
gelangte die „Bert. Ztg." in den Besitz der Zu 
schrift einer im Westen Berlins ivohnenden Heiraths- 
vermittlerin, welche an eine reiche Daine gerichtet 
»var, die eine einzige Tochter besitzt. In dem Briefe 
heißt es u. A.: „Durch einen Bekannten habe ich 
ihre iverthe Adresse erfahren und frage ergebenst an, 
ob Sie geneigt tvären, wegen Verheirathung Ihres 
Fräuleins Tochter mit mir in Beziehung zu treten. 
Ich habe sehr achtbare Herren, die sich gerne ver- 
heirathcn möchten. Darunter befindet sich ein Frei 
herr, ein Baron, ein Graf nnd sogar ein Fürst, 
der allerdings unter eine Million nicht heirathet..." 
Die Heirathsvermittlerin, ivelche ihr „Bureau" im 
Centruin Berlins aufgeschlagen hat, kann gewiß 
stolz auf ihr „Lager" sein. — Wir sagen, es ist 
ein Skandal, daß unter den Augen der Gesetz 
gebung solches Thun und Treiben passirt. 
■— Die Bedenken der Nationalliberalen 
gegen das neue Sozialistengesetz bezeichnet die 
„Lļordd. Allg. Ztg." als „Popularitätshascherei." 
Wenn man sich dem logischen Ausbau des Sozia 
listengesetzes nur im Hinblick auf etivaige günstigere 
Wahlchancen entziehe, so erwüchse daraus für die 
Opponenten eine neue Verantwortlichkeit, welche 
kaum leichter zu tragen sein dürfte, als selbst der 
Verlust einiger Wahlstimmen und sogar einiger 
Mandate, lieber die Tragweite solches Vorgehens 
könnten übrigens auch nur Politiker entscheiden und 
nicht Parteimänner. 
^ — Bemerkenswerth ist eine Notiz der „Freien 
Presse", des Organs des Socialisten Harms, 
wonach dieser beabsichtigt, für den Fall°dcr An 
nahme des neuen Sozialistengesetzes der sozial 
demokratischen Fraction den Vorschlag zu machen, 
„in corpore das Mandat niederzulegen." 
— Ueber einen Ausflug der Kronprin 
zessin nach La Mortola bei San Remo auf die 
Besitzung von Mr. Hanbury schreibt eine Schleswig- 
Holsteinerin der „Kieler Zeitung" von der Rieviera 
u. A. Folgendes: „Die Kronprinzessin war sehr 
aufgeräumt und erzählte unter herzlichem Lachen 
ergötzliche kleine Geschichten, wobei sie in nnge- 
zwungenster Heiterkeit ihrer Tischnachbarin, einer 
jüngst verheiratheten Engländerin, wiederholt die 
Hand auf den Schoß legte. Im Laufe der sehr- 
heiteren Unterhaltung ivagte es eine ältere Dame 
der Tischgesellschaft, Mrs. Sp.-B., der Krankheit 
des Kronprinzen zu erwähnen. Dabei erzählte sie, 
daß sie selber einmal einen Kutscher gehabt, der 
nach dem Urtheil der besten Aerzte am Zungenkrebs 
hätte leiden sollen und bereits von ihnen aufgegeben 
gewesen sei. Trotzdem habe sich schließlich doch die 
Diagnose der Aerzte als ein Irrthum eriviesen. 
Darauf antwortete die Kronprinzessin, beide 
Hände herzlich auf den Arm der Erzählerin legend, 
wörtlich: „Oh, ich danke Ihnen, daß Sie niir diese 
Geschichte erzählt haben; die hat mir wohl gethan! 
JnseŗtiouķpreiS: 
Für die Corpuszeile 15 4, für die Petitzeile 10 
Anzeigen werden an den bezüglichen Ausgabetagen bis 
Mittags 12 Uhr erbeten. 
Als Beilage wird dem Blatt monatlich eimnal 
„Der Landwirth" gratis beigegeben. 
Ï888. 
Aber wissen Sie, wir glauben keinen Augen 
blick, daß es Krebs ist; es ist eine vernach 
lässigte Erkältung, die in — (unverständlich) — 
übergegangen ist; und es wird mindestens zwei 
Jahre dauern, um ihn ivieder ganz gesund zu be 
kommen." Weiterhin änßerte dann die Kronprinzeß: 
„Sie sollten ineinen Mann sehen! er fühlt sich so 
ştark, er springt, er rennt, er geht, er tummelt sich 
umher!" 
Aus Berlin schreibt man der „Schles. Ztg.": 
Nach einigen wärmeren Tagen ist es wieder kalt 
geworden, und dies hat den hier lebenden Chinesen 
Gelegenheit zu einer drolligen Erfindung gegeben« 
Sie tragen nämlich jetzt die Ohren in Papp 
schachteln! Natürlich sind diese Bauwerke im Ge 
schmacke ihres Landes gehalten: der Deckel, ungefähr 
'V» einer à'eisfläche, ist mit schwarzem Sammet 
bezogen und dieser mit prächtigen Blumen in den 
grellsten Farben bemalt. (Bei großen Ohren 
trägt der Deckel ganze Bouquets). Die Seitenwand 
ist mit blauer Seide bezogen und die ganze Papp 
schale ^ mit Pelz gefüttert, welcher an der Wange her 
vorquillt und eine Art Backenbart bildet, den die 
Chinesen sonst nicht tragen. Ebenfalls wegen der 
Kälte nehmen sie jetzt nicht Brillen mit Metall-, 
sondern mit Horn- oder Schildpattfassung, natürlich 
in entsprechend größerem Umfang. Wenn zwei so 
geschmückte Chinesen durch die Straßen gehen, an 
gethan mit ihrem schlafrockähnlichen National-Kostüm, 
welches ebenfalls in den buntesten Farben schimmert, 
so dreht jich Alles lachend um, während sonst der 
Berliner diese getvohnten Gestalte» kaum anblickt. 
Unn», 16. Jan. Die Verwaltung der Zeche 
„Massen" Hierselbst erhielt dieser Tage aus Ham 
burg einen Geld brief im deklarirten Werthe von 
4000 Mk. Ş Der Brief enthielt indeß ledig 
lich P a p i e r s ch n i tz e l. Merkwürdigerweise waren 
die ^ Siegel völlig unverletzt. Die Behörden sind 
eifrig bemüht, das räthselhafte Verschwinden des 
Geldes aufzuklären. 
Köln, 16. Jan. Ein der Klasse der Zuhälter 
angehöriges verkommenes Subjekt schoß soeben, 
/ Uhr Abends, auf offener belebter Straße auf 
einen Schutzmann, denselben nicht unerheblich 
im Gesicht verwundend. Das Publikum nahm den 
Attentäter fest nnd brachte ihn zur nächsten Wache. 
Es soll sich um einen Racheakt handeln. 
Paderior», 16. Jan. Der 28jährige Sohn 
des Metzgerineisters Mathias K. Hierselbst, welcher 
mit seinem Vater und seiner Stiefniuttcr schon zu 
öfteren Malen Streitigkeiten hatte, die in Thätlich 
keiten auszuarten drohten, gerieth gestern Abend 
wiederum mit diesen in Streit, ergriff dabei ein 
Messer, mit welchem er seinen Eltern so 
schwere Verletzungen zufügte, daß die Stief 
mutter bereits heute Morgen denselben erlegen ist; 
an dem Aufkommen des Vaters wird geziveifelt. 
Nach vollbrachter That durchschnitt sich der 
unnatürliche Sohn die Kehle. Der sofort 
herbeigerufene Arzt vermochte den Unseligen zwar noch 
am Leben zu erhalten, jedoch ist auch sein Auf- 
koinmen sehr ziveifclhaft. 
Aus Schlesien, 13. Jan. Ein lebhafter S ch m u g - 
gel mit denaturirtem Spiritus wird jetzt an 
der schlesisch-polnischen Grenze getrieben. Der rus 
sische Grenzsoldat hat es ausgewittert, daß seine 
Kehle sehr wohl im Stande ist, sich trotz Pyridin 
basen und Holzgeist an unserem so widerlichen 
Brcnnspiritns zu laben, wenn' er ihn mit seinem 
heimischen „Wodka" mischt. Und so wandert jetzt 
der denaturirte Spiritus auf Schleichwegen in großen 
Massen über die Grenze. Der Genuß hat sich bis 
her nicht als schädlich erwiesen, nur klagen die 
Grenzsoldaten über den Rausch; derselbe sei ein ganz 
fürchterlicher. 
Breslau, 17. Jan. Der Privatdocent Dr. Jo 
seph stand heute wegen Anklage des gemeinen 
Diebstahls vor dem Strafgericht. Derselbe hatte 
als leidenschaftlicher Briefmarkensammler bei einer 
Gelegenheit 10 seltene spanische Marken im Werthe 
von 100 Ji entwendet. Auf seinen Geisteszustand 
untersucht ivurde er für gesund erklärt nnd dem 
Strafrichter überantwortet. Der Gerichtshof erklärte 
den Angeklagten für schuldig und verurthcilte ihn 
zu sechs Btonatcn Gefängniß und zwei Jahren 
Ehrverlust. 
Stade, 18. Jan. Der Staatsminister a. D. 
von Hodenbcrg wurde wegen Majestätsbe- 
lerdigung zu 3 Wochen Gefängniß verurtheilt. 
Beantragt waren 6 Monate. Das Reichsgericht 
hatte das ursprünglich freigesprochene Urtheil auf 
gegeben. 
Aus Bayern. Im Pfarrdorfe Weißenbrunn 
bei Kronach sind bei den jüngsten Wahlen in die 
Gemeindevertretung und Kirchenverwal 
tung nur Sozialdemokraten gewählt worden. 
Sozialdemokraten in einer Kirchenverwaltung — 
welche Ironie! 
Der in Straßburg wegen Landesverrat Hs 
verhaftete Eisenbahnbüreau-Kanzlist Diez stand im 
Verdacht, die im Bereich der elsaß-lothringischen 
Bahnen für den Fall einer Mobilmachung getroffenen 
Maßregeln, wie Militär-Fahrpläne u. s. w., gegen 
Geldentfchädigung an Frankreich ver 
rathen zu haben. Die vorgefundenen verdächtigen 
Schriftstücke imirden Seitens der Staatsanwaltschaft 
mit Beschlag belegt. Diez ist geständig.
	        
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