Versuch einer Geschichte der
SL. Warien-Kirche inHlendsöurg.
(Fortsetzung.)
L. Die Almiffe der «ragen Lake» und Scho.
1. Anch diese Armcnstiftung ist eine sehr alte.
Ohne allen Zweifel haben wir in nachfolgendem
Dokumente vom Sonntage Lätare des Jahres
1334 die älteste Stiftungsurkunde.
Die Consulc von Rendsburg machen bekannt,
baß sie den Testamentsvollstreckern des Petrus,
genannt Copmann, und feiner Frau Aven, nämlich
dem Vocko und dem Otto vor dem Thore (nute
valvam) dem Otto, genannt Plohfc, und dem Pe
trus, dem Vorsteher des Heil. Geist-Hauses, zum
frommen Andenken des Petrus Copmann und
seiner Frau 6 Hufen, in ihrem Kampe neben der
Stadt belegen, für 75 lübsche Mark Pfennige mit
allen Rechten und Vortheilen verkauft haben, bi«
sie diese von ihren am Feste der Reinigung Mariä
Mit ihrem eigenen Gelde völlig eingelöst haben.
Wenn sie dieselben dann einzulösen beschließen oder
dazu im Stande sein werden, dann wollen sic jene
75 A an einem Ternün und in einer Summe
wieder erstatten. Es sollen die Testamentsvoll
strecker das Geld oder die aus der Verpachtung
dieser Hufen herrührenden Gelder jährlich ein
treiben und für fromme Zwecke verwenden, näm
lich für das Lesen von Messen und für
Almosen an die Armen z. B. für Schuhe
und Kleider, die sie ihnen einzeln geben, zum
Seelenheil des Petrus Copmann und seiner Frau
Aven. Wenn einer von den Testamentsvollstreckern
stirbt, so sollen die übrigen aus den Bürgern einen
Nachfolger bestimmen. Diese Anordnung soll für
alle Ewigkeit dauern. Wenn die Testamentsvoll
strecker Güter ausfindig gemacht haben, die sicherer,
nützlicher und bequemer sind, dann werden die
Consuln auf Verlangen derselben die genannte
Summe voll und ganz ausbezahlen, damit sie sich
die Güter dafür kaufen können. Wenn sic aber
von den Testamentsvollstreckern aufgefordert werden
das Geld auszuzählen, sie aber nicht dazu im
Stande sind, so sollen die Testamentsvollstrecker
das Recht haben, die Hufen einem andern, der aber
Rendsburger Bürger sein muß, für die genannte
Summe zu verkaufen.
Zeugen sind die alten und neuen Consult:
Vocko, Detlevus von Sebek, Eler Went, Otto vor
dem Dore, Otto Ployse, Johannes und Nicolaus,
Gebrüder, genannt Sebeke, Petrus, der Vorsteher
des Heil. Geist-Hauses, Bolrad Prodcnowe, Mar-
quard Rolevcsseren, Marquard Wulf, Wickcnbekc,
Dancquard Tompene, Johannes Rodhe, Marquard
Adens, Detlev Plone, Witte Peter, Harder von
Elerstorp, Marquard Dithmersche u. a.
^ Wir sehen aus der Aufführung aller dieser
Personen, daß 75 Ķ damals ein Kapital von
großer Wichtigkeit war und daß es sich um eine
Sache von Bedeutung handelte. Die Angabe
der Schuhe und Kleider für Arme, welche aus
dem Erlös des Landes angeschafft werden sollen,
geben uns genügenden Grund zur Annahme, daß
vorliegende Urkunde die Stiftungsurkunde der
Almisse der gragen Laken u. Scho ist.
Ueber vorstehende Urkunde war Streit entstanden,
dstc aus einer andern Urkunde vom Jahre 1336
hervorgeht.
Im Jahre 1386 anl 25. Juni 6 Uhr macht
unter dem Pontifical des Urbanus der Notar
Henricus Nendorp bekannt, daß auf der einen
Seite Henricus, Offizial der Präpositur von Ham
burg, und Borchard von Lozc, Rector der Kirche
in Ghicowe (Gikau), in der Diöcese von Lübeck
und auf der andern Seite die Proconsuln und
Konsuln und der Testamentsvollstrecker des Petrus,
genannt Copmann, und seiner Gattin Aven in
Aneinigkeit gerathen sind. Es wird das Urtheil
gefällt, daß die Streitenden sich an den Ausspruch
les Bouchard, des Pröpsten zu Hamburg, sowie des
Decans und Capellans eben derselben Kirche zu
halten haben, welches in dem im nächsten Winter
abzuhaltenden Domcapitcl gefällt werden soll. —
Der Notar ist aufgefordert worden von dem Docu
ment von 1334, das so oder anders gedeutet
werden kann, eine oder mehrere Abschriften anzu
fertigen. — Verhandelt in der Parochialkirche in
Rendsburg zur obigen Zeit. Zeugen sind: Johannes
Scholen, Rector daselbst, Gotzscalck, Rector in
Vouenobc (Bovenau), Christian Rector
’» Campen, in der Diöcese von Schleswig u. a.
Ueber die Natur des Streits und dessen Aus
fall erfahren wir nichts. Der Hamburger Offiziale
und der Pfarrer zu Gikau vertreten, wie es scheint
bst Testamentsvollstrecker des Petrus Copman. Da
biese aber am Orte wohnen, so sollte man denken,
baß der Hamburger Offiziale und der Pfarrer zu
Ģikau hier als Schiedsmänner anwesend gewesen
wären.
Zur Almisse aber sind andere wichtige Schen
kungen hinzugekommen.
2. Im Jahre 1376 verkaufte der Knappe
Hennecke von Troya, Schleswigsckcn Stiftes, an
Avhannes von Hostede, Kirchhcrrn von Schouby
stuf Fühnen, Odenseeschen Stiftes, 5 Hufen in
Duvenstede, im Kirchspiel zu Campen, SchleS-
wlgfchen Stiftes, welche alle Jahre 40 Scheffel
joggen, Rendsburger großes Maaß, geben für
Ķ Misch. Zur Zeit hatte davon in Duven-
ßedt Hennecke Gerstorp 2 Hufen, Marquard Raven
1 Hufe und Hoste (Holste) 2 Hufen. Als Mede-
auer (Mitgelober) des Hennecke von Troha werden
Aufgeführt: Jwen Krummendicck, anders genannt
. cverhy Knappe; Detlev, genannt Bülcke; Detlef
./rge zu Rendsburg, Bremischen Stiftes, und
^stuge lüde, Bürgermeister; Jcße Friese u. Claus
şihsted (Dryfnd), Rathmann der Stadt SchlcS-
'3; ferner Johann Lidentisi, Domherr, und Nico
laus Kannengeter, Vicar der Kirche zu Schleswig;
Borchard von Lose, Kirchherr zu Gikau, lüb.
Stiftes; Hennecke von Bockwoldt, und Hertig
Porsevcld. (Letzterer wird jedenfalls zu Manu
Porsefcld, der 1375 den St. Jürgcnshof an den
Heil. Geist schenkte, in Verwandtschaft gestanden
haben). Schleswig im Jahre 1376 am Tage
Tiburtii und Valcriani der Märtyrer.
Offenbar sind diese Hufen dieselben, welche 1337
am Sonnabend vor dem Sonntage Estomihi Sig
frid von Sestcdc, milos, an Otto gen. Ployse,
dem Bürger in Rcynoldesborg und seinen Erben
verkaufte. Derselbe verkaufte an Otto Ployse
5 Hufen in Duuenstede, 1 Hufe in Vockebekc und
VIII. guartalo (Vicrtelhufcn?) nach dänischem Recht
und Gesetz mit allen Vortheilen und Freiheiten
für 330 1L lübscher Pfennige. Zeugen u. Bürgen:
Otto Blixc, Marquard von Scstede, beide Krieger,
Ditlev von Scstede, Luder von Schinkel, Rudolph
Blixe u. Syfrid, deS Syfrid von Scstede Sohn.
Das Kirchenbuch von 1573 sagt nun weiter:
„Duffe Sostcin tunnen roggcn hefft gegcucn her
Johan Hofstede na lüde eines breues, als ock achter
in dem Pargemenen Stadtboke tho befindende."
Von diesen Hufen, auS welchen 6 geworden
waren, schenkte Herzog Friedrich zu Gottorf am
St. Martins, des Bischofs Tage 1496 die bisher
ihm zu liefernden 6 Schweine, wenn Mast vor
handen war, dem Heil. Geiste binnen Rendsburg.
Mit dieser Schenkung kamen die Hufen in Duven
stedt unter Jurisdiction der Stadt.
(Die der Mariengilde zugelegten Hufen Duven
stedts werden bei der Einführung der Reformation
an die Landesherrschaft zurück gefallen sein).
(Fortsetzung folgt.)
20) Die Schönheit von Drowninghsm.
Von Helene v. Götzendorff-Grabowski.
Als die beiden Männer in das Wohnzimmer der
Mrs. Harris traten, bemerkte dieselbe sofort, daß
ihr Sohn um einige Nuancen weniger unzugänglich
und abweisend aussah, und wagte es daraufhin,
Sir MarcuS zu dem ansprechend arrangirten Imbiß
einzuladen, welchen sic in der Zwischenzeit hergerichtet.
Einige Zeit danach, nachdem der vornehme Gast
durch die liebenswürdige und verständnißvolle Aner
kennung sämmtlicher Vorzüge des kleinen Mahle«
auf'« neue ihr Herz gewonnen, wagte sie noch mehr:
sie gab der Vermuthung Raum, Sir MarcuS werde
e» vorziehen, in der Vicariage zu übernachten, statt
bei sinkender Nacht die Rücktour anzutreten. Mr.
Gedevn schwieg dazu. Aber das war schon ein
Sieg für Mr«. Harris. „Und Du, liebster Gedeon,
bleibst Du gleichfalls einmal hier, oder ist es Deine
Absicht, noch diesen Abend nach Tillock-Park zurück
zukehren?" fragte sic, ihren ungeschlachten Sprößling
mit mütterlich liebevollen Augen anblickend.
Mr. Gedeon ließ dreiviertel einer kalten Cotelette
in seinem großen Mund verschwinden. „Das wird
sich finden," antwortete er dann, geräuschvoll kauend.
„Zur Zeit bin ich hier. Es verschlägt mir nicht«,
einmal mitten in der Nacht heimzugehen, wie Du
weißt. Im anderen Falle finde ich ja hier, was
ich brauche."
Der Colonel errieth, daß Mr. Gedeon in Rück
sicht auf sein Verweilen in der Vicariage so und
nicht ander« handelte; wie zur Bekräftigung dieser
Thatsache biß ihn in demselben Moment die unter
dem Tische logirendc, holdselige Fury, durch eine
unwillkürliche Bewegung seines Fußes beleidigt, so
kräftig in die Verse, daß er einen leisen Ausruf des
Erschrecken« nicht zu unterdrücken vermochte.
Der Förster von Tillock versuchte etwas zur Ent
schuldigung des Hundes zu sagen, aber es glückte
ihm nur halb, ein schadenfrohes Lächeln zu unter
drücken.
„Du und Deine Dogge, Ihr seid einander würdig,"
dachte der Colonel voll heimlichen Ingrimms. „Nun,
vielleicht kommt einmal ein Tag der Abrechnung,
an welchem der „verwünschte Schnurrbart" auch
Dich nach Verdienst auszahlen kann. Geduld ist
die beste Waffe der Klugen."
Die gute Mr. Harris hatte bereits lange vordem
ein Gastzimmer herrichten lassen und forderte nun
Sir Marcus, welcher augenscheinlich sehr müde
war, auf, sich zur Ruhe zu begeben. „Polly mag
Sie zurechtweisen, Sir, und Ihnen später noch
bringen, wonach Sic Verlangen tragen," sagte sie
in ihrer freundlichen Art. „Polly, mein Kind, hier
ist der Armleuchter! Möchten Sie recht sanft unter
unserem Dache schlummern, Sir!"
„Besten Dank, MrS. Harris; wie könnte es
anders sein, nach einem so schönen, friedmvollen
Tag? Gute Nacht, Mrs. Harris!"
„Ich wünsche Ihnen wohl zu ruhen, Sir!" sagte
auch der angenehme Mr. Gedeon, mit dem wohl
wollenden Zusatz: „Wenn Fury einmal aufbellen
sollte während der Nacht, so lassen Sie Sich da
durch nicht erschrecken. Es ist so ihre Art, auf das
geringste Geräusch im Haus oder in der Nähe
desselben zu antworten."
„Schon recht, mein Freund. Damit schüchterst
Du mich nicht ein," dachte der Colonel, die Treppe
ersteigend, auf welcher die kalbsüugigc Polly ihm
mit steif empor gehaltenem Armleuchter voranschritt.
Das für ihn hergerichtete Zimmer war, obschon
einfach, sehr freundlich; ein kleines Kaminfeuer
brannte darin und warf seine unruhigen Streiflichter
auf die Vase, welche Mr«. Harris selbst mit Herbst
blumen gefüllt und in die Mitte de« runden Tisches
gestellt hatte.
Nachdem Polly den Leuchter aus der Hand ge
setzt, machte sie Miene, sich, sehr einwärts gehend
und linkisch, zu entfernen; das lag jedoch keines
wegs in den Wünschen des Colonels. „Warten
Sie einmal einen Augenblick, liebe« Kind," sagte
er in seinem gütigsten Zutrauen erwcckendstcn Ton
und schlug langsam ein großes, sehr elegantes Porte
feuille aus einander. „Ich hätte Lust, Ihre kleinen
Dienste für mich bereits heute zu belohnen, da ich
morgen mit dem Frühesten die Vicariage verlasse
und Sie vielleicht gar nicht zu Gesicht bekomme.
Wie wäre cs vielleicht mit diesem kleinen Andenken,
schöne Polly?"
Das Mädchen zuckte zusammen, als sei ihr von
unsichtbarer Faust ein Schlag in den Rücken versetzt
worden. Der Anblick der glänzenden Goldmünze,
im Verein mit der „schönen Polly", welches noch
keiner Mcnschenseele ihr gegenüber in den Sinn und
auf die Lippen gekommen, raubten ihm nahezu die
Besinnung. Seine ohnedies großen Augen erweiterten
sich noch um ein Beträchtliche«, während seine Hände
mit einer Geschwindigkeit und Energie, welche einer
besseren Sache würdig gewesen wären, aus der
saubersten aller weißen Schürzen eine regelrechte
Wurst zu drehen bestrebt waren.
Sir Marcus bemerkte die Wirkung seiner Taktik
mit innerer Genugthuung. „Kommen Sie näher,
schöne Polly," sagte er lächelnd; „dieser Goldfuchs
wartet darauf, in Ihre Hand zu wandern. Ich
werde erfreut sein, wenn Sie Sich mit seiner Hilfe
einige Lieblingswünsche erfüllen."
DaS Mädchen näherte sich mit krebsrothem Ge
sicht der interessanten Stelle, den schlanken, weißen
Fingern, welche das Goldstück nur lose hielten, und
streckte zögernd die Hand aus.
„Hier, Kleine!"
„Ich danke! Ich danke von Herzen, Sir! Es ist
zu viel!" Sie sprudelte es mit plötzlich gelöster
Zunge heraus, die Berührung des kühlen Metalls,
die demselben innewohnende Zauberkraft, schien ihre
Lebensgeister wunderbar anzuregen.
„Zu viel?! Das wollen wir einmal sehen!
Vielleicht noch nicht einmal genug," sagte der Co
lonel gut gelaunt. „Zuvörderst ersteht sich die schöne
Polly ein kleidsameres Mützchen, welche« das goldene
Haar nicht allzu sehr deckt. Es ist schade, dieses
prächtige Haar derart zu verstecken, Kind! Die
zweite, nicht minder nothwendige Sache wäre dann
ein seidenes Halstuch, welches zu den frischen Wangen
gut steht; darauf folgen aber sicherlich noch allerlei
sonstige kleine Nothwendigkeiten. Nun, verstehe ich
mich ein bischen darauf, schöne Polly?"
Das Mädchen warf einen verstohlenen Blick in
den Spiegel, und versuchte, seine Füße noch mehr
einwärts zu setzen; aber es fand keine andere Ant
wort, als ein verlegenes Kichern.
„Sehen Sie, Polly, ich meine, ein hübsches, ein
dunkelblaues oder schwarzes Staatskleid könnte auch
nicht vom Uebel sein," fuhr der unermüdliche Sir
Marcus fort, „zu den Sonntagen, wo man sich
für die Kirche und Mancherlei sonst noch gern
schmückt. Wie steht es damit, Kleine?"
Die „schöne Polly" war im Zenith ihrer Ver
legenheit angelangt. Ihre Fußspitzen berührten ein
ander fast, während ihre Hände bei dem mit er
neuter Heftigkeit wieder aufgenommenen Geschäft
des „Wurstdrehens" in allen Gelenken krachten.
„Lassen Sie Ihre unselige Schürze in Frieden,
Polly, und versuchen Sie, etwa- weniger blöde zu
sein. Ich meine es gut mit Ihnen. Ich will
nicht nur für das Kirchcnkleid sorgen; es soll noch
ein schöner nagelneuer Camelot-Mantel dazu kommen
und Alles sonst, was Sie Sich außerdem wünschen
könnten. Aber Schön-Polly muß mir dafür auch
einen kleinen, in der That nur einen ganz kleinen
Dienst erweisen. Wird sie es wollen?" Des Co
lonels Hände machten sich, während er diese Frage
that, auf's Neue mit dem viel versprechenden Porte
feuille zu schaffen.
Die Augen der kleinen Dienstmagd waren auf das
selbe geheftet, während sie einen Schritt näher trat
und, augenscheinlich mit Aufbietung aller ihrer
Kräfte, sagte: „Ein Kleid, Sir? Und ein Camelot-
Mantel, Sir? Was wünschen Sie, daß ich thun soll?"
Er lächelte und hob ein zweites Goldstück zwischen
den Fingern empor. „Hier ist Numero zwei,
Kleine! Blitzt es nicht prächtig? Nun, ich will
Ihnen sagen, was ich verlange."
In demselben Augenblick erklang unten im Haus
eine schrille, kleine Glocke, augenscheinlich von un
geduldiger Hand bewegt, und Polly klappte in ihrer
gewohnten Art zusammen. „Das ist er! Das ist
Mr. Harris, Sir! Ich muß hinab," sagte sie mit
allen Anzeichen eines heftigen Erschreckens.
„Was kann er wollen?"
„Ich verweilte zu lange hier oben, Sir! Ohne
Zweifel ist es das . . . Er denkt — er fürchtet —"
„WaS kann er denken, zu fürchten haben, Polly?"
„O nichts, Sir! Ich muß fort. Ich muß hinab."
„Werden Sie wiederkehren?"
Ihre Augen hingen sehnsuchtsvoll an der blitzenden
Münze in seiner Hand. „Ich möchte es schon,
aber wie ist es anzustellen, Sir? Mr. Harris wird
dafür sorgen, daß es unmöglich angeht. Gute
Nacht!"
„Thorheit! Sie haben mir mein Lager anders
bereiten müssen, weil ich dieses hoch aufgethürmte
Bett, diese vielen Kissen nicht gewöhnt bin, Polly!
Diese Arbeit hielt Sie so lange hier oben auf.
Und nun lasse ich MrS. Harris noch um ein wenig
Portwein bitten, wenn sie mir noch eine letzte, be
sondere Güte erweisen will. Sagen Sie das unten.
Ich erwarte Ihre baldige Rückkehr, liebes Kind!"
„Ja wohl, Sir!"
Es währte nicht lange, so kehrte Polly in der
That mit einem Präsentirbrett, worauş Flasche und
GlaS standen, zurück. „Er hat es geglaubt, Sir:
daS mit dem Bett. Er hat sich auch selbst über
zeugt, daß sie schläft und ihre Thür verschlossen hat,
und dann ist er fortgegangen. Hier ist nun der Wein."
„Wollen Sie mir sagen, wer schläft, wer seine
Thür verschloffen hat, Polly?" ftagte Sir Marcus.
Sie griff nach der rettenden Schürze und begann
dieselbe wie vordem zu drehen.
„Nun?"
„Ich darf nicht, Sir! Ich darf nicht! Und es
geschah unabsichtlich, daß ich davon sprach," er
widerte das Mädchen, ihn mit hilflosen Augen an
blickend. „Soll ich die Flasche öffnen?"
„Lassen Sie die Flasche jetzt, Polly; kommen
Sie einmal näher! Gerade jenes unglückliche, ge
fangene Mädchen ist eS, worüber ich mit Ihnen
zu sprechen wünsche. Und wenn Sie nicht auf
richtig sein wollen, so kann es mit Kleid und
Mantel nichts werden. Eine Hand wäscht die
andere."
„WaS soll ich sagen, Sir?" fragte Polly in
leisem, furchtsamen Ton, während ihre verlangenden
Blicke nach dem verschwundenen Goldstück suchten.
„Ich weiß nicht einmal ihren Namen, obschon ich
ihn hörte. Er war so seltsam, zu seltsam für mein
Gedächtniß. Das ist die Wahrheit, Sir!"
„ES ist die Wahrheit. Ich kenne ihren Namen
und weiß, daß er seltsam ist. Ich weiß mehr von
dem Mädchen, als Sie und die ganze Vicariage,
Kind, deshalb ist eS kein Unrecht, kein Verrath,
wenn Sie mir einige einfache Fragen beantworten."
Es schien ein besonderer Gedanke in der kleinen
Dienerin aufzusteigen. Sie überblickte die Erschei
nung deS Colonel mit einem neuen interesstrten
Ausdruck in den Augen, und es lag eine schwache
Nuance von Vertraulichkeit in ihrer Stimme, al«
sie fragte: „Da sind Sie am Ende gar der Mu
siker, Sir!? O behüte! sind Sie eS nicht?"
Der Colonel mußte lächeln über die sonderbare
Art ihrer Frage. „Welcher Musiker, Kind?"
„Ihr Geliebter, Sir! Er hat es geschworen, sie
wieder zu finden und endlich doch zu gewinnen,
Sir! Sind Sie es nicht?"
„Ich bin eS wirklich nicht, Polly! Sie muffen
es mir schon glauben."
„Sie sind aber ihr Freund, nicht wahr? Und
das wäre ein Unglück. Mr. Harris hat eS ge
schworen, einem Jeden von ihnen die Knochen zu
zerschlagen. Und mir — mir geschähe das Schreck
lichste, wenn ich ein Wörtchen verriethe, sagt Ma'am."
„Sie haben nichts zu fürchten, Polly. Es wird
niemals herauskommen, daß wir ein Gespräch mit
einander hatten. Wie ist es nun mit dem Kleid
nnd dem Mantel?"
Das Goldstück erschien wieder und Polly's Augen
vergrößerten sich in dem Maß, als der Colonel es
derselben näher brachte. Sie faltete ihre dicken
Hände über der zerknitterten Schürze und sagte er
geben: „Fragen Sie, Sir!"
„Wohl," erwiderte er gelassen. „Es wäre mir
zunächst wünschenswerth, zu erfahren, WaS man von
ihr, von dem unglücklichen Mädchen, für eine Ge
schichte erzählt hat, um ihre Gefangenhaltung zu
erklären. ES ist Sir Thomas Carteret, der neue
Herr von Wincroß, der sie hierher brachte, nicht
wahr?" (Fortsetzung folgt.)
Vermischtes.
— Ein scharfes Witzwort van Ernst Dah«, dem
verstorbenen Redakteur des „Kladderadatsch", erzählt
das „B. T.": In einem glänzenden Hotel zu Berlin
war große Soiröe. Die Damen brillirten in den
kostbarsten Toiletten. Bei manchen schien es aber,
als hätte der Stoff in der Höhe nicht ausreichen
wollen, und dies Decollets fiel ungemein auf. —
„Haben Sie je so etwas gesehen?!" fragte ein
Offizier den anwesenden Dohm.— „Nein", antwortete
dieser, „seit ich entwöhnt wurde nicht!"
— (Fein.) An dem Liqueurzelte eines Wohl-
thätigkeitsbazars hat ein junger Mann mehrere „Er
frischungen" zu sich genommen, und versucht nun,
sich unter der Menge, ohne zu zahlen, zu drücken.
Gräfin X., die an der Kasse sitzt, bemerkt die Ab
sicht und wendet sich in verbindlichem Tone zu ihm:
„Mein Herr, wenn Sie vielleicht Ihre Börse ver
lieren sollten, so werden Sie sich daran erinnern,
daß es nicht hier war, wo Sie dieselbe gezogen haben."
— Jugendliche Revolverhelden. Die erwachsenen
Amerikaner sind so gewöhnt, kleine Meinungsver
schiedenheiten mit dem „Sixshooter" auszugleichen,
daß es kann: überraschend ist zu vernehmen, daß
die liebe Heranwachsende Schuljugend dasselbe thut.
Seit langem bestand ein Streit zwischen den Jungen,
welche in der Washington Schule in Winona,
Minnesota erzogen werden, und den Zöglingen
der polnischen Schule daselbst. Erst fochten sie ihre
Differenzen mit Steinen und sonstigen naheliegen
den Waffen aus, doch nahm der Streit so ernste
Verhältnisse an, daß das Gericht einschreiten mußte.
Der junge Pellvwski gab eidlich die Aussage ab,
daß der vierzehnjährige August Woll, ein Zögling
der Washington Schule, seinen zehnjährigen Bruder
mit einem Revolverschuß verwundet habe. Der
Richter Allen ordnete eine eingreifende Untersuchung
an, und dabei kam die erstaunliche Thatsache an«
Licht, daß Knaben der beiden Schulen sich mit Re
volvern bewaffnet hatten, um sich ihre Gegner vom
Leib zu halten.
— Wo die Pferdebahn-Groschen hinwandcrn»
darüber giebt der „Fuhrh." folgende Auskunft:
Man rechnet, daß die Berliner Pferdebahn den Be
wohnern der Residenz täglich durchschnittlich 30000
Mark zumeist in Nickelgroschen abnimmt. Allabend
lich nun, wenn an der Centralstelle Auszahlung
stattfindet, erscheint daselbst ein blinder Mann in
Begleitung seiner Frau und löst für etwa 500 bis
600 Mark Groschen ein. Er hat seine Kund
schaften, die viel kleines Geld gebrauchen, sine Apo»
thcker, Kaufleute rc. Zu diesen bringt er tm Lause
des Tages das Nickelgeld je nach Bedarf gegen ein
pCt. Vergütung. Auf diese Werse verdient der
Blinde täglich 5—6 Mk.
Druckfehlerteufel. In der „Kreuzzeitung" stand
die folgende Annonce: „Bahnhof Buk 5800 Kg.
getrocknete Briefträger abzuholen (statt getrocknete
Bicrträber).
Beilage zum Rendsburger Wochenblatt Nr. 57.
Freitag, den 11. Mai 1888.