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Beilage zum Nendsburger Wochenblatt 9îr. 53.
Mittwoch, den 2. Mai 1888.
Die Schönheit von Browningham.
Von Helene v. Götzendorff-Grabowski.
Sie blickte unter den langen, dunkelen Wimpern
gedankenvoll zu ihm auf. „Vater bestimmte ja
Alles, Tristan; er fragte mich nicht einmal."
„Und wenn er Dich gefragt hätte?"
„So würde ich vermuthlich in Alles gewilligt
haben. Es ist ja ein alter Beschluß, Tristan, daß
ich eine Lady werden soll. Und ich denke, es wird
schön sein!"
„Bereitet Dir der Abschied von der Heimath
keinen Schmerz, Sobeïdc?"
„Ich kehre ja wieder!"
„Nicht als Sobeïde Stedman: als eine Fremde."
„Das kann ich noch gar nicht ausdenken," er
widerte sie träumerisch, „und lveiß auch nicht, lvann
man mir gestatten wird, Browningham wiederzu
sehen. Vater wünscht nicht, daß ich in der Zwi
schenzeit hierher schreibe. Sir Thomas Carteret
wird es sein, welcher über mich berichtet. Möchtest
Du, daß ich Dir dennoch im Geheimen bisweilen
Nachricht gebe, Tristan?"
„Nicht gegen Mr. Stedmans Willen, Sobeïde;
wenigstens nicht ohne Noth. Aber wenn Du Dich
einmal krank oder unglücklich fühlen solltest in der
Fremde, dann mußt Du es, dann ist es kein Un
recht. Vergiß diese meine ernsthafte Bitte, die einzige,
welche ich Dir an's Herz lege, nicht."
„Gewiß nicht, Tristan! Und hier ist die Adresse
der Londoner Schule, weißt Du. Ich riß das
Blatt ans Vaters Brieftasche für Dich."
In diesem Augenblick erhob die Kirchenuhr ihre
tiefe, mahnende Stimme, und Sobeïde griff hastig
nach ihrem Tuche. „ES ist Zeit, daß ich gehe.
Vater muß bereits zurück sein!"
„Wann reisest Du, Sobeïde?"
„Morgen in aller Frühe. Sir Thomas Carteret
nimmt mich mit. Lebewohl, Tristan!" Die Rosen
auf ihren Wangen erblichen, während sie diese Worte
mit plötzlich schwach gewordener Stimme sprach; das
Lächeln erstarb ans den halb geöffneten Lippen, und
Thränen traten in die zärtlichen, dunkelen Augen.
Noch einmal wallte Tristans Gefühl übermächtig
auf; noch einmal erhob er die Arme, um die Ge
liebte zu einer letzten Umarmung an sich zu ziehen,
jedoch er gewann abermals den Sieg über sich selbst.
„Lebe wohl, Sobeïdc! Gottes Engel mögen Dich
geleiten und unversehrt in die Heimath zurückführen!"
Sic bot ihm in kindlicher Vertraulichkeit die Lippen
zum Kuß, aber sein Mund berührte nur leicht, wie
ein Hauch, die ihm zugeneigte Stirn, um welche
das wirre Goldgespinnst des Haares sich ringelte,
jene kurzen, trotzigen Kinderlöckchen, die ihn mehr
als Alles an seine „wilde Drossel" gemahnten!
Dann verschwand das lichte, glänzende Bild seines
Glückes unter dem dunkelen Tuch und entglitt seinen
Blicken wie ein Schemen. Als die Hausthür sich
mit dem bekannten, wie seufzenden Ton hinter dem
späten Gaste geschlossen, war aber die Kraft des
jungen Farmers am Ende. Laut aufstöhnend brach
er auf seinem hölzernen Stuhle zusammen.
Daß das Feuer allgemach knisternd erlosch und
die Lampe seinem Beispiel folgte, daß der Vergil,
der freundliche Gefährte einsamer Abende, mit zer
drückten Blättern am Boden lag und ein scharfer
Luftzug zu der nicht ganz geschlossenen Zimmerthür
hereindrang: Alles das ging spurlos an dem Manne
vorüber, besten Seele mit einem überwältigenden
Schmerze rang und außer diesem nichts denken,
nichts fühlen konnte.
Zehntes Capitel.
Herbstwinde weh'n — leer steht der Garten,
Worin ich Dich zuerst xeseh'n . , .
Das freundliche Gärtnerhaus mit der grünen
Garteuoase davor lag seltsam leblos da seit So-
bcïdens Verschwinden, wenigstens in den Augen und
nach dem Gefühl Derer, welche von ihrem Scheiden
näher berührt wurden. Die alte Mrs. Andrews
pflegte jetzt auf dem privilegirten Nachmittagsplätzchen
zu sitzen, unter den hängenden Baumzweigen, ivelche
sich ehedem über dem goldigen Haupt der Gärtners
tochter gewölbt, und in der Gesellschaft eines riesigen,
blauen Strickstrumpfes einen friedlichen Spätsommer
nachmittag nach dem anderen zu verträumen. Die
würdige Matrone liebte die Bequemlichkeit über
Alles; sie war eine Person, welche ohne Anstoß
nichts that, nicht einmal die Kleinigkeit, den Mund
aufzuthun, um „guten Morgen" oder sonst etwas
bisweilen Unerläßliches zu sagen.
Diese ihre nicht sonderlich liebenswürdige Eigen
thümlichkeit behagte indessen dem Obergärtner gerade.
Er wünschte nicht, daß mehr oder etwas Anderes
unter die Leute von Browningham gebracht werde,
als er zu sagen für gut hielt, und das war vor
der Hand recht wenig. Sobeïde Stedman sei in
eine Schule geschickt worden, um dort vollends „aus
gebildet" zu werden. Mit dieser kurzen Kundgebung,
welche noch so viel dunkel ließ, mußten sich die
Leute von Browningham begnügen, und da sie daran
gcivöhnt ivaren, in Stedman so etwas wie einen
halben „Herrn" zu schm, und wußten, daß er des
Earls besonderes Vertrauen genoß, so wagten sic
nicht, sich neugierig oder ungläubig zu zeigen. ' Wenn
der Obergärtner sich aber von ihnen gewendet hatte
und in seiner hochfahrenden, selbstgefälligen Manier
davon stolzirte, da schüttelten sie bedenklich die Köpfe
hinter ihm her, prophezeiten seiner Hosfahrt und
Ueberhebung einen tiefen Fall und meinten, es wäre
bester für Sobe'r'de gewesen, wenn sie hätte innerhalb
deS Browninghamer Weichbildes bleiben und eine
rechtschaffene Hausfrau werden dürfen, wie Mary,
Katie, Peggy, Bestie und sofort. Tausend gegen
Eins! Die „Ausbildung" werde ein böses Ende
nehmen!
Was die weibliche Jugend des Dorfes betraf, so
verhandelte dieselbe, ans dein Brunnenrand sitzend,
bei überlaufenden Eimern allabendlich dasselbe Thema
wie die strickenden Mütter und rauchenden Väter;
sie beklagten mit bedenklichen Mienen Sobcïdens
absonderliches Geschick, während Jede insgeheim
recht sehnsüchtig wünschte, an Stelle der Gärtners
tochter zu sein, das heißt, die Hände in den Schooß
legen, die „Lady" spielen und sich schmücken und
bewundern lasten zu dürfen in der zweifellos sehr
lustigen Welt draußen, anstatt im besten Fall mit
der blauen Schürze hinter dem Heerd zu stehen und
für Jacky, Jemmy, Blasy oder Davy Suppe zu
kochen — lebenslang.
Im Schloß ging das Leben seinen alten Gang,
den Umstand abgerechnet, daß Sir Thomas Carteret
Vaverne Castle verlassen hatte, allerdings mit dem
festen Versprechen, so bald als thunlich wieder zu
kommen. Familienangelegenheiten machten, wie er
sagte, seine Anwesenheit in London nöthig.
„Familienangelegenheiten! Hörten Sic ihn je
vordem von „Familienangelegenheiten" reden, Lovc-
dale? Giebt es Jemanden, der da glauben würde,
cs existirte etwas dergleichen im Leben „Ahasvers"?
Sie können Gift darauf nehmen, daß diese Reise
mit der Gärtnerstochter zusammenhängt, Lovedale!
Der alte Habicht hält sie sicher in seinen Klauen!"
sagte der Colonel in einer intimen Unterhaltung mit
dem Maler, worin er seinen Gefühlen freien Lauf
zu lassen pflegte.
Der junge Künstler hielt einen Augenblick in seiner
Beschäftigung — Percy Lovedale befand sich fast
niemals ohne eine solche — innc, um dem Sprecher
ernst, fast unwillig ins Antlitz zu schauen. Ihr
„alter Habicht" beginnt mich allen Ernstes zu ärgern,
Sir Marens, wahrhaftig! Carteret besitzt thatsächlich
nicht die schwächste Ähnlichkeit mit einem Raub
vogel. Ich halte ihn für einen der ehrlichsten und
edelherzigsten Gentleman meiner Bekanntschaft!"
„Sie halten ihn dafür! Sehr gut, Percy. Sie
sind ein Kind in Sachen der Menschenkenntniß.
Sie verstehen Sich ans das Combiniren und Tief
schauen so gut, wie etwa eine blinde Eule! Sic,
der sein Leben der Kunst geweiht und dessen Geist
durch den steten Umgang mit idealen Traumgebilden
dergestalt der Welt entrückt wird, daß er im Stande
wäre, vor einem Männchen machenden Hasen den
Hut abzuziehen, in dem dunkelen Gefühl, den
Districtslehrer oder etwas dergleichen vor sich zu
haben!"
Percy Lovedale salutirte lachend mit dem großen
Pinsel, den er soeben reinigte. „Ich danke, Sir
Marcus! Sie sind sehr gütig. Ich will mir wenigstens
redliche Mühe geben, Sie niemals mit einem
Männchen machenden Hasen zu verwechseln, und im
übrigen —"
„Lasten Sie es gut sein, Lovedale! Mich be
schäftigt noch etwas. Sagen Sie mir: Warum
berührt den Earl die Abreise der „Schönheit" so
wenig? Warum, ivenn er nicht gleichfalls die Hand
dabei im Spiel hat?"
„Wie soll ich das wissen, Colonel? Ich verstehe
mich auf das Combiniren herzlich schlecht, in der
That. Ich bin — im Vertrauen gesagt — nicht
viel besser, als eine blinde Eule zu dergleichen zu
gebrauchen. Fragen wir den Earl! Das ist der
einfachste und directeste Weg."
„Possen! Aber glauben Sie nicht, Lovedale, daß
ich es aufgeben werde, dem Mädchen nachzuspüren!
Ich hoffe im Gegentheil, Ihnen binnen Kurzem das
ganze Gewebe klarlegen zu können." Während der
Colonel das sagte, funkelten seine kleinen, dunkelen
Augen wie Stahlklingen, und er öffnete die Lippen
ein wenig, daß die weißen Zähne hervorschimmerten.
Seit Sir Marcus Dent aufgehört hatte, seine
Kräfte und Fähigkeiten im Dienst des Vaterlandes
zu verwerthen, versuchte er sich mit Eifer und Erfolg
auf dem Feld der Intrigue; sie war ihm sozusagen
Lebenslust, zum ivenigsten die Atmosphäre, in welcher
er allein frei zu athmen vermochte. Ohne ein der
artiges, kleines, aufregendes Nebeninteresse, ivelches
seine Spürnase in Action setzte und ihm Stoff zur
letzten, vertraulichen Abendcigarre mit Lovedale lieferte,
erschien ihm das Leben schal und abgeschmackt. So
war cs in London, so war es auf der alljährlichen,
fashionabelen Besuchstournöc in den Herbst- und
Wintermonden gewesen, und selbst Browningham,
das kleine Dorf ini stillsten aller stillen, grünen
Thäler Old-Englands, hatte seinen Tribut gezahlt,
seinen „Gegenstand" für des Colonels OperationS-
Manie geliefert. Die eigenartige, romanhafte Er
scheinung der „Schönheit von Browningham", das
Bestreben, diesen ländlichen Stern mit eigener Hand
ans Licht ziehen und für seine, wenn auch geradezu
nicht niedrigen, so doch völlig egoistischen Zwecke ge
winnen und ausbeuten zu können, beschäftigten den
ehrcnwcrthcn Sir Marcus um so lebhafter, als cs
sich bald herausstellte, daß die Gentlemen von Vaverne
Castle in stillschweigender Concurrenz allcsammt um
denselben Preis stritten, so verschieden ihre Motive
auch sein mochten. Nun hatte das „Turnier" durch
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