50.
Beilage zum Rendsburger Wochenblatt Nr.
Die Schönheit von Dronmingham.
Von Helene v. Götzendorff-Grabowski.
„Aber ich sehe in Ihrer Handlungsweise nichts
als Edelmuth und Redlichkeit, Carteret!" sagte
Francis Vaverne, als der Erzählende eine kleine
Pause machte. „Fast ein wenig zuviel davon,
denn cs scheint Ihnen damals an Weltklugheit ge
mangelt zu haben."
„Warten Sic ab, Vaverne! So sorgsam ich mein
Vorstadt-Idyll vor Entdeckung zu schützen bemüht
war: es blieb dennoch nicht lange verborgen. Wie
es geschah, daß meine Mutter davon erfuhr, ist mir
noch heute ein Räthsel. Genug: sie stand eines
Tages gleich deni Engel mit dem feurigen Schwert
auf der Schwelle unseres kleinen Paradieses, bereit,
wenigstens einen von uns Beiden, meine unschuldige
Dolly, ohne Erbarmen daraus zu vertreiben. Dolly
befand sich, — wie mir damals däuchte, zum Glück!
— nicht zu Haus; ich mußte eine Begegnung
zwischen ihr und der erzürnten Frau um jeden Preis
zu verhindern suchen. In der momentanen Ver
wirrung meines Geistes, in der Erregung des
Augenblickes that ich das Schmachvolle, das mir
jetzt Unfaßbare: ich läugnete die Thatsache unserer
Eheschließung hinweg, jener heiligen und wahrhaftigen
Eheschließung, deren Urkunde ich wohl versiegelt in
einem Fach meines Schreibtisches aufbewahrte! Ich
verläugnete mein geduldiges, getreues Weib und stellte
es auf eine Stufe mit den verworfensten Geschöpfen
dieser Erde!"
„O, Carteret!"
„Ja, ja, Vaverne! Ihre Entrüstung ist eine ge
rechtfertigte ! Aber, wie hart war auch meine Strafe!
Lassen Sie mich kurz sein. Nachdem meine Mutter
mich, beruhigt durch den Glauben, das Geschehene
sei noch einmal gut zu machen, verlassen hatte und
mein Blut sich einigcrniaßen abzukühlen begann, fiel
mir das Ehrlose meiner Handlung sofort schwer auf
die Seele, doch suchte ich mich durch Sophismen zu
trösten. Ich hatte ja im Grund zu Dollys Bestem
so gehandelt, und nachdem ich in den Besitz meines
Vermögens gelangt sein würde, mußte es meine
erste Pflicht sein, diesen gutgemeinten Betrug aufzu
decken und meine Gattin in ihre Rechte einzusetzen.
Vor der Hand war es für uns Beide sicherlich so
am vortheilhaftesten. Alle diese Beschwichtigungen
und schönen Vorsätze erleichterten mein Gewissen im
Grund herzlich wenig. Ich zagte davor, den ehr
lichen, dunkelen Augen meiner Dolly entgegen zu
treten. Sie blieb auch lange aus! Sie kehrte nie
mals wieder ..."
^ Die Geister der Vergangenheit schienen dennoch
nicht alle Macht über Sir Cartcrets Seele verloren
Donnerstag, den !
zu haben; er vermochte nicht sogleich fortzufahren,
er barg sein Antlitz in den Händen und athmete
schwer.
Der Earl hatte sich vollends empor gerichtet und
blickte aus seiner rothdämmerigen Ecke mit ernsten,
theilnahmsvollen Augen auf die zusammengesunkene
Gestalt am Kamin. „Reden Sie doch, Carteret!
Fassen Sie Sich! Warum kehrte Dolly nicht wieder?"
„Weil sie an der Thür den nicht allz« leisen
Wortwechsel mit meiner Mutter zum Theil mit an
gehört hatte, und so gerade dasjenige, was ich für-
ewig vor ihr zu verbergen wünschte. Spät Abends
brachte ein fremder kleiner Knabe mir ihr Abschieds
wort: „Lebe wohl, Thomas! Ich habe kein Recht
ans den Platz an Deiner Seite, wenn ich nicht in
Wahrheit Dein Weib bin, wie Du mich all' diese
Zeit glauben ließest, und keine Kraft zum Weiter
leben, nachdem Du mich verrathen. Suche mich
nicht, denn es wäre umsonst. Der Himmel vergebe
Dir, wie ich es thue. Dolly." Daß ich trotzdem
auf alle Weise mein verlorenes Kleinod wieder zu
finden suchte, werden Sie mir glauben. Es war
in der That umsonst. Nach einigen Wochen brachte
man mir ein am Themse-Ufer gefundenes, korn
blumenblaues Halstuch, welches der Detective nach
meinen Detailangaben ihrer Bekleidung als Dollys
Eigenthum zu erkennen glaubte. Er hatte sich nicht
getäuscht. Das ist der „Roman Vaverne"!
„Das traurigste Stück Lebensgeschichte, welches
ich jemals vernahm, Carteret! Ich kann mir denken,
daß Sie ewig daran zu tragen haben. Wie geht
schon mir, einem Unbetheiligten, Ihr Schicksal und
dasjenige des armen, blonden Kindes zu Herzen!"
„Und wie würde es Ihnen erst zu Herzen gehen,
wenn Sie Dolly gekannt hätten!" Während Sir-
Thomas Carteret diese Worte mit tonloser, zitternder
Stimme sprach, erhob er sich aus seinem Schaukel
stuhl und trat an das Ruhebett des Earl, ein
rundes, kleines Etwas in dessen Hand legend, welches
sich als ein Taschen-Etui von abgegriffenem, rothem
Saffian entpuppte und, nachdem der Earl es be
gierig geöffnet, einen lieblichen Mädchenkopf in Pa
stellmalerei zeigte. Die Farben waren so frisch, die
Züge so anmuthig, aber das konnte es nicht sein,
was den Blicken des Earl diese plötzliche Starrheit
gab, was ein so heftiges Erschrecken über sein schönes,
blasses Gesicht gleiten ließ. Dieses Portrait glich
auf das wunderbarste fast Zug um Zug der „Schön
heit von Browningham", nur, daß das Antlitz der
armen Dolly an Rundung und gesunder Frische
demjenigen der Gärtnerstochter weit nachstand, und
ihr schöner kleiner Mund ein schwermuthsvolleres
Lächeln zur Schau trug, als die Purpurlippen So-
beïdcns, wie der Earl hoffte, jemals lernen würden.
. April 1888.
„Was bedeutet das, Carteret? Narrt mich ein
böser Zauber?" sagte er endlich mit seltsam un
sicherer Stimme, ohne den Blick von dem Bild ab
wenden zu können. „Schauen nur meine Augen
so, oder gleicht diese junge Person der Tochter meines
Obergärtners in der That so auf ein Haar?"
Sir Thomas Carteret bewegte ernsthaft zustim
mend, fast feierlich das Haupt. „Es ist, wie Sie
sagen, Vaverne! Miß Stedman könnte zu diesem
Bild gesessen haben."
„Und wie, in des Himmels Namen, erklären Sie
mir das Unbegreifliche?!"
„Nichts einfacher, als das, Vaverne! Meine kleine
Dolly war die jüngere Schwester des Mr. Stedman,
geborenen Mason."
„Ist es möglich, Carteret? So wären Sie der
Oheim der Gärtnerstochter?"
„So gewiß Beauty's Oheim, als ich Dolly's
Gatte war, Vaverne!"
„Das ist in der That ein Roman! Weiß man
im Haus des Obergärtners von dieser Sache?"
„Bis zum heutigen Tage war es nicht der Fall.
Die arme Dolly galt als „in der Welt verloren",
man nahm an, ihr gefährlicher Beruf habe sie in's
Elend geführt und darin umkommen lassen! Ge
wissermaßen war cs ja auch so. Heute habe ich
Mr. Stedman vom Sachverhalt unterrichtet, nnd
er ließ sich herab, mir zu gestatten, einen Theil der
Sorge für die Zukunft seines Kindes auf meine
Schultern zu nehmen."
„Was wollen Sie damit sagen, Carteret?" fragte
der Earl mit jenem unruhigen Aufblitzen in den
grauen Augen, welches von nahendem Sturm sprach.
Sir Carteret lächelte sein gewohntes, halb sar
kastisches, halb melancholisches Lächeln. „Nichts,
was Sie besorgt machen dürfte, Vaverne!" ent-
gegnete er mild. „Ich bin nnd bleibe Oheim.
Vergessen Sie das nicht!"
Der Earl erröthete ein wenig. „Wie entdeckten
Sie nun aber die Zusammengehörigkeit Ihrer Dolly
mit den Stedmans?" fragte er.
„Halb durch Zufall, halb infolge meines Inte
resses, des traurigen Interesses für diese Gegend,
welche sie, meine Dolly, mir alsHeimath angegeben,"
cntgegnete Sir Thomas Carteret. „Sie wissen,
daß ich seit Jahren eigentlich immer auf Reisen bin,
Vaverne, und daß mir diese meine Ruhelosigkeit eine
gewisse „historische" Bedeutung in der Gesellschaft
und dazu den Namen „Ahasver" eingetragen. So
trieb mich der Schicksalswind nun auch einmal in
diese Gegend; ich war es zufrieden, daß mein kleines
Erbtheil, die Vicariage, sich als unweit von Vaverne
Castle liegend erwies, und ritt herüber, da ich wußte,
Sie und der Colonel seien hier gelandet. Mein
Erscheinen in Vaverne Castle geschah also lediglich
Ihretwegen; nach Browningham begab ich mich,
weil ich es, als den Geburtsort Dollys, kennen zu
lernen wünschte. Alles klebrige ergab sich von selbst.
Daß ich dort in der alten Dorfkirche jenes Mädchen
fand, welches mich aus Dollys Augen anschaute,
daß ich ihm folgte, seine Bekanntschaft suchte und
so bald der Wahrheit auf die Spur kam, schien
Zufall; ich betrachtete cs aber als mehr.. Der
Himmel gestattet mir, den nächsten Angehörigen
meiner Dolly zu beweisen, daß ich nicht gesonnen
war, sic vor der Welt zu verläugnen; daß ich keine
Zweite an ihre Stelle setzte, daß mein Leben ledig
lich der Erinnerung geweiht ist. Ich gedenke das
Glück der lieblichen Beauty zu gründen, indem ich
sie, meine Nichte, adoptirc, sorgfältig heranbilden
lasse nnd zur Besitzerin der Vicariage mache. Als
meiner Nichte und Adoptivtochter werden sich Beauty
leicht die Pforten der Gesellschaft öffnen, nachdem
sie die gehörige Lehrzeit absolvirt, nnd ein Gatte
von Rang nnd Ansehen wird keine so große Mcs-
alliance an ihr machen. Ich aber werde durch das
Bewußtsein, wenigstens einmal im Leben etwas
Gutes gethan zu haben, mein Gewissen in so >veit
beschwichtigen, daß es nicht mehr so höllisch brennt,
sondern höchstens noch als ein melancholisches Me
mento zwischen mich nnd jenen Augenblick tritt, in
welchem ich mich einmal leicht und frei fühlen möchte!"
„Sie werden im Glück Beauty's den Frieden
finden, Sir Thomas," sagte der Earl mit bewegter
Stimme, nachdem der erstere seine Erzählung ge
schlossen hatte.
„Ich werde versuchen, sie, das Ebenbild ineines
kurzen Licbestranmcs, glücklich zu inachcn, nnd
glaube dabei, wcnu mich nicht Alles trügt, ans
Ihre Unterstützung rechnen zu dürfen," antwortete
Sir Thomas Carteret lächelnd. „Dann ist meine
Aufgabe erfüllt nnd „AhaSver" setzt seinen Wander
stab weiter."
„Thorheit, Carteret! Sie werden auch einmal
des Reifens überdrüssig!"
„'Niemals, Vaverne! Wenigstens noch lange,
lange nicht. Und für jene Tage, in denen das
Fleisch zu schwach dazu geworden sein wird, muß
ich Erinnerungen sammeln, die bis zum Ende aus
reichen und mich vor niir selber schützen! Es ist
etwas Köstliches um den Nachgcnuß schöner Reisen!
Je kühner, gefahrvoller dieselben waren, um so
reicher und glänzender die Erinnerungscrnte.
„Beurlauben Sie mich jetzt, Vaverne! Ich höre
die Stimmen der „fahrenden Ritter" in der Halle
und bin nicht in der Stimmung, ihnen jetzt zu
begegnen."
„Gehen Sie, Carteret!" erwiderte der Earl